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Rechtschreibreform und Gruppendynamik
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Theodor Ickler
10.04.2002 08.51
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Gruppengeist

Ich habe oft genug erlebt, wie die Gruppendynamik wirkt. In akademischen Gremien fügt man sich durchweg der politischen Korrrektheit, wenn es um Zugeständnisse an die feministische Sprachveränderung geht. Keiner der Anwesenden, nicht einmal die Frauenbeauftragte, findet das richtig, aber man macht trotzdem mit.
Gruppen wirken selten geistig anregend, meist verdummend (und moralisch depravierend, aber da ist ja bekannt):
„Jeder, sieht man ihn einzeln, ist leidlich klug und verständig;
sind sie in corpore, gleich wird euch ein Dummkopf daraus.“

Ähnlich dürfte es bei der Anpassung der Rechtschreibung zugehen, ohne daß der einzelne immer gleich ein fieser Mensch sein müßte.
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Th. Ickler

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Walter Lachenmann
10.04.2002 08.20
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Nicht jeder merkt da überhaupt etwas

Doch er denkt es sich nicht. Oder, noch schlimmer: Er denkt es sich zwar, aber er scheut sich, daraus die Konsequenz zu ziehen. Es ist, als wäre die herkömmliche Rechtschreibung irgendwie etwas Obszönes: Jeder will sie, jeder weiß vom anderen, daß der sie will, aber jeder hält es auch irgendwie für unschicklich, das zuzugeben.
[Jörg Metes]

Ich glaube, die erste Vermutung ist wirklichkeitsnäher: Er denkt es sich nicht. Die zweite Vermutung geht schon wieder in die Richtung: Am »dass« erkennt man jetzt den Schuft (oder Duckmäuser oder was auch immer). Es sind einfach entsetzlich viele Menschen völlig unsensibel im Hinblick auf die Orthographie, und das muß man nicht einmal zum Vorwurf machen. Es gibt reizende, sensible Menschen, die absolut unmusikalisch sind oder mit Kunst nichts anfangen können oder sich unmöglich anziehen usw.

»So ist das nun einmal«, hat irgendwo ein bedeutender Mann gesagt.
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Walter Lachenmann

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Karl Eichholz
10.04.2002 07.42
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Billies Erbe

Die Antwort lautet meiner Erkenntnis nach viel einfacher: die flächendeckende Versorgung mit den neuesten Errungenschaften aus dem Hause Microsoft führt schlicht dazu, daß die Voreinstellung „neue Rechtschreibung“ im Korrekturprogramm ebensowenig angetastet wird wie die vielen „annehmlichen Erleichterungen“ im eMail- und Brauserbereich, die dann zum Sicherheitsrisiko werden.

Microsoft müßte verpflichtet werden, den Nutzer den Schritt zur neuen Schreibe selber tun zu lassen oder aber mindestens bei erstmaligem Aufrufen vor die konkrete Entscheidung zu stellen: bewährte oder Reformschreibe?

Selbst bei meinen Kollegen, die von sich aus kaum auf Neuschrieb umstellen würden, darf das Heiligtum (Häkchen) „Neuschrieb“ nicht angetastet werden, denn Billi „hat sich ja was dabei gedacht“

Nur nicht aus der Reihe tanzen!

Diese durchgängig flächendeckende Versorgung mit einer Entscheidung, die keiner wirklich wünscht, führt dann natürlich in Konsequenz dazu, daß selbst Daimler-Chrysler, die sich ja an erwachsene Leute wenden, die schon schreiben können, sie mit Neuschrieb vergrault.

Wenn mir jemand etwas sehr nahe bringen möchte, tut er es am besten, indem er mit mir spricht wie meine Mutter.
Jeder Werbefachmann weiß das.

Diesem Phänomen der Zwiespältigkeit stehe ich mit großem Stirnrunzeln gegenüber.
Kann man die Auswirkung von Buchstaben auf dem Plakat etwa nicht mehr in Maß und Zahl erfassen? Oder wird selbst bei Daimler-Chrysler mittlerweile das „Abgedrehteste“ bevorzugt?


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mit herzlichen Grüßen
Karl Eichholz

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Jörg Metes
09.04.2002 22.17
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Rechtschreibreform und Gruppendynamik

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler (am 20.12.01, im Strang „Der Fetisch 'Norm'"):
Wie entstehen Bräuche?
Das ist das ganze Problem, d. h. es ist eigentlich gar keins. Der Rest interessiert die Soziologen.

