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Sigmar Salzburg
04.05.2003 09.38
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Genmanipuliert

[Peter Schubert] Kein Wort habe ich gegen das ß gesagt, ich bin sogar ein Freund dieses Buchstabens, aber nur da, wo er hingehört

Schon falsch! Das ß ist kein Buchstabe, sondern eine Ligatur – die es deswegen auch nicht als Großbuchstaben gibt. Eine Ligatur gehört an den Ort, für den sie geschaffen ist – an den Schluß oder Halbschluß, wie die Schlußkadenz in der Musik. Aber wovon rede ich – anscheinend steht Ihnen auch die Musik zur Entwicklung eines ästhetischen Empfindens nicht zur Verfügung.

Was Sie meinen, ist offensichtlich nicht die Ligatur ß, sondern der ganz gleich aussehende Buchstabenklon ß, der nach einer alten Alchemistenidee von den Schreibideologen durch gentechnische Manipulation geschaffen wurde – im Sinne der 68er „Umfunktionierung“, um traditionelle Einrichtungen zweckentfremdet anderen Zielen dienstbar zu machen. Neben dem Kurzvokal-ss (gerade mußte ich meiner Neunjährigen ein „desswegen“ korrigieren) bildet nun dieses skurrile Sonderzeichen für scharfe „s“ hinter manchen langen Vokalen ein noch unzulänglicheres Gegenstück, das immer noch kein vollwertiger Buchstabe ist. Deswegen wird auch unter der Hand versucht, es in die Reihe der Großbuchstaben zu mogeln, weil ihm Unentbehrlichkeit angezüchtet wurde.

Bei Menschen mit Geschmack und Stilgefühl kommt dieser neue Genfraß nicht auf den Tisch.


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Sigmar Salzburg

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Norbert Schäbler
04.05.2003 08.33
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Haptisches

„Weich“ und „hart“ sind in der Schule durchaus gebräuchliche „Leihbegriffe“.
Das weiche „D“ („B“,“G“) grenzt sich vom harten „T“ („P“,“K“) sehr deutlich ab.
Schülern kann man den Unterschied mit haptischen Erlebnissen nahebringen, indem man sie anhält:
a) die Handfläche vor den Mund zu halten und den jeweiligen Laut deutlich zu sprechen. Sie spüren dann einen starken oder schwachen Lufthauch.
b) die Lippenarbeit (geöffnet, zusammengepreßt ...) zu beschreiben,
c) die Zungen- und Zahnreihenstellung zu analysieren
d) die Ausbreitung des Lautes im gesamten Mund- und Rachenraum nachzuvollziehen.

Bei der Konsonantengruppe der „F- und X-Laute“ versagt die Fühlprobe. Im Falle des „harten F“ spricht man daher in der Schule vom „Vogel-V“. Das heißt, man flüchtet in den visuellen Bereich.
Bei den X-Lauten muß man gar die Logik, die Gedächtnisfunktion (oft durch Analogien gefestigt) und die Fähigkeit des Ableitens bemühen.

Und das ist genau das, was ich meine. Nicht alles gehorcht dem phonetischen Prinzip!
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nos

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Peter Schubert
04.05.2003 08.11
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Stimmhafte Konsonanten

Ob ein Laut stimmhaft oder stimmlos ist, das lässt sich ja definieren und erklären. Aber wie erklärt man den Unterschied zwischen einem weichen f und einem harten f?

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Norbert Schäbler
03.05.2003 21.55
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Scharf, stimmlos, stimmhaft ...

Immer mehr komme ich zu der Überzeugung, daß etwas mit der Definition „stimmhaft-stimmlos“ nicht stimmt.
Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben, die Nordeutschen zu verstehen.
Herr Gott, Herrgott, was hast Du mich so lange irrlaufen lassen.

Ist etwas spätphilosophisch und blasphemisch.

„Scharf“ oder „weich“ (als Definition) ist übrigens auch nicht schlecht.
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nos

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Henning Upmeyer
03.05.2003 21.47
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Fremdworte mit scharfem Anfangs-s

Weil rein deutsche Wörter nicht mit scharfem, sondern mit weichem Anfangs-s gesprochen werden, brauchen wir für diese keinen Großbuchstaben für "ß".
Aber einige englische Wörter, z.B. „Sir“ u.a. werden mit scharfem Anfangs-s gesprochen. Weil wir keinen Großbuchstaben für "ß" haben, können wir sie nicht phonetisch richtig eindeutschen.

