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Theodor Ickler
01.02.2001 23.00
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Lohnendes Thema

Obwohl es nicht nur mit Rechtschreibung zu tun hat, sondern die ganze Normenfrage betrifft, ist das Thema Sprachpflege sehr „lohnenswert“ (dies ist eine Wortkreuzung, die wohl nicht mehr zu beseitigen ist und bald den Ruch des Verkehrten verlieren dürfte).

Wenn ich behaupte, daß die Sprache, solange sie wirklich verwendet wird, sich selbst regelt, daß also, genauer gesagt, die Sprecher bei Strafe des Nichtverstandenwerdens oder Angepflaumtwerdens ihr Sprachverhalten in Ordnung halten, meine ich selbstverständlich nicht, daß sie sich immer vollkommen ausdrücken. Das habe ich ja selbst angedeutet. Aber das Instrument, genauer also: das Repertoire von Ausdrucksmöglichkeiten (denn darum handelt es sich, nicht um ein Werkzeug, wie Platon als erster irreführenderweise sagte) kann nicht verderben. Je mehr gesprochen und gehört, geschrieben und gelesen wird, um so breiter die Erfahrungsgrundlage, auf der wir dann selbst wieder sprechen und schreiben und das Gesprochene und Geschriebene einschätzen. Die Normalprosa ist ja nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was wir kennen und können, und sie ist gerade darum so einigermaßen gleichmäßig, weil wir sie dauernd gegen das Vulgäre und das Erhabene, das Komische und das Ernste abgrenzen. Dazu bedarf es, lieber Herr Lachenmann, keiner ständigen Bewußtheit. Sprechen ist sicher immer bewußt (wir verwenden es ja als Kriterium, ob einer bei Bewußtsein ist – vor kurzem hat mich eine Krankenschwester die ganze Nacht damit geplagt). Aber auf das Sprechen selbst, die Wortwahl usw. wird nur ein Teil des Bewußtseinsstrahls gerichtet, und das kann sehr wenig sein. Das Sprachverhalten ist auf lauter Gewohnheiten gegründet, es ist sozusagen selbst nichts anderes als ein gewohnheitsmäßiges Verhalten – wie sollte denn da nicht „geschludert“ werden? Schluderei ist, um es auf die Spitze zu treiben, das Wesen der Sprache, ihr Kern! Im Bereich des Verhaltens, des Benehmens ist ein „Fehler“, der ständig begangen und nicht (mehr) wahrgenommen wird, tatsächlich kein Fehler (mehr).

Noch etwas hat mir immer zu denken gegeben. Die meisten Verfasser von Sprachratgebern haben nie etwas Bemerkenswertes verfaßt, außer eben diesen Ratgebern. Und die großen Autoren, Wissenschaftler, Essayisten haben nie Sprachratgeber verfaßt. Die einen haben etwas zu sagen, die anderen räsonieren darüber, wie man es zu sagen habe. Es gibt Ausnahmen, ich weiß, aber im allgemeinen ist es doch so.

Ich könnte Tausende von korrekten Ausdrucks- und Schreibweisen anführen, die „eigentlich“ falsch sind. Sogar in meinem Wörterbuch z. B. wird „voll-ends“ getrennt, obwohl ich weiß, daß es nichts mit „voll-enden“ zu tun hat. Und ich schreibe „weissagen“, obwohl keineswegs „sagen“ darinsteckt. Usus tyrannus ...(Horaz)



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Theodor Ickler
01.02.2001 23.00
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Wurst

Herr Dörner hat die schöne Beobachtung beigesteuert, daß die vom Duden allein vorgesehene Großschreibung „(das ist mir) Wurst“ zu einer ungrammatischen Schreibweise zwingt: „wie Wurst mir das ist“. Hier haben wir also die große Ausnahme von der Regel, daß der alte Duden keine grammatisch falschen Schreibweisen erzeugte. Allerdings war das gewissermaßen ein Lapsus, beruhend auf dem Versäumnis, den Befund vollständiger zu erheben (ich habe in meinem Kritischen Kommentar zum Wörterverzeichnis darauf hingewiesen und die Sache in meinem Rechtschreibwörterbuch dann richtiger dargestellt) und kein Vorsatz wie bei den Reformern, die ja bewußt die Grammatik vergewaltigen. (Augst versicherte mir einmal am Telefon, mit „so Leid mir das tut“ könne er leben!)



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Walter Lachenmann
01.02.2001 23.00
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Lohnenswert = lohnend?

Linguistisch-theoretisch mag das ja hinnehmbar sein, in der Praxis sich auch durch gedankenloses Reden und Schreiben so etablieren, aber einleuchten tut mir diese Hinnahme nicht. Das würde ja in der Konsequenz darauf hinauslaufen, daß es völlig gleichgültig ist, welches Wort man für welches Ding verwendet. Einigt sich die Sprachgemeinschaft darauf, zu Wurst Gänseblümchen zu sagen, dann ist das eben auch »richtig«. Daran »glaube« ich sozusagen nicht, weil ich vermute, daß die Wörter mit den Dingen relativ eng etwas zu tun haben und nicht durch Zufall so lauten wie sie lauten, nomen est omen. Ich vermute eine transzendente Qualität in jedem Wort, die sich auf das bezieht, was es meint. Damit mag ein Wissenschaftler nichts anfangen können, dennoch muß es nicht falsch sein. Es gibt bekanntlich »mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt« (interessant, daß bei Shakespeare davon die Rede ist, daß die Gelehrten träumen! Herr Ickler, sind Sie sicher, daß Sie nicht träumen?)

Sprache ist nichts anderes als mehr oder weniger ein Geschluder? Klingt zwar nett, oft stimmt es auch. Ist Linguistik also Geschluderforschung? Vielleicht ist Mathematik dann auch nichts anderes als eine Perpetuierung von Rechenfehlern, wer weiß? Wäre auch sympathisch. Im alten Ägypten soll es einen Astronomen gegeben haben, der genau die Entfernung des Mondes zur Erde ermittelt hat, jedenfalls so, daß es mit den modernsten Meßergebnissen übereinstimmt. Er kann es aber angeblich gar nicht wissenschaftlich präzise ermittelt haben, dazu fehlten damals die Kenntnisse und die technischen Meßmittel. Sein richtiges Ergebnis war eine glückliche Ineinanderrechnung von lauter Fehlern. Vielleicht ist die Mathematik nie etwas anderes gewesen.

