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Historische Trouvaillen
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Sigmar Salzburg
17.04.2003 11.04
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Lesebuch 1877

Germania,
Lesebuch für die oberen Klassen
evangelischer Schulen
von Karl F. Theodor Schneider
Schleswig 1877
Verlag von B. Meves & Co.

241 Aufsätze und Gedichte allgemeinbildender literarischer, biblischer, geschichtlicher, naturwissenschaftlicher und vaterländischer Art von unterschiedlichen Autoren, sogar einer über die Entdeckung und Berechnung der Geschwindigkeit des Lichts.

Prosa ist in Fraktur gedruckt, Poesie in Antiqua. Das ß besteht aus einem Lang-s mit eng folgendem Rund-s; das lange s wird, anders als in älteren Drucken, in der Antiqua nicht mehr verwendet.

Ein Blick auf die sonstige Rechtschreibung zeigt, wie berechtigt es ist, die „neue“ Rechtschreibung in Anführungszeichen zu setzen.


Vorwort.
Meiner Fibel mit dem Lesebuche für die Unterstufe, welche zuerst im Jahre 1864, und meinem Kinderfreunde, welcher zuerst 1873 erschien, lasse ich nunmehr das Lesebuch für die oberen Klassen gehobener Volksschulen folgen.
Ueber die Grundsätze, nach denen ein Lesebuch zu entwerfen ist, habe ich mich des Näheren in der Vorrede zu meinem Kinderfreunde geäußert, und es freut mich, daß dieselben von verschiedenen Seiten her Anerkennung gefunden. ...
In Betreff der Anordnung des Stoffes, die ich durchaus nicht für gleichgiltig ansehe, habe ich im Ganzen und Großen der geschichtlichen den Vorrang einräumen zu müssen geglaubt. Meine Germania ist, wie schon ihr Titel besagt, für evangelische Schulen berechnet; aber zu gleicher Zeit habe ich mich redlich bemüht, auch den Nichtevangelischen gegenüber unnöthigen Anstoß zu vermeiden. Und so wünsche ich denn, daß mein Buch in den Schulen, für die es bestimmt ist, unter der Leitung tüchtiger Lehrer dem Unterricht in der Muttersprache, in der Geschichte, wie in den Realien eine geeignete Grundlage darbieten, und zugleich hinüberleiten möge zu der selbstständigen Lectüre unserer deutschen Meister in Prosa und Poesie. ....
Schleswig, den 17. December 1876.
K. F. Th. Schneider

24. Arion
...
An wohlerworbnen Gaben
wie werd’ ich einst mich laben,
des weiten Ruhmes froh bewußt!“ –
...
er hat nicht allzuviel den Wogen,
den Menschen allzuviel vertraut.
...
So trägt der Sänger mit Entzücken
das menschenliebend sinn’ge Thier.
A. W. v. Schlegel
...
230. Schleswig-Holsteins geographische Lage und Bevölkerung
...
Wenn ein Theil auf den Anbau des meist fruchtbaren Landes eine lohnende Thätigkeit verwandte, so gab einem andern Schifffahrt und Handel eine Beschäftigung, die den Blick erweiterte, und oft zugleich reichen Ertrag gewährte.

232. Der Uebergang nach Alsen.
Am 26. Juni 1864 lief die Waffenruhe ab. Am 29. wurde Alsen genommen. ... „Solange man von Alsen sprechen wird, wird dieser Uebergang als ein tollkühnes Unternehmen gelten. Vielleicht barg diese Kühnheit das Geheimniß des Erfolges. ... Was sich wehrte, wurde niedergemacht, Andere gefangen genommen. Noch Andere wichen der Fohlenkoppel zu, wir hinterdrein, – ...“ Der Uebergang nach Alsen ist eine glänzend-rasche That gleich dem Düppelsturm. ... Noch drei Wochen lang währte der Krieg: der Limfjord wurde überschritten, die friesische Inselgruppe erobert; was aber in Wahrheit den Frieden dictirt, den Kopenhagener Trotz gebrochen hatte, das war der Alsentag.
Nach Fontane

N.B.: Als Teilnehmer erhielt auch mein Urgroßvater das „Alsenkreuz“ – und 140 Jahre später ist trotz UNO Krieg immer noch ein Mittel der Politik.

__________________
Sigmar Salzburg

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Reinhard Markner
07.01.2003 12.15
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Garve und Adelung

Christian Garve
Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben, 1. Theil, Breslau 1792

»Der größte Vortheil, der durch [die Rechtschreibung] zu erhalten steht, muß von der, bey den guten Schriftstellern der Nation, bewirkten Gleichförmigkeit derselben herkommen. Nun ist aber in Dingen, welche die Vernunft, auf eine ganz einleuchtende und allgemein geltende Weise, aus Gründen nicht entscheiden kann, Uebereinstimmung der Menschen anders nicht möglich, als wenn sie sich freywillig einer Autorität unterwerfen, deren Aussprüchen sie auch dann folgen, wenn sie sie nicht durchaus billigen. Weil ich nun in Deutschland keinen | Mann kenne, der in Sachen der Sprache einen gegründetern Anspruch auf Autorität hätte, als Adlung [!]: so habe ich, jenem Grundsatze zu Folge, in den Fällen, wo ich zweifelhaft war, seine Vorschriften zu Rathe gezogen, und selbst da, wo er mich nicht überzeugte, ihm, aus Liebe zum gemeinen Besten, freywillig gehorcht. Ich wünschte, daß mein Beyspiel, oder diese meine Gründe von einem größern Gewicht wären, als ich natürlicher Weise erwarten kann, um die guten Schriftsteller Deutschlands zu einer ähnlichen Nachgiebigkeit zu vereinigen. Ich sehe wenigstens keinen andern Weg, zur Gleichförmigkeit in unserer Rechtschreibung, -- die doch immer ein wünschenswerthes Gut ist, weil sie die Verständlichkeit befördert, und die Störungen der Aufmerksamkeit für gewöhnliche Leser vermindert, -- zu gelangen, als daß alle, welche schreiben, in Fällen, wo bisher Verschiedenheiten der Ortographie [!] geherrscht haben, willkührliche Entscheidungen, die ihnen niemand als Gesetze | aufzudringen vermag, durch freywillige Befolgung zu Gesetzen zu erheben ; und daß sie einem Manne, der in Absicht vieler Sachen ihr Lehrer gewesen ist, in einigen auch blindlings folgen.« (S. XVII-XIX)

