Thomas Frei sprach mit Professor Meier, auch über die Rechtschreibreform …
… die er leidenschaftlich bekämpft.
Pforzheimer Zeitung, 13.07.2007
„Fasziniert in den Schriften gelesen“
Das PZ-Interview mit Professor Christian Meier, dem der Reuchlinpreis 2007 der Stadt Pforzheim verliehen wird
Als Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gratuliert Professor Christian Meier der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinik zum Georg-Büchner-Preis 1998. Heute wird Meier bei einem Festakt im Stadttheater mit dem Reuchlinpreis der Stadt Pforzheim ausgezeichnet.
Der Althistoriker Professor Christian Meier (78) erhält heute auf Vorschlag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften den Reuchlinpreis der Stadt Pforzheim verliehen. Dieser erinnert an den großen Sohn der Stadt Pforzheim, den Humanisten Johannes Reuchlin (1455-1522). PZ-Redakteur Thomas Frei sprach mit Professor Meier, auch über die Rechtschreibreform, die er leidenschaftlich bekämpft.
Pforzheimer Zeitung: Wie haben Sie erfahren, dass Ihnen der Reuchlinpreis 2007 der Stadt Pforzheim verliehen wird?
Professor Christian Meier: Durch einen Anruf aus dem Pforzheimer Rathaus.
PZ: Sie haben schon viele Preise erhalten. Was bedeutet es für Sie, der 24. Träger des Reuchlinpreises zu sein?
Meier: Er ist der angesehenste Preis für Geisteswissenschaftler in Deutschland. Die Liste der Preisträger ist so großartig, dass man überrascht ist, auf sie geraten zu sein. Preisgewohnte Kollegen rühmen die Umstände der Verleihung in den höchsten Tönen. Pforzheim lässt einem offenbar das Herz aufgehen.
PZ: Hatten Sie sich als Althistoriker selbst schon mit Johannes Reuchlin befasst?
Meier: Nein, aber ich habe jetzt fasziniert in einigen seiner Schriften gelesen..
PZ: Schwerpunkte Ihrer Forschungen sind vor allem das klassische Athen und sie späte römische Republik. Wie wir man zum Althistoriker?
Meier: In meinem Fall durch lauter Zufälle. Eigentlich wollte ich entweder Physik und Chemie oder neuere Geschichte und Slavistik studieren. Aber ich bin nicht unglücklich. Für neuere Geschichte interessiert sich ein Historiker ohnehin. Ist er für das Altertum zuständig, steht er mit zwei Beinen in der Geschichte.
PZ: Ihr Vorgänger als Reuchlinpreisträger, Professor Arnold Esch, hatte mit seiner Veröffentlichung „Wege nach Rom“ auch die Zeit beschrieben, in der sich Reuchlin am Vatikan mit Papst Sixtus traf. In ihrer Publikation „Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte“ führen Sie den Leser in die Zeit um 500 vor Christus. Durch was wäre Reuchlin Ihrer Meinung nach damals geprägt worden?
Meier: Vielleicht hätte er die Rolle Herodots (Anmerkung: Geschichtsschreiber) gespielt? Andere Völker, die damals interessant waren, studiert? Vielleicht gar schon Aufmerksamkeit auf die Jugend gelenkt? Oder er hätte eine griechische Grammatik geschrieben.
PZ: „Caesar“ heißt ein weiteres Ihrer Bücher. Was fasziniert Sie an dem römischen Diktator Gaius Julius Caesar (177/102 bis 44 vor Christus) besonders?
Meier: Der ungeheure Reichtum in der Entfaltung menschlicher Möglichkeiten. Als Außenseiter in einer Adelsgesellschaft. Als Mann, der ganz Rom auf den Kopf stellte, aller Macht auf sich versammelte und trotzdem gegenüber dem wichtigsten Problem seiner Zeit , einer Neuordnung Roms, ohnmächtig blieb.
PZ: Es ist aber nicht nur Athen und Rom, also die alte Geschichte, mit der Sie sich beschäftigen. Sie haben stets auch die Gegenwart im Blick. So haben Sie beispielsweise den Bogen von der Antike bis Auschwitz geschlagen: Hier die Geburtsstätte der Demokratie, dort das Vernichtungslager der Nazis. Was war Ihre Intension, rund 3000 Jahre europäische Geschichte in einem Werk zu verarbeiten?
Meier: Das Buch ist eigentlich eine Betrachtung über die Lage der Geschichte heute, nicht die Geschichte von Athen bis Auschwitz. Es sollte aber zugleich neben dem althistorischen Zentrum meiner Arbeit deren anderes zeitliches Extrem einbeziehen.
PZ: Sie haben die Nazi-Zeit als Jugendlicher erlebt. Kann man die wirklich von „erleben“ sprechen?
Meier: Oh, es gab da sehr viel zu erleben. Luftangriffe zum Beispiel, Flucht,m das Eintreffen der vielen Todesnachrichten, eine ganze Bevölkerung im Krieg. aber auch, für mich damals sehr traurig, im Nachhinein glücklich, die Abreise der besten Freunde, 1938, nach England.
