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Zur Aufhebung des Volksentscheids in Schleswig-Holstein
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Matthias Dräger
09.07.2001 20.05
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Trick 17

Dieser Tage wurde mir der untenstehende Text zugänglich. Es handelt sich hier um das vom „Wissenschaftlichen Dienst des Landtages“ für die Abgeordneten des Landtages angefertigte „Gutachten“ zur Frage der Zulässigkeit der damals geplanten Aufhebung des Volksentscheides durch den Landtag; das „Gutachten“ wird zur Förderung der staatspolitischen Bildung hier – wohl erstmalig – dem interessierten Teil der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.


Zum Verfasser, zur Form:
Das „Gutachten“ wurde erstellt vom „Wissenschaftlichen Dienst und Gesetzgebungsdienst“ des Landtages. Der Wissenschaftliche Dienst ist, ausweislich des Briefkopfes, dem Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages unterstellt (und residiert, soweit ich mich erinnern kann, auch im gleichen Gebäudetrakt des Landtages).
Der Präsident des Landtages, Herr Heinz-Werner Ahrens (SPD), ist aber nicht nur Mitglied einer Partei (die übrigens den Volksentscheid aufheben wollte), sondern auch noch Abgeordneter des Landtages. Mit anderen Worten: Der Wissenschaftliche Dienst untersteht direkt einem Mann, der selbst und dessen Partei den Volksentscheid aufheben möchte.
Es versteht sich von selbst, daß ein „Gutachten“ aus dieser Quelle nicht mehr als unabhängig gelten kann.
Genausogut könnte man für ein Gutachten bei einem Verkehrsdelikt, z. B. einen Unfall aufgrund offensichtlich überhöhter Geschwindigkeit, als „wissenschaftlichen Gutachter“ ... den Angeklagten höchstpersönlich heranziehen! Ist das nicht eine tolle Idee? Nur das aus dieser Quelle kommende „Gutachten“ wäre natürlich ebenso sinn- wie wertlos.
Den Abgeordneten steht es natürlich frei, sich in jeder Hinsicht beraten zu lassen. Nur sollen sie dann bitteschön in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck erwecken, ihr Verhalten werde durch ein unabhängiges „wissenschaftliches Gutachten“ gedeckt, wie dies natürlich durch Bezugnahme auf das (inhaltlich damals nicht bekanntgewordene) Gutachten durch die Presse 1999 geschehen ist.


Zum Inhalt:
Zur Klärung der Frage, ob die Aufhebung eines Volksentscheides durch die Volksv e r t r e t e r (sic!) überhaupt zulässig sein kann, muß natürlich in erster Linie die Verfassung herangezogen werden. (Wenn man denn überhaupt auf die schon im Ansatz schräge Idee verfällt, sich eine solche Frage im juristischen Sinne überhaupt zu stellen. Wenn man nicht das tun will, was das Volk in einer sachbezogenen Entscheidung verlangt, dann soll man das Volk gefälligst gar nicht erst fragen. Man kann auch ohne direkte Demokratie vernünftig regieren. Eine Volksgesetzgebung, die man de facto nicht haben will, soll man dann auch aus der Verfassung wieder streichen. Das ist ehrlicher.)
In seinem knapp 1seitigen Text nimmt Dr. Wuttke aber nur auf den Artikel 37 der Landesverfassung Bezug, der zur Klärung der Frage überhaupt nichts hergibt.
Vollkommen klar wird die Tendenz des „Gutachtens“ durch die Tatsache, daß sein Verfasser es nicht für nötig hält, auf den völlig unmißverständlichen Artikel 2 der Landesverfassung einzugehen, ja, diesen Artikel noch nicht einmal erwähnt.
Hier ist die Frage, wessen Willen und damit auch wessen Gesetze im Zweifelsfall Vorrang haben, eindeutig geregelt:


(1) Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus.
(2) Das Volk bekundet seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen. Es handelt d u r c h seine gewählten Vertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie durch Abstimmungen.


Wer nach Kenntnis dieses Artikels der Landesverfassung noch Zweifel hegt, wessen Willen im Land den Vorrang hat – der Wille des Volkes oder seiner gewählten Stellvertreter – dem ist nicht mehr zu helfen.