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Reinhard Markner
18.07.2002 21.04
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Unser Beitrag zum Hesse-Jahr

Hermann Hesse an einen Korrektor, Oktober 1946

Sehr geehrter, lieber Herr Korrektor

Da wir beide immer wieder aufeinander angewiesen sein und gemeinsame Arbeit zu leisten haben werden, kann es vielleicht nichts schaden, wenn ich einmal für eine Stunde von den beständigen kleinen Korrekturen, Zurechtweisungen und Erziehungsversuchen, die wir beide einer am andern zu üben gewohnt sind, absehe, und Ihnen etwas Prinzipielles über Ihre und meine Arbeit, das heißt über meine Vorstellung vom Sinn dieser Arbeit, von ihrer Funktion im Ganzen des Volkes, der Sprache, der Kultur zu sagen versuche. Sie wissen, daß es gut und freundlich gemeint ist, und werden mir dies auch dort, wo Sie meine Auffassung keineswegs teilen, zugestehen. [. . .]

Die gemeinsame Arbeit zwischen Autor und Korrektor beginnt ja erst dann, wenn der Autor seine größte und eigentliche Arbeit, das Schreiben seines Buches, längst getan hat. Eben darum neigt gelegentlich der Korrektor dazu, die ganze noch übrige Aufgabe, nämlich aus dem geschriebenen Manuskript ein gedrucktes Buch zu machen, einzig für seine eigene Aufgabe zu halten, von welcher der Autor möglichst ausgeschlossen werden müsse. [. . .] Es scheint ganz einfach zu sein. Der Autor hat seine Arbeit geleistet, man hat sie ihm abgenommen, mag er sich nun Ruhe gönnen, bis ein neues Manuskript seine Kräfte fordert! Warum soll er sich nun auch noch um den weiteren Prozeß der Buchwerdung kümmern, sich in Arbeiten mischen, die den Fachleuten zustehen? Das mag in manchen Fällen ja notwendig sein und als Ausnahme zugestanden werden, namentlich wenn der Autor noch jung und unerfahren ist und erst beim Anblick der vom Setzer überreichten Korrekturabzüge an manche Verbesserungen seines Textes zu denken beginnt, die ein Mann mit Erfahrung eben schon vor der Ablieferung des Manuskriptes in Ordnung bringt.

Völlig unnötig aber, so scheint es vielen und scheint es auch Ihnen, geschätzter Mitarbeiter, ist eine Einmischung des Verfassers in die Arbeit des Korrektors, sobald es sich gar nicht um das Drucken des Manuskriptes, sondern um den Neudruck eines älteren, schon seit Jahr und Tag gedruckt vorliegenden Buches handelt. [. . .] Sofern ich, der Autor, nicht eine Neubearbeitung dieser Texte unternehmen, sondern sie einfach in der frühern Gestalt neu gedruckt sehen will, sollte das doch wirklich ohne mich geschehen können und lediglich eine ziemlich mechanische Arbeit des Setzers und des Korrektors sein.

Ja, so sollte man denken. Und doch ist es nicht so. Wenn ich darauf verzichte, die Korrektur selbst mitzulesen und jeden Buchstaben des Textes genau zu prüfen, dann entsteht unter des Setzers und Ihren Händen ein Text, der zwar bei ganz oberflächlicher Prüfung der alte zu sein scheint, in Wirklichkeit aber vom Urtext in Dutzenden, nein in Hunderten von Kleinigkeiten abweicht.

Wenn in meinem Text etwa steht «Er öffnete die Türe weit . . .», dann haben Sie [. . .] aus der «Türe» eine «Tür» gemacht. Und damit haben wir schon einen der häufigsten Fälle jener Veränderungen genannt, die mein Text unter Ihrer und des Setzers Hand erleidet, eine jener hundert Stellen, die Sie verbessert zu haben glauben, während ich der Meinung bin, sie sei nicht verbessert, sondern verdorben worden. Es geht immer nur um scheinbar Winziges, um einen oder zwei Buchstaben [. . .]. Ich schrieb «Miethaus», und Sie machen «Mietshaus» daraus, ich schrieb «unsrem», und Sie drucken «unserem», und so fort, lauter winzige Kleinigkeiten, aber sie gehen in die Hunderte.

