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Karin Pfeiffer-Stolz
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Sigmar Salzburg
06.07.2011 12.42
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Karin Pfeiffer-Stolz

Handschrift – historisch überholt?

»Da sind wohl Hühner spazierengegangen«, seufzt die Lehrerin. Am häuslichen Schreibtisch beugt sie sich über das Heft eines Schülers, versucht dessen Schrift zu entziffern. In dieser Szenerie offenbart sich die ganze Sinnlosigkeit nachlässig angefertigter Niederschriften. Schrift, die man nicht lesen kann, ist ohne Funktionswert.

Der Zweck der Schrift: gelesen werden


Schrift ist optische Mitteilung über Raum und Zeit hinaus. Diesem Zweck gehorcht die Notwendigkeit einer Form-Normierung. In der Grundschule werden unsere Kinder in dieses genormte Schriftsystem eingeführt. Lesen und Schreiben sind grundlegende Kulturtechniken, die von jeder Generation neu erlernt werden müssen. Unter Anleitung des Lehrers üben Kinder die gebräuchlichen Buchstabenformen ein. Schreibenlernen verfolgt das Ziel, sich schriftlich mitteilen zu können. Eine Gesellschaft, die darauf verzichtet, ihre Kinder in das bestehende Normsystem einzuführen, wird dies unweigerlich mit der Einbuße des kulturellen Niveaus bezahlen müssen.

Schreiben ist Übung

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde im Gegensatz zu heute noch viel mit der Hand geschrieben. In Büros entstanden Listen per Hand, Versammlungen wurden handschriftlich protokolliert. Privat schrieb man einander Briefe. In der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts verbreiteten sich die modernen Kommunikationsmedien. Telefon und Computer verdrängten mehr und mehr das Schreiben mit der Hand, überflüssig machen sie es indes nicht. Wo aber mangels Schreibanlässen die individuelle Handschrift nicht trainiert wird, verkümmern selbst die einmal vorhandenen Fertigkeiten. Die Feinmotorik der Hand muß ebenso trainiert werden die wie Muskulatur der Beine zum Gehen. Wenn wir darauf verzichten, unseren Kindern aus kurzsichtigen Motiven — etwa aus Gründen der Zeitersparnis — die Schreibkunst zu vermitteln, wird dies auf mittlere Sicht den Verfall des logischen Denkens zur Folge haben. Damit steht mehr als nur die Literalität auf dem Spiel, und das ist keine bloße Untergangsprophetie. Das Elend aller bisher untergegangenen Zivilisationen zeigt sich darin, daß die Menschen die positiven Errungenschaften ihrer Vorfahren jeweils als natürlich gegeben betrachteten und darauf verzichten haben, die Grundlagen der Tradition zu pflegen und aktiv zu erneuern.

Schreibenlernen ist mühsam und kostet Zeit

Man sollte Kindern und Eltern nicht erzählen, daß das Schreiben dank neuer Techniken und moderner Unterrichtsmethoden leichter und schneller erlernt werden könne. Schon gar nicht trägt eine wie immer geartete neue Schrift dazu bei — wie zum Beispiel die »Grundschrift«, eine Druckschrift, die zur Zeit unter verlogenen Argumenten und falschen Versprechungen vom Grundschulverband (einer privaten Interessengemeinschaft mit gutem Draht zur Politik) in die Schulen geschleust wird. Schon die Vereinfachte Ausgangsschrift hat für einen Verfall der Handschrift geführt, denn das abgehackte Schreiben erzeugt eine Art »Schreibstottern«, dem später nur schwer beizukommen ist.

Denken ist Bewegung — Schreiben ist Denken

Eine unbeholfene, schlechte Handschrift behindert das schulische Lernen in allen Fächern gleichermaßen. Klarheit der Schrift fördert Klarheit im Denken: wer schreibt, verlangsamt zwangsläufig den Denkprozess, was wiederum das tiefere Verständnis fördert und beim Einprägen des Lernstoffes hilft. Das aber passiert nur, wenn der Schreibprozeß selbst nicht zuviel Aufmerksamkeit beansprucht — mit anderen Worten: das Schreiben muß flüssig und automatisiert erfolgen. Beim mühsamen Drucken der Buchstaben kann kein Fließen entstehen — auch kein Fließen der Gedanken. Schreibstammeln führt zu Denkblockaden.
Fast alle Schüler machen irgendwann in ihrem Schulleben die Entdeckung, daß sie besser lernen, wenn sie eine Mitschrift, eine Zusammenfassung oder wenigstens Skizzen anfertigen.

