Re: Widerstand
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
... Im Hin und Her der Kompromisse, Schnellschüsse, Einsprüche war die Übersicht verlorengegangen. ...
Das ist mit großer Sicherheit so. Die Entstehung der Rechtschreibreform bzw. ihre politische Durchsetzung ist ein beispielhaftes Lehrstück über politisches Funktionieren ganz allgemein. Wenn heute wieder über »Reformen« verhandelt und abgestimmt wurde, dürfen wir sicher sein, daß die Entscheidung getroffen wurde, ohne daß die meisten derjenigen, die abstimmen, sich darüber im klaren sind, um was es in Wahrheit geht bzw. welche Folgen ihre Entscheidung haben wird.
Es geht in der Demokratie tatsächlich nur noch darum, das Gesicht unserer Politiker zu »wahren« gleichgültig, wie das Gesicht aussieht. Und diesmal scheinen die Gesichter zu der Meinung gekommen zu sein, es würde ihnen allen schaden, wenn jetzt nicht wenigstens irgendeine Entscheidung fällt, egal welche.
So weit müßte man die KMK bringen: Zur Einsicht, daß das Resultat der RR ihrem Gesicht schadet. Da die KMK trotz anderweitiger gravierender Fehlleistungen immer noch sehr mit sich zufrieden zu sein scheint, dürfte dies schwierig werden. Denn dazu müßte die Einsicht über die miserable Qualität dieses »Produkts« so offenkundig sein, wie bei »toll collect«. Und da selbst »so genannte« Experten sich mit der Narrenkappe der neuen Rechtschreibung nicht übel zu gefallen scheinen, selbst Berufsschreiber und Germanisten, und ihre minderwertigen Texte als modern den verblüfften Lesern zumuten, muß man hier kräftig nachhelfen.
Die Meinung, die neue Rechtschreibung sei ein rechter Unfug, ist in der Bevölkerung durchaus sehr verbreitet; dies bestätigen nicht nur die bekannt gewordenen Umfragen, sondern man kann sich davon in persönlichen Gesprächen ebenso überzeugen. Aber zugleich herrscht über diese grundrichtige Meinung eine Verunsicherung durch die geschaffenen Fakten: die Schulen, die Zeitungen, die Werbung, die Geschäftskorrespondenzen usw. Gegen diese Verunsicherung müßte man etwas tun, die Menschen in ihrer Skepsis bestätigen, sie dazu ermutigen, ihrem Sprachgefühl zu vertrauen und die neuen Regeln schlichtweg zu ignorieren. Ich habe bei solchen Gesprächen schon manchen Seufzer der Erleichterung bei Gesprächspartnern vernommen, die irgendwie meinten, sie verhielten sich als anachronistische Außenseiter, wenn sie da nicht so gut sie eben können mitmachten.
Die Strategie der Reformer, so zu tun, als käme die Reform erfolgreich in der Öffentlichkeit an, müßte konterkariert werden, durch Fakten, die das Gegenteil offensichtlich machen. Klar, am besten eine zweite Zeitung, die sich von der Reform wieder verabschiedet. Unsere Journalisten haben dazu nicht den Mumm bzw. dürfen ihn nicht haben, viele erkennen das Problem auch gar nicht. Wem wie etwa Herrn Lothar Müller aus München oder Herrn Krieg aus Schwerin egal ist, was er schreibt, dem kann es erst recht egal sein, wie er es schreibt.
Wir tun hier genau das Richtige: Permanent die Mängel aufzeigen und immer wieder damit an die Öffentlichkeit gehen. Das dringt schon durch, steter Tropfen höhlt den Stein. In diesem Jahr haben sich die Reformgegner aus unserem Kreis mehrfach in der Öffentlichkeit sehr deutlich zu Wort gemeldet und sind sehr wohl vernommen worden. Wenn das nicht nachläßt oder sogar an Intensität und Überzeugungskraft angesichts der immer deutlicher werdenden Mängel der Reform zunimmt, werden wir auch die Gesichter derjenigen zum Zucken bringen, die um deren Wahrung mehr besorgt sind als um die Folgen ihrer Handlungsweisen.
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Walter Lachenmann
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