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Norbert Schäbler
03.05.2003 20.29
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Re: Viele Grüse

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Peter Schubert
Herr Schäbler, wo gehört das ß denn hin? Genau an die Stellen, in denen Sie im letzten Absatz Ihrer Zuschrift ein s ausreichen lassen wollen, also Grüse, Klöse und ausen. Ein s zwischen zwei Vokalen wird von Norddeutschen und von Hochdeutsch Sprechenden stimmhaft ausgesprochen. In einigen süddeutschen Dialekten, anscheinend auch in Ihrem, gibt es kein stimmhaftes s. Damit man sieht, dass in Grüße, Klöße und außen das s stimmlos ist, muss hier ein ß hin.

So, jetzt wollte ich etwas im Fernsehen ansehen. Wenn noch Fragen sind, nächste Tage.


...
„So, jetzt wollte ich etwas im Fernsehen ansehen. Wenn noch Fragen sind, nächste Tage.“

Danke für Ihre Zuschrift, lieber Herr Schubert!
Ich bin froh über Ihr Entgegenkommen und Ihre Festlegung.
Wollen wir diskutieren?

Für mich als Lehrperson war es immer im doppelten Sinne schwierig „Stimmhaftigkeit“ von „Stimmlosigkeit“ zu unterscheiden.
Das ist eine Sache, die sich in punkto Lehren quadriert!

A) Eigene Unzulänglichkeiten (Unzulänglichkeiten des Lehrenden)
1. Zunächst lebe ich in einer Region, in der in der Tat eine gewisse Nachlässigkeit bzgl. des S-Lautes herrscht. U.a. sprechen wir „Schtein“.
2. Die Unterscheidung nach „stimmlos“ und „stimmhaft“ ist sehr oberflächlich. Sie trifft nicht den Sachverhalt, der beim Sprechen und beim Gebrauch der Sprechwerkzeuge sowie beim Reflektieren durch die Hörwerkzeuge geschieht. Diese althergebrachte Definition und Differenzierung taugt nichts. Nie habe ich sie richtig verstanden. Ich fände das Wort „Zischlaut“ allemal besser, obwohl es den Sachverhalt ebensowenig trifft.

B) Fremde Unzulänglichkeiten (Unzulänglichkeiten des Lernenden)
3. Selbst bei der Anpassung an die Vorgabe, selbst bei demostenes`schem Übungsfleiß des Lehrenden entsteht beim Lernenden ein anders geartetes akustisches- und haptisches Erlebnis,
- weil ein Großteil den Fleiß nicht aufbringt,
- weil er in derselben (den Laut vernachlässigenden Region) lebt,
- weil er die mühsam errungene angebliche Definitionsklarheit nicht nachvollziehen kann …
4. Er versteht die Differenzierung nicht!!!
- denn er ist visuell gesteuert, nimmt jede beliebige Schreibung für bare Münze und hat den Hang, sie beherrschen zu wollen – selbst der Legastheniker, der seine Mängel vorwiegend aus seiner Lautierungsschwäche bezieht, orientiert sich vorwiegend visuell.

Lieber Herr Schubert!
Von allem Anfang an habe ich Sie als einen Menschen eingeschätzt, der sich an der Phonetik orientiert.
Als Praktiker im Schuldienst, sozusagen als Vollstrecker universitärer Erkenntnisse behaupte ich, daß Ihre Erkenntnisse – seien sie in sich noch so vollkommen – für den Schuldienst unbrauchbar sind. Schule und Wissenschaft sind zwei Paar Stiefel.
Noch einmal: Der Schüler hat einen visuellen Leitsein. „Hören“ tut er schon gar nicht mehr, und seine Sprache entspricht dem Zappingverhalten.

Apropos „Fernsehen“.
Glücklicherweise kann ich den Schüler bewegen, Analogien und Ableitungen zu bilden. Deshalb schreibt er „Fernseh“ mit Dehnungs-h (er könnte es ja auch mit Doppel-e schreiben).

