Kieler Nachrichten v. 21.03.2007
Sa(a)le soll wieder nur ein Fluss sein
Die Union entdeckt den „sprachlichen Verbraucherschutz
Berlin Am Anfang steht der Fauxpas – der „Fehltritt: Die Pressesprecherin weist auf die „Handouts hin. Da ist er, der Beweis: Die Überflutung der deutschen Sprache mit Anglizismen macht auch vor dem Bundestag nicht Halt. Erika Steinbach, Menschenrechtsexpertin der Union, ist alarmiert: Immer mehr Deutsche werden ausgegrenzt. Deswegen setzt ihre Fraktion auf „sprachlichen Verbraucherschutz.
Steinbachs Schlüsselerlebnis: Ein ältere Frau steht vor einem Schaufenster, in dem „Sale-Schilder auf reduzierte Ware hinweisen. „Sale ist doch ein Fluss, grübelt die Frau. Jeder dritte Deutsche beherrscht keine Fremdsprache. Und ahnt deswegen nicht, dass „Sale im Englischen für Ausverkauf steht? Vielleicht nicht das beste Beispiel. Da ist aber auch noch die Deutsche Bahn, die in puncto Verbraucherschutz immer gern vorgeführt wird: „Ride & Bike, „DB Carsharing oder ganz neu: „Touch & Travel.
Was tun? Die Union will durchsetzen, dass Gesetze und Regierungskampagnen (wieder?) in verständlichem Deutsch abgefasst werden. Nicht nur das: Auf Bahnhöfen und Flughäfen soll der Weg in unserer Muttersprache gewiesen werden. Auch für Gebrauchsanweisungen und Warnhinweise will Unionsmann Laurenz Meyer bessere Vorschriften. Die Bahn und alle anderen Firmen müssten selbst entscheiden, ob sie mit rätselhaften Botschaften werben. Wahrscheinlich, meint Meyer, gehe es ihnen dabei um den modernen „Touch. Aha. esc
Seltsamerweise ist den führenden Köpfen der CDU nicht der Verbraucherschutz gegen die „Rechtschreibreform“ eingefallen, so daß ihre Reformeiferer, Zehetmair, Schavan und Wolff usf., fast widerstandslos die Geiselnahme von Schulkindern zur Zwangsmissionierung der Bürger durchsetzen konnten.
LITERATURRÄTSEL
Wer schrieb was?
„Ich kann die Beschreibung der untersten Schuttschichten nicht schließen, ohne zu erwähnen, daß ich zwischen den großen Steinblöcken, in 12 bis 16 Meter Tiefe, zwei Kröten, auch in 12 Meter Tiefe eine kleine, sehr giftige Schlange mit schildförmigem Kopf fand. Letztere kann von oben dahin gelangt sein; dies ist aber unmöglich für die großen Kröten; dieselben müssen 3000 Jahre in diesen Tiefen zugebracht haben. Sehr interessant ist es, in den Ruinen Trojas lebende Geschöpfe aus derZeit des Hektor und der Andromache zu sehen, selbst wenn diese Geschöpfe nur Kröten sind.“
Kein Archäologe wurde mit seinen Ausgrabungen so berühmt wie er. Nachdem der mecklenburgische Pfarrerssohn 1863 überraschend auf dem Höhepunkt seines wirtschaftlichen Erfolges seine Firma liquidierte, …
Wir brauchen nicht lange nachzudenken. Die Lösung lautet „Heinrich Schliemann, Trojanische Alterthümer“.
Außerdem ist man immer wieder dankbar, wenigstens hier die originale Verwendung des „ß“ finden zu können.
Die Ausrottung dieser 600jährigen Tradition ist vermutlich das einzige, was die Kultusminister mit Zähnen und Klauen verteidigen würden, weil das den Zusammenbruch ihres potemkinschen Reformreichs bedeuten würde und das Ende der Geschäftemacherei mit der „Rechtschreibreform“.
Dennoch geht die Bewegung zurück immer weiter. Oft wird einem gar nicht bewußt, was wieder traditionell geschrieben wird, z.B.:
Angela Merkel wird zitiert: Nach dem verheerendenZweiten Weltkrieg hat es doe EU relativ schnel zu Wohlstand gebracht – auch mit Hilfe der Vereinigten Staaten. … Es dauerte noch zehn Jahre, bis mit dem Inkrafttreten die Personenkontrollen an den Binnengrenzen … entfallen …
Die Reformversion „In-Kraft-Treten“ wird im letzten Duden nicht einmal mehr erwähnt.
