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Fritz Koch
16.09.2004 09.00
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Wie ist das mit "glatt" und "voll"?

Ist das nur erst Umgangssprache,
daß „glatt“ auch „wirklich“ bedeuten kann und
daß „voll“ auch „mit aller Kraft“ bedeuten kann?
Beispiele:
Er hat das doch „glatt“ gemacht.
Er hat „voll“ geschuftet.
Unter Einbeziehung der Umgangssprache sind demnach zu unterscheiden:
etwas „glatt“ (= wirklich) machen – etwas „glattmachen“ (= glätten);
er ist „voll“ (= mit aller Kraft) gelaufen – es ist vollgelaufen (= bis zum Rand gefüllt worden).
Der Duden unterschlägt diese (umgangssprachlichen?) Bedeutungen.

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Theodor Ickler
16.09.2004 06.36
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Hessisches Kultusministerium sucht nach Gründen

Hessisches Kultusministerium (2004)

10 gute Gründe für die Rechtschreibreform

[Mit kommentierenden Bemerkungen von Th. Ickler]

1. Einfachheit der Rechtschreibung
2. Alte Rechtschreibung – viele Ausnahmen untergraben die Regeln
3. Neue Rechtschreibung – bessere Erlernbarkeit und Handhabbarkeit
4. Das Stammprinzip wird gefestigt
5. Neue s-Schreibung
6. Keine Streichung beim Zusammentreffen von drei Konsonanten
7. Getrenntschreibung wird geregelt
8. Großschreibung von Substantiven wird gestärkt
9. Kleinschreibung bei festen Verbindungen von Adjektiv und Substantiv wird festgelegt
10. Trennung nach Sprechsilben

1. Einfachheit der Rechtschreibung

Konrad Duden, der Vater des Duden, forderte schon 1902, auf die Einheit der deutschen Rechtschreibung in allen deutschsprachigen Ländern müsse nun auch die Einfachheit folgen. Diese blieb allerdings für die folgenden Jahrzehnte eine Utopie. Im Gegenteil: Das Regelwerk der deutschen Rechtschreibung wurde zusehends undurchdringlicher.

[Schon hier zeichnet sich die Gleichsetzung der Rechtschreibung mit ihrer Darstellung im Duden ab. Hätten die Kultusminister, die jetzt auf eine Reform drängen, nicht die Rechtschreibung mit dem Duden identifiziert – wie man die Regelung von 1955 jedenfalls auslegen könnte –, wäre manches Problem gar nicht erst aufgetreten. Die naheliegende Folgerung wäre gewesen, die Darstellung der Orthographie im Duden zu überprüfen und zu verbessern.]

2. Alte Rechtschreibung – viele Ausnahmen untergraben die Regeln

Das bekannte Sprichwort „Ausnahmen bestätigen die Regel“ gilt vielleicht im Leben, nicht aber bei der Rechtschreibung. Zahlreiche Ausnahmen, Einzelfallregelungen und sich widersprechende Festlegungen machten die Rechtschreibung unübersichtlich und kompliziert. Resultat waren Probleme im Rechtschreibunterricht und schlechte Kenntnisse der Regeln nicht nur bei Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei versierten Schreiberinnen und Schreibern.

[Hier gilt zunächst dasselbe wie zu 1. – Außerdem ist es bekanntlich eine Frage der Darstellung, was als Regel und was als Ausnahme erscheint. Es kommt nicht darauf an, Dudenregeln zu kennen, sondern darauf, korrekt zu schreiben, d. h. so, wie es im Deutschen üblich und sinnvoll ist.]

3. Neue Rechtschreibung – bessere Erlernbarkeit und Handhabbarkeit

Die neue Rechtschreibung stärkt Prinzipien und Grundregeln, vermeidet Ausnahmen und baut
Überregulierungen ab. Die richtige Schreibweise kann von einer Regel abgeleitet werden. Die
neuen Regeln sind daher einfacher zu vermitteln und leichter zu lernen. Dies zeigt die Broschüre
Rechtschreibung gut erklärt des Hessischen Kultusministeriums.

[Weitgehend identisch mit 2.]

4. Das Stammprinzip wird gefestigt
In der deutschen Rechtschreibung gilt grundsätzlich das Stammprinzip. Das bedeutet, dass sich die Schreibung eines Wortes nach seinem Stamm richtet, also dem Wort, von dem es sich ableitet. Der Stamm des Wortes länglich ist lang. Verstöße gegen dieses Prinzip sind in der neuen Rechtschreibung beseitigt. Das Wort Stengel (alte Rechtschreibung) hat seinen Wortstamm in Stange und wird daher jetzt Stängel geschrieben. Ebenso verhält es sich bei überschwänglich (früher: überschwenglich) und Überschwang.
[In einigen wenigen Fällen ist die Geltung des Stammprinzips erweitert worden, sehr viel mehr andere Fälle bleiben unberührt (Spengler trotz Spange, Heu trotz hauen usw.) Hinzu kommen absichtlich falsche ("volksetymologische") Schreibungen (bläuen), Halbrichtiges (schnäuzen) und weit hergeholte Zusammenhänge, die schon lange nicht mehr lebendig gefühlt werden (Stängel, mit behänden Schritten usw.).]

5. Neue s-Schreibung

Für das stimmlose s steht nach kurzem betontem Vokal ss, also Amboss (statt früher Amboß;
nass statt naß). Das führt zu einheitlichen Schreibweisen – Fluss schreibt sich wie Flüsse –,
wo früher Abweichungen gelernt werden mussten. Gemäß dem Stammprinzip bleiben auch
hier die Schreibweisen gleich, z.B. küssen – sie küsst – er wurde geküsst ( früher: sie küßt, er
wurde geküßt).