Drucken ist nicht Schreiben

Drucken gehört in den Bereich der Mechanik. Eine Hand ist keine Maschine. Handschrift ist Handwerk und damit ein lebendiger Prozeß. Sprechen ist Mundwerk. Das Drucken überlassen wir den Maschinen. Wir hingegen wollen schreiben. Flüssiges Schreiben zu erlernen ist keine vertane Zeit, sondern verhilft zu klaren Denkstrukturen und damit zu besserem Schulerfolg. Computer können nicht schreiben. Und Menschen, die am Computer schreiben, bedienen Maschinen.

Kinder schreiben gern. Schreiben ist eine stille Beschäftigung, Schreiben wirkt beruhigend, man kann dabei ganz zu sich selbst kommen. Wenn den Kindern eine häßliche Schrift aufgezwungen wird, wie sie die Vereinfachte Ausgangsschrift ist, oder sie von Beginn an zum Schreibstottern — sprich Drucken — angeleitet werden, dann vermiesen wir ihnen die Freude am Tun. Ganz schlimm wird es, wenn Kinder nicht mehr unterwiesen werden im Schreiben unter dem Motto: Mach es, wie du willst. Finde das Richtige selbst heraus! Das ist kein Unterricht. Das ist ein Skandal.

Kinder können nicht Schrift »entdecken«, genausowenig wie sie die Rechtschreibung »entdecken« können. Wäre das so, wir könnten alle Schulen schließen und die Lehrer entlassen. Denn beaufsichtigen können wir die Kinder auch anderswo als in ungemütlichen Klassenzimmern.

http://www.freiewelt.net/blog 6.7.2011

Karin-Pfeiffer-Stolz

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Sigmar Salzburg
25.04.2010 17.03
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Karin Pfeiffer-Stolz

Außen hui, doch innen ......

In allen Lebensbereichen ist zu beobachten, wie der Stellenwert von Äußerlichkeiten zunimmt und das Handeln beeinflußt. Die Schule macht da keine Ausnahme: die Verpackung wird wichtiger als der Inhalt.


Mögen schriftliche Schülerarbeiten in ihrer äußeren Form auch perfekt wirken, so offenbart sich doch nicht selten hinter der glänzenden Fassade eine inhaltliche Dürftigkeit. Mit Hilfe der modernen Technik und etwas persönlichem Geschick gelingt es leicht, professionell aussehende Schriftstücke, Konvolute, ja ganze Bücher herzustellen. Das Internet bietet sich dar als unerschöpfliche Fundgrube für Versatzstücke, die, listig zusammengesetzt, zu einem Textganzen verschmolzen und als eigenes Werk ausgegeben werden. Abladen, Ausdrucken, Abheften. Was vormals des Bürokraten vornehmste Tätigkeit war, ist heute des Schülers tägliches Tun. Alles perfekt, oder etwa nicht?

Und doch, es trügt der Schein. Farbige Tabellen, gestochen scharfe Fotos, kompetent wirkende Info-Kästen, kreative Typographie, hypermodernes Layout — dies alles ist reines Blendwerk. Ein Prunkgewand, das ablenkt vom dissonanten Klang des Orchesters aus einander nichts sagenden (getrennt ist da richtig!) Worten, welche der reine Zufall zusammengewürfelt hat. Wo die Form dominiert, verkommen Inhalt und Aussage zum lästigen Beiwerk, denn die Gestaltung der Oberfläche beansprucht sämtliche Schöpferkraft und Arbeitszeit. Verinnerlichung — also denken, nachsinnen, erfassen? Wozu auch, wenn diese Anstrengung doch so gar nicht sichtbar gemacht werden kann und zum persönlichen Ansehen beitragen? Gesehen werden, das ist es doch, was zählt! Das für die Augen unsichtbare Wesentliche wirft keinen unmittelbaren Gewinn ab.

