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Manfred Riebe
09.04.2001 22.00
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Jean-Marie Zemb: Reform schadet im Ausland

VRS – Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege e.V.
- Initiative gegen die Rechtschreibreform -

Für die 16 deutschen Kultusminister hätte ja der Austritt der Professoren Horst Haider Munske (Erlangen) und Peter Eisenberg (Potsdam) aus der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung (Mannheim) ein deutliches Warnzeichen sein müssen. Vielleicht hören die Kultusminister, die nicht einmal ausgewiesene deutsche Sprachwissenschaftler um Rat fragten, wenigstens auf die Stimmen aus dem Ausland. Der VRS möchte deshalb auf den Aufsatz von Jean-Marie Zemb aufmerksam machen, dem Verfasser des Büchleins „Für eine sinnige Rechtschreibung. Eine Aufforderung zur Besinnung ohne Gesichtsverlust“. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1997, 154 Seiten.
________________________________________

Ein Grund mehr, nicht Deutsch zu lernen

Einspruch aus Paris: Die Reform der Orthographie schadet im Ausland / Von Jean-Marie Zemb

Etliche Befürworter der Rechtschreibreform meinen, in Deutschland komme die Änderung von der Basis und aus der Wissenschaft und nicht wie in Frankreich von der Oligarchie der Académie française. Dies trifft aber nicht zu. Die Akademie am Quai Conti schreibt ihr Wörterbuch, zwingt es aber niemandem auf und läßt sich nichts vorschreiben. Vor einigen Jahren hat sie mehreren von Lexikologen vorgeschlagenen geringfügigen Änderungen zugestimmt, aber nicht ohne ausführliche Debatten, insbesondere mit den Schriftstellern. Das betrifft auch die Behandlung des „franglais“.

In jedem französischen Ministerium gibt es eine Kommission für Terminologie, die nach langen Gesprächen mit Leuten vom Fach Vorschläge bei der „Commission générale de terminologie et de néologie“ einreicht. Diese Kommission, deren Mitglieder ehrenamtlich arbeiten, diskutiert die Vorschläge wiederum gründlich, und zwar wieder mit Leuten vom Fach. Die Generalkommission modifiziert gegebenenfalls die Schreibweise und prüft die Definitionen. Die Vorschläge gibt sie an die „Académie française“ weiter. Diese segnet nun ab, widerspricht oder macht gelegentlich Gegenvorschläge. Das ganze Paket geht dann zurück an die vom Premierminister eingesetzte „Commission générale“. Diese wiederum hält an ihren ursprünglichen Vorschlägen fest oder gibt die von der Akademie gerügten Ausdrücke zur fachlichen Neuberatung an die Einzelkommissionen zurück. Dieser behutsame, aber liberale Kreislauf wird nur selten mehrfach wiederholt.

Am Schluß der Kette steht dann alle paar Jahre ein Lexikon der neuen Begriffe. Zwischendurch gibt eine eigene Behörde, die „Délégation générale à la langue française“, Hefte im Taschenformat mit Empfehlungen heraus, etwa zur Sprache der Informatik, des Internets, des Treibstoffs, ja des Sports. Daß diese Bemühungen nicht sinnlos sind, beweist der Umstand, daß sich inzwischen sogar die Fußballsprache von einigen Ausdrücken des ungeliebten „franglais“ gereinigt hat, etwa den Bezeichnungen für „Tor“ und „Elfmeter“.

Sprachpolitische Instanzen wie der „Conseil supérieur de la langue française“ und wissenschaftliche Forschungsgremien wie das „Institut national de la langue française“ beteiligen sich an allen Überlegungen zum „Standort“ des Französischen. In großen Tageszeitungen würde keine „Sprachecke“ auf philologisches Niveau verzichten und findet deshalb auch in den aufgezählten Gremien Gehör. Diese Prozeduren werden als Form und Norm einer adäquaten Entwicklung der Sprache verstanden.

Zur strafrechtlichen Bedeutung der „Lex Toubon“, die das „franglais“ betrifft – Bußgelder werden an Sprachpflegevereine überwiesen –, muß man wissen, daß nicht Französischtümelei Anklage und Urteilsspruch inspiriert, sondern der Verbraucherschutz. Die Werbung soll weder in ihrem Wortlaut unverständlich noch wegen unscharfer Definitionen mißverständlich sein. Daß in Deutschland sogar bei gefährlichen Gegenständen Gebrauchsanweisungen ohne deutsche Fassung geduldet oder unverständliche Übersetzungen beigelegt werden, erscheint einem Franzosen kurios, wie die gegenwärtigen diplomatischen Bemühungen um die Sprachregelung im europäischen Patentrecht zeigen. Die französischen Einrichtungen wollen der Bevölkerung nicht lästig fallen, sondern sie vor Irreführung schützen.

Hinzu kommt, daß in Frankreich Dichter und Schriftsteller nicht als Querulanten gelten, deren Meinung man einfach überhören kann, sondern als Seismographen der Sprache. In Frankreich versteht man deshalb die schroffe Abfuhr nicht, die dieser Zeitung von offizieller Seite entgegenschlug, als sie zum 1. August zur herkömmlichen Rechtschreibung zurückkehrte. Verblüfft hat die Franzosen vor allem das Argument der Kultusminister, man solle doch die neuen Regeln nicht so genau nehmen oder befolgen, da sie ohnehin laufend verbessert würden.

In Deutschland hat sich die Gesamtsituation des sprachlichen „Standorts“ verschlechtert. Das Deutsche, auch das mit englischen Elementen durchsetzte Deutsche, ist dabei, die in kommunikativer Hinsicht wichtigste Eigenschaft eines Dialektes anzunehmen: Auf gleiche Weise Gedachtes wird uneinheitlich geschrieben. Die Vermehrung der Schreibweisen des Deutschen führt dazu, daß es bald nicht mehr zu den gelesenen (und im Ausland gelernten) Sprachen gehören wird. Warum, fragen besorgte Eltern in Frankreich, sollten ihre Kinder Deutsch lernen, wenn die Deutschen es in ihren Chefetagen schon aufgegeben haben?