[Die Heysesche s-Schreibung ist vollkommen phonographisch begründet, die Hinzuziehung des Stammprinzips wäre eine Überdetermination, und sie ist falsch. Stammschreibung besteht darin, auch bei unterschiedlicher Aussprache gleich zu schreiben, also Kind wie Kinder (trotz Auslautverhärtung) und kälter wie kalt (und nicht kelter, wie es die primäre Laut-Buchstaben-Zuordnung fordern würde). Man sollte also erwarten: fliessen wie Fluss; und tatsächlich bekundete die Vertreterin der GEW vor dem Bundesverfassungsgericht am 10.5.1998 ihre Erleichterung darüber, daß nun fließen ebenso wie Fluss geschrieben werde (was gerade bei der "alten" Rechtschreibung der Fall war, aber auch dort nichts mit dem Stammprinzip zu tun hatte und niemals so begründet wurde). Die zahllosen Ausnahmen und neuen Probleme werden verschwiegen: Bus, Erkenntnis, Genuss-süchtig usw.]

6. Keine Streichung beim Zusammentreffen von drei Konsonanten

Bis 1991 wurden für den Fall des Zusammentreffens dreier Konsonanten insgesamt zehn
Regeln entwickelt, was in solch verschiedenen Schreibungen wie Ballettänzer, Balletttruppe
und Ballettheater gipfelte. Jetzt werden bei allen Versionen alle drei Konsonanten
geschrieben (Balletttänzer, Balletttruppe und Balletttheater).

[Die "zehn Regeln" – an anderer Stelle auch "elf" – sind eine Erfindung des Reformers Augst; es sind durchaus andere Darstellungen denkbar; vgl. meinen "Kritischen Kommentar". Natürlich wußten auch die Orthographen des 19. Jahrhunderts, daß in Schiffahrt "eigentlich" drei f stehen müßten; sie haben jedoch aus lesepsychologischen und ästhetischen Gründen vereinfacht, und 1901 kam es zu einem vielleicht nicht sehr glücklichen Kompromiß. Jacob Grimm tadelte die Dreifachschreibung eines nur einmal gesprochenen Konsonanten als "pedantisch". Die Rustsche Reform von 1944 sah überall Vereinfachung vor, wie zuvor die bayerische Schulorthographie. Ein marginales "Problem", das in der Praxis durch die Merkwörter Schiffahrt und Sauerstoffflasche gelöst wurde.]

7. Getrenntschreibung wird geregelt

Verbindungen aus Substantiv und Verb (Rad fahren) sowie steigerbarem Adjektiv und Verb
(übel nehmen) werden nach den neuen Regeln immer getrennt geschrieben. Bei der
Kombination zweier Verben hing die Schreibweise bisher von den verschiedenen
Bedeutungen dieser Kombination ab. „Er ist auf dem Stuhl sitzen geblieben“ aber: „Er ist in
der Schule sitzengeblieben“. Im Widerspruch dazu wurden aber auch Worte
zusammengeschrieben, ohne dass ein neuer Begriff entstanden war (spazierengehen); in
anderen Fällen wurde trotz übertragener Bedeutung getrennt geschrieben (baden gehen). Die
neuen Regeln verlangen jetzt in allen Fällen die Getrenntschreibung.

[Die Getrennt- und Zusammenschreibung ist zwar zum erstenmal "amtlich" geregelt worden, aber seit 1996 laborieren die Reformer an der mißlungenen Regelung herum. Die jüngste Änderung (2004) ist besonders durchgreifend und bei den Kultusministern noch gar nicht angekommen, wie gerade die Darstellung des hessischen Kultusministeriums beweist. Der Duden hatte versucht, sich auf den Usus einen Reim zu machen, und dabei gern mit dem Kriterium eines "neuen Begriffs" gearbeitet. Fest steht, daß die Reformer zwischen spazierengehen und einkaufen gehen, zwischen kennenlernen und singen lernen keinen strukturellen Unterschied zu erkennen vermochten; das ist natürlich indiskutabel. Ebenso die unterschiedslose Getrenntschreibung der Verbindungen mit Positionsverben (hängenbleiben usw. – alles immer getrennt).]

8. Großschreibung von Substantiven wird gestärkt

So werden jetzt alle Tageszeiten nach gestern, heute und morgen (gestern Nacht, heute
Morgen) und Substantivierungen (der Einzelne, als Erster, im Dunkeln) konsequent
großgeschrieben. Zugleich wird die Schreibweise bei feststehenden Ausdrücken vereinheitlicht (früher: mit Bezug auf, aber in bezug auf; jetzt: mit Bezug auf, in Bezug auf).
[Die Großschreibung der Tageszeiten beruht auf einem grammatischen Fehler, da an dieser Position nach den eigenen Kriterien der Reformer kein Substantiv stehen kann. Die letzte Blüte ist die Großschreibung sogar bei heute Früh. Inzwischen ist die Großschreibung noch wesentlich weiter getrieben, womit im 19. Jahrhundert verworfene "Übertreibungen" wiederbelebt werden. Nach den Gründen der bisher üblichen Kleinschreibung in pronominalen Verwendungen und Phraseologismen wird gar nicht mehr gefragt.]
9. Kleinschreibung bei festen Verbindungen von Adjektiv und Substantiv wird festgelegt
Bei Verbindungen von Adjektiven und Substantiven, die keine Eigennamen sind, wird
das Adjektiv jetzt immer klein geschrieben, also: schwarzes Brett, schwarze Liste, goldener
Schnitt und goldene Hochzeit. Bisher hieß es: Schwarzes Brett aber schwarze Liste, Goldener
Schnitt aber goldene Hochzeit.

[2004 mit dem vagen Hinweis auf Fachsprachlichkeit weitgehend aufgehoben.]

10. Trennung nach Sprechsilben

Mehrsilbige Wörter werden jetzt so getrennt, wie es sich beim Sprechen ergibt. Das frühere
Verbot der Trennung von st gilt nicht mehr (Wes-te, Kas-ten) und es kann auch ein einzelner
Vokal am Wortanfang abgetrennt werden (A-der, I-gel).