Wenn nun jemand Sie fragen würde, ob Sie wirklich und ernstlich daran glauben, der deutschen Sprache mächtiger und sicherer zu sein als Ihr Autor, so würden Sie ohne Zweifel diesen Gedanken weit von sich weisen. Sie würden sagen, eine solche Selbsteinschätzung liege Ihnen ebenso fern wie eine Geringschätzung des Dichters und seiner sprachlichen Potenz. Aber dichten sei dichten und drucken sei drucken, und es gebe nun einmal eine Norm und eine Konvenienz für Schreibweise und Interpunktion, und wenn der Dichter je nach seiner augenblicklichen Laune ein «e» oder «s» oder ein Komma setze oder weglasse, wenn er selber das einemal «heut», das andremal aber «heute», das einemal bei der gleichen Stelle in einem Satzbau ein Komma, das andremal einen Strichpunkt setze, dann sehe man ja, daß der Dichter selber seiner Zeichensetzung durchaus nicht so sicher sei, und es sei gut, wenn ein Korrektor darüber wache, daß diese äußerlichen Formen und Ausdrucksmittel einheitlich angewendet würden.

Und nun zitieren Sie, lieber Herr Korrektor, Ihren Hausheiligen und Ihr Gesetzbuch, den Duden.

Es kann nun sein, daß ich in mancher Einzelheit dem Duden Unrecht tue, das heißt daß ich bei ihm hier und dort eine Starrheit und Härte mehr vermute, als er wirklich enthält, ich kann das nicht kontrollieren, denn ich besitze keinen Duden und habe nie einen besessen. Nicht weil ich etwa eine Abneigung gegen Wörterbücher hätte, ich besitze ihrer manche, und eines von ihnen, das große Grimmsche Wörterbuch der deutschen Sprache, gehört zu meinen Lieblingsbüchern.

Ich bin auch nicht dagegen, daß es so etwas wie einen Duden gebe, eine Vorschrift für die Rechtschreibung und eine allgemeine Anweisung für den Gebrauch der Interpunktionen. In Zeitaltern, in denen alle schreiben und die meisten schlecht schreiben, sind solche Hilfsmittel durchaus notwendig und willkommen. Was ich gegen den Duden habe, ist nichts Prinzipielles; es ist gut und richtig, daß ein gewissenhafter Schullehrer seinem Volk bei Rechtschreibung und Interpunktion durch Ratschläge behilflich sei. Aber Duden, das wissen Sie ja, ist längst kein Ratgeber mehr, sondern ein unter einem scheußlichen Gewaltstaat allmächtig gewordener Gesetzgeber, eine Instanz, gegen die es keine Berufung gibt, ein Popanz und Gott der eisernen Regeln, der möglichst vollkommenen Normierung.
Vielleicht gibt auch Duden zu, daß man sowohl heut wie heute, sowohl Tür wie Türe, sowohl Miethaus wie Mietshaus sagen könne, ich weiß es nicht. Sie können es ja nachschlagen. Ich weiß nur, daß Ihre Setzer und Sie mir nicht erlauben wollen, von dieser herrlichen Möglichkeit Gebrauch zu machen und, je nach Bedarf, bald heut bald heute, bald hieher bald hierher, bald unsre bald unsere zu sagen. Dies ist es, wogegen ich mich wehre und wehren muß, denn es geht hier um Dinge, für welche es keinen Duden und keine staatliche oder berufliche Autorität gibt, und für die der Dichter und Schriftsteller allein die Verantwortung trägt.

Ob ich sage: «Schließ die Tür» oder, «Schließe die Türe», das ändert am Sinn des Satzes nichts. Es ändert aber anderes. Es ändert -- Sie brauchen den Satz nur laut zu sprechen -- den Rhythmus und die Melodie des Satzes vollkommen. Die beiden weggelassenen Buchstaben machen aus ihm etwas ganz und gar anderes, nicht was den sachlichen Inhalt angeht, den der Satz ausdrückt, sondern in bezug auf seine Musik. Und die Musik, und zwar ganz besonders die Musik der Prosa, ist eines der wenigen wahrhaft magischen, wahrhaft zauberischen Mittel, über welche auch heute noch die Dichtung verfügt. Diese winzigen Silben, hinzugefügt oder weggelassen, nötigenfalls unterstützt durch die Interpunktion, haben eine rein dichterische, vielmehr eine rein musikalische Funktion und Bedeutung. [. . .]

Und nun, wenn Sie mir bis hierher freundlich gefolgt sind; folgen Sie mir noch einen kleinen Schritt weiter. Stellen Sie sich bitte einen Augenblick lang vor, Sie wären Korrektor nicht in einer Druckerei für Literatur, sondern in einer Notendruckerei für musikalische Werke. Als Vorlage für den Druck hätten Sie irgend eine Partitur, einen Klavierauszug oder sonst ein Werk, sei es in der Handschrift des Komponisten, sei es in einem älteren Druck. Als Mitarbeiter hätten Sie den Notenstecher, und mit ihm gemeinsam hätten Sie als Wegweiser und Richtschnur einen musikalischen Duden, das Buch eines musikalischen Schullehrers also, das über die Gesetze und Mittel des musikalischen Ausdrucks, soweit er sich in Notenbildern wiedergeben läßt, Bescheid gibt, dessen Autor ein guter Kenner der musikalischen Sprache, jedoch kein Schöpfer und vielleicht auch kein wirklicher Freund und Versteher der musikalischen Meister ist. Sein Buch hätte die Aufgabe, Leuten als Berater zu dienen, welche Musik schreiben wollen, ohne die Gesetze, Gewohnheiten und Handwerksregeln dieser Tätigkeit ganz zu beherrschen. Das Fatale an diesem wohlgemeinten und sehr nützlichen Buche wäre nur, daß es in einem an Gehorsam gewöhnten Volk durch staatliche Autorität als unbedingt maßgebend eingeführt wäre.