Ich muß weit ausholen. Sehr weit.

Ich war heute (am 10.4.) auf der Hauptversammlung der DaimlerChrysler AG in der Messe Berlin. Ich war neun Stunden lang dort. Eine gute Stunde redete der Vorstandvorsitzende Jürgen Schrempp, alles in allem ca. 6 Stunden lang antworteten ihm gut 30 Aktionäre, und alles in allem ca 2 Stunden lang antworteten den Aktionären wiederum Schrempp und der Finanzvorstand Manfred Gentz. Die Moderation hatte der Aufsichtsratsvorsitzende Hilmar Kopper (Deutsche Bank).

10- bis 12 000 Aktionäre waren gekommen und hörten zu. Ich hätte die Gelegenheit nutzen und an den Vorstandsvorsitzenden auch meinerseits noch eine Anfrage richten können. Ich hätte ihn fragen können, warum das an die Aktionäre verteilte Informationsmaterial durchweg in Reformschreibung gehalten war, das Manuskript dagegen, von dem Schrempp selber seine Rede abgelesen hatte (es lagen später Kopien aus), in herkömmlicher. Einerseits wäre ich damit nicht einmal sonderlich aufgefallen. Von den gut 30 Aktionären redete bestimmt die Hälfte zu Themen, die mit dem Geschäftsbericht 2001 der DaimlerChrysler AG nichts zu tun hatten; das Spektrum der Aktionäre, die ans Mikrophon traten, reichte vom heiligen Narren, der für den Weltfrieden betete, bis hin zum Neonazi, der offenbar eine Abrechnung mit dem „jüdischen Doppelagenten Gysi“ vorbereitet hatte (die vorzutragen ihm Hilmar Kopper dann allerdings verbat). Andererseits hätte ich unserer Sache damit wohl nichts Gutes getan. Die Mienen, mit denen Jürgen Schrempp und seine Vorstandskollegen sich schon all diese anderen Anfragen anhörten, waren säuerlich genug. Ich denke, es ist besser, ich schreibe ihm.

- Aber (und hiermit bin ich am Ende meiner Ausholung) ist es nicht ein Phänomen? Für sich persönlich bevorzugt Jürgen Schrempp die herkömmliche Rechtschreibung. Es wäre für ihn ein Leichtes, von sich auf andere zu schließen. Er könnte sich mit Leichtigkeit denken: So, wie ich meine Redemanuskripte lieber in herkömmlicher Rechtschreibung habe, so hätten natürlich auch meine Aktionäre die Geschäftsberichte lieber in herkömmlicher. Doch er denkt es sich nicht. Oder, noch schlimmer: Er denkt es sich zwar, aber er scheut sich, daraus die Konsequenz zu ziehen. Es ist, als wäre die herkömmliche Rechtschreibung irgendwie etwas Obszönes: Jeder will sie, jeder weiß vom anderen, daß der sie will, aber jeder hält es auch irgendwie für unschicklich, das zuzugeben.

Daß Schrempps Redemanuskript in der herkömmlichen Orthographie vervielfältigt und verbreitet wurde, geschah vermutlich nur aus Unachtsamkeit. Hätte man Schrempp vorher ausdrücklich darauf angesprochen, hätte er gewiß angeordnet, auch dieses Manuskript noch in die Reformschreibung zu transponieren. Aber warum?

Wir kommen nicht umhin, zur Erklärung dieses Phänomens auch die Psychologie und die Soziologie zu bemühen.

Ich selber suche die Antwort auf diese Frage gerade in dem Buch „Private Truths, Public Lies“ des amerikanischen Ökonomen Timur Kuran. Auf deutsch ist es erschienen unter dem Titel „Leben in Lüge. Präferenzverfälschungen und ihre gesellschaftlichen Folgen“ (Mohr Verlag; herkömmliche Rechtschreibung). Es ist ein nicht ganz dünnes Buch, und ich glaube kaum, daß ich es schaffen werde, den Inhalt in einem Forumsbeitrag zusammenzufassen. Denjenigen, die sich speziell für diesen Aspekt der Rechtschreibreform interessieren, sei es hiermit aber sehr empfohlen.
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Jörg Metes

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