Die neuen Demokraturen
Den Ungarn wird von der neuen konservativistischen Parlamentsmehrheit scheindemokratisch eine neue autoritäre Verfassung übergestülpt – gegen europäische Standards. Verfassungsrechtler in aller Welt protestieren. Die Juristen Maximilian Steinbeis und Christian Boulanger schreiben darüber ausführlich in der ZEIT – unter anderem:
Deshalb haben wir Ende März einen Aufruf initiiert. Mehr als achtzig Juristen und Wissenschaftler anderer Disziplinen haben ihn bislang unterzeichnet. Etwa ein Drittel davon kommt aus Ungarn, der Rest aus aller Welt – insgesamt sind dreizehn Länder vertreten. Zu den Unterzeichnern gehören der ehemalige Vizepräsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts, Ernst-Gottfried Mahrenholz, der frühere Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Miguel Poiares Maduro, … und zahlreiche weitere prominente Wissenschaftler, die sich mit Verfassungsfragen befassen.
zeit.de 19.4.2011
Der ehemalige Verfassungsrichter Mahrenholz hatte seinerzeit auch die Einführung der „Rechtschreibreform“ für unzulässig erklärt:
„In der Neuregelung der Daß-Schreibweise haben die Minister ihre Kompetenz überschritten. Hier hat die Kommission und ihr folgend die Ministerriege sich so gesehen, als habe sie zwischen zwei möglichen Gebrauchsformen des „ß“ zu wählen. Es ging aber doch um die Wahl zwischen einer alten und bewährten Praxis und einem neuen Modell.
Hier kann ein Eingriff, der die bisherige Funktion eines Buchstabens betrifft, eine Veränderung seines überlieferten „Ortes“, nicht aus der Kompetenz für Schulfragen gerechtfertigt werden. Und um es gleich zu sagen, dies kann auch kein Landtag (der Bundestag ohnehin nicht).“
(Süddeutsche Zeitung 23./24. 08.1997)
Das auffällig parteiliche Bundesverfassungsgericht hat dieses und vieles anderes jedoch bewußt nicht erkennen wollen.
In Ungarn begann die Einrichtung autoritärer Strukturen mit dem Mediengesetz und setzt sich jetzt in der Verfassung fort. Die ungarische deutschsprachige Zeitung „Pester Lloyd“ berichtete:
Der UN-Gesandte für Meinungsfreiheit machte in Ungarn einen seltenen Stop in Europa, sonst ist er meist in afrikanischen, arabischen oder asiatischen Staaten unterwegs…
Was ihn an dem ungarischen Mediengesetz in erster Linie stört, ist der Ansatz, dass die Medien mehr der Regierung verantwortlich zu sein scheinen als der Öffentlichkeit, eine Mentalität, die ihm sonst eher in Dikaturen begegnet… Eine 2/3-Mehrheit ist ja etwas fantastisches, aber nicht einmal diese Mehrheit könne eine Rechtfertigung für solche Gesetze sein.
Staatssekretär Kovács entgegnete dem Gast, …[es] sei eine spezielle Kenntniss der örtlichen Umstände nötig, um das ungarische Mediengesetz zu verstehen, ließ er den UN-Rapporteur wissen…
Pester Lloyd 8.4.2011
Im Gegensatz dazu machten bei uns die Medien ziemlich freiwillig ihren Rechtschreib-Kotau vor der „Kultur“-Politikerbande der Länder. –
Zur neuen ungarischen Verfassung schreibt die Pester Zeitung:
Die Präambel, das sei hier klar und nüchtern gesagt, ist vollkommener Nonsens mit einem gefährlich klerikal-nationalistischen Einschlag, der kein gutes Licht auf die Zukunftsfähigkeit des Landes und die Toleranz seiner Institutionen und Bürger wirft.
Pester Lloyd 16.4.2011
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