Korrekter Hexensabbath
Eben fiel mir Otfried Preußlers Buch „Die kleine Hexe” in die Hände. Meine Frau hat es sorgsam aufbewahrt, nachdem es vier Kindern als Lese- und Vorlesestoff gedient hat. Auf Seite 86 liest man unter der Überschrift „Wollen wir wetten?“:
Wie kamen die beiden Negerlein auf die verschneite Dorfstraße? Und seit wann gab es Türken und Indianer in dieser Gegend? Türken mit roten Mützen und weiten Pluderhosen – und Indianer, die greulich bemalte Gesichter hatten und lange Speere über den Köpfen schwangen?
„Sie werden vom Zirkus sein“, meinte der Rabe Abraxas.
Aber die beiden Negerlein waren nicht vom Zirkus und ebensowenig die Türken und Indianer. Auch die kleinen Chinesinnen und der Menschenfresser, die Eskimofrauen, der Wüstenscheich und der Hottentottenhäuptling stammten nicht aus der Schaubude. Nein, es war Fastnacht im Dorf! Und weil Fastnacht war, hatten die Kinder am Nachmittag schulfrei bekommen und tollten verkleidet über den Dorfplatz.
Die kleinen Türken warfen Papierschlangen. Der Hottentottenhäuptling brüllte: „Uaaah! Uaah!“ Der Menschenfresser schrie: „Hungärrr! Hungärrr! Wer will sich frrressen lassen?“
Was mag die Correctness-Afferei daraus gemacht haben? Die „Welt“ brachte den Vergleich von „alt“ und „neu“ – „alt“ allerdings schon in der schreibdeformierten Fassung, die 40 Jahre nach dem ersten Erscheinen des Buches erpreßt wurde, so daß dort schon angegraute Gesichter auftauchen und daß „ebenso“ Türken und Indianer nur „wenig“ vom Zirkus sind.
Die reformierte und politisch korrekte Fassung lautet dann so:
„Wie kamen die beiden Messerwerfer auf die verschneite Dorfstraße? Und seit wann gab es Cowboys und Indianer in dieser Gegend? Messerwerfer mit roten Mützen und weiten Pluderhosen – und Indianer, die gräulich bemalte Gesichter hatten und lange Speere über den Köpfen schwangen?
,Sie werden vom Zirkus sein‘, meinte der Rabe Abraxas.
Aber die beiden Messerwerfer waren nicht vom Zirkus und ebenso wenig die Cowboys und Indianer. Auch die kleinen Chinesinnen und der Menschenfresser, die Indianerinnen, der Wüstenscheich und der Seeräuber stammten nicht aus der Schaubude. Nein, es war Fastnacht im Dorf! Und weil Fastnacht war, hatten die Kinder am Nachmittag schulfrei bekommen und tollten verkleidet über den Dorfplatz.
Die kleinen Messerwerfer warfen Papierschlangen. Der Seeräuber brüllte: ,Uaaah! Uaah!‘ Der Menschenfresser schrie: ,Hungärrr! Hungärrr! Wer will sich frrressen lassen?‘“
welt.de 18.5.2013
Nun paßt nichts mehr: Im ersten Satz sind die „Negerlein“ zu „Messerwerfern“ geworden, im zweiten die „Türken“ zu „Cowboys“, im dritten dagegen die „Türken“ zu „Messerwerfern“, aber immer noch osmanisch gekleidet. Nur die „Indianer“ blieben, unkorrekt nicht nach ihrer Selbstbezeichnung genannt, aber nun mit grauen Gesichtern. Im nächsten Abschnitt wurden wieder die „Negerlein“ zu „Messerwerfern“ und die „Eskimofrauen“ mutierten zu „Indianerinnen“, weil Kinder keine „Inuitfrauen“ kennen, so daß der kalte Norden nicht mehr vertreten ist. Während der „Menschenfresser“ unangetastet blieb, wurde der „Hottentottenhäuptling“ in einen „Seeräuber“ verwandelt. Am Ende werden die kleinen „Türken“ wieder „Messerwerfer“ (nicht „Messerstecher“!), aber der weiterhin diskriminierte Menschenfresser schreit unverändert. – Dabei wird von etlichen Ethnologen angezweifelt, daß es jemals echte Menschenfresser gegeben hat!
Kurz vor seinem Tod hat angeblich seine Familie Otfried Peußler die Zustimmung zu den absurden Änderungen abgerungen, die er zeit seines Lebens verweigert hat. Wenn in dem Welt-Artikel die Rede ist von dem „preußlerschen Familienbetrieb“, versteht man, warum er staats- und correctness-angepaßt weiterlaufen mußte.
|