Re: Starke und schwache Verben
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Peter Schubert
frug?
«Woher stammt wohl die edle Form: er frug?»
Das hat sich wohl schon mancher gefragen Entschuldigung! gefragt. So auch jener Sprachfreund, der noch im letzten Jahrhundert [inzwischen: vorletztes. WL] für eine süddeutsche Zeitung die Verse schrieb:
Ich frug mich oft in diesen Tagen:
Woher stammt wohl die edle Form: er frug?
Wer war der Kühne, der zuerst sie wug?
So frug ich mich, so hab ich mich gefragen.
Wer dieser Kühne war, dürfte kaum noch zu ermitteln sein. Sicher ist nur, daß die mit Recht angefochtenen Formen du frägst, er frägt, sie frugen aus dem Niederdeutschen in die hochdeutsche Gemeinsprache gelangt sind. Josef Victor von Scheffel und Gustav Freytag, damals viel gelesen, sollen dafür verantwortlich sein, daß die grammatisch illegalen Konjugationsformen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sogar in der Literatur Verbreitung fanden. Bei den älteren Klassikern waren sie noch kaum zu treffen, und heute darf man sagen, daß wenigstens das falsche Imperfekt frug/frugen zwar noch nicht gänzlich verschwunden, aber doch wieder seltener geworden ist. Von den umlautenden Präsensformen der zweiten und dritten Person hingegen kann das nicht behauptet werden, im Gegenteil: kaum ein Tag vergeht, ohne daß wir einige du frägst oder er frägt aus unserern Zeitungstexten auszumerzen hätten, oft von Autoren geschrieben, die es eigentlich besser wissen dürften.
Entstanden sind diese starken Formen eines von Haus aus schwachen Zeitworts zweifellos in falscher Anlehnung an die stark konjugierten Vorbilder tragen und schlagen. Daß der Orthographie-Duden sie als Nebenformen glaubt aufführen zu müssen, ist bedauerlich. Man muß schon den Band 9 (Hauptschwierigkeiten) aufschlagen wie viele tun das schon? um zu erfahren, daß sie in gutem Deutsch eigentlich nicht geduldet werden sollten.
Merkwürdig ist, daß noch kaum einer, der bedenkenlos er frägt oder er frug schreibt, diesen falschen Vorbildern bis zum Ende gefolgt ist. Das sähe nämlich so aus: er trägt, er trug, er hat getragen; er schlägt, er schlug, er hat geschlagen; er frägt, er frug, er hat gefragen.
Wenn ich Lehrer wäre, hier bliebe ich streng. Ich würde kein er frägt oder sie frugen ohne gehörige Aufklärung und Ermahnung durchlassen. Sonst dürfte ich mich nicht verwundern, wenn meine Schüler eines Tages folgerichtig weiterkonjugierten: klagen, du klägst, sie klugen; wagen, du wägst, sie wugen; sagen, du sägst, sie sugen ....
(Aus: Walter Heuer, Darf man so sagen? Zweite Folge der kritisch-vergnüglichen Glossen zu unserer Gegenwartssprache. Buchverlag der Neuen Zürcher Zeitung, 1976)
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Walter Lachenmann
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