Das vorliegende Gutachten von Dr. Wuttke ist ein Persil-Schein – nicht mehr, nicht weniger.

Und noch etwas: Den Abgeordneten, die das verbrochen haben, was sie verbrochen haben, wünsche ich die Rechtschreibreform an den Hals und wünsche ihnen viel Vergnügen mit dem von ihnen angerichteten Schreibsalat. Nicht lebenslänglich (eine solche Strafe wäre wohl nicht angemessen) aber doch bis zum Jahr 2005.
(Herr Dr. Wuttke nehme ich hiervon aus; er hat nur die Arbeit gemacht, die man von ihm erwartete und für die er bezahlt worden ist.)

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Matthias Dräger
09.07.2001 18.54
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Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Der Präsident des
Schleswig-Holsteinischen Landtages

Wissenschaftlicher Dienst und
Gesetzgebungsdienst



Mein Zeichen L230-398/14 Dr. Horst Wuttke 14. Juli 1998


Volksentscheid Rechtschreibreform und Änderung des Schulgesetzes


Im Gegensatz etwa zu § 16 g Gemeindeordnung enthält die Landesverfassung (LV) keine ausdrückliche Aussage zu der Frage, ob ein durch Volksentscheid zustande gekommenes Gesetz – hier § 4 Abs. 10 Schulgesetz – wie ein vom Landtag beschlossenes Gesetz durch den Landtag geändert oder aufgehoben werden kann. Insoweit werden – und wurden bereits unter der Weimarer Verfassung – unterschiedliche Auffassungen vertreten. Während die einen dem volksbeschlossenen Gesetz eine Sonderstellung nicht einräumen, billigen die anderen ihm einen höheren Rang als dem vom Landtag beschlossenen Gesetz mit der Folge zu, daß das volksbeschlossene Gesetz wiederum nur durch einenn plebiszitären Akt aufgehoben oder geändert werden kann (vgl. Hübner, in: von Mutius, Kommentar zur Landesverfassung, Artikel 42 RN 16 m.w.N.). Gegen die letztgenannte Ansicht spricht u. E., daß Artikel 37 Abs. 2 LV das vom Landtag beschlossene und das durch Volksentscheid zustande gekommene Gesetz erkennbar auf eine Stufe stellt und Artikel 42 LV keinerlei Anhaltspunkte für eine intensivere Bindungswirkung des volksbeschlossenen Gesetzes enthält. Der Landtag ist daher rechtlich nicht gehindert, ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz wie jedes andere Parlamentsgesetz jederzeit zu ändern oder aufzuheben. Ob er von dieser rechtlich gegebenen Möglichkeit Gebrauch macht, ist eine ausschließlich unter politischen Aspekten zu beantwortende Frage (Hübner, aaO). Dieses Ergebnis entspricht im übrigen der Bewertung durch den Sachverständigen Dr. Herdegen, der vom Sonderausschuß „Verfassungs- und Parlamentsreform“ am 3. Mai 1990 angehört worden ist (SoAVP 29/34). Dr. Schliesky hat in seiner gegenüber dem Innen- und Rechtsausschuß abgegebenen schriftlichen Stellungnahme vom 23. März 1999 (Umdruck 14/3214, S. 16f.) den gleichen Standpunkt vertreten.

Festzuhalten ist mithin abschließend: Dem Landtag steht es frei, § 4 Abs. 10 SchulG zu ändern oder aufzuheben. Irgendwelchen inhaltlichen oder zeitlichen Rechtsbindungen unterliegt er insoweit nicht.

Mit freundichen Grüßen
Für den Wissenschaftlichen Dienst

(Dr. Wuttke)

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Matthias Dräger
09.07.2001 18.37
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Schleswig-Holsteinische Verfassung

Auszug:

Art. 2. Demokratie, Funktionentrennung.
(1) Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus.
(2) Das Volk bekundet seinen Willen in Wahlen und Abstimmungen. Es handelt durch seine gewählten Vertreter im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie durch Abstimmungen.
(3) Die Verwaltung wird durch die gesetzmäßig bestellten Organe, die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte ausgeübt.

...

