Nobelpreis für Effenberg?
Das Wörterbuch des neuen Deutschland
(FAZ, 11. Mai 2003, Feuilleton Seite 25 u.a.)
»Den Roman dieser Tage schreiben nicht die Schriftsteller. Bohlen, Effenberg, ›Bild‹ und die Folgen: Was heute die Sprache prägt, das sind die Stimmen einer anderen Schicht, die andere Bilder und Begriffe kennt. Vielleicht ist das ein Kulturbruch, vielleicht ein Akt der Emanzipation. Auf jeden Fall ist die Sprache das Terrain, auf welchem der Kampf um die kulturelle Hegemonie ausgetragen wird. Wer sich darin behaupten will, muß diese Wörter nicht mögen. Er muß sie aber kennen. Es ist die Sprache einer Gesellschaft, die beim Anblick ihrer selbst in Wut gerät.«
Dann folgen 39 Begriffe von »abderben« über das Effenbergsche »plätten« und den Druckfehler »rallen« (gemeint ist wohl »raffen«, denn erklärt wird es mit »etwas verstehen«) bis »Zwiebacksäge«, erstaunlich viele zitiert aus Bohlen und Effenberg. Daß sie aus einer »anderen Schicht« kommen (anders in Bezug auf welche? Träumen hier frustrierte Intellektuelle wieder mal wie Tonio Kröger vom Anderssein?), glaubt man gerne, aber nicht ohne weiteres ist zu erkennen, weshalb derartig schlichte Obszönitäten, die es doch zu allen Zeiten gab, als Akte der Emanzipation gefeiert (oder gefürchtet) werden sollen, als Kulturbruch gar, und weshalb man sie kennen »muß«, wenn man sich »im Kampf um die kulturelle Hegemonie behaupten« will. Wer will das überhaupt? So etwas ergibt sich von alleine, wenn man Kultur hat. Und Bürgerschrecks hat es zu allen Zeiten gegeben, sie waren aber schon geistreicher und unterhaltsamer als Bohlen und Effenberg.
Und wohl auch als Nicolaus Sombart, ein kultivierter Herr gut in den Achtzigern, Sohn des berühmten Nationalökonomen Werner Sombart, dessen Alterswerk, einem »Enthüllungsbuch«, die FAZ die ganze erste Seite ihres sonntäglichen Feuilletons widmet. Es geht um ein Tagebuch, das Sombart in den frühen 80er Jahren als Hospitant des Berliner Wissenschaftskollegs geführt haben will. So wie Effenberg es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheint, alles erreichbare Weibliche in seinem Aktionsradius zu »plätten«, so scheint Sombart als Berliner »Fellow« sich der kulturbeflissenen Damen im Dunstkreis des Wissenschaftskollegs angenommen zu haben (was ich persönlich mir überhaupt nicht als eine beglückende Aufgabe vorstellen kann, aber ich spiele hierbei ja auch gottseidank keine Rolle), und auch er hält es offenbar für seine Pflicht als Zeitzeuge, dies nicht minder detailliert als sein sportlicher Nachwuchsschriftstellerkollege zu schildern. Zitat FAZ: »So detailliert, daß eine Rezensentin beim Lesen der Fahnen in heller Aufregung beim Verlag anrief und dringend darum bat, um Gottes willen ihren Namen aus dem Buch zu entfernen. Sie sei heute glücklich verheiratet, und so wolle sie keinesfalls lesen, wie ihr damals von Herrn Sombart ›die Muschi ausgeputzt‹ wurde und daß er sie als ›kleine Schmusekatze‹ und ›liebes, hilfloses Ding‹ bezeichnete.«
Sombart im Gespräch: »Ich sehe mich in einer Linie mit Robert Musil und Thomas Mann«. Und weiter: »Daß Günter Grass den Nobelpreis für Deutschland bekommen hat und nicht ich, das sagt doch schon alles über die Welt, wie sie heute ist.«
Der schriftstellerische Nachwuchs steht bereit, und so dürfen wir hoffen. daß nächstes Mal Bohlen und/oder Effenberg, die man zweifellos in einer Linie mit Nicolaus Sombart, also auch mit Robert Musil und Thomas Mann sehen sollte, den Nobelpreis »für Deutschland« bekommen. Nein in Wut gerät angesichts dieser Gesellschaft schon lange keiner mehr, das ist alles das pure Geschwätz von Feuilletonisten mit schlechtem Gewissen. Aber die repräsentieren keineswegs »die Gesellschaft«, die Gesellschaft nämlich sind wir! Oder?
Gute Nacht.
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Walter Lachenmann
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