Die großen Zeitungen schweigen
Rechtschreibreform
Der Esel darf wieder am Stück bleiben
Von CORINA APPEL
Kaum etwas hat die Deutschen (und ihre deutschsprachigen Nachbarn) in größere Verwirrung gestürzt als die Rechtschreibreform. Heute vor genau zehn Jahren wurde die letzte an den Schulen verbindlich eingeführt. Aber ausgegoren ist sie immer noch nicht.
Wir schreiben das Jahr 2006. 1. August. Die Schüler Deutschlands starten in ein neues Abenteuer: das der reformierten Rechtschreibung. Aber es ist gar kein so neues Abenteuer, denn das eigentliche begann viel früher: 1996 schon. Ab diesem Tag konnten einem sowohl Schüler als auch die schreibende Zunft leidtun, oder übergangsweise auch leid tun, aber nie Leid tun (das war schon immer falsch, auch wenn man es ab und zu liest). Denn, ach herrje, es mussten jetzt so viele Begriffe, die der Schüler von einst mühsam erlernt oder gar studiert hatte, neu überdacht werden. Wo der Käpt’n vor der Reform eine Flusschiffahrt unternommen hat, muss er auf dem modernen Dampfer eine Flussschifffahrt auf sich nehmen. Ganz ehrlich, liebe Leser, wie sieht denn das aus? Vereinfachung nennen es die Reformer. Blödsinn die anderen.
Und wir Journalisten besuchten Kurse, um zu erfahren, was Sache ist. Und um aus dem Panther einen Panter zu machen. Wobei dann eine List um die Ecke kam: Es geht beides. Ja, was denn nun? Ist die Raubkatze mit oder ohne „h“ vollständig? Und wie fährt man künftig den Schneehang hinab. Auf Skiern oder auf Schiern? Auf beiden, sagt der Duden, und der Autor grübelt.
Manches ist blöd
Ich liebe ja die deutsche Sprache. Aber wo sich mein Gefühl gerade mit den Regeln angefreundet hatte, gab es die Reform. Ich finde so manches Wort sieht einfach zu blöd aus, pardon. Ich fand die Umstellung nicht so schwierig, weil vieles sinnig ist. Für mich war es logisch nachvollziehbar. Auch dass man manche Wörter mit Bindestrich schreibt. Dadurch wird die Lesbarkeit verbessert.
Diese Reform war für mich nicht mehr so schlimm. Die 1996 aber. Da war ich in der Schule. Und das bisschen Struktur, das ich hatte, ging dabei auch noch verloren (augenzwinkernd). Und heute? Ich schreibe gerne nach Gefühl.
Eindeutschen lautet die Zauberformel. Aber bitte nicht alle Begriffe. Wer scharmant im Kabrio Kupee in die Butike fahren will, bekommt ganz charmant einen Platzverweis. Hier bleibt’s dabei, dass man mit dem Cabrio oder Coupé in die Boutique fährt oder am besten vom Chauffeur (statt Schofför) bringen lässt. Und bitte das Portmonee nicht vergessen.
Die neue deutsche Rechtschreibung richtet sich nun mehr nach der Aussprache. Das Schloss wird „schnell gesprochen“ und bekommt bei so viel Schmackes am Ende zwei „s“ verpasst.
Der Schoßhund darf sein „Buckel-S“ behalten, denn der ist ja langsam. Also zumindest der Aussprache nach. Aber auch da gibt es schon wieder Ausnahmen. Denn die Maffia bleibt weiter die Mafia, auch wenn sie in der Mitte schnell ist. Wer soll sich denn da noch auskennen?
Info: Aus der Geschichte der Orthografie
Das waren noch Zeiten: Bis 1788 schrieb jeder so, wie er es für richtig hielt. Nun gut, so viele „Schreiberlinge“ gab es ja nicht. 1788 formulierte Johann Christoph Adelung in „Vollständige Anweisung
Früher konnte man sich noch mit sogenannten Eselsbrücken behelfen. Aber auch die müssen ja nun neu gebaut werden. So hieß es mal „trenne nie st, denn das tut ihm weh“. Damals hat man noch „getutet“. Und mittlerweile hat sich auch das „st“ an den Trennungsschmerz gewöhnt, wenn der Kas-ten beim fas-ten zum „Käst-chen wird. Ups, schon wieder eine andere Trennung. Okay, machen wir einfach eine Schatulle draus, wie der Chef (nicht Scheff) jetzt sagen würde.
2006 wurde auch so einiges wieder rückgängig gemacht, was 1996 im Überschwang reformiert wurde. Den Esel gibt’s jetzt beispielsweise wieder am Stück. Wer noch immer E-sel trennt, ist selbst ein Schaf, das aber auch am Stück bleibt.
Und dann noch die ganzen Dummheiten mit Konsonanten- und Vokalen-Trennungen. Hier wird nun wieder überhaupt nicht auf die Silbensprache geachtet. Die Reformer demonst-rieren sogar, wie bisher sinnvoll verwandte Wörter durch monst-röse Regeln verballhornt werden. Hier wird sogar aus einem Teen-ager (nachvollziehbar) ein Tee-nager. Kaffee-trinker kennen wir ja, aber Tee-nager? Muss eine neue Spezies sein, die in der Redaktion noch nicht bekannt ist.
Nur gut, dass es Schreibprogramme mit eingebauter Rechtschreibprüfung gibt. Die unterstreicht in verschiedenen Farben und ist eine angenehme Hilfe. So mancher Fehler lässt sich dabei vermeiden. Allerdings darf man den Programmen auch nicht alles glauben. Vor allem, wenn sie eigenmächtig nach Gutdünken Worte ersetzen wollen. Dabei wird nämlich schnell aus einem Trennvorschlag eine Trendforschung. Oder aus Corina ein Conrad. Jesses!
Und wie geht’s jetzt weiter mit unserer Rechtschreibung? Eine Studie des Germanisten Uwe Grund hat gezeigt, dass Schüler seit der Reform 1996 etwa doppelt so viele Fehler fabrizieren wie zuvor. Und der bayerische Ex-Kultusminister und Vorsitzende des „Rats für deutsche Rechtschreibung“, Dr. Hans Zehetmair, nennt 2015 die Einmischung der Politik in die Rechtschreibung zum wiederholten Male einen Fehler: „Das sollte nie wieder vorkommen, die Lektion haben alle gelernt.“
Also, vielleicht gibt’s ja bald wieder was Neues. Es bleibt spannend, liebe Leser.
taunus-zeitung.de 1.8.2016
Verspätete Anmerkung: Der Artikel ist zu lang, aber mir fehlt die Zeit, ihn zu kürzen. Man ist ja schon froh, wenn überhaupt berichtet wird. Der letzte Satz erweist die Schreiberin als Frohnatur, die sich trotz etlicher Wehwehchen gerne „anpasst“.
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