Nein, mit der Schludertheorie mag ich mich nicht anfreunden. Denn es paßt alles zusammen. Dieselbe Fachredaktion brachte noch ganz andere Dinge zustande. Zum Beispiel:
Camping Municipal: Der kleine Campingplatz im Vorort Municipal liegt sehr ruhig und bietet alle notwendigen Einrichtungen...
(Wer jemals in Frankreich war, was man von einem Reiseredakteur erwarten sollte, weiß, daß Municipal heißt der Gemeinde gehörend, hier also Städtischer Campingplatz, oder Gemeinde-Campingplatz)
Loc. San Martino. Die Abkürzung »Loc«, der man in Italien allenthalben begegnet, wurde in allen Reiseführern ausgeschrieben als Locanda usw. Ich möchte nicht wissen, wieviele Leser da nach einer Wirtschaft gesucht haben, wo es nur um einen Ortsteil ging.

Ich will damit nur bekräftigen, daß wir es bei der schreibenden Zunft heutzutage weitgehend mit einer rein auf maximalen Ausstoß von zum Verkauf bestimmtem Content orientierten Berufsgruppe zu tun haben, die nicht nur im Sprachlichen schludert, sondern überhaupt. Und es sträubt sich mir einiges dagegen, deren Treiben nur statistisch zu beobachten und ausgerechnet deren Schreibpraxis zur Sprachnorm werden zu lassen, nur weil sie nun mal die sind, die am meisten Sprache produzieren, also das, was eine deskriptive Linguistik in der größten Menge zum Auswerten vorfindet. Das halte ich nicht für repräsentativ, weil die zustandegekommene Menge eine zufällige, marktbedingte ist. Sie überdeckt durch ihre Menge die Sprachpraxis der Leute, die weniger publiziert werden, aber in guter Sprachqualität schreiben. Denn daß es gute und schlechte Sprachqualität gibt, ist doch wohl richtig.

Soll man also »bessere« Quellen suchen? Welche, wo? Versucht man durch Weglassung eindeutiger Schludrigkeiten, Fehler und Entstellungen im idealen Wörterbuch eine Einflußnahme auf die Sprachwirklichkeit? Wenn einer im Zweifelsfall ein »schlechtes« Wort im Wörterbuch nicht findet, vermeidet er es vielleicht in seiner Sprache und sorgt zumindest nicht für seine weitere Anwendung. Ob man das tun soll, mit welcher Legitimation? Ich weiß es auch nicht.   



Walter Lachenmann
Krottenthal 9, 83666 Waakirchen

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Manfred Riebe
01.02.2001 23.00
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Sprachliche Wahrheit und Klarheit “lohnenswert³?

Ist „lohnenswert“ eine Wortkreuzung, die wohl nicht mehr zu beseitigen ist und bald den Ruch des Verkehrten verlieren dürfte?

Das Wort „lohnenswert“ könnte eine Tautologie bzw. ein Pleonasmus sein, d.h. eine Häufung überflüssiger Ausdrücke in einem zusammengesetzten Wort, d.h. „lohnenswert“ wäre gewissermaßen ein „doppeltgemoppeltes“ Wort. Handelte sich objektiv um einen fehlerhaften Sprachgebrauch, dann könnte man diesen mangelhaften, sinnentleerten Ausdruck vermeiden und ihn ersetzen.

Die Arbeit ist lohnenswert. Die Arbeit lohnt sich. Die Arbeit ist es wert, durchgeführt zu werden. Vielleicht war der ursprüngliche Ausdruck: Die Arbeit ist Lohnes wert, sie ist des Löhnens (der Entlohnung) wert, ist löhnenswert. M.E. ist es also keine eigentliche Tautologie, sondern eine sinnentleerende Sprachveränderung.

In der Sprachwissenschaft sollte es kompromißlos um die Erkenntnis gehen, ob etwas wahr, wissenschaftlich erwiesen, also richtig, oder falsch ist. Ein Kompromiß ist vom Zufall abhängig und kann daher im Ergebnis je nach den aktuellen Machtverhältnissen beliebig ausfallen. Wenn sich die Sprache aus einem Werkzeugkasten mit vielen Wörtern als Präzisionsinstrumenten bedient, dann müssen diese auch möglichst genau sein. Ein fehlerhaftes Wort bleibt fehlerhaft, auch wenn es ständig benutz wird. Wenn es anders wäre, bräuchten wir uns nicht gegen die Schlechtschreibreform der Kultusminister wehren. Es ist die Aufgabe der Spracherziehung, auf solchen sprachlichen Fehlgebrauch aufmerksam zu machen und Alternativen für einen passenden, treffenden Ausdruck aufzuzeigen.

„Die meisten Verfasser von Sprachratgebern haben nie etwas Bemerkenswertes verfaßt, außer eben diesen Ratgebern. Und die großen Autoren, Wissenschaftler, Essayisten haben nie Sprachratgeber verfaßt.“ (Ickler) Verfasser nichtwissenschaftlicher, praktischer Stillehren sind z.B. der Reichstagsstenograph Eduard Engel, der Industriekaufmann Ludwig Reiners, der Journalist Wolf Schneider und etliche Lehrer. Man kann sagen, daß sich Sprachwissenschaftler recht wenig um das Gebiet der Sprachkritik und Sprachstilistik gekümmert haben. Das hängt möglicherweise mit der zeitgemäßen Spezialisierung auf ein anderes bequemeres Fachgebiet zusammen. Einen Sprachratgeber zu verfassen, bedeutet nämlich stilistische Präskription. Die Sprachwissenschaftler sahen sich aber nicht in der Lage, verbindliche Stilprinzipien zu formulieren.



