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eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.04.2019 um 05.27

Viele insektenfressende Vögel sterben

• Vor 25 Jahren gab es in Europa deutlich mehr Vögel, die von Insekten leben.
• Neben dem Insektensterben sind die Gründe dafür der Klimawandel und die Folgen der industriellen Landwirtschaft.
• Den Vögeln helfen können laut Experten eine veränderte Agrarpolitik, die Förderung des Ökolandbaus - und Konsumenten, die mehr für Lebensmittel zahlen.

Ob Bachstelze, Kiebitz oder Rauchschwalbe: Die Zahl der insektenfressenden Vögel ist in den vergangenen 25 Jahren europaweit deutlich zurückgegangen. Durchschnittlich um 13 Prozent sank die Zahl dieser Vögel einer im Fachjournal Conservation Biology veröffentlichten Studie zufolge.
Die Wissenschaftler des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung führen diese Entwicklung nicht allein auf das Insektensterben, sondern auch auf landschaftliche Veränderungen zurück. "Es ist wahrscheinlich eine Mischung aus vielem: Verlust von Insekten und damit Nahrungsmangel, Verlust von Hecken und damit Brutplätzen, Flächenversiegelung", sagte Senckenberg-Forscherin Katrin Böhning-Gaese zu den möglichen Ursachen des Schwunds und der Rolle der modernen Landwirtschaft.

Bei den insektenfressenden Ackerland-Vögeln sei der Rückgang sehr viel stärker als bei den insektenfressenden Waldvögeln. Neben dem starken Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gingen mit dem Trend zu großflächig angebauten Monokulturen immer mehr Hecken, Ackerränder und Brachen verloren; viele Wiesen und Weiden würden in Ackerland umgewandelt. Dadurch würde es für die Insektenfresser schwerer, Nahrung sowie Brutplätze zu finden. Kälteliebende Arten gerieten zusätzlich durch den Klimawandel unter Druck...

sueddeutsche.de 31.3.2019 [Blau: lt. 96er-Reform getrennt zu schreiben!]

Als erstes wird, natürlich, der Klimawandel genannt. Dabei hieß es sonst immer, harte Winter verrringerten die Zahl der überlebenden Schädlingsinsekten. Es müßte den Insektenfressern also mehr Nahrung zur Verfügung stehen. Vor zehn Jahren bewunderte meine Tochter die vielen Schmetterlinge, die sich im Garten auf dem verfaulenden Fallobst niedergelassen hatten. Heute muß ich froh sein, wenn ich auf meinen Wanderungen durch die Landschaft noch einzelne sehe.

Wie anders war es in den 50er Jahren! Damals lebte ich an der Ostsee. In einem Jahr gab es Schwärme von Marienkäfern. Sie wurden vom Wind über die See getrieben und dann wieder an den Strand gespült. Vorher hatte es Kartoffelkäfer gegeben. Die Schulkinder mußten sie auf den Kartoffeläckern einsammeln. Kohlweißlingsraupen bedeckten die Kohlköpfe. Dann gab es Maikäferjahre. Auf meinem 2km-Schulweg wurde ich umschwirrt und mußte aufpassen, daß ich nicht auf die abgestürzten Krabbeltiere trete.

In einem Jahr wurde der Strand mit angespülten Quallen übersät. Sie trockneten bis auf eine dünne Schicht ein. Im nächsten Jahr waren es Seesterne, die am Strand ganze Bänke bildeten, dann wieder brachte der Sturm Seetang. Im Steilufer nisteten Kolonien von braunen Uferschwalben. Sie segelten in Schwärmen über den Strand, um die auch dort zahlreichen Fliegen und Mücken aufzuschnappen.

Vom nahen Moor gab es im Frühjahr eine Invasion von jungen Fröschen. Das freute die Störche. In den ersten Jahren konnte ich von meinem Fenster aus ihr Familienleben im Nest auf der Nachbarscheune miterleben, vor allem die Atzung der Jungen. Es gab allerdings auch verregnete Sommer, in denen die Rauchschwalben, die ihr Nest in unserem Hausflur hatten, nicht genug Insekten fanden und ihre verhungerten Jungen aus dem Nest werfen mußten.

Das war eben Natur. Aber die verdrängt und vergiftet heute die Landwirtschaftsindustrie. Einen Zusammenhang mit dem Klima kann ich kaum finden.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.03.2018 um 08.22

... und die Mainstreampresse distanziert sich mit – die Süddeutsche noch mit leichter Distanz:

9. März 2018, 18:25 Uhr
Uwe Tellkamp
So dämonisiert man selbst Gartenzwerge
Kommentar von Jens Bisky


Gut 700 Menschen folgten am Donnerstagabend der Einladung des Dresdner Kulturhauptstadtbüros zu einer Diskussion über Meinungsfreiheit. Zwei Dresdner Dichter diskutierten, Uwe Tellkamp und Durs Grünbein...

Uwe Tellkamp, der seine Leser noch immer auf die Fortsetzung seines Erfolgsromans "Der Turm" aus dem Jahr 2008 warten lässt, gab sich als Mann starker Meinungen. 95 Prozent der Migranten, sagte er, wanderten in die Sozialsysteme ein, sie würden nicht vor Krieg und Verfolgung fliehen. Es gebe in Deutschland einen "Gesinnungskorridor" erwünschter und geduldeter Meinungen. Seine Ansichten seien nur geduldet. Würden sie geäußert, habe das Konsequenzen: "Die Autos, die abgefackelt werden, sind nicht auf der linken Seite." Anlass für die Diskussion war die "Charta 2017", die im vergangenen Jahr vor einer "Gesinnungsdiktatur" warnte. Nach den Handgreiflichkeiten auf der Frankfurter Buchmesse, nach den Protesten gegen den Antaios-Verlag hatte die verdiente Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen die auch von Tellkamp unterschriebene Charta initiiert...

Ein Leitmotiv Tellkamps war die Verachtung, die in vielen Kommentaren den Ostdeutschen, den Sachsen, den Dresdnern entgegenschlägt. Aber muss man sich davon zum Klischee-Ossi machen lassen? Es war der Part Durs Grünbeins, für eine angemessene, nicht alarmistische Beschreibung der Wirklichkeit [?] zu werben...

Dass der Suhrkamp-Verlag sich auf Twitter von seinem Autor distanziert hat, war überflüssig. Falsch ist es, dass Studenten und Beschäftigte der Literaturinstitute Hildesheim, Leipzig, Wien den Ausschluss "rechter Verlage" von der Buchmesse fordern...

sueddeutsche.de 9.3.2018
Denunziantisch schreibt dagegen schon die FAZ:
AfD-Sympathisant Uwe Tellkamp:
Was tut man uns an?


• Von Stefan Locke , Dresden
• -Aktualisiert am 09.03.2018-15:18

In einer Podiumsdiskussion mit Durs Grünbein in Dresden überrascht Uwe Tellkamp durch rechtspopulistische Äußerungen. Götz Kubitschek springt ihm bei, der Suhrkamp-Verlag distanziert sich.

Es kommt vor, dass Gespräche aus dem Ruder laufen; aber was am Donnerstagabend im Dresdner Kulturpalast geschah, war wirklich bemerkenswert. Die Stadt, die sich unter Berufung auf ihre Debattenkultur als Kulturhauptstadt Europas 2025 bewirbt, hatte die Schriftsteller Durs Grünbein und Uwe Tellkamp eingeladen, beide aus Dresden, beide erfolgreich, beide bei Suhrkamp.
Es wäre in Ordnung gewesen, wenn Suhrkamp schon früher betont hätte, daß Autoren ihre eigene unabhängige Meinung vertreten. So aber entsteht anlaßbezogen der Eindruck staats- und mainstreamgefälliger Anbiederung und Förderung weicheieriger Grünbeinscher Konturlosigkeit. Tellkamp selbst kritisierte den Kampfbegriff „(rechts)populistisch“. Im übrigen erinnere ich mich nicht, daß die AfD als Partei überhaupt erwähnt wurde.

https://www.facebook.com/dresden2025/videos/214581359284665/

Früheres von Tellkamp hier und da. Tellkamps klassisch gedruckten Werke sind bei uns noch nicht ausreichend erfaßt.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 13.12.2016 um 18.55

[ Aus der Süddeutschen, Seite 2 des Artikels]

Schule "Ein gewisses Maß an Frontalunterricht ist laut Pisa-Studie effektiv"

Die aktuelle Pisa-Studie ergänzt dies: Schüler lernen demnach etwa besonders gut Naturwissenschaften, wenn ihre Lehrer besonders häufig wissenschaftliche Thesen erklären und belegen, also zum Beispiel die Fotosynthese erläutern und mit einem Versuch untermauern. Dies zeige mehr Erfolge als die "verfügbaren materiellen und personellen Ressourcen, einschließlich der Qualifikation der Lehrkräfte", sprich: als eine Sammlung teurer Mikroskope oder ein Lehrer mit Doktortitel.

Auch außerschulische Aktivitäten wie Wissenschafts-AGs oder Wettbewerbe brächten vergleichsweise wenig. Der gute Lehrervortrag vor der Klasse - das klingt nach alter Schule und das macht die Aussage brisant für die pädagogische Diskussion. "Ein gewisses Maß an Frontalunterricht ist laut Pisa-Studie effektiv", sagt Matthias Rumpf, der Berliner Sprecher der OECD. Ein Unterricht anhand der Fragen der Schüler oder Gruppenarbeit, beides steht nicht so gut da. Schulsysteme, in denen die Jugendlichen mehr Zeit mit "Hausaufgaben, Zusatzunterricht oder selbstständigem Lernen verbringen" schnitten tendenziell schlechter ab, heißt es in der Präsentation der Pisa-Ergebnisse.

Man kann es so zusammenfassen: Gut ist ein Lehrer, der klar durch den Unterricht führt, der gut erklären kann und wenig auf Hausaufgaben oder Selbststudium setzt. Reicht das? Hans Anand Pant hat da noch einige Ergänzungen zu bieten. Der Berliner Professor leitet auch die Deutsche Schulakademie, welche Praktiker, nämlich die Preisträger des Deutschen Schulpreises, mit Forschern zusammenbringt. Auch für Pant ist gute Leistung das oberste Unterrichtsziel, aber: "Die Schüler müssen angstfrei lernen können, das ist der Schlüssel." Ein weiterer Punkt sei, sie zu beteiligen, "von der Gestaltung des Schulhauses bis hin zum Feedback an Lehrer"...

[Ergänzend:]
"Dieses Ranglistensystem halte ich für absurd"
Der Soziologe Heinz-Dieter Meyer kritisiert die Pisa-Studie als "eine Menge heiße Luft". Er hält die gesamte Erhebung sogar für gefährlich. Interview von Matthias Kohlmaier

sueddeutsche.de 11.12.2016


eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.05.2016 um 04.33

"Der Tod hat mich immer begleitet"

Der Musiker Heinz-Rudolf Kunze über seinen Hang zur Schwermut, das Ende der Rockmusik, seinen SPD-Austritt - und Helene Fischer.

Von Hans von der Hagen und Lars Langenau, Wedemark

Ein sehr ruhiger Vorort von Hannover. Ziegelsteinbauten, Fichten und Zäune. Alles sehr bodenständig. Heinz-Rudolf Kunze bittet direkt nach oben in sein Arbeitszimmer. Das, was er Arbeitszimmer nennt und ab und an auch als seine Seifenblase bezeichnet, ist ein gewaltiger Raum unter dem Dach, gefüllt mit Büchern, Tasteninstrumenten aller Art, possierlichen Schleichfiguren und: Zinnsoldaten. Schon als Kind habe er gerne mit Plastiksoldaten gespielt, erzählt Kunze. Und mit jenen, die er von seiner Großmutter aus der DDR geschenkt bekam - NVA-Kämpfer aus Ton.

Neben seinen Soldaten hat Kunze aber auch eine Waffe ganz anderer Art: das Wort. "Als ich damals zum ersten Mal ins Studio ging, hatte ich schon die Texte für ein viertes Album in der Tasche", sagt er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Und er sei mit den Jahren noch viel schneller geworden: "Heute könnte ich potenziell zehn Alben pro Jahr machen."

Die Sprache ist ihm so wichtig, dass er nach vielen Jahren der Mitgliedschaft die SPD verließ – wegen der Rechtschreibreform. "Ich hatte das Gefühl, mir vergiftet jemand das Trinkwasser", sagt Kunze. Die Reform fand er anmaßend. "Wem steht es zu, zu bestimmen, wie ich schreibe?"

"Der Tod hat mich immer begleitet"

Wenn Kunze über Geld spricht, fällt ihm als erstes ein, dass er davon heute weniger hat als früher. Er erzählt, wie ein bekannter Musikmanager reagierte, als er bei seinem ersten Vertragsabschluss frech das Gehalt eines Studienrates forderte - und bekam. Und er verrät, was er heute über den Erfolg seines Albums "Dein ist mein ganzes Herz" denkt. Denn es ist für viele ja die einzige Platte, die sie von Heinz-Rudolf Kunze kennen...

sueddeutsche.de 13.5.2016


eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.08.2015 um 07.17

Bissgurn

Die Volksetymologie hat sich schon manches Wort zurechtgebogen, man denke nur an den ständig zitierten Tollpatsch. Ein Leser hat ein ähnliches Exemplar aufgetan. Ein weiterer moniert eine zunehmende "Sogenanntitis" - nicht ganz zu Unrecht.

Von Hermann Unterstöger

DIE VOLKSETYMOLOGIE hat sich schon manches Wort zurechtgebogen, man denke nur an den zu Zeiten der Rechtschreibreform ständig zitierten Tollpatsch, der aus talpas, einem alten Necknamen für ungarische Infanteristen, hervorgegangen ist. Ähnlich seltsamer Herkunft ist die Bissgurn, die unser Leser Dr. W. kürzlich als Bissgurkn abgedruckt sah. Viele verstehen das Wort so, wie es die Nürnberger Zeitung einmal tat: "Das Wort könnte auf Hochdeutsch ,beißende Gurke' heißen." Könnte es nicht. Die vermeintliche Gurke ist nämlich ein Pferd, und zwar ein schlechtes Pferd, eine Gurre. Das wurde auf zänkische Frauen übertragen; eine Unterart von ihnen sind die Bissgurn.

ES GING ZWAR um ein Kohledeputat, aber da Deputate manchmal auch mit Essen zu tun haben, schlug dies voll durch: "Früher musste man die Kohlen mit dem ,Bello', dem großen Vorschlaghammer, klein machen, heute kommen sie in mundgerechten Stücken." Unser Leser Dr. S. dazu: "Guten Appetit!"

"SOGENANNTITIS." So lautet Leser W.s Diagnose für die Manie, nicht alltägliche Wörter dem Publikum dadurch schmackhaft zu machen, dass man ihnen das Täfelchen sogenannt umhängt: "sogenannte vertikale Absprachen", "der sogenannte Soldatenkaiser" und vieles mehr, dazu der Satz "Zwischen Signing und Closing befinden wir uns in einer sogenannten Quiet Period", der nicht von uns stammt, sondern zitiert wurde, dies freilich in entlarvender Absicht. Herr W. hält das Täfelchen für überflüssig. In der Tat: Wenn die vertikalen Absprachen vertikale Absprachen heißen, werden sie auch so genannt, und man muss sich nicht mit sogenannt von ihnen spöttisch distanzieren. Dazu ein rühmliches Beispiel. Als die DDR noch "sogenannte DDR" hieß, wurde ein Foto veröffentlicht, das man so deuten konnte, als habe Walter Ulbricht unter dem Tisch die Hand auf Ludwig Erhards Knie. Sprechblase über Erhard: "Walter, nimm sofort deine sogenannte Hand da weg!"

sueddeutsche.de 28.8.2015

Nochmal auf deutsch: „Bißgurn“. – Zu Unterstöger hier, von ihm selbst. Lesen und die Tragweite seines Eingeständnisses auf sich wirken zu lassen!


eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.08.2015 um 09.42

Thomas Steinfeld, der am 26.7. 2000 den Ausstieg der Frankfurter Allgemeinen aus dem Reformkartell der Zeitungsverlage fulminant vorbereitet hatte („Die Rechtschreibreform war das dümmste und überflüssigste Unternehmen in der deutschen Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg: ein gemeingefährlicher Akt.“), schreibt anläßlich des zehnjährigen Jubiläums der letztmaligen Inkraftsetzung der „Reform“ in der Süddeutschen u.a.:

Wir basteln uns unser Deutsch

Verlage und Autoren haben ihre eigenen Vorstellungen von richtiger Schreibweise, auch zehn Jahre nach der Reform gibt es keine einheitliche Schreibung. Und es gibt gute Gründe, warum sich das nicht ändern dürfte.

Von Thomas Steinfeld

Keiner redet mehr gern über die Rechtschreibung. Es soll "Frieden" herrschen. Aber es gibt diesen Frieden nur, weil man nach langen Jahren erbitterten Streits irgend etwas Verbindliches haben wollte, wenn es sein musste, auch ohne Grund. Diese Regel besteht für die meisten Verlage in der dritten Fassung der reformierten Rechtschreibung aus dem Jahr 2006, der Reform der Reform von 2005, so wie sie im Duden von 2011 dargestellt wird...

Nach dem Willen der Reformer sollte die Rechtschreibung einfacher werden. Das wurde sie nicht. Wenn es tatsächlich eine Wirkung der Rechtschreibreform gibt, so ist es diese: Sie hat die Unsicherheiten im Umgang mit der Schriftsprache ins Unendliche vergrößert...Viele deutsche Literaturverlage, also etwa Hanser oder Suhrkamp, benutzen zwar meistens eine Variante der neuen Rechtschreibung, respektieren aber den Wunsch mancher Autoren, weiter die alte Orthografie zu benutzen. So ist es bei Botho Strauß, bei Peter Handke, bei Martin Mosebach, bei Sibylle Lewitscharoff, und so war es bei Günter Grass. Bei Neuausgaben oder Wiederauflagen historischer Werke wird in der Regel an der Orthografie nur wenig - falls überhaupt - etwas verändert. Und weil der allergrößte Teil des gesamten Buchbestandes vor dem Jahr 2006 gedruckt wurde und zum Beispiel in Bibliotheken steht, ist der Variantenreichtum der deutschen Rechtschreibung groß - und macht keineswegs vor der Schule halt.

Den "Thunfisch" kann man auch "Tunfisch" schreiben, die "Thuja" aber nicht "Tuja"

Es liegt aber auch an der Reform selbst, dass die deutsche Rechtschreibung ein großer Zweifelsfall bleiben wird. Viele reformierte Schreibungen sind ungrammatisch oder unlogisch: Der "Stängel", der "Tollpatsch" oder das hässliche Wort "aufwändig" ...

Einen Fall aber gibt es, in dem ein großer deutscher Verlag - und ein Verlag zudem, der in deutschen Schulen sehr präsent ist - sich aus dem Gerangel der Revisionen und Alternativen verabschiedet hat, und zwar ohne dass es deshalb zu einem Aufschrei gekommen wäre: Der Reclam Verlag folgt schon seit mehreren Jahren weder dem Rat für deutsche Rechtschreibung noch den Empfehlungen des "Duden", sondern hat sich der "herkömmlichen" Orthografie angeschlossen, so wie sie von der Orthografischen Konferenz der Schweiz vorgeschlagen wird (mit Ausnahme von "ss" und "ß", wo es bei der reformierten Variante bleibt). Ihren Wörterlisten liegt die Rechtschreibung der Neuen Zürcher Zeitung zugrunde. Der "Duden", so der Reclam Verlag, sei ohnehin nie maßgeblich für die deutsche Rechtschreibung gewesen, weder institutionell noch inhaltlich.

sueddeutsche.de 31.7.2015


eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.06.2015 um 18.18

Nicolaus Fest:

Was fällt einem, der sich ein wenig für Politik interessiert, zu Frauke Petry ein, der AfD-Vizechefin? Dass sie im Streit mit Parteichef Bernd Lucke liegt, vier Kinder hat, mit einem Pfarrer verheiratet ist, gut mit Menschen kann, Klavier spielt und Chemie studiert hat.

Aus diesem einen Satz macht Jens Schneider in der SZ ein großes Portrait auf Seite Drei, ohne leider die einzigen Dinge zu belegen, die wirklich von Interesse wären: Woher kommt der auch von Schneider kolportierte Vorwurf, dass Petry eine „brutale Intrigantin“ und die „Gröbaz“ sei, die „größte Blenderin aller Zeiten“?

Worauf stützen sich diese – süddeutsch formuliert – Schmutzeleien, welche konkreten Anlässe sind gemeint? Nicht eine einzige Antwort, nur Heckenschützerei und denunziatorisches Nachbeten. Ist das die Qualität der ruhmreichen Seite Drei?

nicolaus-fest.de 3.6.2015

Wikipedia: Neben der Glosse Streiflicht oben auf der Titelseite ist die „Seite 3“
ein besonderes Merkmal der Süddeutschen Zeitung, in der eigenen Schreibweise DIE SEITE DREI.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 27.12.2014 um 11.23

Süddeutsche Zeitung 25. Dezember 2014, 10:17
Inselstaat Papua-Neuginea


25. Dezember 2014, 10:17
Inselstaat Papua-Neuginea
Man spricht Unserdeutsch

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Papua-Neuguinea besitzt eine üppige Natur und eine Sprachenvielfalt. Mehr als 800 Sprachen sind in dieser Region dokumentiert. (Foto: Imago Stock&People)

In Papua-Neuguinea gibt es Menschen, die ein Deutsch sprechen, das sonst nirgendwo zu hören ist. Es nennt sich Kreolsprache.
Der Augsburger Uni-Professor Péter Maitz hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Kreoldeutsche in dem Inselstaat vor dem Vergessen zu bewahren.
Aber die Sprache ist vom Aussterben bedroht - nur noch 100 Menschen sprechen das sogenannte Unserdeutsch.

Von Hans Kratzer, Augsburg
Das Interesse der Deutschen richtet sich auf viele Regionen dieser Erde, Papua-Neuguinea aber steht eher im Schatten der Aufmerksamkeit. Wir wissen wenig über diese Region, die immerhin zu den größten Inselstaaten der Welt zählt. Diese Gleichgültigkeit ist insofern erstaunlich, als ein Teil von Neuguinea vor einem guten Jahrhundert noch eine deutsche Kolonie war. Und tatsächlich sind dort interessante Relikte und Phänomene aus dieser Ära zu entdecken.

