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Forum > Argumente der Rs-Reformer
„Die Rechtschreibung ist keine ,heilige Kuh‘“
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Norbert Schäbler
05.08.2004 17.35
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Die Rechtschreibung ist keine "heilige Kuh"

(eine Kurzbetrachtung über Tabubrecher und Denkmalmalbauer)

Generationen von Deutschen pflegten die Rechtschreibung. Sie verwendeten viel Übungszeit in das Erlernen festgelegter Wortbilder und strebten nach Fehlervermeidung. Dabei setzten insbesondere frühere Generationen die Rechtschreibung in aller erster Linie mit Intelligenz gleich.
Selbst einfache Leute schauten aus diesem Grunde auf jene herunter, die durch besonders krasse Normverletzungen im Rechtschreibbereich auffielen; zudem waren soziales Prestige oder gar Karriere ausschließlich mit guten Kenntnissen der Rechtschreibung zu erreichen.

Religion, Rechnen und Schreiben hießen die traditionellen Schulfächer, und die
Rechtschreibung selbst hatte den Stellenwert einer „heiligen Kuh“.
Gruppennormen und gesellschaftliche Zwänge sorgten zwar dafür, daß innerhalb der gesamten Bevölkerung ein hohes Niveau an Rechtschreibkenntnissen vorhanden war, verhinderten aber gleichermaßen, daß man sich an dieser „Kuh“ vergriff.

Obiger Vorspann will verdeutlichen, daß sich die Kritik an der deutschen Rechtschreibung keineswegs an der Sache selbst entzündete, sondern daß die Kritik an der deutschen Rechtschreibung von allem Anfang an gesellschaftliche Ursachen hatte und den deutschen Rechtschreibfetischismus auf die Hörner nahm. Nicht das System selbst – es war ja ausgereift, begrifflich, begreif- und lernbar – stand zur Debatte, sondern statt dessen war die gesellschaftliche Gepflogenheit mit all den unfeinen Auswirkungen von Karriereverhinderung, persönlicher Beschämung (bis hin zu körperlicher Züchtigung) den Reformern ein Dorn im Auge.
Das ist so gut wie bewiesen, denn die Rechtschreibreformbetreiber schreiben ihre Motive gerne auf ihre Fahnen. So bezeichneten die 68er die Rechtschreibung als „Rohrstockersatz“, und der ehemalige Reformkommissionsvorsitzende Augst feierte bei der Unterzeichnung der Wiener Absichtserklärung in höchster Seligkeit den Tatbestand, „daß die deutsche Rechtschreibung nun endlich nicht mehr sakrosankt war.“

Die Sache selbst war für die Rechtschreibbetreiber nebensächlich. Das beweisen die zahlreichen Beliebigkeiten der neuen Regeln und Wörter. Das hiesige Forum ist voller Einzelbeispiele und begründeter Ablehnungen (weshalb hier nicht näher auf Fehlformen eingegangen wird).
Es genügt vielmehr, den gröbsten aller Fehler der Reformbetreiber aufzuzeigen, der darin besteht, daß diese Ideologen das Wesen und die Notwendigkeit von Regeln und Normen nicht verstanden haben.
Reformer und radikale Systemveränderer können und konnten nämlich noch nie unterscheiden zwischen Regelakzeptanz und Regelzwang sowie zwischen sinnvollen und erstickenden Regeln.
Magisch fühlen sich Revolutionäre nämlich seit jeher dem Neuen verbunden.
Manisch zerstören sie das Alte.

Ein Beispiel:
Die Reformbetreiber lassen (selbst in der vierten Revision ihres sachlich äußerst brüchigen Konzeptes) alte Schreibungen w. z. B. das grammatisch sinnvolle „leid tun“ nicht mehr zu, sondern ersetzen es durch „Leid tun“ bzw. „leidtun“.
Das heißt: Die Reformer zeichnen sich nicht etwa aus durch ihre gepredigte Liberalität und die Gewährung alternativer Freiheiten, sondern sie offenbaren in erschreckender Borniertheit und Rigorosität, daß sie die alten Gewohnheiten und einstigen Herrscher abgeschüttelt haben.
Deshalb ist zu vermuten, daß von ihnen eine größere Schreckens- und Willkürherrschaft ausgeht, denn sie regieren nicht nur gegen die Mehrheit des Volkes, sie regieren auch gegen besseres Wissen und gegen jegliche Einsicht.