Art. 37. Gesetzgebungsverfahren.
(1) Die Gesetzenwürfe werden von der Landesregierung oder von einzelnen oder mehreren Abgeordneten oder durch Initiativen aus dem Volk eingebracht.
(2) Die Gesetze werden vom Landtag oder durch Volksentscheid beschlossen.

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Theodor Ickler
07.06.2001 07.58
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FAZ zur Aufhebung des Volksentscheids

Ich will gleich mal den Anfang machen und den von Matthias Dräger erwähnten Kommentar der FAZ hierhersetzen:

FAZ 18.9.1999)

Absurdistan

V.Z. Es gibt in Schleswig-Holstein keinen Anlass für hohe Selbstzufriedenheit. Im Gegenteil: Das nördlichste Bundesland muss aufpassen, dass es den Anschluss nicht verpasst. Es mag sein, dass die schöne Lage zwischen den Meeren und die Elbe als gleichsam dritte Landesgrenze ein insulares Bewusstsein begünstigen, doch wo es sich durchsetzt, wirkt es schädlich. Was das Fehlen einer schnellen Verkehrsanbindung Richtung Rostock und die Dauerstaus vor der Elbe bedeuten, scheint vielen Bürgern nicht mehr bewusst zu sein: Kostenfaktoren und Investitionshemmnisse. Seit dem Regierungswechsel vor mehr als zehn Jahren scheint das Bewusstsein für solche Zusammenhänge nicht eben zugenommen zu haben; der neue Spitzenkandidat der Union legt einen Finger auf die Wunde, wenn er über das Eidersperrwerk sagt, so ein Projekt wäre zur Zeit in Schleswig-Holstein schon aus mentalen Gründen nicht mehr zu verwirklichen. Immerhin hat Rühe es geschafft, die CDU vom Weg nach „Absurdistan“ abzubringen, auf dem sie mit ihrer Unterstützung der Rechtschreibreformgegner bereits wandelte. Man mag über diese Reform denken, wie man will: es ist unerträglich, dass die Schüler in Schleswig-Holstein durch eine Volksabstimmung zu Insulanern gemacht werden, und es ist richtig, dass der Landtag das verhindert.

(Der Verfasser ist Volker Zastrow)
__________________
Th. Ickler

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Theodor Ickler
07.06.2001 07.48
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Bitte um Dokumente

Es wäre meiner Ansicht nach nützlich, hier zunächst einmal eine Liste der Dokumente (Amtliches, aber auch Zeitungsartikel) zusammenzustellen, die zum Komplex Volksbegehren in Schleswig-Holstein gehören. Dahinter könnte jeweils vermerkt werden, ob das Dokument bereits als Datei verfügbar ist. Das andere könnte man einscannen (lassen). In derselben Weise könnten dann auch andere Komplexe bearbeitet werden. Es wird allmählich Zeit, umfassende Dokumentationen anzulegen. Gemeinsam könnten wir auch kurze Kommentare dazu entwickeln.
Also: Wer hat was auf der Festplatte oder im Ordner?
__________________
Th. Ickler

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Matthias Dräger
07.06.2001 06.40
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Hirten oder Mietlinge?

Nach der Ankündigung von Volker Rühe und Martin Kayenburg (beide CDU) im Sommer 1999, den Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform im Landtag kippen zu wollen, formierte sich innerhalb von Tagen eine entschlossene Front der Parteien, mit der klaren Tendenz, diesem Vorstoß quasi blind zu folgen. Es war bei den Leuten eine Entschlossenheit zu spüren, als gelte es, einen verspäteten „Führerbefehl“ auszuführen.