[Während gegen die Trennbarkeit von st nichts einzuwenden ist, hat sich die gesamte neue Silbentrennung laut Dudenredaktion zu einem Hauptproblem bei der Umsetzung in Wörterbüchern entwickelt. Die Abtrennung einzelner Anfangsbuchstaben wurde bisher aus guten Gründen vermieden, da sie ausnahmslos zu sinnstörenden, lesehemmenden Druckbildern führt (Buche-cker, Musse-he). Deshalb wird jetzt auch ausdrücklich davor gewarnt, solche Trennungen vorzunehmen, auch wenn sie "nicht falsch" sind. Besonders fatal wirkt sich die neue Trennung auf Fremdwörter aus: A-nurie, Ap-lanat, Apop-tose, Apos-t-roph, Herost-rat, Kont-rition, Legas-thenie, Manusk-ript, Metas-tase, Me-töke, Monoph-thong, Parap-luie, Pseu-depigrafen ...(alle Beispiele aus Duden 2004) Wer solche Wörter gebraucht, aber nicht sprachgerecht zu trennen vermag, befindet sich in einem "pragmatischen Widerspruch", der ihn bloßstellt, auch wenn die Trennung "nicht falsch" ist.]


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Th. Ickler

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Theodor Ickler
16.09.2004 06.30
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Norbert Richard Wolf

(Mit Anmerkungen von Th. I. in eckigen Klammern]

Norbert Richard Wolf

Hinweise zu einigen Spezialfällen der Rechtschreibreform

1. Getrennt- und Zusammenschreibung
1.1. Substantiv und Verb
Verbindungen von Substantiv und Verb werden in der Regel getrennt geschrieben, das Substantiv hat einen großen Anfangsbuchstaben:
Rad fahren – ich fahre Rad – ich bin Rad gefahren
Desgleichen: Acht geben, Acht haben, Bankrott gehen, Eis laufen, Halt machen, Hof halten, Kegel schieben, Kopf stehen, Maschine schreiben, Maß nehmen, Not tun, Pleite gehen, Probe fahren, Rad schlagen.
[Bankrott und Pleite gehen sind grammatisch fehlgedeutet, da gehen mit den entsprechenden Adjektiven verbunden wird. Not tun ist falsch, es liegt das Adjektiv not zugrunde.]
Verbindungen, in denen das Substantiv verblasst ist, werden zusammengeschrieben: heimreisen, heimbringen, heimsuchen, heimzahlen, irreführen, irreleiten, irrewerden, preisgeben, standhalten, stattfinden, stattgeben, teilnehmen, teilhaben, wettmachen, wundernehmen.
Deshalb: Viele Gäste nahmen an der Feier teil. Das zahlte sie dem Chef heim.
[irre und wett sind keine Substantive, auch keine verblaßten.]
Ebenfalls zusammengeschrieben werden Fälle, in denen Substantiv und Verb eine untrennbare Zusammensetzung bilden: brandmarken – er brandmarkte den Übeltäter, schlafwandeln – der Professor schlafwandelte, schlussfolgern – der Wissenschaftler schlussfolgerte.
Die Regel, dass Substantiv und Verb 'normalerweise' getrennt geschrieben werden, gilt auch dann, wenn das Verb als Partizip gebraucht wird: die Achtung gebietende Persönlichkeit, ein Händchen haltendes Liebespaar, Hilfe suchende Studenten, Deutsch sprechende Touristen.
1.2. Verb und Verb
Verbindungen von einem Verb (im Infinitiv) mit einem zweiten Verb werden getrennt geschrieben: bestehen bleiben, bleiben lassen, fahren lassen, fallen lassen, flöten gehen, gehen lassen, sitzen bleiben, sitzen lassen, spazieren gehen, stecken bleiben.
Diese Regel gilt auch, wenn das zweite Verb als Partizip verwendet wird: der sitzen gelassene Liebhaber, der sitzen gebliebene Schüler.
[Diese Unterregel wurde 2004 aufgehoben, vgl. K 58 im neuen Duden.]
1.3. Partizip und Verb
Verbindungen von Partizip und Verb werden getrennt geschrieben: gefangen halten, gefangen nehmen, getrennt leben, verloren gehen.
Deshalb auch: getrennt lebende Ehepaare, gefangen gehaltene Tiere.
[Diese Regel wurde 2004 aufgehoben.]
1.4. Adjektiv und Verb
Verbindungen von Adjektiv und Verb werden getrennt geschrieben, wenn das Adjektiv steigerbar ist. Auch die Erweiterung mit sehr oder ganz gilt als Steigerung: gut gehen, ernst nehmen, geheim halten, gerade sitzen/halten/stellen, gering achten/schätzen, glatt gehen/hobeln/schleifen/streichen, lieb gewinnen/haben, nahe bringen/legen/liegen/stehen, offen bleiben/lassen/stehen, schlecht gehen, schwer fallen/nehmen/tun, übel nehmen, sich wund liegen, sich zufrieden geben.
Lässt sich das Adjektiv nicht steigern, dann wird die Verbindung zusammengeschrieben: bereithalten, bloßstellen, fernsehen, festsetzen (=bestimmen, festlegen), freisprechen, gutschreiben (=anrechnen), hochrechnen, krankschreiben, schwarzarbeiten, stilllegen, totschlagen, wahrsagen (=prophezeien).
Deshalb ist zu unterscheiden:
oDamit man den Text leicht lesen kann, muss man ihn groß schreiben.
oDie Substantive muss man im Deutschen weiterhin großschreiben.
oDer Redner konnte ganz ausgezeichnet frei sprechen.
oDer Richter musste den Angeklagten freisprechen.
oDer Schüler konnte schon (sehr) gut schreiben.
oIch werde Ihnen den Betrag gutschreiben.
Wenn das Adjektiv mit -ig, -lich oder -isch abgeleitet ist, wird die Verbindung immer – d.h. auch wenn das Adjektiv nicht steigerbar ist – getrennt geschrieben: fertig stellen, flüssig machen, heilig sprechen, heimlich tun, müßig gehen, ruhig stellen, selig preisen, selig sprechen, übrig behalten/bleiben/lassen.
[Gilt wahrscheinlich nicht für Partizipien; vgl. K 58 im Duden 2004: alleinseligmachend]
1.5. Adverb und Verb
Verbindungen von einem zusammengesetzten Adverb mit einem Verb werden getrennt geschrieben: abhanden kommen, allein erziehen/erziehend, allein selig machen/machend, allein stehen/stehend, anders denken/denkend, anders lauten/lautend, anheim fallen/stellen, auswendig lernen, barfuß laufen, beiseite legen/stellen, daheim bleiben, fürlieb nehmen, überhand nehmen, vonstatten gehen, vorlieb nehmen, zugute halten/kommen, zunichte machen, zupass kommen, zustatten kommen, zuteil werden.
[Für Partizipien 2004 aufgehoben, daher alleinerziehend usw. wieder zugelassen.]
Folgende Verbindungen können unterschiedlich geschrieben werden: infrage stellen/in Frage stellen, instand setzen/in Stand setzen, zugrunde gehen/zu Grunde gehen, zuleide tun/zu Leide tun, zurande kommen/zu Rande kommen, zuschanden machen/zu Schanden machen, zuschulden kommen lassen/zu Schulden kommen lassen, zustande bringen/zu Stande bringen, zutage fördern/zu Tage förern, zuwege bringen/zu Wege bringen.
[Hier sind nur die ausdrücklich aufgelisteten Beispiele erlaubt, d. h. es gibt keine anwendbare Regel.]
Verbindungen aus aneinander, aufeinander, auseinander usw. werden immer getrennt geschrieben: aneinander denken, aufeinander aufpassen, zueinander passen, durcheinander bringen, nebeneinander sitzen, übereinander liegen, zueinander finden.
[Gilt seit 2004 nicht mehr für Partizipien.]
Verbindungen mit Adverbien, die mit -wärts gebildet sind, werden ebenfalls konsequent getrennt geschrieben: abwärts/aufwärts gehen, vorwärts kommen.
[Gilt seit 2004 nicht mehr für Partizipien.]

