Die Rübe
nach den Gebrüdern Grimm
behutsam bearbeitet von Hans Flachs
Der dümmere von zwei Ortho-Grafen fand eines Tages auf seinem Arbeitsfeld eine faule Riesenrübe und schenkte sie dem Rat der Bildungsminister. Dafür wurde er zum Reichs-Orthografen ernannt. Der Klügere hoffte nun, mindestens die gleiche Gunst zu erhalten, indem er den Herren sein reiches Wissen als Geschenk anbot. Diese bedankten sich und sagten, sie wüßten nun kein besseres Gegengeschenk als eben diese Rübe. Da beschloß er, dem dummdreisten Kollegen durch vertraulich eingeweihte Zeitungsschreiber den Garaus machen zu lassen. Als die Schreibtischtäter diesen dann im Blätterwald überfielen, dabei jedoch lautes Reden und Hufschlag hörten, stülpten sie ihm einen Sack über, zogen ihn an einem Baum hoch und flohen.
Oben arbeitete er, bis er ein Loch im Sack hatte, wodurch er den Kopf stecken konnte. Wer aber des Wegs kam, war nichts als ein Sonntagsreiter, der eine entsprechende Rede übte und durch den Wald auf der Straße daherritt. Wie der oben nun merkte, daß einer unter ihm vorbeiging, rief er „sei mir gegrüßt zu guter Stunde. Der Reitersmann, er war Kultusminister, guckte sich überall um, wußte nicht, wo die Stimme herschallte, endlich sprach er „wer ruft mir?
Da antwortete der aus dem Wipfel „erhebe deine Augen, ich sitze hier oben im Sack der Weisheit; in kurzer Zeit habe ich große Dinge gelernt, dagegen ist alles bisherige Schulmeisterwissen ein Wind: um ein weniges, so werde ich ausgelernt haben, herabsteigen und weiser sein als alle Schriftsteller und Nobelpreisträger. Ich verstehe die Sätze und Interpunktionsszeichen, das Wehen an ,Wechten‘, die ,Schifffahrt‘ im Meer, Heilung der Legasthenie, die Kräfte von Politik und Medien-Alchemie. Wärst du einmal darin, du würdest fühlen, was für Herrlichkeit aus dem Sack der Weisheit fließt.
Der Minister, wie er das alles hörte, erstaunte und sprach „gesegnet sei die Stunde, wo ich dich gefunden habe, könnt ich nicht auch ein wenig in den Sack kommen? Oben der antwortete, als tät ers nicht gerne, „in einer kleinen Weile will ich dich wohl hineinlassen für Lohn und gute Worte, aber du mußt doch noch eine Stunde warten, es ist ein Stück Reform übrig, das dringend erforderlicher Korrekturen bedarf.
Als der Minister ein wenig gewartet hatte, war ihm die Zeit zu lang und er bat, daß er doch möchte hineingelassen werden, sein Durst nach Weisheit wäre gar zu groß. Da stellte sich der oben, als gäbe er endlich nach, und sprach „damit ich aus dem Haus der Weisheit heraus kann, mußt du den Sack am Strick herunterlassen, dann darfst du hinein.
Also ließ der Politiker ihn herunter, band den Sack auf und befreite ihn, dann rief er selber „nun zieh mich recht geschwind hinauf, und wollt geradstehend in den Sack hineinsteigen. „Halt!, sagte der andere, „so gehts nicht an, packte ihn beim Kopf, steckte ihn umgekehrt in den Sack, schnürte zu und zog den Jünger der Weisheit am Strick baumwärts, dann schwengelte er ihn in der Luft und sprach „wie stehts, mein lieber Geselle? siehe, schon fühlst du, daß dir die Weisheit kommt, und machst gute Erfahrung, sitze also fein ruhig, bis du klüger wirst. Damit stieg er auf des Ministers Pferd und ritt fort.
In Grimms Märchen schickt er nach einer Stunde jemand, der ihn wieder herablassen mußte. In der ,rauen‘ Wirklichkeit aber hängt der Minister immer noch oben im Reformsack, niemand läßt ihn herunter und Weisheit will ihm auch nicht kommen.
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Sigmar Salzburg
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