Mit Ihrem nach seinem Musik-Duden gedrillten Notenstecher würden Sie nun also den Druck eines Notenwerkes beginnen. Sie würden verfahren, wie Sie beim Korrigieren einer Roman-Korrektur zu verfahren gelernt haben. Sie würden also im großen ganzen auf treue Wiedergabe der Vorlage, zugleich aber doch auf eine gewisse Beaufsichtigung und Normierung der Notenschrift bedacht sein.
Sie würden sich zum Beispiel niemals erlauben, einen ganzen Takt wegzulassen, wohl aber da und dort eine Viertel oder Achtel- oder Sechzehntelnote, oder Sie würden wenigstens da und dort, wo der Komponist Ihnen zu willkürlich vom Schema abzuweichen scheint, aus zwei Achteln ein Viertel machen, ein passend scheinendes Accelerando-Zeichen einfügen, ein unpassend scheinendes weglassen. Es wären lauter winzig kleine, von Duden erlaubte, ja gebotene Eingriffe, aber sie würden das Musikstück ganz erheblich vergewaltigen. Und in zehn oder zwanzig Jahren würde ein anderer Notendrucker dieses Stück nach Ihrer Version wieder neu abdrucken, vom Setzer wieder mit neuen, winzigen Eingriffen nach einem neuesten, revidierten Duden versehen. Dann würde eine dritte, vierte, zehnte. Neuausgabe dieses Musikstückes ungefähr so aussehen, wie ein großer Teil der wohlfeilen Klassikerausgaben unsrer Dichter in der Zeit vor der Wiederentdeckung des Verleger- und Herausgeber-Gewissens ausgesehen hat.

Ich erschrecke, Verehrter, über den Umfang; den das Briefchen, das ich Ihnen hätte schreiben wollen; mir Linier den Händen angenommen hat. Je älter ich werde, desto schwerer fällt mir das Schreiben, und je schwerer das Schreiben mir fällt, desto mehr Atem und Raum brauche ich, um über die unendlichen Möglichkeiten zu Mißverständnissen hinweg dennoch etwas wie Eindeutigkeit und Gültigkeit des Geschriebenen zu erreichen. Aber vielleicht war es nicht vergeblich; vielleicht träumen Sie nun des Nachts einmal von weggestrichenen Buchstaben, so wie ein Feldherr vielleicht gelegentlich einmal von gefallenen Soldaten träumt. Sie tun ihm dann vielleicht plötzlich leid, und vielleicht fragt er sich, ob ihr Opfer eigentlich wirklich unvermeidbar war.

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Walter Lachenmann
27.02.2002 15.35
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Zeitreise ins 18. Jahrhundert

Der Eine hat eine falsche Rechtschreibung und der Andere eine rechte Falschschreibung.
(Georg Christoph Lichtenberg, 1742-1799)

Von demselben stammt auch der Satz:
»Es gibt eine wahre und eine förmliche Orthographie«,
aber was ist damit wohl gemeint?
__________________
Walter Lachenmann

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Reinhard Markner
18.02.2002 18.36
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Bitte an Journalisten

„Buchstaben sind ja keine Laute, sondern Schriftzeichen, und es ist also gut, wenn man auf den ersten Blick erkennt, was das Zeichen bedeutet [. . .]" -- „Man kann es unsern periodischen Schriftstellern nicht oft genug zurufen : Gebt uns doch neue Ideen, und keine neue Orthographie !“

„Ueber die Orthographie in der Berliner Monaths-Schrift. Aus einem Briefe“, in : Litteratur- und Theater-Zeitung (Berlin) Bd. 3/1784, S. 58-60

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Reinhard Markner
31.12.2001 13.58
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Wider den Tollpatsch

»Wenn die Abstammung die Schreibart bestimmen soll, so kann es 1. nur die nächste, 2. die erweislich wahre, und 3. die allgemein bekannte thun, weil nur diese die allgemeine Verständlichkeit, die vornehmste Absicht der Sprache, befördern kann. [. . .] Unverzeihlich aber sind alle im Schreiben vorgenommenen Veränderungen, wenn sie sich auf sehr entfernte, ungewisse oder gar willkührliche und unbegründete Ableitungen stützen, wie ämsig für emsig von Ameise usw.«

Adelung : Deutsche Sprachlehre für die Schulen, 3. Aufl. 1795

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Reinhard Markner
26.12.2001 09.32
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Wilhelm Raabe, Das Horn von Wanza. Eine Erzählung, 1881

Der Neffe Grünhage fuhr mit dem seltsamen Wunsche des Greises heraus; aber die Tante Sophie zuckte weder die Achseln, wie er doch ein wenig erwartet hatte, noch lachte sie gar oder sagte wenigstens: das sieht dem alten Kinde ähnlich. Sie sagte einfach und ruhig:

»Das mußte er freilich auf dem Rathause und bei den Stadtverordneten anbringen. Dazu kann er leider die Erlaubnis nicht bei mir sich holen. Ja, das ist wahrhaftig ein Wunsch, den er noch auf dem Herzen haben konnte; und was mich anbetrifft, so tute ich da wahrlich mit ihm in ein Horn.«

»Ich habe auf dem Rathause nicht über den Meister Marten gelacht oder nur gelächelt; aber du wirst mir zugeben, liebe Tante -«