Das reformierte „Leid“-wesen ist jetzt als Irrweg der Reformer erkannt:
Auf Seite 10 lesen wir:
Entschuldigung von Kahn
„Es tut mir leid. Ich möchte mich beim Dopingarzt entschuldigen.“
Auf Seite 11 erkennen wir aber, daß das Zerstörungswerk der Kultusminister an unserer Rechtschreibung dennoch fortwirkt:
„Das tut mir sehr Leid für Viktor …“, sagte Karabatic.
Schnoor ist sogar bereit, seinen Platz auf der Bank zu räumen, falls dies der Sache diene: „Wenn davon ein junger Spieler und letzlich die Mannschaft profitiert, soll mir das Recht sein.“
Überholte, grammatisch falsche und falsch verstandene Neuschreibung …
Manchmal sind die Überschriftenverfertiger („Headliner“) historisch korrekter als die Artikelverfasser:
DSM mit dem 28. Schiffahrtsarchiv
Unter dem Namen Deutsches Schifffahrtsarchiv wird seit 1975 das wissenschaftliche Jahrbuch des Deutschen Schifffahrtsmuseums herausgegeben.
Weniger korrekt geht es im nächsten Artikel aus Lübeck zu:
Sexismus bei der CDU?
Der 28jähriger Oliver Fraederich hatte zu CDU-Kolleginnen gesagt: „Ihr seid doch nur wegen eurer Titten in der Bürgerschaft“…. Oliver Fraederich versucht derweil die Wogen zu glätten: Ein dämlicher Scherz sei es gewesen, über den er sich im Nachhinein ärgere.
(Die SPD sollte sich nun nicht aufspielen. Der frühere SPD-Minister Farthmann (NRW) hatte schon mal von „Piepsmäusen“ gesprochen, die nur so weit nach oben gekommen wären, „weil sie zwischen den Beinen anders aussehen als ich“.)
„Im Nachhinein“ erinnert an eine Kneipe in Hannovers erogener Zone, die „Im Büro“ hieß und dem Ehemann ermöglichte, nach Hause zu melden, er sei noch „im Büro“. In Lübeck wird man sich nicht mehr „im Nachhinein“ vergnügen können, denn das ganze um 1900 für diesen Zweck errichtete Viertel wird einer anderen Verwendung zugeführt, hat aber gleichwohl Spuren in der Literatur zurückgelassen (Bericht auf der gleichen Seite):
Tote Hose auf dem Kiez
Aus der Lübecker Clemensstraße soll eine „Party-Künstler-Meile“ werden – Auch der „Blaue“ Engel wird saniert
Marlene Dietrich räkelte sich im Film „Der Blaue Engel“, der nach einem Roman von Heinrich Mann entstand. Dieser hatte sich im „Engel“ in der Clemensstraße zu seinem Werk inspirieren lassen. … Nach und nach schlossen die ehemals 14 Bordelle. Im Dezember vergangenen Jahres dann auch das letzte, die „Goldene 7“…
Schlimmste Dummschreibungen finden sich, neben dem Pipifax „so genannt, zurzeit, -Jährige usw.“, leider auch diesmal wieder in den KN:
Auch die Polizei, Ärztekammer und Suchthilfe hätten immer wieder betont, das eine Behandlung Schwerstabhängiger mit künstlichem Heroin Erfolg versprechender sei als eine Methadonbehandlung. … epd
Drei Mal so teuer wie die Methadon-Therapie sei die Diamorphinbehandlung.
Die 64-BIT-Technologie soll den Markt erobern, ist jedoch nicht für Jeden von Nutzen
aufwendig
Eine Folge übermäßiger „Ernährungstipps“ ist wieder:
Auch als Dipp, zum Beispiel zu Kartoffelpuffer und Räucherlachs, kommt Brunnenkresse gut zur Geltung.
Die pp-Fraktion der Reformer hatte sich eben nicht ganz so durchsetzen können, wie die ss- und die ä-Fraktion.
Beruhigend ist auch, wieder von einer „Handvoll Erde“ zu lesen und über „zeitraubende Verfahren“ anstelle von „Zeit raubenden Verfahren“. Leider bleibt der „Missstand“ ein Mißstand.
„Jenseits von Gut und Böse“ darf auch wieder großgeschrieben werden, daran ersichtlich, … dass Gut und Böse am definierten Platz bleiben. Der Verdacht bleibt, daß hier nur ein Reformer seine Aversion gegen Nietzsche in eine orthograpische Regel gekleidet hat.
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Sigmar Salzburg
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