Sprache braucht keine Pädagogen und erst recht keine Politiker
Salzgitter ZeitungSamstag, 04.08.2007
GEDANKEN ZUR ZEIT: Katzendreck und Katzenfutter
Von Paul-Josef Raue
Die Deutschen können nicht richtig fluchen! Es war ein amerikanischer Dichter, der dies feststellte. Mark Twain, der den Tom Sawyer geschrieben hat, reiste vor 110 Jahren durch Europa und zählte nebenbei die Schrecken der deutschen Sprache auf.
Als er in einem Vortrag sämtliche Schrecken aufgelistet hatte, schlug er dem Publikum eine Reform vor. Ich würde ein paar starke Ausdrücke aus dem Englischen importieren – zum Fluchen und auch zur kraftvollen Beschreibung aller möglichen kraftvollen Vorgänge.
Wie flucht der Amerikaner? Damn!, flucht er und spricht das a als "ä", zieht es breit durch seinen Mund, den er aufreißt wie die Tür vor einem Gruselkabinett.
Wie flucht der Deutsche? Verdammt!, flucht er. Der Klang des Wortes, so Mark Twain, ist so sanft und wenig ausdrucksvoll, dass deutsche Damen sie benutzen können, ohne dass es eine Sünde wäre.
Mark Twains Reform der deutschen Sprache fand so wenig statt wie viele andere Reformen davor und danach:
1876 hatte sich der ferein für fereinfachte rechtschreibung gegründet: Er war so, wie es der Vereinsname androhte – fürchterlich fereinfacht.
Der Lehrer Konrad Duden brachte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eine Ortografische Konferenz in Berlin dazu, sein Wörterverzeichnis zur Norm zu erheben, die aber für keinen verbindlich war. Der Irrtum, der Duden beschreibe eine Norm, hält sich bis heute.
Zwei Jahrzehnte später schlossen sich einige Männer in der deutschsprachigen Schweiz zusammen zum Bund für vereinfachte rechtschreibung, der heute noch existiert und reformieren möchte.
Sein Ziel ist: Alle wörter werden klein geschrieben, eigennamen und satzanfänge im allgemeinen gross. Wer die aktuelle Rechtschreibreform, seit drei Tagen verbindlich für Schüler und Beamte, mit dieser Kleinschreib-Reform vergleicht, wird aufatmen: Es hätte schlimmer kommen können!
Für Mark Twain war die Großschreibung eine herausragende Tugend unserer deutschen Sprache: Das ist nun wahrhaftig mal eine gute Idee. Über den folgenden Satz hätte er amerikanisch geflucht:
Eigennamen gehören nicht in derselben weise zum bestand einer bestimmten sprache wie wörter; es ist also zweckmässig, sie im zuge des geschriebenen zu signalisieren, und dafür sind grosse anfangsbuchstaben ein geeignetes mittel. Diesen Satz des Sprachwissenschaftlers Leo Weisgerber muss man zweimal, mindestens zweimal lesen, um ihn zu verstehen.
Substantive sind die Hauptwörter, und sie heißen Hauptwörter, weil sie die Hauptsachen transportieren, den Sinn eines Satzes. Der Vorzug des Deutschen vor dem Englischen ist der Großbuchstabe am Beginn eines Hauptwortes.
In deutschen Sätzen, so sie nicht verschachtelt sind, kann sich jeder schnell orientieren: Er sieht die Hauptworte auf den ersten Blick, er erkennt den Sinn. Das ist zweckmäßig für Schnell-Leser, die über einen Text huschen, aber auch für Langsam-Leser, die sich recht mühsam den Sinn erschließen wollen.
Die Hirnforschung gibt denen Recht, die unsere Sprache erfunden und gepflegt – und die Hauptsachen groß geschrieben haben. Unser Gehirn buchstabiert nicht, sondern erfasst Wörter als Ganzes. Es gibt ein Zentrum im Hirn für das Erkennen von Worten. Da helfen wir unserem Worterkennungs-Zentrum, wenn wir sortieren: Die großen Worte sind wichtig, die klein geschriebenen etwas für den zweiten Blick und fürs Gefühl. Und wehe den langen Worten, den Ungetümen, vor denen Mark Twain grauste: Sie geben selbst dem sanftesten Thema etwas schauererregend Martialisches. Aber das ist ein anderes gutes Thema.
Damit genug von den Reformen unserer Sprache. Eine Sprache reformiert sich selbst, sie braucht nur Pflege, aber sie braucht keine Pädagogen und erst recht keine Politiker, die sie reformieren, statt sich eifrig um die Pflegeversicherung und die Rente zu kümmern.
Wer eine Sprache normieren will wie die Größe von Verkehrszeichen oder Salatgurken, der findet keinen Anfang und kein Ende. Ist es logisch, dass der Verursacher des Katzendrecks die Katze selber ist, aber das Katzenfutter nicht aus der Katze gemacht wird – sondern für die Katze?
So plädiere ich für Gelassenheit. Die Rechtschreibreform ist nicht so schlimm, wie sie hätte sein können. Allerdings bleibt die Frage: Warum sollen 90 Millionen Menschen und mehr ihre eigene Sprache neu lernen, nur damit ein paar tausend Schüler leichter lernen können (was auch noch zu beweisen wäre)?
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