Zu den wenigen Deutschen, die in Papua-Neuguinea Erkundungen über die koloniale Vergangenheit anstellen, zählt der Germanist Péter Maitz von der Universität Augsburg, der erst vor Kurzem von einer Forschungsreise zurückgekehrt ist. Maitz hat in Papua-Neuguinea mit Einheimischen gesprochen, deren Muttersprache Deutsch ist. Das klingt kurios, aber ausgerechnet in diesem fernen Teil der Erde gibt es Menschen, die ein Deutsch sprechen, das sonst nirgendwo zu hören ist und Kreolsprache genannt wird.

Das Kreoldeutsche ist kurz davor auszusterben
Während das Englische und das Französische weltweit Hunderte Kreolsprachen hervorgebracht haben, musste das Deutsche diesbezüglich bisher passen. Bis eben eine Spur nach Papua-Neuguinea führte. Allerdings ist das dort entdeckte Kreoldeutsche kurz vor dem Aussterben. Es gibt nur noch hundert Sprecher, ungefähr. Umso größer war der Jubel an der Uni Augsburg, dass diese Sprache rechtzeitig entdeckt wurde, bevor sie endgültig erlischt.

Der australische Dozent Craig Volker war schon vor Jahrzehnten auf das Phänomen aufmerksam geworden. In einem Deutschkurs fiel ihm in den Siebzigerjahren eine dunkelhäutige Studentin auf, die ein etwas schräg klingendes Deutsch sprach. So sprächen die Menschen bei ihr zu Hause alle, erklärte sie ihm, ihre Sprache heiße Unserdeutsch. Craig Volker ahnte bereits, dass er es hier mit einer Kreolsprache zu tun hatte. 1982 machte er die wissenschaftliche Welt auf diese Sensation aufmerksam, indem er die Grundzüge der Sprachstruktur beschrieb.

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Péter Maitz (links) zusammen mit Joseph Schulze Hermann, einem der letzten Unserdeutsch-Sprecher in Papua-Neuguinea und Ost-Australien. (Foto: Péter Maitz)
"Die germanistische Fachwelt aber nahm das nicht zur Kenntnis, sie wollte damals lieber Theorie als anstrengende Feldforschung in den Tropen treiben", sagt Péter Maitz, der Inhaber des Augsburger Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft. Gemeinsam mit Craig Volker, der heute an der Divine Word University in Madang, Papua-Neuguinea forscht und lehrt, und unterstützt von seinem Augsburger Kollegen Werner König, machte sich Maitz daran, die Sprache Unserdeutsch vor dem Vergessen zu retten.

"Das Faszinierende ist, dass wir genau sagen können, wann und wo die Sprache entstanden ist", sagt Maitz. Als Ausgangspunkt lässt sich eine katholische Missionsstation in Vunapope lokalisieren (heute Provinz East New Britain, ehemals Neupommern im Bismarck-Archipel). Dort ist Unserdeutsch um die Zeit des Ersten Weltkriegs entstanden: Rabaul Creole German wird die Sprache in der Kreolistik genannt. Sie unterscheidet sich in der Grammatik und im Lautsystem zwar deutlich von der deutschen Standardsprache, ist aber trotzdem gut verständlich.

Das Fragepronomen steht zum Beispiel am Ende eines Satzes: "Du geht wo?" Maskulinum, Femininum und Neutrum sind nicht vorhanden, es gibt nur einen Artikel. Im Unserdeutschen sind Einflüsse vieler Kontaktsprachen nachzuweisen. Immerhin gibt es in Papua-Neuguinea bei gut sieben Millionen Einwohnern mehr als 800 Sprachen. Zwölf Prozent aller Sprachen weltweit können in Papua-Neuguinea lokalisiert werden.

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(Foto: SZ-Grafik)
"Das Verständnis für andere Kulturen fehlte komplett"
Mit den in der Missionsstation gefundenen Schulregistern und den biografischen Daten der Kinder lässt sich die damalige Entwicklung gut rekonstruieren. Zum einen wurden dort deutsche Kinder unterrichtet, aber auch Mischlingskinder von europäischen Vätern und einheimischen Müttern, die Unterrichtssprache war Deutsch. Gegen Ende der Kolonialzeit kamen auch chinesische, japanische und malaysische Kinder in die Mission, die ebenfalls Deutsch lernten. Die Kinder vereinfachten ihre Sprache, auch in der Absicht, von den Lehrern und Missionaren nicht verstanden zu werden. So bildeten sich neue Sprachnormen heraus, die wiederum ein Gemeinschaftsbewusstsein unter den Kindern entstehen ließen.

Leider scheint bei der Entstehung von Unserdeutsch auch das ganze Elend der damaligen Kolonisationspolitik durch. Die radikale Missionierung und der eurozentrische Zeitgeist verfolgten das Ziel, die einheimische Bevölkerung zu europäisieren und zu christianisieren. "Das Verständnis für andere Kulturen fehlte komplett", sagt Maitz. So ist die Entstehung der Sprache auch mit vielen traurigen Schicksalen verknüpft, mit Kindern, die den Familien entrissen oder aufgekauft wurden und im Waisenhaus der katholischen Missionsstation Vunapope ein neues Leben beginnen mussten.

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Die Missionsstation, an der Unserdeutsch vor gut einem Jahrhundert als eine Art Abgrenzungssprache der jungen Insassen entstanden ist. (Foto: Péter Maitz)
Für die heutige Wissenschaft aber sind die damaligen Vorgänge hochspannend. Rabaul Creole German nimmt eine Sonderstellung unter den Kreolsprachen ein. Die Ausburger Wissenschaftler wollen die akut vom Aussterben bedrohte Sprache nun dokumentieren, ihre Struktur systematisch beschreiben und ihre Entstehung und Geschichte rekonstruieren.

Maitz kennt mittlerweile die Namen von ungefähr hundert älteren Sprechern, die heute zerstreut auf verschiedenen Inseln Papua-Neuguineas und in Ost-Australien leben. Im September hat er sich dorthin aufgemacht, um mit den Sprechern Kontakt aufzunehmen und erste Sprachaufnahmen zu machen. Angesichts der bitteren Erfahrungen in der Vergangenheit ist die Kontaktaufnahme nicht immer einfach. "Viele haben ein hartes Schicksal hinter sich und sind misstrauisch", sagt Maitz. Gleichwohl hat er es geschafft, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Nun ist die Hilfsbereitschaft groß. Wenn die 60- und 70-Jährigen Unserdeutsch reden, sind zwar bereits Merkmale eines Sprachverlustes zu hören, "aber es reicht noch, um es zu dokumentieren. Ich bin sehr zuversichtlich", sagt Maitz.



eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.09.2014 um 20.11

Putin soll Europa massiv gedroht haben
Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach Darstellung des ukrainischen Staatschefs Petro Poroschenko Drohungen geäußert, die sich gegen Mitgliedsländer der Nato und der Europäischen Union richten.

Laut einer Gesprächszusammenfassung des Auswärtigen Dienstes der Europäischen Union, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, berichtete Poroschenko dem EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso am vergangenen Freitag während dessen Besuchs in Kiew von den Drohungen. Wörtlich habe Putin zu ihm, Poroschenko, gesagt: "[Bitte nicht diese falschen Unterstellungen.] Wenn ich wollte, könnten russische Truppen in zwei Tagen nicht nur in Kiew, sondern auch in Riga, Vilnius, Tallinn, Warschau oder Bukarest sein. [Jeder kann sehen, daß wir nichts dergleichen vorbereiten.]"

sueddeutsche.de 18.9.2014

Die Einschübe sind hinzuerfunden. Könnten nicht auch ähnliche Sätze der genannten „Gesprächszusammenfassung“ zum Opfer gefallen sein?


eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.07.2014 um 08.56

Burka-Verbot
Das Urteil ist ein Unglück

Hilft das Burka-Verbot des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unterdrückten Frauen?
Nein, es befördert eher Ressentiments.
Ein Kommentar von Heribert Prantl

Die Verschleierung der muslimischen Frau ist eine verstörende Angelegenheit. Noch verstörender aber ist ihre gewaltsame Entschleierung...
sueddeutsche.de 1.7.14

Noch verstörender als die gewaltsame Enthäutung von männlichen Neugeborenen? Heribert Prantl vor 20 Monaten:

Eigentlich war dieses Gesetz unnötig; aber es ist dann doch bitter notwendig geworden. Nur ein einzelnes Gericht, das Landgericht in Köln, war aus einer gefestigten Rechtsprechung ausgebrochen. Nur dies einzelne Gericht hatte die Beschneidung von Knaben für strafbar erklärt...
sueddeutsche.de 10.10.12


eingetragen von Sigmar Salzburg am 24.10.2013 um 09.46

24. Oktober 2013
50. Jahrestag des Grubenunglücks von Lengede
Hört, ein Wunder

... In riesigen Buchstaben produziert die Bild-Zeitung Titel wie: "Gott hat mitgeholfen".
sueddeutsche.de 24.10.2013

In meiner Erinnerung hieß der Titel „Gott hat mitgebohrt“.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.09.2013 um 16.27

Die Schüler von Trakt C2
Text: fiona-webersteinhaus - Fotos: Kathrin Sprik
...
Die JVA Vechta ist ein besonderes Gefängnis. Hier sitzen nur Männer, die bei der Verurteilung unter 25 waren, sogenannte Jungtäter. Die 330 Männer sind zu alt für den Jugendvollzug, aber noch so jung, dass sie mit einer Ausbildung oder mit einem Schulabschluss nach ihrer Entlassung auf dem Arbeitsmarkt eine reelle Chance haben. Der Schulabschluss im Knast ist also nicht nur ein Schulabschluss. Das Zeugnis kann ein Ausweg aus dem sich drehenden Kreisel der Straftaten sein. Die Gefangenen sollen darauf vorbereitet werden, in Zukunft straffrei zu leben ...

7.30 Uhr. Deutschunterricht. Jonas füllt einen Lückentext in Jungsschrift aus. Der 23-Jährige sitzt breitbeinig, mit Kapuzenpullover und Jogginghose, auf dem Stuhl. Seine blonden Haare trägt er wie Bushido ... Irina Luft, eine energische Lehrerin mit kurzen roten Haaren und Perlenkette, steht vor den neun Schülern im kleinen Klassenzimmer und schreibt Beispiele aus der Rechtschreibreform auf. Majonäse statt Mayonnaise, behände statt behende, dass statt daß. Es ist frontaler Auswendiglern-Unterricht, mit grüner Tafel und Kreide...

jetzt.sueddeutsche.de 23.9.2013


eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.09.2013 um 03.31

"Jungen verjubeln Zeit am Computer"
Computer sind schuld an der Lesefaulheit vieler Jungen, findet zumindest Buchautor Friedrich Denk.

[...]
Die deutsche Sprache ist seine Leidenschaft, für ihren Erhalt kämpft er: Friedrich Denk war einer der größten Kritiker der Rechtschreibreform. Jetzt hat der ehemalige Deutschlehrer ein Plädoyer fürs Lesen verfasst: "Wer liest, kommt weiter" (erschienen im Gütersloher Verlagshaus). Zum Interviewtermin in München brachte er Geschenke mit - wie sollte es anders sein, ausgewählte Bücher und Büchlein.
[...]

Spätestens die Schule soll alle Kinder zum Lesen bringen, doch sie erreicht oft das Gegenteil: Kinder können mit der Unterrichtslektüre nichts anfangen, sind überfordert.

Ja, wobei falsche Bücher nur ein Teil des Problems sind. Ich habe als Lehrer die Erfahrung gemacht, dass es auch noch in der Oberstufe Schüler gibt, die große Schwierigkeiten haben mit dem Lesen. Wer jedes Wort mühsam buchstabieren muss, hat natürlich keine Freude an der Lektüre. Das Problem geht aber viel tiefer, denn wer nicht richtig lesen kann, lernt schlechter. Lernen funktioniert vor allem über Nachahmung und Wiederholung. Beim Lesen ahmen wir sozusagen nach, was der Autor gedacht und geschrieben hat: Wir sehen die Buchstaben und Worte mit den Augen, sprechen sie innerlich nach, hören sie dabei und versuchen das Gelesene zu verstehen. Wir üben also beim Lesen gleichzeitig auf hohem Niveau Sehen, Sprechen, Hören und Denken. Vor allem Jungen haben aber zunehmend Probleme beim Lesen und Lernen - mit dem Ergebnis, dass schon heute 20 Prozent mehr Mädchen als Jungen Abitur machen.

Wie erklären Sie sich diesen Geschlechterunterschied?

Viele Jungen verjubeln Lesezeit am Computer. Natürlich sind auch Mädchen im Netz. Aber schaut man sich an, wer internetsüchtig, vor allem süchtig nach Online-Spielen ist, dann sind das fast nur männliche Jugendliche.
[...]

Apropos richtig schreiben: Sie waren einer der erbittertsten Gegner der Rechtschreibreform, wurden als "Rechtschreib-Rebell" betitelt. Heute hat sich die neue Schreibweise fast überall durchgesetzt - war Ihr Kampf also umsonst?

Keineswegs! Unser Protest war durchaus erfolgreich. Nahezu die gesamte Getrenntschreibung wurde zurückgenommen - niemand schreibt mehr "hoch begabt", "so genannt" oder "hier zu Lande" ¹. Auch andere unsinnige Veränderungen wurden stillschweigend zurückgenommen, zum Beispiel "er tut mir sehr Leid", "Leid" groß. Geblieben ist fast nur noch die ss-Schreibung nach kurzer Silbe - und eine allgemeine Verwirrung und Nachlässigkeit.
[...]

sueddeutsche.de 13.9.2013

¹) „so genannt“ ist noch des öfteren zu finden, aber schon ein Zeichen von Unkultur.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.06.2013 um 20.11

Literatur braucht Aufmerksamkeit
Wider die Abschaffung des Bachmann-Preises. Von Uwe Tellkamp


Den Plan, den Klagenfurter Bachmannpreis abzuschaffen, finde ich skandalös. Auf solche Ideen käme wohl kein maßgeblich beschäftigter Franzose. Das brüten deutschsprachige Bürokraten aus, eine Kaste, die mit einem Federstrich erreichte, was keinem Tyrannen gelang: Zerstörung der Sprache mittels deutscher Rechtschreibreform. Gesellschaft braucht Gedächtnis, Literatur ist Gedächtnis, in früheren Zeiten waren die Dichter das Gedächtnis ihres Volkes. […]

Mein Vorschlag ist: Kulturdenkmäler schaffen. Suhrkamp ist eines, Klagenfurts Bachmannwettbewerb ist eines, ein Verlag wie Hanser, Residenz und noch einige andere. Wenn es Steine gibt, für deren Erhalt jährlich Millionen aufgebracht werden, warum nicht für lebendige Institutionen? Suhrkamp als Kulturdenkmal, Klagenfurt ebenso. Warum nicht? (Das Geschrei wird groß sein. Und wenn schon, Denken ist nicht verboten, noch nicht.) Reden wir über Möglichkeitssinn, würde Robert Musil sagen, ein großer Sohn Klagenfurts.

sueddeutsche.de 26.5.2013

Tellkamps Stellungnahme zur „Reform“ auch hier.
Werke von Uwe Tellkamp:
Die Schwebebahn: Dresdner Erkundungen. 2010
Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land. 2008
Der Eisvogel. Roman. 2005
Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café. Roman. 2000


eingetragen von St. Wagner am 18.03.2013 um 16.24

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Lindenthal
Von Schavan bis Koch-Mehrin Politiker unter Plagiatsverdacht
Schavan kann gegen die Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf klagen.


Kurze Aktualisierung:

Zeitungsberichten zufolge hatte Frau Silvana Koch-Mehrin (FDP) gegen den Entzug ihres Doktortitels geklagt und nun den Prozeß vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe verloren bzw. das Gericht wies ihre Klage ab.
Die Uni Heidelberg hatte 125 Plagiate auf 80 Seiten gefunden.

(Auch Frau Schavan hatte angekündigt, gegen den Entzug ihres Doktortitels zu klagen, s.o.).


eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.02.2013 um 14.38

Das Grauen des Merkel'schen Vertrauens

Kanzlerin Merkel hat ihrer Bildungsministerin in der Plagiatsaffäre ihr "volles Vertrauen" ausgesprochen. Das hat noch keiner politisch überlebt. Mal sehen, wie lange Annette Schavan noch durchhält.

Annette Schavan hat jetzt 18,75 Tage Zeit für ihren Rücktritt. Also durchschnittlich. Aber weil Statistiken lügen, kann es auch morgen schon passieren, wenn sie von ihrer Reise aus Südafrika zurückkehrt. Dann wären es zwei Tage. Zwei Tage von dem Moment an, in dem Kanzlerin Angela Merkel ihrer angeschlagenen Ministerin ihr "volles Vertrauen" ausspricht. Das ist ja so etwas wie der politische Todesstoß der Kanzlerin.

Minister Franz Josef Jung war der Erste, den das "volle Vertrauen" der Kanzlerin getroffen hat. In der Kundus-Affäre sprach sie ihm selbiges am 26. November 2009 aus. Jung hatte es nicht besser wissen können. Am nächsten Tag trat er zurück. Er wirkte ganz überrascht damals.

Etwas mehr Zeit bekam Karl-Theodor zu Guttenberg. Wegen der offensichtlichen Plagiate in seiner Dissertation kaum noch zu halten, brachte Merkel ihn am 17. Februar 2011 mit ihrem "vollen Vertrauen" zur Strecke. Er wand sich zwölf Tage. Am 1. März 2011 war es vorbei: Rücktritt.

Merkel muss die Höchststrafe sehr schwer_ gefallen sein

Am längsten kämpfte Bundespräsident Christian Wulff. Vorbei war es ja schon, als Merkel ihm am 19. Dezember ihr "volles Vertrauen" aussprach. Wulff aber zeigte sich erstaunlich zäh. Erst am 17. Februar 2012 gab er auf - 60 Tage nach "v. V.", ein einsamer Rekord.

Norbert Röttgen dagegen hat sich von Merkel ein wenig in die Irre führen lassen. Der hätte wohl etwas geahnt, wenn sie auch ihm ihr "vollstes Vertrauen" ausgesprochen hätte. Doof ist er ja nicht. Als Röttgen vergangenes Jahr in Nordrhein-Westfalen die Wahl infolge seiner maßlosen Selbstüberschätzung verlor, da sprach die Kanzlerin am nächsten Tag nur von der nötigen "Kontinuität im Amt" des Bundesumweltministers. Das war natürlich ein Scherz. Gemeint war, der Norbert habe ihr "vollstes Vertrauen". Lustig fand Röttgen das nicht und wollte auch nicht freiwillig gehen. Zwei Tage später schmiss Merkel ihn einfach raus.

Annette Schavan hat am Mittwoch das "volle Vertrauen" der Kanzlerin abbekommen. Höchststrafe. Merkel muss das sehr schwer_gefallen sein. Sie ist mit Schavan ja durchaus freundschaftlich verbunden. So etwas Schlimmes hat sie noch nie zu Schavan sagen müssen. Aber: Jetzt ist es passiert. Mal sehen, wie lange Schavan jetzt noch durchhält. Sie scheint entschlossen, im Amt bleiben zu wollen. Nun ja, Frau Schavan, das waren andere auch.

sueddeutsche.de 7.2.2013


eingetragen von Norbert Lindenthal am 05.02.2013 um 20.04

Süddeutsche Zeitung 5. Februar 2013 20:45

Plagiatsverdacht gegen Bundesbildungsministerin

Uni Düsseldorf entzieht Schavan den Doktortitel

Weitreichende Entscheidung der Universität Düsseldorf: Nach stundenlangen Beratungen hat der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der CDU-Politikerin Annette Schavan den Doktorgrad aberkannt. Nun hat Deutschlands Bildungsministerin keinen akademischen Abschluss mehr.

Die Universität Düsseldorf entzieht Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) den Doktortitel. Der zuständige Fakultätsrat habe im Plagiatsverfahren für die Aberkennung gestimmt, teilte der Ratsvorsitzende, Professor Bruno Bleckmann, mit.

Das Gremium mit 15 stimmberechtigten Mitgliedern entschied, Schavan aufgrund gravierender Mängel in ihrer Dissertation den vor 33 Jahren erworbenen Titel zu entziehen. Der Rat habe es als erwiesen angesehen, dass Schavan "systematisch und vorsätzlich über ihre Dissertation verteilt" gedankliche Leistungen vorgegeben habe, die sie nicht selbst erbracht habe. Allerdings war das Votum nicht einstimmig: Für die Aberkennung des Doktortitels plädierten zwölf Mitglieder, es gab zwei Nein-Stimmen und eine Enthaltung.




[Bilder]
Von Schavan bis Koch-Mehrin Politiker unter Plagiatsverdacht
Schavan kann gegen die Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf klagen.

Die Kritik an der Dissertation der Ministerin war erstmals im April 2012 im Internet aufgetaucht. Schavan wird unkorrektes Zitieren und die Verschleierung geistigen Eigentums vorgeworfen. Die Tragweite der angeblichen Zitierfehler ist unter Wissenschaftlern umstritten.

Die Promotion war seinerzeit Schavans erster Studienabschluss, was 1980 noch möglich war. Durch die Aberkennung des Doktortitels hat die Bundesbildungsministerin keinen Hochschulabschluss.

Die Ministerin hält sich derzeit zu einer fünftägigen Reise in Südafrika auf, wo sie politische Gespräche über berufliche Bildung und Wissenschaftskooperation führt. Schavan, eine enge Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), räumte zuletzt Flüchtigkeitsfehler in ihrer Dissertation ein, wies den Vorwurf des Plagiats oder der Täuschung aber zurück.

Mehr in Kürze bei Süddeutsche.de
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Norbert Lindenthal


eingetragen von Sigmar Salzburg am 17.01.2013 um 08.59

Kultur
Die Deutschen, Israel und Rom

Der Tel Aviver Althistoriker Zvi Yavetz sprach ein wundervolles, leicht altmodisches, recht konkretes, reiches Deutsch. Er konnte bezaubernd erzählen von seiner Heimat Czernowitz, von den Juden, die dort im Osten des alten Habsburgerreichs gelebt hatten.

Jiddisch sprach er mit den Spielgefährten, hebräisch in der Synagoge, Deutsch nannte er seine Muttersprache. Sie war es in besonderem Sinn. Noch 'in jenen Tagen, während wir täglich in Lebensgefahr schwebten und als jüdischen Kindern der Schulbesuch verboten war, achtete meine Mutter streng darauf, daß ich jeden Tag einen Abschnitt deutsche Literatur las und ein Diktat schrieb, damit ich die Rechtschreibung nicht vergäße'. Das war 1941, er war 16 Jahre alt, die Mutter kam bald darauf im Ghetto um.