Manfred Riebe
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg

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Theodor Ickler
01.02.2001 23.00
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Versuch, etwas zu erklären

Es tut mir leid, daß ich bei diesem Thema in die Rolle des Besserwissers gerate, die ich bestimmt nicht gern spiele. Es ist in der Sprachwissenschaft, gerade weil sie sich kompromißlos um die Wahrheit bemüht, eine völlig unbezweifelte Tatsache, daß der jeweilige Sprachgebrauch auf lauter Veränderungen beruht, folglich irgendwann einmal „falsch“ gewesen sein muß. Das gilt auch und ganz besonders für die Wortbedeutungen. Kein Sprachwissenschaftler würde Herrn Riebes Satz unterschreiben: „Ein fehlerhaftes Wort bleibt fehlerhaft, auch wenn es ständig benutzt wird.“ Fehlerhaft ist es immer nur in Beziehung zum gerade geltenden Sprachgebrauch, aber der ändert sich. Aus dem abweichenden (also falschen) Gebrauch von heute wird der normale Gebrauch von morgen. Daraus folgt nicht, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt alles möglich und alles gleichgültig wäre, lieber Herr Lachenmann. Wenn die Leute statt Wurst Gänseblümchen sagen, dann wird das eines Tages richtig sein, und auch Sie werden sich nichts mehr dabei denken. Allerdings gehört dieses Beispiel nicht zu der Art von Bedeutungswandel, die wir als Sprachforscher feststellen. Nachvollziehbar ist aber zum Beispiel, daß man die Weiber Frauen nannte (obwohl das falsch war, wie ein Lachenmann im Mittelalter gemäkelt hätte), und dann sogar „Frauenzimmer“ (das muß man sich einmmal vorstellen, wie es zum erstenmal aufkam!). Das Wort „gar“ hängt mit „gerben“ zusammen, „machen“ hieß ursprünglich „kneten“, usw. usf.

Ich empfehle die klassischen Werke zur Geschichte der Sprache, Hermann Pauls „Prinzipien der Sprachgeschichte“, Wilhelm Havers‘ „Handbuch der erklärenden Syntax“, auch die populärwissenschaftlichen Werke von Otto Behaghel, Ernst Wasserzieher usw. – alles gut lesbar und spannend.
Sprachwissenschaftler neigen, gerade weil sie nur zu gut Bescheid wissen, nicht zu normativer Betrachtungsweise. Für sie ist normatives Umgehen mit der Sprache auch nur ein erforschenswerter Gegenstand.

Die mathematischen Wahrheiten beruhen im Gegensatz zur Sprache nicht auf Konvention; sie sind, mit anderen Worten, nicht historisch, daher bleiben falsche Rechnungen falsch.
Fehler und Irrtümer im Umgang mit Fremdsprachen bleiben davon unberührt. Ich sehe wirklich nicht, wie man diese Dinge derart durcheinanderbringen kann.

Zur Anwendung auf die Rechtschreibreform: Die Großschreibung bei „im Allgemeinen“ ist kritikwürdig, aber sie ist nicht absolut falsch. Man muß das einordnen in eine Tendenz zur Kleinschreibung bei adverbialen Phraseologismen. Im neunzehnten Jahrhundert war hier eine Zeitlang Großschreibung übnlch, wurde dann aber als „übertrieben“ (Jelinek?) erkannt und zurückgedrängt.
Die Großschreibung in „Leid tun“ schließt die Behauptung ein, daß es sich um ein Substantiv handele. Das ist nicht wegen der historischen Unrichtigkeit zurückzuweisen (denn Wortartwechsel wäre denkbar), sondern weil es mit „so Leid es mir tut“ usw. in Konflikt gerät.
„Heute Abend“ ist nicht absolut falsch und wurde ja vor hundert Jahren noch sehr oft so geschrieben. Auch hier herrscht heute die nichtsubstantivische Auffassung vor, und tatsächlich ist keines der drei Substantivkriterien erfüllt, die das Regelwerk selbst angibt. Die alt-neue Schreibung ist daher in Bezug auf das Gesamtsystem eine Verschlechterung und ein Rückschritt. Vgl. den Gesamtrahmen der Groß- und Kleinschreibung, wie ich ihn in meinen Büchern dargestellt habe.

„Präskription“, für die Herr Riebe plädiert, heißt „Vorschrift“. Wie kommt jemand dazu, Vorschriften in bezug auf den Sprachgebrauch zu machen? Sprachratgeber sollten, wenn sie sich selbst recht verstehen, keine Vorschriften, sondern eben Rat enthalten, so ähnlich wie eine Gebrauchsanweisung, also dem Unerfahrenen das Funktionieren der vielen Einzelteile erklären. Bei der Sprachkritik geht es allzu oft nur um Geschmacksurteile oder eben, wie gesagt, um den noch unverstandenen Sprachwandel. Ich selbst sage nie „lohnenswert“ und gebrauche „weil“ nie mit Hauptsatzstellung; aber irgendwann werde ich überhaupt nichts mehr sagen, und dann werden meine Kinder dies vielleicht als normal empfinden. Und vielleicht werden sie dann den starken Satz aufstellen: „Ein fehlerhaftes Wort bleibt fehlerhaft, auch wenn es ständig benutzt wird.“



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Christian Dörner
01.02.2001 23.00
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Duden und Grammatik

Die Neuregelung wird auch immer deshalb kritisiert, weil sie an vielen Stellen grammatisch falsche Konstruktionen verursacht: sehr Leid tun, völlig Recht haben usw.
Zumindest ein Punkt ist mir nun eingefallen, in dem der Duden von 1991 eine grammatisch falsche Schreibweise fordert, denn man muß schreiben: „wie Wurst/Wurscht mir das ist“
Ist dies nicht ebenso falsch wie die neueingeführten Großschreibungen von „Recht haben“, „Pleite gehen“, „Leid tun“ etc.?

Noch eine kurze Anmerkung zu „not tun“:
Ich bin erfreut darüber, daß Herr Wrase meine Auffassung teilt: Man kann die Zusammenschreibung durchaus freigeben, dann aber mit einer Empfehlung Richtung Getrenntschreibung. Da sind wir uns einig. Bei „leid tun“ und „weh tun“ kann ich (noch) keinen Trend zur Zusammenschreibung erkennen.



Christian Dörner
91058 Erlangen

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Walter Lachenmann
01.02.2001 23.00
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Wann wird ein Fehler richtig?

Herr Ickler sagt: »Ich meine, zunächst kann es nur darum gehen, daß jeder dieses sein eigenes Sprachverhalten so gut wie möglich einrichtet: zweckmäßig, unanstößig, verständlich, gefällig, schön ... (oder auch mal nicht, wenn’s drauf ankommt). Eine Frage des guten Geschmacks, aber auch des Eigennutzes, denn warum soll ich mich unverständlich ausdrücken, wenn Verständlichkeit vorteilhafter ist? (Oder auch mal umgekehrt; Sprache ist ja „vielverzwecklich“.)«
Das ist in der Tat ein sehr schöner Gedanke.