Ich selbst aber höre aufgrund meines wirklich intensiven Sprachtrainings oftmals die Schreibung „Fernßee“.
Wird natürlich kein Schüler so schreiben, weil ihm gewisse Ausschlußschreibungen doktriniert wurden. Möglich aber wär’s, denn manche sprechen das Wort so stimmlos aus, obwohl es für sie der Mittelpunkt des Lebens ist: das „Fernßeen.“





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nos

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Norbert Schäbler
03.05.2003 19.19
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Re: Mimikry

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von margel
Ich würde gern die Linie „Englische“ Wörter aus deutscher Produktion noch ein wenig weiterverfolgt sehen. Gab es so etwas schon einmal, gibt es das in anderen Sprachen? Es geht ja nicht um Fremd- oder Lehnwörter. Interessant, daß dann wieder „deutsch“ dekliniert wird. Z.B. schreibt gmx dann den Dativ
„den channeln“.


Ich will mal anfangen mit dem Weiterverfolgen – so wie es „Margel“ vorschlägt, denn ich „marg“ den Typ, weil er freie Assoziationen abruft, und ich hoffe, daß mein Beitrag nicht das Ende der Beitragskette sein wird.

Margel macht darauf aufmerksam, daß unser Sprachenreservoir, oder auch unser Wörterpool offensichtlich nicht gesättigt ist. Da können romanische, indogermanische, angloamerikanische und wie auch immer geartete Begriffe einfliesen.
Das heißt: Irgendwie haben wir Deutsche unser Schwimmbecken ein bißchen zu groß gebaut.

Allerdings haben wir auch vorzügliche Bademeister, wobei das neuerdings ganz scharfe Aufpassertypen sind. Die lassen nur die schwimmen, die vorher geduscht haben.
Und damit wären wir bei dem seltsamen Anpassungsmechanismus:
Die Lautkomposition muß stimmen:
(„f“ statt „ph“,
lieber „k“ als „c“,
„ee“ statt ein apostrophiertes e …).
Hinzukommen die Anforderungen an Deklination und Konjugation …
Sauber muß es halt zugehen, weil …

Zur Überschrift von Margels „Mimikry“ fällt mir als Querdenker auch was ein.
Sie ist zu deutsch. Ich meine: Es muß Mimmicry heißen. („c“ statt „k“, Doppel-M statt „Einfach-M“).
Nur dann ist das Unverständliche steiger-, beug- und fallsetzbar.
Mimmi cries (Mimmi grient), Mimmicrys (Mimmischreie) …

Nix für ungut: Bademeister müssen aufpassen, daß keiner im eigenen Teich ersäuft.



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Peter Schubert
03.05.2003 18.34
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Viele Grüse

Herr Schäbler, wo gehört das ß denn hin? Genau an die Stellen, in denen Sie im letzten Absatz Ihrer Zuschrift ein s ausreichen lassen wollen, also Grüse, Klöse und ausen. Ein s zwischen zwei Vokalen wird von Norddeutschen und von Hochdeutsch Sprechenden stimmhaft ausgesprochen. In einigen süddeutschen Dialekten, anscheinend auch in Ihrem, gibt es kein stimmhaftes s. Damit man sieht, dass in Grüße, Klöße und außen das s stimmlos ist, muss hier ein ß hin.

So, jetzt wollte ich etwas im Fernsehen ansehen. Wenn noch Fragen sind, nächste Tage.

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Norbert Schäbler
03.05.2003 18.17
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Re: Die Fräuleinverwaltung

[QUOTE
Zu Sigmar Salzburgs komischem Beitrag kein Kommentar, das war zu viel. Nur eins: Kein Wort habe ich gegen das ß gesagt, ich bin sogar ein Freund dieses Buchstabens, aber nur da, wo er hingehört.



...
Ist ja eine ganz schön dicke Backe, auch wenn es dezent formuliert ist– fast hätte ich statt „dezent“ „Dozent“ geschrieben, Herr Schubert!