Fast scheint es, als verlernten wir es, uns mittels geschriebener Worte mitzuteilen. Was bleibt? Nichts als eitle Selbstdarstellung: bibliophile Buchdeckel, zwischen denen sich geistige Leere verbirgt. Doch wird das kaum auffallen, denn viele Bücher landen ungelesen im Bücherschrank, als Beweisstücke guten Willens, welcher über ebenso gute Absichten nicht hinausgekommen ist.

Ein seltsamer Widerspruch

Die Verherrlichung der Hülle steht in auffälligem Gegensatz zur Vernachlässigung der Orthographie, welche als Kleid der Schriftsprache bezeichnet werden könnte. Der Schreibende möchte der Welt etwas mitteilen. Dazu will — nein muß! — er verstanden werden. Dies kann nur demjenigen gelingen, der sich den Regeln unterwirft, welche sich im Lauf der Zeit als Norm herausgebildet haben. Korrekte Rechtschreibung aber scheint nunmehr in den Rang des Verzichtbaren abgestuft zu sein. Nicht selten wird Kritik zurückgewiesen mit den Worten: „Was soll’s. Man kann es doch lesen!“ Noch, möchte man besorgt hinzufügen.

Es stimmt schon: noch kann man lesen und verstehen, was fehlerhaft einherkommt. Wenngleich oftmals viel Zeit und noch mehr guter Wille dazu nötig sind. Ich denke da an die geschätzten Kollegen, die sich durch den Dschungel der schülerseligen Schriftlichkeit hindurcharbeiten müssen. Wenn sich am jetzigen Trend nicht Grundsätzliches ändert, könnte das Entschlüsseln schriftlicher Mitteilungen bald zu einer Wissenschaft für sich werden. Damit dürfte sich ein ganz neues Feld staatlicher Betätigung eröffnen – denken wir an die Möglichkeit der Einrichtung von Instituten und akademischen Lehrstühlen zur Erforschung von neu entstandenen, zeitgenössischen Formen schriftlicher Kommunikation! Fördergelder könnten in die Entwicklung einer raffinierten Technik für maschinelle Entzifferungshilfen fließen. Sie denken, ich übertreibe?

Sobald der Zeitpunkt gekommen ist, in dem sich die heute bereits konkurrierenden Schreibweisen noch weiter voneinander entfernt haben und die vormalige Einheit zu einer unübersichtlichen und nicht mehr miteinander kompatiblen Vielheit wird, spätestens dann ist es um die Zweckmäßigkeit der großartigen kulturellen Einrichtung geschehen, die wir Schrift nennen. Als uneinheitlich gewordenes Zerfallsprodukt kann sie nicht mehr dazu dienen, über die Distanz von Raum und Zeit hinweg geistige Verbindung unter den Menschen herzustellen. Zu Ende gedacht besäße schließlich ein jeder seine eigene Orthographie. Schon heute werden Erstkläßler aufgefordert, diesen Weg zu beschreiten, indem man sie ermuntert, einfach „draufloszuschreiben“, ohne sie vorher mit den wichtigsten allgemeinen Gepflogenheiten der Schriftsprache vertraut gemacht zu haben. Greift diese seltsame Sitte auf die Allgemeinheit über, dann hätten wir endlich das Stadium des schriftlichen Autismus erreicht.

So weit wird es wohl nicht kommen. Dennoch bleibt das Zwiespältige rätselhaft. Einerseits die Dominanz der Verpackung gegenüber dem sachlichen und inhaltliche Gehalt eines Textes. Andererseits das lässig zur Schau getragene, nicht mehr als anstößig empfundene schäbige „Kleid“ der Sprache. Darüber habe ich viel nachgedacht. Eine befriedigende Antwort ist bislang nicht gefunden. Vielleicht verhelfen mir die geschätzten Leser zu einem besseren Verständnis des Sachverhalts ...

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