Gegen die Diktatur des Blödsinns
Sibylle Berg hat im „Spiegel“ ein bissiges Pamphlet gegen die belästigenden Zeitumstellungen verfaßt. Mit geringen Umbenennungen hätte es auch gegen die Rechtschreib„reform“ verwendet werden können:
Ärgernis Rechtschreibreform: Nicht mit mir!
Eine umfunktionierte Kolumne nach Sibylle Berg
Die Rechtschreibreform ist unsinnig, teuer, macht krank und dumm und trotzdem regt sich kaum Widerstand dagegen. Denn die Menschen gehen zwar auf die Straße, wenn sie hassen, hungern oder um ihr Geld fürchten aber leider nicht für Sinn.
Gleich oder morgen oder demnächst wird die Rechtschreibung umgestellt. Wer weiß schon genau Bescheid, keiner will das wissen, keiner will das. Niemand will diese allmachtsfantastische Schrauberei an der Orthographie. Millionen werden Schreibstörungen haben, schlechte Laune, Fehler durch Unaufmerksamkeit. Die Fehlereinsparung, die einmal ausschlaggebend für das Schreibchaos war, ist heute umstritten, unbestritten sind die enormen Kosten der Umstellung. Und die negativen Auswirkungen auf Physis und Psyche.
Besonders bei jenen Menschen, die in den Auslandsschulen arbeiten müssen... Versuch den Quatsch mal einem Chinesen zu erklären. Die Kosten der Umstellung in der Buchindustrie, der Medien-Welt und im Zeitungswesen sind verrückt.
Und vollkommen bescheuert die ganze Aktion, bedenkt man, dass kaum ein Mensch die Schreibumstellungen schätzt. Alle murren, schrauben an ihren Buchstaben, sind verwirrt. Und wir erhalten ein perfektes Beispiel von der Schwierigkeit von Menschen, sich zu organisieren und zivilen Wiederstand zu leisten.
Wie schon damals die Parole Stellen sie sich vor, es ist Krieg und keiner geht hin rührend war in der Annahme, Menschen könnten sich gegen ihre demokratisch gewählten Regierungen zur Wehr setzen, ist es auch bei dem harmloseren aber ärgerlichen Vorfall der diktierten unsinnigen Schreibumstellungen fast unmöglich, eine Solidargemeinschaft zu bilden.
Würden alle Bewohner fangen wir mal klein an – Schleswig-Holsteins die Rechtschreibreform ignorieren, gäbe es ein solches Chaos, dass sich im nächsten Jahr der Rest Deutschlands und dann der Rest der deutschsprachigen Welt mit Freuden anschlösse. In nur drei Jahren wäre das Thema vom Tisch. Sich im Netz zu verbünden geht schnell.
Aber wie setzt man das im Einzelnen um? Jeder für sich, zu Hause. Zu riskieren, Nachteile bei der Arbeit zu kommen, Klassenziele in der Schule zu verpassen, wichtige Möglichkeiten der Selbstdarstellung, den ganzen Scheiß. Auf einmal ist man allein mit seiner Zivilcourage, und wer hat die schon? Was bei der Demonstration vor Flüchtlingsheimen hervorragend funktioniert die Wut, die eine Gruppe verbindet, der Folgetrieb, der Mob, die Masse, die gemeinsame Empörung , ist bei sinnvollen Aktionen schwer herzustellen.
Wer beginnt damit, sich auf die Straße zu stellen, in der Nacht der Schreibumstellung, und in den Himmel zu rufen Mit mir nicht!? Wer wird ihm folgen, und lohnt das überhaupt? Die Menschen mobilisiert man am besten im Hass. Gegen Fremde zum Beispiel, gegen die Regierung, wenn es an das Geld geht, an die Nahrung, schon bei sinnvollen Punkten wie Atomkraft bekommt man weniger Menschen auf die Straße als bei einer gepflegten 1. Mai-Ausschreitung.
Ich könnte allen vorangehen, auf die Straße, und könnte diese Demonstration totaler menschenverblödender Diktatur des Schreibens anführen. Fraglich, ob mir viele folgen würden, denn meine Beliebtheit hält sich in Grenzen. Wir werden es nicht schaffen, den Irrsinn zu verhindern. Wir werden schlechte Laune haben, es wird dunkel und kalt...
spiegel.de 26.10.2013
Siehe auch hier
Nachtrag 27.10.13 11.55: Eben höre ich, daß meine Frau alle Uhren um eine Stunde auf 13.55 vorgestellt hat und mein Sohn dadurch einen Termin verpaßt hat.
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