Neues Deutschland
Ebene Landschaft, Wald, Wiese, Nebel schweigsam
Besuch in Bargfeld: Vor dreißig Jahren starb der Erzähler Arno Schmidt
Von Benjamin Jakob
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Ich bekam Fernweh, wenn ich las: »Meine Landschaft muß eben sein, flach, meilenweit, verheidet, Wald, Wiese, Nebel, schweigsam.« Oder: »Linx war eben eine große=schöne=schtille Wiese vorbei-gekomm. Natürlich nicht ohne daß 1 Bauern=Fatzke sie nicht bereiz umzuflüügn begonn hätte. – Auch nach rechz=hinn wurde der Wallt dünner. Ein wintzijes ›Ur=Schtrom=Thal‹ zeigte seine schüchterne Überschwemmunx=Wiese: sehr Norddeutsch; sehr schön.« […]
Schmidt, Arno, geboren 1914 in Hamburg: Im zweiten Weltkrieg Soldat; lebte seit 1958 in Bargfeld. Durch assoziationsreiche Sprache und eigenwillige Orthographie gekennzeichnetes Werk. […]
Damit wird das Durcheinander erst richtig deutlich, das die Kultusminister angerichtet haben. Die unanpaßbare Schmidtsche Original-Orthographie steht neben den anscheinend unvermeidlichen ss-Signalen. Frau Knop, Schmidts letzte Haushälterin, spricht jedoch in traditioneller Rechtschreibung – sogar in indirekter Rede:
Pünktlich mußte man sein, sagt Frau Knop, pünktlich; weil es keine Klingel gab. »Dann hat er gefragt, Was gibt's Neues in der großen Welt?, und dann habe ich so aus Bargfeld berichtet.«
Auch sonst gelingt die Anpassung nicht immer:
Was weiß ich über Arno Schmidt, damals, kurz nach dem Mauerfall? Dass er, das Gehirntier, der enzyklopädisch Gelehrte, in Breslau einst Mathematik und As-tronomie studierte und mehrere Sprachen kannte. Daß er das Studium 1933 abbrach, aus Protest gegen die Nazis. Dass er den bundesdeutschen Literaturbetrieb genau so mied wie der Betrieb ihn gemieden hat, den Querulanten – Schmidt, hilflos in seiner Kurzsichtigkeit, nach eigenen Worten isoliert »von BabyBeinen an«. Ich weiß das aus erster Hand, aus Schmidts Texten.
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Nun kann wer will sein Bild anhand der frischen Quellen überprüfen. Und siehe, viele Daten und Fakten der Biografie sind Mythen, erfunden, ein Dichter hat sich ein Denkmal gesetzt.
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Aber Schmidts Verleger – zu der Zeit Heinrich Maria Ledig-Rowohlt – insistierte. Reise, Spesen würden bezahlt, und vielleicht bekäme er tatsächlich den Gruppenpreis! Antwort Schmidts, mit einem vulgären Verweis auf Paragraph 175, den »Unzuchtsparagraphen« des Strafgesetzbuchs: »Die Gruppe 47: Ich eigne mich nicht als Mannequin; lassen Se man! Ich nähre mich lieber redlich und still vom Übersetzen als von literarischer 175erei. PS.: Muß man bei der Gruppe auch singen, oder braucht man nur nackt vorzulesen?«
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Fragen müsste man, aus welchem Grund er sich vorsätzlich ruiniert hat, Schmidt, dieser Hüne, ein Mann von eiserner Konstitution. Pulverkaffee: täglich eine Büchse, »Scheiß aufs Herz!«. Schnaps: sechs Flaschen die Woche, der Krämer brachte den Korn ins Haus. »Äh – Alkohol? Ich hab nie bemerkt, daß er getrunken hat«, sagt Frau Knop. »Aber wenn ich sauber gemacht hab, da war so'n kleiner Eimer, da waren leere Flaschen drin. Ich hab das nicht gezählt.« […]
Neues-Deutschland.de 4.7.09
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