Nur: Das setzt ja voraus, daß »jeder« ganz bewußt mit seiner Sprache umgeht. Und das eben ist sehr häufig nicht der Fall. Rechtschreibung wird von vielen, die sogar journalistische Ambitionen haben, als nebensächlicher Firlefanz abgetan, der in die Verantwortung von kleingeistigen Korrektoren fällt. Nach meinen Beobachtungen ist die Lust am präzisen Ausdruck, an der Nuance, die auch mit orthographischen Mitteln ausgedrückt werden kann, am sprachgestalterischen Fabulieren immer seltener anzutreffen. Es wird viel geschludert, und so können sich »Fehler« breitmachen, die von anderen gedankenlos übernommen und mit der Zeit gar nicht mehr als Fehler wahrgenommen werden. Ist das dann der Zeitpunkt, an dem sie »richtig« geworden sind?

Ein Beispiel aus der Praxis. Über 15 Jahre betreute ich die Produktion einer bekannten Reiseführerreihe. Die Autoren waren professionelle Reisejournalisten, teilweise sogar ziemlich bekannte. Fast jeder schrieb von einem »lohnenswerten« Reiseziel, Ausflug, Museumsbesuch usw. Auch die Fachredakteure im Verlag haben sich daran niemals gestoßen. Meine penetranten Hinweise, das müsse doch wohl »lohnend« heißen, quittierten sie mit Unverständnis und Kopfschütteln. Fachredakteure! Ist also »lohnenswert« jetzt nach 15 Jahren »richtig«, wo es eigentlich »lohnend« heißen müßte? Wenn man der Sprachwirklichkeit der Reiseführerliteratur folgt ja. Aber im Wortsinne bleibt es falsch. Ebenso wie »geil« inzwischen ja so etwas wie »schön« oder »toll« oder so bedeutet, aber eigentlich doch etwas ganz anderes. Ich ertappe mich auch immer wieder dabei, daß ich das sage. Ärgere mich dann, weil ich das blöd finde.

Es ist eben leider so, daß nicht »jeder sein eigenes Sprachverhalten so gut wie möglich einrichtet«. Das mag daran liegen, daß wir es mit einer Schwemme von mittelmäßigen Schreibern zu tun haben, denen es mehr auf das »daß« als auf das »was« ankommt beim Schreiben. Das wirkt sich auf die Sprache sicherlich aus. Ich würde gerne wissen, ob die Linguistik es für ausreichend hält, diese Vorgänge deskriptiv zu registrieren. Vielleicht ist das ja auch in Ordnung so. Umso mehr sollte man dann aber Mittel zum Gegensteuern finden, auf keinen Fall von Staats wegen, das ist klar, aber wie dann? Oder doch gar nicht?



Walter Lachenmann
Krottenthal 9, 83666 Waakirchen

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Gast
01.02.2001 23.00
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Der Untergang der deutschen Sprache?

Manfred Riebe schrieb am 02.02.2001

> Die Rechtschreibreformer haben u.a. so häßliche und ungrammatische
> Wortgebilde erfunden, daß einem die Schönheit der herkömmlichen
> deutschen Sprache wieder bewußter wird.

Schöne Sprache besteht aus mehr als Rechtschreibung; zugegeben: Neuschreib erschüttert einen Vielleser in seinem Lesegenuß. Für mich hat ein Neuschreibtext etwas von einer Stolperstrecke. Dennoch dürften wir uns einig sein, daß die Mehrzahl der Altschreibtexte nicht für den Literaturnobelpreis infrage gekommen wäre.

Ahem – warum schreibt man eigentlich nicht „Litteratur“?

> „Einem“? Offenbar nicht jedem; denn in einer Sendung zum
> „Europäischen Jahr der Sprachen“ 2001 von Bayern Radio 2
> „Babylon – Europa: Welche Zukunft hat die deutsche Sprache?“
> am 25. Januar sagte z.B. die Geschäftsführerin der Gesellschaft
> für deutsche Sprache (GfdS) Karin Eichhoff-Cyrus wörtlich:
> „Die Fehler von heute sind die Regeln von morgen.“

An dieser Aussage stimmt so manches.

Zum einen traut sich der gemeine Deutsche nicht, das von ihm Geschriebene beruhigt als nicht korrekturbedürftig stehenzulassen, wenn nicht eine „Regel“ ihm das explizit erlaubt. Mir waren zwar bisher Regeln einigermaßen egal und der Duden ein Regalbrettdrücker; wenn aber jemand meine Texte las und Zweifel an einer bestimmten Schreibung hatte, holte man jenen Band als Schiedsrichter her und übernahm die dort aufgeführte Schreibung – ohne sich über deren Sinn oder Unsinn Gedanken zu machen. Dieser wohlfeile und alleswissende Schlichter ist auf ewig verloren. So mancher professionelle Schreiber wird nun an der Neuschreibung irre, weil sie eben längst nicht für jede Frage eine Antwort bietet. Dabei vergißt man, daß die „alte Rechtschreibung“ ja auch nicht kodifiziert war – und schon längst nicht vollständig – die Leute allerdings auch längst nicht so verkrampft nach „Regeln“ gefragt haben, wie heute in Zeiten der Verunsicherung.

Sprache hat keine Regeln, die „nie“ oder „immer“ gelten – zum Leidwesen derer, die gern alles ausnahmslos in Schubladen verpacken möchten.

Zum zweiten stimmt an der obigen Aussage, daß im Sprachgebrauch „richtig“ sein wird, was heute noch als „falsch“ gilt. „Fortschrittliche Kräfte“ haben vor etwa dreißig Jahren angefangen, die englische Zweitbedeutung von „realisieren“ (nämlich „wahrnehmen“) ins Deutsche zu übertragen und das „to remember“ als nicht-reflexives „erinnern“. Jeder Lehrer hätte das damals dick rot unterstrichen, aber die Flugblätter der Spontis waren außerhalb seiner Reichweite. Mir ist es noch immer eine Maus rückwärts schlucken, wenn ich ‚realisieren‘ muß, daß einer ‚seinen letzten Urlaub erinnert‘. Ich ‚bin aber sicher‘ (früher: ‚mir sicher‘), daß die drei genannten Formen sich durchsetzen werden. Selbst wenn ich bei meinen alten Formen bleibe, verschwinden werden sie wahrscheinlich doch.

