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Norbert Lindenthal
11.08.2004 23.06
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PZ Pirmasenser Zeitung



11.8.2004

Zurück zum „Stengel“?

Diskussion um Rechtschreibreform auch in Pirmasens kontrovers

Von PZ-Mitarbeiter Markus Fuhser

Unnötig wie ein Kropf, sei die Diskussion um die Rechtschreibreform, sagt Hans-Joachim Schuttpelz, Rektor der Hauptschule auf dem Horeb. Nach jahrzehntelanger Vorbereitung war die Novellierung vor sechs Jahren vorläufig in Kraft getreten. Dass diese Reform nun nach dem Willen vor allem einiger großer Zeitungsverlage gekippt werden soll, bevor sie im nächsten Jahr allgemein verbindlich wird, darüber kann der Pädagoge nur den Kopf schütteln.


Wenn die Gegner der Rechtschreibreform Erfolg haben, werden vor allem die jüngeren Schüler die Leid tragenden sein. Und die Bücher in neuer Rechtschreibung, wie hier in der Stadtbücherei, werden dann Makulatur. (Foto: Fuhser)

„Populistisch“ nennt er das Vorgehen der Verlage, allen voran Spiegel und Springer mit den Zeitungen „Bild“ und „Welt“. Ein Kippen dieser Reform müssten vor allem die Kinder ausbaden, die nun schon seit rund sechs Jahren nach der neuen Rechtschreibung Deutsch lernen. Ein Zurückkehren zu der Rechtschreibung vor der Reform lehnt Schuttpelz kategorisch ab.

Dank der publizistischen Macht von „Spiegel“, Springer und Co. diskutiert die ganze Nation in diesen Tagen über Sinn und Unsinn der Rechtschreibreform. Und wie überall gehen auch in Pirmasens die Meinungen über den Sinn der Reform und über die Forderung der Rücknahme dieser stark auseinander.

Schuttpelz vertritt die Meinung, die Reform sei lange überfällig und notwendig gewesen. Und er hält die Ergebnisse der Reform zwar für kritikwürdig, aber nicht für durchweg schlecht. Zumindest ein Schritt in die richtige Richtung sei die Reform gewesen. In den Schulen, bei den Kindern und den Lehrern werde die „Rolle rückwärts“, wie sie jetzt Verlage, aber auch Schriftsteller und Politiker vor allem aus dem Lager der Union fordern, werde auf Ablehnung stoßen, meint Schuttpelz. „Die Diskussion wurde doch viel zu spät losgetreten“, sagt er und denkt, dass sich der späte Boykottaufruf sowieso totlaufen werde.

Nichts dagegen, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, hat Marc Hütchen, der sein Abitur am Leibniz gemacht hatte und nun in Landau studiert. „Drei Jahre vor dem Abitur mussten wir uns auf die neue Rechtschreibung umstellen“, erinnert sich der Student sehr ungern an diese Zeit. Nicht sehr intensiv wurden die Neuerungen behandelt, vieles musste man sich selbst beibringen. Er sei immer noch die alte Schreibweise gewohnt. Auch Matthias Auer, der eine Lehre zum Altenpfleger begonnen hat, wurde mit der Reform unmittelbar vor seiner Mittleren Reife konfrontiert. Auch er möchte zurück zu den alten Schreibregeln. „Selbst unseren Lehrern ist die Umstellung damals schwer gefallen“, erinnert er sich. Er sei nun viel unsicherer im Sprachgebrauch und er denke, auch Ausländern falle es nun schwerer Deutsch zu lernen. Auch der Mehrheit der Bevölkerung sei die Reform doch schwer zu vermitteln. „Wie denn auch, wenn selbst so viele Experten Widerstand leisten“, meint der 19-jährige.