»Gar nichts gebe ich dir zu; und zu bedanken habe ich mich auch nicht, weil du so gut gewesen bist, über meinen besten Freund und den verständigsten Menschen in Wanza dich nicht zu mokieren.«

»Liebste, beste Tante, ich versichere --«

»Da sehe ich ihn stehen vor den beiden jungen neumodischen, gelehrten, ästhetischen Herren, wie er nicht mit der Sprache herauskam und doch so vieles für sich zu sagen hätte. Kind, Kind, ich will euch gewiß nicht das Recht nehmen, in den Tagen zu leben, wie sie jetzt sind, und auf sie zu schwören; aber manchmal meine ich doch, ein wenig mehr Rücksicht auf das Alte könntet ihr auch nehmen. Ich bin nur ein ungelehrtes altes Weib, wenn ich auch überflüssige Zeit gehabt habe, mich mit vielen Dingen zu beschäftigen, an die sonst wir Frauen nicht denken; -- eines habe ich jedenfalls gelernt, nämlich mit jedem Menschen möglichst aus seinem Verständnis heraus zu sprechen; und das will ich auch mit dir tun, mein lieber Sohn. Du bist ein Schulmeister oder willst einer werden und kommst mir also hier grade recht. Mit dem Dorsten ist in keiner Weise bei solchen Fragen etwas anzufangen, dem hilft höchstens nur noch eine gute, verständige Frau für sein eigen Leben in der Welt; und wer weiß, vielleicht wäre nach dem, was du mir von ihr erzählt hast, deine Schwester Käthe so 'ne Frau für ihn. Doch davon ist jetzt nicht die Rede, sondern von Martens Wanzaer Tuthorn, das ein hochweiser Magistrat aus ästhetischen Gründen nicht mehr anhören konnte und gradeso für uns altes Volk den Naseweis spielte wie zum Exempel ihr Schulmeister jetzo mit der deutschen Muttersprache. Da lese ich fast alle Woche einmal davon in den Blättern, wie die in Orthographie oder Rechtschreibung, oder wie ihr es nennt, verbessert werden muß; und in Potsdam haben sie sogar einen Verein gebildet, der die i-Tüpfel abschaffen will. Lehren schreibt ihr ja jetzt wohl ohne h und Liebe ohne e und tut euch auf den Fortschritt, wie der Bürgermeister sagt, riesig was zugute. Ja freilich, Riesen seid ihr; aber ein paar in der alten Weise gedruckte Bände von Schiller und Goethe werdet ihr doch übriglassen müssen, und in denen lesen wir Alten dann weiter. Es ist mir lieb, daß du nicht lachst, mein Junge. Wenn ich auch nur ein ungelehrtes Frauenzimmer bin, so habe ich in meinem Leben Zeit gehabt, über allerhand Sachen nachzudenken, und dein verstorbener Onkel mit seinem ewigen Hohn und Lachen über unsere einheimischen Dummheiten ist mir auch ein guter Lehrmeister gewesen. Es mag an andern Orten vielleicht besser sein, aber hier in Wanza ist jedesmal, wenn von Geschmackssachen die Rede gewesen ist, grade das Gegenteil herausgekommen und die Welt nur noch ein bißchen nüchterner geworden. Das Nachtwächterhorn hatte aber nicht bloß hier in Wanza, sondern in jedwedem Orte in Deutschland einen guten, treuherzigen Klang. Dafür haben sie nun dem Marten Marten eine schrille Pfeife eingehändigt, um darauf seinen Kummer und die Stunden auszupfeifen. Freilich, freilich, viel richtiger und ästhetischer ist das und mit eurer neuen Orthographie und deutschen Sprachverbesserung ganz im Einklang. Ich bin nur eine alte Frau und kann mich also täuschen; aber -- Kind, Kind, scheinen tut es mir doch so, als ob die Welt von Tag zu Tag schriller würde und ihr es gar nicht abwarten könntet, bis ihr sie auf dem Markt, in den Straßen und auf dem Papier am schrillsten gemacht habt. Bist du wirklich schon satt, Bernhard?«

Er war gesättigt! Diesem jungen Philologen und angehenden deutschen Schulmeister war gottlob fürs erste der Appetit gestillt, und zwar nicht allein durch den über alles Lob erhabenen Wanzaer Kalbsbraten nebst Zubehör, den ihm seine Tante Grünhage vorgesetzt hatte. O, sie war wahrlich eine Musikantentochter, die Tante Sophie, und hatte auch die Tafelmusik nicht fehlen lassen.

Viel erregter, als das der Verdauung zuträglich sein soll, sprang der junge Gast vom Stuhle auf und rief in heller Begeisterung:

»Ich gebe dir nochmals mein Wort, Tante Sophie, ich habe nicht über den Meister Marten und seinen Herzenswunsch gelacht, und Dorsten hat's eigentlich auch nicht zustande gebracht. Im Gegenteil! -- Und du hast mir aus der Seele gesprochen! Ja, die Welt wird schriller von Tag zu Tag. Das Horn des Meisters Marten Marten haben sie abgeschafft, weil es ihnen viel zu sonor durch die Nacht klang, und aus der deutschen Sprache streichen sie nicht nur hier und da das h oder sonst einen Konsonanten, nein, am liebsten rissen sie ihr jeglichen Vokal aus dem Leibe, um nur den durcheinanderklappernden Klempnerladen, wozu sie doch schon Anlage genug hat, aus ihr fertigzumachen. Wie Johann Balhorn und nach ihm der Kandidat Jobs verbessern sie das Abc-Buch, indem sie dem biedern, ehrlichen Hahn davor die Sporen nehmen, aber ihm ein Nest mit einem von ihren faulen Eiern unter den Schwanz schieben. Und die heutigen Ohnewitzer scheinen sich das wirklich gefallen zu lassen.«

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Manfred Riebe
24.08.2001 17.48
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Der "allerniedrigste Zweig der Litteratur"

Arthur Schopenhauer (1788-1860) schrieb sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ im Jahre 1818. Das ist im Hinblick auf seine Schreibweise interessant, z.B. seines „th“.

