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Rat für deutsche Rechtschreibung
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margel
06.11.2004 17.15
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Kommt Zeit, kommt Rat

Arbeit ist physikalisch Leistung mal Zeit. Also: Auch bei kleiner Leistung(sfähigkeit) kann etwas Beachtliches herauskommen, wenn man nur Zeit genug hat. Und da die Arbeit unabhängig vom Weg ist, ist oft der Umweg der ergiebigste. Anders ausgedrückt: Ob Du in 1 Stunde oder in einer Woche aufs Matterhorn steigst – Deine Arbeit ist exakt die gleiche.

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Karsten Bolz
06.11.2004 16.44
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Auch dicke Bretter...

Lieber Herr Dräger,

ich verstehe ja Ihre Ungeduld. Nur manchmal braucht es seine Zeit, bis sich wieder eine Gelegenheit ergibt, die Presse entsprechend anzufeuern. Die Springer-AG hat jetzt umgestellt, und das ist ein nicht unwesentlicher Erfolg. Ich bin mir sicher, daß es beim Spiegel und bei der Süddeutschen nicht so ruhig ist, wie es nach außen scheint. Wir müssen jetzt wohl ein wenig warten, was für ein weiterer Unfug aus dem staatlichen „Rat“ herauskommt, damit es dann noch mal richtig krachen kann. Nur Geduld, auch dicke Bretter bekommt man klein, es ist eben nur manchmal eine Frage der Zeit.

Das als Anmerkung eines Beobachters ;-)

__________________
Karsten Bolz

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Matthias Dräger
06.11.2004 15.54
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Hallooo - ist da noch jemand??

Was macht eigentlich der Rat für deutsche Rechtschreibung? Ich meine natürlich nicht den Alibi-Verein, den die Kultusminister sich halten wollen, sondern den unabhängigen, den sog. Münchner Rat für deutsche Rechtschreibung.
Der Rat hat sich gegründet. Gut. Und? Erfährt man etwas über die Modalitäten des weiteren Vorgehens, eine Satzung, Zielrichtung des Rates, Plattform, wo man/frau sich über die Ergebnisse unterrichten kann?
Daß der Rat es geschafft hat, dank Denk, mehrfach in die Presse zu kommen, ist eine gewisse Leistung. Uns allen sollte aber auch klar sein, daß das für die Zukunft wohl kaum reichen wird.
Leistung ist bekanntlich: Arbeit pro Zeiteinheit. Wenn die Mitglieder des Rates zu beschäftigt sind mit andereren Aufgaben, dann sollen sie es lieber sagen, dann machen wir lieber einen Laien-Rat als gar keinen. Punkt.

Ich stelle mir noch mehr Fragen: Wie sieht es mit der Kommunikation der Mitglieder unseres Rates aus? Klappt das, auch wenn Hans Krieger, der Vorsitzende, kein Internet hat?
Geht das alles auf dem Postweg?

Ferner: Einige Mitglieder üben noch Kritik am Wörterbuch von Prof. Ickler. Ist es möglich, diese Kritik in eine Form zu bringen, zu bündeln, zu institutionalisieren?

Wenn der Rat weiterhin so wenig in Erscheinung tritt wie bisher, kann man mir den Rat schenken, auch wenn ich von Rechtschreibung keine Ahnung habe. Ich mache bestimmt nicht weniger.

Also, was ist? Habe ich etwas verpaßt?


ps. Beim Einstellen meiner Anfrage sehe ich, daß der letzte Beitrag zum Rat auf dieser Seite vom 12. Oktober 2004 ist – sagt einmal, liebe Leute, was ist denn los?
Habt Ihr keine Lust mehr?


Korrektur: Leistung ist Arbeit pro Zeiteinheit (ein Versehen)

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Matthias Dräger
12.10.2004 11.38
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Pressekonferenz, FDS/ Rat für deutsche Rechtschreibung, 6. Oktober 2004

(Applaus)
107:43

Denk: Ich wollte eine Minute etwas sagen als Deutschlehrer. Ich hab' also 8 Jahre lang das so'n bißchen unterrichtet an der Schule, das mußten wir ja machen, vor allem korrigiert, und ich habe festgestellt, daß es am Gymnasium in Weilheim -30 Deutschlehrer – keinen einzigen gegeben hat, der die neue Rechtschreibung in allen Feinheiten kannte. Und es ist sehr oft vorgekommen – ich hab das auch bei Referendaren gesehen – also ich habe Lehrer ausgebildet, die haben also Dinge als Fehler angestrichen, die gar nicht falsch waren, und andere Dinge durchgehen lassen, die sowohl nach der sogenannten neuen wie nach der sogenannten alten Rechtschreibung falsch sind. Es heißt, es ist eine totale Verwirrung, die man bloß deshalb nicht merkt, weil die Deutschlehrer jetzt in dieser sogenannten Übergangsfrist beide Schreibungen gelten lassen, und in Wirklichkeit noch mehr Schreibungen gelten lassen. Das ist die einzige Möglichkeit, um nicht verrückt zu werden.
Denn fast alle Deutschlehrer haben, im Juli oder im August – im Juli war das, im Juli 96 den ersten Bertelsmann gekauft, dann im August 96 den ersten Duden – wenn sie genau hingeschaut haben, haben sie festgestellt, daß da Tausende von Unterschieden sind, dann haben sie sich den zweiten Bertelsmann angetan; dann selbstverständlich den Duden von 2000, und jetzt müssen sie unter allen Umständen den Duden kaufen, denn hier ist zum ersten Mal drin, daß man „zufriedenstellen“ wieder zusammen schreiben kann – ist ein wichtiges Wort für Lehrer, denn bei „Betragen“ gibt es die Note „zufriedenstellend“. Und wir haben Schulleiter gehabt, die haben ihre Lehrer dazu gezwungen, sämtliche Zeugnisse von Hand noch mal zu schreiben, weil sie es gewagt haben, bei „Betragen“ „zufriedenstellend“ als ein Wort hinzuschreiben – was ja grammatikalisch notwendig ist. Sie mußten alles noch mal hinschreiben, zufriedenstellend. Hier ist noch zufriedenstellend, hier ist wieder zufriedenstellend. D. h. jeder Lehrer in Deutschland muß, wenn er, sagen wir mal, eins, zwei, drei Wörterbücher schon gekauft hat, jetzt das vierte Wörterbuch kaufen. Das macht zusammen so etwa 100 Euro. Und dann aber tatsächlich bei allem nachschauen: Denn er kann an keiner einzigen Stelle sicher sein, daß das, was er bisher für Rechtschreibreform gehalten hat, noch gilt. In keinem einzigen Fall, außer beim Doppel s. Und beim Doppel s ist es so, daß die Schüler, genau wie die Zeitungen – da sehen wir’s ja auch – dauernd die Schreibungen vermischen: Die schreiben außer mit Doppel s, die schreiben das Relativpronomen „daß" mit Doppel s, und es hat ja auch Professor ... (Zuruf: Zeugnis!) Zeugnis mit Doppel s am Ende, usw., d.h. die Verwirrung ist groß. Nur die Kultusminister halten daran fest, daß es problemlos sei. Aber auch die amtlichen Schreiben aus den Ministerien strotzen von Fehlern. Das wissen wir.
Wir werden ja sehen, was die Herrschaften machen. Wir haben jetzt jedenfalls hier noch einmal einen Frankfurter Appell zur Rechtschreibreform. Ich darf Ihnen wenige Sätze vorlesen.
Es sind hundert Prominente, Schriftsteller, Verleger ... Professoren – also sagen wir mal Wissenschaftler, und Künstler, die folgende vier Sätze hier unterschrieben haben:
Seit der Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform vom Oktober 1996 – also das Ganze heißt „Frankfurter Appell zur Rechtschreibreform“ – nochmal: Seit der Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform vom Oktober 1996 haben sich die Argumente gegen diese staatliche Maßnahme immer deutlicher bewahrheitet. Die Ankündigung mehrerer Zeitungsverlage, zur bewährten Rechtschreibung zurückzukehren und die zahllosen Änderungen im 23. Duden, haben die Kritik von neuem bestätigt. In dieser Situation appellieren die Unterzeichner auf der Frankfurter Buchmesse 2004 noch einmal an die Ministerpräsidenten und die Kultusminister der deutschen Länder, weiteren Schaden von der deutschen Sprache und Literatur abzuwenden, die Kluft zwischen Schule und Literatur zu überwinden, statt sie zu vertiefen, weitere unabsehbare Kosten zu vermeiden und nach 8 Jahren zunehmender Verwirrung das Experiment Rechtschreibreform zu beenden. Die Wiederherstellung der einheitlichen und bewährten Orthographie entspräche dem in sämtlichen Umfragen seit 1996 erkennbaren Willen der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, Österreich und der Schweiz, und wäre ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der demokratischen Kultur. Frankfurt am Main, 6. Oktober 2004: Ilse Aichinger, Wien; Egon Amann, Zürich – bis hin zu Professor Bernhard Zeller, Marbach; Bernd Zimmer, Maler, und Professor Helmut Zöpfel, Pädagogikprofessor. Ich darf Ihnen das verteilen und würde Sie bitten, das weiter, in geeigneter Form weiter zu verbreiten, den Frankfurter Appell. Ich mach es jetzt wie ein Schullehrer. Sie wissen's, in der Klasse verteilt er dann die Schulaufgaben (allgemeine Heiterkeit)...