Glücklicherweise gelang ihm die Flucht, auf einem teuer erstandenen Schiff über die Donau ins Schwarze Meer…

Christian Meier

sueddeutsche.de 14.1.2013

Christian Meier, Althistoriker und vehementer Gegner der „Rechtschreibreform“, durfte ein „daß“ nur im Zitat unterbringen, um seinen Nachruf nicht neuschreibverstümmeln zu lassen. Die „Biographien“ hat es dann doch erwischt. Man tut eben alles, um die traditionelle Schreibkultur vergessen zu machen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.12.2012 um 12.35

Ethik - das bayerische Desasterfach

Von Martina Scherf

Immer mehr Schüler belegen das Fach Ethik. Aber weil in Bayern der Religionsunterrricht noch als die Regel gilt, erhalten Lehrer dafür nur eine völlig unzureichende Ausbildung. Alle Versuche, den Zustand zu verbessern, scheiterten bislang am Desinteresse des Kultusministeriums.

Vor 40 Jahren wurde der Ethikunterricht in Bayern eingeführt - notgedrungen, denn immer mehr Schülerinnen und Schüler meldeten sich vom Religionsunterricht ab. Und für sie, so lautet der Auftrag der bayerischen Verfassung seit 1946, Artikel 137 Absatz 2, "ist ein Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit einzurichten".

Seither nimmt die Zahl dieser Schüler jedes Jahr zu. Doch das Kultusministerium behandelt die Ethik bis heute nur als Ersatz: Lehrer können sie lediglich als Drittfach belegen, ohne ordentliches Studium, wie es für alle anderen Disziplinen verlangt wird. Und 95 Prozent der Lehrer haben nicht einmal diese Voraussetzung: Sie unterrichten fachfremd. Ein Misstand, der für wachsenden Unmut sorgt…

Von 1240 Gymnasiallehrern, die Ethik unterrichten, haben aber nur 40 die Lehramtsprüfung abgelegt. In der Realschule sind es fünf von 500, hat Irina Spiegel recherchiert. Sie ist Koordinatorin der Lehramtsstudiengänge Ethik an der philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Spiegel bemüht sich, mit einer befristeten halben Stelle, die Ausbildung voranzubringen.

Bis vor kurzem war damit ein als erzkonservativ bekannter Privatdozent der Theologie [!] vom Kultusministerium beauftragt, der Wochenend-Kurse in Bad Wörishofen anbot und überraschend verstarb…

Dass die Ethik in Bayern noch immer im Schatten der Religion steht, diese Haltung finden nicht einmal mehr alle Kirchenleute für opportun. "Kardinal Marx und die Mehrheit der Bischofskonferenz hat sich dafür ausgesprochen, das Fach als wichtige Ergänzung, nicht als Konkurrenz zu bewerten", berichtet Schröer. Nicht aber das Kultusministerium.

Obwohl seit 1998 ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt, das Ethikunterricht allen anderen Unterrichtsfächern gleichstellt¹, hält sich Bayern, im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern nicht daran. Im Gegenteil: In den "Grundlagen des Religionsunterrichts und der religiösen Erziehung" heißt es als Hinweis für die Schulleiter: "Bei Elterninformationen ist der Eindruck zu vermeiden, dass Religionslehrer und Ethik zur Wahl gestellt sind."

Und während Jugendliche schon mit 14 Jahren über ihre Religionszugehörigkeit entscheiden dürfen, steht ihnen das Recht zur Abmeldung vom Religionsunterricht erst mit der Volljährigkeit zu. "Ein Widerspruch, der beweist, dass das Fach nicht als gleichwertig angesehen wird", meint Irina Spiegel…

Minister Ludwig Spaenle hat das Thema Ethikunterricht offenbar gar nicht auf der Tagesordnung. Man habe allgemein über die Frage, wer sich der Ethiklehrerausbildung annehmen könnte, gesprochen, sagt er. Seine Teilnahme an einer Veranstaltung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung vor drei Wochen mit dem Thema "Vom Ersatzfach zum Konkurrenten - 40 Jahre Ethikunterricht in Bayern", hatte Spaenle zurückgezogen. Aus rein terminlichen Gründen, wie er betont. Mit den Details sei er gar nicht befasst worden.

sueddeutsche.de 7.10.2012

¹) Siehe meinen Erfahrungsbericht aus Schleswig-Holstein.
Die gegenwärtige Lage zeigt die Elterninitiative ProPER
.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 23.11.2012 um 20.36

… suchen wieder Dumme zum Mitmachen beim Multiple-Scheiß-Spiel.
Es dient natürlich nur der Schleichwerbung:


Rechtschreib-Quiz
Wie schreibt man eigentlich...

Gebirge oder Gebierge? Konifere oder Konnyphäre? Immobilie oder Imobilie? Die deutsche Sprache stellt selbst Muttersprachler immer wieder vor Rätsel. Wie gut sind Ihre Orthografie-Kenntnisse? Machen Sie den Test!

quiz.sueddeutsche.de

Zwei Drittel dessen, was die Dudens als Deutsch ausgeben, verdient eine solche Bezeichnung nicht.
Muß ein chaplinesker Deutscher, der beim Italiener einen eßbaren Hausschuh bestellt, ihn Ciabatta schreiben können?
Oxygenbar oder eßbar, das ist hier nicht die Frage, sondern ebenso falsch wie englische Hobbies.
Auf dieses Quiz kann man mit Zeitgewinn gut verzichten.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.09.2012 um 13.02

In Teheran versuchten Hunderte Islamisten am Donnerstag, Frankreichs Botschaft zu stürmen.

Süddeutsche.de19.9.2012

Wieso Islamisten? Das dürften doch ganz gewöhnliche gewaltbereite Gläubige gewesen sein – wie vor genau siebzehn Jahren in Deutschland anläßlich des Kruzifixurteils von 1995:

Nach dieser Sprachregelung wären es also „nur“ Katholizisten wie der CSU-Landtagsabgeordnete Sepp Ranner gewesen, die die Verfassungsrichter bedrohten und sie aufforderten, doch eigenhändig die Kreuze in den Schulen zu entfernen: „Wir Bauern werden sie jedenfalls gebührend mit Dreschflegeln erwarten.“ Zugleich hielten christliche Mullahs und Politiker vor 30000 Demonstranten auf dem Münchener Odeonsplatz aufputschende Reden.


Deswegen hatte auch der Minister Zehetmair keine Zeit, den anlaufenden Unfug „Rechtschreibreform“ rechtzeitig zu begreifen. So konnte das Kruzifix-Urteil in Bayern geschickt verwässert werden, während die „Reform“ ihren Lauf nahm.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 15.08.2012 um 09.22

Volksfest der Rechtschreibung

Den Bavariaring entlanglaufen und sehen: Die Zelte stehen schon! 42 Tage sind es noch, dann beginnt das großartigste Volksfest der Welt, dann gibt es wieder Kampftrinker und Busenblitzer, 'Sierra Madre' und 'Über den Wolken', den Himmel der Bayern und ein paar Preißn, japanische, die am Rand stehen und es nicht fassen können. Neben allem anderen aber gibt es ein besonderes Vergnügen für orthografisch geschulte Menschen: die Bemühungen der Anschreibtafelbeauftragten, ihr jeweiliges Angebot einigermaßen korrekt weiß auf schwarz anzupreisen. Ehrlich gesagt: Es geht sehr oft ziemlich schief.

Der mittlerweile altbekannte Deppen-Apostroph holt dabei schon lange niemanden mehr hinter dem Ofen hervor, wenn er nicht in einer völlig neuen, kreativen Form verwurstet wird: Die Rind's Roulade wurde wirklich und tatsächlich einmal gesichtet, sie ignoriert so viele Regeln der deutschen Sprache auf einmal, dass sie in eine einzige Roulade schon gar nicht mehr passen. Wir warten gespannt, ob sich heuer ein Leb' Kuchen oder sogar ein Herzer'l auf die Wiesn traut, auch das Magen' Brot fände sicher seine Anhänger. Schöner jedoch sind jene Fälle, in denen sich der Beschriftungsdezernent an die Regel hält, man solle schreiben, wie man spricht - das Kartoffelbire entstammt diesem Bemühen ebenso wie der Semmeknödl, letzterer zugleich das valentinsche Pluralproblem auf souveräne Art lösend.

Viele solch herrlicher Rechtschreibfehler wird es auf der Wiesn wieder zu entdecken geben, am allerschönsten aber sind, ehrlich gesagt, jene, bei denen die Falschschreibung in einen Imperativ mündet, einen Befehl also, der dem Gast, dem Käufer diktatorisch vorschreibt, was er zu tun hat. Mit Kompott wär's nicht gegangen, aber so schon: Im vergangenen Jahr gab es an einem Stand neben dem Schottenhamel Reiberdatschi mit Apfelmuss.
sueddeutsche.de 10.8.2012
(Fettdruck hinzugefügt)

Apfelmuss könnte ein „Erfolg“ der Rechtschreibreform sein, denn „ss“ nach langem Vokal ist 180 km weiter südwestlich wieder richtig – nur eben bei „Apfelmus“ nicht.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.07.2012 um 08.17

eulen|spiegel schreibt BVG?
Raffen das echt nur die wenigsten, daß dieses Gericht BVerfG heißt?
25.07.2012 um 20:12 Uhr

tigurinus schreibt @ eulen|spiegel : Raffen Sie es eigentlich nicht,
dass man seit der Rechtschreibreform von 1996 nicht mehr "daß", sondern "dass" schreibt!?
25.07.2012 um 21:06 Uhr

seiglfreid schreibt @tigurinus schreibt @ eulen|spiegel : Raffen Sie es eigentlich nicht, dass man seit der Rechtschreibreform von 1996 nicht mehr "daß", sondern "dass" schreibt!? "
"Habe Sie koi andre Sorge?" Theodor Heuss!
25.07.2012 um 21:33 Uhr

Süddeutsche.de Kommentare


eingetragen von Norbert Lindenthal am 25.07.2012 um 09.54

Entscheidung am Bundesverfassungsgericht
Karlsruher Richter erklären Wahlrecht für verfassungswidrig
Süddeutsche.de 25.07.2012, 11:16

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat das erst 2011 beschlossene Bundestags-Wahlrecht gekippt. Das Gesetz muss nun noch vor der Wahl im kommenden Jahr geändert werden. Die Richter sähen "keine Möglichkeit, den verfassungswidrigen Zustand erneut für eine Übergangszeit zu akzeptieren", stellte Gerichtspräsident Voßkuhle klar.


Die Geduld der Karlsruher Richter ist am Ende: Das neue Wahlrecht für Bundestagswahlen ist verfassungswidrig und muss umgehend reformiert werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Richter erklärten zentrale Bestimmungen zur Verteilung der Abgeordnetensitze für unwirksam. Damit gibt es derzeit kein wirksames Recht für die Sitzverteilung bei Bundestagswahlen.

Das seit Dezember 2011 geltende neue Verfahren der Sitzverteilung für den Bundestag verstoße gegen die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie gegen die Chancengleichheit der Parteien, urteilten die Richter.

Die Richter beanstandeten vor allem den Effekt des sogenannten negativen Stimmgewichts. Dieses kann zu dem paradoxen Effekt führen, dass Wähler der Partei, für die sie stimmen, im Ergebnis schaden. In diesem Zusammenhang erklärten sie die neu geregelte Verteilung der Bundestagsmandate auf die Bundesländer über die Wählerzahl für nichtig.

Zudem kritisierten die Richter, dass die bisherige Regelung zulasse, dass Überhangmandate in einem Umfang anfallen, "der den Grundcharakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl aufhebt". Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil Sitze zustehen.

Auch die sogenannte Reststimmenverwertung, mit der Rundungsverluste ausgeglichen werden sollen, wurde für nichtig erklärt.

Bei der Bundestagswahl 2009 gab es 24 Überhangmandate, die alle an die Union fielen. Das Verfassungsgericht setzte nun selbst eine "zulässige Höchstgrenze von etwa 15 Überhangmandaten".

Gericht besteht auf schnelle Änderungen

Der Zweite Senat gab mit seiner Entscheidung Verfassungsklagen der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen sowie von mehr als 3000 Bürgern statt. Damit fehlt die Rechtsgrundlage für die anstehende Bundestagswahl im Herbst 2013 (Az.: 2 BvE 9/11).



"Angesichts der Vorgeschichte des neuen Wahlrechts sieht der Senat keine Möglichkeit, den verfassungswidrigen Zustand erneut für eine Übergangszeit zu akzeptieren", sagte Verfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle.

Die Karlsruher Richter hatten das frühere Wahlrecht bereits 2008 für teilweise verfassungswidrig erklärt und innerhalb von drei Jahren eine Neuregelung verlangt. Das neue Wahlrecht war jedoch erst im Dezember 2011 in Kraft getreten, fünf Monate nach dem vorgegebenen Termin.

Die Regierungskoalition hatte die Gesetzesnovelle im Bundestag gegen den Willen der Opposition durchgesetzt, deren Vorschläge bei der Reform nicht zum Zuge kamen. Daraufhin klagten SPD und Grüne in Karlsruhe.

SPD spricht von Machtrecht

Die SPD freute sich über den Ausgang der Klage. Die schwarz-gelbe Koalition habe "die Quittung dafür bekommen, dass sie das Wahlrecht als Machtrecht missbraucht hat". Der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sprach in Berlin von einem "guten Tag für unsere Demokratie" und für die Bürger. "Die Koalition muss jetzt reden. Ein erneuter Alleingang ist nicht mehr möglich. Wir stehen für schnelle Gespräche bereit", fügte er hinzu. Die SPD habe bereits im vergangenen Jahr einen Vorschlag für ein verfassungskonformes Wahlrecht gemacht.

Die Regierungskoalition reagierte auf das Urteil mit einem unverzüglichen Gesprächsangebot an die Opposition. "Die Tür zu gemeinsamen Verhandlungen steht weit offen", erklärte der FDP-Wahlrechtsexperte Stefan Ruppert als Reaktion auf das Urteil. Nach seinen Worten wurde mit der Entscheidung in Karlsruhe Rechtssicherheit hergestellt.

"Das bewährte deutsche Wahlrecht bleibt in seinen Grundzügen erhalten", erklärte der FDP-Politiker. Die Änderungswünsche des Gerichts seien "technischer Natur und gut umsetzbar". Die FDP werde alles dafür tun, dass das neue Wahlrecht noch rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl verabschiedet werden wird.
__________________
Norbert Lindenthal


eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.07.2012 um 06.25

Neues Layout für die gedruckte SZ
Die gute Zeitung hat Zukunft

Von Kurt Kister
Die Print-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung sieht von diesem Montag an ein wenig anders aus als bisher. Das Layout ist klarer, lesbarer, aufgeräumter - und dennoch unverkennbar. Denn jede Reform muss zum besonderen Charakter der SZ passen.
[...]

Leserkommentare
E-Peter schreibt Neues Design ist ärgerlich
Kurt Kister schreibt in seiner Erklärung, "manchmal muss man Altbewährtes auch behutsam verändern, es den Zeitläufen anpassen, hie und da modernisieren".
Nein Herr Kister, MÜSSEN tut man das nicht! Warum nämlich hat es sich "altbewährt"? Warum darf sich das alte nicht weiter bewähren?

Auch nach wohlwollender Prüfung des neuen Gesichts komme ich zu dem Schluß: Dieser "Schriftwechsel" ist so unnötig und ärgerlich wie die unsägliche Rechtschreibreform!

Süddeutsche Zeitung 8.7.2012


eingetragen von Sigmar Salzburg am 09.07.2012 um 19.17

[SZ-Journalist ohne Sinn für Sprachulk]

Beim Betrachten dieses Bildes wissen wir gar nicht, worüber wir zuerst entsetzt sein sollen. Da wären zum einen die rüden Umgangsformen der beiden Herren, die ihre Handschellen offenbar auf dem Abendbrottisch vergessen haben und darum einschneidendere Maßnahmen ergreifen mussten. Da wäre außerdem die Generation Facebook, die den Like-Button bestimmt auch noch mit gefesselten Händen trifft, die Grundzüge der Orthografie aber erkennbar in die Tonne getreten hat. Ist der jungen Dame, als sie sich das T-Shirt übergestreift hat, denn gar nicht aufgefallen, dass sich hier zwei Buchstaben in gröbster Unordnung befinden? Dass sie nun Gefahr läuft, nicht mehr verstanden zu werden? Uns, die wir uns den Feinheiten der deutschen Rechtschreibung verpflichtet fühlen, wäre das jedenfalls nicht passiert …

sueddeutsche.de 9.7.2012


eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.06.2012 um 09.07

Deutsche Elite-Universitäten Geld für die Professoren - Frust für die Studenten

Es gibt Ruhm und Geld für jene Unis, die sich mit dem Titel "Elite" schmücken dürfen. Elf Hochschulen sind es neuerdings in Deutschland. Aber was nutzt es den Studenten? An sie denkt bei aller Exzellenz niemand…

Es ist keineswegs so, dass in Harvard oder Oxford die blanke Panik ausbricht, wenn in Kiel ein Forschungs-Cluster entsteht und in Bayreuth eine Doktorandenschmiede, wenn die Hochschulen in Aachen oder Heidelberg mit vielen Millionen Euro im Rücken die Flagge der "Elite-Universitäten" hissen…

Die größte Verlierergruppe stand aber bereits vorher fest: die Studenten.

Durch das Geld wird kein einziger Studienplatz geschaffen - was angesichts der doppelten Abiturjahrgänge, unter deren Last alle Hochschulen derzeit stöhnen, dringend nötig wäre. Es wird nirgends ein zusätzlicher Hörsaal gebaut, auch wenn vielerorts Studenten wegen Überfüllung von Vorlesungen auf Treppen kauern.

Und der Exzellenz-Topf gibt keinerlei Zuschüsse für Wohnheimplätze, …

Wenn über eine ohnehin mickrige Bafög-Erhöhung debattiert wird, kommt meist postwendend der Einwurf: kein Geld. Richtiger wäre: keine Priorität. …

sueddeutsche.de 16.6.2012


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.08.2011 um 05.45

Aktuell. Oder schon akktuell?
05.08.2011 05:30

Der Rechtschreib-Irrsinn geht munter weiter

Bisher durfte der Rat für deutsche Rechtschreibung weitere Änderungen der reformierten Schulorthographie nur vorschlagen. Amtlich gültig wurden sie durch Beschluss der Kultusminister. Zu Beginn des Jahres ist das Statut des Rates in diesem Punkt geändert worden: Der Rat darf 'kleinere Veränderungen des Wörterverzeichnisses' vornehmen und hat davon auch sogleich Gebrauch gemacht: Zwanzig Schreibvarianten sind teils gestrichen (unter anderem Butike, Fassette, Kabrio, Maffia, Scharm, Sketsch, transchieren und Schose), teils neu hinzugekommen (Caprice, Clementine, Crème und Schmand). Im neuen Rechtschreibwörterbuch von Bertelsmann, erstmals unter dem Titel 'Brockhaus Wahrig', sind die Änderungen schon durchgeführt; der Dudenverlag dagegen sieht wegen ihrer Geringfügigkeit keinen Grund, schon wieder neu zu drucken. Tatsächlich waren einige, aber eben nicht alle fraglichen Wörter schon im bisherigen Duden eingetragen. Wenn die Lehrer weiterhin auch nach dem Duden gerichtsfest korrigieren und benoten sollen, ist eine Neubearbeitung unumgänglich - die sechste seit Reformbeginn.

Inzwischen weiß jeder, was die Rechtschreibreform bewirkt hat: War das Schreiben bisher eine auf Beständigkeit gerichtete Kulturtechnik, so gilt seit 1996: Was gestern richtig war, kann heute falsch und morgen wieder richtig sein. Die Rechtschreibwörterbücher stoßen angesichts dieser Beschleunigung längst an ihre Grenzen. Die neue Möglichkeit des Rechtschreibrates, dem nach wie vor nur Befürworter und Betreiber der Reform angehören, jederzeit die deutsche Orthographie zu ändern, ruft geradezu nach dem elektronischen Medium, das sich in Sekundenbruchteilen updaten lässt. Im Zusammenhang mit der Rechtschreibung ist seit einiger Zeit das Adjektiv 'aktuell' verdächtig oft zu lesen gewesen.THEODOR ICKLER

Suedeutsche.de 5.8.2011

NB: Was sind nun „kleinere Veränderungen“ – auch die Zulassung von „Quentchen“, „Tolpatsch“, „behende“ und „rauh“? Vermutlich nicht, denn die zählen zu den „unstrittigen“ Dogmen der unwürdigen Reform.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.07.2011 um 17.19

1882 - Richard Wagners Oper «Parsifal» wird im Bayreuther Festspielhaus uraufgeführt.

AUCH DAS NOCH [!]

2000 - dpa meldet: Ein Jahr nach Einführung der Rechtschreibreform verkündet die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) die Rückkehr zur alten Schreibweise.

sueddeutsche.de


eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.06.2011 um 14.50

Ein schlauer Kommentator zum Artikel in der SZ beruft sich auf bekannt verläßliche Wikipedia-Angaben:

Fraktur hatte seinerzeit einen „Markt“anteil wie heute die FDP....

"Der Marktanteil der Fraktur als Werkschrift war bis 1932 auf 5 % gesunken. In den Jahren 1933 bis 1935 nahm er bis auf 50 % zu, sank aber schon vor 1940 wieder rapide ab. Trotz dieser kurzen Modewelle war der Anteil der Antiquaschnitte an der deutschen Druckschriftenproduktion während der gesamten NS-Zeit wesentlich höher als die der Frakturschnitte. Fraktur hatte nur als Setzmaschinenschrift einen nennenswerten Anteil. Antiqua blieb die Norm für Schreibmaschinen- und Akzidenzschriften."
Aus wikipedia.

sueddeutsche.de 7.6.2011

Schreibmaschinenschrift wurde aber immer als technische Behelfsschrift empfunden. In meinem Brockhaus von 1930 steht, 1928 seien noch 57 Prozent der Bücher in Fraktur erschienen. Auch die meisten Zeitungen wurden so gedruckt.

Hitler selbst schrieb nur „in seiner Frakturschrift”, wie eine seiner Sekretärinnen mitteilte. Eine Schreibreform interessierte ihn sicher herzlich wenig. Entweder waren es die in jedes System einsickernden Schreibheilsmissionare, die ihn angestoßen haben, oder sie haben in ihrem Sinne aus einem kleinen Furz des „Führers“ einen „Fackelzug gemacht“, um die ersehnten Reformen anzuleiern.


