hochwertig: Regeln oder Schreibweisen?
Es schien mir zwischendurch, als hätte ich das Beispiel hoch wertig mit Getrenntschreibung nach § 36 Steigerbarkeit des ersten Bestandteils etwas überstrapaziert, zumal das amtliche Wörterverzeichnis den hier kritischen § 36 (2) existieren beide Glieder in dieser Form als selbständige Wörter? sogar bei seinem Eintrag höchstwahrscheinlich ausdrücklich anführt. Das heißt nämlich, unter diesem Stichwort (zusammengeschrieben) wird behauptet, es greife § 36 (2), ein Bestandteil offenbar höchst komme in dieser Form nicht als selbständiges Wort vor.
Wonach soll man sich nun richten? Worin besteht der Unterschied in der Form zwischen höchst und höchst? Mir will er beim besten Willen nicht auffallen. Ich sehe einfach keinen Unterschied in der Form. Was könnte so muß man fragen, wenn man dem Eintrag höchstwahrscheinlich folgt, wenn man also davon ausgeht, daß doch ein Unterschied in der Form vorliegt , was könnte denn mit Form gemeint sein? Zwischen höchst (Bestandteil von höchstwahrscheinlich) und höchst (selbständiges Adverb) gibt es natürlich Unterschiede bei der Betonung (im Normalfall) und bei der grammatischen bzw. syntaktischen Funktion, aber wieso sollte ein Unterschied in der Form vorliegen??
Die eine Möglichkeit ist, daß man sagt: Es konnte ja nie und nimmer aufgrund irgendwelcher Regeln von den Reformern gewollt gewesen sein, daß höchstwahrscheinlich nun genauso geschrieben wird wie schon immer die Wortkombination höchst wahrscheinlich = "äußerst wahrscheinlich. Denn sonst wäre ja gar keine Unterscheidung möglich, so dumm können doch die Reformer nicht sein, daß sie das wollen. Außerdem besagt ja eben der Eintrag im Wörterverzeichnis ausdrücklich, daß zusammengeschrieben werden soll, sogar mit Verweis auf den Paragraphen, der Getrenntschreibung zu fordern scheint. Offenbar gibt es einen Unterschied in der Form im Sinne der Reformer, und wir müssen herausfinden, was sie mit Form meinen.
Das ist treuherzig gedacht, ausgehend von dem selbstverständlichen Bedürfnis, elementare grammatische Unterschiede in der Schrift abbilden zu können. Jedoch muß es nachdenklich machen, daß die Reformer auch anderswo keine Rücksicht darauf nehmen, daß Unterscheidungen aufgrund der Regelbefolgung verlorengehen: Handvoll wird zu Hand voll usw.
Schließlich landet man bei der Erkenntnis, daß es den Reformern ja gerade darum ging, nicht mehr aus den vielgestaltigen, differenzierten Schreibungen Regeln herzuleiten, sondern (angeblich) einfachere Regeln aufzustellen, aus denen die Schreibungen abgeleitet werden sollen. Haben sie nicht immer wieder ihre Getrennt- und Zusammenschreibung als Meisterwerk gerühmt, das mit den Ausnahmen auf der Seite der Schreibungen aufräume und zu mehr Systematik führe?
Demnach ist dem Regelwerk im Sinne der Reformer der Vorzug zu geben. Als Klaus Heller dann das Wörterverzeichnis zusammenschusterte und beim Eintrag höchstwahrscheinlich ankam, dachte er sich eben, das muß natürlich nach wie vor anders geschrieben werden als höchst wahrscheinlich (= äußerst wahrscheinlich), trug es so ein und stellte den kritischen Paragraphen daneben, nach dem Motto: Es kommt nur dieser § 36 (2) in Frage, um die Zusammenschreibung zu rechtfertigen, also schreibe ich ihn hin. Daß in Wirklichkeit dieser Paragraph gerade zur Getrenntschreibung führen würde weil es keinen Unterschied in der Form gibt, was soll's? Da muß man fünfe gerade sein lassen und interpretieren: Es gibt da Unterschiede, das merkt ja jeder, und diese werden in dem Paragraphen eben als Unterschied in der Form bezeichnet. Es existiert zwar ein selbständiges höchst, aber laut Paragraph gibt es einen Unterschied in der Form. Damit der Paragraph recht behält, muß man eben den Begriff Form etwas weiter fassen als üblich.
Die andere Möglichkeit der Deutung ist realistischer: Nicht der Eintrag höchstwahrscheinlich zählt, sondern dieser wurde mit Gewalt in Zusammenhang mit einer Regel gebracht, die das Gegenteil der gewählten Schreibweise fordert. Was im Sinne der Reformer gerade zählen müßte, ist die Regel. Nach dieser gibt es einen klaren Widerspruch zum Eintrag höchstwahrscheinlich im Wörterverzeichnis.
Ich habe diese Perspektive bei meinen Betrachtungen zu hoch wertig gewählt: Natürlich kann das nicht gewollt sein, aber die Reformer machen doch nichts anderes, als die Schreibweisen ohne Rücksicht auf Verluste aus ihren Regeln herzuleiten. Das tun auch die Wörterbücher, und ich habe es am Beispiel von hoch wertig getan.
Wenn die Reformer nämlich das umgekehrte Prinzip anwenden würden also beispielsweise: Wir wollen höchstwahrscheinlich als Zusammensetzung registrieren und müssen die Regeln dementsprechend formulieren , wenn die Reformer also wieder von den Schreibweisen zu den Regeln kommen wollten, dann wäre nicht nur die Reform gänzlich überflüssig, sondern dann hätten wir tatsächlich im Handumdrehen die sogenannte alte Rechtschreibung wieder.
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Wolfgang Wrase
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