Jemand erfindet ein neues Wort oder eine neue Konstruktion – und alles sagt zuerst: „Falsch“. Wenn aber mehr und mehr Leute diese Form übernehmen, läßt ein deskriptives Wörterbuch sie als Alternative zu. Vielleicht geht sie dann wieder unter wie die „Kautsch“ und der „Komputer“, vielleicht aber übernehmen immer mehr Leute die neue Form, die alte wird alt- und ältermodisch, man schmunzelt über die, die sie noch verwenden, und schließlich bettet man sie in der Sprachgeschichte zur Ruhe.

Das Besondere an der aktuellen Situation der Rechtschreibreform ist, daß nicht eine größere Gruppe von Sprechern eine Mode kultiviert hat, sondern ein ganz kleines Grüppchen seine Marotten der Schreibgemeinschaft aufzwingt. Das hat zumindest zum guten Teil geklappt. Wenn man den Durchdringungsgrad der Schreibung „Tipp“ verläßlich messen könnte, würde man wohl feststellen, daß ein reichlicher Prozentsatz der Bevölkerung dieses Ubiquitärwort bereits so übernommen hat. Da bin ich mir ganz sicher (Ich habs nicht, aber ich bin ja auch ein Querkopf). Noch sind wir Deutschen gute Untertanen.

Man kann an Zeugnissen der vergangenen sechzig Jahre sehen, wie immer mehr Wörter zusammengewachsen sind und immer mehr kleingeschrieben wurden. Mit Schmunzeln lese ich im „Riegelmann“ dessen Plädoyer für „deutsche“ Sprache – in Schreibweisen, die mir recht neuschreiblich anmuten. Seit den sechziger Jahren hatte sich im Detail eine ganze Menge geändert – wir haben es nur nicht gemerkt (oder uns vor Augen geführt), weil sich die Entwicklung langsam vollzog.

Die Zukunft allerdings wird nicht so graduell verlaufen: Auf praktisch jedem Schreibtisch steht der große Blechbruder, und in der absoluten Mehrzahl dieser Kisten wirkt das gleiche Textprogramm. Dieses wiederum ist mit einem automatischen Wörterveränderer ausgestattet, der nach einer normalen Installation eingeschaltet ist. Ihn abzuschalten kostet wenige Handgriffe, aber die Mehrzahl der Anwender beherrscht sie nicht. Alles, was an Schreibweisen auf Wortebene auf Linie gebracht werden kann, wird auf diese Weise hartnäckig auf Linie gebracht. Der Computer hat eine unendliche Geduld – auch wenn man aus Überzeugung das ß haben möchte – nach dem nächsten Leerzeichen hat der eingebaute Lausbub (oder Oberlehrer?) es wieder ausgetauscht.    Wenn ein Altschreibler mit „WORD“ Texte verfaßt, erkennt man diese schnell daran, daß die gängigen Wörter mit „ß“ auf „dass“, „muss“, „lässt“ umgenordet sind, während eine „Verdrußsache“ unverändert blieb.

In Zukunft dürfte die Rechtschreibung der Deutschen nicht von Duden oder Bertelsmann vorgegeben werden und nicht von der „zwischenstaatlichen Kommission“. In Zukunft dürfte die deutsche Tochter eines amerikanischen Softwarekonzerns bestimmen, wie die Deutschen schreiben.





Martin Gerdes

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Theodor Ickler
01.02.2001 23.00
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Obwohl es nicht nur mit Rechtschreibung zu tun hat, sondern die ganze Normenfrage betrifft, ist das Thema Sprachpflege sehr „lohnenswert“ (dies ist eine Wortkreuzung, die wohl nicht mehr zu beseitigen ist und bald den Ruch des Verkehrten verlieren dürfte).

Wenn ich behaupte, daß die Sprache, solange sie wirklich verwendet wird, sich selbst regelt, daß also, genauer gesagt, die Sprecher bei Strafe des Nichtverstandenwerdens oder Angepflaumtwerdens ihr Sprachverhalten in Ordnung halten, meine ich selbstverständlich nicht, daß sie sich immer vollkommen ausdrücken. Das habe ich ja selbst angedeutet. Aber das Instrument, genauer also: das Repertoire von Ausdrucksmöglichkeiten (denn darum handelt es sich, nicht um ein Werkzeug, wie Platon als erster irreführenderweise sagte) kann nicht verderben. Je mehr gesprochen und gehört, geschrieben und gelesen wird, um so breiter die Erfahrungsgrundlage, auf der wir dann selbst wieder sprechen und schreiben und das Gesprochene und Geschriebene einschätzen. Die Normalprosa ist ja nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was wir kennen und können, und sie ist gerade darum so einigermaßen gleichmäßig, weil wir sie dauernd gegen das Vulgäre und das Erhabene, das Komische und das Ernste abgrenzen. Dazu bedarf es, lieber Herr Lachenmann, keiner ständigen Bewußtheit. Sprechen ist sicher immer bewußt (wir verwenden es ja als Kriterium, ob einer bei Bewußtsein ist – vor kurzem hat mich eine Krankenschwester die ganze Nacht damit geplagt). Aber auf das Sprechen selbst, die Wortwahl usw. wird nur ein Teil des Bewußtseinsstrahls gerichtet, und das kann sehr wenig sein. Das Sprachverhalten ist auf lauter Gewohnheiten gegründet, es ist sozusagen selbst nichts anderes als ein gewohnheitsmäßiges Verhalten – wie sollte denn da nicht „geschludert“ werden? Schluderei ist, um es auf die Spitze zu treiben, das Wesen der Sprache, ihr Kern! Im Bereich des Verhaltens, des Benehmens ist ein „Fehler“, der ständig begangen und nicht (mehr) wahrgenommen wird, tatsächlich kein Fehler (mehr).

Noch etwas hat mir immer zu denken gegeben. Die meisten Verfasser von Sprachratgebern haben nie etwas Bemerkenswertes verfaßt, außer eben diesen Ratgebern. Und die großen Autoren, Wissenschaftler, Essayisten haben nie Sprachratgeber verfaßt. Die einen haben etwas zu sagen, die anderen räsonieren darüber, wie man es zu sagen habe. Es gibt Ausnahmen, ich weiß, aber im allgemeinen ist es doch so.