An dieser Stelle darf wiederholt werden, daß die alte Kommasetzung gewiß nicht vollkommen war. Sie war verbesserungsbedürftig, freilich nicht in der Richtung der Beliebigkeit. Das deutsche Komma ist zweideutig: Es grenzt sogenannte Nebensätze ein und grenzt sogenannte Appositionen aus. Nun bleibt aber der Relativsatz immer ein Relativsatz und wird als solcher durch einen Beistrich signalisiert, ohne daß sofort und eindeutig zu erkennen wäre, ob er eine integrierte Einschränkung oder eine zusätzliche, die Gesamtmenge betreffende Information bringt. Die Verleitung zu Übersetzungsfehlern wird in diesem Zusammenhang zwar selten erwähnt, darf aber in der Debatte über Fehleranfälligkeit eines Schreibsystems eigentlich nicht fehlen.

Ein letztes Beispiel soll verdeutlichen, daß es Neuregelungen gibt, die sowohl innerhalb der Sprache wie bei Übersetzungen zu Fehlern führen. Die Fälle sind hinlänglich bekannt, zumal sie zu kostspieligen Privatversionen der Reform geführt haben und seit Jahren eine unerschöpfliche Quelle für Humor und Satire sind. Gemeint ist die neue Getrenntschreibung, etwa von wiedervereinigt und wohlüberlegt. Läßt sich zu „wieder vereinigt“ und zu „wohl überlegt“ überhaupt noch etwas anführen? Durchaus. In beiden Fällen markieren beide Schreibungen nicht nur subtile Nuancen, sondern verschiedene grammatische Funktionen. Die einheitliche getrennte Neuschreibung scheint dies zu verkennen. In den alten Wörtern „wiedervereinigt“ und „wohlüberlegt“ waren „wieder-“ und „wohl-“ Bestandteile eines selben, einheitlich gedachten Ausdrucks und wurden als solche durch eine im Sinn bleibende gesprochene und geschriebene Ligatur ausgezeichnet. Steht „wieder“ allein wie in „Hat er schon wieder den Zug verpaßt?“ oder in „Wann wurde Polen wieder geteilt?“, ist es eine Umstandsangabe, ein sogenanntes Argument. Wenn „wohl“ allein steht, kann es beispielsweise durch „ja!“, „tatsächlich“ oder „keinesfalls“ ersetzt werden, und zwar als „Modalisator“ der Aussage.

Ohne in die Details einzugehen, wird jeder diese Frage verstehen: „Haben sich die Reformer die Folgelasten wohl überlegt?“ Hieße das heute wohl „. . . wohl wohl überlegt“? Gewiß, die Kennzeichnung von grammatischen Differenzierungen aufzugeben wäre zwar eine arge Verarmung der Sprache, aber als solche keine direkte Fehlerquelle, kann doch jeder Sprachkundige sich den Unterschied denken. Aber wo sollen die den fremdsprachigen Lesern des Deutschen unbekannten Bedeutungen nachgeschlagen werden, wenn sie in keinem zweisprachigen Wörterbuch mehr verzeichnet sind – oder soll das zweisprachige Wörterbuch andere und mehr Wörter verzeichnen als das einsprachige?

Der vor Generationen an die „Académie française“ ergangene Auftrag, die Entwicklung der Sprache an ihren Früchten und Folgen zu messen, verband „dictionnaire“ und „grammaire“, Wörterbuch und Grammatik. Der Sprachwissenschaftler hat längst verstanden, daß es sich bei diesem Werk um eine sogenannte offene Liste handelt, die entsprechend zu behandeln wäre, und zwar ohne die sehr eingängigen falschen Muster. Auch dem Computer müßte zum Analysieren der Getrenntschreibung mitgeteilt werden, ob es sich um einen der zu 99 Prozent nach dem alten System gedruckten Texte handelt, wo „wohl überlegt“ nicht auch „wohlüberlegt“ heißen kann, oder um einen Text, der nach den Absichten der Reformer nur noch „wohl überlegt“ kennt.

So gesellen sich den alten Argumenten ein paar neue hinzu, wenn sich die Neuregler, als könnten sie aus ihrer Sackgasse nicht mehr heraus, weiterhin sträuben, die Grammatik, die Informatik, die Fremdenfreundlichkeit und die wirklichen Lernschwierigkeiten etwas mehr zu beachten. Deswegen verdient die Frankfurter Allgemeine Zeitung keine Rüge wegen vorschnellen Rückfalls, sondern ein Lob wegen besonnenen Fortschritts.

Der Autor ist emeritierter Professor des Collège de France, Mitglied der „Commission générale de terminologie et de néologie“ und der „Académie des sciences morales et politiques“.

In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. August 2000, S. 44



VRS – Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg

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Wolfgang Wrase
09.04.2001 22.00
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Handvoll/Hand voll - schwierig??

Ob man mit Jansenscher Gehirnakrobatik in das neue Regelwerk vielleicht doch hineininterpretieren könnte, daß auch „Handvoll“ zulässig sei, interessiert mich wenig. Mir genügt es, daß die Reformer es nicht so sehen, daß alle reformierten Lexika die Zerlegung in „Hand voll“ vorsehen (wenn sie es bei manchen Parallelfällen auch vergessen haben, mangels genauerer Instruktion) und daß die Presse diese Aufspaltung von „Handvoll“ gemäß dpa-Vorgabe auch übernommen hat. Wo haben wir einen einzigen Kommentar von den Reformern oder von einem Lexikonverlag, der die Differenzierung „Handvoll"/"Hand voll“ für zulässig hält, und zwar auf der Grundlage der Neuregelung? Auschlußreich finde ich es in diesem Zusammenhang hächstens, daß es Herrn Jansen nicht kümmert, was die Reformer und alle einschlägigen Schriften verlangen, und dennoch für deren Werk eintritt – eine merkwürdige Solidarität, die so gar nicht zu der von Herrn Jansen rein äußerlich bemühten logischen Stringenz paßt.

Interessant ist für mich, daß die Reformer das überhaupt so wollten, das heißt, daß sie in der Differenzierung „Handvoll"/"Hand voll“ eine der Gemeinschaft der Schreibenden vom Duden einst aufgenötigte Schwierigkeit sehen (!!). Das muß man sich vorstellen – das muß man sich vergegenwärtigen! Genauso sei schwierig, stellen sich diese Deppen nach jahrzehntelanger Beratung vor: „leid tun"/"ein Leid (an)tun“; „aufeinandertreffen"/"aufeinander aufbauen“; „Gams"/"Gemse“ usw. Es wurde doch zum Beispiel triumphiert: Die „Stärkung des Stammprinzips“ (in „Gämse“) erleichtere den Kindern das Schreiben.