1.6. Verbindungen mit sein
Verbindungen mit sein werden stets getrennt geschrieben: an sein, auf sein, aus sein, dabei sein, drauf sein, zumute sein, zurück sein, zusammen sein.
außerstande, imstande und zumute können auch als Wortgruppe behandelt werden: außerstande sein/außer Stande sein, imstande sein/im Stande sein, zumute sein/zu Mute sein.
1.7. Verbindungen mit irgend-
Verbindungen mit irgend- werden durchweg zusammengeschrieben: irgendein, irgendetwas, irgendeinmal, irgendwer, irgendwie, irgendwo(hin).
Aber: irgend so ein, irgend so etwas
2. Großschreibung von Substantiven in festen Gefügen mit Verben
Wie in 1.1. schon gesagt, werden in Verbindungen von Substantiv und Verb die Substantive immer groß geschrieben: Auto fahren, Diät leben, Eis laufen, Folge leisten, Hof halten, Kegel schieben, Kopf stehen, Leid tun (aber: es leid sein), Maschine schreiben, Maß halten, Not leiden, Not tun, Pleite gehen (aber: pleite sein/werden), Rad fahren, Recht sprechen, Schlange stehen, Angst haben (aber: mir ist angst), jemandem Angst und Bange machen (aber: mir ist angst und bange), Recht haben/behalten/bekommen, jemandem Recht geben, Schuld haben (aber: schuld sein).
[In Leid tun, Not tun, Pleite gehen sind keine Substantive enthalten, Recht ist desubstantiviert, vgl. wie recht du hast usw.; diät ist adverbial: wie lebst du?, nicht was lebst du? Vgl. "Bei Ausdrücken wie leid tun, not tun, weh tun, schuld sein, gram sein; mir ist angst, wol, wehe, not ist von selbst klar, daß das zum einfachen Verbum hinzugetretene Element nicht als Substantivum fungiert; (man erkennt) die nicht substantivische Natur jenes Zusatzes am besten durch Hinzufügung einer nähern Bestimmung. Man sagt er (...) hat ganz recht, hat vollständig unrecht u. dgl. Die Anwendung von Adverbien, nicht von Adjektiven, zeigt, daß man einen verbalen Ausdruck, nicht ein Verb mit einem substantivischen Objekt vor sich hat." (Konrad Duden: Die Zukunftsorthographie. Leipzig 1876, S. 70)]


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Th. Ickler

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Theodor Ickler
16.09.2004 03.18
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Norbert Richard Wolf

In der heutigen FAZ (s. Nachrichtenbrett) greift Wolf mich an (ohne meinen Namen zu nennen, der ist ihm wohl zu schmutzig). Er selbst bietet seinen Studenten unter http://www.uni-wuerzburg.de/germanistik/spr/studium/reform.htm eine Hilfe für die Umsetzung der Rechtschreibreform. Das muß er gründlich ändern, wenn er nach dem neuesten Stand informieren will. Man wundert sich aber, wie ein gestandener Germanist solchen grammatikalischen Unsinn wie „Pleite gehen, Not tun“ („Not sein“ hat er ausgespart) vorführen und anempfehlen kann, ohne mit der Wimper zu zucken.
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Th. Ickler

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Theodor Ickler
27.07.2004 03.53
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Bundesregierung mitverantwortlich

Der Schlußsatz meines Leserbriefs in der heutigen FAZ wird nur verständlich, wenn man den ungekürzten Text kennt. Hier ist er:

Zum Beitrag: „Rechtschreibreform: Bund will sich nicht einmischen“ (FAZ vom 13.7.04)

