Liebe Frau Menges,
freut mich, daß wir einander sympathisch sind. Allerdings muß ich gleich anmerken: Ich habe bisher nicht unbedingt den Eindruck, daß die inhaltliche Verständigung so gut klappt, und das liegt sicherlich nicht an meiner Rechtschreibung, denn die kennen Sie doch auch. Von früher, damals, voriges Jahrtausend, da haben Sie sie doch sogar selber noch benutzt! Wissen Sie noch?
Meine Anmerkungen betreffs der puren Fixiertheit auf Fehlerreduzierung scheinen zum Beispiel noch nicht ganz verstanden worden zu sein, wenn ich Ihre Antwort dazu richtig verstehe. Ich will da mal, was die GKS betrifft, ein weiteres Beispiel bringen. Zum Ende meiner Schulzeit, während der Oberstufe, habe ich am Wochenende bei McDonald´s gearbeitet. Für die dort zuzubereitenden Burger gibt es natürlich genaue Spezifikationen; wieviel Gramm Zwiebeln gehören auf den Big Mäc, wieviel Salat, wieviel Salz aufs Fleisch usw. Perfekt wäre also gewesen, wenn ich in der Küche die Ernährungsprodukte exakt so zusammengebaut hätte, wie es die Norm will. Natürlich liegen in der Realität gewisse Fehlertoleranzen vor. Aber solange man das Ergebnis noch verzehren kann, ohne daß der Geschmack total verdorben ist, sind die Abweichungen nicht weiter schlimm. So ähnlich ist es auch mit rechtschreiblichen Dingen. Es ist gar nicht so schlimm, wenn die von Ottilie Normalverbraucherin und Otto Normalverbraucher geschaffenen Texte hie und da von der allgemeinen Norm abweichen. Solange sie sich immer an derselben übergeordneten Norm orientieren, franst alles nur von der Mitte her aus. Und in professionellen Publikationen kann man eine Orthographie erwarten, die etwa dem Big Mäc in seiner Abbildung auf den Menütafeln oder in der Werbung entspricht: schön, ansprechend, eindeutig, leicht konsumierbar, vor allem aber absolut standardgetreu.
Bevor Sie jetzt den Vergleich ausweiten und die gastronomische Monokultur von McDonald´s auf eine ebenso an Vielfältigkeit und Abwechslung arme Rechtschreibung beziehen und beides aufgrunddessen unschön heißen: Es gibt immer noch mehr Wörter in der Sprache als Gerichte bei McDonald´s. Doch die Vorteile sind einander sehr gleich: Hat man einen Standard, so weiß man immer genau, woran man ist. Wenn ich zu McDonald´s gehe, brauche ich mir nie vorher Gedanken zu machen, was es da wohl zu essen gibt, wie das auf gewöhnliche Restaurants zutrifft. Ich weiß im Prinzip immer schon vorher, ob mir das auch jetzt genau schmecken wird, was ich bestelle. Anderswo habe ich jedesmal mit anderen Gerichten zu tun, und ich weiß eben erst hinterher, ob die Speise meiner Wahl mir zusagt.
Dies sind also Vorteile, die McDonald´s und Orthographie gemeinsam haben (auf die Nachteile von McDonald´s in anderen Bereichen gehe ich jetzt mal nicht ein). Eine Orthographie sollte als Norm so sein, wie sie der sprachlichen Funktion am besten gerecht wird. Ob jeder sie im Alltag umfassend beherrscht und völlig fehlerfrei schreiben kann, ist zweitrangig. Solange die sprachlichen Funktionen nicht beschädigt werden, ist natürlich eine Form anzustreben, die möglichst leichten Umgang ermöglicht. Diese Rangfolge darf aber nicht umgekehrt werden, denn dann entspräche sie nicht mehr dem Grundsinn von Sprache und Orthographie.
Alle Regeln und Normen des Menschen knüpfen an Ideale. Wenn man sie an die Unvollkommenheit der Realität knüpfen würde, blieben sie leer wozu sollten Orientierungspunkte dienen, die einen nur dorthin führen, wo man auch ohne sie schon ist? Denn im echten Chaos gibt es eben keine Ordnung.
Die Starre der Sprache, die ich meinte, ist natürlich keine absolute. Auch die alte Rechtschreibung ist ja nicht so knüppelhart unerbittlich. Sie ist sogar wesentlich dehnbarer und liberaler als die neue. Die Starrheit der Reformorthographie ist jedoch eine ohne Nutzen, stammt auch aus der falschen Quelle, nämlich eben nicht der Gewohnheit. Zur Gewohnheit soll die neue Rechtschreibung nur erst gemacht werden, zwangsweise allerdings, von den Reformbetreibern. Das Seneca-Zitat steht mit meiner Aussage in keinem Widerspruch. Gewohnheit ist genau die Starre, die ich meine. Werden durch sie Funktionen in die Sprache und somit am Rande auch die Orthographie getragen, so kann man davon ausgehen, daß die aufgenommenen Funktionen einen gewissen Bewährungsfilter durchlaufen haben. Normalerweise verbleiben unpraktikable Methoden nicht lange in einem Medium, das Tag für Tag angewandt wird es sei denn, andere Faktoren kommen hinzu, etwa, daß einige Methoden, deren Untauglichkeit nicht allzu unergründlich ist und schnell offenbar wird, von manchen Menschen dennoch mit Vorliebe eingesetzt werden, weil sie gerade in gewissen Kreisen schwer in Mode sind, bzw. einem gewissen Glaubensbekenntnis entsprechen. Genau dies kann man gegenwärtig mit der Rechtschreibreform, aber auch z.B. der Innen-Manie (BürgerInnen, SchülerInnen, PolitikerInnen...), sehr gut beobachten.