Wer solche idiotischen Vorstellungen hat, wer nicht kapiert, daß „Gemse“ um keinen Deut schwieriger zu lernen und zu schreiben ist als „Gemse“, wer nicht versteht, daß die Schreiber selbst das intuitive Bedürfnis haben, „aufeinandertreffen“ so zu schreiben wie „zusammentreffen“ und nicht wie „aufeinander aufbauen“, daß sie in „leid tun“ dasselbe empfinden wie in „etwas leid sein“ und hier kein Substantiv herausspüren – der ist so haarsträubend inkompetent, daß wir in der Tat eine typisch deutsche, perverse Obrigkeitshörigkeit vor uns haben, wenn jemand hier mit der „Gültigkeit“ oder „Befolgung“ einer „offiziellen“ Rechtschreibung argumentiert, wie das Frau Kopsch tut, und dabei unter anderem vergißt, daß gerade die besten deutschen Schriftsteller die Rechtschreibreform für einen „kostspieligen Unsinn“ halten (Walter Kempowski) oder für die Erfindung von fachlich „impotenten“ „Sesselfurzern“ (Hans Magnus Enzensberger), um nur zwei von ihnen zu zitieren –, und daß von „Rechtschreibung“ sowieso nicht mehr die Rede sein kann, wo die Einheitsschreibung in Wirklichkeit zerstört wird, denn Rechtschreibung heißt schlicht und ergreifend „einheitlich schreiben“. Und bei Herrn Jansen haben wir wieder einmal einen typisch deutschen Normenfetischismus vor uns. Mit einer solchen Deformation des gesunden Menschenverstandes kann man hingebungsvoll im Paragraphendschungel herumturnen, anstatt zu erkennen (bzw. zuzugeben), daß das ganze Unternehmen in vielerlei Hinsicht schlicht und ergreifend destruktiv und bescheuert ist. Oder um das Beispiel zurückzukommen: Wieviel einfacher, wie unendlich einfach wäre es doch (gewesen), die allgemein anerkannte, überall praktizierte Unterscheidung zwischen „Handvoll"/"Hand voll“ zu registrieren, ihre Funktion und ihre Parallelität mit unzähligen nach demselben Prinzip getroffenen Entscheidungen der Sprachgemeinschaft in der Getrennt-/Zusammenschreibung nachzuvollziehen und ergo schlicht und ergreifend auf die sachwidrige „Vereinheitlichung“ des Verschiedenen zu verzichten. Und wieviel einfacher wäre es, zur Vernunft ohne Umschweife zurückzukehren, anstatt sich in geradezu faschistoider Unterwerfung alle noch so unsinnigen Anordnungen der Obrigkeit zu eigen zu machen, selbst wenn man dazu nicht verpflichtet ist.

Herrn Illauer möchte ich noch sagen: Ich finde Ihr Umgehen mit der Reform in der Schule sehr vorbildlich und einleuchtend. Auch ich entziehe mich manchmal der Neuregelung, auch wenn sie ausdrücklich verlangt wird. Zum Beispiel habe ich in Geschäftsberichten für Banken die „kapitalbildenden“ Maßnahmen nicht in „Kapital bildende“ Maßnahmen zerlegt, weil ich mir sagte, das gibt nur Diskussionen und Ärger, und das will ich meinen Mitarbeitern ersparen; vermutlich würde die betreffende Bank sowieso auf der Zusammenschreibung bestehen, und jedenfalls merkt es keiner, wenn ich auf die Zerlegung verzichte (wer kann schon die Regeln?). Letztlich muß man natürlich an die Umwelt eine gewisse Anpassung leisten, und deshalb verstehe ich es sehr gut, wenn Sie zunächst einmal nicht auch noch die ss-Neuerung im Unterricht aushebeln.



Wolfgang Wrase
München

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Gast
09.04.2001 22.00
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fern halten / fernbleiben

férn halten / férnbleiben
Einmal getrennt, einmal zusammen.
Ich stehe wieder einmal vor einem Rätsel.
Da scheint wieder einmal ein geheimnisvolles Kriterium eine geheimnisvolle Rolle zu spielen.
Wieder ein Beispiel für die Absurdität der neuen Kriterien. Offenbar kann man das „fern“ bei halten steigern oder erweitern, das „fern“ bei bleiben nicht.
Das alles ist schwieriger als höhere Mathematik.
Wann gibt es einen neuen Duden? Der jetzige ist ein Rätselbuch.



Wolfgang Illauer
Von-Richthofen-Straße 20, 86356 Neusäß

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Walter Lachenmann
09.04.2001 22.00
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Die Franzosen...

... als Reformmuffel würden nicht wie Frau Kopsch sagen: »je m’en fou«, obwohl dies als eine irgendwie zusammenfaselbare Volksetymologie über »fou« (verrückt) gesehen werden könnte und vielleicht deshalb für uns Deutsche offenbar die näherliegende Schreibweise wäre, sondern sie würden bleiben bei »je m’en fous«, aus grammatikalischen Gründen, und recht hätten sie.
Und die Köpfe schütteln sie u.a. darüber, weil sie sich fragen, ob sie noch ihre »alten« Wörterbücher Französisch/Deutsch : Deutsch/Französisch gebrauchen können, oder jetzt auch davon jeweils zwei Ausgaben haben müssen: für reformiertes Deutsch die eine (ob es eine solche schon gibt, ist mir nicht bekannt), und die andere für alle Literatur, die vor der Reform erschienen ist bzw. für Texte die bei den alten Schreibweisen bleiben. Der deutsche Wortschatz hat sich ja nicht unwesentlich verändert, quantitativ und qualitativ. Die Orientierung dürfte für Ausländer, die sich ernstlich mit der deutschen Sprache befassen, schwierig geworden sein.