Ich habe mir dann die Finger wundtelefoniert, um die politischen Entscheidungsträger einige Wochen vor der sich abzeichnenden Entscheidung noch einmal zusammenzubringen, damit ihnen das Unsägliche ihres Tuns wenigstens in fachlicher Hinsicht vor Augen geführt werden kann.
Ein solches Treffen hat zu meiner Überraschung auch stattgefunden, und zwar in meinem Elternhaus in Lübeck (seitens der „Reformgegner“ konnten Herr Loew, Herr Peil, Herr Kliegis und ich teilnehmen). Es war mir sogar gelungen, den Fraktionsvorsitzenden der SPD, ohne den die Umsetzung des Vorstoßes der CDU gar nicht denkbar war, zum Treffen einzuladen – jedenfalls hatte ich mit seinem Referenten telefonisch einen Termin festgelegt. Als ich dann etwa 10 Tage später alle, die zugesagt hatten (so Lothar Hay über seinen Referenten), mit den entsprechenden Details versorgte (Anfahrtskizze, Tagesordnung etc.) meldete sich der Referent von Lothar Hay dann bei mir und sagte, er habe den Termin mittlerweile anderweitig vergeben, da er von mir in der Zwischenzeit ja nichts mehr gehört habe...
Zum Treffen erschien seitens der Parteien dann folglich auch nur die zweite Garnitur, Leute, die nicht gewohnt sind, die Richtung in der Politik zu bestimmen, und erst recht nicht in der Lage wären, eine von ihren Leithammeln eingeschlagene Richtung zu korrigieren.

Es kam dann, wie es kommen mußte: Am 17. September 1999, noch nicht einmal ein Jahr nach dem Volksentscheid, wurde das vom Volk beschlossene Gesetz zum Stopp der Rechtschreibreform durch die sog. Volksvertreter in die Tonne getreten. Ein Skandal ersten Ranges, der eigentlich nur vom Verhalten der Presse diesem barbarischen Akt gegenüber, leider einschließlich der FAZ und sogar einschließlich des Spiegels (!), noch überboten wurde.

Von Lothar Hay habe ich über den „Buschfunk“ des Landtages einige Wochen nach dem 17. 9. vernommen, daß er geäußert haben soll: „Wir haben uns bei dieser Sache viel zu leichtfertig vor den Karren der CDU spannen lassen.“

Was war wirklich geschehen? (Zur Erinnerung: Die Parteien befanden sich wenige Monate vor der Landtagswahl bekanntlich im Landtagswahlkampf.)
Volker Rühe, der Spitzenkandidat der CDU für die Landtagswahl am 27. Februar 2000, hatte mit der Idee, den Volksentscheid zu kippen, genau das richtige Thema, um sich in der Politik als Führernatur und Leithammel zu profilieren. Er traf dabei beim Fraktionsvorsitzenden Martin Kayenburg auf offene Ohren, denn in der CDU hatte man mittlerweile Angst, daß (ausgerechnet!) die SPD die Sonderstellung des Landes in Sachen Rechtschreibreform zum Wahlkampfthema machen wollte (letzteres wurde mir von einem Mitarbeiter des Landtages als Motiv für den Vorstoß der CDU genannt).
Mit dieser Klappe konnte gleich noch eine zweite „Fliege“ geschlagen werden: Die Volksgesetzgebung. Letztere war vor Jahren auf Initiative der SPD in Schleswig-Holstein eingeführt worden, damals gegen den erklärten Willen der CDU. Es war völlig klar, daß mit einer Annullierung des per Volksentscheid beschlossenen Gesetzes dem Instrument der Volksgesetzgebung so ganz nebenbei ein Schaden zugeführt werden konnte, von dem sich dieser Teil der Verfassung so schnell nicht wieder erholen würde, wenn überhaupt.

Bleibt vielleicht noch die Frage: Wie stand man denn, z. B. bei der CDU, i n h a l t l i c h zur Rechtschreibreform? Das ist ein offenes Geheimnis – ein Geheimnis deshalb, da es damals fast niemand zur Kenntnis genommen hat, und offen deshalb, da man es in den Protokollen des Landtages nachlesen kann.
So trug Herr Jost de Jager (= Biedermann), der Bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, zwei Tage vor der beabsichtigten Kassierung des Volksgesetzes in seiner Rede vor dem Landtag (= den Brandstiftern) am 15. 9 vor:
„Wir halten aber an der inhaltlichen Kritik an der Rechtschreibreform nach wie vor fest. Bei der Frage, ob diese Reform klug, durchdacht und handwerklich präzise konzipiert worden ist, sind wir nicht über Nacht vom Saulus zum Paulus geworden. Wir sind auch von ihrer Notwendigkeit immer noch nicht überzeugt*, und deshalb ist die Reform der Reform, die ja bereits in Gang gesetzt wurde, wenngleich sie nur schleppend verläuft, zwingend erforderlich.“