Ruiss: ... weitere hundert Unterstützer beizubringen (Heiterkeit)...

Denk: Am Sonntag machen wir noch eine Pressekonferenz, aber da werden wir am Ende noch drüber sprechen, was wir auf der machen können – bitteschön. Jetzt können wir fragen, ich bin sozusagen am Ende mit meinen Ausführungen.

Veith: (113:04)
113:04
Veith: Mein Name ist Veith. Ich bin Professor in Mainz für Germanistik, und ich bin auch Mitglied des Rates der Kommission, der gebildet worden ist; und ich möchte das unterstützen, was Professor Ickler eben gesagt hat. Es gibt, wenn ich also vielleicht Ihren Kollegen aus Österreich ansprechen darf, es gibt, wie Hofrat Blüml noch am 8. August verkündet hat im Fernsehen, kein einheitliches Wörterbuch. Und Sie haben es ja auch gesagt, Herr Ickler: Es gibt kein Wörterbuch auf das man sich berufen kann. Wir können natürlich auf Grund dieser furchtbaren Situation ohne ein Wörterbuch gar nicht auskommen. Wir haben auch früher ohne ein Rechtschreibwörterbuch nicht auskommen können, und selbst ich, als Professor, mußte also ab und zu nachschauen, ob das so oder so geschrieben wird. Und deswegen meine Bitte an dieses Gremium: „Könnten wir nicht noch einen Zusatz machen, zu dieser Petition, daß wir vielleicht fordern, ein gesamtverbindliches deutsches Wörterbuch zu haben“?
..........

Krieger: Entschuldigen Sie, Herr Professor Veith, eine Petition die unterschrieben ist, kann nicht nachträglich geändert werden. Das ist nicht zu machen. Ich würde jetzt bitten, daß wir den Damen und Herren von der Presse Gelegenheit geben, Fragen zu stellen, ja! Das ist der Sinn der Pressekonferenz.

Veith: Ja, das ist ja ne Frage. Herr Krieger, könnte man nicht eine zusätzliche Petition noch machen? Wir verlangen, daß wir ein einheitliches Wörterbuch kriegen, evtl. nach dem Vorbild von dem Wörterbuch von Herrn Ickler.

Krieger: Solange wir uns nicht auf eine einheitliche Orthographie wieder verständigt haben, können wir auch nicht. Und das Wörterbuch, das hat der Herr Ickler gesagt, das wird sich dann ergeben.

Veith: Das wäre sehr wichtig.

Ickler: Ich bin ja gewissermaßen auch angesprochen. Ich bin, ich würde das sympathisch finden, wenn z.B. eine Akademie für Sprache und nicht, und wenn wir eine hätten.

(?): Wie funktioniert wenn Sie (.........)

Ickler: Ja, das habe ich ein bißchen ironisch gesagt. Wenn er’s machen könnte, dann wäre ich einverstanden. Aber eigentlich neige ich mehr zu einem pluralistischen und liberalen Modell, wie es in anderen Ländern üblich ist: Also, freie Konkurrenz der Wörterbücher mit Genehmigungsverfahren. Das würde der Sache dienen, glaube ich.

(?): Die Situation ist ja die ......

Krieger: Entschuldigung, wir sind hier, darf ich daran erinnern, wir sind in einer Pressekonferenz. Wir können solche Diskussionen vielleicht nachher noch führen. Aber ich glaube, der primäre Sinn einer Pressekonferenz ist den Damen und Herren von der Presse, jetzt Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen. Ich glaub an dieses (?.....zedere sollten wir – entschuldigen Sie bitte Herr Professor Veith, daß ich Sie unterbreche, aber im Sinne der Journalisten muß ich das sagen.

Veith: ................ das ist natürlich dann Ihre Schuld, gell.

(115:33)
Krieger: Bitte, bitte um Fragen. Generell zum Thema Rechtschreibreform; zur Frage der Rücknahme; Fragen an einzelne Herren hier auf dem Podium zu Detailfragen.


Dräger: Herr Professor Ickler, halten Sie es für möglich, die Zeichensetzung und Rechtschreibung noch einfacher darzustellen als auf den Regeltafeln?

Ickler: Das ist eine tückische Frage. Sie könnten gleich zurückfragen: Warum tun Sie es dann nicht? Herr Dräger spielt auf eine Papptafel an, die dem Wörterbuch beiliegt, und die auch schon längere Zeit im Internet steht, wo die Regeln der Rechtschreibung und Zeichensetzung in der kürzestmöglichen Form für Schüler dargestellt sind. So wie das Wörterbuch auch eine doppelte Darstellung der Regeln enthält, eine leichte auf 8 Seiten für Schüler und jedermann, und eine etwas ausführlichere für Profis, die aber immer noch nur ein Viertel der amtlichen Neuregelungen umfaßt und trotzdem vollständig ist, wie ich glaube. Das kann man natürlich didaktisch immer noch verbessern. Verbessern schon, wesentlich kürzer glaube ich eigentlich nicht. Diese Tafel, die ist so nach dem Stil. Es gibt also Papptafeln für Schüler: Latein, Grammatik auf 8 Seiten oder so. In dem Stil ist die auch, aber wirklich sehr sehr kurz. Man muß ja nicht alle Feinheiten, die ein professioneller Gestalter von Texten beherrschen muß, nun auch den Schülern zumuten. Das ist ein Irrtum. Und dieses hin und her zwischen einer Schulorthographie und einer Buchdruckerorthographie hat oft die Köpfe verwirrt; dieses hin und her, daß man einmal so argumentierte und dann wieder so. Ich glaube, das Pensum, was dem Absolventen einer allgemeinbildenden Schule zugemutet werden kann, läßt sich wirklich sehr kurz und knapp darstellen. Das habe ich vor ein paar Jahren versucht und bisher keinen Grund gehabt, das zu verändern.

117:30 etc. fehlt noch Publikumsfrage,
Beitrag Krieger
Fehlt noch hier: Beitrag Ruiss!
121:48 etc.

117:30
Publ.frage: Ich hab ne Frage an Sie, Herr Krieger. Sie haben in der Einleitung gesagt, daß durch die Rechtschreibreform verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten verlorengegangen sind, sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten. Können Sie dafür Beispiele nennen; und genauso auch Beispiele. Sie hatten ja kurz danach gesagt, daß mit der Rechtschreibreform Schreibweisen von vor 200 Jahren wieder eingeführt worden. Vielleicht .............

Krieger: Also, es sind ja neue Regeln eingeführt worden für die sogenannte Getrennt- oder Zusammenschreibung. Das heißt: Wann schreibe ich etwas als ein Wort, wann auseinander? Dabei u.a. ist eben der Rückgriff in die Vergangenheit erfolgt. Denn viele dieser Wortverbindungen, wie etwa das Wort wiedersehen, was im Anfang mal eine große Rolle gespielt hat. Weil, sowohl der Duden als dem Duden folgend auch Bertelmann sogar das Wort wiedersehen nicht mehr dulden wollte. Das ist nun tatsächlich etwas, was es zur Goethezeit noch nicht gegeben hat. Goethe hat das auch noch getrennt geschrieben. Das hat sich so um 18.....

: Ne ne ne, in Faust ist’s zusammen.