P.S.:Schreibmaschinentexte spiegeln keine Schreibkultur wieder – siehe Hitlerbrief im Spiegel. (und wieder orthographisch verfälscht: [Hitler] nennt den Antisemitismus eine politische Bewegung, die bestimmt werde von der "Erkenntnis von Tatsachen" … Hitler schreibt jedoch immer Erkenntniss“.)


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.06.2011 um 12.14

Süddeutsche Zeitung 07.06.2011, 11:47

Fraktur und Sütterlinschrift
Hitlers dümmster Triumph

Warum darf ein Erlass aus dem Jahr 1941 sich immer noch zwischen uns und die Handschriften der Klassiker legen? Warum konnten wir nicht ein Volk von zwei Schriften bleiben, wie wir es jahrhundertelang waren?
Hitler hat die Autobahnen gebaut - allerdings nicht ganz aus eigenem Entschluss, die Planungen aus der Weimarer Republik lagen längst vor -, vor allem aber hat er der deutschen Gesellschaft und Kultur bis heute seinen Stempel aufgeprägt. Der von ihm ausgelöste Bombenkrieg hat die Zentren vieler deutscher Städte planiert; Vermögensvernichtung und Vertreibungen haben ebenso wie die Kollektiverfahrungen von Volksgemeinschaft und Krieg die sozialen Unterschiede in der deutschen Gesellschaft schrumpfen lassen; missliebige Randgruppen verschwanden von der Bildfläche, das reich gegliederte Auslandsdeutschtum Osteuropas musste in die nachhitlersche Gesellschaft ebenso eingegliedert werden wie die Vertriebenen aus den verlorenen Ostgebieten.
Selten dürfte ein Volk innerhalb so kurzer Zeit so dauerhaft verändert worden sein wie das deutsche durch die Herrschaft der Nationalsozialisten. Bis in ihre tiefsten Reflexe ist die deutsche Gesellschaft von diesen zwölf Jahren bestimmt worden, man denke nur an den generationenübergreifenden Pazifismus, auf den jede Regierung von Adenauer bis Angela Merkel Rücksicht nehmen musste. Nachkriegsdeutschland ist auf allen Ebenen ein Kind dieser Zeit.
Seltsamerweise auch in der Art und Weise, in der wir lesen und schreiben. Durch Erlasse aus der Kanzlei des Führers, gezeichnet von Martin Bormann, wurden 1941 sowohl der Buchdruck wie die Schreibschrift aufs Lateinische umgestellt. Fraktur und Sütterlinschrift hatten aus Büchern und Schulheften zu verschwinden. Und dabei blieb es auch nach dem Krieg.
In den bildungsfernen Nachkriegsjahren mit ihrem dringenderen Wiederaufbaudruck hat man sich vielleicht nicht ganz klargemacht, was da eigentlich geschehen war. Mit dem Ende der Sütterlinschrift als Verkehrsschrift verschwand ja auch die unmittelbare Nachfolgerin jener deutschen Kurrentschrift, in der alle unsere Klassiker den überwiegenden Teil ihrer Briefe und Werke zu Papier brachten. Der durchschnittlich gebildete Deutsche, der heute nach Marbach oder Weimar fährt, steht vor den meisten Vitrinen nur wenig verständiger als vor arabischen Kalligraphien. Nur die kemalistische Türkei hat durch ihre Schriftreform einen ähnlich radikalen Bruch mit ihrer Vergangenheit vollzogen: Seither sind den Türken ihre osmanischen Überlieferungen großenteils verschlossen.
Darüber nachzudenken gibt eine wundervolle Ausstellung im Frankfurter Goethe-Haus die Gelegenheit. Dort hat man in einem abgedunkelten Kabinett ein Dutzend Schreibtische aufgereiht, auf denen unter Glas Originale des Briefwechsels von Goethe und Schiller gezeigt werden. Klavierhocker laden zum Sitzen und Lesen ein. Dass das gelingt, dafür sorgt an jedem Schreibtisch ein eigenes Leseheft, das die ausgestellten Briefstücke facsimiliert, transkribiert und erläutert. Wer sich der Mühe unterzieht, diese Ausstellung durchzuarbeiten, also nicht nur zu betrachten, der hat einen Intensivkurs in deutscher Kurrentschrift absolviert. Die meist gestochen schönen Schriften Schillers, Goethes und seiner Schreiber beginnen zu leben und zu reden; ganz verwandelt kommt man heraus, um wieder das Tageslicht in jenem 1944 niedergebrannten Frankfurt zu erblicken, in dessen hässlicher Mitte immerhin das Haus, in dem Goethe aufwuchs, wiederhergestellt wurde.
Immer wenn man das Haus am Hirschgraben betritt, darf man sich sagen: Hitler hat nicht ganz gesiegt. Aber warum lässt man ihm seinen Triumph in der Schriftfrage? Warum darf ein Erlass Martin Bormanns sich wie eine Schranke zwischen uns und die Handschriften Lessings oder Kleists legen? Warum konnten wir nicht ein Volk von zwei Schriften bleiben, wie wir es jahrhundertelang waren? Wer dagegen heute Widerstand leisten möchte, der besuche noch bis 26. Juni die Frankfurter Ausstellung; und wer es nicht nach Frankfurt schafft, der werfe wenigstens einen Blick auf die vier im Internet abrufbaren Lesehefte (www.kulturexpress.de). Nachholender Widerstand gegen Hitler, hier kann er geleistet werden!


eingetragen von Sigmar Salzburg am 23.03.2011 um 16.33

JAPAN: ERDBEBEN UND TSUNAMI

Größter Schaden aller Zeiten

Erdbeben und Tsunami in Japan stellen die bisher größten Naturkatastrophen weit in den Schatten. Die Schäden könnten sich auf 220 Milliarden Euro belaufen - fast so viel wie der deutsche Bundeshaushalt.


sueddeutsche.de 23.3.2011

Wolfgang Denk hat vor fünf Jahren im Rahmen einer Masterarbeit den bis dahin bewirkten Schaden der „Rechtschreibreform” für die deutsche Volkswirtschaft mit knapp 5 Milliarden Euro errechnet. Das sind zwar „nur“ 2 Prozent der oben geschätzten Kosten, aber auch die sind für eine mutwillig herbeigeführte Katastrophe nicht hinnehmbar – vor allem nicht, wenn man die kaum bezifferbaren ideellen Schäden für die deutsche Sprache hinzurechnet.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.03.2011 um 16.03

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger weist Kritik zurück und erklärt "il latte"

… EIN SCHARFER Zwischenruf kommt von unserem Leser Sch., der den literarischen Namen Törleß in einem Bildtext als Törless geschrieben sah und dazu anmerkt, dass die Rechtschreibreform über Eigennamen denn doch keine Gewalt habe. Das ist richtig. Trotzdem müssen wir die Kritik zurückweisen, da in dem Text von Volker Schlöndorffs Film die Rede war, und dessen Titel lautete nun mal "Der junge Törless". Das Doppel-"s" war entweder eine Art Echo auf das Doppel-"f" in Schlöndorffs Namen, oder aber es sollte dem Film jene weite Welt eröffnen, die mit Robert Musils "ß" nichts anfangen kann…

sueddeutsche.de 14.3.2011


eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.01.2011 um 15.27

Århus heißt jetzt wieder Aarhus
Hamburg (dpa/tmn) - Jütlands größte Stadt Århus schreibt sich wieder Aarhus. Seit Anfang 2011 gilt die Schreibweise mit dem Doppel- statt mit dem Kringel-A. Sie war auch früher schon üblich, bevor eine Rechtschreibreform nach dem Zweiten Weltkrieg das Sonderzeichen vorschrieb.
Das Sonderzeichen ist nun nicht mehr mit der Globalisierung vereinbar. Touristen müssen sich darauf einstellen, dass die Kringel-A-Variante bald verschwindet: «Auf den Ortsschildern, in Broschüren oder auf Briefpapier der Stadt wird das sukzessive geändert», sagt Reiner Büchtmann, Sprecher des Tourismusbüros VisitDenmark in Hamburg.
Die Universitätsstadt in Ostjütland nimmt damit unter anderem Rücksicht auf die Computertastaturen anderer Länder, die kein Kringel-A kennen. Auf Landkarten und Verkehrsschildern an der Autobahn dürfte aber die bisherige Variante noch zu finden sein. Der Beschluss des Stadtrates betrifft zunächst nur Aarhus selbst. Für Urlauber dürfte die Änderung kaum Schwierigkeiten bereiten, zumal auch die Schreibweise Aarhus in der Vergangenheit zu sehen war. Die schwierigere Frage ist ohnehin die der Aussprache - und die bleibt gleich: Kringel- und Doppel-A klingen beide wie ein kurzes «O».
sueddeutsche.de 3.1.2011

Der Hauptgrund für die Änderung wird allerdings verschwiegen: Aarhus kam in den Suchlisten immer ans Ende, jetzt wird es unter den ersten sein. Die Bürger dort hatten die Reform allerdings kaum beachtet, ebensowenig wie in Aabenraa – wo meine Vorfahren vor 200 Jahren als Tagelöhner und Fischer noch die guten „Aabenraaaale“ gefangen haben.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 29.10.2010 um 04.17



Anfang 2008 wurde das große ß als neues Zeichen in den internationalen Standard Unicode für Computerzeichensätze aufgenommen, am 24. Juni 2008 trat die entsprechende Ergänzung der Norm ISO/IEC 10646 in Kraft.

2008 gegründet, die Gießener Zeitung mit großem scharfem S:

__________________
Norbert Lindenthal


eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.10.2010 um 03.53

Neues Zeichen in Webadressen

Das "ß" wird noch schärfer

Von Hermann Unterstöger

Das scharfe S ist ein urdeutscher Buchstabe - der nun auch in Internetadressen erlaubt ist. Wir dürfen uns auf eine Reihe von Rechtschreibfehler-Domains einstellen.
Manchmal hat man den Eindruck, dass viele Leute Tag und Nacht am PC sitzen und auf Themen lauern, die es ihnen erlauben, sich auf witzige Weise "einzubringen". Als jetzt die Meldung auftauchte, wonach es vom 16.November an möglich ist, in deutschen Internetadressen den Buchstaben "ß" zu verwenden, waren die Kommentatoren schwer auf dem Quivive. Einer von ihnen schlug vor, Domains wie "www.scheißhoppenheim.de" registrieren zu lassen, wohingegen ein anderer unter der Überschrift Ach du Scheiße" die Forderung erhob, das "ß" doch gleich abzuschaffen.

Damit hat es gute Weile. Immerhin verfügt das Deutsche im "ß", dem "Eszett" oder "scharfen S", über eine Art Alleinstellungsmerkmal, wenn auch nur in seiner Schrift. Die Aussprache ist nämlich bei weitem nicht präzise genug, als dass sich aus ihr der rechte Gebrauch des "ß" schlüssig herleiten ließe.

Schon Grimm bezeichnet die diesbezüglichen Lautverhältnisse als "verworren". Tatsächlich kann man mit Rückgriff auf die zweite Lautverschiebung die These vertreten, dass nicht nur die Konjunktion "dass", sondern auch der Artikel "das" mit "ß" respektive, nach der letzten Orthographiereform, mit "ss" geschrieben werden sollte: Dass ich dass noch erleben darf! Ausgesprochen werden sie gleich, doch ist es eine zweifellos nützliche Übereinkunft, dem strukturellen Unterschied zwischen ihnen durch eine unterschiedliche Schreibung Rechnung zu tragen.

Das "ß", das technisch gesprochen kein Buchstabe, sondern eine Ligatur ist, kommt tief aus der Geschichte der deutschen Sprache und Schrift. Lässt man das schon als Würde gelten, so ist es nur angemessen, dass von der ganzen Rechtschreibreform grosso modo nichts geblieben ist als die Regel, dass nach kurzen Vokalen das auslautende "ß" durch "ss" (Kuß/Kuss) ersetzt wird - ein altehrwürdiger Kringel als Fokus eines die Nation gewaltig aufwühlenden Unterfangens.

Der Bericht des die Folgen der Reform beobachtenden Rechtschreibrats wird in Kürze veröffentlicht, und es wäre höchst erstaunlich, wenn er in der Kausa "ß/ss" keinen Erfolg meldete.

Die Regelung wird allgemein akzeptiert, wenn auch ohne Begeisterung: bei den Freunden der Reform, weil sie sich ungleich mehr erhofft hatten, bei den Gegnern, weil sie die Kröte schlucken müssen, wollen sie anders kein Dacapo des Getöses.

Fehlerfreihe Anwendung nicht garantiert
Dass die Neuerung angenommen wird, heißt jedoch nicht, dass sie auch fehlerfrei angewendet würde. Wer vorher das und daß verwechselte, bringt jetzt eben das und dass durcheinander. Das ist jedoch keine Frage der Rechtschreib-, sondern der Grammatiksicherheit.

Wer über den Schreibtischrand sieht, wird übrigens noch etwas Kurioses bemerken. Diejenigen, die mit dem "ß" aufgewachsen sind, verwenden es in handschriftlichen Texten nach wie vor in alter Weise. Sie schreiben "daß", obwohl sie in die Tastatur des Computers genauso automatisch "dass" hacken. Es sieht ganz danach aus, als hätte die Schreibhand ihr ureigenes Gedächtnis und ein gutes Gefühl dafür, was ökonomischer ist.

Das "ß" fällt auch dadurch auf, dass es keinen Großbuchstaben zur Seite hat. Üblicherweise wird dieser durch ein Doppel-"S" ersetzt, doch belassen es viele beim "ß", was dazu führen kann, dass aus der "BUßE" ein "Bube" wird.

Seit 130 Jahren wird über ein großes "ß" nachgedacht, bisher ohne überzeugendes Ergebnis, was darauf hindeutet, dass es die Sprachgemeinschaft ohne Schmerz entbehren kann.

sueddeutsche.de 27.10.2010


eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.09.2010 um 19.11

Das große Buchstaben-Rätsel

… In der Vereinfachten Ausgangsschrift lassen sich Buchstaben wie in einer Druckschrift aneinander schieben; umgekehrt können die Kinder die Lettern im Wort einfacher erkennen. Außerdem verlangt diese Schrift weniger Wechsel in der Bewegungsrichtung und weniger Deckstriche, bei denen die Schüler, etwa beim 'c' einen Bogen zweimal deckungsgleich entlang fahren müssen.
Diese Argumente für die VA hatten nach ihrer Veröffentlichung viele Lehrer überzeugt, doch Belege dafür, dass die Schrift den Kindern tatsächlich Vorteile bringt, gibt es nicht. Ohnehin fällt strenge Empirie in der Grundschule schwer. In Bayern zum Beispiel wurde im Jahr 2000 mit der Vereinfachten Ausgangsschrift auch eine neue Didaktik eingeführt, so dass sich der Einfluss der Schrift allein kaum nachweisen ließe.
Bayern ist das einzige Bundesland, das diese Schrift vorschreibt; Schleswig-Holstein und Hessen weisen ihr Vorrang zu, in Baden-Württemberg sollen sich die Lehrerkollegien zwischen VA und LA entscheiden. Hingegen legen sich Hamburg, das Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt auf die Schulausgangsschrift fest. Die anderen Länder machen entweder keine Vorgabe oder sagen, die Handschrift der Kinder solle sich aus der zuerst erlernten Druckschrift entwickeln. …

sueddeutsche.de 11.9.2010

Von Missstandsreformern sind weder Bewegungsharmonie noch Schönheitssinn zu erwarten: Die Schulschrift ist, wie die Rechtschreibung, Experimentierfeld von Schreibideologen und Abzockgebiet der Lernmittelindustrie (s.a. FAZ v. 24.8.2010 hier).


eingetragen von Sigmar Salzburg am 28.08.2010 um 05.46

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Lindenthal ...
Otfried Preußler gehört zu den Reformgegnern. Siehe Frankfurter Erklärung
... und Michael Ende war schon zu tot, als daß er sich hätte wehren können.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 28.08.2010 um 04.47

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Sigmar Salzburg
… Preußler …

Otfried Preußler gehört zu den Reformgegnern. Siehe Frankfurter Erklärung
__________________
Norbert Lindenthal


eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.08.2010 um 13.29

Welches ist für dich das beste deutsche Buch?

4000 Menschen weltweit haben die zehn besten deutschen Bücher gewählt. Das Ergebnis ist teils überraschend. Wie hättest du entschieden?

Um die Freude an der deutschen Sprache wieder mehr ins Bewusstsein zu rücken, hat das Goethe-Institut eine weltweite Umfrage gestartet und nach den beliebtesten deutschen Büchern gefragt. Bei der Auswertung schaffte es „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende auf den ersten Platz der Lieblingsbücher. Den zweiten Platz belegte „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink, gefolgt von Otfried Preußlers „Krabat“ und Thomas Manns „Buddenbrooks“. Was Goethe wohl dazu sagen würde, dass er mit seinem berühmten „Faust“ nur auf Platz sieben gelandet ist? Am Wettbewerb haben über 4000 Menschen zwischen sieben und 90 Jahren teilgenommen. Über 70 Prozent der Einsendungen stammen von Frauen. Die Teilnehmer kommen aus 57 Ländern. Neben vielen Stimmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gab es auch welche aus Italien, Kasachstan, Malaysia, Rumänien, Russland, Serbien, Ungarn und den USA. Die Teilnehmer nannten viele unterschiedliche Gründe für die Wahl, doch auffallend häufig war eine Kindheitserinnerung damit verbunden. Hier also die Liste der zehn beliebtesten Bücher aus Deutschland:

1. Die unendliche Geschichte (Michael Ende)
2. Der Vorleser (Bernhard Schlink)
3. Krabat (Otfried Preußler)
4. Buddenbrooks (Thomas Mann)
5. Das Parfüm (Patrick Süßkind)
6. Momo (Michael Ende)
7. Faust (Johann Wolfgang Goethe)
8. Die Wand (Marlen Haushofer)
9. Siddhartha (Hermann Hesse)
10. Im Westen nichts Neues (Erich Maria Remarque)

jetzt.sueddeutsche.de 26.8.2010

Die gute Nachricht: Nur die Bücher von Ende und Preußler sind bisher systematisch reformgemäß verferkelt worden.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.08.2010 um 14.36

Theodor Icklers Kritik des Buches von
KARL-HEINZ GÖTTERT: Deutsch. Biografie einer Sprache.
ist am 3.8.2010 in der SZ erschienen (in herkömmlicher Rechtschreibung!),

nachzulesen hier: buecher.de 3.8.2010

Die „Perlentaucher“ mußten noch etwas eigenen Senf dazugeben:
Perlentaucher-Notiz zur SZ-Rezension
03.08.2010
Der hier rezensierende Germanist (und Rechtschreibreform-Gegner) Rezensent Theodor Ickler kann an dieser deutschen Sprachgeschichte des emeritierten Mediävisten und Rhetorikforscher Karl-Heinz Göttert nicht viel finden. Höchstens dem Laien biete sie Neues über Geschichte und Literatur des Mittelalters präsentiere. Doch das eigentlich Thema - die Geschichte des Deutschen - findet Ickler derart fehlerhaft, dass er nicht zur Lektüre rät. Ickler stört sich an zahlreichen unglücklichen Formulierungen und offenbar falschen Behauptungen, etwa dass die Straßburger Eide bei Göpfert in den falschen Sprachen gesprochen werden oder die Geschichte der Rechtschreibreform "sachlich verkehrt" dargestellt wird. Auch die ausführliche Auseinandersetzung mit der "Kanak Sprak" behagt ihm nicht, welche die These belegen soll, dass "die Sprachgeschichte des Deutschen in einem mehrsprachigen Deutschland" münde.

© Perlentaucher Medien GmbH


eingetragen von Norbert Lindenthal am 19.07.2010 um 06.01

Süddeutsche Zeitung, 18.07.2010, 22:25

Volksentscheid zur Grundschulzeit
Hamburg hat gesprochen - Schulreform abgelehnt


Schlappe für den schwarz-grünen Senat: Hamburgs Bürger haben den Gesetzentwurf zur sechsstufigen Grundschule abgelehnt. Nach dem Scheitern der Schulreform und dem Rücktritt von Bürgermeister Ole von Beust am selben Tag ist die Regierungskoalition in der Hansestadt nun schwer angeschlagen.

Doppelter Schock für die schwarz-grüne Koalition in Hamburg: Erst kündigte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) seinen Rücktritt an, jetzt ist auch das wichtigste Projekt der Stadtregierung gescheitert. Beim Volksentscheid in Hamburg gewannen die Gegner der Einführung der sechsjährigen Primarschule. Die von Schwarz-Grün bereits beschlossene Schulart wird es nun nicht geben.

[Bild]
Volksentscheid zur Schulreform: Hamburgs Bürger durften über eine sechsstufige Primarschule abstimmen. (© dpa)

Landeswahlleiter Willi Beiß sagte am Sonntagabend, 276.304 Bürger hätten für den Erhalt der vierjährigen Grundschulen gestimmt. Damit ist den Gegnern der Reform, die sich in der Initiative "Wir wollen lernen" zusammengeschlossen haben, der Sieg nicht mehr zu nehmen. Der Senatsantrag, mit dem die Primarschule eingeführt werden sollte, erhielt nur etwa 218.000 Stimmen. Ein wichtiger Teil der schwarz-grünen Schulreform ist damit gescheitert.

Die Wahlbeteiligung lag bei 39 Prozent. Sie war insgesamt zwar eher gering, dafür aber in den reformfeindlichen bürgerlichen Vierteln überdurchschnittlich hoch.

Rund 64.600 Menschen besuchten nach Angaben des Landeswahlamtes die gut 200 Wahllokale in der Hansestadt. Etwa 427.000 Hamburger stimmten per Briefwahl über die Einführung der Primarschule ab.

Nur noch zwei Typen weiterführender Schulen

Hamburgs Bürgermeister von Beust und Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) zeigten sich nach der Niederlage enttäuscht. "Das Ergebnis ist bitter für alle, die ihre Hoffnungen in das längere gemeinsame Lernen gesetzt haben. Wir sind sehr enttäuscht, dass wir nicht genügend Menschen von der Primarschule überzeugen konnten", ließen beide mitteilen.