Walter Lachenmann

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Theodor Ickler
09.04.2001 22.00
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Deutsch als Fremdsprache ...

leidet besonders unter der Rechtschreibreform.
Erstens, weil überhaupt etwas geändert wird. Das ist immer ein Grund der Verunsicherung, aber im Ausland war sofort klar, daß nun neue Bücher angeschafft werden müssen. Besonders in der Dritten Welt hat man nicht einmal für die allernotwendigsten Anschaffungen genug Mittel. Ich habe in Indien erlebt, daß Studenten die Lehrbücher auswendig lernen, weil sie sich keine kaufen können. Die Bibliotheken der Deutschabteilungen sind armselig. Man bedenke auch, daß zugleich reihenweise Goethe-Institute geschlossen werden müssen. Daß sich das Goethe-Institut nicht gegen die Reform gewehrt, sondern sich sogleich in die Reformpropaganda eingereiht hat, gehört zu den bisher nicht aufgeklärten Merkwürdigkeiten.(Unter www.goethe.de findet man bis zum heutigen Tage eine völlig unkritische Reformpropaganda.)
Zweitens, weil die ausländischen Germanisten natürlich wissen, daß die Reform Unsinn ist.
Drittens, weil die eilige Umstellung der Deutsch-Lehrwerke zu grauenhaft falschen Texten geführt hat.
Viertens, weil die Wörterbücher weitgehend unbrauchbar geworden sind. Ganz normale deutsche Wörter sind getilgt, völlig ungebräuchliche Schreibungen angeführt. Ich habe das in Rezensionen aufgedeckt.
Fünftens, weil die unumgängliche Revision der Reform im Gange ist und dieselben Kosten und Verwirrungen schon wieder anstehen.
Und dies alles in einer Zeit, da die Stellung des Deutschen trotz der Größe der Sprachgemeinschaft alles andere als gesichert ist!

Liebe Freunde, seit heute gibt es mein Buch „Regelungsgewalt – Hintergründe der Rechtschreibreform“. Herr Dräger hat es dankenswerterweise in seinem Leibniz Verlag (Sankt Goar) herausgebracht. Es ist – bei gut dreifachem Umfang – nicht ganz so unterhaltsam wie der „Schildbürgerstreich“, aber ich denke, die mitgeteilten Tatsachen rechtfertigen eine solche Veröffentlichung. Da ich keine Pfennig daran verdiene, darf ich wohl hier ein bißchen Reklame machen.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Theodor Ickler
09.04.2001 22.00
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Deutsch als Fremdsprache ...

leidet besonders unter der Rechtschreibreform.
Erstens, weil überhaupt etwas geändert wird. Das ist immer ein Grund der Verunsicherung, aber im Ausland war sofort klar, daß nun neue Bücher angeschafft werden müssen. Besonders in der Dritten Welt hat man nicht einmal für die allernotwendigsten Anschaffungen genug Mittel. Ich habe in Indien erlebt, daß Studenten die Lehrbücher auswendig lernen, weil sie sich keine kaufen können. Die Bibliotheken der Deutschabteilungen sind armselig. Man bedenke auch, daß zugleich reihenweise Goethe-Institute geschlossen werden müssen. Daß sich das Goethe-Institut nicht gegen die Reform gewehrt, sondern sich sogleich in die Reformpropaganda eingereiht hat, gehört zu den bisher nicht aufgeklärten Merkwürdigkeiten.(Unter www.goethe.de findet man bis zum heutigen Tage eine völlig unkritische Reformpropaganda.)
Zweitens, weil die ausländischen Germanisten natürlich wissen, daß die Reform Unsinn ist.
Drittens, weil die eilige Umstellung der Deutsch-Lehrwerke zu grauenhaft falschen Texten geführt hat.
Viertens, weil die Wörterbücher weitgehend unbrauchbar geworden sind. Ganz normale deutsche Wörter sind getilgt, völlig ungebräuchliche Schreibungen angeführt. Ich habe das in Rezensionen aufgedeckt.
Fünftens, weil die unumgängliche Revision der Reform im Gange ist und dieselben Kosten und Verwirrungen schon wieder anstehen.
Und dies alles in einer Zeit, da die Stellung des Deutschen trotz der Größe der Sprachgemeinschaft alles andere als gesichert ist!

Liebe Freunde, seit heute gibt es mein Buch „Regelungsgewalt – Hintergründe der Rechtschreibreform“. Herr Dräger hat es dankenswerterweise in seinem Leibniz Verlag (Sankt Goar) herausgebracht. Es ist – bei gut dreifachem Umfang – nicht ganz so unterhaltsam wie der „Schildbürgerstreich“, aber ich denke, die mitgeteilten Tatsachen rechtfertigen eine solche Veröffentlichung. Da ich keine Pfennig daran verdiene, darf ich wohl hier ein bißchen Reklame machen.



Theodor Ickler
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Walter Lachenmann
09.04.2001 22.00
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Die Franzosen...

... als Reformmuffel würden nicht wie Frau Kopsch sagen: »je m’en fou«, obwohl dies als eine irgendwie zusammenfaselbare Volksetymologie über »fou« (verrückt) gesehen werden könnte und vielleicht deshalb für uns Deutsche offenbar die näherliegende Schreibweise wäre, sondern sie würden bleiben bei »je m’en fous«, aus grammatikalischen Gründen, und recht hätten sie.
Und die Köpfe schütteln sie u.a. darüber, weil sie sich fragen, ob sie noch ihre »alten« Wörterbücher Französisch/Deutsch : Deutsch/Französisch gebrauchen können, oder jetzt auch davon jeweils zwei Ausgaben haben müssen: für reformiertes Deutsch die eine (ob es eine solche schon gibt, ist mir nicht bekannt), und die andere für alle Literatur, die vor der Reform erschienen ist bzw. für Texte die bei den alten Schreibweisen bleiben. Der deutsche Wortschatz hat sich ja nicht unwesentlich verändert, quantitativ und qualitativ. Die Orientierung dürfte für Ausländer, die sich ernstlich mit der deutschen Sprache befassen, schwierig geworden sein.



Walter Lachenmann

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Gast
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férn halten / férnbleiben
Einmal getrennt, einmal zusammen.
Ich stehe wieder einmal vor einem Rätsel.
Da scheint wieder einmal ein geheimnisvolles Kriterium eine geheimnisvolle Rolle zu spielen.
Wieder ein Beispiel für die Absurdität der neuen Kriterien. Offenbar kann man das „fern“ bei halten steigern oder erweitern, das „fern“ bei bleiben nicht.
Das alles ist schwieriger als höhere Mathematik.
Wann gibt es einen neuen Duden? Der jetzige ist ein Rätselbuch.