Was aber wird mit der Rechtschreibung?
Wird sie jemals auch nur annähernd wieder jenen Stellenwert erreichen, den sie früher hatte?
Vermutlich niemals,
denn allerorten hört man doch: „Es gibt Wichtigeres“. „Die Kinder haben keine Probleme mit der neuen Rechtschreibung“. „Wir können nicht mehr zurück!“
Sind Politik und Gesellschaft einverstanden mit der Systemveränderung?
Es gibt hingegen auch noch andere gesellschaftliche Kräfte,
denn es existieren immer noch einige Handwerksbetriebe und Wirtschaftsunternehmen, welche die Einstellung von Auszubildenden von deren Grundkenntnissen und Leistungsnachweisen abhängig machen.
Man weiß letztlich nicht, welche gesellschaftlichen Kräfte obsiegen werden.

Zum Schluß erlaube ich mir eine Bemerkung als einstiger Pädagoge, der in Grund- und Hauptschule tätig war. Mir sind im Laufe meiner Ausbildung die Begriffe „Sekundärmotivation“ und „Primärmotivation“ in Fleisch und Blut übergegangen.
Die beiden Motivationsbegriffe will ich zunächst erklären:
In allgemeinbildenden Schulen ist es anfänglich meist so, daß lernende Kinder „zweitrangig“ (sekundär) motiviert sind. Sie lernen bestimmter Personen wegen – um den Eltern, dem Lehrer, dem Freund ... zu imponieren.
Häufig gesellt sich später eine „hauptrangige“ (primäre), sozusagen eine sachimmanente Motivation dazu. Kinder lernen dann, weil sie Feuer gefangen haben für irgend etwas (Dinge, Zusammenhänge, Prinzipien, Rechtsangelegenheiten ...).
Und genau das letztgenannte Lernen, das Lernen aus der sog. intrinsischen Motivation heraus, gilt schließlich als das Lernen, dem die Leistungen, Erfindungen, Verbesserungen und die verantwortungsvollen Taten entspringen.

Deshalb meine ich, daß wir die Rechtschreibung als etwas Eigenständiges betrachten müssen, daß wir ihren Sinn, ihre Funktion und ihre Leistung einsichtig machen sollten, damit sich die Kinder in die Sache selbst verlieben können.
Ich meine auch, daß wir verpflichtet sind dazu: all diejenigen, die uns mit sachfremden Argumenten zu vernebeln suchen, dorthin zu jagen, wo sie hingehören. Zum Teufel!!
Das Geschriebene, das Überlieferte, das Vorgedachte sowie das größtenteils Ausgereifte sind und waren doch seit jeher die wesentlichsten Teile zwischenmenschlicher Tradition und Weiterentwicklung. Das wird und muß auch so bleiben.

Generationenüberdauernde, allgemeinverständliche Schreibweisen sollte man hüten wie einen heiligen Tempel.


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nos

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Fritz Koch
05.08.2004 19.52
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Es gehört nicht hierher, aber es juckt mich:

Wenn Kinder bei der Einschulung nur noch sekundär motiviert sind, ist etwas falsch gelaufen. Mit drei Jahren fragen sie einem als „Warum-Kinder“ Löcher in den Bauch und wollen alles wissen und ärgern sich, daß sie noch nicht selber lesen können. Irgendwann zwischen drei und sechs Jahren scheinen sie die Lust am Fragen zu verlieren. Vielleicht, weil sie nicht die richtigen Antworten bekommen. Oder Kindergarten und Schule langweilen sie, weil dort nicht das behandelt wird, was sie wissen wollen, und sie geben es auf, Fragen zu stellen. Ich war dabei, als meine kleine Enkeltochter am Tag der offenen Tür bei MTU begeistert alles ganz genau über die Strahltriebwerke wissen wollte. Das kann die Schule nicht bieten.

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Karin Pfeiffer-Stolz
06.08.2004 04.47
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Rechtschreibung ist Orientierungshilfe

Herunterschauen kann man auf andere Leute auch wegen anderem. Das muß nicht die Rechtschreibung sein, sie ist nur das Vehikel, in das ein „Herunterschauer“ einsteigen kann, übrigens auch künftig: Haben wir es schon einmal erlebt, daß einer, der gegen die Rechtschreibung als Herrschaftsinstrument wettert, selbst auf die Ausübung seiner eigenen Macht verzichtet, indem er sich beim Schreiben an die vermeintlich Unterdrückten anpaßt?

