Vorfahren
In der letzten Woche war ich in Apenrade (Aabenraa), um im Landsarkivet for Sønderjylland etwas über die dänische Linie meiner Vorfahren zu erfahren. Freundlicherweise hatte man mich schon telefonisch darauf hingewiesen, daß bereits alle Kirchenbücher verfilmt und im Internet einsehbar seien. So hatte ich schon meinen Ururgroßvater mit dem seltenen Namen Jens Jensen, dessen Existenz bisher nur eine Bleistiftnotiz in alten Unterlagen behauptete, anhand seines Geburtsdatums identifizieren können.
Zu meinem Erstaunen fand ich, daß ein großer Teil der Kirchenbücher der Städte in Nordschleswig, die seit etwa 1700 vorliegen, in gestochener traditioneller Kurrentschrift ( „auf dem Schloßgrunde“) und in bestem Hochdeutsch geführt wurden. Die Amtssprache in den freien norddeutschen Städten wie Lübeck, Hamburg und Bremen war dagegen um 1820 immer noch Plattdeutsch.
Mein Vorfahr war von Hadersleben (Haderslev) nach Hamburg übergesiedelt – wohl über Altona, das, wie ganz Holstein, damals noch der dänischen Krone unterstand, ohne formal Bestandteil Dänemarks zu sein. Die Geschichte Schleswig-Holsteins ist so verwickelt, daß der englische Premierminister Lord Palmerston (1784-1865) behauptete, es habe nur drei Menschen gegeben, die sie in allen Einzelheiten beherrschten: Der erste sei der Prinzgemahl Albert, und der sei tot. Der zweite sei ein deutscher Professor, und der sei darüber verrückt geworden. Der dritte sei er selbst, aber er hätte alles wieder vergessen.
Mit der freundlichen Hilfe des Archivars im Landsarkivet konnte ich nun einige der besonders schwungvollen Schnörkel entziffern und erfahren, daß mein Urururgroßvater, ebenfalls Jens Jensen, wie auch dessen Vater Jens Lausen, aus dem Dörfchen Nörbye, Gemeinde Glud, nahe der Insel Fünen stammte, während die Mutter, Christine Jens[datter], aus dem nahen Ort Hatting stammen sollte.
Nun muß ich noch die endlose Reihe der Namen in diesen Kirchbüchern entziffern, die dort auf dänisch geführt wurden und bis 1700 zurückgehen. So hoffe ich, noch genaueres zu erfahren und damit das Wissen über meine Vorfahren etwas zu erweitern. Durch die Arbeit eines Großonkels und einen glücklichen Zufall läßt sich eine andere Linie, die älteste bekannte, bis 1402 nach Stadthagen zurückführen.
Ganz finster sieht es dagegen auf der Seite meines Vaters und der schlesischen Vorfahren aus. Da kenne ich als Folge von Krieg und Vertreibung nicht einmal die Lebensdaten meiner Großeltern, und das Standesamt des letzten Wohnsitzes einer Tante im Harz weigerte sich, mir etwas herauszugeben, weil ich nicht in direkter Linie mit ihr verwandt sei.
Inzwischen habe ich auch erfahren müssen, daß mein Interesse an meiner Herkunft den Argwohn anderer erregt, die sogleich Reaktionäres und Schlimmeres wittern. Zum Glück sind wir aber, abgesehen von der „Rechtschreibreform“, noch nicht so weit wie im China der sechziger Jahre, wo die Roten Garden das „Alte Denken“ ausrotten wollten, indem sie die seit zweitausend Jahren gepflegten Ahnentafeln zerstörten, unter anderem meinem Chinesischlehrer, Herrn Lu.
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