Der Sprecher der Initiative "Wir wollen lernen", Walter Scheuerl, zeigte sich dagegen tief zufrieden mit dem Ausgang des Volksentscheids. "Das macht uns schon ein bisschen stolz, dass wir heute ein so deutliches Ergebnis eingefahren haben", sagte er. Er hoffe, dass sich die Parteien nun an den versprochenen zehnjährigen Schulfrieden halten. "Wir haben nicht nur das Parlament besiegt, sondern wir haben auch gesiegt trotz einer geballten PR-Maschinerie, die die Parteien und die Gewerkschaften und der Senat auf Kosten des Steuerzahlers zuweilen gegen uns aufgefahren haben", sagte Scheuerl.

Der größte Teil von Hamburgs umfassendster Schulreform seit dem Zweiten Weltkrieg wird aber trotz des Ergebnisses des Volksentscheids in Kraft treten. So wird es vom kommenden Schuljahr an nur noch zwei Typen weiterführender Schulen geben: Stadtteilschulen und Gymnasien. Beide Schulformen bieten alle Abschlüsse bis zum Abitur an, wobei die Hochschulreife an den Gymnasien nach 12 Schuljahren, an den Stadtteilschulen nach 13 Jahren erreicht wird.

BILDSTRECKE ZUM THEMA
Ole von Beust
Hamburg ist sein Projekt

Das für die Politik bindende Ergebnis des Volksentscheides bedeutet eine Niederlage für das größte Reformprojekt der schwarz-grünen Regierungskoalition. Doch auch SPD und Linke hatten zuletzt um Zustimmung zu der Schulreform geworben. Hamburgs Bürgermeister von Beust hatte am Nachmittag bekanntgegeben, dass er zum 25. August zurücktritt. Er wollte dies aber nicht als Konsequenz aus einer Niederlage beim Volksentscheid verstanden wissen.Das für die Politik bindende Ergebnis des Volksentscheides bedeutet eine Niederlage für das größte Reformprojekt der schwarz-grünen Regierungskoalition. Doch auch SPD und Linke hatten zuletzt um Zustimmung zu der Schulreform geworben. Hamburgs Bürgermeister von Beust hatte am Nachmittag bekanntgegeben, dass er zum 25. August zurücktritt. Er wollte dies aber nicht als Konsequenz aus einer Niederlage beim Volksentscheid verstanden wissen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.07.2010 um 08.14

Zé do Rock
Gerne behauptet der Brasilianer Zé do Rock, er sei der einzige, der von der Rechtschreibreform profitiert hätte. In der Tat gab die seinem ersten Buch 1995 erst den richtigen Schub. Hatte der 'Zuagroaste' doch seinen autobiographischen Reiseroman 'Fom Winde verfeelt' auf 'Ultradoitsh' geschrieben, einem ebenso witzigen wie durchaus bedenklichen Idealdeutsch aus Ausländersicht. …

sueddeutsche.de 6.7.2010


eingetragen von Norbert Lindenthal am 04.07.2010 um 18.15

Süddeutsche Zeitung 04.07.2010, 14:28


Rauchverbot in Bayern
Kippen müssen draußen bleiben

Eine Frage, die die Gemüter spaltet: Soll der Freistaat künftig rauchfreie Zone sein? 9,4 Millionen Bayern sind zur Abstimmung aufgerufen. Erste vorläufige Ergebnisse liegen vor - ein Trend zeichnet sich ab.

"Wir haben gewonnen", ruft Sebastian Frankenberger, der Organisator des Volksbegehrens, unter dem Jubel der Anhänger, als die ersten Ergebnisse eintrudeln. Eine Umfrage hatte vor wenigen Tagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt. Doch davon kann nach den ersten Ergebnissen keine Rede mehr sein. Denn in den bislang ausgezählten Kreisen zeichnet sich eine Mehrheit für die Befürworter eines strengen Rauchverbotes ab.

zur Bildstrecke: Rauchverbot in Bayern – Showdown im Wahllokal
Rauchverbot in Bayern – Showdown im Wahllokal
Bildstrecke: 1 2 3 … 12
Um kurz vor 20 Uhr sind 87 von 96 Kreise ausgezählt. Das vorläufige Ergebnis: 61,2 Prozent haben für ein strenges Rauchverbot gestimmt, 38,8 Prozent der Wähler haben sich dagegen ausgesprochen. Die Wahlbeteiligung lag bei 37 Prozent.

"Das Volk hat sich nicht von der Tabakindustrie kaufen lassen", sagt Frankenberger zu sueddeutsche.de und fügt hinzu: "Ich bin stolz und glücklich, dass die Bürger trotz der polarisierenden Kampagne so abgestimmt haben."

Die Ergebnisse im Einzelnen: Die Wähler in der oberpfälzischen Stadt Weiden haben sich mit 63,2 Prozent der Wähler für ein striktes Rauchverbot ohne Ausnahme in der bayerischen Gastronomie ausgesprochen. Mit Nein stimmten beim Volksentscheid 36,8 Prozent, wie das Statistische Landesamt am Sonntagabend mitteilte.

Auch im oberfränkischen Bayreuth haben sich die Wähler mit 59,2 Prozent für ein strenges Rauchverbot ausgesprochen. Im mittelfränkischen Ansbach stimmten 66,3 Prozent mit Ja, im unterfränkischen Schweinfurt in waren es 63,3 Prozent und im niederbayerischen Straubing 56,1 Prozent. Im Würzburg (Unterfranken) stimmten 71,7 Prozent für ein strenges Rauchverbot, in Ingolstadt 70 Prozent und in Augsburg (Schwaben) waren es 59,6 Prozent. In Nürnberg sprachen sich 63,4 Prozent für ein strenges Rauchverbot aus.

Im Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge stimmte mit 51,5 Prozent die Mehrheit gegen eine Verschärfung des Rauchverbots.

Thomas Hacker, FDP-Fraktionschef im Landtag, sagte: "Als gute Demokraten werden wir die Entscheidung selbstverständlich akzeptieren." Ein totales Rauchverbot in der Gastronomie berge jedoch "die Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung, die wir mit unserem Änderungsgesetz im vergangenen Jahr zu verhindern versucht haben".

Die Wähler konnten mit Ja oder Nein stimmen, wobei sie mit "Ja" für eine Verschärfung des Rauchverbots stimmten, mit "Nein" für die Beibehaltung der bisherigen Regel.

Die Wahllokale haben um 18 Uhr geschlossen. Bei einem Sieg der Nichtraucher würde das strenge Rauchverbot am 1. August in Kraft treten. Dieses unterscheidet sich vom bayerischen Gesetz zum Schutz der Gesundheit (GSG) in der Fassung vom 12.12.2007 nur in einem Punkt - und zwar in Art. 2 Nr. 8: Die Klausel "soweit [die Gaststätten] öffentlich zugänglich sind" wird gestrichen. Raucherclubs sind somit nicht mehr zulässig. Nur für das Oktoberfest gäbe es in diesem Jahr noch eine letzte Ausnahme.

Die Staatsregierung hat sich in den vergangenen Tagen ungewöhnlich still verhalten - auch Gesundheitsminister Markus Söder. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer gab sich im Vorfeld der Abstimmung gelassen. Der Bild am Sonntag sagte Seehofer, die CSU habe "einer Abstimmung des Volkes selten mit so großer Gelassenheit entgegengesehen wie dieser. Wir können mit beiden denkbaren Ergebnissen gut leben und werden es in jedem Fall respektieren".

BILDSTRECKE ZUM THEMA

Chronologie des Rauchverbots
Durchatmen und aussitzen
Schon einmal hat Sebastian Frankenberger gejubelt. Es war der 4. Dezember 2009, der Tag des Volksbegehrens "Für echten Nichtraucherschutz" in Bayern. "Wir schreiben Geschichte" rief er. Genau sieben Monate später, am 4. Juli 2010, jubelt Frankenberger erneut. "Der Bürger hat sich nicht blenden lassen und mit Hirn abgestimmt", lautet sein Fazit.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 22.05.2010 um 09.17

Idealist mit langem Atem

SPD-Bildungspolitiker Ludwig von Friedeburg gestorben

Die Zeit als hessischer Kultusminister war eigentlich nur eine kurze Episode im Leben Ludwig von Friedeburgs. Die Bildungspolitik hat der Soziologie-Professor zwischen 1969 bis 1974 jedoch geprägt wie kaum ein anderer. Vehement kämpfte der hagere Mann für Gesamtschulen und neue Lehrpläne. Er stieß dabei auf heftigen Widerstand. Die martialische Rede vom 'Schulkrieg', die bis heute gelegentlich aufflammt, geht zurück auf diese Zeit. Die CDU mobilisierte gegen die Reformen des SPD-Politikers mit Sprüchen wie 'Marx statt Rechtschreibung?'. Nach Verlusten der SPD bei der Landtagswahl kehrte Friedeburg 1975 in die Forschung zurück. Jahrzehntelang leitete er das Frankfurter Institut für Sozialforschung.

Rückblickend empfand Friedeburg seinen Eifer von einst als blauäugig: 'Bildungsreform braucht einen ganz langen Atem.' Vieles, wofür er gestritten hat, akzeptieren inzwischen auch Konservative: Ganztagsschulen, mehr individuelle Förderung und längeres gemeinsames Lernen ohne soziale Auslese. Friedeburgs Vater Hans-Georg hatte 1945 als Generaladmiral der Wehrmacht die Kapitulation mitunterzeichnet. Sein Sohn war im Zweiten Weltkrieg der jüngste deutsche U-Boot-Kommandant. Nach dem Krieg wurde Friedeburg zu einem glühenden Demokraten. Seine wissenschaftlichen Studien haben die Jugend- und Bildungssoziologie geprägt. Der Philosoph Axel Honneth nannte ihn einen 'intellektuellen Glücksfall'. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Ludwig von Friedeburg am Montag in Frankfurt gestorben. Er wäre an diesem Freitag 86 Jahre alt geworden. Tanjev Schultz

sueddeutsche.de 20.5.2010


eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.05.2010 um 18.06

Ein Leben für den starken Satz
Von …
Wenn es um Sprache geht, kommt in Deutschland keiner an ihm vorbei: Wolf Schneider, der Konservator, wird 85.
Wenn einer "Sprachpapst" ist, und zwar der deutsche, dann stellt sich als Erstes nicht die Frage nach Unfehlbarkeit. Sondern es drängt sich vielmehr das Problem auf, wie jemand all die Jahre, ja Jahrzehnte, den Deutschen ihr schlechtes Deutsch vorhält, und doch keine sprachpäpstliche Schreibblockade folgt. Obwohl das deutsche Volk weiter Fehler macht, und zwar mit Lust dieselben.
... Schneider hat's getrommelt und gepfiffen, genutzt hat es so wenig wie seine seinerzeitigen Proteste gegen die Rechtschreibreform....


sueddeutsche.de 7.5.2010


Wenn die Süddeutsche, der Schreiber dieses Artikels und seine Kollegen nicht „als Erstes“ und ähnlichen Kultusminister-Schwachsinn schreiben würden, dann wäre die „Reform“ längst mausetot!

Es gehört nicht hierher, aber: MS-Office ist doch zum Kotzen. Grundlos hat sich das Programm wieder auf Chinesisch mit amerikanischer Tastatur umgestellt, obwohl monatelang nicht benutzt, und ich brauchte eine halbe Stunde, um das zu beseitigen. So geht das schon fünf Jahre lang. Eine idiotischere Benutzerführung kann man sich kaum vorstellen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 18.12.2009 um 12.00

Wort des Jahres

"Abwrackprämie" - medialer Sprachinzest

Alljährlich wird das "Wort des Jahres" gekürt. Doch die Sprachforscher schauen den Deutschen nicht aufs Maul. …

[Bild: Gestapelte Schrottautos]
Die Spurensucher sind auf die Spuren gestoßen, die sie selber hinterlassen haben. (Foto: ddp)

"Bleiben Sie der Sprachentwicklung auf der Spur! Schließen Sie sich der Gesellschaft für deutsche Sprache an!“ So steht es auf der Homepage eben jener "Gesellschaft für deutsche Sprache“ (GfdS), die sich einmal jährlich von ihrer gewiss spannenden Spurensuche abwendet, aufrichtet, um etwas theatralisch bekannt zu geben, was sie so übers Jahr gefunden hat.
Man weiß nicht, wie man sich das Konglomerat einer suchenden Sprachgesellschaft vorstellen muss, ….

Die "Sammlung von Wörtern und Wendungen, bei der Zuschriften an die GfdS berücksichtigt wurden“ (ebenfalls Homepage) scheint also eher nach einem diffusen Bauchgefühl und dem allgemeinen Hörensagen zusammen gestellt worden zu sein. Und da muss man eben feststellen: Die Wahlwörter entstammen der Wortwahl genau jener Medien, für die der Kürakt zelebriert wird.

So weiß auch niemand, warum die oben genannten Begriffe und Redewendungen nicht auch zugleich "Unwörter des Jahres“ sein sollen. Das erschließt sich eben nicht, wenn man medialen Sprachinzest in fiebernder Nervosität betreibt – …
Wollte man also interessehalber tatsächlich ein "Wort des Jahres“ finden wollen, dann, sollte man der "Gesellschaft für deutsche Sprache“ womöglich besser nicht beitreten. Man müsste mal mit Menschen reden.

sueddeutsche.de 18.12.09

Bekanntlich wurde auch „Rechtschreibreform“ als Jahreswort vorgeschlagen – mit mehr Berechtigung als die „Abwrackprämie“ – aber nicht ausgewählt, da die GfdS ja eng mit der übrigen Reformmafia verbandelt ist.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.08.2009 um 17.17

Ein Quentchen Analogkäse
Wörterbücher: Duden und Wahrig


Von Christian Dörner

Sollen wir uns trennen, fragten sich "schlau" und "machen". Die neuen Auflagen der Wörterbücher Duden und Wahrig werfen die alten Rechtschreibprobleme auf.

[Bild: Kinderschrift:
alt: eislaufen
neu: Eis laufen
neuer: eislaufen]

Deutsch im Wandel: Vom postulierten Zusammen zur verpflichtenden Trennung zur allgemein Verwirrung. (Foto: ap)

Nur drei Jahre nach Inkrafttreten der zum zweiten Mal revidierten Rechtschreibreform bringen die Verlage der beiden Leitwörterbücher fast zur selben Zeit eine Neuauflage ihrer Werke heraus: die 25. Auflage des Rechtschreibdudens und die 7. Auflage des Wahrig. Und nicht zu Unrecht fragt man sich nach den Gründen hierfür.

Die wesentlichen Unterschiede zwischen dem neuen Duden und Wahrig, welche beide gleich groß und gleich schwer sind, jeweils 1216 Seiten umfassen, vom selben Unternehmen gedruckt wurden und inzwischen beide zu Cornelsen gehören, sind schnell genannt: Der Duden ist 4 Euro teurer, enthält das amtliche Regelwerk nicht mehr, verzichtet auf die bisherige Rotmarkierung der Neuschreibungen und empfiehlt durch Gelbmarkierung in 3000 Fällen die jeweils von der Duden-Redaktion bevorzugten Schreibvarianten - meist die reformierten. Im Wahrig findet man stattdessen tabellarisch die 1500 Variantenempfehlungen der Nachrichtenagenturen, während im Wörterverzeichnis weitgehend dar- auf verzichtet wird, dem Schreiber nahezulegen, wie er sich zu entscheiden habe.

Eine neuartige Methode, seine Empfehlungen durchzusetzen, hat sich der Dudenverlag einfallen lassen: Für 25 Euro erhält man neben dem gelben Klassiker eine CD, auf der sich sowohl die elektronische Fassung des Wörterbuchs wie auch das Programm "Korrektor" befindet, das selbstgeschriebene Texte auch hinsichtlich der Befolgung der Duden-Empfehlungen untersucht.

Orthographisch wurde in beiden Werken nichts geändert, da der Rat für deutsche Rechtschreibung seine Korrekturarbeit am Regelwerk 2006 vorerst abbrechen musste und beispielsweise die Laut-Buchstaben-Zuordnung nicht behandelte, so dass den Schülern jetzt Fehler angestrichen werden müssen, wenn sie "belemmert", "Quentchen" oder "Tolpatsch" schreiben, obwohl die Wiederzulassung dieser Schreibungen von den Reformern selbst schon im Januar 1998 zu den "unumgänglich notwendigen Korrekturen" gezählt wurde. Dies wird sich auf Dauer nicht halten lassen.
Beide Wörterbücher setzen das amtliche Regelwerk recht zuverlässig um. Die Diskrepanzen sind minimal - von Ausnahmen wie "Nummer sicher" (Duden) und "Nummer Sicher/sicher" (Wahrig) sowie "hierher gehörig (aber hierher gehörend/hierhergehörend!)" (Duden) und "hierhergehörig" (Wahrig) einmal abgesehen, wo der Wahrig die Schreibwirklichkeit besser abbildet.

Der Duden wirbt mit 5000 neuen Wörtern, Wahrig mit einer Steigerung der Stichwortanzahl von 125 000 auf 130 000, doch scheint dies im Wahrig bei einem konstanten Umfang des Wörterverzeichnisses von 1049 Seiten kaum möglich. Unter A, B und C stehen 20 Neuaufnahmen (Abwrackprämie, Analogkäse, anfixen, Bad Bank, ...beinig, Bezahlstudium, Biosprit, Biosiegel, Blended Learning, Blu-ray Disc, Bundestrojaner, Canaille, Campagne, Casual Games, Clinton , CO2-Fußabdruck, Conficker, Conveniencefood, Cosplay, Cyberangriff), und es finden sich elf Streichungen (Bader, Bähnchen, beweiben, Blendarkade, Blindenheim, Blumenkrippe, Blumenstück, Blust, Bundesvereinigung, bunt bemalen/buntbemalen, buschmännisch).

Wer spielt da verrückt?

Hochgerechnet ergibt dies etwa 150 Neuaufnahmen und 80 Streichungen für das gesamte Werk. Der Überschuss der Neuaufnahmen wurde durch Kürzungen bei den Beschreibungen der Einträge ausgeglichen, so dass man jetzt beispielsweise nicht mehr erfährt, dass Burkina Faso früher Obervolta hieß.

Die Dokumentierung der Änderungen im Duden an selber Stelle wäre wesentlich umfangreicher, auch wenn die ersten drei neuen Wörter (abbusseln, Abendakademie, Abendgarderobe) exemplarisch zeigen, dass die meisten der 5000 Neuaufnahmen im Duden weder orthographisch relevant sind noch dem Zeitraum seit 2006 entstammen.

Der größte Vorteil des Wahrig im Vergleich zum Duden ist neben dem Abdruck des amtlichen Regelwerks die Tatsache, dass im Wahrig Neuschreibungen weiterhin durch Blaudruck kenntlich gemacht werden, auch wenn der Redaktion einzelne Fehler unterlaufen sind, denn "sich bereitmachen", "freinehmen" und "weniggelesen" sind nicht die traditionellen Schreibungen, welche in diesen Fällen wiederum zu Unrecht blau sind.

Von der exzessiven Trennung zum obligatorischen Zusammen

Wenn hingegen Duden-Chef Matthias Wermke den Verzicht auf die Markierungen damit begründet, dass die Neuregelung "längst im Schreiballtag angekommen" wäre, übersieht er, dass viele Neuschreibungen gerade einmal drei Jahre alt sind, weswegen man wiederum im Wahrig die dort der Aufnahme der Variantenempfehlungen der Nachrichtenagenturen zum Opfer gefallenen Tabellen vermisst, welche die Schreibänderungen seit 2004 bisher übersichtlich dokumentierten. Beispielsweise führt die erst seit 2006 gültige Regel, dass bei adjektivischen Verbzusätzen immer dann zusammenzuschreiben sei, wenn eine "idiomatisierte Gesamtbedeutung" entstehe, zu obligatorischen Zusammenschreibungen wie dass es dir "ähnlichsieht", dass du dich nicht "schlaumachst", sondern "verrücktspielst".

Selbstverständlich sind solche Monstrositäten nicht "Schreiballtag", und auch Lehrern ist nicht zuzumuten, ihren Schülern im Falle der Auseinanderschreibung Fehler anzustreichen, zumal die Schüler seit 1996 auf exzessive Getrenntschreibung getrimmt wurden und diese seitdem häufig bis hin zu "heraus nehmen", "zurück stellen" und so weiter übergeneralisieren.

Aber auch mit neuen - verpflichtenden - Getrenntschreibungen kann die Revision von 2006 aufwarten. Während es weitgehend "folgenlos bleiben" dürfte, dass sich ein Baby nun "bloß strampeln" statt "bloßstrampeln" (so klassisch wie auch 1996 und 2004) muss, dürfte die jetzt notwendige Änderung des in Deutschland am häufigsten vorkommenden Schildes von "Ausfahrt freihalten!" in "Ausfahrt frei halten!", dem die Rechtschreibreformen von 1996 und 2004 zunächst kein Haar gekrümmt hatten, viel auffälliger sein, auch wenn die Hersteller der Schilder hiervon bislang nichts mitbekommen haben.

Und dann kam Pons

Die Herausnahme des amtlichen Regelwerks aus dem neuen Duden ist umso ärgerlicher, als das dudeneigene Regelwerk die Neuregelung keineswegs immer richtig beschreibt. Will man beispielsweise wissen, wie man "allgemeinverbindlich" oder "leichtverdaulich" schreiben soll, so klafft unter den betreffenden Kennziffern K 57 bis 59, wo noch immer der überholte Stand von 2004 dargestellt wird, eine Lücke, und K 60 fordert zur Getrenntschreibung auf. Dabei hätte es den Bearbeitern des Wörterverzeichnisses auffallen müssen, dass sie in all diesen Fällen auf einen Verweis verzichten mussten. Wahrig dokumentiert korrekt: Hier soll sowohl Getrennt- als auch Zusammenschreibung nach Paragraph 36 (2.2) des amtlichen Regelwerks zulässig sein. Matthias Wermke begründet die Entfernung des Regelwerks damit, dass dieses "seit drei Jahren im Internet für jedermann frei und kostenlos zugänglich" sei. Dies ist zwar richtig, allerdings nutzt man ein Nachschlagewerk insbesondere dann, wenn kein Internet zur Verfügung steht.

Dort wird Duden und Wahrig jetzt von Pons Konkurrenz gemacht, dessen Wörterbuch nicht nur kostenlos nutzbar, sondern mit 140000 Einträgen noch umfangreicher als die beiden Standardwerke ist.

Aber auch das Pons-Wörterbuch stolpert: In dessen Regelwerk muss man beispielsweise lesen, dass bei Verbindungen aus Verb und Verb (wie "sitzenbleiben", "kennenlernen" usw.) in übertragener Bedeutung nur Zusammenschreibung zulässig wäre. Dies ist unrichtig.