Wolfgang Illauer
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Wolfgang Wrase
09.04.2001 22.00
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Ob man mit Jansenscher Gehirnakrobatik in das neue Regelwerk vielleicht doch hineininterpretieren könnte, daß auch „Handvoll“ zulässig sei, interessiert mich wenig. Mir genügt es, daß die Reformer es nicht so sehen, daß alle reformierten Lexika die Zerlegung in „Hand voll“ vorsehen (wenn sie es bei manchen Parallelfällen auch vergessen haben, mangels genauerer Instruktion) und daß die Presse diese Aufspaltung von „Handvoll“ gemäß dpa-Vorgabe auch übernommen hat. Wo haben wir einen einzigen Kommentar von den Reformern oder von einem Lexikonverlag, der die Differenzierung „Handvoll"/"Hand voll“ für zulässig hält, und zwar auf der Grundlage der Neuregelung? Auschlußreich finde ich es in diesem Zusammenhang hächstens, daß es Herrn Jansen nicht kümmert, was die Reformer und alle einschlägigen Schriften verlangen, und dennoch für deren Werk eintritt – eine merkwürdige Solidarität, die so gar nicht zu der von Herrn Jansen rein äußerlich bemühten logischen Stringenz paßt.

Interessant ist für mich, daß die Reformer das überhaupt so wollten, das heißt, daß sie in der Differenzierung „Handvoll"/"Hand voll“ eine der Gemeinschaft der Schreibenden vom Duden einst aufgenötigte Schwierigkeit sehen (!!). Das muß man sich vorstellen – das muß man sich vergegenwärtigen! Genauso sei schwierig, stellen sich diese Deppen nach jahrzehntelanger Beratung vor: „leid tun"/"ein Leid (an)tun“; „aufeinandertreffen"/"aufeinander aufbauen“; „Gams"/"Gemse“ usw. Es wurde doch zum Beispiel triumphiert: Die „Stärkung des Stammprinzips“ (in „Gämse“) erleichtere den Kindern das Schreiben.

Wer solche idiotischen Vorstellungen hat, wer nicht kapiert, daß „Gemse“ um keinen Deut schwieriger zu lernen und zu schreiben ist als „Gemse“, wer nicht versteht, daß die Schreiber selbst das intuitive Bedürfnis haben, „aufeinandertreffen“ so zu schreiben wie „zusammentreffen“ und nicht wie „aufeinander aufbauen“, daß sie in „leid tun“ dasselbe empfinden wie in „etwas leid sein“ und hier kein Substantiv herausspüren – der ist so haarsträubend inkompetent, daß wir in der Tat eine typisch deutsche, perverse Obrigkeitshörigkeit vor uns haben, wenn jemand hier mit der „Gültigkeit“ oder „Befolgung“ einer „offiziellen“ Rechtschreibung argumentiert, wie das Frau Kopsch tut, und dabei unter anderem vergißt, daß gerade die besten deutschen Schriftsteller die Rechtschreibreform für einen „kostspieligen Unsinn“ halten (Walter Kempowski) oder für die Erfindung von fachlich „impotenten“ „Sesselfurzern“ (Hans Magnus Enzensberger), um nur zwei von ihnen zu zitieren –, und daß von „Rechtschreibung“ sowieso nicht mehr die Rede sein kann, wo die Einheitsschreibung in Wirklichkeit zerstört wird, denn Rechtschreibung heißt schlicht und ergreifend „einheitlich schreiben“. Und bei Herrn Jansen haben wir wieder einmal einen typisch deutschen Normenfetischismus vor uns. Mit einer solchen Deformation des gesunden Menschenverstandes kann man hingebungsvoll im Paragraphendschungel herumturnen, anstatt zu erkennen (bzw. zuzugeben), daß das ganze Unternehmen in vielerlei Hinsicht schlicht und ergreifend destruktiv und bescheuert ist. Oder um das Beispiel zurückzukommen: Wieviel einfacher, wie unendlich einfach wäre es doch (gewesen), die allgemein anerkannte, überall praktizierte Unterscheidung zwischen „Handvoll"/"Hand voll“ zu registrieren, ihre Funktion und ihre Parallelität mit unzähligen nach demselben Prinzip getroffenen Entscheidungen der Sprachgemeinschaft in der Getrennt-/Zusammenschreibung nachzuvollziehen und ergo schlicht und ergreifend auf die sachwidrige „Vereinheitlichung“ des Verschiedenen zu verzichten. Und wieviel einfacher wäre es, zur Vernunft ohne Umschweife zurückzukehren, anstatt sich in geradezu faschistoider Unterwerfung alle noch so unsinnigen Anordnungen der Obrigkeit zu eigen zu machen, selbst wenn man dazu nicht verpflichtet ist.

Herrn Illauer möchte ich noch sagen: Ich finde Ihr Umgehen mit der Reform in der Schule sehr vorbildlich und einleuchtend. Auch ich entziehe mich manchmal der Neuregelung, auch wenn sie ausdrücklich verlangt wird. Zum Beispiel habe ich in Geschäftsberichten für Banken die „kapitalbildenden“ Maßnahmen nicht in „Kapital bildende“ Maßnahmen zerlegt, weil ich mir sagte, das gibt nur Diskussionen und Ärger, und das will ich meinen Mitarbeitern ersparen; vermutlich würde die betreffende Bank sowieso auf der Zusammenschreibung bestehen, und jedenfalls merkt es keiner, wenn ich auf die Zerlegung verzichte (wer kann schon die Regeln?). Letztlich muß man natürlich an die Umwelt eine gewisse Anpassung leisten, und deshalb verstehe ich es sehr gut, wenn Sie zunächst einmal nicht auch noch die ss-Neuerung im Unterricht aushebeln.