Zu Hitler: Ich nannte den eigentlich ziemlich unabhängig von Rechtschreibfragen; es ging mir darum, zu verdeutlichen, daß ein Vordenker nicht unbedingt auch ein Vorbild sein sollte. Entscheidend für Zustimmung ist doch nicht, ob jemand vordenkt, sondern was der Inhalt dieser Vorgedanken ist. Es geht um die Gefahr, Zukunftsorientierung (mit dem Anstrich des Modernen, Fortschrittlichen) als solche allein schon als Garantie für eine tolle Sache zu verstehen. Eine Gefahr, der Sie, liebe Frau Menges, allem Anschein nach sehr leicht anheimfallen.
Zum Thema Chaostheorie: Nicht aus dem Chaos bildet sich die Theorie, sondern zwischen beidem liegt immer noch eine Ordnung. Aus dem vermeintlichen Chaos das nur auf denjenigen als Chaos wirkt, der die verborgene basierende Ordnung noch nicht erkannt hat kristallisiert sich nach einigem Forschen schließlich eine Ordnung heraus, und zu dieser kann man eine Theorie formulieren. Eine Theorie aus echtem Chaos kann in sich wiederum nur chaotisch sein, und so nützt sie als Theorie nichts.
Fehler sind nicht das gleiche wie Chaos. Echtes Chaos definiert sich aus einer Absenz von Ordnung. Ohne eine Ordnung liegt aber kein Maßstab vor, anhand dem man Fehler und Richtiges erkennen könnte.
Und wenn aus einem Fehler gelernt wird, so ist die Lehre immer eine, die einem hilft, diesen Fehler in Zukunft besser zu vermeiden. Aus Fehlern lernen bedeutet also Fehlervermeidung, nicht das absichtliche Herbeiführen von Fehlern aus der Hoffnung, es werde schon irgendwas Fruchtbares dabei herausspringen. (Merkwürdig, wie Sie ausgerechnet aufs Programmieren kommen. Dort bemüht man sich gerade besonders kleinlich um die Vermeidung jeglichen Fehlers; ich habe jedenfalls noch von keinem Programmierer gehört, der die planerische Logik seines Hirns durch einen Bugger ersetzen würde dem Gegenteil von einem Debugger, so nennt man in Programmentwicklungsumgebungen Werkzeuge zum Auffinden und Eliminieren von Programmierfehlern.)
Eine absichtlich geduldete Fehlertoleranz kann zwar als kreative Methode in der Kunst zum Finden von Originellem, Außerordentlichem eben, sehr nützlich sein (z.B. musikalisch, ich bin schon auf viele tolle Melodien und Akkordläufe gestoßen, indem ich mich verspielte). Aber hier ist der Zweck klar definiert. Man darf das nicht einfach unreflektiert als vermeintlichen Universalzaubertrank für alle möglichen Lebensbereiche anwenden. Was würde es denn bedeuten, wenn man geradezu zielstrebig immer bemüht wäre, überall wo es geht Fehler zu machen? Sicher, man könnte eine Menge erleben dabei, aber ohne Zweifel wird die Mehrzahl der so gemachten Erfahrungen wenig wünschenswert sein sonst könnte man die Ereignisse schließlich nicht als Fehler bezeichnen. Insofern kann ich hinter Ihren Ansätzen keine in sich stimmige Philosophie entdecken. Zumal Sie erst die gemäßigte Kleinschreibung als weniger fehlerträchtig anpreisen, um dann aber komischerweise noch darauf hinzuweisen, daß Fehler andererseits doch auch wieder ganz toll seien...
...Übrigens, was Ihren letzten Beitrag betrifft: Sie meinen, Sie seien auch deshalb für die neue Rechtschreibung, weil wir sie schon eine lange Zeit schreiben (die zusätzliche Begründung und weil ich Gefallen an ihr gefunden habe ist in dem Zusammenhang so tautologisch, daß ich sie hier mal außer Acht lasse). Wie lange haben wir denn zuvor die alte Rechtschreibung geschrieben? Ein bißchen länger als 5 Jahre dann doch. Das scheint hingegen kein Hinderungsgrund gewesen sein, die derart bewährte Einheitsorthographie zu verwerfen.
Es wird kein Zurück mehr geben können, es hat sich zuviel verändert was für eine Logik! Umformuliert heißt das: Es hat sich viel verändert, also ist Veränderung unmöglich. Sehr einleuchtend. Frau Menges, seien Sie doch dankbar, daß in unserem Universum Veränderung keinem Einbahnstraßenmechanismus folgt, sonst könnte man Irrtümer nie korrigieren.
Ich möchte Ihnen noch einen Tip geben: Wenn Sie meinen, mit einem Szenewörterbuch die Sprache der Zukunft in den Händen zu halten, werden Sie höchstwahrscheinlich über kurz oder lang enttäuscht sein. Die Zukunft wird wohl kaum die gesamte Gesellschaft in eine einzige Szene verwandeln. Und neue Moden kommen, aber sie vergehen auch schnell wieder. Denken Sie an den Pomadenhengst, der aus der neuen Dudenausgabe gerade wieder verschwunden ist. War vor ein paar Jahrzehnten Ey, echt dufte, du! noch eine jugendlich-moderne Ausdrucksweise, so wirkt diese heute derart verstaubt, daß man damit unter Heranwachsenden der Gegenwart nur noch spöttisches Gelächter ernten würde. Ich glaube, der Reformschreibe wird es in einigen Jahren nicht anders ergehen.[Geändert durch Christian Melsa am 06.03.2001, 03:58]
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