* aber nichtsdestotrotz muß jetzt, auf Teufel komm raus, auf jeden Fall erst einmal der erste Volksentscheid dieses Landes liquidiert werden?? – ihr habt doch nicht mehr alle Tassen im Schrank...
– geändert durch Matthias Dräger am 08.06.2001, 17:05 –

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Theodor Ickler
07.06.2001 03.25
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Das Volk und seine Hirten

Aus einem Brief des Fraktionsvorsitzenden der SPD im Kieler Landtag, Lothar Hay, vom 17.3.2000:

„Die Beschlussfassung des Schleswig-Holsteinischen Landtages ist im Interesse der Schülerinnen und Schüler erfolgt. Dass wir dabei das von uns selbst geschaffene Instrument der Volksgesetzgebung beschädigt haben, bedauert niemand mehr als wir, es war jedoch in der konkreten Situation unvermeidlich.“

Das heißt: Volksgesetzgebung ist in Ordnung, solange sie den Absichten der Berufspolitiker nicht widerspricht; in diesem Fall muß man dem Volk leider kräftig auf die Finger klopfen.

__________________
Th. Ickler

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Matthias Dräger
26.05.2001 13.46
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Getürkter Bericht - die Hauptsache fehlt!

Klaus Fromm schreibt in seinem Artikel: „Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 24. November 1999 abgelehnt (Az. 9 B 111/99); das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde gegen diese Entscheidung nicht zugelassen.“

Wenn man das so liest, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, das Verfahren sei mit der Abweisung der Beschwerde vor dem OVG wohl beendet...
Es hätte durchaus nicht geschadet, wenn Klaus Fromm in seinem Bericht irgendwo einen dezenten Hinweis untergebracht hätte, daß es sich bei den beiden abgewiesenen Anträgen jeweils um E i l a n t r ä g e handelte.

Das eigentliche Verfahren in der Hauptsache, das vom Verwaltungsgericht im Februar 2001 in erster Instanz abewiesen wurde, hat gerade erst begonnen...

– geändert durch Matthias Dräger am 27.05.2001, 16:02 –

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Sigmar Salzburg
26.05.2001 11.51
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[Aus: KommunalPraxis N Nr. 4/2000]

Klaus Fromm

Rechtschreibreform in Schleswig-Holstein

Im Rahmen der Einführung der neuen Rechtschreibung in Schleswig-Holstein wurde der Volksentscheid gegen die Einführung der Rechtschreibreform durch ein Gesetz des Landtages aufgehoben. Dagegen wandten sich die Antragsteller vor Gericht mit der Begründung, ein volksbeschlossenes Gesetz könne auch nur wieder per Volksentscheid aufgehoben werden, nicht jedoch durch das Repräsentativorgan. Mit dieser Ansicht scheiterten sie jedoch in zwei Instanzen.

Sachverhalt

Auf der Grundlage des Volksentscheids vom 27. September 1998 ist durch Gesetz vom 21. Dezember 1998 die Vorschrift des § Abs. 10 SchulG eingefügt worden, die wie folgt lautet: „In den Schulen wird die allgemein übliche Rechtschreibung unterrichtet. Als allgemein üblich gilt die Rechtschreibung, wie sie in der Bevölkerung seit langem anerkannt ist und in der Mehrzahl der lieferbaren Bücher verwendet wird.“ Diese Gesetzesänderung hat der Schleswig-Holsteinische Landtag durch Gesetz vom 21. September 1999 wieder rückgängig gemacht, und zwar durch Streichung des § 4 Abs. 10 SchulG.

Die Antragsteller sind der Auffassung, der Landtag sei dazu nicht befugt gewesen. Ein durch das Volk beschlossenes Gesetz gehe im Range einem vom Parlament beschlossenen Gesetz vor und könne nur durch einen weiteren Volksentscheid außer Kraft gesetzt werden.

Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 24. November 1999 abgelehnt (Az. 9 B 111/99); das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde gegen diese Entscheidung nicht zugelassen.

Begründung

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht auf Folgendes hingewiesen: Bei summarischer Überprüfung der Rechtslage ist eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes vom 21. September 1999 nicht zu erkennen.