„Auf keinen Fall soll die Rechtschreibreform zurück genommen werden“. Das sagt Swenja Markert sehr bestimmt, die nach den Ferien die elfte Klasse am Kant-Gymnasium besuchen wird. „In der siebten, achten Klasse war die Umstellung und nun mache ich bald Abitur. Eine erneute Umstellung ist doch jetzt schlicht unmöglich“, meint die 16-Jährige. Vor allem für Schulanfänger sei es mit der Rechtschreibreform einfacher geworden, sagt sie. Auch die 16-jährigen Zwillinge Luca und Marco Agnetta, die ebenfalls am Kant-Gymnasium die Oberstufe besuchen werden, sind derselben Meinung, obwohl sie keine sonderlich positive Meinung über die Reform haben. Die Diskussion über die Rücknahme finden sie absurd: „Wir haben doch wirklich ganz andere Probleme an den Schulen, wie den Lehrplan beispielsweise“.

Diese Meinung hat auch Christiane Weinkauff, deren elfjähriger Sohn jetzt zum Gymnasium wechselt. „Es gibt wirklich dringendere Probleme an den Schulen, als die Rechtschreibreform“, meint sie. Mit der Diskussion werde doch nur das Sommerloch in diversen Publikationen gefüllt. Die Reform habe eigentlich keiner gewollt. Sollte sie gekippt werden, dann könne sie ihrem Sohn allerdings wieder besser helfen.

Dr. Fritz Schäfer und Helga Knerr

Für die Schüler, die die neue Rechtschreibung gelernt hätten, wäre die Umstellung auf den alten Standard wohl nicht so tragisch, so ihre Meinung. Dass abgehende Hauptschüler oft nicht mal eine korrekte Bewerbung schreiben könnten, wie oft gesagt wird, das liege mit Sicherheit eher an anderen schulischen Defiziten und nicht an der Rechtschreibreform.

„Von mir aus hätte die Reform nicht kommen müssen“, ist die Meinung des noch amtierenden Schuldezernenten der Stadt Pirmasens, Dr. Fritz Schäfer. „So nötig wie ein Kropp am Hals“, findet er diese. Doch die jetzige Diskussion führe zur Verunsicherung und werde auf dem Rücken der Schüler ausgetragen. Wichtig sei, dass man sich auf eine Schreibweise einigt, sagt Schäfer, der auch daran erinnert, dass die Diskussion in Deutschland auch Auswirkungen in Österreich und der Schweiz habe.

Eine große Verunsicherung befürchtet auch Katja Hettesheimer, Geschäftsführerin der Buchhandlung Gondrom, durch die aktuelle Diskussion. Sie ist gegen eine Rückkehr zur alten Schreibung: „Nicht jetzt, nach sechs Jahren.“ Sie hält die Reform zwar für keine echte, aber man solle es nun so lassen, wie es ist.

Das Kippen der Reform wäre auch für die Buchhändler keine gute Sache, meint sie. „Neue Bücher, Rücknahme von alten, Chaos pur“, lautet ihre Einschätzung. Und sollten „Bild“, „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“ ihre Ankündigung wahr machen und sich an den alten Regeln orientieren – auch dies würde viele verunsichern. Man müsse sich einfach an die neue Rechtschreibung gewöhnen und dürfe die Reform nicht zurücknehmen.

„Die Verunsicherung wäre zu groß, eine Rücknahme der Reform können wir uns nicht leisten“, sagt die zukünftige Schuldezernentin Helga Knerr. Von der Reform, die Jahrzehnte lang beraten wurde, hatte sie sich mehr erwartet, sagt die Deutschlehrerin.

Die Einführung einer gemäßigten Kleinschreibung zum Beispiel. Wobei ihr eine staatlich verordnete Reform nicht ganz einsichtig ist. „Seit 1901 läuft doch eine ständige Reform der Sprache durch die Dudenredaktion“, sagt sie, die Veränderungen aufgreife und festschreibe. Doch die Rechtschreibreform habe auch viele gute Seiten. „Es wurde vieles systematisiert“, das erleichtere den Umgang mit der Sprache vor allem Schülern, die nicht so sprachbegabt seien.