Heute könnte man mit Schopenhauer sagen, die Rechtschreibreformer werden, „wenn ihnen nicht die Grammatiker auf die Finger schlagen“, die Sprache um wertvolle Wörter „bestehlen“. Eine Parallele ergibt sich auch bei den Journalisten:

„Am unverschämtesten treiben es die Zeitungsschreiber (...) so droht durch sie der Sprache große Gefahr; daher ich ernstlich anrathe, sie einer orthographischen Censur zu unterwerfen, oder sie für jedes ungebräuchliche, oder verstümmelte Wort eine Strafe bezahlen zu lassen: denn was könnte unwürdiger seyn, als daß Sprachumwandelungen vom allerniedrigsten Zweig der Litteratur ausgiengen? Die Sprache, zumal eine relative Ursprache, wie die Deutsche, ist das köstlichste Erbtheil der Nation und dabei ein überaus komplicirtes, leicht zu verderbendes und nicht wieder herzustellendes Kunstwerk. (...) Zu beklagen ist es, daß keine Deutsche Akademie da ist, dem litterarischen Sanskülottismus gegenüber die Sprache in ihren Schutz zu nehmen, zumal in einer Zeit, wo auch die der alten Sprachen Unkundigen es wagen dürfen, die Presse zu beschäftigen.“

„litterarischer Sanskülottismus“ = Unwesen proletarischer Sprachrevolutionäre

Ich bin auch der Meinung, daß die Grammatiker und nicht irgendwelche selbsternannten Sprachverhunzer wie die Rechtschreibreformer oder gar der allgemeine Sprachgebrauch der Journalisten die Sprachmaßstäbe setzen sollen.

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Reinhard Markner
24.08.2001 10.24
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Die Welt als Wille und Vorstellung