Gegen den von den Antragstellern behaupteten Vorrang eines volksbeschlossenen Gesetzes spricht der Wortlaut der Landesverfassung. Gemäß Art. 37 Abs. 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (LVerf) werden die Gesetzentwürfe von der Landesregierung oder von einzelnen oder mehreren Abgeordneten oder durch Initiativen aus dem Volk eingebracht. Art. 37 Abs. 2 LVerf bestimmt: „Die Gesetze werden vom Landtag oder durch Volksentscheid beschlossen.“ Damit stehen nach dem Wortlaut der Landesverfassung beide Alternativen der Gesetzgebung nebeneinander, ohne dass der einen oder anderen Alternative ein Vorrang eingeräumt wäre.

Die Landesverfassung erkennt die Möglichkeit zur Herrschaftsausübung des Volkes durch Abstimmungen und damit die unmittelbare Legitimation von Sachentscheidungen durch das Volk gegenüber Wahlen als gleichwertig an. Dieser (unmittelbaren) Mitwirkungsform kommt jedoch kein höherer Stellenwert als den repräsentativen Legitimationsmustern zu (Schlesky, Neue Grundlagen für die unmittelbare Demokratie in Schleswig-Holstein, Schl.-H. Anz. 1999, S. 225, 226). Aus der Gleichrangigkeit beider Formen der Gesetzgebung folgt, dass ein vom Volk beschlossenes Gesetz durch das Parlament geändert oder aufgehoben werden kann.

Die Antragsteller haben für ihre Auffassung, ein volksbeschlossenes Gesetz könne nur durch denselben Kompetenzträger, der den Rechtssatz erlassen habe, mithin nur durch das Volk selbst aufgehoben oder geändert werden, rechtsvergleichende beziehungsweise rechtshistorische Argumente vorgetragen. Diese vermögen jedoch nicht zu überzeugen. Die Verfassungslage in anderen Ländern wie der Schweiz oder den Vereinigten Staaten gibt für die Auslegung der Verfassungslage in Schleswig-Holstein nichts her.

Gleiches gilt für die von den Antragstellern zitierte Auffassung zur Weimarer Reichsverfassung. Die Entstehungsgeschichte der Verfassungsreform in Schleswig-Holstein bietet keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass trotz des Schweigens der Verfassung zu diesem Punkt ein Vorrang oder eine Bindungswirkung des volksbeschlossenen Gesetzes normiert werden sollte.

Der Schlussbericht der am 29. Juni 1988 eingesetzten Enquete-Kommission „Verfassungs- und Parlamentsreform“ äußert sich auch zur Frage einer Ergänzung des Repräsentationssystems, zum Beispiel durch die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid. Die Einführung eines Volksentscheids wurde von der Enquete-Kommission mehrheitlich abgelehnt. Die Kommission war der Auffassung, dass die prinzipiellen Einwände mögliche Vorteile erheblich überwögen. Die Entscheidungsfähigkeit des Parlaments würde geschwächt. Beeinträchtigt würde insbesondere die Fähigkeit der parlamentarischen Mehrheit, eine konsistente, in sich abgestellte Politik zu formulieren und zu vertreten. Es bestünde insoweit die Gefahr einer Desintegration der politischen Willensbildung und einer wachsenden politischen Konfrontation und Emotionalisierung. Hiervon abweichend schlugen zwei Mitglieder der Kommission in einem Sondervotum die Aufnahme des Volksentscheids in die Landesverfassung vor (vgl. Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungs- und Parlamentsreform/Schleswig-Holsteinischer Landtag, Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden). Der zur Beratung der Empfehlungen der Enquete-Kommission am 14. Februar 1989 eingesetzte Sonderausschuss konnte sich zunächst im Hinblick auf die von der Enquete-Kommission mehrheitlich vertretenen Bedenken über die Einführung direkt-demokratischer Formen der Mitwirkung des Volkes nicht einigen. Die Sicherung der verfassungsändernden Mehrheit im Landtag konnte erst in der Schlussphase der Tätigkeit des Ausschusses erreicht werden, nachdem die CDU-Fraktion ihre Bedenken bezüglich der Einführung eines Volksentschiedes aufgrund von Zugeständnissen in anderen Bereichen der Verfassungsreform aufgegeben hatte (vgl. das Plenarprotokoll der 55. Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages über die 2. Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Landessatzung vom 30. Mai 1990, abgedruckt in: Gegenwartsfragen 65, Eine neue Verfassung für Schleswig-Holstein; herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein; von Mutius/Wuttke/Hübner, Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, Einführung III m.w.N.)

