Tiroler Tageszeitung
2004-08-17 18:55:46
Reform ist für viele leise Bedrohung
Hans Moser: Schreiben ist keine Fähigkeit, sondern eine Fertigkeit. Foto: Parigger
Germanist Hans Moser kann den Missmut mancher über die neue Rechtschreibung nachvollziehen, befürwortet die Reform aber dennoch.
Das Gespräch führte Gabi Starck
Tiroler Tageszeitung: Was steckt hinter der plötzlichen Aufregung um die Rechtschreibreform?
Hans Moser: Um das zu verstehen, reicht ein Sprachwissenschafter nicht aus. Da wäre schon ein Sozialpsychologe notwendig. Fest steht, dass mit den Klagen, die neue Rechtschreibung verunsichere, die Verunsicherung bis zum Exzess geschürt wird. Sehr viel hat es in Wirklichkeit aber mit einem Gefühl des Missmuts zu tun.
Das Zitat des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler die Reform sei "überflüssig wie ein Kropf drückt genau dieses Gefühl aus. Denn in der Schule bringt man sich mit viel Mühe in den Stand der Gebildeten, indem man normgerecht schreiben lernt. Das ist ein Sozialsymbol. Die Änderung dieser Schreibregeln ist dann so etwas eine leise Bedrohung.
Verschärfend kommt hinzu, dass das Schreiben keine Fähigkeit, sondern eine Fertigkeit ist so wie das Tanzen oder Skifahren. Fertigkeit heißt, dass es bis in die Fingerspitzen übergegangen ist. Vergleichbar wäre es damit, wenn man beim Cha-Cha-Cha-Tanz jeden 7. Schritt plötzlich anders machen müsste. Es stört und verärgert einfach permanent. Das ist die wahre Ursache für den Unmut.
Bei der letzten Reform 1901 waren die Emotionen übrigens genauso heftig. Auch damals glaubten viele, das Abendland ginge unter.
TT: Wie gut beherrschen Sie als Sprachwissenschafter selbst die neue Rechtschreibung?
Moser: Die s-Schreibung ist völlig klar geregelt und so schlicht und einfach besser. Sie war übrigens in Österreich schon vor der ersten Rechtschreibreform 1901 so üblich und wurde nur aus preußischer Sturheit abgeschafft. Einfacher ist auch die Zeichensetzung geworden. Die Groß- und Kleinschreibung beherrsche ich tendenziell, aber nicht in letzter Genauigkeit. Das Schwierigste ist sicher die Getrennt- und Zusammenschreibung, sie ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Hier versuchte man, alles mechanisch zu regeln. Dadurch stimmt es mit der Wortbedeutung in manchen Fällen nicht mehr zusammen. In diesem Bereich fühle ich mich selbst nicht sicher.
TT: Glauben Sie, dass die Reform aufgrund des medialen Widerstands in Deutschland zurückgenommen wird?
Moser: Ich denke nicht, dass sich das Rad zurückdrehen lässt. Die Schulen werden die neue Rechtschreibung weiter lehren und so verschieben sich auch die Mehrheiten mit der Zeit, weil immer mehr mit den neuen Regeln aufwachsen.
Und selbst wenn sich die deutsche Politik in die Knie zwingen ließe, müsste Österreich die Reform nicht zurücknehmen. Denn sie ist so angelegt, dass die Verständlichkeit zwischen alter und neuer Rechtschreibung nicht leidet.
TT: Was hieße es, die Reform rückgängig zu machen?
Moser: Das wäre unverantwortlich. Damit würde man alle Schüler, die acht Jahre lang die neue Rechtschreibung gelernt haben, in genau diese Situation stürzen, in der wir sind.
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