Wolfgang Wrase
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Manfred Riebe
09.04.2001 22.00
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- Initiative gegen die Rechtschreibreform -

Für die 16 deutschen Kultusminister hätte ja der Austritt der Professoren Horst Haider Munske (Erlangen) und Peter Eisenberg (Potsdam) aus der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung (Mannheim) ein deutliches Warnzeichen sein müssen. Vielleicht hören die Kultusminister, die nicht einmal ausgewiesene deutsche Sprachwissenschaftler um Rat fragten, wenigstens auf die Stimmen aus dem Ausland. Der VRS möchte deshalb auf den Aufsatz von Jean-Marie Zemb aufmerksam machen, dem Verfasser des Büchleins „Für eine sinnige Rechtschreibung. Eine Aufforderung zur Besinnung ohne Gesichtsverlust“. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1997, 154 Seiten.
________________________________________

Ein Grund mehr, nicht Deutsch zu lernen

Einspruch aus Paris: Die Reform der Orthographie schadet im Ausland / Von Jean-Marie Zemb

Etliche Befürworter der Rechtschreibreform meinen, in Deutschland komme die Änderung von der Basis und aus der Wissenschaft und nicht wie in Frankreich von der Oligarchie der Académie française. Dies trifft aber nicht zu. Die Akademie am Quai Conti schreibt ihr Wörterbuch, zwingt es aber niemandem auf und läßt sich nichts vorschreiben. Vor einigen Jahren hat sie mehreren von Lexikologen vorgeschlagenen geringfügigen Änderungen zugestimmt, aber nicht ohne ausführliche Debatten, insbesondere mit den Schriftstellern. Das betrifft auch die Behandlung des „franglais“.

In jedem französischen Ministerium gibt es eine Kommission für Terminologie, die nach langen Gesprächen mit Leuten vom Fach Vorschläge bei der „Commission générale de terminologie et de néologie“ einreicht. Diese Kommission, deren Mitglieder ehrenamtlich arbeiten, diskutiert die Vorschläge wiederum gründlich, und zwar wieder mit Leuten vom Fach. Die Generalkommission modifiziert gegebenenfalls die Schreibweise und prüft die Definitionen. Die Vorschläge gibt sie an die „Académie française“ weiter. Diese segnet nun ab, widerspricht oder macht gelegentlich Gegenvorschläge. Das ganze Paket geht dann zurück an die vom Premierminister eingesetzte „Commission générale“. Diese wiederum hält an ihren ursprünglichen Vorschlägen fest oder gibt die von der Akademie gerügten Ausdrücke zur fachlichen Neuberatung an die Einzelkommissionen zurück. Dieser behutsame, aber liberale Kreislauf wird nur selten mehrfach wiederholt.

Am Schluß der Kette steht dann alle paar Jahre ein Lexikon der neuen Begriffe. Zwischendurch gibt eine eigene Behörde, die „Délégation générale à la langue française“, Hefte im Taschenformat mit Empfehlungen heraus, etwa zur Sprache der Informatik, des Internets, des Treibstoffs, ja des Sports. Daß diese Bemühungen nicht sinnlos sind, beweist der Umstand, daß sich inzwischen sogar die Fußballsprache von einigen Ausdrücken des ungeliebten „franglais“ gereinigt hat, etwa den Bezeichnungen für „Tor“ und „Elfmeter“.

Sprachpolitische Instanzen wie der „Conseil supérieur de la langue française“ und wissenschaftliche Forschungsgremien wie das „Institut national de la langue française“ beteiligen sich an allen Überlegungen zum „Standort“ des Französischen. In großen Tageszeitungen würde keine „Sprachecke“ auf philologisches Niveau verzichten und findet deshalb auch in den aufgezählten Gremien Gehör. Diese Prozeduren werden als Form und Norm einer adäquaten Entwicklung der Sprache verstanden.

Zur strafrechtlichen Bedeutung der „Lex Toubon“, die das „franglais“ betrifft – Bußgelder werden an Sprachpflegevereine überwiesen –, muß man wissen, daß nicht Französischtümelei Anklage und Urteilsspruch inspiriert, sondern der Verbraucherschutz. Die Werbung soll weder in ihrem Wortlaut unverständlich noch wegen unscharfer Definitionen mißverständlich sein. Daß in Deutschland sogar bei gefährlichen Gegenständen Gebrauchsanweisungen ohne deutsche Fassung geduldet oder unverständliche Übersetzungen beigelegt werden, erscheint einem Franzosen kurios, wie die gegenwärtigen diplomatischen Bemühungen um die Sprachregelung im europäischen Patentrecht zeigen. Die französischen Einrichtungen wollen der Bevölkerung nicht lästig fallen, sondern sie vor Irreführung schützen.

Hinzu kommt, daß in Frankreich Dichter und Schriftsteller nicht als Querulanten gelten, deren Meinung man einfach überhören kann, sondern als Seismographen der Sprache. In Frankreich versteht man deshalb die schroffe Abfuhr nicht, die dieser Zeitung von offizieller Seite entgegenschlug, als sie zum 1. August zur herkömmlichen Rechtschreibung zurückkehrte. Verblüfft hat die Franzosen vor allem das Argument der Kultusminister, man solle doch die neuen Regeln nicht so genau nehmen oder befolgen, da sie ohnehin laufend verbessert würden.

In Deutschland hat sich die Gesamtsituation des sprachlichen „Standorts“ verschlechtert. Das Deutsche, auch das mit englischen Elementen durchsetzte Deutsche, ist dabei, die in kommunikativer Hinsicht wichtigste Eigenschaft eines Dialektes anzunehmen: Auf gleiche Weise Gedachtes wird uneinheitlich geschrieben. Die Vermehrung der Schreibweisen des Deutschen führt dazu, daß es bald nicht mehr zu den gelesenen (und im Ausland gelernten) Sprachen gehören wird. Warum, fragen besorgte Eltern in Frankreich, sollten ihre Kinder Deutsch lernen, wenn die Deutschen es in ihren Chefetagen schon aufgegeben haben?

An dieser Stelle darf wiederholt werden, daß die alte Kommasetzung gewiß nicht vollkommen war. Sie war verbesserungsbedürftig, freilich nicht in der Richtung der Beliebigkeit. Das deutsche Komma ist zweideutig: Es grenzt sogenannte Nebensätze ein und grenzt sogenannte Appositionen aus. Nun bleibt aber der Relativsatz immer ein Relativsatz und wird als solcher durch einen Beistrich signalisiert, ohne daß sofort und eindeutig zu erkennen wäre, ob er eine integrierte Einschränkung oder eine zusätzliche, die Gesamtmenge betreffende Information bringt. Die Verleitung zu Übersetzungsfehlern wird in diesem Zusammenhang zwar selten erwähnt, darf aber in der Debatte über Fehleranfälligkeit eines Schreibsystems eigentlich nicht fehlen.