Krieger: Doch, wirklich. Es gibt jedenfalls, ich hab’s bei Goethe öfters ..... Es sind, zumindest war die Zusammenschreibung noch nicht generell üblich. Es hat sich alles erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt. Und zwar natürlich aus guten Gründen entwickelt – weil man genauer unterscheiden können wollte zwischen: nach dem der Zug vorbei war, hab ich ihn wieder gesehen, und zwischen: nachdem wir jahrelang getrennt waren, haben wir uns endlich wiedergesehen. Das ist was völlig anderes. Das ist nun inzwischen wieder hergestellt worden. Viele andere Dinge sind nicht wieder hergestellt worden. Eins der geläufigsten Beispiele ist wohlbekannt. Etwas ist wohlbekannt. D.h., so gut wie jeder kennt es. Diese Zusammenschreibung ist nicht mehr erlaubt seit 96. Man muß jetzt schreiben wohl bekannt, was aber ne völlig andere Bedeutung hat, ja. In der Getrenntschreibung heißt es: das ist wohl, also, vermutlich bekannt. Also, es ist ein erheblicher Bedeutungsunterschied. Und so gibt es, gab es Hunderte von Wörtern, wo das erfolgt ist. Davon hat einen großen Teil jetzt allerdings tatsächlich der Duden des Jahres 2004, der 23., der hat die wiederhergestellt. Allerdings auch nur als geduldete Variante, ja, nicht als Regelschreibung. Aber z.B. wohlbekannt hat er nicht wieder zugelassen, viele andere auch: spazierengehen, kennenlernen, sich auseinandersetzen. Dürfen wir weiterhin nicht tun. Man darf auch nicht etwa etwas offen legen in einem Wort. Man darf niemanden heilig sprechen, man spricht ihn heilig, als wäre die Art des Sprechens heilig und nicht das Ergebnis des Sprechens, das jemand als heilig gilt. Wenn auf der anderen Seite plötzlich der Duden daherkommt und führt neue Zusammenschreibungen ein, etwa offengesagt, ja, kann man jetzt in einem Wort schreiben – obwohl ja da jetzt eben nicht die Offenheit das Ergebnis ist, des Sagens. Aber es wird offener gesagt. (?) Während dagegen das Wort offen legen, ja, wo das Resultative, nach dem legen ist dann etwas offen, ist offenlegen, ist weiterhin nicht erlaubt, ja. Gut, aber die Frage war jetzt nicht nach dem Duden, sondern, also, da hauptsächlich sind, sind gewaltige, also wohlbekannt. Es ist wirklich ein massiver Bedeutungsunterschied. In anderen Fällen ist es eine nicht unerhebliche Variante des Ausdrucks oder auch stilistische Variante. Und darin hauptsächlich liegt auch der Rückfall jetzt in die Vergangenheit. Der Rückfall der Vergangenheit liegt auch in dieser neuen ss-Schreibung, denn die stammt auch aus dem 19. Jahrhundert und war lange Zeit in Österreich üblich. Herr Ruiss, Sie können das sicher bestätigen. Karl Kraus hat seine Fackel anfangs in dieser ss-Schreibung gedruckt, bis 1901. Und die wurde in Österreich eben wieder aufgegeben – weil sie sich als äußerst unzweckmäßig erwiesen hat. Habe ich Ihre Frage ausreichend beantwortet? Danke.

Frage (?): Darf ich eine Frage stellen: „Warum beziehen Sie sich laufend auf den Duden? Der Duden existiert laut dieser Rechtschreibkommission überhaupt nicht mehr. Er ist völlig weg vom Fenster; und deswegen braucht man gar nicht mehr den Duden zu zitieren.“

Krieger: Das stimmt nicht.
......................

Ruiss: Darf ich da antworten: Also, in Österreich werden Sie mit diesem Argument nicht durchkommen. Weil, wir sind ja, der Widerspruch geht ja viel weiter und es ist ja viel verwirrender. Einerseits sagt der große Reformkommissionsvorsitzende, sagt einerseits, daß das Ziel gewesen sei, eine tolerantere Bewertung der Rechtschreibung zu erzeugen. Und genau deshalb habe man die Reform machen müssen – das argumentiert er jetzt. Es argumentiert die Variantenschreibung. Andererseits wird aber sofort gesagt, von den obersten Bildungshütern in Österreich: „Sie können sich schon entscheiden, ob Sie richtig oder falsch schreiben.“ Und wir sagen Ihnen, wie Sie richtig schreiben. Und Sie schreiben dann richtig, wenn Sie der jeweils aktuellen Wörterbuchausgabe in Österreich (....), sie sollten ...... ins österreichische Wörterbuch folgen. Und nicht, weil Sie jetzt so viel Schreibfreiheit haben, irgendeinem Wörterbuch zu folgen. Das haben Sie (..........) opportun. Wo haben Sie das argumentiert? Jetzt ist es nicht mehr opportun. Jetzt ist opportun zu sagen: „Sie können sich entscheiden, ob Sie richtig oder falsch schreiben wollen.“ Und das müssen wir uns, als Schriftsteller und Schriftstellerinnen, via Fernsehen von diesen Leuten sagen lassen. Sie können natürlich schreiben, wie Sie wollen – weil niemand wird zensuriert. Aber, wenn Sie richtig schreiben wollen. Das heißt, ich sitze schon wieder in der Schulbank, gell.

(Lachen)122:57



Ickler: Es ist nämlich im Augenblick eine schwierige Situation: Im Juni dieses Jahres haben die Kultusminister zum ersten Mal amtlich Änderungen des Regelwerks und der ganzen Schreibweisen beschlossen. Aber bisher ist noch kein neues amtliches Regelwerk fertiggestellt worden, geschweige denn ein neues amtliches Wörterverzeichnis.
Der neueste Duden enthält hinten ein Regelwerk, und da steht drüber: das unveränderte amtliche Regelwerk. Aber dieses Regelwerk ist weder unverändert noch ist es amtlich. Es ist tiefgreifend verändert, und zwar im Sinne dieser Revision die jetzt im Juni beschlossen worden ist; es ist aber noch nicht amtlich. Ich habe mich bei der KMK erkundigt und vor wenigen Tagen erst die Auskunft erhalten, die Kommission sitzt noch daran, dieses Regelwerk neu zu fassen. Es ist also gar nicht amtlich, und alle anderen Wörterbücher haben diese Revision überhaupt noch nicht umgesetzt. Bertelsmann hat aufgegeben, hat auf Anfrage bekanntgegeben, daß sie kein neues Wörterbuch machen. Warten erstmal ab, ein Jahr mindestens noch. Das österreichische ist noch nicht neu erschienen, soviel ich weiß. Es gibt also überhaupt keine Quelle im Augenblick für diese Revision, außer diesem Duden. Und der ist nicht zuverlässig, weil er nicht amtlich ist und auch sonst unausgewiesene Schreibungen enthält, wie dieses offen gesagt zusammen und so etwas, vom Himmel gefallen sind. Daß sogenannt wieder zusammen geschrieben werden darf, ist ja schön. Aber, wo steht das sonst noch? Also wir wissen überhaupt nicht, ob das überhaupt stimmt. Der Duden ist also auch im Grunde nicht brauchbar, aber er ist die einzige annäherungsweise zuverlässige Quelle für das, was die Kultusminister im Sinne haben. So ist die Lage. Und trotz Aufhebung des Dudenprivilegs brauchen wir ihn eigentlich, um auch nur zu erahnen, was da jetzt geplant ist.


Krieger: Vielleicht darf man noch hinzufügen: Also der Duden hat gewissermaßen eine De-facto-Autorität, und weil er diese hat, muß man auch feststellen, daß mit der neuen Ausgabe des Duden im Grunde genommen die Wiener Absichtserklärung von 1996 aufgekündigt worden ist, denn das war ja eine vertragliche Abmachung, und einen Vertrag – den Inhalt eines Vertrages kann man nicht nachträglich ändern. Das gehört zu den elementarsten Dingen der Rechtssprechung. Wenn man das ändern will, muß man neu verhandeln, sich neu zusammensetzen und einen neuen Vertrag abschließen, gell. Und das war auch das Argument der Kultusminister selbst – Augenblick, darf ich zuende sprechen? – das Argument der Kultusminister selbst – Herr Professor Ickler hat es ja schon erwähnt – Ende 97 hat die Kommission, die zwischenstaatliche, Änderungen für unumgänglich notwendig gehalten.
Das wurde verhindert. Die Kommission wurde gezwungen, diesen Satz aus ihrem Bericht rauszustreichen, der Bericht war dann um diesen Satz verkürzt. Und damals war das Argument der Kultusminister: „Um Gottes willen, wenn wir irgendwas ändern, dann stellen wir, dann gefährden wir das Inkrafttreten der Reform, dann stellen wir die Wiener Absichtserklärung in Frage.“ Dann muß das natürlich erst recht gelten, jetzt bei den sehr viel weitergehenden Änderungen unter der Hand, (die) der Duden aufgrund des letzten Berichtes der Kommission vorgenommen hat.

Prof. Werner Veith (Publikumsfrage): Darf ich gerade etwas korrigieren, Herr Krieger. Natürlich war das kein Vertrag in dem Sinne, wie Sie’s rechtlich darstellen, sondern es war eine Absichtserklärung,

Denk: Das war der Trick!

Veith: ...die Kultusminister beabsichtigen, sonst ist nichts beschlossen worden – gar nichts!