Ich könnte Tausende von korrekten Ausdrucks- und Schreibweisen anführen, die „eigentlich“ falsch sind. Sogar in meinem Wörterbuch z. B. wird „voll-ends“ getrennt, obwohl ich weiß, daß es nichts mit „voll-enden“ zu tun hat. Und ich schreibe „weissagen“, obwohl keineswegs „sagen“ darinsteckt. Usus tyrannus ...(Horaz)



Theodor Ickler
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Herr Dörner hat die schöne Beobachtung beigesteuert, daß die vom Duden allein vorgesehene Großschreibung „(das ist mir) Wurst“ zu einer ungrammatischen Schreibweise zwingt: „wie Wurst mir das ist“. Hier haben wir also die große Ausnahme von der Regel, daß der alte Duden keine grammatisch falschen Schreibweisen erzeugte. Allerdings war das gewissermaßen ein Lapsus, beruhend auf dem Versäumnis, den Befund vollständiger zu erheben (ich habe in meinem Kritischen Kommentar zum Wörterverzeichnis darauf hingewiesen und die Sache in meinem Rechtschreibwörterbuch dann richtiger dargestellt) und kein Vorsatz wie bei den Reformern, die ja bewußt die Grammatik vergewaltigen. (Augst versicherte mir einmal am Telefon, mit „so Leid mir das tut“ könne er leben!)



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Linguistisch-theoretisch mag das ja hinnehmbar sein, in der Praxis sich auch durch gedankenloses Reden und Schreiben so etablieren, aber einleuchten tut mir diese Hinnahme nicht. Das würde ja in der Konsequenz darauf hinauslaufen, daß es völlig gleichgültig ist, welches Wort man für welches Ding verwendet. Einigt sich die Sprachgemeinschaft darauf, zu Wurst Gänseblümchen zu sagen, dann ist das eben auch »richtig«. Daran »glaube« ich sozusagen nicht, weil ich vermute, daß die Wörter mit den Dingen relativ eng etwas zu tun haben und nicht durch Zufall so lauten wie sie lauten, nomen est omen. Ich vermute eine transzendente Qualität in jedem Wort, die sich auf das bezieht, was es meint. Damit mag ein Wissenschaftler nichts anfangen können, dennoch muß es nicht falsch sein. Es gibt bekanntlich »mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt« (interessant, daß bei Shakespeare davon die Rede ist, daß die Gelehrten träumen! Herr Ickler, sind Sie sicher, daß Sie nicht träumen?)

Sprache ist nichts anderes als mehr oder weniger ein Geschluder? Klingt zwar nett, oft stimmt es auch. Ist Linguistik also Geschluderforschung? Vielleicht ist Mathematik dann auch nichts anderes als eine Perpetuierung von Rechenfehlern, wer weiß? Wäre auch sympathisch. Im alten Ägypten soll es einen Astronomen gegeben haben, der genau die Entfernung des Mondes zur Erde ermittelt hat, jedenfalls so, daß es mit den modernsten Meßergebnissen übereinstimmt. Er kann es aber angeblich gar nicht wissenschaftlich präzise ermittelt haben, dazu fehlten damals die Kenntnisse und die technischen Meßmittel. Sein richtiges Ergebnis war eine glückliche Ineinanderrechnung von lauter Fehlern. Vielleicht ist die Mathematik nie etwas anderes gewesen.

Nein, mit der Schludertheorie mag ich mich nicht anfreunden. Denn es paßt alles zusammen. Dieselbe Fachredaktion brachte noch ganz andere Dinge zustande. Zum Beispiel:
Camping Municipal: Der kleine Campingplatz im Vorort Municipal liegt sehr ruhig und bietet alle notwendigen Einrichtungen...
(Wer jemals in Frankreich war, was man von einem Reiseredakteur erwarten sollte, weiß, daß Municipal heißt der Gemeinde gehörend, hier also Städtischer Campingplatz, oder Gemeinde-Campingplatz)
Loc. San Martino. Die Abkürzung »Loc«, der man in Italien allenthalben begegnet, wurde in allen Reiseführern ausgeschrieben als Locanda usw. Ich möchte nicht wissen, wieviele Leser da nach einer Wirtschaft gesucht haben, wo es nur um einen Ortsteil ging.

Ich will damit nur bekräftigen, daß wir es bei der schreibenden Zunft heutzutage weitgehend mit einer rein auf maximalen Ausstoß von zum Verkauf bestimmtem Content orientierten Berufsgruppe zu tun haben, die nicht nur im Sprachlichen schludert, sondern überhaupt. Und es sträubt sich mir einiges dagegen, deren Treiben nur statistisch zu beobachten und ausgerechnet deren Schreibpraxis zur Sprachnorm werden zu lassen, nur weil sie nun mal die sind, die am meisten Sprache produzieren, also das, was eine deskriptive Linguistik in der größten Menge zum Auswerten vorfindet. Das halte ich nicht für repräsentativ, weil die zustandegekommene Menge eine zufällige, marktbedingte ist. Sie überdeckt durch ihre Menge die Sprachpraxis der Leute, die weniger publiziert werden, aber in guter Sprachqualität schreiben. Denn daß es gute und schlechte Sprachqualität gibt, ist doch wohl richtig.

Soll man also »bessere« Quellen suchen? Welche, wo? Versucht man durch Weglassung eindeutiger Schludrigkeiten, Fehler und Entstellungen im idealen Wörterbuch eine Einflußnahme auf die Sprachwirklichkeit? Wenn einer im Zweifelsfall ein »schlechtes« Wort im Wörterbuch nicht findet, vermeidet er es vielleicht in seiner Sprache und sorgt zumindest nicht für seine weitere Anwendung. Ob man das tun soll, mit welcher Legitimation? Ich weiß es auch nicht.   



Walter Lachenmann
Krottenthal 9, 83666 Waakirchen

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Manfred Riebe
01.02.2001 23.00
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Sprachliche Wahrheit und Klarheit “lohnenswert³?

Ist „lohnenswert“ eine Wortkreuzung, die wohl nicht mehr zu beseitigen ist und bald den Ruch des Verkehrten verlieren dürfte?

