Nochmal: Zerreden der Reformschurkerei ...
Interview über 20 Jahre Rechtschreibreform
BZ-INTERVIEW mit dem Sprachwissenschaftler Ludwig Eichinger über 20 Jahre Rechtschreibreform.
Sie ist tatsächlich schon zwanzig Jahre alt: Die Reform der deutschen Rechtschreibung trat am 1. Juli 1996 in Kraft. Doch was Kultusminister und Wissenschaftler in Konferenzen hinter dem Rücken der Öffentlichkeit ausgeheckt hatten, traf auf schärfsten Widerspruch. Im Gespräch mit Bettina Schulte zieht der Sprachwissenschaftler Ludwig Eichinger, seit 2004 Mitglied im Rat für die deutsche Rechtschreibung, eine vorläufige Bilanz.
BZ: Herr Eichinger, ist das Datum angesichts der starken Nachwehen und Nachbesserungen überhaupt von Relevanz?
Eichinger: Jede Reform braucht eine Phase der praktischen Durchsetzungszeit. Insofern ist es ganz gut, wenn man die verschiedenen Etappen im Blick behält.
Kommentar: Währungsreform > Einige Monate Umtauschzeit, dann war es vorbei. BZ: Wäre es nicht angemessener, den Beginn der Rechtschreibreform zehn Jahre später zu datieren?
Eichinger: Ich kann dem gut zustimmen, ich bin selbst ja auch erst seit 2004 mit der Reform beschäftigt. Man hat nach langem Hin und Her 2006 dann endlich den Kompromiss gefunden, der in Kraft gesetzt wurde und sich breiter Zustimmung erfreut. Kommentar: „Kompromiß“ der Politiker, die ihr Gesicht wahren wollten, und der Medienkonzerne, die Eigeninteressen verfolgten; außerhalb dieses Machtbereichs widerstehen auch heute noch bemerkenswert viele Menschen. BZ: Die Geschichte der Rechtschreibreform liest sich als Abfolge von Widersprüchen, Einwänden, Protesten, Aktionen, Volksentscheiden, Sonderwegen verschiedener Bundesländer: Es ging ziemlich chaotisch zu. Die damalige brandenburgische Kulturministerin Johanna Wanka sprach 2005 sogar davon, dass die Reform gescheitert sei. Hatte sie recht?
Eichinger: Die Reform ist sicher nicht gescheitert. Sie ist nur chaotisch gemanagt worden. Im Rat für Rechtschreibung sind jetzt alle repräsentiert: auch die Verlage, die Medien, die Lehrerverbände. Kommentar: Die „Reform“ ist am Ziel des vereinfachten, fehlerfreieren Schreibens grandios gescheitert, nur in der Durchsetzung nicht – wegen der kombinierten Erpressung der Bevölkerung durch Schülergeiselnahme und komplottartige mediale Zwangsmissionierung der Erwachsenen. BZ: War die Reform nötig?
Eichinger: Vermutlich braucht man alle 100 Jahre eine Rechtschreibreform, bei der etwas Größeres geändert wird. Die kleinen Änderungen vollziehen sich ja quasi von selbst. Kommentar: Welch betriebsblinde Dummheit eines Germanistikprofessors. Daß man das nicht notwendig braucht, beweisen die französische, englische und isländische Rechtschreibung. Die „größere Änderung“, die s-Regelung nach Heyse, hatte im Volk nie jemand gekannt und gewollt. Sie ist das fehlerträchtige Gift für alle Tradition. BZ: Hat die Reform ihr Ziel erreicht, die Rechtschreibung zu vereinfachen?
Eichinger: Das war am Anfang das zentrale Ziel. Dann stellte sich aber die Frage: Was heißt das? Einfach zu lernen für den Anfänger, einfach zu nutzen für die, die in der Schreibtradition drin sind, einfach zu lesen, einfach zu schreiben? Man hat im Lauf der Diskussion erkannt, dass alle diese Faktoren austariert werden müssen. Kommentar: Drumherumgeschwätz! Eichinger ist eben ein anpassungsbereiter Mitläufer. BZ: Was hat die Reform denn nun bewirkt, wenn es darum nicht geht?