Heruntergeschaut wird doch vor allem beim Haben, weniger beim Sein, um mit Erich Fromm zu sprechen. Das Haben ist sichtbar und leicht zu greifen. Ein dickeres Konto, ein größeres Auto, ein „fernerer“ Urlaub ... Die Rechtschreibung ist intellektuell sichtbares Haben, denn wer sich durch gute Rechtschreibung auszeichnet, zeigt damit, daß er bereit und fähig ist zur Anpassung an kulturelle Notwendigkeiten und wahrscheinlich auch viel weiß, weil er viel liest. Rechtschreibung ist im Gegensatz zum Wissen sichtbar. Der Mensch als neidisches Wesen stürzt sich also auf das wiederum Sichtbare und will es dem anderen wegnehmen. Das kann sogar gelingen, betreibt er es nur systematisch und ausdauernd genug ...
Aber ist es denn wirklich ein Herrschaftsinstrument, das Schreiben oder das Haben insgesamt? Es kann als solches mißbraucht werden, wie alle neutralen Dinge im Leben mißbraucht werden können. Dinge und Fertigkeiten an sich sind neutral. Man kann etwas einem guten Zweck widmen oder es für zweifelhafte Vorhaben mißbrauchen. Das Messer leistet der Hausfrau gute Dienste. In der Hand eines Bösewichts wird es zur gefährlichen Waffe. Ein Lehrer findet immer Möglichkeiten, Schüler zu demütigen. Daran wird keine Rechtschreibreform, keine Reform des Schulwesens überhaupt, etwas ändern. Das Demütigen, das liegt nämlich im Menschen selbst. Nimm ihm alle vermeintlichen Waffen, er wird es dank seiner eigenen Existenz noch immer fertigbringen, jemanden zu demütigen.

Die Übereinkunft, wie wir richtig schreiben, bildet die Grundlage für den Austausch auf geistiger Ebene, für die Verständigung zwischen den Generationen, für die Aufbewahrung von Gedanken, für die Entwicklung eines hohen geistigen und wirtschaftlichen Niveaus – das übersehen sie, die vehementen, sozialpolitisch motivierten Kritiker, wie Revolutionäre überhaupt nicht begreifen, daß man notwendige Regeln nicht zerstören darf, will man nicht die ganze Gesellschaft und damit sich selbst zerstören. Da gebe ich Herrn Schäbler ganz recht. Wer etwas allgemein Akzeptiertes und Notwendiges ändern will, darf das nie mit der Brechstange tun. Es muß im Einklang mit jenen veranlaßt werden, die von den Änderungen betroffen sind. Solches Vorgehen jedoch verlangt harte, ausdauernde Arbeit und eignet sich nicht für leichtfüßige Erfolge, die sich auch noch in barer Münze auszahlen.
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Karin Pfeiffer-Stolz

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margel
06.08.2004 07.26
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Was ich nie begriffen habe

Die modische Rede vom „Herrschaftsinstrument“ ist ja nun auch schon etwas abgegriffen. Gerade den Schriftstellern geht es von allen Schreibenden wohl am wenigsten um Herrschaft. Politiker und in gewissem Sinne auch die Journalisten, die nach Meinungs- und Interpretationsherrschaft streben, benutzen die Sprache viel eher als Machtvehikel. – Bis heute habe ich nicht verstanden, wieso ausgerechnet die Kulturtechnik „Rechtschreibung“ so simpel sein soll, daß jedermann sie perfekt beherrschen kann. Sonst verlangt das doch auch niemand: Klavierspiel, Hochsprung, Bergsteigen – überall gibt es abgestufte Fähigkeiten, und keinem ist das ein Ärgernis, sondern vielmehr Ansporn zu eigenem Streben nach Vervollkommnung.

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Fritz Koch
06.08.2004 11.41
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Jeder muß einen Vorteil darin sehen,

richtiges Deutsch sprechen und schreiben zu können.
Die zu bestrafen oder zu verachten, die es nicht können, ist falsch. Höchstens die, die es nicht wollen.
Die zu loben, die es können oder sich darum bemühen, gibt den anderen Ansporn.
Gutes Deutsch ist keine Selbstverständlichkeit. Deshalb muß es sich lohnen, sich darum zu bemühen.

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