Angesichts dieser Entstehungsgeschichte spricht nichts dafür, dass der Verfassungsgeber einen ungeschriebenen Vorrang des volksbeschlossenen Gesetzes oder eine (ungeschriebene) Bindungswirkung normieren wollte. Vielmehr hätte eine so wesentliche Frage wie die nach einem Rangunterschied zwischen einem vom Parlament beschlossenen und einem durch Volksentscheid zustande gekommenen Gesetz vom Verfassungsgeber ausdrücklich geregelt werden müssen (ebenso: von Mutius/Wuttke/Hübner a.a.O., Art 42 RdNr. 15).

Dies gilt auch für die Frage einer Bindungswirkung des volksbeschlossenen Gesetzes. Die Landesverfassung normiert eine solche Bindungswirkung nicht. Da alle Gesetze unabhängig von ihrem Zustandekommen die gleiche Bindungswirkung entfalten, ist der Landtag verfassungsrechtlich nicht gehindert, ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz jederzeit zu ändern oder aufzuheben, wie dies auch bei einem Parlamentsgesetz der Fall ist (von Mutius/Wuttke/Hübner a.a.O.). Dabei verkennt das Gericht nicht, dass gute Gründe dafür sprechen mögen, eine Bindungswirkung in der Verfassung zu verankern. Hierdurch könne der Gefahr entgegengewirkt werden, dass aufgrund der vom Volk als Missachtung seiner Entscheidung empfundenen Korrektur durch den parlamentarischen Gesetzgeber Frustration und Politikverdrossenheit um sich greifen. Andererseits verlangt die Entwicklungsoffenheit der Demokratie die Möglichkeit einer Korrektur des Volksentscheids. Da die Verfassung eine Bindungswirkung des volksbeschlossenen Gesetzes nicht normiert hat, ist folglich die Frage, ob die Streichung des § 4 Abs. 10 SchulG a.F. durch das Parlamentsgesetz vom 21. September 1999 gerechtfertigt war, allein politisch zu entscheiden und zu vertreten. Dies gilt auch hinsichtlich der Frage, ob – etwa aufgrund der sich in der Frage der Rechtschreibreform seinerzeit abzeichnenden „Insellage“ Schleswig-Holsteins – ein wichtiger Grund für die Korrektur des Volksentscheides gegeben war.

Aus dem Vorstehenden folgt, dass der vom Antragsteller angefochtene Erlass vom 12. Oktober 1999 nicht im Widerspruch zu den Vorschriften des Schulgesetzes steht. Dass der Antragsgegner berechtigt ist, die neuen Rechtschreibregeln für den Unterricht in den Schulen durch Erlass vorzuschreiben, ohne dass es hierfür einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfte, entspricht der Rechtssprechung der Kammer. In der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zudem geklärt, dass der Staat von Verfassungs wegen nicht gehindert ist, Regelungen über die richtige Schreibung der deutschen Sprache für den Unterricht in den Schulen zu treffen. Für die Einführung der von der Kultusministerkonferenz am 30. November/ 1. Dezember beschlossenen Neuregelung der deutschen Rechtschreibung an den Schulen des Landes Schleswig-Holstein bedurfte es keiner besonderen, über die allgemeinen Lernzielbestimmungen des Landesschulgesetzes hinausgehenden gesetzlichen Grundlage. Grundrechte von Eltern und Schülern werden durch die Neuregelung nicht verletzt (BVerfG, U. v. 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97 –, NJW 1998, S. 2515).


Dr. Klaus Fromm
Ministerialrat im Ministerium für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Kultur des
Landes Schleswig-Holstein,
Kiel


[Aus KommunalPraxis N Nr. 4/2000, abgeschrieben v. S. Salzburg]

__________________
Sigmar Salzburg

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