... und Zehetmair denkt wieder ans „h“
„Spaghetti“ oder „Spagetti“ – Rechtschreibreform ein Jahr in Kraft
Wer im Alltag viel schreibt, muss noch häufig zum Wörterbuch greifen
Von Esteban Engel
BERLIN (BLK) – Sie ist bei vielen Menschen unbeliebt und wird es wohl noch länger bleiben: Die Rechtschreibreform löst auch ein Jahr nach ihrem offiziellen Start Unbehagen und Unsicherheit aus. Dabei war am 1. August 2007 ein abgespecktes Regelwerk verbindlich in Kraft getreten. Ursprünglich hatten die mit dem Vorhaben betrauten Experten viel stärker in die Schreibweise der deutschen Sprache eingreifen wollen.
Ob „kennenlernen“ oder „kennen lernen“, „Schiffahrt“, „Schifffahrt“ oder „Schiff-Fahrt“, „überschwänglich“ oder „überschwänglich“ – wer im Alltag viel schreibt, muss noch heute häufig zum Wörterbuch greifen. Nach einer Untersuchung der Forschungsgruppe Deutsche Sprache, der einige Reformgegner angehören, haben die neuen Regeln das korrekte Schreiben an Schulen nicht erleichtert – im Gegenteil. Die Fehlerquote sei etwa in freien Aufsätzen von Viertklässlern um 80 Prozent, bei Diktaten in der gymnasialen Oberstufe gar um 110 Prozent gestiegen. Vor allem die Verwendung von Doppel-S und Eszett löse bei vielen Schülern noch Kopfzerbrechen aus.
Die Gegner blicken hoffnungsvoll in die Schweiz, wo die Orthographische (oder Orthografische) Konferenz eine Reform der Reform anstrebt. „Der Weg, den sie einschlägt, wird insbesondere den Schulen helfen, mehr Sicherheit im aktuellen Durcheinander zu gewinnen“, sagt etwa Schulbuchverleger Michael Klett.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) sieht dagegen keinen „akuten“ Handlungsbedarf. „Die Unzufriedenheit hält sich so in Grenzen, dass sie kaum bemerkbar ist“, sagt KMK-Generalsekretär Erich Thies. Die Reform habe sich bewährt. Der Vorsitzende des Rechtschreibrates, der frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair, schließt allerdings kleine Änderungen nicht aus. Man wird sich nun mit den Wörterbuchverlagen unterhalten, ob nicht etwa „Spaghetti“ ohne „h“ geschrieben werden kann, sagte der CSU-Politiker dem „Münchner Merkur“.
Die wohl größte Reform im Schriftdeutsch hatte in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz Verwirrung und Ablehnung ausgelöst. Bereits am 1. Juli 1966 hatten sich Fachleute aus den drei Ländern, sowie aus Liechtenstein und den Staaten mit deutschsprachigen Minderheiten grundsätzlich auf das Projekt geeinigt. Kurz danach erhoben sich die ersten Stimmen des Protests gegen die Kommission.
Vor allem Schriftsteller aber auch Institutionen wie die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung kritisierten die ihrer Ansicht nach willkürlichen Änderungen. „Mein erstes Prosamanuskript zur ‚Blechtrommel’ ist voller Rechtschreibfehler. Ich habe die deutsche Rechtschreibung im Laufe meines langen Schreibprozesses gelernt und bin deshalb auch so wütend, dass sie wieder geändert wird“, sagte etwa Literaturnobelpreisträger Günter Grass.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Reform dennoch für rechtmäßig, in Umfragen lehnte eine Mehrheit der Deutschen die neuen Regeln ab. Am 1. August 2005 wurden die weitgehend unstrittigen Teile an Schulen und Behörden verbindlich eingeführt.
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Widerstandes beschloss der von den Kultusministern eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung im Februar 2006 Änderungsvorschläge bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Silbentrennung sowie der Zeichensetzung. So durften fortan Wortverbindungen wie „allein erziehend“ oder „so genannt“ auch zusammen-, das „Du“ in Briefen wieder großgeschrieben werden.
Einige Medien, allen voran die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, das Magazin „Der Spiegel“ und das Medienhaus Axel Springer („Bild“, „Die Welt“) gaben ihren Widerstand auf und schwenkten auf die veränderte Rechtschreibung um. Auch die Nachrichtenagenturen einigten sich auf das neue Regelwerk, damit sie nicht nur korrekt, sondern auch in einheitlicher Schreibweise ihre Meldungen verbreiten.
Im Rückblick räumt KMK-Generalsekretär Thies Fehler bei der öffentlichen Vermittlung des Projekts ein. So habe die Reformkommission zu lange für sich gearbeitet, die Politik sich zu spät eingeschaltet. Die Proteste sieht Thies gelassen. „Keine Themen erhitzten die Gemüter so wie die Rechtschreibreform und die Terminregelung für die Sommerferien – das ist unlösbar.“
Berlinier Literaturkritik
31.7.2008
http://www.berlinerliteraturkritik.de/index.cfm?id=18920
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