Weiter unten wird die aus dem Regelwerk von 1996 stammende, unvollständige und aus diesem Grund schon 2004 abgeschaffte Partikelliste bei trennbaren Verben als Kriterium für Zusammenschreibung angeführt und als aktueller Stand präsentiert.

Dass zwei konkurrierende Wörterbücher vom selben Unternehmen herausgegeben werden, wird kein Dauerzustand sein. Ob Duden und Wahrig in Zukunft miteinander verschmolzen werden und inwieweit das nach dem Prinzip von Wikipedia arbeitende Produkt von Pons eine Bedrohung für beide darstellen kann, muss offenbleiben. Ein mögliches gemeinsames Wörterbuch würde dann in ein paar Jahren wohl auch Korrekturen bei der Laut-Buchstaben-Zuordnung sowie der Groß- und Kleinschreibung beinhalten. Konkrete Vorschläge hierzu liegen beim Rat bereits auf dem Tisch.

DUDEN. Die deutsche Rechtschreibung, 25. Auflage. Dudenverlag, Mannheim/Wien/Zürich 2009. 1216 S., 21,95 Euro.
WAHRIG. Die deutsche Rechtschreibung, 7. Auflage. wissenmedia Verlag, Gütersloh/München 2009. Cornelsen Verlag, Berlin 2009. 1216 S., 17,95 Euro.


Süddeutsche Zeitung 03.08.2009

http://www.sueddeutsche.de/kultur/332/482784/text/


eingetragen von Sigmar Salzburg am 30.07.2009 um 14.09

Jenseits von Duden

Der neue Duden ist da - und keiner hat's gemerkt: kein großer Ansturm, keine Masseneuphorie. "Gut aufgestellt" sind wir damit sprachlich nicht.

Von Thomas Steinfeld

[Bild: Wandtafel, „Shciffahrt“ schreibende Hand]

Getrennt oder zusammen? Groß oder klein? Die Rechtschreibreform hat vor allem zu allgemeiner Sprachverwirrung geführt. (Foto: ap)

Als vor einer Woche die neue, 25. Ausgabe der "Deutschen Rechtschreibung" erschien, klang die Werbung, als gehe es darum, eine Offenbarung pünktlich unter das Volk zu bringen: "Seit kurz nach Mitternacht des Erstverkaufstages, Stunden bevor die Buchhandlungen ihre Türen öffnen, ist der neue Duden auf allen wichtigen mobilen Plattformen, Symbian S60, Windows Mobile und Palm OS lieferbar."
Zuverlässig wie immer, ganz so, als hätte sich das, woran man sich seit jeher hat halten können, gleichsam verjüngt und den neuesten Entwicklungen von Sprache und Gesellschaft angepasst, schien das Werk unter ein Volk zu treten, das auf dieses Ereignis drängend wartete. Das ist aber nicht der Fall.

Genauer: Es ist nie der Fall gewesen, und die Reform der deutschen Rechtschreibung mitsamt der daraus folgenden allgemeinen Sprachverwirrung hat auch die Lage der großen Wörterbücher schwieriger werden lassen. Das gilt sowohl für ihren Inhalt wie für deren öffentliche Geltung.
In der Redaktion des "Duden" ist offenbar bemerkt worden, welchen Schaden die Autorität des Wörterbuchs in den vergangenen Jahren genommen hat: Die gerade drei Jahre alte, 24. Ausgabe des "Duden" verwies, nach nicht klar erkennbaren Kriterien, auf noch zulässige "Schreibvarianten" und auf Neuschreibungen, indem Letztere in roter Farbe markiert wurden. Und weil es, nach der Reform viel mehr als je zuvor, in vielen Fällen mehrere Möglichkeiten gibt, ein Wort "richtig" zu schreiben, sprach der Duden "Empfehlungen" aus. Sie erschienen in gelber Farbe. Doch was vorher nur ein Vorschlag der Redaktion war, steht jetzt wie selbstverständlich an erster Stelle. Damit verstößt der "Duden" zwar gegen einen Beschluss desselben Rates für deutsche Rechtschreibung, auf den er sich für die Dokumentation der Schreibweisen beruft. Aber das sind Details.

Sonderbare Autorität

Details sind auch die 5000 Wörter, die dem "Duden" für die jüngste Ausgabe hinzugefügt wurden. Wer braucht eine Schreibung für "twittern", wenn doch gleichzeitig das nicht minder häufige "aufstellen" - in Sinne von: "wir sind gut aufgestellt" - gar nicht vorkommt, dafür aber die "Flurhüterin" und die "Agioteurin"? Nein, auch der "Duden" dokumentiert nur einen Ausschnitt der deutschen Sprache. Deren Grenzen sind letztlich willkürlich gewählt - und Stilvorschriften sind nicht Aufgabe eine Wörterbuchs. Gleichzeitig wird aber durch diese Auswahl deutlich, worauf es der Redaktion ankommt: auf die Durchsetzung oder auch Wiederherstellung einer Autorität. Demselben Zweck dient offenbar die scheinbare Überwindung des Variantenreichtums, den die Rechtschreibreform hinterlässt, durch die Vorlieben der Redaktion. An Autorität hat der "Duden" tatsächlich viel verloren. Aufrechterhalten lässt sie sich eigentlich weniger mit dem Buch als mit dem damit verknüpften Korrekturprogramm für Computer: also dann, wenn man die Rechtschreibung nicht mehr dem eigenen Kopf, sondern einem Automatismus überlässt.

Der Verlust an Autorität ist vor allem darin begründet, dass in der Verwirrung, die von der Reform der Rechtschreibung zurückgelassen wurde (und wird), das Bewusstsein für verbindliche Schreibungen deutlich beschädigt wurde (wird). Erkennbar ist das vor allem bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, bei der - nach einer Phase des Übertreibens, in der fast alles, was man möglicherweise auseinander schreiben konnte, auseinandergeschrieben wurde - viele Menschen nun nach eigenem Gutdünken zu verfahren scheinen. Und haben sie, nach mehreren Revisionen und angesichts der Varianten, nicht recht? Denn die Beherrschung der Schriftsprache einmal vorausgesetzt und von Schlampereien abgesehen - die meisten Fehler in der Orthographie entstehen nicht durch Unkenntnis, sondern weil der Schreiber etwas ausdrücken will, was so nicht im Wörterbuch vorgesehen ist, weil er seinem Ohr vertraut oder weil sich die Regeln der Nachschlagewerke widersprechen - warum eigentlich soll man "abhandenkommen" zusammen, "zugrunde liegen" aber auseinander schreiben.

Wenn der Klett Verlag nun, begleitet von einer großen Werbekampagne, mit seinem unter den Namen "Pons" vertriebenen Wörterbuch der deutschen Sprache ins Internet geht, um dort seinen Rat - gratis, selbstverständlich - der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, dann glaubt dort jemand, sich mit den Mitteln eines digitalen Mediums gegen das dicke gelb-schwarze Buch durchsetzen zu können, eben weil dessen öffentliche Geltung schon so gelitten hat. Dabei gehörte die Wörterbuch-Redaktion des Klett Verlags bislang nicht einmal zu den Experten, die in den Rat für deutsche Rechtschreibung geladen wurden.

Vielleicht muss sie auch nicht zu diesem halbstaatlichen Gremium gehören, da der "Pons" im Internet nach dem Prinzip von "Wikipedia" betrieben werden soll: als Gemeinschaftsprojekt seiner Benutzer, deren Tätigkeit von der Redaktion nicht gesteuert, sondern nur betreut werden soll. Zwar weiß man nicht recht, wie der Klett Verlag mit diesem Angebot Geld verdienen will: Aber dass sich da jemand vom Glauben an eine sonderbare Autorität abwendet und die Sprache, ein kollektives Gut, ihren Benutzern zurückgibt, erscheint zunächst als ehrenwertes Unterfangen.

Das wird nicht jedem gefallen. Der Schule nicht, die auf verbindliche Schreibungen drängen muss. Aber wenn es, was offenbar der Fall ist, immer weniger Schüler gibt, die sich auf hohem Niveau sprachlich ausdrücken können, dann liegt das nicht am "Duden", sondern am mangelnden oder fehlgeleiteten Umgang mit Literatur und Schrift. Und auch den vielen deutschen Menschen wird es nicht gefallen, die zwar die Schule längst hinter sich gebracht haben, aber dennoch ein ganz eigenes Vergnügen an der Rechtschreibung haben: Denn es ist, wenn von Rechtschreibung die Rede ist, allzu schnell ein Ruf nach Ordnung und ein Verlangen nach dem strengen Lehrer da - und der Ton von Vorschrift und Regel, von Pflicht und Zensur, von Nachhilfe und gefährdeter Versetzung.

Auf seltsame, oft bestürzende Weise verknüpfen sich dabei immer wieder Sprachkritik und Moral: so als wäre jeder, der unbeholfen, unverständlich, fehlerhaft spricht oder schreibt, zugleich ein schlechter Mensch - und der andere, der ihn bei einem Vergehen wider die gute Sprache ertappt, immer schon ein Richter, der, weil das Verbrechen ja offenbar ist, sich über dessen Ursachen keine Gedanken mehr machen muss. Der dauerhafte Erfolg der öffentlichen Nachhilfestunden Bastian Sicks ist insofern eine der unheimlichsten Errungenschaften der populären Kultur in Deutschland - und dass diese Unterweisungen oft selber fehlerhaft sind, wie der Berliner Sprachwissenschaftler André Meinunger in einem niederschmetternden Buch ("Sick of Sick". Kulturverlag Kadmos, Berlin 2008) nachgewiesen hat, macht die Sache nicht besser.

Schriebe nun jeder, wie er wollte, so wäre nichts gewonnen. Aber es schreibt ja fast nie einer, wie er will. Hielte man, wie es der Erlanger Linguist Theodor Ickler vor einigen Jahren mit seinem Wörterbuch der "normalen deutschen Rechtschreibung" (Reichl Verlag, 2004) tat, lediglich fest, was sich im Lauf der vergangenen 200 Jahre, auch mit Hilfe der angewandten Sprachwissenschaft, als allgemeine Schreibung herausgebildet hat, so wäre dem Anliegen, über eine nach vernünftigen, nachvollziehbaren, in sich konsistenten Regeln verfasste Schriftsprache zu verfügen, durchaus Genüge getan.

Und die so freigewordenen Kräfte ließen sich einem anderen, viel sinnvolleren Unternehmen widmen: Denn wie schade ist es - und wie bezeichnend -, dass die Redaktion des Duden Verlags vor Jahren ihr Werk "Zweifelsfälle der deutschen Sprache" durch eines mit dem Titel "Gutes und richtiges Deutsch" ersetzte. Denn durch Normen lernt man nichts. Um wieviel mehr aber durch Fragen.

30.7.09
http://www.sueddeutsche.de/kultur/863/482326/text/


eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.07.2009 um 06.17

Die „Süddeutsche“ begeht den zehnten Jahrestag ihres Kotaus vor der Kultusministerschreibe. Die beiden Schlußredakteurinnen des SZ-Magazins halten die „Rechtschreibreform“ für völlig unnötig, haben den eigentlichen Unfug aber doch noch nicht richtig begriffen.

Nach uns die Sintflut
Wenn die Schlussredakteurinnen des "SZ-Magazins" nicht wären, würden wir manchmal unfassbaren Quatsch drucken. Ein Gespräch über Rechtschreibung, Konjunktiv II und Panik in letzter Minute.
Von Max Fellmann und Jan Heidtmann (Interview) Foto: Frank Bauer

Marianne Kössler (links) gehörte schon zu den Gründungsmitgliedern 1990, ihre Kollegin Daniela Ptok (rechts) kam im Jahr 2003 dazu.

[…]

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum die Rechtschreibreform ein Fehler war.)

Gibt es notorische Fehler von Kollegen in der Redaktion?
Ptok:
Seit der Rechtschreibreform kommt offenbar keiner mehr mit dem »ß« zurecht. Manche denken, das »ß« gäbe es gar nicht mehr – was ja nun nicht stimmt.

[… und das noch zehn Jahre nach der heimtückischen Umfunktionierung des traditionellen deutschen ß-Gebrauchs.]

Hatte die Rechtschreibreform auch ihre guten Seiten?
Kössler:
Kaum. Das Ganze war völlig unnötig für die Sprache und für den Umgang mit ihr. Es wurden ja so viele Neuerungen wieder zurückgenommen, die wirklich unsinnig waren: Erst hieß es »aufwendig«, dann »aufwändig«, jetzt geht beides. Der Duden bietet in vielen Fällen zwei oder drei Möglichkeiten an. Es gibt keine Verbindlichkeit mehr.

[Ein Irrtum, daß nur „aufwändig“ vorgesehen war. Die es aber besser wußten, demonstrierten damit ihren Unterwerfungseifer.]

Manche Leute sagen: Weg von den Regeln, mehr Freiheit, die Leute schreiben eben so, wie es ihnen liegt.
Kössler:
Ich finde, dass gewisse Standards sein müssen. Eine Sprache braucht Regeln.
Ptok: … schon damit man hin und wieder dagegen verstoßen kann.

Aber Sprache ist ständig in Bewegung. Müsste sich also nicht auch die Orthografie immer anpassen?
Ptok:
Das wurde ja mit der Reform versucht. Aber eben ganz theoretisch, verkopft – und nicht am tatsächlichen Sprachgebrauch orientiert.

[Auch hier die Verwirrung im Gebrauch der Begriffe Sprache, Aussprache und Rechtschreibung, die schon die Gerichtsentscheidungen unheilvoll durchzieht. Die Aussprache hat sich seit 1900 nicht so verändert, daß dies in der Rechtschreibung darstellbar wäre. ]

Der Chef des Springer-Verlags, Mathias Döpfner, meint, im Zeitalter von SMS und E-Mails sei Rechtschreibung eigentlich altmodisch.
Ptok:
Finde ich überhaupt nicht. Wer Rechtschreibung beherrscht, wendet sie auch in der SMS richtig an.

Aber es ist ja damit zu rechnen, dass wir die Abkürzungen, die aus der Mail- und SMS-Welt kommen, in den nächsten Jahren auch im Schriftdeutschen finden.
Ptok:
Weiß ich nicht. Stand schon mal »lol« für »laughing out loud« bei uns im Heft?
Kössler: Diese SMS-Sprache ist eine Modeerscheinung, die wird zwei, drei Jahre benutzt, und dann kommt wieder was anderes.
[…]

Macht die Haltung dieser Leserbriefe, diese Wut, nicht im Nachhinein auch klar, warum die Rechtschreibreform so umstritten war?
Kössler:
Ja, die Leute wollen ein festes Regelwerk haben, etwas, was sich nicht verändert. Da geht’s auch um eine Art Halt im Leben.

[Das ist wieder ein Nachklang der Reformpropaganda: „Unflexible sträuben sich gegen den Fortschritt“. In Wirklichkeit hatten die Bürger die „Rechtschreibreform“ als das erkannt, was sie ist: Eine nichtsnutzige Volksbelästigung unter Geiselnahme der Schüler.

[…]

http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/29956


eingetragen von Norbert Lindenthal am 09.12.2008 um 18.51

Süddeutsche 04.12.2008   05:00 Uhr

Grundgesetz und Oberlehrer
Die deutsche Sprache braucht die Verfassung nicht

Es gibt viele Gründe, das Ansinnen der CDU, ein Bekenntnis zur deutschen Sprache ins Grundgesetz aufzunehmen, für einen schlechten Einfall zu halten. Der erste ist die Verfassung selber: Denn sie ist ja dazu da, die rechtlichen Grundlagen, auf denen Staat und Gesellschaft ruhen, zu formulieren. Als Wunschliste taugt sie nicht, und die Präzedenz, die ein Satz "Die Sprache in der Bundesrepublik ist Deutsch" - der ja ein bloßes Begehren wäre - schaffen würde, ist nicht dazu angetan, den Respekt vor der Verfassung zu mehren. Umgekehrt wäre der deutschen Sprache gewiss nicht geholfen, sollte in der Folge die Verfassungsgerichtsbarkeit über die Einhaltung der Regel wachen. Und wie sollte das auch gehen? Mit Hilfe von Oberlehrern, die mit Tintenpatronen schießen?

Woher die Aufregung, fragen nun die Befürworter des Ansinnens. Norbert Lammert und Wolfgang Bosbach, der eine Bundestagspräsident, der andere stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU, erklären, es gebe in der Europäischen Union siebzehn Länder, in denen die Landessprache ausdrücklich in der Verfassung genannt sei. Das mag so sein, ist aber weder ein Argument dafür, dass die Erwähnung "schiere Selbstverständlichkeit" (Norbert Lammert) sei, noch dafür, dass dies nun auch mit der deutschen Sprache geschehen müsse. Denn welcher Nutzen entsteht für die französische Sprache dadurch, dass sie in der Verfassung erwähnt wird? Keiner. Es wird nur deutlich, dass sie den staatlichen Schutz braucht, damit sie ihre Geltung behalten kann - wodurch sich der entsprechende Passus in ein Dokument der Schwäche verwandelt. Und wozu dient es, wenn die lettische Verfassung einen Paragraphen enthält, der den Abgeordneten des Parlamentes vorschreibt, die "lettische Sprache als einzige Amtssprache zu stärken"? Zur Regelung eines eher unfreundlichen Umgangs mit der russischen Minderheit.

Es bleibt das Argument, es handele sich bei der deutschen Sprache um das "höchste Kulturgut". Aber muss sie deswegen durch die Verfassung geschützt werden? Verglichen mit den anderen europäischen Kultursprachen hat das Deutsche eine einzigartige Entwicklung durchlaufen, die sich bis in späte neunzehnte Jahrhundert hinein nicht nur durch eine große Ferne zu aller Staatlichkeit, sondern sogar durch deren völlige Abwesenheit auszeichnete. Das Französische wurde im frühen siebzehnten Jahrhundert durch eine staatliche Instanz, nämlich die Academie française, normiert und hat sich seitdem nur noch wenig entwickelt. Das Englische verfügt seit dem Wörterbuch von Samuel Johnson aus dem Jahr 1755 über eine nicht nur lexikographische, sondern auch grammatische Richtschnur für den Umgang mit dieser Sprache - eng angelehnt an den Dialekt der Metropole. Das Deutsche aber, die Sprache eines Landes ohne Hauptstadt, ohne politische Öffentlichkeit, zerfallen in Dutzende von kleinen und großen Staaten, an deren Höfen französisch gesprochen wurde, besaß nichts dergleichen.

Glückliche Momente ohne Staat

Die Entstehung der deutschen Literatursprache, ohne viel Tradition oder historisches Formbewusstsein, gehört zu den Wundern der Kulturgeschichte. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten, zwischen 1770 und 1830, entwickelte sie sich aus kulturellen Interessen heraus, unter nur wenigen Schriftstellern und Gelehrten, durchlässig anderen Sprachen gegenüber, durchlässig aber auch in sich selbst, insofern sie sich immer wieder änderte und erst im späten neunzehnten Jahrhundert die Festigkeit gewann, die man für Schule und Amt braucht.

Johann Wolfgang Goethes "Werther", abgefasst in einem Deutsch, das keiner je gesprochen, keiner je geschrieben hatte, wurde zum Grundbuch dieser neuen Sprache. Die Hälfte des Wortschatzes soll sich damals neu gebildet haben. Und es waren diese Dichter und Gelehrten, mit denen, jenseits aller Staatlichkeit, die deutsche Sprache in ganz Europa und darüber hinaus zu etwas Interessantem wurde, das man lernte, um daran teilzuhaben: am Streit der Religionen, am philosophischen Idealismus, an der Säkularisierung der protestantischen Theologie in der Literatur, an den entstehenden Naturwissenschaften. Es ist diese Sprache, die wir noch heute, in glücklichen Momenten jedenfalls, benutzen.

Umgekehrt ist es der deutschen Sprache nie gut bekommen, wenn sie in allzu große Nähe zur Politik rückte oder gerückt wurde. Das gilt für den Allgemeinen Deutschen Sprachverein, der sich im frühen "Dritten Reich" als "SA unserer Muttersprache" im Kampf gegen die "Verwelschung" des Wortschatzes empfahl, ebenso wie für die von den Kultusministern durchgesetzte Rechtschreibreform der Jahre von 1996 bis 2006, deren bleibendes Verdienst darin liegt, zwar nichts reformiert, aber so viel Verwirrung gestiftet zu haben, dass die Einheitlichkeit der Orthographie (oder -fie?) in der Praxis aufgehoben ist. Welche Zuständigkeit aber reklamierte die Politik für die deutsche Sprache, wenn diese einst Gegenstand der Verfassung wäre? Und für welche deutsche Sprache? Für den Werkstattjargon der Wissenschaften, für das monströse Kauderwelsch der Betriebswirte, für das Verständigungsgeschwätz der Politiker? Für einen Dialekt aus dem Oberallgäu, für die Kunstsprache junger Einwanderer?

Integration durch Bürokratie?

Wie aber, wenn mit der Aufnahme der Sprache in die Verfassung etwas ganz anderes gemeint wäre? "Sprache ist der Schlüssel für Integration in Deutschland schlechthin", sagt Wolfgang Bosbach. "Deswegen ist es auch schlicht falsch, wenn man sagt, das sei eine Ausgrenzung. Im Gegenteil, das ist eine Einladung, sich noch intensiver mit der deutschen Sprache und ihrer Bedeutung für das Zusammenleben der Menschen zu beschäftigen."

Ja, daran mag etwas Wahres sein, und doch wäre der bürokratische Akt, ein Bekenntnis zur deutschen Sprache in die Verfassung zu schreiben, ein ganz und gar ungeeignetes Mittel für diesen Zweck. Denn Amtssprache ist das Deutsche ohnehin. Wem das nicht genügt, wer also wirklich, wie der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, "ein klares Zeichen für die deutsche Sprache" setzen will, der müsste etwas anderes tun, als lauter bürokratischen Akten einen weiteren hinzuzufügen. Er müsste sich um die Attraktivität der Sprache bemühen, darum, was in ihr gesagt wird, und darum, wie es gesagt wird. Die Wahrheit über die deutsche Sprache aber ist, dass viele Deutsche schon lange nicht mehr auf Deutsch sagen, geschweige denn schreiben können, was sie sagen oder schreiben wollen. Und das ist bei weitem nicht nur ein Phänomen von Unterschichten, sondern auch und gerade der Eliten: Was meint zum Beispiel Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister, wenn er öffentlich behauptet: "Jenseits von aktuellen Einzelfällen kommen neue Fragestellungen und Spannungsfelder auf den Menschenrechtsschutz zu?" - will er tatsächlich von zukommenden Feldern und Stellungen reden?