Minister Schily irrt: Die Rechtschreibreform ist keineswegs nur Ländersache. Das Bundesinnenministerium war jahrelang an der Vorbereitung beteiligt. In einer Chronik der Reform, die Bertelsmann im Internet veröffentlicht hat, heißt es zutreffend bereits für das Jahr 1988: „Das Bundesinnenministerium – vertreten durch Frau Dr. Palmen-Schrübbers – nimmt regelmäßig an den Sitzungen der Arbeitsgruppe teil.“ Unter Manfred Kanther und dem CDU-„Chefsemantiker“ Wolfgang Bergsdorf wurde die Rechtschreibreform energisch vorangetrieben. Ministerialrätin Palmen-Schrübbers, die diese besondere Aufgabe später zum Staatsminister für Kultur mitnehmen sollte, sorgte laut Augenzeugenberichten stets dafür, daß das Jahrhundertwerk fahrplangemäß vorangetrieben wurde.
Am 27. Januar 1999 beschloß das Bundeskabinett die Einführung der Reform. Innen- und Justizministerium wiesen am 7. Juni 1999 alle nachgeordneten Behörden an, wie bei der flächendeckenden Umstellung der Rechts- und Verwaltungssprache zu verfahren sei (Geschäftszeichen O 1 – 131 212 – 1/10). Eine Präzisierung und Verschärfung erfuhr dieser Erlaß durch ein Schreiben der Bundesjustizministerin vom 28. September 1999. Darin wird übrigens wahrheitswidrig behauptet: „Die Änderung der Schreibung eines Wortes stellt nur eine Anpassung an die geänderten Rechtschreibregeln dar, ohne eine Änderung der Wortbedeutung zur Folge zu haben. Daher sind rechtliche Konsequenzen durch (!) die neue Schreibung nicht verbunden.“ (IV B 1-6103/2-40220/99) Auf dieser Grundlage konnten seither die ziemlich fehlerhaft umgestellten Gesetzestexte erscheinen, zum Beispiel das BGB als dtv-Beck-Text.

Bundespräsident Rau ließ auf entsprechende Zuschriften antworten: „Sie haben mit diesem Brief ein Thema angesprochen, dass (sic!) dem Bundespräsidenten am Herzen liegt. Der Bundespräsident nimmt für sich die Regelung der Rechtschreibreform in Anspruch, dass außerhalb des Schulbereichs niemand an die neuen Regelungen gebunden ist. Er sieht seine Rolle aber nicht so, dass er seine Entscheidung anderen zur Nachahmung empfehlen möchte.“

Schließlich wäre noch Bundestagspräsident Thierse zu erwähnen, der sich über ein Votum des Bundestags vom 26. März 1998 hinwegsetzte und die orthographische Umstellung aller Bundestagsdokumente anordnete. Allerdings richtet sich der Stenographische Dienst des Bundestages nicht nach der amtlichen Regelung, sondern nach dem schlecht und recht reformierten Duden.

Richtig ist, daß die Bundesregierung, wenn es darauf ankommt, zur bisherigen Rechtschreibung zurückkehrt. Wenn also Gerhard Schröder an den amerikanischen Präsidenten schreibt oder dem ehemaligen Minister Egon Bahr zum Geburtstag gratuliert, verzichtet er sinnvollerweise auf die unhöfliche Kleinschreibung der Anrede: „Lieber Egon, zu Deinem 80. Geburtstag gratuliere ich Dir sehr herzlich.“ (19. März 2002) Lehrer an deutschen Schulen müssen künftig einen Fehler anrechnen, wenn Schüler so schreiben wie der Bundespräsident oder der Bundeskanzler.
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Th. Ickler

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Bernhard Schühly
25.07.2004 22.03
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Re: Offener Brief auf den Offenen Brief des Ulrich Störiko-Blume

'Die Politiker sind in Ihren Augen „populistisch“, weil sie die fortwährenden Proteste aus der Bevölkerung ernster nehmen als die wirtschaftlichen Nöte der Verlage. Natürlich ist die Lage ernst!'

Ich finde, gerade mit diesem Wort aus ihrem Offenen Brief trifft Frau Pfeiffer-Stolz gerade ins Schwarze.
Natürlich sollten Politiker – und übrigens nicht nur in dieser Angelegenheit – populistisch sein, das fordert schon das Grundprinzip der Demokratie!!
Eigentlich sollte man das als ein positives Prädikat werten – in der Bedeutung von „volksnah“ eben – und dann hören sich diese Vorwürfe geradezu lächerlich an.

Ganz nahe verwandt mit dieser Formel ist übrigens auch die Forderung „man solle dieses (oder andere) Probleme nicht auf dem Rücken des Volkes/ Wählers bzw. einer spezifisch betroffenen Gruppe austragen“. Typisch: Hiermit werden die Betroffenen (in unserem Fall eben das ganze Deutsche Volk) entmündigt und von den Enscheidungen ferngehalten, da sie einfach nicht öffentlich zur Sprache kommen dürfen.

Bernhard Schühly

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Bernhard Schühly

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Reinhard Markner
24.07.2004 12.33
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Perlen vor die Perlentaucher

„Unter der Überschrift „Die Nichts Sagendste“ widmet sich der Aufmacher unserem liebsten Sommerlochthema. Heute darf zur Abwechslung mal der „Vorsitzende der Forschungsgruppe Deutsche Sprache“ Reinhard Markner die Rechtschreibreform verabschieden. In alter Schreibung, klarer Fall von FAZ-Neid: „Das von der Kultusministerkonferenz Anfang Juni beschlossene Update der Reform ist ein Patch, das kaum einen Programmierfehler wirklich behebt. Die Prognose, daß die Popularität der Reform auch weiterhin auf niedrigem Niveau stagnieren wird, dürfte daher kaum zu beanstanden sein. Niemand sehnt sich nach der amtlich verordneten Freiheit, künftig bei Weitem oder bei weitem, 8fach oder 8-fach, Leid tun oder leidtun schreiben zu dürfen.“"

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,310308,00.html

Unter F.A.Z.-Neid leide ich nicht, ich hätte den hier vergleichsweise ausführlich zitierten Text auch dort veröffentlichen können. Hingegen dürfte der miesepetrige Tonfall, in dem die Perlentaucher-Mitarbeiter die Feuilletons durcharbeiten (übrigens rein schematisch, jeder Unsinn aus der taz wird brav glossiert, während kein noch so glänzender Beitrag aus Berliner Zeitung, Stuttgarter Zeitung, Basler Zeitung oder Standard Erwähnung finden kann), darauf hindeuten, daß sie lieber anderswo schrieben. Zum Thema Rechtschreibreform haben sie, soweit erinnerlich, noch kein vernünftiges Wort publiziert.