Krieger: Ja, ja, das ist mir bekannt. Aber genau auf diese Zweideutigkeit kommt es natürlich an. Man kann sich immer wieder darauf zurückziehen: das sei ja kein Vertrag. Aber überall da, wo es opportun ist zu sagen, es sei einer, wird es auch getan. Und es wird auch ständig damit argumentiert, wir dürften ja auch in Deutschland etwa nicht von der Reform weg, weil das ja auch mit den Schweizern und Österreichern vertraglich vereint ist. Das ist genauso zweideutig wie die Zugehörigkeit der CSU zur Union. Sind es zwei Parteien oder ist es eine, ja? Das wird immer so interpretiert, wie man es im Augenblick gerade braucht.

Claudia Ludwig (Publikumsfrage): Was macht jetzt ein armes Elternteil, oder Eltern, die also ein Kind haben, das gerade eine fünf in Rechtschreibung bekommen hat? Und der Lehrer hat, wie Sie schon richtig geschildert haben, vieles angestrichen, wo die Eltern sagen: Haben wir nachgeguckt im Duden, ist alles richtig, oder im neuesten Duden oder von 1996 oder was auch immer. Früher konnten die Eltern vor den Kadi gehen und dann hat der beschlossen: Also, steht im Duden und das ist richtig und der Lehrer muß seine Zensur korrigieren. Was macht denn so jemand heute, auf welches Werk bezieht sich das denn jetzt?

Denk: Herr von Schirnding erzählt: Sein Sohn, Askan hat einen Aufsatz komplett neu schreiben müssen, weil er einmal daß mit scharfem s geschrieben hat. Der Lehrer hat ihm gesagt: Du schreibst den Aufsatz noch mal. Ist zwar nicht falsch, aber zur Übung noch mal. Und was hat der Herr von Schirnding gemacht? Nichts. Weil normalerweise die Eltern lieber nichts unternehmen, auch wenn sie der Meinung sind, daß der Lehrer Unrecht hat – machen sie lieber nichts. Es wäre schön, wenn jemand vor den Kadi geht. Allerdings fällt normalerweise niemand wegen einer fünf in Rechtschreibung durch. Das ist das Problem.
Sie werden also sicher in den nächsten Jahren häufig erleben, daß die Eltern sich fragen: Was hat denn hier der Lehrer angestrichen, ja? Normalerweise glaubt man, daß der Lehrer Recht hat. Aber ich kann Ihnen sagen, daß wirklich sehr viele Lehrer nicht wissen, wie das geht. Alles andere wissen sie. Und es ist ja auch das Allermeiste. Es gibt ja, sage ich immer, es gibt gar keine neue Rechtschreibung. Deswegen ist auch das Argument, daß die Schüler jetzt nicht mehr umlernen können, falsch. Denn 98,5 % der sogenannten neuen Rechtschreibung ist ja die alte, ist identisch mit der alten. Es sind ja bloß die bisherige Rechtschreibung mit ein paar Veränderungen am Rand, und die Hauptsache ist dieses Doppel s. Das lernen die Schüler und meinen dann, sie könnten eine neue Rechtschreibung. Aber die Schwierigkeiten der deutschen Rechtschreibung, wie wir wissen, die Dehnung und die Schwierigkeiten der s-Schreibung, die sind ja völlig unberührt; die sind ja nach wie vor dieselben. Und in Sachen Rechtschreibreform – da weiß fast kein Lehrer Bescheid. Und wenn er jetzt den Duden durchlesen will – das mit „offen gesagt“, habe ich auch noch nicht gewußt. Wer von Ihnen wußte das, daß „offen gesagt“ zusammen geschrieben werden darf? Das weiß kein Lehrer. Wenn das ein Schüler benützt, streicht er’s ihm garantiert als Fehler an, wenn er das zusammen schreibt. Und sagt: „So en Quatsch, das schreibt man doch nicht zusammen.“ Und dann kommt womöglich der Schüler daher und sagt: "Hier, Herr Lehrer, sie irren sich.“
Wir erwarten aber den nächsten Duden – es kommt ja sicher bald ein neuer Duden. Und was machen die österreichischen Lehrer?

Publikumsfrage: Es freut mich zu hören, wenn Sie sagen, das wissen die Lehrer nicht. Ich bin entlastet. Was raten Sie der Presse, was raten Sie den Schulbuchverlagen, wie man mittelfristig vorgehen soll? (Das .......... Rechtschreibung) zuerst Doppel s oder scharfes s und in Klammer fortsetzen, oder soll man es ihnen so erklären: Sie sind sich nicht einig, die Lehrer wissen es nicht. Wie sollen wir Verleger, bzw. wir von der Presse wissen .......

Krieger: Also der Presse kann man nur raten: Folgen Sie dem Beispiel der FAZ, folgen Sie dem Beispiel der Springer-Zeitungen...

Frage: Wir z.B. haben für die Schule zu tun.

Krieger: Das – Schule ist etwas anders, ja, etwas schwieriger. Schulbuchverlage entsprechend.

Denk: Ich empfehle den Verlegern, daß sie bei der bewährten Schreibung bleiben. Und falls die Kultusminister stur sind- man weiß ja nicht – eventuell hinten in das Buch einen Verweis machen auf einen Link im Internet, in dem die 50 Änderungen drinstehen, die im ganzen Buch von der Rechtschreibreform verlangt würden, abgesehen vom Doppel s. Also abgesehen vom Doppel s sind es pro zwei Seiten etwa eine Änderung. Und das könnte man theoretisch im Internet angeben, so daß man also sagen könnte: Wenn ein Lehrer das Buch in der Schule lesen will, dann sagt man ihm: Hier, du kriegst das Buch und du kannst deinen Schülern sagen, wo durch die Rechtschreibreform eine Änderung nötig wäre. Aber bleiben Sie bei der bewährten Schreibung. Schon allein deshalb, weil Sie sicher kein können, daß der 24. Duden kommt, und der wird neue Änderungen haben. Und dann müssen Sie die Bücher wieder neu verändern, um auf dem neuesten Stand zu bleiben.
Also, die bewährte Schreibung ist mit Sicherheit stabil und bleibt stabil und ist vernünftig. Und da könnte man so einen kleinen Zusatz machen für die Schulen, damit die Lehrer ein Alibi haben, wenn sie das Buch im Unterricht lesen.

Publikum: Ihre Einschränkung: das kostet zusätzlich.

Denk: Nein, das geht verhältnismäßig schnell, das sind nicht viele. Ich sagte, das sind alle drei Seiten – jedenfalls ist es sehr viel billiger, als einen Neusatz zu machen, z.B. von einem Buch neu zu setzen kostet 5.000 Euro, und dieses Ding mache ich Ihnen an einem Nachmittag.

Gerhard Ruiss: Also die Frage ist, glaube ich, die gewesen nach einem Ausstiegsszenario. Das ist natürlich – da muß ich sagen, das liegt an der politischen Verantwortung, so verstehe ich politische Verantwortung. Also eine verantwortliche Politik müßte spätestens zu einem Zeitpunkt, und das muß man ja wirklich – das ist das Entscheidende. Sie dürfen nicht vergessen, hier sind Reformbefürworter oder Mitwirkende an der Reform ausgestiegen. Also es waren nicht Reformverweigerer von vornherein, wie ich das für die Literatur sagen kann in Österreich oder vielleicht auch in der Schweiz der Fall ist, sondern es waren Mitwirkende an der Reform, die sind jetzt ausgestiegen.
Spätestens dann müßten bei einer verantwortlichen Politik wirklich alle Alarmglocken läuten, die müßte sagen: Okay, wir brauchen dringend ein Ausstiegsszenario, von mir aus auch möglicherweise mit kosmetischen Begleiterscheinungen, daß wir unser Gesicht nicht verlieren. Aber nicht den Beharrungsbeschluß. Und das höre ich angekündigt. Und das ist ja so entsetzlich: Da wird ein Beharrungsbeschluß gefaßt werden möglicherweise, um das ganze Ding noch weiterzuschleppen, jahrelang weiterzuschleppen, obwohl man weiß: so wird es garantiert nicht bleiben und nicht funktionieren. Das ist es ja, das ist ja bereits einbekannt worden. Das funktionierte so nicht, also haben wir schon modifiziert, und wir kündigen an, wir müssen es weiter modifizieren, anstatt einer sagt, was ich gemeint habe: Stopp, aus, wir haben uns geirrt, zurück zum Start.*


* beim Wort „Start“ endet das Tonband...

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Theodor Ickler
10.10.2004 09.51
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Tag des Herrn

Eigentlich erscheinen seit heute wieder alle wichtigen Sonntagszeitungen in der bewährten Rechtschreibung, und das sollten wir feiern. Was die Bücher usw. betrifft. so müssen wir auch erst einmal abwarten, welche Wirkung die Tatsache „Springer“ nun ausübt. Es ist ja eine Dynamik in die Sache gekommen, die auch über das Wagenburg-Gelärme der Ministerpräsidenten hinweggehen wird.