Sachliche Frage: Wo gehört denn das „ß“ hin? –

Und gleich noch eines drauf! Meiner Meinung nach wurde das falsche „ß“ abgeschafft; das nach dem kurzen Vokal – das leicht erlernbare („ss am Schluß bringt Verdruß“).
Schließlich ging es ja um Schreiberleichterung.
Meinetwegen hätte man künftighin den „Kloß“ und den „Gruß“, ja selbst das Wort „außen“ künftighin mit einem einfachen „S“ schreiben können, und hätte lediglich bei Differenzierungsschreibungen das Lang-S (ß) aus dem Kasten geholt („weiß“ …).
Bin auf Ihre Erklärung echt gespannt. Sie verstehen ja was von der Materie. Das merke sogar ich.



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margel
03.05.2003 17.09
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Mimikry

Ich würde gern die Linie „Englische“ Wörter aus deutscher Produktion noch ein wenig weiterverfolgt sehen. Gab es so etwas schon einmal, gibt es das in anderen Sprachen? Es geht ja nicht um Fremd- oder Lehnwörter. Interessant, daß dann wieder „deutsch“ dekliniert wird. Z.B. schreibt gmx dann den Dativ
„den channeln“.

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Peter Schubert
03.05.2003 12.26
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Die Fräuleinverwaltung

Glückwunsch, Herr Upmeyer, Ihr Späßchen mit der Fräuleinverwaltung ist gelungen. Allerdings gehört das Management seit einiger Zeit zum deutschen Sprachschatz; wenn es schlecht ist, kann man die englische Vorsilbe mis- oder die ziemlich gleichbedeutende deutsche Vorsilbe miß- (Neuschrieb miss-) davorsetzen. Der Reformduden (22. Aufl.) tut Letzteres.

Ihre (rhetorische?) Frage, ob mies und miß- etymologisch verwandt ist, wird sich nicht klar beantworten lassen. Nach meinem etym. Wörterbuch kommt mies von einem aramäischen Wort, das über das Jiddische und Berlinische ins Hochdeutsche gekommen sei. „Miss-" und „missen“ sei schon im 9. Jh. belegt. Dann ist die Ähnlichkeit zum lat. miser usw. wohl zufällig, und zum jidd. Wort ebenfalls.

Zu Sigmar Salzburgs komischem Beitrag kein Kommentar, das war zu viel. Nur eins: Kein Wort habe ich gegen das ß gesagt, ich bin sogar ein Freund dieses Buchstabens, aber nur da, wo er hingehört.

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Henning Upmeyer
03.05.2003 07.46
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Missmanagement vs. mismanagement

„Missmanagement“ ist ein deutsches Englischwort und bedeutet entweder „Fräuleinverwaltung“, wobei „Fräulein Subjekt oder Objekt sein kann, oder „Verlustverwaltung“. Das englische Englischwort heißt „mismanagement“ und bedeutet „schlechte Verwaltung“. „miß-" und „miss-" sind etwas ganz Verschiedenes, wobei „miss“ „Fräulein“ oder „Verlust“ bedeuten kann. Ein typischer Fall für die Bedeutungsverwischungen und Unschärfeproduktionen der Reformschreibung.
Ob „mies“ und „miß" etymologisch verwandt sind?
– geändert durch Henning Upmeyer am 04.05.2003, 13.03 –

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Sigmar Salzburg
03.05.2003 06.45
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Die gewisse Komik

[Peter Schubert] ...ich hatte erwartet, dass meine überlange Aufzählung solcher Fremdwörter eine gewisse Komik dieser Schreibweise erkennen lässt. [Fitneß, Fairneß, Miß Germany, Mißmanagement ...]

Noch zur Zeit meiner Großeltern schrieb man deutsch in „deutscher“ Schrift und benutzte für Fremdwörter die „lateinische“ Schrift. Das entsprach einer mehrhundertjährigen Tradition – heute noch bisweilen in den Kommentarüberschriften der FAZ erkennbar. Selbstverständlich ist es immer richtig, Fremdwörter in ihrer Originalschreibung darzustellen. Komischerweise passen sich die Reformfreunde klaglos den übrigen nicht minder „komischen“ Gewohnheiten deutscher Fremdwortschreibung an, etwa der k-Konvertierung („Doppelkonsonanten“), oder, weil sie „neu“ ist, der ph-Konvertierung („typografische“) – auf daß alle geadelt würden: Typografen, Geografen, Pornografen. Es wundert zudem, daß sich auch andere Sprachen seit dem 15. Jahrhundert der Komik des „ß" bedienten, obwohl es dort nicht solche Vorteile wie im Deutschen bot.

