Indendisch vorherrschender Verstand
Editorial
RHEINISCHER MERKUR DIE WOCHE
Wir kennen keine Parteien mehr. Wir kennen nur Leser!
Autor: ANDREAS ÖHLER
Es ist gut, dass wir darüber gesprochen haben!
Dass dieser Kernsatz aus den psychologischer
Selbsterfahrungsgruppen mehr als nur ein Körnchen
Wahrheit in sich birgt, durften wir, die wir den
Rheinischen Merkur machen, bei der gerade zu Ende
gegangenen Leipziger Buchmesse erfahren. Denn an
unserem überraschend stark frequentierten
Messestand, fanden sich besonders viele
Woche-Leser aus Ost und West ein, die sich mit
uns das Gespräch suchten und mit wachen und
weisen Fragen an uns herantraten. Es wurde deutlich: Der Phantomschmerz nach
dem Verlust ihrer so plötzlich eingegangenen geschätzten Wochenzeitung dauert an.
Es ist ein Gefühl, dass viele Woche-Leser aus den neuen Bundesländern schon
einmal durchleiden mussten, als die beliebte Wochenpost in der Woche aufging.
Dass der Verlust Ihrer Zeitung, ihrer papierenen Lebensabschnittsgefährtin, immer
auch ein Stück Indenditätsschwund (!) bedeutet, können wir sehr gut nachvollziehen.
Zugegeben, wir können Ihnen Die Woche nicht mehr herzaubern. In Leipzig aber
haben wir erkannt, dass Sie uns zunehmend schätzen lernen, weil wir zu lernen
bereit sind, was Sie an ihrer Zeitung so sehr schätzten.
In eingehenden Gesprächen wurde deutlich, dass es gar nicht mal so sehr die
politische Stoßrichtung ist, die der verwaiste Woche-Konsument in der sich immer
mehr konzentrierenden Presselandschaft vermisst. Weit eher hegt er die Bedenken,
dass ein Podium origineller Denkungsart, ein publizistisches Erkenntnisforum, wie es
auch die Woche zweifellos darstellte, abhanden gekommen sein könnte; ein
Zwischenton im Orchester öffentlicher Meinung. Denn dass in einem rein
profitorientierten Zeitgeist, auch die Domänen intellektueller Geisteskultur zunehmend
beschnitten werden, ist längst mehr als nur ein bildungsbürgerliches Ressentiment.
Dies wird parteiübergreifend von gescheiten Leuten eingeklagt. Rechts und links sind
nicht länger hinreichenden Kategorien, wenn die letzten publizistischen Geistesforen
und Formate mit Möglichkeit zur diskursiven Auseinandersetzung immer geringer
werden.
Politischer Verlautbarungsjournalismus im Dienste einer Parteifarbe ist die Sache des
Rheinischen Merkurs nicht, so wenig wie es auch die der Die Woche war. Bei allem
Unterschied, der hier auch nicht überdeckt werden soll, zumal der Rheinische Merkur
auf eine altehrwürdige publizistische Tradition verweisen kann, haben doch beide
Wochenzeitungen einiges gemeinsam: Meinungsstärke, den Drang zur
Geistesbildung, journalistische Geistesgegenwart, und ein kritisches Bewußtsein (!).
Es ist gerade dieser intellektuelle Anspruch des Woche-Lesers, den wir
Zeitungsmacher zufriedenstellen (!) wollen, und dem wir uns mit Verlaub auch geistig
gewachsen fühlen. Nicht immer und nicht für jeden kann eine politische
Wochenzeitung ideologischer Vorposten im Meinungskrieg der Journaille sein, aber sie
kann Raum bieten, für geistige Verortungen, kann zur eigenen Standortbestimmung
den Kompass liefern. Wo Verstand vorherrscht, stellt sich bald auch Verständigung
ein. Nach Leipzig wird deutlicher: Es gibt Grund, sich aufeinander zu freuen!
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Th. Ickler
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