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Helmut Eberwein
19.07.2004 14.58
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Mail an die Staatskanzlei in Hannover

Vielleicht wäre eine Mail an die Staatskanzlei in Hannover über diese versuchte Knebelung der öffentlichen Diskussion durch manche Leute beim NDR hilfreich.

Manche Mails können wahre Wunder bewirken...

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Sofa Potato
18.07.2004 19.16
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Auch an der NS-Bücherverbrennung

haben die deutschen Verlage sehr gut verdient,
weil sehr viele verängstigte Bürger ihre Bücherschränke „arisierten“ und dafür „arische Dichtung“ kauften. Meine Eltern und Großeltern hatten sehr viele Bücher von diesen Dichtern, die heute nur noch als peinlich gelten, und kein einziges „nichtarisches“ Buch mehr.

Nach dem Krieg haben die deutschen Verlage an den nun wieder zugelassenen Büchern sehr gut verdient, weil ein riesiger Nachhol- und Wiederbeschaffungsbedarf herrschte.

Man sieht, wie der Buchhandel angekurbelt werden kann.

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Karin Pfeiffer-Stolz
18.07.2004 18.14
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Offener Brief auf den Offenen Brief des Ulrich Störiko-Blume

Das folgende Schreiben ist als Offener Brief an diverse Adressen gegangen, u.a. auch an den Buchmarkt.online:

Kein Sommertheater, eher ein „Vier-Jahreszeiten-Schauspiel“

Eine Antwort an Ulrich Störiko-Blume

Man kann alle Leute einige Zeit zum Narren halten und einige Leute allezeit; aber alle Leute allezeit zum Narren halten kann man nicht. (Abraham Lincoln)

Sehr geehrter Herr Störiko-Blume,
mit Ihrem Offenen Brief wenden Sie sich an die Politiker, denen Sie darin gehörig die Leviten lesen. Doch fühle auch ich mich angesprochen und möchte Ihnen daher – ebenfalls in einem Offenen Brief – antworten. Nach einer „poetischen“ Einleitung beginnt die Politikerschelte:

„Zu wirklichen politischen Reformen sind Sie ja ohnehin nicht bereit, aber das sollte man in aller Deutlichkeit so deutlich nicht sagen.“

Sie sagen es aber. Trotzdem ist es falsch. Haben wir denn nicht seit 1996 eine Reform? Oder ist die Rechtschreibreform, die „so genannte“, etwa keine Reform?
Sie schlagen den Politikern vor, sich „am Abend bei einem Glase Wein“ von Kindern oder Enkeln erklären zu lassen, „warum „daß“ jetzt völlig problemlos „dass“ geschrieben wird.“ Wer sich in der Grammatik auskennt, wird sicherlich dabei keine Probleme haben. Und er hat sie auch vor der Reform nicht gehabt. Doch scheint es ein Zeichen von Fortschrittlichkeit zu sein, sich als Erwachsener bei alkoholischen Getränken spät abends von Kindern und Enkeln über die Rechtschreibung aufklären zu lassen. Vielleicht darf der Nachwuchs auch am Glase nippen, oder er überzeugt uns davon, daß Wein und Bier „out“, Alco-Pops aber „in“ sind. Und wir beugen uns, denn wir wollen weder in der Rechtschreibung noch in den Konsumgewohnheiten als Ewiggestrige dastehen.

„Kein Privatmensch, auch kein Autor wird gezwungen, seinen Schriftverkehr umzustellen.“

Das ist geschickt formuliert: Schriftverkehr. Nein, den Schriftverkehr muß niemand umstellen. Anders sieht es aus, wenn Autoren ihre Werke veröffentlichen möchten. Es beginnt „harmlos“ damit, daß selbst Leserbriefe gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Verfasser von Zeitungsredakteuren eigenmächtig in die „neue“ Schreibung konvertiert werden. Es setzt sich fort, wenn ein Kinderbuchautor, der allein vom Schreiben lebt, sein Einkommen sichern möchte. Beim Verlag Beltz & Gelberg werden Weltautoren wie Janosch, Christine Nöstlinger oder Peter Härtling verlegt, um nur drei zu nennen. Sie sind gegen die Neuschreibung, weil ihre Werke verstümmelt werden, und sie haben in der Öffentlichkeit keinen Hehl daraus gemacht. Sind sie deshalb etwa nicht gezwungen, sich dem Diktat der Reform zu unterwerfen? Wie hätten sie sonst ihren Lebensunterhalt weiter bestreiten können, da sie vom Schreiben leben? Ich bitte doch sehr, den Boden der Tatsachen nicht zu verlassen!

