Mindener Tageblatt
7.8.2004
Der Dumme ist durch die Reform der Leser
Betr.: ,Poker auf dem Kinder-Rücken, Kommentar im MT vom 7. August
Der Kommentar lässt in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig. Ob die Medienkonzerne Springer AG und Spiegel-Verlag tatsächlich ohne jede Legitimation auf dem Rücken anderer ,pokern was auch immer darunter zu verstehen sein mag soll einmal dahingestellt sein.
Fakt ist, viele Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, die anfangs meinten, dem vermeintlichen Zeitgeist auch grammatikalisch folgen zu müssen, haben diesen Schritt bereut. Die FAZ kehrte bereits vor geraumer Zeit zur altgewohnten Schreibweise zurück.
Sofern der Verfasser von einer Minderheit schreibt, die hier Probleme heraufbeschworen hat, trifft dies zwar den Kern, jedoch nicht die von ihm angeprangerte Personengruppe.
Tatsächlich wurde von einer Minderheit in einer, nennen wir es mal eine Art von Regulierungswut, eine von der breiten Masse (!) unerwünschte Sprach- verhunzung vorgenommen und täglich erkennen mehr Menschen, wie wenig Sinn es macht, mit dreifach F und ähnlichem Unfug zu experimentieren.
Vollmundig verkündet uns der Verfasser des Kommentares, das Lernen sei durch die Rechtschreibreform leichter gemacht. Fehlerquoten gehen in den Schulen nur deshalb zurück, weil die Reform schlichtweg zusätzliche ,Varianten, im Klartext bisherige Fehler legitimiert.
Wenn man statt einer heute zwei oder drei Möglichkeiten zulässt, ist es ein Gesetz der Wahrscheinlichkeit, dass der Schreibende eher eine richtige trifft. Dies hat allerdings nichts damit zu tun, dass die neue Orthografie leichter, verständlicher oder gar logischer ist.
Zum besseren Verständnis: Ein Beispiel: ß wird nach kurzem Vokal zu ss; also Fluss, aber Maß. Dies ist soweit nicht schlecht. Doch warum schreibe ich Gas, nicht Gaß oder Gras statt Graß?
Hier folgt das stimmlose S doch auch einem langen Vokal. Nur weil bei diesen Wörtern vor der Reform s und nicht ß stand, werden sie nicht von der Neuregelung erfasst, obwohl der Laut und seine Umgebung dieselben sind!
Das Wort Tolpatsch ist nun Tollpatsch zu schreiben, weil das Volk laut Kultusministerkonferenz mit diesem Wort toll und patschen assoziiert. Dies ist jedoch ein rechter Unsinn, denn es handelt sich hier um ein Lehnwort aus dem Ungarischen!
Die Kommaregeln wurden nicht einfacher, sondern sind zum großen Teil einfach nur noch fakultativ. Man kann Kommata setzen oder auch weglassen. Super und kein Wunder, dass man so weniger Fehler macht.
Der Dumme ist der Leser, dessen Lesefluss durch das Fehlen der Kommata gestört wird.
Würde man den Ausführungen des Verfassers folgen, gebe es nur einen logischen Vorschlag: Abschaffung aller Rechtschreibregeln, dann haben wir auch nur noch fehlerfreie Texte? Nein!
In ein paar Monaten beginnt das Jahr 2005, Zeit, die Notbremse für diese ,Reform zu ziehen.
Frank Schuhmann
In der Tucht 20 a
Petershagen
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16.08.2004
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