Thomas Mace „Musick’s Monument“ 1676; Schrift: Antiqua, lang-s, rundes s, als ß in gerader Schrift nur eng zusammengeschoben (wie noch nach 1800 das deutsche Antiqua-ß), in kursiver Schreibweise in einem Linienzug:
p.134 ... inform you in most Neceßary Piece of Mastership ... such New Leßons ... Incompleteneß ... Quaintneß ... do not cause a Ceßation of Play, ... Busineß.

Auch in italienischen Handschriften und Drucken um 1500 findet man anstelle der sonst üblichen langen Doppel-s das eng aneinandergerückte lang-s mit folgendem runden s – allerdings selten konsequent. Im Inhaltsverzeichnis des handschriftlichen Tabulaturbuches eines Vicenzo Capirola stehen zwei belissimo/a gegen zwei belißimo/a, ohne daß Platzgründe dafür erkennbar wären. Wir finden häufig eßer, coßa, aber grosse, grosso.

Im Deutschen könnte das ß auch als Erweiterung des mittelhochdeutschen z mit einem vorgestellten langen s entstanden sein. Solange das lange „s“ der Spätantike im Gebrauch war, auch noch mit Aufkommen des ß, waren Antiqua und Fraktur jedenfalls bis ins 19. Jahrhundert hinein vollkommen kompatibel. Erst die durchgängige Anwendung des runden s ließ das Antiqua-ß der deutschen Texte als Anleihe aus der Fraktur erscheinen. Es ist also nicht wahr, daß das deutsche „ß" „Fraktur in meiner Buchstabensuppe“ sei ( FAZ v. 6.11.2002).

Seit 600 Jahren schreiben die Deutschen problemlos „es hieß, daß es muß". Seit 6 Jahren werden sie zur „Scheiß-Stussschreibung“ gepreßt, weil das einigen armen Pennäler- und Pennerseelen ein paar rote Striche im Schulheft ersparen soll – ein Fall höchster Komik, wären die Folgen nicht so traurig.

Der Volksbetrug Rechtschreibreform – ein „nationales Unglück“ (Reich-Ranicki) – hat eine ganze Nation in Schreibstümper verwandelt (auch Angela Merkel) und unsere besten Literaten als „Altschreiber“ aus den Schulbüchern verbannt. Die laufende verbissen-verbiesterte ss-Übermalung der klassischen Literatur für Schul- und andere Verdummungszwecke erinnert in ihrer Lächerlichkeit an die Verschandelung der sixtinischen Fresken Michelangelos durch den päpstlichen Hosenlatzmaler „Il Brachettone“ (Daniele da Volterra).

Dabei ist die „neue“ Umfunktionierung des „ß", ein Philologeneinfall von 1829, alles andere als logisch: Die lesefreundliche Ligatur wird zum einmaligen Sonderbuchstaben für scharfe „s“ hinter manchen langen Vokalen. Wenn die Erinnerung an den richtigen Gebrauch des ß getilgt ist, können ältere Literatur und Eigennamen nicht mehr richtig gelesen und die Frakturschrift, ein schützenswertes Kulturgut, nicht mehr regelrecht geschrieben werden. Ihrer von Hitler verfügten Ausbürgerung als „Judenlettern“ verleihen die Kultusminister damit den amtlichen Stempel der Endgültigkeit.

Wie wir gerade lesen konnten, sagt heute der ehemalige Kultusminister Bayerns, Hans Zehetmair: „Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen. Ich sage: Politik Hände weg von einer Rechtschreibreform!“ (Passauer Neue Presse v. 30.4.2003) Als damals Verantwortlicher höhnte er noch über die protestierenden Schriftsteller, die doch ohnehin schreiben könnten, wie sie wollten.

