Bieler Tagblatt
14.8.2004
Das Ding mit der Sprache
Kaum hat sich Rhabilleur entschlossen, den neuesten Duden zu kaufen (jener mit dem irritierenden Vermerk «Gültig für Deutschland, Österreich und die Schweiz»; ungültig für wo? Liechtenstein?), kommt die Meldung, dass verschiedene deutsche Verlagshäuser der Rechtschreib-reform mitten im Sommer die kalte Schulter weisen und wieder auf den alten Duden zurückgreifen wollen.
Marcel Reich-Ranicki, Hüter der dichterischen Sprache Goethes und Schillers, weiss seine negative Einstellung zur Sprachreform auch gründlich mit Beispielen zu untermauern. Was früher eine «frischgebackene» und im Himmel geschlossene Ehe gewesen sei, werde nach neuestem Duden rechtschreibreformiert zu einer «frisch gebackenen Ehe», die offensichtlich ganz irdisch bei Betty Bossy im Backofen geschlossen wurde. Der «tiefschürfende» Gedanke wandelte sich dank der Reform in den «tief schürfenden» und wurde wohl mit Hilfe eines Baggers versenkt.
In der Diskussion um das Hüst und Hott in der Rechtschreibreform war zu erfahren, dass es in den letzten paar Jahren gang und gäbe war, die Reform zu interpretieren und bloss moderat anzuwenden. Ob Schüler das wohl auch gedurft haben? Rhabilleur gewann auf jeden Fall die tiefe Erkenntnis, er könne schreiben wie er wolle, nur «Grossmutter» mit «tz» sei verpönt. Ganz konsequent war die Reform nicht und wurde in den drei deutschsprechenden Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz auch unterschiedlich angewandt. Während man in Deutschland an dem Doppel-S festhielt, beliebten die Schweizer die «Spaghetti» mit H zu schreiben, was anderswo im deutschsprachigen Raum nicht nachgeahmt wurde.
Vor genau 31 Jahren wäre über Grenchen um ein Haar eine eigene Rechtschreibreform hereingebrochen. Zwei Gemeinderäte aus zwei verschiedenen Parteien, der FdP (die Solothurner FdP schreibt allen gesamtschweizerisch durchgeführten parteiinternen Rechtschreibreformen zum Trotz das «d» konsequent klein) und der SP reichten bei hochsommerlicher Hitze im Gemeinderat eine Motion ein, wonach in allen Gemeindebetrieben und vor allem auf der Stadtkanzlei die gemässigte Kleinschreibung einzuführen sei. Damals war der PC ein absolut unbekanntes Wesen, dessen Existenz sich bestenfalls einige ETH-Professoren vorstellen konnten. Dafür gab es noch die Stenodactylos weiblichen Geschlechts, die auf Schreibmaschinen niederhackten, was die Chefs an Intelligentem von sich gaben. Die beiden Gemeinderäte berechneten nach der Formel Handgelenk mal Pi, dass sich dank einer konsequent durchgeführten gemässigten Kleinschreibung in der Stadtverwaltung der Bedarf an Stenodactylos um zehn bis fünfzehn Prozent verringern würde. Und dies selbstverständlich mit einem entsprechenden Spareffekt. Heute würden die beiden als vorbildliche und kreativ denkende Sparer gefeiert, damals allerdings wollte von einer solchen Massnahme niemand etwas wissen und die Motion wurde, nicht als erste und auch nicht als letzte im Gemeinderat, feierlich abgeschrieben und aus den Annalen gestrichen.
Wenn man nun denkt, welch positive Folgen die Durchführung der Idee im Gefolge gehabt hätte. Nicht nur wäre die Stadtkasse massiv entlastet worden und der Gemeinderat hätte dem FC Grenchen spielend eine um einige tausend Watt stärkere Flutlichtanlage schenken können (damit der Uhrencup nicht bloss vom Intro-TV übertragen worden wäre); Grenchen wäre als Bahnbrecherin im deutschsprachigen Raum und einmal mehr als Pionierin anerkannt und als Vorbild für die Rechtschreibreform genommen worden.
- Übrigens, der eine der beiden vorstossenden Gemeinderäte wurde für seinen Mut belohnt und wurde später Erziehungsdirektor des Kantons Solothurn. Der andere blieb, was er seit jeher war, ein Rhabilleur
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