Das Wort „lohnenswert“ könnte eine Tautologie bzw. ein Pleonasmus sein, d.h. eine Häufung überflüssiger Ausdrücke in einem zusammengesetzten Wort, d.h. „lohnenswert“ wäre gewissermaßen ein „doppeltgemoppeltes“ Wort. Handelte sich objektiv um einen fehlerhaften Sprachgebrauch, dann könnte man diesen mangelhaften, sinnentleerten Ausdruck vermeiden und ihn ersetzen.

Die Arbeit ist lohnenswert. Die Arbeit lohnt sich. Die Arbeit ist es wert, durchgeführt zu werden. Vielleicht war der ursprüngliche Ausdruck: Die Arbeit ist Lohnes wert, sie ist des Löhnens (der Entlohnung) wert, ist löhnenswert. M.E. ist es also keine eigentliche Tautologie, sondern eine sinnentleerende Sprachveränderung.

In der Sprachwissenschaft sollte es kompromißlos um die Erkenntnis gehen, ob etwas wahr, wissenschaftlich erwiesen, also richtig, oder falsch ist. Ein Kompromiß ist vom Zufall abhängig und kann daher im Ergebnis je nach den aktuellen Machtverhältnissen beliebig ausfallen. Wenn sich die Sprache aus einem Werkzeugkasten mit vielen Wörtern als Präzisionsinstrumenten bedient, dann müssen diese auch möglichst genau sein. Ein fehlerhaftes Wort bleibt fehlerhaft, auch wenn es ständig benutz wird. Wenn es anders wäre, bräuchten wir uns nicht gegen die Schlechtschreibreform der Kultusminister wehren. Es ist die Aufgabe der Spracherziehung, auf solchen sprachlichen Fehlgebrauch aufmerksam zu machen und Alternativen für einen passenden, treffenden Ausdruck aufzuzeigen.

„Die meisten Verfasser von Sprachratgebern haben nie etwas Bemerkenswertes verfaßt, außer eben diesen Ratgebern. Und die großen Autoren, Wissenschaftler, Essayisten haben nie Sprachratgeber verfaßt.“ (Ickler) Verfasser nichtwissenschaftlicher, praktischer Stillehren sind z.B. der Reichstagsstenograph Eduard Engel, der Industriekaufmann Ludwig Reiners, der Journalist Wolf Schneider und etliche Lehrer. Man kann sagen, daß sich Sprachwissenschaftler recht wenig um das Gebiet der Sprachkritik und Sprachstilistik gekümmert haben. Das hängt möglicherweise mit der zeitgemäßen Spezialisierung auf ein anderes bequemeres Fachgebiet zusammen. Einen Sprachratgeber zu verfassen, bedeutet nämlich stilistische Präskription. Die Sprachwissenschaftler sahen sich aber nicht in der Lage, verbindliche Stilprinzipien zu formulieren.



Manfred Riebe
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg

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Theodor Ickler
01.02.2001 23.00
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Versuch, etwas zu erklären

Es tut mir leid, daß ich bei diesem Thema in die Rolle des Besserwissers gerate, die ich bestimmt nicht gern spiele. Es ist in der Sprachwissenschaft, gerade weil sie sich kompromißlos um die Wahrheit bemüht, eine völlig unbezweifelte Tatsache, daß der jeweilige Sprachgebrauch auf lauter Veränderungen beruht, folglich irgendwann einmal „falsch“ gewesen sein muß. Das gilt auch und ganz besonders für die Wortbedeutungen. Kein Sprachwissenschaftler würde Herrn Riebes Satz unterschreiben: „Ein fehlerhaftes Wort bleibt fehlerhaft, auch wenn es ständig benutzt wird.“ Fehlerhaft ist es immer nur in Beziehung zum gerade geltenden Sprachgebrauch, aber der ändert sich. Aus dem abweichenden (also falschen) Gebrauch von heute wird der normale Gebrauch von morgen. Daraus folgt nicht, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt alles möglich und alles gleichgültig wäre, lieber Herr Lachenmann. Wenn die Leute statt Wurst Gänseblümchen sagen, dann wird das eines Tages richtig sein, und auch Sie werden sich nichts mehr dabei denken. Allerdings gehört dieses Beispiel nicht zu der Art von Bedeutungswandel, die wir als Sprachforscher feststellen. Nachvollziehbar ist aber zum Beispiel, daß man die Weiber Frauen nannte (obwohl das falsch war, wie ein Lachenmann im Mittelalter gemäkelt hätte), und dann sogar „Frauenzimmer“ (das muß man sich einmmal vorstellen, wie es zum erstenmal aufkam!). Das Wort „gar“ hängt mit „gerben“ zusammen, „machen“ hieß ursprünglich „kneten“, usw. usf.

Ich empfehle die klassischen Werke zur Geschichte der Sprache, Hermann Pauls „Prinzipien der Sprachgeschichte“, Wilhelm Havers‘ „Handbuch der erklärenden Syntax“, auch die populärwissenschaftlichen Werke von Otto Behaghel, Ernst Wasserzieher usw. – alles gut lesbar und spannend.
Sprachwissenschaftler neigen, gerade weil sie nur zu gut Bescheid wissen, nicht zu normativer Betrachtungsweise. Für sie ist normatives Umgehen mit der Sprache auch nur ein erforschenswerter Gegenstand.

Die mathematischen Wahrheiten beruhen im Gegensatz zur Sprache nicht auf Konvention; sie sind, mit anderen Worten, nicht historisch, daher bleiben falsche Rechnungen falsch.
Fehler und Irrtümer im Umgang mit Fremdsprachen bleiben davon unberührt. Ich sehe wirklich nicht, wie man diese Dinge derart durcheinanderbringen kann.