„Meine Autoren sind eigentlich oder auch strikt gegen die Verwendung der neuen Regeln. Insbesondere befinde ich mich in einem Dilemma – geht es doch um Respekt vor den Sprach- und Stilvorstellungen der Autoren, die von sich aus keineswegs bereit sind, ihr Schreibverhalten zu ändern. Und letzten Endes hat man sie nicht einmal gefragt.“

Nein, das haben nicht Sie gesagt, sehr geehrter Herr Störiko-Blume. Hans-Joachim Gelberg, damals Verlagsleiter bei Beltz & Gelberg äußerte dies 1997 im Rahmen der Anhörung zur Rechtschreibreform vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags. „Wider bessere Einsicht“ hätten die Kinderbuchverlage „aus Konkurrenz- und Marktgründen“ die Buchprogramme auf die neue Schreibung umstellen müssen – wider bessere Einsicht, weil dieses neue Regelwerk unsolide sei und erhebliche Verwirrung stifte, so Herr Gelberg.
Als sein Nachfolger und Verlagsleiter beim Verlag Beltz & Gelberg schreiben Sie heute:

„Nach mehrjähriger Erfahrung mit der neuen Rechtschreibung zeigt die Praxis in den Schulen keinerlei gravierende Nachteile.“

Wie kann das belegt werden? Sind Sie persönlich an einer Schule tätig gewesen? Haben Sie eine Untersuchung durchführen lassen, welche Ihre These untermauert? Wenden Sie selbst die Reformschreibung an? Verstehen und beherrschen Sie die Regeln? Oder lassen Sie Ihre Briefe im Vorzimmer auf Neuschreibung überprüfen? Lassen wir doch noch einmal Herrn Gelberg zu Wort kommen (und es ist schwer vorstellbar, daß er inzwischen seine Meinung geändert hat):

„Ich empfehle allen, die in dieser Sache mitreden, ein umfängliches Manuskript von 100, 200 Seiten von der alten in die neue Rechtschreibung zu „übersetzen“. Erst dann wird klar, wie sehr die meisten Änderungen leider Sinn, Sprachgefühl und Stil-Ästhetik ungünstig beeinflussen. Hier wird nicht vereinfacht, sondern erschwert.“

Sie verteilen „Preise“ für „populistisches Getöne“, ganz so, als gehöre die ganze Angelegenheit auf den Jahrmarkt. Die Art und Weise, wie Sie, sehr geehrter Herr Störiko-Blume den sachlichen Kritikern der Reform begegnen, klingt nach persönlicher Abrechnung und trägt weder bei zur Lösung der inhaltlichen noch der wirtschaftlichen Problematik, die durch die Reform zweifellos entstanden ist. Wer die „Befindlichkeit des Volkes“ mit einer Handbewegung als unerheblich vom Tische wischt, sich zwischen den Zeilen darüber lustig macht, weckt allenfalls Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung. Es ist ein Unterschied, ob der Staat Steuern erhebt – was ebenfalls unbeliebt ist, doch notwendig zur Erhaltung des Gemeinwesens – oder ob er sich in die intimsten und privatesten Dinge seiner Bürger einmischt. Dazu zählt die Sprache. Nebenbei sei angemerkt: Entgegen Ihrer Behauptung ist bislang noch kein „Rat für deutsche Rechtschreibung“ eingerichtet worden. Es besteht allenfalls die Absicht, eine solche zu begründen, wobei ich der Meinung bin, daß wir keine „Räte“ und auch keine „Fünfjahrespläne“ benötigen, um die Rechtschreibung in unserem Lande zu regeln.
Mit den Äußerungen in Ihrem Offenen Brief beleidigen und diskreditieren Sie jenen Personenkreis, den Sie für Ihre Eigeninteressen gewinnen möchten. Schließlich versteigen Sie sich sogar zu folgender Aussage:

„Unsere Bücher müssen sich jeden Tag in den Buchhandlungen zur Wahl stellen. Und dort kauft seit 1996 kein verantwortungsbewusster Erwachsener für seine Kinder noch Bücher in alter Rechtschreibung.“

Demnach besitzen allein die Anhänger der Reformschreibung Verantwortungsbewußtsein. Jene Personen aber, denen Sie gerade einige Abschnitte zuvor attestiert haben, daß sie die Freiheit besäßen, sich für die eine oder andere Rechtschreibung zu entscheiden, sind verantwortungslos, sofern sie Bücher in „alter Rechtschreibung“ kaufen! Das gilt auch für Eltern, die ihren Kindern Zugang zum häuslichen Bücherschrank gewähren, sofern dieser nicht gänzlich „entmistet“ sein sollte. Verantwortungslos? Das sind dann wohl auch die Kritiker der Reform, zu denen sich die besten unserer Autoren zählen. Autoren, die auch im Verlag Beltz & Gelberg ihre Bücher veröffentlicht haben (und eigentlich nach diesem eher peinlichen Offenen Brief Konsequenzen ziehen müßten ...).
Wenn nun die „Verantwortungslosigkeit“ der Bürger im Umgang mit der „alten“ Rechtschreibung nicht auf freiwilliger Basis beseitigt werden kann, müßte dann nicht der nächste politisch notwendige Schritt sein, Bücher mit „alter“ Rechtschreibung auf einen „Index“ zu setzen?

„Ich gehe jede Wette ein, dass Sie es bei einem guten oder einem guten schlechten [?] Buch gar nicht merken, ob es in alter oder neuer Rechtschreibung verfasst ist.“

Mit Verlaub, nun geht mir jedes Verständnis für das „Getöne“ ab, mit dem Sie Ihr Schreiben auf die Politiker loslassen. Entweder die Änderungen durch die Reform sind gravierend und stören beim Lesen und Schreiben. Dann ist die Empörung, die immer größere Kreise der Bevölkerung erfaßt, verständlich und ernstzunehmen. Oder die Reform ist gar keine. Sie kann keine sein, wenn man nichts davon merkt. Worum aber geht es dann überhaupt?
Welche Absicht verfolgen Sie mit diesem Rundumschlag, der nicht nur die sich für eine Rücknahme der Reform aussprechenden Politiker beleidigt, sondern auch die Mehrzahl der deutschsprechenden Menschen in diesem Lande verletzt? Den Rat, den man vor einiger Zeit den Schriftstellern gegeben hat, sie mögen sich doch bitte nicht um so etwas Marginales wie die Rechtschreibreform kümmern, sondern lieber gute Texte schreiben, ist ebenso dümmlich wie es ein Appell an Michael Schumacher wäre, er möge doch bitte weiterhin spannende Rennen fahren und gewinnen, sich aber weder um den Zustand seines Rennwagens noch um die Beschaffenheit der Rennstrecke kümmern.