PZ: Schlagen wir einen Bogen in die neuere Zeit. Im Jahr 1990 erschien Ihr Buch „Deutsche Einheit als Herausforderung“. Haben die Deutschen diese Herausforderung gemeistert?
Meier: Nein. Mit all den Überlegungen, die ich damals vortrug, und die rückblickend gesehen keine schlechten Prognosen enthielten, habe ich damals nur sehr kurzfristig Interesse gefunden. Im Grunde haben sich die Westdeutschen gar nicht vorstellen können, dass andere Deutsche freiwillig anders waren als Westdeutsche. Wir wussten gar nicht, wie borniert wir waren.
PZ: Sie waren nicht nur Vorsitzender des Verbands der Historiker Deutschlands sondern von 1996 bis 2002 auch Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Was hatte Sie an diesen Aufgaben gereizt?
Meier: Letztlich die Verantwortung und dann, als ich einmal dabei war, das praktische Wirken mit anderen zusammen, das dann im Historikerstreit 1986/1988 (Anmerkung: In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung„ hatte Ernst Nolte einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Terrormaßnahmen des früheren Sowjetregimes und den Verbrechen der Nationalsozialisten hergestellt) zum Teil höchste Aufmerksamkeit und Takt forderte. In der Akademie war weit weniger los. Das wusste ich aber nicht vorher.
PZ: In einem Interview haben sie einmal betont, dass die Franzosen in einem ziemlich hohen Maße stolz sind, Franzosen zu sein und vor allem auch stolz, französisch zu sprechen. Dagegen bemerkten Sie, dass die deutsche Sprache zu einer „Drottelsprache“ verkomme. Schaffen Sie es selbst, keine „denglischen“ Begriffe zu verwenden?
Meier: Ich glaube schon, obwohl ich es manchmal genieße, ironisch mit den vielbenutzten englischen Worten zu spielen, wie wen es deutsche wären. Ab er normalerweise geht es sehr gut ohne Englisch. Vielleicht mit Ausnahme von „events“. Dafür haben wir kein Äquivalent. Oder wollen Sie Ereignis dazu sagen? Auch „cool“ wäre solch ein Wort.
PZ: Kommen Sie eigentlich mit der Rechtschreibreform klar?
Meier: Ich habe sie bekämpft und bekämpfe sie weiter. Nicht nur, weil sie unsinnig ist, zu hässlichen Schreibungen, Beispiel: Schlammmasse, führt, gegen die um 1850 schon Jacob Grimm, übrigens mit Erfolg, wie man sieht, gekämpft hat. Die Rechtschreibereform ist leserunfreundlich, sie wird in Wahrheit auch nicht leichter erlernt, sonst hätte man ja die geforderten Tests zugelassen. Nein, wichtig ist mir auch, ja wichtiger, dass sich die angeblich demokratischen Kultusminister als einzige in der deutschen Geschichte außer dem unseligen Reichserziehungsminister Rust erfrecht haben, gegen den Willen der Mehrheit den Deutschen zu diktieren, wie sie schreiben sollen. Ich käme mir wie ein Untertan vor, wenn ich diese Schreibe benützte oder erlaubte, dass etwas von mir Geschriebenes in ihr abgedruckt würde.
PZ: Oftmals ist es ein Graus, Vorträgen von Wissenschaftlern zuhören zu müssen. Ihnen eilt der Ruf voraus, dass viele ihrer Arbeiten als populärwissenschaftlich angesehen werden. Auf welchen Beitrag von Ihnen können wir uns daher beim Festakt anlässlich der Verleihung des Reuchlinpreises 2007 der Stadt Pforzheim freuen?
Meier: „Populärwissenschaftlich“ hoffe und glaube ich nicht zu sein. Aber ich habe mich in der Tat, jedenfalls von „Caesar“ an, um gutes, auch allgemein verständliches Deutsch bemüht. Das macht unter Umständen sehr viel Arbeit. Aber es fördert auch die Erkenntnis. Unser Umgang mit Fachtermini ist oft sehr bequem...und gedankenlos. Wer schwierige Dinge verständlich darstellen will, muss über sich sehr viel mehr nachdenken. Was meinen Festvortrag betrifft: Reuchlin war stolz darauf, als erster das Griechische nach Deutschland gebracht zu haben. Anknüpfend daran möchte ich fragen, welches die Herausforderung war, auf die die griechische Kultur antwortete.
PZ: Auszeichnungen sind neben der Ehre meist auch mit einem Geldbetrag dotiert. Beim Reuchlinpreis sind es 12 500 Euro. Haben Sie schon überlegt, wie Sie diesen Betrag verwenden werden?
Meier: Emeritierte Professoren haben keinerlei Anspruch auf Hilfsmittel. Wenn sie aber ein großes wissenschaftliches Unternehmen zu Ende führen wollen, sind sie darauf angewiesen. Dafür bietet mir der Preis willkommene Erleichterung..
Erstellt am: 13.07.2007
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