Man könnte spaßeshalber schon mal den Beschluß formulieren, den die KMK nächste Woche verkünden wird. Wir kennen ja sowohl den Inhalt als auch den Stil, also frisch ans Werk! Wer der tatsächlichen Formulierung am nächsten kommt, erhält einen Buchpreis („Normale deutsche Rechtschreibung“, Leibniz Verlag St. Goar 2004, Halbleinen, beliebter Geschenkartikel!).
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Th. Ickler

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Fritz Koch
10.10.2004 09.30
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Die in der Schriftsprache innewohnenden Gesetzmäßigkeiten zu erkennen,

halte ich für eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt.
Und genau dazu waren die verbliebenen Mitglieder der Rechtschreibkommission nicht fähig, und deswegen haben sie eigene neue Regeln erfunden. Naturwissenschaftler könnten sich so etwas nicht leisten.

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Matthias Dräger
10.10.2004 06.16
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Pressekonferenz FDS, Berlin / Rat für deutsche Rechtschreibung, München

Frankfurter Buchmesse, 6. Oktober, erster Beitrag von Prof. Ickler:

Ich habe gewissermaßen den schwierigsten Part, weil ich als Sprachwissenschaftler argumentiere, und als solcher habe ich vor knapp zehn Jahren, als die ersten Meldungen von den dritten Wiener Gesprächen an die Öffentlichkeit drangen, erkannt, daß diese Reform, so wie sie damals sich abzeichnete, nicht funktionieren kann; und meine schwierige Aufgabe habe ich darin gesehen, möglichst vielen Menschen zu erklären, daß die Regeln oder Regelmäßigkeiten, die der Sprache immanent sind, genauso unverbrüchlich sind wie die Schwerkraft oder irgendwelche mathematischen Gesetze, und daß es nicht so ist, wie einige maßgebende Reformer behauptet haben, daß die Schreibweise ungefähr wie die Postleitzahlen zu beurteilen sei, also etwas, was man auch mal ändern könnte und was eigentlich nur Menschenwerk ist. Die Sprache ist Menschenwerk, trotzdem hat sie ihre Gesetzmäßigkeiten.

Ich will beispielsweise nur erwähnen, daß, wenn man eine Substantiv-Großschreibung hat, man eben nicht „Leid tun“ groß schreiben kann. Das sind also Folgerichtigkeiten, die man beachten muß, und da hat’s eben von Anfang an gehapert. Diese Reformer haben dann selbst Ende 1997 schon erkannt, daß dieses Regelwerk korrekturbedürftig ist; es war damals von „unbedingt notwendigen Änderungen“ die Rede, die man einführen oder durchführen müsse. Diese Änderungsvorschläge wurden von den Kultusministern untersagt, und das Reformwerk trat dann also im Sommer 1998 unkorrigiert in Kraft. Das war eigentlich die Keimzelle des Zerfalls auch gleichzeitig. Nachdem Karlsruhe noch seinen Segen dazu gegeben hatte, habe ich damals in einer Zeitung geschrieben, auch um meine Mitstreiter ein bißchen zu trösten: Das Schlimmste, was der Reform passieren konnte, war ihr Inkrafttreten. Denn von da an wurde dann – ein Jahr später haben ja die Zeitungen umgestellt – für jeden sichtbar, daß es nicht geht, während man sonst hätte sagen können: Ja, da haben irgendwelche reaktionären Geister ein an sich vorzügliches Reformwerk zu Fall gebracht. Das war nun aber nicht mehr möglich, nachdem nun, fünf Jahre lang jetzt schon, Tag für Tag dieser Unsinn vor aller Augen lag.
Es ist dann jetzt, um auf die Wörterbücher zu sprechen zu kommen, die eine ganz entscheidende Rolle gespielt haben neben der Presse – 1996 erschienen ja die ersten reformierten Wörterbücher, der erste reformierte Duden (Bertelsmann ist inzwischen aus der Konkurrenz wieder ausgeschieden) … Vier Jahre später erschien ein sehr stark revidierter Duden, der sich immer noch auf die amtlichen unveränderten Regeln von 1996 berief, in Wirklichkeit aber Hunderte von Änderungen einführte. Damals platzte der FAZ der Kragen, und sie nahm ihre Umstellung wieder zurück, nachdem sie es ein Jahr versucht hatte. Der Auslöser war, wie Sie vielleicht noch in Erinnerung haben, dieser heimlich revidierte Duden.
Wiederum vier Jahre später erschien jetzt ein weiterer Duden, der erstmals aufgrund einer amtlichen Revision der neuen Regeln reformiert worden ist – Herr Denk hat’s schon gesagt –, ein zum Teil rück-reformierter Duden, der aber eigentlich die Konfusion komplett macht. Das hat auch eine Rolle gespielt bei dem jetzigen Entschluß von Springer und anderen Zeitungen und auch einigen anderen Verlagen, nun wieder [zur bewährten Rechtschreibung] zurückzukehren. Also diese immer wieder veränderten Duden-Auflagen haben eine ganz entscheidende Rolle gespielt bei diesen Rückbau-Vorstößen, die uns jetzt so sehr freuen. Einerseits – andererseits ist es traurig, daß es soweit kommen mußte.

Ich will jetzt noch ein Wort sagen zur lexikographischen Erfassung der Rechtschreibung überhaupt und da auch mein Wörterbuch erwähnen. Das tue ich also nur mit der Vorbemerkung, daß ich daran nichts verdiene. Dieses Wörterbuch ist jetzt in der 4. Auflage, es ist genau wie alle anderen Auflagen und auch meine übrigen Bücher honorarfrei erstellt; es ist also keine wirtschaftliche Konkurrenz, aus der heraus ich jetzt etwas über den Duden sage oder über Wörterbücher überhaupt, sondern es ist so gewesen, daß ich nach Veröffentlichung oder ungefähr gleichzeitig mit der Veröffentlichung meiner sprachwissenschaftlichen Kommentare zur Neuregelung aufgefordert worden bin von Mitstreitern, einmal an einem eigenen Wörterbuch zu zeigen, wie denn meiner Auffassung nach eine vernünftige Darstellung der bisherigen Rechtschreibung aussehen sollte. Denn mein Punkt war nämlich der: Ich habe auch schon lange vor der Reform am Duden Kritik geübt, und zwar, weil der Duden – wie übrigens die Redakteure dort selbst freimütig zugeben – sich darauf eingelassen hatte, sehr viele, Tausende von … Einzelwortschreibweisen festzulegen, einfach als Antwort auf die vielen Anfragen, die ständig bei der Duden-Redaktion einlaufen, von Sekretärinnen, von Lehrern usw. Die wollen wissen, wie schreibt man das denn, und dann hat der Duden eben gesagt, das schreibt man so: Wir schreiben ernst nehmen getrennt, aber ernstzunehmend schreiben wir zusammen … und solche Sachen, was eigentlich auch der Duden-Freund nicht im Kopf behalten konnte und die meisten Leute gar nicht so genau wissen. Man schlug dann eben nach oder auch nicht, das war dann eigentlich egal.
Meiner Ansicht nach wäre die erste Arbeit gewesen, die tatsächlich im Deutschen in guten Texten, also seriösen Zeitungen, Fachbüchern usw. praktizierte Rechtschreibung, wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hatte, zunächst einmal empirisch zu erfassen und dann in einer geeigneten Weise zu notieren, in einem gut lesbaren Notationssystem ein Wörterbuch zu bringen.
Mir schwebte damals ein reines Orthographikon vor, also das ohne Bedeutungsangaben, ohne weiteren Firlefanz, ohne Aussprache nur die Schreibweise der Wörter einfach empirisch deskriptiv darstellen sollte. Das habe ich dann auch gemacht und mit Herrn Drägers Hilfe auch veröffentlichen können, in einer ersten vorläufigen Ausgabe, dann auch in einer gebundenen Ausgabe. Inzwischen ist dann noch, auf Wunsch vieler Benutzer, etwas als Zugabe entstanden: Bedeutungsangaben, etwa in dem Umfang, wie sie auch im Duden standen, so daß man dieses Wörterbuch jetzt auch praktisch besser nutzen kann. Aber mein Hauptpunkt, der eigentliche Anlaß war, wie gesagt, gar nicht, ein marktfähiges Wörterbuch zu erstellen, sondern einfach ein weiteres Argument zu liefern, ein anschauliches Argument, wie mit Rechtschreibung umzugehen sei. Daraus ist dann dieses Wörterbuch entstanden.
Es ist dann gleichzeitig Teil eines Rückkehrplanes geworden, den ich eben auch vor Jahren schon in der Zeitung vorgelegt habe, zum Teil auch unter dem Titel: „Gibt es ein Leben nach dem Duden?“ Also wenn das Duden-Privileg nun abgeschafft ist und auch nicht wiederhergestellt werden kann und soll und wird, wie soll man denn nun überhaupt eine einheitliche Orthographie gewährleisten? Mein Plan sah vor und sieht immer noch vor: Ab sofort wird wieder die bisherige Rechtschreibung an den Schulen unterrichtet. Das kann dieses Wörterbuch sein, das kann irgendein anderes Wörterbuch sein – also Verlage, die sich zutrauen, die bisher übliche Rechtschreibung empirisch fundiert darzustellen; das kann der Duden-Verlag zum Beispiel sehr gut, die Duden-Redaktion hat alle Mittel dazu – das wird dann zugrunde gelegt. Die reformierte Rechtschreibung bleibt noch für einen großzügigen Übergangszeitraum insofern gültig, als sie nicht als fehlerhaft angestrichen wird. Die Schüler müssen da also immer schonend behandelt werden für eine Übergangszeit.
In Zukunft wird das so gemacht, daß jeder, der es sich zutraut, die übliche Rechtschreibung in Wörterbuchform darstellen kann und daß Rechtschreibwörterbücher genau wie andere Schulbücher einem Schulbuchzulassungsverfahren unterworfen werden, so daß die Kultusminister, die Schulministerien noch die Hand drauf haben und da kein Wildwuchs entsteht, sondern genau wie die Aussprache, die Bedeutung und die Grammatik des Deutschen nicht staatlich erfaßt, aber von staatlichen Stellen für die Schulen zugelassen wird, genauso auch die Rechtschreibung. Warum eigentlich nicht? Das funktioniert in England und anderswo, das können wir auch. In dem Zusammenhang ist also dieses Wörterbuch entstanden als eine Art Argument und Stütze für diesen Rückkehrplan, der meiner Ansicht nach sehr kostengünstig wäre, niemandem auf den Fuß treten würde außer einer Handvoll Reformer, und eigentlich spricht nichts dagegen, das so zu machen. Ich bin jetzt auch glücklich darüber, daß eine doch überwältigende Zahl – vor allem auch von der Auflage her – von Zeitungen wieder in einer vernünftigen Rechtschreibung erscheint. Das ist ja ein richtiger Genuß, wenn man diese Zeitungen liest; heute morgen in der Bahn habe ich mir „Die Welt“ angetan, und das war also sehr schön zu lesen, bis auf einige Kleinigkeiten, die noch nicht so funktionieren, das ist schon wieder sehr ordentlich.