1854 Die Gebrüder Grimm veröffentlichen den ersten Band ihres „Deutschen Wörterbuchs“.

1872 Konrad Duden veröffentlicht „Die deutsche Rechtschreibung“. Er will eine vereinfachte Schriftsprache mit durchgängigen Regeln.

1876 Die „I. Orthographische Konferenz“ beschließt neue Regeln – t statt th, ss nach kurzem Vokal, Eindeutschung von Lehnwörtern. Nach Protesten nicht umgesetzt.

1879 In Österreich wird nach kurzem Vokal die ss-Schreibung statt ß eingeführt.

1880 Duden veröffentlicht sein „Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache“. Bismarck lehnt es ab.

1901 Die „II. orthographische Konferenz“ beschließt „Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis“, die durch den „Duden“ Anerkennung finden. Die Regeln sind weniger radikal als die von 1876, allerdings wird die ss-Schreibung abgelehnt und in Österreich wieder abgeschafft.

1903 Die 1901 beschlossenen Orthographie wird am 1. Januar in den Behörden, am 1. April für die Schulen des deutschen Reiches verbindlich.

1941 setzt Reichserziehungsminister Rust eine Orthographiekommission ein. Deren Vorschläge sehen unter anderem vor: Eindeutschung von Fremdwörtern, vermehrte Groß- und Auseinanderschreibung, höchstens zwei gleiche Konsonanten nacheinander, Trennung nach Sprechsilben, kein Komma vor „und“ und „oder“, auch nicht vor Hauptsätzen.

1944 Die „Kleine Rustsche Reform“, die in vielen Details der Reform von 1996 gleicht, wird angesichts der sich abzeichnenden Kriegslage am 24. August von Hitler gestoppt.

1946 In der Sowjetischen Besatzungszone werden „Vorschläge des Vorausschusses zur Bearbeitung der Frage der Rechtschreibung bei der deutschen Verwaltung für Volksbildung“ vorgelegt.

1950 Die Kultusministerkonferenz der BRD befasst sich erstmals mit Reformplänen.

1955 Die Kultusminister erklären die 1901 festgelegten Regeln weiterhin für gültig. Im Zweifelsfall sind die Schreibungen im Duden verbindlich.

1977 Die „Kommission für Rechtschreibfragen“ wird am Mannheimer „Institut für deutsche Sprache“ (IdS) gegründet. Schriftsteller, Lehrer oder Journalisten sind nicht vertreten.

1982 Eine Kommission zur Rechtschreibreform aus der BRD und DDR, der Schweiz und Österreich beschließt eine gemäßigte Kleinschreibung, die aber an Protesten scheitert.

1984 Erneuter Reformansatz der Kultusministerkonferenz; ein internationales Gespräch findet 1986 in Wien statt.

1988 Ein erster „IdS“-Entwurf stößt auf breiten Protest stößt.

1994 Vertreter der Kultus- und Innenministerien Österreichs, der Schweiz und der Bundesrepublik einigen sich mit Sprachwissenschaftlern aller drei Staaten auf einen gemeinsamen Entwurf. Durch Berater sind auch Belgien, Dänemark, Italien (Südtirol), Liechtenstein, Luxemburg, Rumänien und Ungarn beteiligt.

1996 Eine gemeinsame Absichtserklärung zur Schreibreform wird im Juli durch die zuständigen Stellen Belgiens, Deutschlands, Italiens, Liechtensteins, Österreichs und der Schweiz in Wien unterzeichnet. Im August führen zehn Bundesländer die neuen Regeln an den Schulen bereits zwei Jahre vor dem vereinbarten Inkrafttreten ein.

1998 Am 1. August wird die Rechtschreibreform offiziell an Schulen eingeführt; bis 31. Juli 2005 gilt eine Übergangsfrist, bis dahin gelten die bisherigen Schreibweisen nicht als falsch, sondern als "überholt“.

Pirmasenser Zeitung vom 11.08.2004
Copyright 1996-2004 Pirmasenser Zeitung

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