Sprachliche Invasionen
Ein interessanter Artikel von Robert Fisk ist in der Neuen Rheinischen Zeitung – Online (einer Wiederbelebung der Marxschen Zeitung von 1848) erschienen:
Kampfsprache: Die neue Propaganda
Von Robert Fisk
Der Journalismus hat sich zu einem sprachlichen Schlachtfeld entwickelt – und wenn Reporter Begriffe verwenden wie: “ein Aufflammen der Gewalt”, oder “Surge”, oder “Siedler”, dann spielen sie weiter mit diesem schädlichen Spiel, argumentiert der englische Nahost-Korrespondnt Robert Fisk in „The Independent“. – Die Redaktion
[Aus diesem umfangreichen und polemischen Artikel nur einige Kostproben (in der nicht überprüften Übersetzung)]
… Wir Journalisten sind heute mehr und mehr zu Gefangenen der Sprache der Macht geworden. Ist es, weil wir uns nicht mehr um Linguistik oder Semantik kümmern? Ist es deshalb, weil die Notebooks unsere Rechtschreibung “korrigieren”, unsere Grammatik “verbessern”, sodass unsere Sätze mit denen unserer Herrschenden identisch sind?
[Das erleben wir gerade wörtlich. 2006 erzählte mir stolz der verstorbene KNA- und frühere DPA-Korrespondent Karl-Ernst Jipp, er schriebe immer noch nach der alten Rechtschreibung. Die Umwandlung mache sein Rechner. Stefan Aust berichtete 2004 von seinen Spiegel-Mitarbeitern ähnliches und nannte es „kafkaesk“. So wird das Volk wird durch Automaten zur Sprache der Regierenden zwangsbekehrt.]
Mittlerweile ist der „Friedensprozess“ zusammengebrochen. Deshalb versuchen unsere Anführer oder „Schlüsselfiguren“ wie wir sie gerne nennen ihn wieder in Gang zu bringen. Der Prozess musste wieder „zurück in die Spur“ gebracht werden. Sehen Sie, es war ein Zug. Die Wagons sind vom Weg abgekommen. Die Clinton-Regierung nutzte diese Phrase zuerst, dann die Israelis, dann die BBC. Aber es gab ein Problem, als der „Friedensprozess“ immer wieder „zurück in die Spur“ gebracht wurde aber immer noch vom Weg abkam. Deshalb produzierten wir einen Fahrplan, eine „Roadmap“, betrieben von einem Quartett und geleitet von unserem alten Freund Gottes, Tony Blair, den wir in einer Obzönität der Geschichte nun „Friedensbotschafter“ nennen. Aber der „Fahrplan“ funktioniert nicht. …
Hier ist ein weiteres Bruchstück medialer Feigheit, das meine 63 Jahre alten Zähne einander abschleifen lässt, nachdem ich 34 Jahre Humus und Tahina im Nahen Osten gegessen habe. Uns wird in vielen Analysebeiträgen erzählt, dass wir uns im Nahen Osten mit „konkurrierenden Schilderungen“ befassen müssen. Wie gemütlich. Es gibt keine Gerechtigkeit, keine Ungerechtigkeit, nur ein paar Leute, die verschiedene Versionen der Geschichte vortragen. „Konkurrierende Schilderungen“ tauchen nun regelmäßig in der britischen Presse auf. …
Der englische Originalartikel von Robert Fisk erschien am 21. Juni 2010 in „The Independent“. Übersetzung: Fabian Köhler & Fatma Derman (ISM)
nrhz.de 28.7.2010
[Der Artikel überschreitet den Rahmen des hier Darstellbaren. Nur noch eine nebensächliche Anmerkung: „Humus“ ist natürlich falsch und irreführend. Es muß „Hummus“ heißen (mit einem gutturalen „h“, einem deutlich doppelt verstärkten „m“ und einem emphatischen „s“), ein Kichererbsenbrei. „Tahina“ ist eine Sauce aus Sesammehl.]
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