Ferner will ich hier die Gelegenheit nehmen, das Unwesen zu rügen, welches seit einigen Jahren, auf unerhörte Weise, mit der deutschen Rechtschreibung getrieben wird. Die Skribler, in jeder Gattung, haben nämlich so etwas vernommen von Kürze des Ausdrucks, wissen jedoch nicht, daß diese besteht in sorgfältigem Weglassen alles Ueberflüssigen, wozu denn freilich ihre ganze Schreiberei gehört ; sondern vermeinen es dadurch zu erzwingen, daß sie die Worte beschneiden, wie die Gauner die Münzen, und jede Silbe, die ihnen überflüssig scheint, weil sie den Werth derselben nicht fühlen, ohne Weiteres abknappen. Z. B. unsere Vorfahren haben, mit richtigem Takt, »Beweis« und »Verweis«, hingegen »Nachweisung« gesagt : der feine Unterschied, analog dem zwischen »Versuch« und »Versuchung«, »Betracht« und »Betrachtung«, ist den dicken Ohren und dicken Schädeln nicht fühlbar ; daher sie das Wort »Nachweis« erfunden haben, welches sogleich in allgemeinen Gebrauch gekommen ist: denn dazu gehört nur, daß ein Einfall recht plump und ein Schnitzer recht grob sei. Demgemäß ist die gleiche Amputation bereits an unzähligen Worten vorgenommen worden : z. B. statt »Untersuchung« schreibt man »Untersuch«, ja, gar statt »allmälig, mälig«, statt »beinahe, nahe«, statt »beständig, ständig«. Unterfienge sich ein Franzose près statt presque, ein Engländer most statt almost zu schreiben ; so würde er einstimmig als ein Narr verlacht werden : in Deutschland aber gilt man durch so etwas für einen originellen Kopf. Chemiker schreiben bereits »löslich und unlöslich« statt »unauflöslich« und werden damit, wenn ihnen nicht die Grammatiker auf die Finger schlagen, die Sprache um ein werthvolles Wort bestehlen : löslich sind Knoten, Schuhriemen, auch Konglomerate, deren Cäment erweicht wird, und alles diesem Analoge : auflöslich hingegen ist was in einer Flüssigkeit ganz verschwindet, wie Salz im Wasser. »Auflösen« ist der terminus ad hoc, welcher Dies und nichts Anderes besagt, einen bestimmten Begriff aussondernd : den aber wollen unsere scharfsinnigen Sprachverbesserer in die allgemeine Spülwanne »Losen« gießen : konsequenter Weise müßten sie dann auch statt »ablösen (von Wachen), auslösen, einlösen« u. s. w. überall »lösen« setzen, und in diesem, wie in jenem Fall der Sprache die Bestimmtheit des Ausdrucks benehmen. Aber die Sprache um ein Wort ärmer machen heißt das Denken der Nation um einen Begriff ärmer machen. Dahin aber tendiren die vereinten Bemühungen fast aller unserer Bücherschreiber seit zehn bis zwanzig Jahren : denn was ich hier an einem Beispiele gezeigt habe, ließe sich an hundert andern nachweisen, und die niederträchtigste Silbenknickerei grassirt wie eine Seuche. Die Elenden zählen wahrhaftig die Buchstaben und nehmen keinen Anstand, ein Wort zu verkrüppeln, oder eines in falschem Sinne zu gebrauchen, sobald nur zwei Buchstaben dabei zu lukriren sind. Wer keiner neuen Gedanken fähig ist, will wenigstens neue Worte zu Markte bringen, und jeder Tintenklexer hält sich berufen, die Sprache zu verbessern. Am unverschämtesten treiben es die Zeitungsschreiber, und da ihre Blätter, vermöge der Trivialität ihres Inhalts, das allergrößte Publikum, ja ein solches haben, das größtentheils nichts Anderes liest ; so droht durch sie der Sprache große Gefahr; daher ich ernstlich anrathe, sie einer orthographischen Censur zu unterwerfen, oder sie für jedes ungebräuchliche, oder verstümmelte Wort eine Strafe bezahlen zu lassen : denn was könnte unwürdiger seyn, als daß Sprachumwandelungen vom allerniedrigsten Zweig der Litteratur ausgiengen? Die Sprache, zumal eine relative Ursprache, wie die Deutsche, ist das köstlichste Erbtheil der Nation und dabei ein überaus komplicirtes, leicht zu verderbendes und nicht wieder herzustellendes Kunstwerk, daher ein noli me tangere. Andere Völker haben dies gefühlt und haben gegen ihre, obwohl viel unvollkommneren Sprachen große Pietät bewiesen : daher ist Dante's und Petrarka's Sprache nur in Kleinigkeiten von der heutigen verschieden, Montaigne noch ganz lesbar, und so auch Shakespeare in seinen ältesten Ausgaben. – Dem Deutschen ist es sogar gut, etwas lange Worte im Munde zu haben: denn er denkt langsam und sie geben ihm Zeit zum besinnen. Aber jene eingerissene Sprachökonomie zeigt sich in noch mehreren charakteristischen Phänomenen: sie setzen z. B., gegen alle Logik und Grammatik, das Imperfektum statt des Perfektums und Plusquamperfektums ; sie stechen oft das Auxiliarverbum in die Tasche ; sie brauchen den Ablativ statt des Genitivs; sie machen, um ein Paar logische Partikeln zu lukriren, so verflochtene Perioden, daß man sie vier Mal lesen muß, um hinter den Sinn zu kommen : denn bloß das Papier, nicht die Zeit des Lesers wollen sie sparen : bei Eigennamen deuten sie, ganz hottentottisch, den Kasus weder durch Flexion, noch Artikel an: der Leser mag ihn rathen. Besonders gern aber eskrokiren sie die doppelten Vokale und das tonverlängernde h, diese der Prosodie geweihten Buchstäben ; welches Verfahren gerade so ist, wie wenn man aus dem Griechischen das h und w verbannen und statt ihrer e und o setzen wollte. Wer nun Scham, Märchen, Maß, Spaß schreibt, sollte auch Lon, Son, Stat, Sat, Jar, Al u. s. w. schreiben. Die Nachkommen aber werden, da ja die Schrift das Abbild der Rede ist, vermeinen, daß man auszusprechen hat, wie man schreibt : wonach dann von der Deutschen Sprache nur ein gekniffenes, spitzmäuliges, dumpfes Konsonantengeräusch übrig bleiben und alle Prosodie verloren gehn wird. Sehr beliebt ist auch, wegen Ersparniß eines Buchstabens, die Schreibart »Literatur« statt der richtigen »Litteratur«. Zu ihrer Vertheidigung wird das Particip des Verbums linere für den Ursprung des Wortes ausgegeben. Linere heißt aber schmieren : daher möchte für den größten Theil der Deutschen Buchmacherei die beliebte Schreibart wirklich die richtige seyn, so daß man eine sehr kleine Litteratur und eine sehr ausgedehnte Literatur unterscheiden könnte. – Um kurz zu schreiben, veredele man seinen Stil und vermeide alles unnütze Gewäsche und Gekaue : da braucht man nicht, des theuren Papiers halber, Silben und Buchstaben zu eskrokiren. Aber so viele unnütze Seiten, unnütze Bogen, unnütze Bücher zu schreiben, und dann diese Zeit- und Papiervergeudung an den unschuldigen Silben und Buchstaben wieder einbringen zu wollen, – das ist wahrlich der Superlativ Dessen, was man auf Englisch pennywise and poundfoolish nennt. – Zu beklagen ist es, daß keine Deutsche Akademie da ist, dem litterarischen Sanskülottismus gegenüber die Sprache in ihren Schutz zu nehmen, zumal in einer Zeit, wo auch die der alten Sprachen Unkundigen es wagen dürfen, die Presse zu beschäftigen.

(Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 1337 ff. Schopenhauer-ZA Bd. 3, S. 146 ff.)

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Reinhard Markner
05.08.2001 21.52
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Motto

»Wer pfuscht, darf das Rechte nicht gelten lassen: sonst wäre er gar nichts.« – Goethe.

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Reinhard Markner
28.06.2001 20.32
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Obrigkeitsstaatliche Tradition

Der Reichskanzler fragte klüglicherweise die Masse nicht, sondern beschloß die Reform* mit wenigen Auserwählten und überließ dem Volke das Räsonnieren und die Polizeistrafen im Weigerungsfalle. Auf ähnliche Weise wird auch die Orthographie ihre praktische Regelung erfahren müssen, aber wir können uns nicht veranlaßt finden, eine Frage darum fern zu halten, weil das Volk ihr verneinend gegenüber steht.

