Reiner Kunze
Wer streitbar ist, wird immer umstritten sein
OTZ-Interview mit Schriftsteller Reiner Kunze, der morgen in Schleiz zu Gast ist
Herr Kunze, Ihnen geht der Ruf eines streitbaren, umstrittenen aber auch eines der bedeutendsten deutschen Lyriker voraus, manche wollen Sie sogar in die rechte Ecke drücken. Wie hält man diese Widersprüchlichkeit – sofern sie es wirklich ist – aus?
Reiner Kunze: Wer streitbar ist, wird wohl immer auch umstritten sein, das ist kein Widerspruch, und mich belastet nicht das Umstrittensein, sondern der Umstand, streitbar sein zu müssen. Ich würde gern darauf verzichten. Die Begriffe „rechts“ und „links“ liegen, was das Leben betrifft, außerhalb meines Koordinatensystems. Ich orientiere mich an gänzlich anderen Kriterien: Was ist wahr? Was ist nach meinem begrenzten Verstand vernünftig? Wer verdient mein Vertrauen, und wer hat sich als ein widerwärtiger Charakter erwiesen? Wer bedarf meiner Hilfe, und wann lade ich Schuld auf mich, wenn ich schweige? – Wo ist da „rechts“ und „links“? Die Wirklichkeit fragt allerdings nicht danach, ob man sie aushält. Ich frage aber auch die Wirklichkeit nicht, ob sie mich aushält.
Fühlen Sie sich einer politischen Richtung verbunden?
Reiner Kunze: Vor kurzem hatte ich in Berlin ein intensives Gespräch mit Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes, jungen Menschen aus zwanzig Ländern. Ich fühle mich der Hoffnung verbunden, die ich in junge Menschen wie diese setze. Sie verfügten noch über das absolute Gehör für Ehrlichkeit.
In dem Bundesland, in dem Sie geboren wurden, in Sachsen, haben die Rechten erstmalig Sitze im Landtag erobert. In diesem Zusammenhang hört man in den Medien immer wieder von so genannter Denkzettelwahl an die Macht ausübenden Parteien. Was halten Sie von solchen Denkzetteln?
Reiner Kunze: Es gibt keine Unzufriedenheit, die rechtfertigte, Parteien mit totalitärem Wurzelgeflecht zu wählen.
Halten Sie die Demokratie in dieser Bundesrepublik für stark genug und das Volk für klug genug, den Rattenfängern extremistischer Parteien zu widerstehen?
Reiner Kunze: Ja. Noch sind wir keine Ratten.
Wann und wo haben Sie die besten Gedanken für Lyrik und Prosa?
Reiner Kunze: Einfälle kennen keine benennbaren Zeiten und Plätze. Was ich zur Arbeit brauche, ist Zeit, und sie muss ich mir aus der Zeit herausschneiden.
Ein Gespräch mit Ihnen kann nicht vorbeigehen, ohne ein Wort zur Sprache zu sagen, deren Pflege Sie sich ja besonders angenommen haben. Halten Sie es heute, nachdem schon einige Schülerjahrgänge die reformierte Rechtschreibung verinnerlicht haben, immer noch für sinnvoll, das Werk komplett einzustampfen?
Reiner Kunze: Komplett. Mit der Vorgabe, dass niemandem, der die neue Schreibung gelernt hat, ein gesellschaftlicher Nachteil entsteht, wenn er sie weiterhin anwendet, und mit dem Auftrag, die Überregelung im Duden, an der die alte Orthographie krankte, so zu beseitigen, dass der Sprache kein Schaden entsteht. Von etwas, das als falsch erkannt wurde, nicht mehr abzugehen, weil es einige Schülerjahrgänge schon „verinnerlicht“ haben, wäre nicht nur der Sprache gegenüber unverantwortlich, sondern auch gegenüber den kommenden Schülerjahrgängen und Schülergenerationen, also gegenüber allen künftigen Schreibenden und Lesenden. Den Politikern, die sich einer Rücknahme der Reform verweigern, geht es primär darum, nicht eingestehen zu müssen, was sie angerichtet haben. Es geht ihnen um Wahrung ihres Macht-Gesichts. Was morgen sein wird, kümmert sie nicht, denn dann sind sie über alle politischen Berge. Wieviel Schuld will man noch auf sich laden?