Die Vertreter der Einwanderer aus der Türkei haben recht, wenn sie hinter der "fragwürdigen Bekenntnisrhetorik" eine Wiederkehr der nur scheinbar glücklich ausgestandenen Debatte um die Leitkultur ahnen. Denn ohne Reflexion auf die Sprache selbst, ohne den Willen, an ihr zu arbeiten und sie weiter zu entwickeln, als nur angeblich selbstverständliche formelle Selbstverpflichtung, hat dieses Bekenntnis eine Rückseite, eben doch die Abgrenzung. Deswegen dient ein Bekenntnis zum Deutschen im Grundgesetz hauptsächlich dazu, Unfrieden zu stiften. Als ob es davon nicht schon genug gäbe. THOMAS STEINFELD


eingetragen von Christoph Kukulies am 05.07.2008 um 14.00

Aber bestimmt nicht das des Schriftsetzers:

Heute in der ,,Sueddeutschen", Seite 24, ,,Vom Klang der Seele":

Das
älteste bekannte Musikinstrument ist eine
35 000 Jahre alte Flöte aus Schwanen-
knochen, die in einer Höhle bei Blaube-
uren gefunden wurde.

__________________
Christoph Kukulies


eingetragen von Sigmar Salzburg am 28.05.2008 um 21.26

Thomas Steinfeld zu

Jutta Limbach „Hat Deutsch eine Zukunft?“ (Beck Verlag)

Wenn dieses Büchlein dennoch ein großes Echo in der Öffentlichkeit auslöst, so liegt das am Gegenstand. Was mit der deutschen Sprache geschieht und geschehen wird, ist zu einer Angelegenheit des Unbehagens geworden.
Es ist dasselbe Unbehagen, das aus dem törichten Begehren nach einer neuen Rechtschreibung ein nationales Desaster werden ließ, dieselbe Unruhe, die Bastian Sicks Bücher und Darbietungen zum richtigen Deutsch, so oberflächlich sie sein mögen, zu gewaltigen Erfolgen macht. Dahinter rumort die Sorge, dass den Deutschen ihre Sprache entgleite.


Süddeutsche Zeitung online 28.05.2008
http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/258/176723/


eingetragen von Norbert Lindenthal am 27.03.2008 um 13.37

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von glasreiniger
… Einiges …
Die Süddeutsche hat das schon geändert.
__________________
Norbert Lindenthal


eingetragen von glasreiniger am 27.03.2008 um 13.13

Heute in der Online-SZ:
http://www.sueddeutsche.de/,tt4m1/deutschland/artikel/951/165480/

Natürlich hat er sich Einiges selbst zuzuschreiben: (Der SPD-Vorsitzende Beck ist gemeint)


eingetragen von Norbert Lindenthal am 12.03.2008 um 19.59

Süddeutsche Zeitung 11.03.2008 13:11 Uhr

Beispiel Porsche: Sprache in Firmen
Schlechtes Deutsch besser als gutes Englisch
Error, error: Der Sportwagenhersteller Porsche setzt intern ganz auf die deutsche Sprache. Weil der Einfallsreichtum der Ingenieure dann größer ist.
Von Stefanie Gentner

Jüngst quittierten nun auch noch die Leser der Zeitschrift Deutsche Sprachwelt das Engagement der Porsche AG mit Wertschätzung und wählten den Autohersteller zum "Sprachwahrer des Jahres".

Tatsächlich lassen sich mit dem konsequenten Gebrauch der deutschen Sprache als Konzernsprache - so wie es Porsche durchzusetzen versucht - entscheidende Vorteile erzielen.

Etwa in Besprechungen: Die Erfahrung zeigt, dass selbst Diplom-Ingenieure - Werksleiter mit bis zu 5000 Mitarbeitern - in "Meetings" nichts sagen, weil ihnen auf Englisch nichts einfällt oder sie sich nicht blamieren wollen.

Porschechef Wendelin Wiedeking betonte hierzu schon vor einiger Zeit im Spiegel: "Natürlich können sich die Manager in Englisch verständigen. Aber das ist nicht auf allen Arbeitsebenen der Fall. Ganz schwierig wird es, wenn es um Details geht, um die Einzelteile eines Motors beispielsweise. Doch gerade bei diesen Themen müssen sich die Mitarbeiter perfekt verständigen. Und wenn Englisch oder Französisch die Konzernsprache ist, benachteiligt man automatisch alle, für die dies nicht die Muttersprache ist."

Es erscheint nur allzu offensichtlich, dass hier Arbeitsprozesse langwieriger vonstattengehen oder sogar ganz schieflaufen. “In großen Runden reden dann plötzlich nur noch die, die gut Englisch sprechen und nicht die, die fachlich Ahnung haben“, sagt Betriebslinguistiker und Unternehmensberater Reiner Pogarell. Er hat ein passendes Beispiel: "Allein das Wort ‚Fehler’ lässt sich im Deutschen in feinsten Abstufungen ausdrücken."

Ob Qualitätsmangel, Versehen, Fehlplanung oder Missmanagement. Der deutsche Ingenieur kennt hier im Englischen vielleicht nur das Wort "Error" und bringt somit längst nicht an den Tag, was er tatsächlich sagen will. "So scheitern einfachste Arbeitsprozesse", sagt Pogarell.

Das geht in der Sachbearbeitung dann weiter. Wird der eingehende Auftrag nicht verstanden, wird er nicht bearbeitet. "Schlechtes Deutsch ist hier oft besser als nur Englisch", weiß Pogarell aus seiner Praxis in deutschen Unternehmen.

Ein Porsche-Sprecher bringt es noch einmal auf den Punkt: "Natürlich müssen auch bei uns alle Englisch können, um sich international bewegen zu können. Es ist aber doch die Muttersprache, die uns wirklich stark macht."

Vorstellungskraft fördern
Gerade in den Entwicklungsabteilungen geht es um Vorstellungskraft, Denkschärfe und um reibungslose Verständigung. Der Einfallsreichtum der Ingenieure ist in ihrer Muttersprache am größten, heißt es bei Porsche. Dieser soll auf keinen Fall gebremst werden.

Der Erfolg gibt dem Unternehmen Recht. So konnte es für das Jahr 2007 unter anderem einen Zulassungsrekord in Deutschland und einen Verkaufsrekord in Nordamerika ausweisen.

Nach einer Umfrage des Manager Magazins ist Porsche außerdem zum achten Mal in Folge zum Unternehmen mit dem besten Ansehen in Deutschland gekürt worden.

Auch andere Firmen setzen konsequent auf die deutsche Sprache, etwa Eon Westfalen-Weser. Das Unternehmen hat sogar einen entsprechenden Leitfaden für die Mitarbeiter zusammengestellt.

Das Gros der Firmen folgt jedoch dem Trend der "Verenglischung": Viele Unternehmen anglisieren sogar ihre Firmennamen, wie beispielsweise BMW Group, Deutsche Post World Net oder Deutsche Bahn Mobility Network Logistics.

Siemens nennt ihre Abteilungen nur noch Power Generation, Automation Technologies oder Lighting. Ebenso bei BASF: Hier hat sich Vorstandsvorsitzender Jürgen Hambrecht darum bemüht, die Unternehmensbereiche seit dem 1. Januar 2008 mit englischen Bezeichnungen zu versehen, ohne dafür deutschsprachige Entsprechungen anzubieten.

So wurden aus den vormals fünf Segmenten Chemikalien, Kunststoffe, Veredelungsprodukte, Pflanzenschutz/Ernährung und Öl/Gas nun die sechs neuen Bereiche Chemicals, Plastics, Functional Solutions, Performance Products, Agricultural Solutions und Oil&Gas.

"Comical Company"
Manch einer machte sich schon lustig, nannte BASF nicht mehr "The Chemical Company", sondern nur noch lapidar "The Comical Company".

Gerade die Mitarbeiter haben ihre Probleme mit dem neuen Vokabular. So schreibt ein Beschäftigter in der BASF-Mitarbeiterzeitung, er tue sich "sehr schwer" mit den neuen Bezeichnungen.

Betriebslinguistiker Pogarell hält den Trend zur englischen Sprache schon aus Imagegründen für eher schädlich als förderlich. "Denn ’Made in Germany’ ist nach wie vor ein Verkaufsgarant."

Sprachwissenschaftler sehen noch weitere Probleme. Im Vergleich zum normalen Englisch entwickelt sich in den Firmen meist ein sogenanntes Bad Simple English (BSE), also ein einfacheres, oft fehlerhaftes Englisch. So birgt BSE, gerade bei Geschäftsbeziehungen aufgrund der Fehlerhaftigkeit die Gefahr von Missverständnissen, die fatale Folgen nach sich ziehen können.

Der Supermarkt Wal-Mart kann hier als bekanntestes Beispiel für das Scheitern des Englischen herangezogen werden. Mit insgesamt über einer Million Mitarbeitern kam die weltweit größte Lebensmittelkette ab Mitte der 1990er Jahre auf den deutschen Markt. Bereits 2007 musste der US-Konzern seine Filialen in Deutschland wieder schließen - mit riesigen Verlusten.

Reiner Pogarell hat die Entwicklung bei Wal-Mart eingehend betrachtet und ist sich sicher: "Zu viel Englisch."

Wal-Mart setzte amerikanische Geschäftsführer ein. Das gesamte Management, ab dem Filialleiter, musste Englisch sprechen. Es folgte eine Trennung zwischen den oberen und unteren Unternehmensebenen. "Beschwerden wurden zum Beispiel nicht weitergeleitet, weil sie in Englisch formuliert sein mussten."

Nach und nach fehlten zunächst die Motivation der eigenen Mitarbeiter und in der Folge dann auch die Kunden.

Porsche ist in jedem Fall überzeugt von seinem Festhalten an der deutschen Sprache. In Stuttgart blickt man entspannt zum Nachbarn Daimler, der nicht zuletzt durch die Kooperation mit dem amerikanischen Automobilhersteller Chrysler Englisch als Konzernsprache eingeführt hat. "Das gibt es bei uns nicht", heißt es bei Porsche.

(sueddeutsche.de/hgn)


eingetragen von Norbert Lindenthal am 19.10.2007 um 11.50

Berliner Literaturkritik vom 19.10.2007

„Süddeutsche Zeitung“
Die Ergebnisse einer Hausaufgabe der deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, nämlich eine Sprachglosse über Anglizismen zu verfassen, „die im Sprachgebrauch und vielleicht weit über ihn hinaus Unheil stifteten“, hat Klaus Reichert als Sammlung herausgegeben. Die Schlüsse seien unter anderem gewesen, dass Wörterbücher die besten Beispiele für Glossare seien und die „misslungene Rechtschreibreform“ den falschen Sprachgebrauch unterstütze. Zudem fiele der Vergleich von Sprachverfall und Vogelgrippe, welcher jedoch von den meisten Glosseuren nicht beachtet wurde. Stattdessen wurde das Fazit, die Autoren fühlten sich verletzt von Sprachdummheiten und sähen einer Lösung hoffnungsvoll entgegen, allgemein angenommen. Der Rezensent betrachtet diese Lösung jedoch kritisch.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.06.2007 um 08.49

"Was Topmodel Heidi Klum als Chefredakteurin auf Zeit am liebsten liest, können Sie ab 31. Mai in Heidis Gala entdecken.“

Das haben wir. Und erkannten: Am liebsten liest Heidi Klum über sich selbst.
[…]
In einem großen grauen Kasten auf derselben Seite erfahren wir auch gleich noch, was Heidi sonst noch am Herzen liegt. Erstens: ein Kinderdorf in Bergisch Gladbach, zu dessen Gunsten sie damals die Single "Wonderland“ aufgenommen hatte. Endlich verstehen wir, warum sie uns das angetan hat!
Zweitens: die deutsche Rechtschreibreform. Womit genau sie sich dabei beschäftigt, erfahren wir nicht. […]

http://www.sueddeutsche.de/,ra7l1/leben/artikel/613/116497/


eingetragen von Detlef Lindenthal am 28.07.2005 um 10.29


Dr. Johannes Wasmuth schrieb:
... wirtschaftlichen Schäden für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, die mit der Reform verbunden waren und weiterhin verbunden sind ...
Es sind nicht nur die „wirtschaftlichen“ Schäden in Form von Mehrarbeitszeit, Bücherneukauf, Fehlerzunahme und dadurch langsamerem Lesen. Als schlimmsten Schaden sehe ich, daß unsere Schulkinder mit der Botschaft ins Leben entlassen werden: Hauptsache das machen, was der Chef, Lehrer usw. sagt; statt: das zu machen, was richtig ist. Folge: viel wichtige Denkleistung liegt brach, schwerwiegende Fehler setzen sich durch alle Entscheidungsebenen bis nach unten durch – wie bei Stalin oder Hitler, und das Leben geht zugrunde.
Wir brauchen an jeder Stelle in Gesellschaft und Arbeitswelt Menschen, die dazu stehen, was ihr Denken ihnen sagt; und deshalb lohnt der kluge Widerstand gegen die sogenannte Rechtschreib„reform“, damit sich eine neue Tradition von Selbstdenkern bildet.
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Karl-Heinz Isleif am 25.07.2005 um 13.08

Dies ist der dritte Leserbrief, den ich unten als sehr lesenswert bezeichnet habe:

Das Werk von Scharlatanen
Jetzt Fehler anzurechnen ist nicht sinnvoll
/ SZ vom 19. Juli

Dass Bayern und Nordrhein-Westfalen Schüler nicht auf das Rechtschreibreformabenteuer verpflichten, gebietet die rechtsstaatliche Fairness. Die Reform ist derart desolat, dass sie so nicht bleibt. Ihre Regeln sind mehrdeutig und mehrfach geändert. Ein Wörterbuch, das zutreffend Auskunft gibt, was ab dem 1.8.2005 falsch ist, gibt es nicht. Da lassen sich nur die Kultusminister benoten. Dies gilt zunächst dafür, dass sie Rechtschreibscharlatanen aufgesessen sind, die um der Veränderung willen eine Reform aus einem Gemisch von Regeln des 18. Jahrhunderts, Ansätzen der NS-Ära, Vorstellungen von SED-nahen „Schriftexperten“ und eines Schweizer Eigenbrödlers, der dem Duden NS-Lastigkeit andichtete, sowie infantilen Pseudoetymologien zusammengebraut, sich selbstherrlich über die Entwicklung der Sprache, ihre Grammatik, Semantik und Phonetik hinweggesetzt und damit ihrer Verschriftung schweren Schaden zugefügt haben. Dies gilt auch wegen der wirtschaftlichen Schäden für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, die mit der Reform verbunden waren und weiterhin verbunden sind. Und dies gilt wegen des Starrsinns, mit dem die Kultusminister trotz der breiten Reformablehnung ohne Rücksicht auf elementare demokratische Gepflogenheiten vorgehen und der die Kultusverwaltung partiell zu einem Tollhaus hat verkommen lassen. Die angemessene Note dafür lautet „ungenügend“. Eine effektive Schadensbegrenzung wäre nach wie vor allein die Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung. Doch dazu fehlt den Kultusministern bislang jeder Anflug politischer Größe.

Der aktuelle Einsatz für eine einheitlich akzeptierte Rechtschreibung des früheren bayerischen Kultusministers Zehetmair ist sehr begrüßenswert. Erfolgreich wäre er aber nur, wenn das Reformwerk damit vollständig auf den Prüfstand gestellt und rückhaltlos von sämtlichen Mängeln gesäubert würde. Dazu muss sich der Rechtschreibrat von allen Vorgaben der Kultusminister, auch derjenigen, von den Reformregeln ausgehen zu müssen, lösen. Dies wiederum ist nur möglich, wenn sich der Rat von der „Menge von Persönlichkeiten“ schonungslos verabschiedet, die laut Zehetmair „an der Altlast mittragen“, und sie durch Persönlichkeiten ersetzt, die etwas von der Sache verstehen. Sonst produziert auch der Rat nur Flickschusterei und der von Zehetmair gewünschte Rechtschreibfrieden wird auf den Sanktnimmerleinstag verschoben.
Dr. Johannes Wasmuth, München

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.169, Montag, den 25. Juli 2005 , Seite 18


eingetragen von Karl-Heinz Isleif am 25.07.2005 um 13.02

Herrn Lindenthals Begründung oder 'Erlaubnis' klingt verdächtig politisch, aber ich wage es mal... Hier sind die ersten beiden Leserbriefe:


An die Leser denken

Rechtschreiber, Rechthaber / SZ vom 20. Juli

Im Gegensatz zu den auf die Dauer ermüdenden Rechthabern versucht Wolfgang Roth Ruhe und Vernunft in die Diskussion über die Rechtschreibreform zu bringen. Diese quält sich schon so lange unerfreulich dahin, dass es nun auf ein Jahr hin oder her wirklich nicht mehr ankommt, wenn damit endlich vernünftige Lösungen erreicht werden können. Dabei ist sehr zu wünschen, dass endlich auch die Lesbarkeit verbessert wird. Die Leser wurden bisher viel zu wenig berücksichtigt. Der Horizont der Kultusminister scheint in Fragen der Rechtschreibreform am Schultor zu enden. Außerhalb des Rotstiftbezirks der Korrekturen hat die geschriebene Sprache doch viel mehr Leser als Schreibende! Weil dies jeden Bürger betrifft, ist die Reform der Rechtschreibreform eine wichtige Aufgabe.Brigitte Baur, München


Der Beschluss der Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen, die verbindliche Einführung der neuen Rechtschreibung um ein Jahr zu verschieben, wirft ein grelles Licht auf die - mangelnde - Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit von Politikern. Da haben die Ministerpräsidenten gerade erst Anfang Juli zum wiederholten Mal einstimmig die verbindliche Einführung der Rechtschreibreform zum 1. August beschlossen, und nun scheren sich zwei Länder kaum drei Wochen später nicht mehr um diesen Beschluss. Was für einen verheerenden Eindruck muss so etwas bei der Bevölkerung und besonders bei den Lehrern und Schülern hinterlassen! Wie soll man Kinder zu Verlässlichkeit erziehen, wenn ihnen sogar Ministerpräsidenten ein schlechtes Vorbild geben? Dabei sind die Argumente für die Verschiebung recht schwach. Die bisher vom Rat für deutsche Rechtschreibung beschlossenen Änderungen an der Reform sind eher marginal und werden es in Zukunft wohl auch bleiben. Deswegen die verbindliche Einführung der neuen Rechtschreibung zu verschieben zeugt von Kleingeist, der Ministerpräsidenten eigentlich nicht zu Eigen sein sollte.Dr. Siegfried Wolff, Schenefeld
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.169, Montag, den 25. Juli 2005 , Seite 18


eingetragen von Detlef Lindenthal am 25.07.2005 um 11.31

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Karl-Heinz Isleif
(Ich bin unsicher, ob man die so einfach hier reinkopieren darf.)
Doch, das darf man: Leserbriefe sind Politik, und Politik ist öffentlich. Auch darf man regelmäßig einzelne ausgewählte Artikel zu einem bestimmten Thema kopieren. Natürlich immer mit ausführlicher Quellenangabe, auf diese Weise geben wir etwas Ausgleich in Form von Werbung.
Dr. Johannes Wasmuth ist der Vorsitzende der Münchener Gruppe des Rates für deutsche Rechtschreibung.
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Karl-Heinz Isleif am 25.07.2005 um 09.39

Es gibt heute, am 25. Juli 2005, drei Leserbriefe zum Thema Rechtschreibreform in der SZ: einen weniger guten, einen mäßigen, und einen sehr lesenswerten von einem Dr. Johannes Wasmuth. (Ich bin unsicher, ob man die so einfach hier reinkopieren darf.)


eingetragen von Detlef Lindenthal am 20.06.2005 um 20.57

Seite 10 / Süddeutsche Zeitung Nr.. 136
Thema Rechtschreibung gestrichen
Ohne Kopf durch die Wand / SZ vom 4./5. Juni

Thomas Steinfeld kommentiert die Entscheidung der Kultusminister, Teile der Rechtschreibreform zum 1. August an Schulen für verbindlich zu erklären. Ärgerlich ist, dass die neue Rechtschreibung, eine natürlich nicht perfekte, aber im Grunde sinnvolle Sache, im letzten Sommerloch von profilierungssüchtigen Politikern mit wenig Sachverstand, aber viel Populismus wieder in Frage gestellt wurde.
Ärgerlich ist auch, dass der schon Anfang Oktober eingesetzte Rat für deutsche Rechtschreibung, obwohl damals der l. August 2005 als Termin bereits feststand, nur alle heilige Zeit Lust zum Tagen fand: Erst um Weihnachten einigte man sich auf einen Vorsitzenden, erst um Ostern teilte man der Öffentlichkeit mit, dass man mit der Getrennt- und Zusammenschreibung nicht zufrieden sei; und erst jetzt nach Pfingsten kommen erste Ergebnisse. Versagt haben also irgendwie alle.
Mir als Deutschlehrer am Gymnasium ist das mittlerweile egal. Weder werde ich mir je nach öffentlicher Laune neue Lexika zulegen noch werde ich meine paar hundert Arbeitsblätter alle Nase lang überarbeiten. Dieses Schuljahr jedenfalls habe ich das Thema „Rechtschreibung", das mir früher überaus wichtig war, komplett gestrichen. Das war meinen Schülern am liebsten.
Wolfgang Feiner, Regensburg

Der Beschluss der Kultusministerkonferenz ist – entgegen der Meinung Thomas Steinfelds – vorbehaltlos zu begrüßen. Endlich gibt es Sicherheit für Lehrer und Schüler, aber auch für alle, denen die deutsche Schriftsprache am Herzen liegt, dass das über etliche Jahre Gelehrte und Gelernte Bestand haben wird. Die im Vergleich zur Gesamtheit der Reform geringfügigen Korrekturen durch den Rat für deutsche Rechtschreibung wird man akzeptieren können. Auch früher gab es über die Jahre Änderungen – wenn auch nicht in dem Umfang wie heute –, die ebenfalls „von oben herab“, damals allerdings durch die Duden-Redaktion, eingeführt wurden. Eine lebende Sprache ist immer Veränderungen ausgesetzt. Eine Verschiebung des Verbindlichwerdens der Reform würde das durch die verbissene Kritik von Puristen und Besserwissern angerichtete Chaos in den Schulen nur verlängern.
Dr. Siegfried Wolff, Schenefeld