Die Politiker sind in Ihren Augen „populistisch“, weil sie die fortwährenden Proteste aus der Bevölkerung ernster nehmen als die wirtschaftlichen Nöte der Verlage. Natürlich ist die Lage ernst! Selbstverständlich machen wir uns Sorgen! Und doch: Ist das Dilemma nicht auch hausgemacht? Ich darf unseren Verlag hier mit einschließen, rede also nicht vom hohen Roß herab. Doch das Kulturgut Sprache ist mehr wert als kurzfristige Gewinn- oder Verlustrechnungen. Es wäre weitaus ehrlicher, seine Sorgen bezüglich der Sprache und der wirtschaftlichen Situation der Verlage auszudrücken, als mit starken Worten alles niederzuschreien, was auf Mißstände aufmerksam macht, die nun einmal da sind und sich durch Offene Briefe dieser Art nicht aus der Welt schaffen lassen. Sie seien als Kinder- und Jugendbuchverleger „nicht bereit hinzunehmen, wenn in einem sich aufschaukelnden Wechselspiel von Interessenlobbys Hauruck-Lösungen angestrebt oder verordnet werden“. Ich befürchte, daß weder Sie noch ich dazu gehört werden, ob das unsere Zustimmung findet oder nicht. Außerdem muß man sich fragen, was Sie unter „Interessenlobbys“ verstehen: Verdienen kann unter diesen Umständen wohl niemand mehr, wir sind alle Verlierer in einem Spiel, das überhastet begonnen wurde, ohne die Mitspieler entsprechend zu informieren und zu instruieren. Das zu Beginn von einigen Lobbyisten erhoffte große Geschäft mit der Rechtschreibreform ist ja nun offensichtlich ausgeblieben, an Briefen wie dem Ihren wird deutlich, wer sich zu den nun enttäuschten Verlierern zählt.

Zuletzt bin ich sicher, daß die Sprache selbst den Sieg davontragen wird. Die Zwangsreform – wie überhaupt jede Reform – kann jederzeit abgeschafft werden, denn sie ist Menschenwerk. Und Menschenwerk ist nun einmal, leider – oder Gott sei Dank, vergänglich.

(Zitate von Hans-Joachim Gelberg aus: Konsequenzen der Reform; Börsenblatt Nr. 51, 27. Juli 1997, S. 8)

Karin Pfeiffer-Stolz
Stolz Verlag

17. Juli 2004

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Karin Pfeiffer-Stolz

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Sigmar Salzburg
18.07.2004 16.10
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… rückwärts gewandter, am rückwärts gewandetsten

Mein Deutsch-Griechisches Wörterbuch (Rost, Göttingen 1827)...
… zeigt rückwärtsgewandtes Reformbekanntes:
auseinander setzen, zusammensetzen, jemanden kennen lernen, Schifffahrt, Brennnessel, überschwänklich, Stengel s. Stängel
Die Gegenwartreformer wollen es aber noch rückwärtsgewandter als die 1827er:
sogenannt, nothleidend, immerwährend,
und schließlich so rückwärtsgewandt „behände“, daß sich auch vor 1827 kein anderes Bespiel findet als:
behende.
Bloß das haben sie sich nicht getraut:
Eltern, s. Aeltern
– geändert durch Sigmar Salzburg am 18.07.2004, 23.19 –
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Sigmar Salzburg

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Theo Grunden
18.07.2004 12.35
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Störiko-Blume

Wenn Ulrich Störiko-Blume in seinem Brief die Bestrebungen zur Rücknahme der Reform einen „rückwärtsgewandten Kampf“ nennt, dann hat er damit selbst schon etwas von der Reform zurückgenommen.

Auf der Homepage des Verlags (http://www.beltz.de) kann man gerade unter „Kinder-/Jugendbuch“ zur neuen Veröffentlichung von Jürgen Seidel erfahren:

„Die Seelenpest“ ist ein Buch, dass nach der Lektüre im Kopf weiterarbeitet.

Außerdem erfährt man beim Weiterklicken:
Der ErzieherInnen-Kalender deutlich verbessert!

Und Peter Härtling trägt jetzt offensichtlich einen Doppelnamen, denn es ist dort ist mehrfach von einem Peter Härtling-Preis die Rede, der Autor(inn)en ermutigen will, neuartige, gekonnte und überzeugende Texte einzureichen, die für 10- bis 18-jährige Leser(innen) geeignet sind.

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Karin Pfeiffer-Stolz
18.07.2004 05.53
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Störiko-Blume

Ich habe ebenfalls einen Offenen Brief als Antwort an Herrn Störiko-Blume vorbereitet, denn sein Rundumschlag kann nicht unkommentiert stehen bleiben. Ich wäre dankbar, wenn jemand gegenlesen könnte ... ??
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Karin Pfeiffer-Stolz

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Theodor Ickler
18.07.2004 04.37
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Verschrottung unabwendbar

Man sollte Herrn Störiko-Blume bitten, ein Kinder- oder Jugendbuch zu nennen, das seiner Ansicht nach korrekt auf die Neuschreibung umgestellt ist. Das könnte ihn in Verlegenheit bringen.
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Th. Ickler

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Sofa Potato
16.07.2004 15.13
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Die ungeplanten Kosten für die Verleger

sind von denen zu vertreten, die den Verlegern jahrelang immer wieder schriftlich zugesichert haben, die Reform könne auf gar keinen Fall zurückgenommen werden. Lügen haben kurze Beine, und wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung.

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