Eichinger: Wir sind uns des Regelwerks bewusster geworden. Einige Dinge wurden neu geordnet, zum Beispiel die Getrennt- und Zusammenschreibung. Es herrscht mehr Klarheit. Das halte ich für einen Fortschritt. Kommentar: Eben nicht! Nach der willkürlichen Trennungsorgie die krampfhafte Zusammenschreibung zur Umgehung idiotischer Großschreibungen u.ä.: leid tun > Leid tun > leidtun. Weil die Kleinschreibung ausgeklammert war, mußten die „Reformer“ krampfhaft woanders „Reformbedürftigkeit“ finden. BZ: Der scheint in den Schulen noch nicht voll angekommen zu sein. Die Schüler sind nicht unbedingt besser geworden in der Rechtschreibung.
Eichinger: Die lange Diskussion um die Reform hat Verwirrung auch in die Schulen gebracht. Um die Wirkung des reformierten Regelwerks zu beurteilen, dazu haben wir noch keine verlässlichen Daten. Außerdem haben wir da auch andere Faktoren zu berücksichtigen.
BZ: Welche?
Eichinger: Zweifellos die veränderte Mediennutzung. Die Chancen für junge Leute, aktiv handschriftlich Texte zu verfassen, sind gesunken, weil man alles am Handy machen kann. Das verfügt über ein Rechtschreibprogramm. Außerdem lernt man Rechtschreibung auch davon, dass man mit Wortformen konfrontiert wird: durch Lesen. Das muss nicht nur hohe Literatur sein. Da ist leider ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Deshalb hat der Rat empfohlen, die Rechtschreibung im Unterricht länger aktiv zu halten.Kommentar: Es war gerade das Ziel der Reformaktivisten und Politiker, die Jugend vom großen Schatz der überlieferten Literatur fernzuhalten, um „altes Denken“ auszurotten und ihre Reformschreibe nicht zu gefährden. Die Büchervernichtungen hatten etwas von Maos Krieg gegen die Spatzen. Heute wird China von Ungeziefer und Deutschland von Rechtschreibfehlern heimgesucht. BZ: Durch das Schreiben von Diktaten zum Beispiel?
Eichinger: Ich finde Diktate ganz gut. Ich bin nicht glücklich mit den phonetischen Schreibungen. Die Schüler sollten schnell lernen, dass Orthographie etwas anderes ist als Lautschrift. Als Reaktion auf die veränderte Medienlandschaft muss die Schule ihre Rechtschreibstrategien weiter_entwickeln. In allen Bereichen der Welt braucht man ein gewisses Handwerkszeug. Es ist halt ein bisschen langweilig, das zu lernen.
BZ: Ein Ergebnis der Reform der Reform von 2006 war es, mehr Varianten in der Rechtschreibung zuzulassen. Führt das auf lange Sicht zu einer Verwilderung der Sprache oder hat sich hier ein orthografischer Liberalismus durchgesetzt?
Eichinger: Für mich ist das eine realistische Regelung. Die Groß- und Kleinschreibung wie auch die Getrennt- und Zusammenschreibung sind nach wie vor schwierige, um nicht zu sagen dunkle Kapitel. Hier raten wir zur Liberalität. Die Rechtschreibung gilt im Strengen ohnehin nur für die Schule und für die Verwaltung. Wenn Autoren, Verlage, Zeitungen an einzelnen Stellen abweichen, ist das ihre Sache. Kommentar: Statt des Kulturbruchs hätte man ohne jede „Reform“ die Dudenregeln etwas liberaler handhaben können – was vernünftige Leute schon immer getan haben. Aber die kleinschreibgläubigen „Reformer“ hatten die oft lächerliche Großschreibung nur als Übergang bis zur endgültigen Zwangsbekehrung zur Kleinschreibung konzipiert. Ludwig M. Eichinger (66) ist Professor für Germanistische Linguistik, seit 2002 Direktor des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim und von Beginn an Mitglied des Rats für deutsche Rechtschreibung, dessen Geschäftsstelle am IDS angesiedelt ist.
badische-zeitung.de 22.8.2016
Kommentare von mir. Im ersten Link wurde zitiert, daß die Ministerpräsidenten im Oktober 1995 den Kultusministern Bedingungen genannt hatten, unter denen sie eine Reform akzeptieren würden. Zwei Monate später hatten diese Nietinnen und Nieten in Nadelstreifen allen Reformer-Unfug geschluckt und am 1. Juli in Wien als ihre Absicht unterzeichnen lassen.
geändert 23.8.16
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