Ein letztes Beispiel soll verdeutlichen, daß es Neuregelungen gibt, die sowohl innerhalb der Sprache wie bei Übersetzungen zu Fehlern führen. Die Fälle sind hinlänglich bekannt, zumal sie zu kostspieligen Privatversionen der Reform geführt haben und seit Jahren eine unerschöpfliche Quelle für Humor und Satire sind. Gemeint ist die neue Getrenntschreibung, etwa von wiedervereinigt und wohlüberlegt. Läßt sich zu „wieder vereinigt“ und zu „wohl überlegt“ überhaupt noch etwas anführen? Durchaus. In beiden Fällen markieren beide Schreibungen nicht nur subtile Nuancen, sondern verschiedene grammatische Funktionen. Die einheitliche getrennte Neuschreibung scheint dies zu verkennen. In den alten Wörtern „wiedervereinigt“ und „wohlüberlegt“ waren „wieder-“ und „wohl-“ Bestandteile eines selben, einheitlich gedachten Ausdrucks und wurden als solche durch eine im Sinn bleibende gesprochene und geschriebene Ligatur ausgezeichnet. Steht „wieder“ allein wie in „Hat er schon wieder den Zug verpaßt?“ oder in „Wann wurde Polen wieder geteilt?“, ist es eine Umstandsangabe, ein sogenanntes Argument. Wenn „wohl“ allein steht, kann es beispielsweise durch „ja!“, „tatsächlich“ oder „keinesfalls“ ersetzt werden, und zwar als „Modalisator“ der Aussage.

Ohne in die Details einzugehen, wird jeder diese Frage verstehen: „Haben sich die Reformer die Folgelasten wohl überlegt?“ Hieße das heute wohl „. . . wohl wohl überlegt“? Gewiß, die Kennzeichnung von grammatischen Differenzierungen aufzugeben wäre zwar eine arge Verarmung der Sprache, aber als solche keine direkte Fehlerquelle, kann doch jeder Sprachkundige sich den Unterschied denken. Aber wo sollen die den fremdsprachigen Lesern des Deutschen unbekannten Bedeutungen nachgeschlagen werden, wenn sie in keinem zweisprachigen Wörterbuch mehr verzeichnet sind – oder soll das zweisprachige Wörterbuch andere und mehr Wörter verzeichnen als das einsprachige?

Der vor Generationen an die „Académie française“ ergangene Auftrag, die Entwicklung der Sprache an ihren Früchten und Folgen zu messen, verband „dictionnaire“ und „grammaire“, Wörterbuch und Grammatik. Der Sprachwissenschaftler hat längst verstanden, daß es sich bei diesem Werk um eine sogenannte offene Liste handelt, die entsprechend zu behandeln wäre, und zwar ohne die sehr eingängigen falschen Muster. Auch dem Computer müßte zum Analysieren der Getrenntschreibung mitgeteilt werden, ob es sich um einen der zu 99 Prozent nach dem alten System gedruckten Texte handelt, wo „wohl überlegt“ nicht auch „wohlüberlegt“ heißen kann, oder um einen Text, der nach den Absichten der Reformer nur noch „wohl überlegt“ kennt.

So gesellen sich den alten Argumenten ein paar neue hinzu, wenn sich die Neuregler, als könnten sie aus ihrer Sackgasse nicht mehr heraus, weiterhin sträuben, die Grammatik, die Informatik, die Fremdenfreundlichkeit und die wirklichen Lernschwierigkeiten etwas mehr zu beachten. Deswegen verdient die Frankfurter Allgemeine Zeitung keine Rüge wegen vorschnellen Rückfalls, sondern ein Lob wegen besonnenen Fortschritts.

Der Autor ist emeritierter Professor des Collège de France, Mitglied der „Commission générale de terminologie et de néologie“ und der „Académie des sciences morales et politiques“.

In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. August 2000, S. 44



VRS – Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg

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Theodor Ickler
09.04.2001 22.00
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Le bon usage

Spekulationen über das, was „die“ Franzosen unter gewissen Umständen, die man sich in Frankreich ohnehin schwer vorstellen kann, sagen oder nicht sagen würden, scheinen mir müßig. Fest steht, daß in Frankreich bei der Ermittlung des bon usage immer die Schriftsteller in hohem Ansehen standen, während unsere Schriftsteller, auch und gerade die besten, von Kultusministern als verschlafene Trottel und vom IDS als halbe Psychopathen hingestellt werden. Am ausführlichsten hat sich aus französischer Sicht Professor Jean M. Zemb geäußert, natürlich scharf ablehnend (bis auf die ss-Schreibung, die er aus der Sicht des ausländischen Lesers schon früher befürwortet hat).



Theodor Ickler
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Manfred Riebe
09.04.2001 22.00
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Wie man sich als Lehrer auch dem “ss³ teilweise entziehen kann

Ich nehme Bezug auf die Beiträge von Wolfgang Illauer und Norbert Schäbler. Ich habe in www.deutsche-sprachwelt.de das Beispiel der Gesamtschulrektorin Gisa Berger gebracht, die sich grundsätzlich weigert, die sogenannte neue Rechtschreibung zu unterrichten. Sie erhielt deshalb den Bürger-Oskar für Zivilcourage der „Passauer Neuen Presse“. Die meisten Lehrer, die nicht Deutsch unterrichten, setzen den Neuschrieb ohnehin nicht um.

Lehrer sollen die Schüler zu mündigen demokratischen Staatsbürgern erziehen. Man kann daher erwarten, daß Deutschlehrer privat weiterhin die traditionellen Rechtscheibung anwenden und sich beruflich zumindest teilweise dem Neuschrieb und auch der ss-Schreibung entziehen. Studiendirektor Wolfgang Illauer bringt Beispiele hierfür.

Ein Lehrer kann im Rahmen seines Unterrichts- und Erziehungsauftrages die bewährte traditionelle Erwachsenenschreibung des Duden, 20. Auflage, bei der Korrektur, an der Tafel (alternativ), in Zeugnissen und in Schreiben an Eltern praktizieren. Er kann im Unterricht deren Vorteile aufzeigen und dadurch dazu beitragen, die Schüler zu kritischen Staatsbürgern zu erziehen. Mehr als Drohgebären wären von den Schulleitern und höheren Dienststellen nicht zu erwarten, denn ein Gerichtsverfahren mit der Herstellung von Öffentlichkeit scheuen die Kultusminister erfahrungsgemäß, weil sie allerhand zu verbergen haben.

