Frau Menges,
leider komme ich zur Zeit nicht so gut dazu, hier viel zu schreiben. Einige kurze Worte deshalb nur zu Ihren letzten Beiträgen:
Was für eine Chaos-zu-Ordnung-Begebenheit war denn das am Computer? Sollte es einfach um die Beseitigung des Chaos gehen, könnte man ja nicht wirklich behaupten, daß die Ordnung dem Chaos zu verdanken sei, sondern gerade durch seine Beseitigung wäre die Ordnung ja erst eingetreten.
Sie erinnern daran, daß heutzutage in einer Kultur der schriftlich übermittelten Kurznachrichten ohnehin ständig verschiedene Orthographien verwendet werden. Doch um so wichtiger wäre es doch dann, daß es demgegenüber eine eindeutige Einheitsorthographie gibt! Persönliche Eigenheiten dürfen doch ruhig existieren, nur der allgemeine Standard sollte eben ein Standard sein, kein Beliebigkeitsbrei und auch keine verhunzte Version des eigentlichen Standards. Das hat nichts mit spießiger Ordnungsliebe zu tun, sondern mit Funktionalität.
Weiterhin stellen Sie ganz richtig fest, daß uns die Neuschrieb-Schulbücher sicherlich noch eine Weile erhalten blieben, womöglich gar eine zehnjährige Dekade (wenigstens keine zwanzigjährige oder so). Das ist also zwar immerhin richtig, aber was soll daran gut sein? In Wirklichkeit hat man schlicht ein paar Schreibweisen, die vorher als falsch gegolten hätten, neu in die Bücher hineinoperiert. Aus den bereits ausführlich erwähnten Gründen kann es so nur zu Verwirrung kommen. Und hier muß man ganz ausdrücklich auf das Auslöserprinzip hinweisen, nach dem natürlich die Reform schuld an dieser Verwirrung ist, nicht etwa diejenigen, die bei der gewohnten Rechtschreibung bleiben wollen die haben schließlich nicht die gegenwärtige Situation herbeigeführt. Dennoch wird der Schwarze Peter in mancher öffentlichen Diskussion den Reformgegnern zugeschoben, denen nachgesagt wird, sie wollten den Fortschritt aufhalten oder hätten ihn bloß noch nicht verstanden, wenn etwa einige Publikationen immer noch oder schon wieder in der alten Rechtschreibung erscheinen.
Ein engagierter Sprachforscher sollte mit seiner Materie soweit vertraut sein, daß er erkennt, wie wunderbar und unglaublich ausgeklügelt die Sprache sich aus sich selbst heraus gebildet hat. Wie Professor Munske etwa, der während seiner Reformerarbeit feststellen mußte, daß man wohl doch besser alles so ließe, wie es ist, daß jede normative Veränderung keinen Nutzen hat, sondern viel eher zu überflüssigem Ärger oder gar Schaden bzw. Verlust in der Sprache führt. Mit welcher Legitimation sollte irgendein heutiger Sprachforscher an einem so alten Instrument , das elementar aus nichts als Tradition und Konvention besteht und für Millionen von Menschen gilt, herumbasteln? Die gegenwärtige Rechtschreibreform wurde von einer Gruppe Leuten erarbeitet, deren personelle Stärke noch nicht mal der einer einzigen Schulklasse beträgt, und die Ideen dieses Winzclubs sollen nun ohne Kompromisse (nicht mal ihnen selbst zuliebe!), ohne Gnade, aber auch ohne demokratische Störungen, all den Menschen aufgezwungen werden, denen man sie überhaupt nur aufzwingen kann. Allein diese totalitäre Anmaßung ist ethisch sowas von rückständig, daß ich einfach nicht begreifen kann, warum sie von so vielen Personen, die sich selbst wahrscheinlich für unheimlich modern und progressiv halten, derart angepriesen und gefördert wird.
Eine weitere Vereinfachung hätte mit denselben Widrigkeiten zu kämpfen. Wohin die Sprache nicht von alleine steuert, dazu sollte man sie nicht zwingen. Sprachpflege sollte maximal aus Vorschlägen und Appellen bestehen. Normative Änderungen können nur mit Zwang durchgesetzt werden, die Schriftsprache funktioniert aber bereits ohne die Änderungen vorzüglich, sogar noch besser als mit ihnen; Vereinfachungsveränderungen würden in den meisten Fällen diese Funktionalität der Simplifizierung des Systems opfern.
Sie erwähnen, daß sich Rechtschreibung aus dem realen Wortgebrauch der Schriftsteller, der Journalisten, der weiteren schreibenden Zunft, der Lehrer und Schüler und der Bevölkerung ergebe. Völlig richtig. So soll es sein. Genau das ist im Augenblick ja nicht der Fall, denn derzeit schreiben die meisten Journalisten, einige Schriftsteller, Teile der weiteren schreibenden Zunft, Lehrer und Schüler nämlich nicht nach einem realem Wortgebrauch, sondern so, wie es ihnen von künstlichen Vorschlägen, die eben NICHT dem Schreibgebrauch folgen, der Reform, vorgegeben wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung tut das allerdings nicht. Warum? Weil man sie dazu nicht zwingen kann. Die Reform wird tatsächlich nur überall dort sichtbar, wo sie erzwingbar ist (und natürlich bei eher oberflächlichen Trendmenschen, die sowieso brav alles mitmachen, was neu wirkt). Spricht das nicht Bände?
Daß sich die Ergebnisse von Unterschriftenaktionen in Kellern stapeln, ist das etwa positiv? Nein, das ist doch gerade der Skandal! Anscheinend gehen Sie ja auch davon aus, daß die Reform eigentlich vom Volk nicht gewollt ist. Daß das Thema weitgehend egal wäre, ist eine Behauptung ihrerseits, die durch Beobachtung der Wirklichkeit nicht bestätigt werden kann. Daher meine Frage: Halten Sie es für richtig, einem Staat einen demokratischen Anstrich zu geben, faktisch dann aber Maßnahmen auch bewußt gegen den Volkswillen durchzuziehen? Oder sollte man sich nicht genau gegen solche Zustände wehren?
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