K. Düwell, in: Zeitschrift für Orthographie 1/1880–81, S. 172

*Leider weiß ich nicht, welche Maßnahme Bismarcks gemeint ist.

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Reinhard Markner
08.04.2001 21.07
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August Wilhelm Schlegel, 1797

Von der Darstellung der Rede durch die Schrift als Versuch einer Rechtschreibung für die Deutschen. Berl. 1797.

Der Vf., der sich unter der Vorrede »Johann Gottfried Richter« unterzeichnet, zeigt sich in obiger Schrift als einen denkenden Kopf, wiewohl er die Gabe des leichten und geschmackvollen Vortrags nicht in einem vorzüglichen Grade besitzt. Er geht mit nichts Geringerm um, als damit, die Schreibung zur Wißenschaft, zur Rechtschreibung im strengsten Sinne des Wortes, zu erheben. Daß er an sie zu große Forderungen macht, und von dem, was sie auch bei der vollkommensten Einrichtung leisten kann, zu hohe Erwartungen hegt, beweist zum Theil schon der Titel : die Schrift kann die Rede im Grunde niemals »darstellen«, sondern nur bezeichnen. Eine Darstellung macht uns mit ihrem Gegenstande bekannt, wenn er uns auch vorher noch nie vorgekommen wäre ; die Schreibung, selbst die regelmäßigste, wo jeder verschiedne einfache Laut sein besonderes Zeichen, und zwar nur Eines hat, und wo jedes Zeichen immer einerlei bedeutet, kann uns die richtige Aussprache nicht lehren, sondern uns nur daran erinnern, wenn wir sie schon haben.
. . .
Der Vf. giebt es als einen Vortheil der von ihm vorgeschlagenen Schreibung an, daß man in den Gegenden Deutschlands, wo unrichtig ausgesprochen wird, die richtige Aussprache daraus lernen würde. Hiezu wird Können und Wollen vorausgesetzt, welches beides gröstentheils fehlt.
. . .
Der Vf. beweist seine Einsicht und Genauigkeit in der Beobachtung durch das Meiste, was er über die Aussprache sagt ; und er hätte ohne Zweifel etwas weit Nützlicheres geliefert, wenn er diese, und nicht die Rechtschreibung zum Zweck seiner Schrift gemacht, und die neue Bezeichnung bloß zum Behuf des Unterrichts in der Aussprache, wie die englischen Orthoepisten, erfunden hätte. Allein er dringt auf ihre wirkliche Einführung, ob er gleich wiederholt versichert, er theile die gutmüthige Hoffnung seiner Vorgänger, mit solchen Vorschlägen Eingang zu finden, gar nicht. Hierin hat er nun sehr recht.
. . .

(Allgemeine Literatur-Zeitung 1797 ; Sämmtliche Werke, Hg. Eduard Böcking, Bd. 11, Leipzig 1847, 177--81)

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Reinhard Markner
14.03.2001 10.26
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»Meine deutsche Rechtschreibung hoffe ich als consequent rechtfertigen zu können. Das z verdopple ich nie, weil es schon doppelt ist, und auch nicht die mindeste Täuschung Statt finden kann als würde es zwiefach ausgesprochen. Das i, welches wo es gedehnt werden soll allemal das e hinter sich hat, sehe ich als seiner Natur nach kurz an und verdopple also den Consonant nicht dahinter, sofern nemlich dies bloß Accentuation ist. Hieraus werden Sie Sich das übrige erklären können. Nur mit dem k begegnet es mir aus alter Unart oft, daß ich vergesse es zu verdoppeln wo ich es meiner Regel zufolge thun sollte. So bin ich auch, freilich erst während der Ausarbeitung der Grundlinien, mit meiner Interpunction ganz aufs Reine gekommen, sündige aber im Schreiben sehr oft dagegen, und werde mir deshalb allerdings die Mühe nehmen müssen meine Handschrift bloß in dieser Hinsicht noch einmal durchzugehen. Sobald ich irgend dazu kommen kann, will ich meine Ansicht dieses Gegenstandes so kurz als möglich zu Papier bringen, und sie Ihrer Prüfung vorlegen. In deutschen Sprachlehren habe ich nirgends etwas befriedigendes darüber gefunden und in der Praxis unserer besten Schriftsteller ist mir immer vieles dunkel geblieben.«

Friedrich Schleiermacher an August Wilhelm Schlegel, 19. 5. 1804
Josef Körner (Hg.): Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis, Bd. 1, Brünn usw. 1936, S. 84

dazu Schlegel : »Ihre Orthographie befolge ich genau, wiewohl ich sie nicht zu rechtfertigen weiß ; es wäre leicht, Ihnen zu zeigen, daß Sie keine festen Grundsätze befolgen.«

***

Besuch bei Adelung, Dresden, Juni 1798 : »Noch war mir bei A. so auffallend, als irgendwo, der Unterschied zwischen dem Schriftsteller und dem Sprecher . . . Das Deutsche spricht er oft ziemlich nachlässig und gemein, anders als man nach dem Schriftsteller erwarten sollte. – A. spricht kein Französisch, kein Latein.«

Wilhelm Süss : Karl Morgenstern (1770–1852). Ein kulturhistorischer Versuch, Dorpat 1928/29, S. 94[Geändert durch Reinhard Markner am 15.03.2001, 11:44]

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