ss-Staat
Als ich 1996 meinen Wagen ummeldete und ein neues Nummernschild bekommen sollte, sagte mir die Dame in der Meldestelle nach einem Blick auf meinen Namen ungefragt: „Die Buchstaben SS geben wir hier nicht heraus; auch SA nicht!
Zuhause fiel mein Blick auf den uniformierten ss-Aufmarsch in den Beispieltexten einiger Zeitungen, und ich schrieb meinen dritten Leserbrief zu dem Thema Rechtschreibreform an die Kieler Nachrichten:
Zu Kieler Nachrichten v. 3.12.96: Da lachen ja die Schüler
Abgedruckt am 11.12.96
Ohnmächtig muß die ablehnende Mehrheit der Eltern zusehen, wie ihre Kinder von einer selbstherrlichen Ministerialbürokratie in den orthographischen ss-Staat geführt werden [- kaum demokratischer als bei Hitlers Abschaffung der deutschen Schrift. Daher die Eile der Verantwortlichen, die Rufe, Proteste kämen zu spät, es habe immer Öffentlichkeit gegeben (Lachnummern wie „der hei vorm bot mit dem keiser des stats"?) , irgendwann müsse Schluß sein auch in (volks-?)demokratischen Diskussionen.] Das Reformsammelsurium enthält Anschläge auf Sprache, Wortsinn, Ästhetik und gute Sitten, die zu beschließen kaum ein Parlament befugt wäre. Würdelos muß dergleichen den Franzosen erscheinen, die nie „o statt „eau schreiben, lächerlich den Briten, die nie die skurrile Schreibung ihrer Weltsprache ändern würden und geradezu albern den Chinesen, die ihre tausendfach schwierigere Orthographie beibehalten an der nur Kommunisten „Abstriche wagten. Unsere Sprache aber verstümmeln Wichtigtuer durch kommerzielle Anglizismenflut, feministisches Verdoppelungs[un]wesen, musikalische Muttersprachlosigkeit und eben die Rechtschreibreform, die von niemandem ernsthaft benötigt uns Milliarden kostet.
[....] redaktionell gestrichen.
Mit dem Heranrücken des Volksentscheids in Schleswig-Holstein wurde von GEW-Vertretern geraunt, das Volk solle sich in acht nehmen, wessen Geschäfte es bei einer Ablehnung der Reform besorgt. ...Ein späterer Blick in den Verfassungsschutzbericht NRW zeigte, woher die Leute ihre sorgfältig verklausulierte Weisheit hatten: Danach benutzten die Rechten die Rechtschreibreform als Mittel der Unterwanderung. Unterschlagen wurde dabei aber, daß das Frey-Corps der DVU die Machtergreifung der Schreibdiktatoren unterstützt. Alle schmutzigen Tricks, die darauf in Schleswig-Holstein von Regierung und Unterstützerszene versucht wurden, schienen nun ihre Berechtigung daraus abzuleiten, den Einmarsch der Faschisten mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln zu verhindern.
Nach der erfolgreichen Unterschriftensammlung kam das Bangen, ob das Parlament überhaupt den vorgeschriebenen Beschluß zur Volksabstimmung fassen würde; dann das Gerangel um den Termin – ein Leserbriefschreiber schlug ironisch Weihnachten oder Neujahr vor; schließlich aus Kostengründen die Zusammenlegung mit der Bundestagswahl; dann das Ansinnen der Regierung, die Wahllokale für Wahl und Abstimmung räumlich zu trennen, das aber am Einspruch der Kommunen wegen der fehlenden ehrenamtlichen Helfer scheiterte; die Stimmzettel hatten plötzlich drei Ankreuzmöglichkeiten, wobei die Formulierung der Regierung derjenigen der Bürgerinitiative zum Verwechseln ähnlich war; die Greuelpropaganda der Bildungsministerin Böhrk von der „Insellage des Nordens; in den Zeitungen Aufrufe von Erziehungswissenschaftlern, doch die Reform anzunehmen; der Verband der Schulbuchverlage ließ sich eine Anzeigenkampagne für die Reform ein halbe Million Mark kosten; die derzeitige KMK-Vositzende Behler sprach dem Volk überhaupt jedes Recht ab, darüber zu entscheiden, ob „Thron mit oder ohne h geschrieben werde, genauso, wie es nicht über Erkenntnisse der Wissenschaft entscheiden könne.