Zur Anwendung auf die Rechtschreibreform: Die Großschreibung bei „im Allgemeinen“ ist kritikwürdig, aber sie ist nicht absolut falsch. Man muß das einordnen in eine Tendenz zur Kleinschreibung bei adverbialen Phraseologismen. Im neunzehnten Jahrhundert war hier eine Zeitlang Großschreibung übnlch, wurde dann aber als „übertrieben“ (Jelinek?) erkannt und zurückgedrängt.
Die Großschreibung in „Leid tun“ schließt die Behauptung ein, daß es sich um ein Substantiv handele. Das ist nicht wegen der historischen Unrichtigkeit zurückzuweisen (denn Wortartwechsel wäre denkbar), sondern weil es mit „so Leid es mir tut“ usw. in Konflikt gerät.
„Heute Abend“ ist nicht absolut falsch und wurde ja vor hundert Jahren noch sehr oft so geschrieben. Auch hier herrscht heute die nichtsubstantivische Auffassung vor, und tatsächlich ist keines der drei Substantivkriterien erfüllt, die das Regelwerk selbst angibt. Die alt-neue Schreibung ist daher in Bezug auf das Gesamtsystem eine Verschlechterung und ein Rückschritt. Vgl. den Gesamtrahmen der Groß- und Kleinschreibung, wie ich ihn in meinen Büchern dargestellt habe.

„Präskription“, für die Herr Riebe plädiert, heißt „Vorschrift“. Wie kommt jemand dazu, Vorschriften in bezug auf den Sprachgebrauch zu machen? Sprachratgeber sollten, wenn sie sich selbst recht verstehen, keine Vorschriften, sondern eben Rat enthalten, so ähnlich wie eine Gebrauchsanweisung, also dem Unerfahrenen das Funktionieren der vielen Einzelteile erklären. Bei der Sprachkritik geht es allzu oft nur um Geschmacksurteile oder eben, wie gesagt, um den noch unverstandenen Sprachwandel. Ich selbst sage nie „lohnenswert“ und gebrauche „weil“ nie mit Hauptsatzstellung; aber irgendwann werde ich überhaupt nichts mehr sagen, und dann werden meine Kinder dies vielleicht als normal empfinden. Und vielleicht werden sie dann den starken Satz aufstellen: „Ein fehlerhaftes Wort bleibt fehlerhaft, auch wenn es ständig benutzt wird.“



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Theodor Ickler
31.01.2001 23.00
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nottun

Bei der laufenden Arbeit bin ich wieder mal auf das hübsche Beispiel „not tun“ gestoßen. Getrenntschreibung war das einzige, was der Duden anerkannte. Ich meine, zu Unrecht. Die Zusammenschreibung war nicht nur in der Zeitung ungemein häufig, so daß man hier, wie ich es im Rechtschreibwörterbuch vorschlage, beide Schreibweisen anerkennen sollte. Manche Neuschreiber, zum Beispiel die ZEIT, waren so von der Zusammenschreibung überzeugt, daß sie in ihren „Dossiers“ behaupteten, aus bisherigem „nottun“ werde durch die Reform „Not tun“. Es würde mich interessieren, was andere davon halten.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Christian Dörner
31.01.2001 23.00
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Problematisch

Es ist in der Tat nicht unproblematisch, zwischen landschaftlichen, regionalen und hochsprachlichen Varianten eine eindeutige Grenze zu ziehen. So ließ der Duden z. B. „er benützt“ als hochsprachliche (süddeutsche) Nebenvariante zu, während er „er frägt“ als landschaftlich bezeichnete. Eine Einordnung ist hier nicht ohne weiteres möglich, und wir sollten uns auch davor hüten, die Festlegungen des Duden, der ja unter dem starken Einfluß der Kultusministerkonferenz stand, von vornherein als perfekt zu akzeptieren. Die Duden-Redaktion konnte meist nicht so entscheiden, wie sie eigentlich wollte, sondern sie machte i. d. R. das, was von ihr von seiten der KMK erwartet wurde. Man kann daher nicht alle Festlegungen stur übernehmen.
Was die Grammatik angeht, so war ich wirklich überrascht, daß „trotz“ + Dativ die eigentliche hochsprachliche Variante ist. Bisher betrachtete ich die Fälle „wegen“ und „trotz“ als relativ analog. So verwende ich in der Schriftsprache ausschließlich die Genitiv-Konstruktionen, während es bei mir in der gesprochenen Sprachegenau umgekehrt ist. Sehr vielen Leuten wird es ähnlich gehen. Allerdings muß man auch einmal wagen, die Frage zu stellen, welchen langfristigen Nutzen wir davon haben, wenn Sprache und Schrift immer weiter voneinander abweichen. Wenn die Sprachgemeinschaft durch eine Tür gehen möchte, ist es dann sinnvoll, ihr diese vor der Nase zuzuschlagen? Wobei – das betone ich nochmals deutlich – nur diejenigen Formen anerkannt werden dürfen, die im gesamten deutschen Sprachgebiet üblich sind, denn dann besteht für die Kommunikation keine Gefahr. Das gilt z. B. für „gewunken“ und „die Krake“ usw. Einem „Dialekt“ oder einer Region wird man diese Ausdrücke nicht zuordnen können. Ja noch nicht einmal der gesprochenen Sprache, da sie selbst schriftlich bereits ebenso üblich wie die eigentlich gültige Duden-Norm sind. Ich denke, daß man diese Dinge ganz unvoreingenommen diskutieren kann.

Zu „nottun“:
Die Zusammenschreibung wirkt auf mich ein bißchen unbeholfen, ebenso die reformgemäßen Zusammenschreibungen „wehtun“ und „damit er nicht irrewird“. Daß „Die Zeit“ von „nottun“ ausging, läßt sich vielleicht auch damit erklären, daß sie jetzt „leidtun“ schreibt. (Zitat: „vorsichtige Reparatur“!) Ebenso unbeholfen, aber die Hauptsache ist, daß nicht die „alte“ Norm „leid tun“ verwendet wird. Denn sonst müßte man ja zugeben, daß die alten Schreibungen den neuen überlegen sind. „Die Zeit“ stand unter dem Einfluß von Dieter E. Zimmer (ist der „Zeit“-Journalist Dieter E. Zimmer eigentlich mit dem ehemaligen ZDF-Journalisten Dieter Zimmer identisch?) und veröffentlichte in bezug auf Orthographie sehr häufig die seltsamsten Dinge.
Aber vielleicht denke ja nur ich so darüber. Wenn die Zusammenschreibung wirkich so häufig anzutreffen war, könnte man sie anerkennen, allerdings dann besser mit einer Empfehlung Richtung Getrenntschreibung.

Auch mich würde es interessieren, wie die anderen über „nottun“ denken.



Christian Dörner
91058 Erlangen

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