Das ist meine Einlassung im Augenblick.


(Tonbandabschrift, erstellt von Frau Luetjohann)

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DS
08.10.2004 15.45
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berichtigt

kalmiert, Gehrer

Tonband liegt nicht vor, Ickler/Ruiss noch nicht verändert

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Christian F. Langewische
08.10.2004 15.27
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Ist also doch keine Zauberei im Spiel?

„Palmieren“ bezeichnet doch das Verbergen eines Gegenstandes in der Handfläche, wie man es beispielsweise in der Zauberei praktiziert.

Oder irre ich da?
__________________
Christian F. Langewische

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Reinhard Markner
08.10.2004 14.46
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Danke, sehr interessant ! Die betreffende Ministerin heißt Gehrer, nicht Gerhardt. Das betreffende Verb heißt „kalmiert“, nicht *palmiert. Und mir scheint, daß bis zum Ende Ruiss spricht, nicht Ickler. (Hinweise können gelöscht werden.)

Lieber Herr Markner, Sie haben natürlich recht, Gerhard Ruiss spricht bis zum Schluß. Ruiss spricht ein sehr lebhaftes Österreichisch, ist auf der Presskonferenz bestens (inklusive der zugehörigen Handbewegungen), auf dem Tonband aber manchmal schwer zu verstehen.
Ich war heute auf der Messe, hoffe, den Text heute nacht korrekturhören zu können.

Es folgen noch am Montag/Dienstag: Die Beiträge von Prof. Ickler, Denk, nochmals Krieger, etc.

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Matthias Dräger
08.10.2004 11.36
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Pressekonferenz Frankf. Buchmesse 6. Oktober 2004

Guten Morgen meine Damen und Herren,
im Namen des Rates für deutsche Rechtschreibung e.V. und der Forschungsgruppe Deutscher Sprache begrüße ich sie herzlich zu dieser Pressekonferenz über den Stand der Dinge in Sachen Rechtschreibreform. Ich stelle Ihnen zunächst die Teilnehmer hier auf dem Podium vor: Zu meiner Rechten, von Ihnen aus gesehen links, sitzt Herr Gerhard Ruiss aus Österreich, Lyriker, Satiriker, Liedermacher und Vorsitzender der IG-Autoren oder -Autorinnen. Zu meiner Linken Herr Professor Theodor Ickler von der Universität Erlangen/Nürnberg, Sprachwissenschaftler, Inhaber eines Lehrstuhls für deutsch als Fremdsprache, Autor zahlreicher kritischer Analysen über die Rechtschreibreform, Autor vor allem eines neuen Rechtschreibwörterbuches auf der Grundlage der alten vorreformatorischen Schreibung erarbeitet, das diese alte Schreibung neu darstellt. Dieses Wörterbuch ist gerade eben in seiner zweiten Auflage erschienen. Ist es schon da, oder? Ach ja, da ist es, wunderbar. Und ganz links außen von mir gesehen, von Ihnen aus gesehen ganz rechts außen, Herr Friedrich Denk, bis vor kurzem Gymnasiallehrer, Initiator einer einzigartigen und beispielhaften Literaturförderung am Gymnasium, Herausgeber einer Schriftenreihe, Initiator des, soweit ich weiß, einzigen Literaturpreises der von Schülern juriert wird, wo Schüler die Auswahl treffen, und natürlich als Kritiker der Rechtschreibreform seit Jahren, seit der Frankfurter Erklärung von 1996, allgemein bekannt.
Ich selbst, ich bin Hans Krieger, Vorsitzender des Rates für Deutsche Rechtschreibung e. V., im Beruf Journalist, Kulturjournalist und Lyriker.
Ja, meine Damen und Herren, haben wir keine anderen Sorgen als ausgerechnet Rechtschreibung? So wird immer wieder gefragt; man kann darauf eigentlich nur mit dem Dichter Reiner Kunze antworten: Eben weil wir andere Sorgen haben, muß die Sprache eine unserer allerersten Sorgen sein. Die Sprache ist die Grundlage und das Medium unserer gesamten Weltorientierung. Von der Differenziertheit der Sprache hängt die Genauigkeit unserer Wahrnehmung ab, die Präzision unseres Denkens, damit auch die Durchdachtheit unserer politischen Auseinandersetzung und des aus dieser Auseinandersetzung hervorgehenden Handelns. Jeder Verlust an Differenziertheit der Sprache ist ein Verlust an politischer Rationalität. Nun hat die 1996 beschlossene Rechtschreibreform ja, wie Sie alle wissen, nicht nur Schreibweisen geändert, sondern die Sprache selber geändert, tief eingeschnitten in die Substanz der Sprache. Und dafür ist es jetzt unerheblich, ob das 2 oder 3 Prozent des Wortschatzes betroffen hat, oder vielleicht 5 oder 8. Die Tatsache als solche, daß die Sprache angetastet wurde, ist entscheidend. Es sind zahllose zusammengesetzte Wörter aus dem Verkehr gezogen worden durch den absurden Zwang zur Getrenntschreibung. Damit sind viele Bedeutungsunterscheidungen verlorengegangen. Es sind Ausdrucksnuancen verlorengegangen, d.,h., wir haben eine Reduzierung der Artikuliertheit der Sprache über uns ergehen lassen, eine Entdifferenzierung der Sprache. Zugleich aber auch ist mit vielen Schreibweisen die Gesetzlichkeit der Grammatik außer Kraft gesetzt worden. Also man muß von einer kulturellen Regression sprechen und das auch ganz im Wortsinne – eine Rückwärtsbewegung –, denn zu weiten Teilen hat die Reform Schreibgepflogenheiten aus der Zeit vor 200 Jahren künstlich restauriert. Es ist also vollkommen absurd, wenn man der Forderung nach Rücknahme der Reform die Binsenweisheit entgegenhält, das Rad der Entwicklung könne und dürfe nicht zurückgedreht werden. Die Reform war das Zurückdrehen des Rades, und die Rücknahme der Reform bringt das Rad wieder dorthin, wo es hingehört, nämlich wieder nach vorne. Dieser massive Eingriff in die Substanz der Sprache hat gerade uns Journalisten, und als Journalist darf ich in diesem Kollektiv von wir/uns reden, hat uns Journalisten ganz unmittelbar und massiv in besonderer Weise betroffen. Es gingen Ausdrucksnuancen verloren, ich hab das schon gesagt, d.h., es ist im Grunde ein massiver Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung. Ich habe nie begriffen, daß die Presse mit solcher Gehorsamsbereitschaft sich unter dieses Joch gebeugt hat. Und ich sehe in dem Entschluß der Springerzeitungen, der seit Sonntag gilt, zur bewährten alten Schreibung zurückzukehren, einen wichtigen Schritt zur Wiederherstellung der professionellen Autonomie und zur Wahrung des journalistischen Berufsethos. Diese Rückkehr einiger Zeitungen, und eines gewichtigen Teils der deutschen Presse, zur alten Schreibung ist jetzt einer der Gründe, warum die Diskussion um die Rechtschreibung erneut so heftig aufgeflammt ist. Ein anderer Grund ist die soeben neu erschienene neue Dudenauflage. Es ist die 23., in der die Substanz der Neuschreibung noch einmal verändert wird. Dieser neue Duden betreibt unterderhand einen Rückbau der Reform, allerdings einen halbherzigen, einen unvollständigen, einen in sich widersprüchlichen Rückbau. Dieser Rückbau der Reform geht nicht soweit, daß wir wieder zu klaren Verhältnissen kämen, aber er geht immerhin weit genug, daß man von einer Reform der Reform, vielleicht von einer 2. Stufe der Reform sprechen muß, vielleicht sogar von einer neuen abermaligen Rechtschreibreform zu reden hat. Die Folge davon ist, daß alle seit 1996 erschienenen Rechtschreibwörterbücher wertlos sind; daß alle seither gedruckten Schulbücher eigentlich revidiert werden müssen; und daß auf jeden Fall alle, inklusive Schulkinder, noch einmal umzulernen haben. Mit anderen Worten, das, was von einer Rücknahme der Reform befürchtet wird und angeblich eine Rücknahme der Reform unzumutbar macht, nämlich Unbrauchbarwerden von Büchern und Zwang zum abermaligen Umlernen. Alles das haben wir schon mit diesem neuen Duden. Nur, wir haben die Vorteile nicht, die eine wirkliche Rücknahme der Reform brächte. Wir haben nicht den Wiedergewinn der Klarheit der verläßlichen Orientierung, sondern wir haben im Grunde neue Verunsicherung, neues Chaos, weil nach außen hin die Fiktion aufrechterhalten werden soll, als sei mit diesem Duden gar nicht wirklich etwas geändert, als hätten wir weiterhin eine gleichgebliebene und in sich konsistente amtliche Neuregelung der Rechtschreibung, die es im Grunde gar nicht wirklich gibt. Nicht zuletzt ist dieser neue Duden, über den nachher Professor Ickler noch einiges sagen wird, das Eingeständnis, daß die Reform fundamental vermurkst war und in ihrer ursprünglichen Form nicht zu halten ist. Daraus kann es nur eine Konsequenz geben: Anstelle einer heimlichen und halbherzigen Rücknahme verlangen wir die offene und vollständige Rücknahme der Reform. Das wäre ehrlicher, es wäre einfacher, es wäre viel vernünftiger und zweckmäßiger, weil es rasch und sicher zu klaren Verhältnissen führt, und es wäre nicht zuletzt wesentlich billiger. Damit gebe ich das Wort weiter an Gerhard Ruiss, der uns sicher jetzt etwas über die Entwicklung in Österreich sagen kann. Danach wird Professor Ickler Ihnen noch einiges zum neuen Duden und vielleicht auch sonst noch einiges aus sprachwissenschaftlicher Sicht sagen; und danach wird Friedrich Denk den Frankfurter Appell vorstellen, eine neue Initiative von Schriftstellern.