Allen Tricks zum Trotz entschied sich das Volk gegen die Rechtschreibreform. Das Wutgeheul der „fortschrittlichen Kräfte stand in keinem Verhältnis zu der von ihnen immer behaupteten Unwichtigkeit der Entscheidung. Das aufgeblasene Gerede von den armen Schülern, die nun „alles umlernen müßten, war schlicht die Unwahrheit. Meine Tochter hatte in den zwei Jahren vorauseilender Einführung der Reform noch kein einziges Wort im Neuschrieb zu Papier gebracht.
Der Kampf der regierenden Volksvertreter gegen das Volk ging jedoch weiter. Die Regierungschefin dachte gar nicht daran, sich für die Interessen des Volkes und schon gar nicht bei den übrigen Länderregierungen einzusetzen. Die Parteien vereinbarten insgeheim eine Überprüfung der Festschreibung der bisherigen Rechtschreibung nach zwei Jahren. Die gescheiterte Bildungsministerin wurde durch die unbelastete Erdsiek-Rave abgelöst, die, obwohl skeptisch gegen das dritte f in Schiffahrt, unbeirrt flexibel die Unterdrückung des Volkswillens neu organisierte. Der notwendige Erlaß zur Rechtschreibung verfügte neben der gewohnten Rechtschreibung die gleichrangig zulässige Verwendung der „neuen – ohne Kennzeichnung „u (für „unerwünscht), wie davor „ü" („überholt) für die klassische Schreibung. In vielen Schulen wurde von ideologisierten GEW-Lehrern die herkömmliche Schreibung weiterhin rot angestrichen, angeblich in einigen Schulen sogar als Fehler bewertet. Zeugnisse und Beurteilungen wurden demonstrativ in der „neuen Rechtschreibung verfaßt. Der Nervenkrieg gegen die Eltern wurde verstärkt, die Schulbücher in neuer Rechtschreibung zahlreicher. Der Buchriese Bertelsmann machte den Schulen mit geheimem Einverständnis der Regierung zehntausend (als fehlerhaft unverkäufliche) Neuschreibwörterbücher zum Geschenk.
Schließlich eröffnete die Regierung eine weitere Front zur Isolierung und Einmauerung der Schulen: Da der Volksentscheid formal nur für die Schulen galt, bereitete Innenminister Wienholtz einen Erlaß zur Einführung der neuen Schreibung bei Ämtern und Behörden vor, um die Prophezeiung der Ministerpräsidentin Simonis selbsterfüllend zu verwirklichen: Die Kinder lernten in der Schule eine Schreibung, die es in der ganzen Welt nicht mehr gibt. Bald hätten die Schüler nicht einmal mehr im eigenen Bundesland in den Staatsdienst treten können. Das bewog den frisch importierten Kandidaten Volker Rühe („Alle Macht geht vom Volker aus!“), wie ein Hauptmann von Köpenick in seiner Parteizentrale aufzutreten und den Schwenk seiner Partei zur Reform einzuleiten.
Ich schrieb ihm am 19.08.99:
Sehr geehrter Herr Rühe,
vor längerer Zeit wurden von Psychologen Tests durchgeführt zur Erkundung der Widerstandsfähigkeit von Normalbürgern gegen Verführungen, an Mißhandlungen von Menschen teilzunehmen. Die Probanden mußten für „wissenschaftlich notwendige, aber völlig harmlose Experimente Patienten, die im Nachbarraum angeschnallt waren, per Knopfdruck vermeintlich unter Elektroschocks setzen, wobei deren (simulierte) Schreie nach draußen übertragen wurden. Den meisten Versuchspersonen kamen Bedenken wegen ihrer Tätigkeit erst sehr spät oder überhaupt nicht.
Die „Rechtschreibreform mit ihren antidemokratischen Begleitumständen ist ein ähnlicher Test für die Widerstandskraft der Politiker und Medienmächtigen gegen die Versuchung, an Mißhandlungen der Demokratie teilzunehmen. Leider ist er mit Kosten bis zu 50 Milliarden DM recht teuer....
Damit ist natürlich eine Verbindung hergestellt von den ständigen Abstumpfungen des demokratischen Empfindens der Bürger durch die Politiker im kleinen zum möglichen Zusammenbruch der Demokratie in Extremsituationen. Eine Antwort habe ich von Herrn Rühe nicht erhalten. In einer seiner Wahlkampfveranstaltungen äußerte er aber, er habe wegen seines Schwenks in der Rechtschreibfrage „Briefe mit unflätigen Beschimpfungen erhalten.
(Dies auch denjenigen in den anderen Gesprächsgruppen, die keine Gedankenverbindung von „Reform und NS-Zeit zulassen wollen.)
__________________
Sigmar Salzburg
|