Der Deutsch-Lehrplan läßt im Rahmen des Deutsch-, Rechtschreib-, Schriftverkehrs- bzw. Textverarbeitungs- und/oder Literaturunterrichts (Goethe, Schiller) sicher auch historische Rückblicke auf die Rechtschreibung des 18./19. Jahrhunderts zu, insbesondere auch in handschriftlichen Aufzeichnungen großer Dichter und Denker.
Mit der Auswahl der passenden historischen Texte von Dichtern kann man einiges erreichen. Als Überblickstext geeignet wäre z.B. Helmut Glück: Von Weiber-Seelen im Liebes-Fieber. Alter Zopf an neuem Kopf: In der Wortbildung geht die Rechtschreibreform auf uralten Pfaden. In: FAZ, 5.9.2000, Seite 54, abrufbar in http://members.aol.com/jfrieling9166379.
Auch folgende Texte kann man nutzbringend verwenden:
1. Lessing: „Schlagt den ‚Adelung´ nach!“ – VRS – Verein für deutsche RS am 03.04.2001
2. Rechtschreiben in der Schule – RenateMariaMenges am 01.04.2001
Boykott der Rechtschreibdiktatur – VRS – Verein für deutsche RS am 02.04.2001
3. Selbstbestimmendes Rechtschreiblernen – Stephanus Peil am 24.03.2001
Hochschularbeitskreis „Kulturelle Selbstbestimmung – VRS – Verein für deutsche RS am 24.03.2001
Boykott der Schreibreform in der Schule – Manfred Riebe am 27.03.2001

Bezüglich der ß/ss-Schreibung kann man an die Fehleruntersuchungen von Professor Marx und Wolfgang Wrase auf dieser Netzseite anknüpfen. Beispiele der ß/ss-Schreibung aus dem 19. Jahrhundert findet man im Forum von www.deutsche-sprachwelt.de unter
Verunsicherung durch ß/ss-Schreibung – Manfred Riebe am 07.04.2001
Der Silikonbusen der Schreibreform – VRS – Verein für deutsche RS am 07.04.2001

Ich widerspreche Norbert Schäbler teilweise: Einen charakterfesten Lehrer, der wie Studiendirektor Wolfgang Illauer seinen Schülern im Gegensatz zu den Kultusministern hinsichtlich der Vermittlung demokratischer und christlicher Werte ein Vorbild ist, darf man nicht mit einem Don Quichotte vergleichen.



Manfred Riebe

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anonymer Gast
09.04.2001 22.00
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Die Franzosen...

Über welche Veränderungen der deutschen Rechtschreibung schütteln die denn so den Kopf? Was sagen denn Ihre französischen Freunde zu den Korrekturen an der französischen Rechtschreibung? Schütteln sie etwas den Kopf, weil man in Deutschland auch umsetzt, was man beschließt? Das ist zunächst der Unterschied zwischen F und D. Die Académie hatte 1990 den Veränderungen zugestimmt. Das gilt als typisch deutsch. Deswegen würde bei uns generell Tempo 100 auch etwas anderes bedeuten als in anderen Ländern. Wir gehen davon aus, dass man sich dann auch daran hält. Deswegen reicht es den meisten Reformgegnern ja auch nicht, zu sagen „je m’en fou!“, denn von der offiziellen Rechtschreibung abzuweichen tut offenbar weh.



Daniela Kopsch

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Walter Lachenmann
09.04.2001 22.00
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Die Franzosen...

Was Frau Daniela Kopsch sagt, ist vermutlich richtig.
Aber in der Académie française würde wohl niemals ein solcher Unsinn zusammengeschustert werden, wie es bei unseren Reformern der Fall war. Und ich vermute, die Franzosen würden, wenn so etwas doch über sie hereinbräche, dagegen zwar nicht protestieren, aber sich schlicht und einfach nicht darum kümmern.
Das »franglais« ist in Frankreich schon seit zig Jahren ein Thema, weil man in Frankreich eine historisch gewachsene Abneigung gegen alles Englische hat. Ich lebte in den 60er Jahren dort, da wurde darüber auch schon gejammert. Das hat nicht verhindert, daß sich etliche Begriffe aus dem Englischen eingebürgert haben oder daß französische Schlagersänger, die so gallische Typen sind, wie man es sich nur denken kann, sich Künstlernamen gaben wie Johnny Halliday oder Eddy Mitchell. In der Alltagssprache werden zwar eigene Begriffe gefunden und verwendet für Dinge wie Computer, E-Mail und Handy, aber das geschieht nicht per Ministerbeschluß, sondern setzt sich irgendwie durch. Ein Vorteil ist es meines Erachtens nicht, denn wenn ich zum Beispiel mich mit meinen Kollegen in Frankreich unterhalte, kann ich mit denen über fast alles ziemlich uneingeschränkt reden, nur wenn ich ihnen sagen will, ich würde sie auf dem Handy anrufen, oder irgendwas auf dem Computer machen, dann fehlen mir die Worte, denn diese Dinge gab es in den 60er Jahren noch nicht. Zum Glück wissen die dann aber meistens unsere »internationalen« Begriffe.
Über unsere Rechtschreibreform schütteln meine französischen Freunde verständnislos die Köpfe.
Das alles hilft aber nicht zu neuen Einsichten über unser deutsches Problem.



Walter Lachenmann

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Helmut Eberwein
08.04.2001 22.00
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Warum...

...reden wir eigentlich von uns immer in der dritten Person?

Wer sind denn „die Deutschen“ wenn nicht wir?

Es ist zwar nicht besonders toll, solch einem (auch bzgl. der Sprache
recht masochistischen Volk) anzugehören, aber wir sollten uns schon dazu bekennen.

Wir sollten schon so ehrlich sein, daß wir vermutlich das einzige Volk sind,
welches so dämlich ist, sich am sprachwissenschaftlichen Nasenring von
Herrn Augst durch die Gegend zerren zu lassen.

(Fast) jeder Germanist müßte sich eigentlich in Grund in Boden schämen,
wenn er mal wirklich in den Spiegel schauen würde, aber es gibt ja viele Mittel
das eigene Gewissen zu beruhigen...

Selbsterkenntnis sollte der erste Weg zur Besserung sein.



Helmut Eberwein

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