Herr Ruiss:

Herzlichen Dank. Zunächst einmal würde ich sagen, das Versagen der Reform ist doch ohnehin schon offen allen bekannt. Also wenn beispielsweise in Österreich die zuständige Fachministerin sagt, es kann kein Zurück geben, sagt sie wiederholt, es kann kein Zurück geben, aber zugleich sagt sie, dieser neue beabsichtige Rat für deutsche Rechtschreibung soll die Unsinnigkeiten, die aufgetreten sind mit der Reform, korrigieren. Das heißt also, die als wunderbar perfekt verkaufte Reform ist korrekturbedürftig, das weiß man jetzt schon, bevor diese neue Kommission ins Amt gehoben werden soll. Na ja, ich würde sagen, damit habe ich einbekannt: die wunderbare Reform ist keine wunderbare Reform, wenn ich vor allem den Hintergrund sehe. Und der ist in Österreich nicht anders als in Deutschland oder der Schweiz. Der Hintergrund dieser Reform ist: Die gesammelte staatliche Macht hatte 8 Jahre Zeit, und zwar in den deutschsprachigen Ländern, um zu überzeugen. Sie hatte alle Schulen mit weisungsgebundenen Lehrern und Lehrerinnen zur Verfügung, und hat es in 8 Jahren nicht geschafft, mit dieser Materie Rechtschreibreform zu überzeugen. Das beweist doch, daß es offenbar hier um etwas geht, was den Leuten nicht näherzubringen ist, was sie sozusagen nur unter Zwang anwenden, so sieht es auch aus, weil nicht einmal in den Ämtern diese Rechtschreibreform umgesetzt wird, wo sie angeblich schon umgesetzt ist. Dort wird Rechtschreibreform geheuchelt. Ich kann Ihnen das in Österreich sagen, allenfalls fällt jemandem einmal ein, wo ein scharfes s zu setzen gewesen wäre, ein Doppel-s zu schreiben. Also mehr ist da nicht mit der Rechtschreibreform. Die Formulare sind sowieso im eigenen Amtsdeutsch verfaßt; da weiß sowieso kein Mensch, was neue oder alte Rechtschreibung ist. Das ist ein eigenes Kapitel. Was mich nebenbei auch immer gewundert hat, warum sind eigentlich privatwirtschaftliche Unternehmen bereit, die Kosten für eine solche Reform, für die es überhaupt keinen zwingenden Grund gab, zu tragen und weiter zu tragen? Offenbar sind das jetzt einige potente, ökonomisch potente deutsche Medien nicht mehr. In Österreich ist die Situation ein bißchen anders. Die österreichischen Presseverlage sind stärker mit der Politik verquickt als das in Deutschland der Fall ist. Sie sind noch stärker mit dem deutschen Markt verquickt, als das umgekehrt für den deutschen Markt der Fall sein wird. Das heißt also, in Deutschland wird man weniger abhängig sein von der Beteiligung von österreichischen Medien, falls es solche gibt. An deutschen Medien ist das umgekehrt der Fall. Also der ökonomische Grund hat mich auch immer gewundert. Aber noch viel mehr hat mich in all diesen Jahren gewundert, warum denn eigentlich Buchverlage da mitziehen wollen, was im übrigen bei den Literaturverlagen nicht der Fall ist. Das heißt, die Literaturverlage sind von Haus aus nicht in diese Reform eingestiegen. Das ist in Österreich ganz deutlich erkennbar. Wer aber der Reform gefolgt ist, das sind natürlich notwendigerweise die Schulbücher und die Kinder- und Jugendliteratur, die natürlich auch der Approbationen bedürfen. Das heißt, sind die nicht in der neuen Rechtschreibung geschrieben, dann werden sie einfach nicht approbiert und für den Unterricht zugelassen. Damit ist der Schulbuchverlag um sein Geschäft gebracht. Wir haben in Österreich zudem noch die besondere Situation, daß Schriftsteller und Schriftstellerinnen nicht gefragt werden müssen, ob sie einverstanden sind, neu geschrieben zu werden mit ihren Texten, obwohl die in der alten Rechtschreibung vorhanden sind oder nachgedruckt werden in Schulbüchern. Wir haben in Österreich ein etwas veraltetes Urheberrechtsgesetz gegenüber dem deutschen Urheberrecht. Das heißt, bei uns konnte man auch über unsere Köpfe hinweg die Texte umschreiben, was man in Deutschland so nicht kann. Die Konsequenz in Deutschland ist, das weiß ich schon, daß viele deutsche Kolleginnen und Kollegen immer weniger, wenn sie darauf beharren, in der alten Schreibung vorzukommen, immer weniger in Schulbüchern Aufnahme finden. Vielleicht interessiert es Sie auch noch, daß es in Österreich insgesamt so gesehen worden ist. Sie haben ja immer bedauerlicherweise Nachrichten vom großen Vorsitzenden der Rechtschreibreformkommission Herrn Karl Blüml vernommen, daß in Österreich alles immer in Ordnung gewesen sein soll. Ich kann Ihnen versichern, in Österreich hat der Streit mindestens so heftig getobt wie hier in Deutschland. Nur haben wir eben eine andere Mediensituation, und es gelingt eben immer nur punktuell, wieder mal die Problematik zu thematisieren, und dann ist schon wieder alles kalmiert. Ich könnte Ihnen viele viele Beispiele in der österreichischen Medienlandschaft sagen, wie rasch das Thema da ist und welch großes Problem es ist, und in der Folge werden Sie sofort Artikel finden, wo alles schon wieder in Ordnung ist. Also das ist auch, wenn ich sage, typisch österreichisch. Wir haben mit nicht vielen Dingen ein Problem. Vielleicht auch, glaube ich, weil wir in der Frage gar nicht so sehr entscheidend sind. Tatsächlich ist es so, die Entscheidungen werden hier in Deutschland fallen; die Entscheidungen werden, das behaupte ich auch, das weiß ich inzwischen auch, werden über die Anwender fallen. Das heißt, wenn diese Reform weiter nicht angenommen werden wird, und das sieht ganz danach aus, wird ganz einfach diese neue Rechtschreibung sich in ihrem Geist nämlich (...) nicht durchsetzen. Und das ist etwas, was uns Schriftsteller und Schriftstellerinnen immer am meisten verblüfft hat, diese plötzliche Wiederkehr, das Wiederkehren solcher Obrigkeitsgläubigkeit, daß plötzlich eine zwischenstaatliche Beamtenkommission sagen soll können, wie jetzt das richtige Schreiben funktioniert. Das hat, wir haben viele Erfahrungen mit dem Beamtenstaat, und wir haben immer mißtraut. Und aus guten Gründen. Nicht weniger unsere Kolleginnen und Kollegen waren auch Schriftsteller und Schriftstellerinnen, vielleicht sogar unsere hervorragendsten, und die haben sozusagen sich auch selber in dieser Doppelfunktion mißtraut. Also wir haben immer diesem Beamtenstaat mißtraut, und jetzt plötzlich kehrt er wieder und sagt: Wir sind die Rechtschreibreform und wir setzen uns auch bis ins endlose fort mit einem Rat für