Aktuell
Guten Morgen allerseits,
vielleicht geht es auch andern so: Die aktuellen Verlautbarungen zum Stand der Diskussion verstören. Munskes Beitrag in der FAZ irritiert.
Denkt man oberflächlich darüber nach, so könnte sein Vorschlag tatsächlich eine Lösung sein. Malt man sich die Folgen jedoch plastisch aus, drängen sich Fragen auf.
Die Reformschreibung ist aus allseits bekannten Gründen gescheitert. Ob man will oder nicht, man wird sie ändern müssen. Die zwingend notwendigen Änderungen zielen auf die Substanz der Reform.
Nun soll das sichtbare Kleid, die ss-Schreibung, als Zugeständnis an die Reformer beibehalten werden. Welche Folgen hat das?
Meine Bedenken dazu habe ich schon vor einiger Zeit formuliert und in diesem Forum veröffentlicht. Aus aktuellem Anlaß noch einmal die ökonomischen und kulturellen Folgen der geplanten „Reform der Reform“:
Sowohl die seit 1996 in Reformschreibung erschienenen Lehrbücher der Orthographie und Grammatik wie auch alle Wörterbücher müssen überarbeitet und neugedruckt werden. Die alt-neuen Bestände sind wertlos.
Auf lange Sicht sind auch die in Reformschreibung verfaßten Literaturbände in Schulbibliotheken untragbar und werden nach einer Schamfrist erneut aussortiert. Das bedeutet, daß 100% des Buchbestands als nicht korrekt gelten muß.
Die Softwareprogramme müssen umgestellt, Mitarbeiter von Verwaltung und Wirtschaft geschult werden.
Die „Altbestände“ an Büchern in klassischer Rechtschreibung fallen weiteren Säuberungen zum Opfer. Fazit: Die Reform der Reform ist ihren Folgen nach eine neue Reform, also eine Neuauflage der Vorgänge von 1996.
Wenn Munske diesen Weg als gangbar für den Rechtschreibfrieden beschreibt: Hat er dies vielleicht doch zuwenig bedacht? Man kann es sich nicht vorstellen! Aber was denkt er dann?
Einigermaßen ratlos macht mich die Feststellung der Politiker, man müsse sich aus dieser Angelegenheit heraushalten. Das muß als Verantwortungslosigkeit und grober Zynismus aufgefaßt werden: Da schmeißt eine Gruppe von Männern ein Kind ins Wasser, dieses droht zu ertrinken. Man erkennt, daß man das nicht hätte tun dürfen und beklagt die falsche Entscheidung, aber für die Rettung des ertrinkenden Kindes erklärt sich ebendiese Männergruppe als nicht zuständig.
Meine unmaßgebliche Meinung und ein Vorschlag:
Der einzige Weg, der nun angesichts der Verbocktheit der Reformer und deren Angst vor wirtschaftlichen und Gesichtsverlusten aus der Krise führen könnte, wäre der, sowohl die Heysesche als auch die Adelungsche s-Schreibung für die nächsten Jahre gleichberechtigt nebeneinander stehenzulassen. Die Adelungsche, also klassische s-Schreibung aus Schulen, Amtsstuben und damit zwangsläufig aus der Literatur als „falsch“ zu verbannen, führt zu dem vielseits beklagten Bruch mit der Kultur. Es dürfen eben nicht alle so schreiben, wie sie wollen, und schon gar nicht die Schriftsteller.
Die Freigabe der s-Schreibung wäre ein echtes Friedensangebot und würde den Kulturbruch verhindern. Wie sich dann die Schreibung entwickelt, welches System sich am Ende durchsetzt, wird man sehen.
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Karin Pfeiffer-Stolz
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