Der so genannte Rat für deutsche Rechtschreibung will nun eine teilweise Rückkehr zu den alten Regeln durchsetzen. Sehen Sie darin einen Teilerfolg auch Ihrer Kritik an der Reform?
Reiner Kunze: In der Tatsache, dass man nach sieben Jahren argumentativ an der Wand steht, ja. Aber von Erfolg kann keine Rede sein. Am 11. April hieß es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, und die Bildungsminister hätten vereinbart, dass am 1. August 2005 nichts verbindlich werden würde, was „strittig“ sei, und der Präsident des Lehrerverbandes, Kraus, habe sich für eine „Verlängerung der Übergangsfrist“ eingesetzt, da der „Stichtag 1. August für eine verbindliche Einführung der neuen Regeln ... bei tiefgreifenden Änderungen nicht zu halten“ sei. Doch bereits am 12. April ließ die Kultusministerkonferenz den von ihr eingesetzten Vorsitzenden des Rates für deutsche Rechtschreibung die Macht der Macht spüren, indem sie den Beschluss vom Herbst 2004 bekräftigte, die 1996 eingeführte Neuregelung der Rechtschreibung am 1. August 2005 zur „verpflichtenden Grundlage“ zu machen. Der saarländische Kultusminister Schreiber meinte, man könne keine Rechtschreibregelung für die Schulen verbindlich machen, von der man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wisse, dass sie bald wieder korrigiert werde. Das sei Lehrern und Schülern nicht zuzumuten. Er scheint noch davon auszugehen, dass wir in einer intakten Demokratie leben.
Ihre Lesung in Schleiz ist dem Engagement von Dr. Manfred Eckstein zu danken, dem Sie freundschaftlich verbunden sind. Schleiz ist nicht weit entfernt von Greiz, dem Sie Ihre „wunderbaren Jahre“ zu danken haben, Greiz nicht allzu weit von Oelsnitz im Erzgebirge, wo Sie geboren wurden. Heute leben Sie in der Nähe von Passau. Wo ist Ihre Heimat?
Reiner Kunze: Es gibt eine Heimat im engeren Sinn, die Heimat der Geburt, der Kindheit. Sie liegt im Erzgebirge. Dann gibt es Heimaten, die man sich schafft, und die voraussichtlich letzte Heimat, die wir, meine Frau und ich, uns geschaffen haben, ist das Donau-Niederbayern. Alle diese Heimaten sind jedoch durch undurchtrennbare Seelenfäden miteinander verbunden, und insofern ist meine Heimat Deutschland. Außerdem ist meine Heimat überall dort, wo meine Frau ist, oder wo wir in der Welt einen Menschen wissen, der uns nicht fragt, warum wir bei ihm anklopfen. Meine Heimat als Schriftsteller ist meine Sprache.
Interview: Uli Drescher
Zur Person: Der Sohn eines Bergarbeiters studiert nach dem Schulabschluss Philosophie und Journalistik in Leipzig. Bis 1959 ist er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Leipzig. Nach schweren politischen Angriffen verlässt Reiner Kunze 1959 vor der geplanten Promotion die Hochschule und schlägt sich mit unterschiedlichsten Arbeiten durch. Es folgen diverse Aufenthalte in der Tschechoslowakei mit ersten Übersetzungen. Seit 1962 lebt Kunze als freiberuflicher Schriftsteller in Greiz/Thüringen. In den folgenden Jahren werden Kunzes Publikationsmöglichkeiten erschwert.
Am Tag der Zerschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 gibt Reiner Kunze sein Parteibuch zurück, was den Ausschluss aus der SED nach sich zieht. Öffentliche Lesungen sind kaum noch möglich. Kunze veröffentlicht zunehmend in bundesdeutschen Verlagen. 1976 wird er nach Erscheinen seines Prosabandes „Die wunderbaren Jahre“ aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. 1977 siedelt er in die Bundesrepublik über und lebt seitdem mit seiner Familie in Obernzell-Erlau bei Passau.
1979 Auszeichnung mit dem Bayerischen Filmpreis für sein Drehbuch zu „Die wunderbaren Jahre“,1993 Auszeichnung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz, 1998 Verleihung des Europapreises Poesie, 1999 Auszeichnung mit Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg u.a.
10.05.2005
Ostthüringer Zeitung
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