deutsche Rechtschreibung. Also ich denke sozusagen, das ist auch etwas für sich, gegen das wir massiv aufgetreten sind, gegen das wir massiv auftreten sollten und gegen das wir massiv weiter auftreten werden, weil natürlich im Grunde genommen, das, was zu regeln ist, sich immer, ich würde fast sagen, wie von selber geregelt hat, und zwar durch die professionellen Anwendergruppen. Das sind Schriftsteller und Schriftstellerinnen, das sind Journalisten und Journalistinnen, und das sind die Medien. Sozusagen, das sind die Praktiker und Praktikerinnen. Dadurch hat sich die Sprachentwicklung ergeben. Niemand hat eine Rechtschreibreformkommission benötigt, die jetzt für uns sozusagen Worterfindungen machen muß oder Wortgruppenerfindungen machen muß, weil uns vielleicht die Ideen dazu ausgegangen sein könnten. Ich denke, was der Zustand, der vorher der Fall war, es hat sozusagen nicht mehr als die Notwendigkeit des dokumentierenden Begleitens gegeben einer (....) Sprachentwicklung, und nicht mehr wäre jetzt auch notwendig, und nebenbei hätte man von vornherein auf Leute hören sollen, auf die man heute nicht einmal jetzt noch hören will.
Wir haben zu Beginn der Pressekonferenz überlegt, wir sollten etwas tun. Und ich möchte Ihnen das auch so sagen, damit diese Idee nicht verlorengeht. Wir sollten vielleicht im Anschluß an diese Pressekonferenz so etwas hinterlegen wie, was wir voraussagen, und da alles, was wir voraussagen, für die nächsten paar Jahre festhalten … ist … unternehmen, vielleicht sollten wir dafür sorgen, daß es durchsickert, daß es der eine oder andere in Erfahrung bringt, damit wir in fünf Jahren überprüfen können, was von dieser Rechtschreibreform bleibt, ich behaupte nichts. In dieser Form garantiert nichts. Erstaunlich ist nur, daß es offenbar auch in Deutschland diesen großen Beharrungsgeist gibt, anstatt daß sich die Politiker endlich einmal hinstellen und sagen: Liebe Leute, wir haben uns geirrt, wir haben versagt, es war der falsche Weg. Es wäre überhaupt nichts dabei, ich glaube, die Politik würde schlagartig sehr viel Kredit zurückgewinnen, den Kredit, den sie jetzt wirklich Stück für Stück verliert und weiter verlieren wird, weil diese Reform einfach nicht zu halten ist. Auch wenn sie es noch solange behaupten, jedenfalls in Österreich war es so. Mir hat die Ministerin, Frau Minister Gehrer, Fachministerin, Bildungsministerin in Österreich, im Anschluß an ein Interview bzw. Streitgespräch, das sie mit mir hatte für die Wiener Tageszeitung und den Kurier, offen kurz gesagt, sie sei auch nicht für die Reform, das war 96, aber wenn etwas beschlußreif sei, müsse man es machen. Also sie ist auch nicht für die Reform, aber wenn etwas Beschluß sei, muß man es machen. Das waren die Worte der zuständigen Ministerin. Dieselbe Ministerin steht jetzt da, sagt: Es kann kein Zurück geben, und sagt, aber es wird schon nachgebessert werden müssen. Also, der Politik wäre wirklich zu raten, Farbe zu bekennen und zu sagen, wir haben uns geirrt, es war der falsche Weg, machen wir’s anders, gehen wir zum Ausgangspunkt zurück. Ich hoffe, sie hat die Courage, ich habe immer gedacht, die deutsche Politik könnte diese Courage haben, und von der österreichischen – weil ich Österreichkenner bin – hätte ich das nicht erwartet, also, das heißt, vielleicht werde ich auch hier enttäuscht, ich hoffe nicht.

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Bernhard Schühly
05.10.2004 20.28
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Buchmesse

Wäre es jetzt nicht sinnvoll, mal zu beobachten, wieviele Bücher bzw. Verlage es dieses Jahr auf der Buchmesse gibt, die in der bewährten Schreibung veröffentlichen und den Trend zu vergleichen? Ich meine jetzt abgesehen von Lehrmitteln und Kinderbüchern,wobei letztere ja auch nicht zwingend reformgeschrieben sein müßten.
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Bernhard Schühly

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Matthias Dräger
05.10.2004 19.53
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Pressekonferenz

Unter dem Thema:

„Rechtschreibreform – wohin?“

wird der Rat für deutsche Rechtschreibung auf der Frankfurter Buchmesse eine Pressekonferenz abhalten.

Halle 4.C
Raum Consens
Mittwoch, 6. Oktober, 11.00 Uhr


Teilnehmer:
Friedrich Denk, Theodor Ickler, Hans Krieger, Gerhard Ruiss


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margel
27.09.2004 14.10
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Ohne Moos nix los

Der Geldhahn wird zuerst zugedreht, darin besteht ja der Austritt aus der KMK. Darum auch das Wirksamwerden zum Beginn des nächstmöglichen Haushaltjahres. Möglicherweise arbeiten aber die Damen und Herren allesamt ehrenamtlich im Dienste der guten Sache. Viele haben ein vitales Interesse an diesem Rat. Es sind auch Verleger als Mitglieder vorgesehen, die könnten etwas springen lassen. („Wohltun trägt Zinsen“). Staatsvertrag hin oder her: Jedenfalls gibt es ein von den zuständigen Ministern, also den Länderregierugen unterzeichnetes Abkommen mit einer schönen Kündigungsklausel, die zugleich der eingebaute selbstzündende Sprengsatz ist. Das liegt in der Natur der Sache: Wenn ein Land austritt, gibt es nichts mehr zu koordinieren. Interessant wird es sein, wo die 250 Leute des Sekretariats untergebracht werden. – Chr. Wulff hat etwas ganz Einfaches getan: Er hat sich den Vertrag angesehen und ihn gekündigt. Ein höchst normaler Vorgang. Daß er dabei einigen auf die Füße getreten hat – tant pis. Heimlich werden sich gewiß manche Landesfürsten und ihre Kultusminister die Hände reiben, daß da einer von ihnen den Mut und die Entschlossenheit aufgebracht hat, dieser sich als Staat im Staate gebärdenden KMK mit einem Schlage die wirklichen Machtverhältnisse aufzuzeigen.

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Sigmar Salzburg
27.09.2004 13.00
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Vorsicht !

Der im Juni gegründete freie „Rat für deutsche Rechtschreibung“ müßte nun kräftig in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten – sonst könnte sich die Vor-Besetzung des Namens, den sich sicher die Kultusminister vorbehalten wollten, als Rohrkrepierer erweisen.
__________________
Sigmar Salzburg

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