Die Büchse der Pandora ist geöffnet, und die deutsche Sprache leidet unter dem sich verbreitenden Unheil ebenso wie unter der zunehmenden Korrumpierung der nur so genannten Volksvertreter. Die schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten, die vor vier Jahren das Ergebnis des Volksentscheids gegen die Rechtschreibreform zu ihren Gunsten „korrigierten“, haben sich gerade in Anerkennung ihrer schweren Aufgabe eine Diätenerhöhung um 45 Prozent (!) genehmigt, wieder gegen wütende Proteste der Bevölkerung und wollen – oder wollten (Kieler Nachrichten v. 30.4.2003) – dies auch noch durch eine Erhöhung der Landesschulden finanzieren. Damit sich „die Fresssäcke trotz aller Missstände in Esssälen und Imbissstuben ohne Essstörungen ihrer Genusssucht“ hingeben können. – Wer war es noch, der sich oben einer „gewissen Komik“ in der traditionellen Rechtschreibung schämte?

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Henning Upmeyer
02.05.2003 17.56
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warum wird "liebreizend" zusammengeschrieben?

Laut reformiertem Duden wird es. Wenden wir das reformierte Regelwerk an:
§36: Substantive, Adjektive, Verbstämme, Adverbien oder Pronomen können mit Adjektiven oder Partizipien Zusammensetzungen bilden. Man schreibt sie zusammen. Dies betrifft
(1) Zusammensetzungen, bei denen der erste Bestandteil für eine Wortgruppe steht: Paßt hier nicht, „lieb“ ist Adverb zu „reizend“.
(2) Zusammensetzungen, bei denen der erste oder der zweite Bestandteil in dieser Form nicht selbständig vorkommt: Paßt hier nicht, „lieb“ und „reizend“ kommen selbständig vor.
(3) Zusammensetzungen, bei denen das dem Partizip zugrunde liegende Verb entsprechend §33 bzw. §34 mit dem ersten Bestandteil zusammengeschrieben wird: Paßt hier nicht, es gibt kein Verb „liebreizen“.
E1: In den Fällen, die nicht durch §36 (1) bis (6) geregelt sind, schreibt man getrennt. Dies betrifft
(1) Fälle, bei denen das dem Partizip zugrunde liegende Verb vom ersten Bestandteil getrennt geschrieben wird, und zwar
hell strahlend, laut redend: Paßt hier, es gibt „lieb reizen“.
(4) Fälle, bei denen der erste Bestandteil erweitert oder gesteigert ist bzw. werden kann: Paßt hier, „lieb“ kann gesteigert werden: „lieb“, „sehr lieb“, „lieber“, „viel lieber“, „liebst“, „allerliebst“.
Folgerung: „liebreizend“ müßte getrennt geschrieben werden, weil „lieb“ erweitert oder gesteigert werden 'kann'. Das 'kann' ist der Knackpunkt der reformierten Rechtschreibung.
Natürlich bedeutet „lieb reizend“ etwas völlig anderes als „liebreizend“, aber unterschiedliche Bedeutung und Betonung sind ja in der reformierten Rechtschreibung ausdrücklich nicht maßgebend für die Schreibweise.
– geändert durch Henning Upmeyer am 03.05.2003, 23.13 –

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Norbert Schäbler
02.05.2003 10.29
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"Schlußbiß"

Da war also mein Schluß wieder einmal daneben?
Wahrscheinlich war er zu bissig, verlangte noch ein wenig zusätzliche Nachdenklichkeit bzw. ein Echo.
Danke für selbiges, Frau Menges.

Mir gefällt übrigens das Bild, das „Margel“ gezeichnet hat: das mit den Lehrern, die alle möglichen Verrenkungen machen, um den verordneten Stumpfsinn an den Zögling zu bringen und nach außen hin zu verteidigen.
Meine Assoziation dazu landet unwillkürlich bei einer Turnerriege, die anläßlich einer Faschingsveranstaltung Bewegungskomik zelebriert.

Veralbernd ist das nicht gemeint, denn diese Form der Zelebration verlangt höchste Körperbeherrschung.
Über die Ironie jedoch darf man getrost nachdenken. Bei Schlüssen gebe ich mir nämlich immer besondere Mühe.




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