Angesichts des nicht enden wollenden Gezerres um die Rechtschreibreform möchte man der Kultusministerkonferenz und sämtlichen am Entscheidungsprozess beteiligten Gremien und Kommissionen am liebsten ins Stammbuch schreib en: „Die besten Reformer sind die, die mit sich selbst beginnen.“ Dabei stellt sich die Frage, wie lange wir es uns noch leisten können, dass eine arrogante Kaste von Besserwissern und selbst ernannten Sprachreformern ihr Kompetenzgerangel und ihre hochgeistigen Disputationen hauptsächlich auf dem Rücken von Schülern und Lehrern austrägt und dabei gleichzeitig dem weltweiten Ansehen unserer Sprache nicht unerheblichen Schaden zufügt.
Eine Ausweitung plebiszitärer Elemente wie Volksbegehren und Volksentscheid würde mit Sicherheit in kürzester Zeit Ruhe in diese künstlich hochstilisierte und aufgeblähte Debatte bringen und den Blick der Verantwortlichen endlich auf die weitaus drängenderen Probleme unseres Gemeinwesens richten.
Wilfried Glaser, Königsbrunn

Blind und ratlos
Neue Rechtschreibung wird verbindlich, SZ vom 4./5. Juni

Der Wirbel, der von selbst erkorenen Experten um die neue Rechtschreibung gemacht wird, scheint mir von einer Blindheit oder Ratlosigkeit gegenüber den wesentlichen Herausforderungen in Deutschland und auf der Welt befördert zu sein. Jürgen Rüttgers findet es zudem bedenklich, „wenn sich politische Gremien über den Expertenrat hinwegsetzen“. Das wiederum finde ich bedenklich. Von einem Expertenrat möchte wohl kein Bürger regiert werden, wenn er ihn nicht wählen darf. Und wenn Experten gehört werden sollen, dann bitte bei komplexeren Materien, wie etwa der Gestaltung von Zuwanderung; da würde ich Rüttgers schon eher beim Wort nehmen wollen.
Andreas Fisch, Köln

Der Berg kreißt und gebiert ein – nein, kein Mäuslein, sondern ein Monster, eine Missgeburt: Wasserkopf und verkrüppelte Gliedmaßen, geistig behindert und körperbehindert, kann nicht richtig denken und kaum laufen. Schicken wir es in die Sonderschule?!
Rüdiger B. Wolff, Mönchengladbach

,,,Unstrittig‘ ist nach Auffassung der Minister ... die neue Groß- und Kleinschreibung, obwohl dies starke Kritik aus den Reihen der Sprachwissenschaft provozierte", berichtet Wolfgang Roth. Mit anderen Worten: Inkompetente Laien haben das Sagen und setzen sich über die Fachleute hinweg. Die Politik missachtet den Sachverstand. Das ist schlimm. Aber noch viel schlimmer ist, dass große Teile der freien (!) Presse eben diesen inkompetenten Kultusministern, die für den ganzen horrenden „Quatsch" (Thomas Steinfeld im Feuilleton der SZ vom 4./5. Juni: „Ohne Kopf durch die Wand") verantwortlich sind, brav gehorchen, immer noch gehorchen, obwohl die Minister in Sachen Rechtschreibung in- ....
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Karl-Heinz Isleif am 20.06.2005 um 15.17

Abonnent!


eingetragen von Karl-Heinz Isleif am 20.06.2005 um 15.16

Die Leserbriefe sind hier, ich bin aber nicht sicher, ob jeder auf diese Adresse Zugriff hat (ich bin E-Paper Abonnement). Das war die SZ vom 20. 6. 2005, S. 10.

http://epaper.sueddeutsche.de/digiPaper/html/start.html

Freundlichen Gruß

Karl-Heinz Isleif


eingetragen von Detlef Lindenthal am 20.06.2005 um 09.12

Hat jemand die Leserbrief-Antworten hierauf?

Quelle: http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/280/54226/

3.6.2005, 17:02 Uhr

Rechtschreibreform
Im Länd der unpegrentzten Möglischkayten

Nach den jüngsten Windungen der Kultusministerkonferenz wird es eine verbindliche, gesellschaftlich durchgesetzte deutsche Rechtschreibung nicht mehr geben, und die Schule wird an ihrer Aufgabe scheitern, eine einheitliche Schriftsprache zu vermitteln.
Von Thomas Steinfeld


Der schönste Satz in der Verlautbarung zur deutschen Rechtschreibung, mit der die deutschen Kultusminister am gestrigen Freitag an die Öffentlichkeit gegangen sind, ist dieser: "Der aktuelle Stand des Regelwerks und das Wörterverzeichnis ist im Internet zugänglich." Ganz abgesehen davon, dass ein grammatikalischer Fehler in ihm steckt -- das doppelte Subjekt müsste ein "sind" nach sich ziehen --, enthält er ein schlimmes Geständnis: Denn was ist hier mit "aktuell" gemeint?

Die deutsche Rechtschreibung, wie sie der "Duden" im vergangenen Jahr veröffentlichte, lange bevor die entsprechende amtliche Regelung zugänglich war? Die jüngste amtliche Regelung, wie sie den meisten Lehrern nie übermittelt wurde? Die jüngste Regelung unter Ausschluss der Bereiche der Rechtschreibung, darunter die Getrennt- und Zusammenschreibung, für die der Expertenausschuss im Rat für deutsche Rechtschreibung nun eine weitgehende Rückkehr zu den Zuständen vor der Reform empfiehlt? Die jüngste Regelung inklusive dieser Bereiche, aber mit "Toleranzklausel"?

Eine große Zahl von Möglichkeiten tut sich hier auf, und nur eines ist gewiss: Keine von ihnen wird die verbindliche, einheitliche Rechtschreibung wiederherstellen, wie es sie bis 1996 ganz selbstverständlich gegeben hatte. Sie ist verloren und wird verloren bleiben, bis sich, vielleicht in einer Generation oder in fünfzig Jahren, alle sinnwidrigen und ungrammatikalischen Regelungen abgeschliffen haben werden.

Was macht nun ein Lehrer, dieser bedauernswerte Mensch, wenn er nach dem 1. August eine Klassenarbeit auf sprachliche Richtigkeit hin korrigieren muss? Er wird nachschlagen müssen, nachschlagen und noch einmal nachschlagen, weil das, was die ihm anvertrauten Schüler jetzt noch lernen, nicht mehr dem entspricht, was im "Duden" von 2004 steht, der wesentlich mehr "Varianten" zulässt als alle anderen Veröffentlichungen der Reform. Er wird prüfen müssen, ob das, was in diesem "Duden" steht, mit dem konform geht, was der Rat für Rechtschreibung empfiehlt und was vermutlich bald verbindlich werden wird. Er wird Möglichkeiten über Möglichkeiten finden -- und das Verbindliche, was er finden wird, sind die Bereiche der Orthografie, die nur deshalb als "unstrittig" gelten dürfen, weil die Kultusminister den von ihnen selbst eingesetzten Rat für deutsche Rechtschreibung an der Arbeit hindern wollen. "Unstrittig" sollen etwa Groß- und Kleinschreibung, Laut-Buchstabenzuordnung sein. Aber sie sind es nur, weil der Rat noch keine Zeit hatte, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Und so ist vor allem eines gewiss: Eine verbindliche, gesellschaftlich durchgesetzte deutsche Rechtschreibung gibt es nicht mehr, und die Schule wird an ihrer Aufgabe scheitern, eine einheitliche Schriftsprache zu vermitteln. Die besseren Schüler, oder genauer: viele Kinder der Gebildeten, wird das nicht darin hindern, sie trotzdem zu lernen. Denn wenn sie beginnen, literarische Werke zu lesen, werden ihnen viele Rechtschreibungen begegnen, die alten aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, die neuen und noch ein paar ganz andere, etwa die von Arno Schmidt oder Reinhard Jirgl. Die reformierte Rechtschreibung ist für sie eine Technik, die man beherrschen kann wie jede andere auch. Die Kinder aus weniger gebildeten und bücherarmen Haushalten aber werden von diesem Durcheinander um so härter getroffen werden -- denn auf sie fällt die reformierte Schreibung mit all ihren inneren Widersprüchen und Ungereimtheiten unvermittelt herab.

Und warum dieser Quatsch? Weil die Kultusminister es nicht ertragen können, dass sich die Rechtschreibung dem amtlich Dekret entzieht. Weil sie meinen, es mit ihrem Amt nicht vereinbaren zu können, wenn ein Gremium von Experten und Betroffenen, das sie selbst eingesetzt haben, ihnen widerspricht. Dabei wäre es doch so leicht gewesen. Man hätte den Ausschuss des Rates arbeiten lassen und den Termin für das Verbindlichwerden der Reform verschieben können. Und jeder hätte eine solche Entscheidung verstanden: Denn war der Rat für deutsche Rechtschreibung nicht von den Kultusministern dazu geschaffen worden, um sie zu beraten?

SZ v. 4./5.6.2005
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von glasreiniger am 25.04.2005 um 08.20

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Detlef Lindenthal

glasreiniger schrieb:
Es fällt mir schwer zu glauben, daß tatsächlich ein Redakteur einer seriösen Zeitung (bei der WAZ hätte ich kein Problem) solche Briefe herausschickt.
Sollte es dies aber so sein, fällt es mir noch schwerer, zu glauben, daß man ihn trotzdem in seiner Position beläßt.
Leider muß ich auch noch bekennen, daß ich Abonnent der SZ bin.


Ich habe mir erlaubt, im Forum der SZ die Frage an die dortige Redaktion zu richten, wie man denn zu diesen Vorgängen heute steht, unter Verweis auf meinen Beitrag in diesem Forum. Es ist sicher nicht überraschend, daß der Moderator meine Frage nicht freigeschaltet hat. Vielleicht erhalte ich ja noch eine Antwort auf anderem Weg.


eingetragen von 1 am 21.04.2005 um 13.49

Liebe Leserinnen und Leser,

nun habe ich in diesem Technikmuseum gefundene Fehler behoben, Pfade geändert und daher mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder neue Fehler eingebaut.

Die Skripte
Suche.php
Fadensuche.php
neueste_Eintraege.php
stehen jetzt in diesem Ordner Forum (damit in den Datensätzen die Verhältnis-Pfade klappen).
Für den Fall, daß Sie noch Pfadfehler finden, bitten ich um Mitteilung.

Detlef Lindenthal


eingetragen von 1 am 21.04.2005 um 13.06

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Karl Eichholz
leider sind im Antwortschreiben an den Süddeutsche-Redakteur bei mir die Verweise verwurschtelt, so daß ich nicht zu den beabsichtigten Schriftstücken gelange, wenn ich auf die Knöpfe
"Beitrag Nr. 5637"
"jener sonderbare Brief"
klicke.
Jetzt besser?
Zitat:
Schreiben wir das Jahr 2005?
Ja.


eingetragen von Detlef Lindenthal am 21.04.2005 um 08.54


glasreiniger schrieb:
Es fällt mir schwer zu glauben, daß tatsächlich ein Redakteur einer seriösen Zeitung (bei der WAZ hätte ich kein Problem) solche Briefe herausschickt.
Sollte es dies aber so sein, fällt es mir noch schwerer, zu glauben, daß man ihn trotzdem in seiner Position beläßt.
Leider muß ich auch noch bekennen, daß ich Abonnent der SZ bin.
Die Brieftexte sind also tatsächlich nicht gefälscht wie jener, über den sich der übrige Disput dreht?
Für die Echtheit der drei Antworten von Herrn Sowein an Frau Dr. W’mann, Herrn Dr. Langner und Herrn Prof. Ickler spricht zweierlei:
Unsere Redaktion bekam Kenntnis und Wortlaut dieser Schreiben aus einer zuverlässigen Quelle.
Und zweitens haben sich 2001 mehrere Beiträge, so auch von Herrn Prof. Ickler selbst, auf „grobe Schreiben“ von Herrn Sowein bezogen.
Bei meinen Äußerungen bin ich darauf bedacht, sie so zu fassen, daß sie vor dem Amtsrichter (mit dem Herr Sowein mir mehrmals gedroht hat) standhalten können.

Die Brieftexte sind also tatsächlich nicht gefälscht wie jener, über den sich der übrige Disput dreht?
Ob letzterer gefälscht ist, wissen wir nicht, und das ist hier auch (derzeit) kein Erörterungsgegenstand.
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Karl Eichholz am 21.04.2005 um 00.09

leider sind im Antwortschreiben an den Süddeutsche-Redakteur bei mir die Verweise verwurschtelt, so daß ich nicht zu den beabsichtigten Schriftstücken gelange, wenn ich auf die Knöpfe
"Beitrag Nr. 5637"
"jener sonderbare Brief"
klicke.

Für eine Reparatur dankbar


Karl Eichholz

P.S. und dies ist kein Aprilscherz der Süddeutschen?
Schreiben wir das Jahr 2005?
__________________

mit herzlichen Grüßen
Karl Eichholz


eingetragen von glasreiniger am 20.04.2005 um 20.11

Es fällt mir schwer zu glauben, daß tatsächlich ein Redakteur einer seriösen Zeitung (bei der WAZ hätte ich kein Problem) solche Briefe herausschickt.

Sollte es dies aber so sein, fällt es mir noch schwerer, zu glauben, daß man ihn trotzdem in seiner Position beläßt.

Leider muß ich auch noch bekennen, daß ich Abonnent der SZ bin.

Die Brieftexte sind also tatsächlich nicht gefälscht wie jener, über den sich der übrige Disput dreht?


eingetragen von Detlef Lindenthal am 20.04.2005 um 09.41

Sehr geehrter Herr Sowein,

Ihr Verlangen auf Löschung im Beitrag Nr. 5637 [neu: 6166 *] berührt in mehrerer Hinsicht die Pressefreiheit. Wenn wir in jenem Beitrag löschen würden, hingen die weiteren Beiträge dazu in der Luft. Ihr Ansinnen erinnert an „1984“, jedoch gibt es bei uns (ebenso wie bei der Süddeutschen Zeitung) keine Abteilung zur Änderung alter Veröffentlichungen.

Herrn Riebes Vermutung, daß jener sonderbare Brief mit dem Absender redaktion@sueddeutsche.de von Ihnen sei, ist möglicherweise falsch, sicherlich gewagt, erscheint aber keinesfalls willkürlich, böswillig oder unzulässig aus der Luft gegriffen, denn ganz ähnliche Briefe hatten Sie zuvor an Frau Dr. W’mann**, Herrn Dr. Lingner und Herrn Prof. Dr. Theodor Ickler gesandt; diese Briefe geben wir hier im Anhang im Wortlaut wieder.

Die Rechtschreib„reform“ ist ein Politikum, die Süddeutsche Zeitung berichtet über Politik (das ist ihr Beruf), und auch die Rechtschreibseiten berichten über Politik.
Indem Sie mit Ihren Äußerungen Stellung genommen haben, sind Sie Teil dieser Politik geworden, und darüber berichten wir, denn das ist für unsere Leser wissenswert. Ein Leserbriefredakteur steht ähnlich im öffentlichen Augenmerk wie ein Bundespolitiker, Sportler oder Verbandsfunktionär.

Dabei gilt mein früheres Angebot nach wie vor, daß Sie hier eine Gegendarstellung veröffentlichen können; von wem stammt denn in Wirklichkeit jener anonyme Brief aus Ihrer Leserbriefe-Redaktion?

Für Aufklärung dankt

Detlef Lindenthal



Anhang:
Drei Briefe von Herrn Gerd Sowein an Leser und Verfasser unserer Rechtschreibseiten:

(1)
Süddeutsche Zeitung GmbH – 80289 München
Telefon 089 / 2183 – 456
München, den 06.09.2000


Frau
Dr. N’ W’mann
8xxxx Mxxxxxx


Sehr geehrte Frau Dr. W’mann,

die Chefredaktion und ich haben Ihre Schreiben vom 31. August zur
Kenntnis genommen. Da schon fast alles gesagt ist, nur noch eine Er-
läuterung: Um die Qualität dieser Zeitung zu erhalten und zu steigern,
werden Redakteure dafür angestellt und bezahlt, genau das zu verhin-
dern, was Sie oder eine kommerziell organisierte Sekte erzwingen
möchten. Verunglimpfung und Terrorisierung Andersdenkender zur
Verbreitung des eigenen Glaubens sind an sich schon verwerflich, als
Teil einer Marketingstrategie für den Verkauf von Büchern – je größer
die Sekte, desto höher die Absatzchance – sind die schlicht schlimm.
Da machen wir wie in anderen Fällen nun wirklich nicht mit – weder
direkt noch indirekt. Wir nehmen nicht an, dass Sie das anders sehen.

Mit freundlichen Grüßen

[Unterschrift G. Sowein]
Gerd Sowein
Süddeutsche Zeitung GmbH
Redaktion Leserbriefe


(2)
Süddeutsche Zeitung
Redaktion
Süddeutsche Zeitung GmbH
80289 München
München 27.05.99


Herrn
Dr. Udo Lingner
Amrumer Str. 33
90425 Nürnberg


Sehr geehrter Herr Oberstudienrat,

wir bestätigen den Erhalt Ihres unvereinbarten Faxes vom 12.
Mai und reichen es samt Anlagen gerne zur kritischen
optischen, inhaltlichen und vor allem sprachlichen Prüfung
zurück. Ihr Schulleiter, Ihr Kollege Manfred Riebe und der
für Ihre Schule zuständige Schulpsychologe werden Ihnen
hierbei sicher gerne behilflich sein.

Mit freundlichen Grüßen

Gerd Sowein
Süddeutsche Zeitung
Redaktion Leserbriefe


(3)
Süddeutsche Zeitung GmbH – 80289 München
Telefon 0 89 / 21 83 – 456

Herrn
Prof. Theodor Ickler
Ringstr. 46
91080 Spardorf


München, 23.09.1999

Sehr geehrter Herr Prof. Ickler,

wer einem abgefahrenen Zug eine längere Strecke hinterher
läuft, verschwendet Zeit und Kraft und amüsiert die
Zuschauer.

Wir benötigen die Zeit zum Arbeiten in einem
Wirtschaftsunternehmen und Sie im öffentlichen Dienst statt
für solche Analysen und Briefe sicher für Forschung und
Lehre, gründliche Vorbereitung der Vorlesungen und Korrektur
der Klausuren sowie für ausführliche Gespräche mit
Studenten.

Und falls Sie sich weder Freunden noch der Familie widmen
möchten und noch Zeit übrig haben sollten, hier ein
Vorschlag: Geben Sie Kollegen, Studenten, Lehrern aller
Schultypen und meinetwegen auch Journalisten Unterricht in
Rechtschreibung, von mir aus auch in der alten. (Die
Transkription ist leicht, sie beherrschen sogar die meisten
Kinder.) Begründung der Notwendigkeit: Nach einem Tag
Lektüre von Hunderten von Leserbriefen an einer großen
Tageszeitung haben Sie den täglich reproduzierbaren, also
wissenschaftlichen Beweis: Auch die geistige Elite dieses
Landes war und ist Teil eines Volkes von Legasthenikern.
Hier könnten Sie und Ihre Glaubensgemeinschaft sich
Verdienste erwerben, mit dem giftigen Praktizieren eines
Bekenntnisses in einer Sekte aber gewiss nicht. Das macht
nicht selig, sondern es verbittert. Und Bitterkeit macht alt
und hässlich.

Mit freundlichen Grüßen

Gerd Sowein
Süddeutsche Zeitung GmbH
Redaktion Leserbriefe


- - - - soweit die drei Antworten von Herrn Sowein an Leser und Verfasser der Rechtschreibseiten. Ein Vergleich der Argumentationstiefe läßt die Frage, ob jenes anonyme Schreiben wirklich aus der Süddeutschen-Leserbriefredaktion stammt, zumindest als Vermutung berechtigt erscheinen. Wenn hier eine solche Vermutung nicht geäußert werden dürfte, so wäre zur wichtigen Kulturpolitikfrage der Rechtschreibung die Pressefreiheit nicht gegeben. Es liegt an Herrn Sowein, bei der Aufklärung der wirklichen Verfasserschaften mitzuwirken; denn dafür ist die Presse da (und auch die Netzpresse).

Mit freundlichem Gruß aus der Redaktion,

Detlef Lindenthal

_______
* Nachträglich mußte die Numerierung geändert werden, um Schaltungsfehler zu beheben. – dl
** im Brief ausgeschrieben; der Name ist der Redaktion bekannt.


eingetragen von Detlef Lindenthal am 04.03.2005 um 16.06

dlf.de/presseschau/ –> 3. März 2005, 7:05 Uhr

Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar:
„Leider wird in Deutschland immer irgendwo gewählt.“

– Würde ein Bundestagsabgeordneter das sagen, könnte er anschließend vermutlich zurücktreten. Hingegen werden Zeitungen, Banken, Arbeitgeber und Wetterunbilden nicht hinterfragt, sondern hingenommen.
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Norbert Lindenthal am 09.08.2004 um 11.55

06.08.2004   20:29 Uhr

Verlage gegen neue Rechtschreibung

Die Karre aus dem Graben ziehen

Mit ihrer Rückkehr zur alten Rechtschreibung wollen die drei Verlagshäuser schaffen, was die Kultusminister versäumt haben. Sie reagieren auf eine Situation, die für sie nicht länger hinzunehmen war.
Von Hermann Unterstöger

Vor ein paar Wochen gab es im Hamburger Spiegel-Haus das, was man landläufig ein konspiratives Treffen nennen würde, nur dass die kleine Sitzung eben nicht auf Anrüchiges gerichtet war, sondern auf einen in den Augen der Beteiligten – und nicht nur in deren – nötigen und heilsamen Umsturz.

Die Emissäre des Spiegels, der Axel Springer AG und der Süddeutschen Zeitung (SZ) suchten sich darüber zu verständigen, ob, wie und wann die Rechtschreibreform in den von ihnen vertretenen Häusern zurückgenommen und an deren Stelle die „klassische“, vulgo: alte, Orthographie wieder eingeführt werden könnte.

Folge dieser Überlegungen ist die Entscheidung der SZ, des Spiegels und der Springer-Blätter, zu einem noch zu benennenden Zeitpunkt zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Die drei Häuser reagieren damit auf eine Situation, die für sie nicht länger hinzunehmen war.

Fataler Eindruck der Kultusministerkonferenz

Die neue Rechtschreibung, die 1996 für Deutschland, Österreich und die Schweiz beschlossen worden war und im August 2005 für Schulen und Behörden verbindlich werden soll, wurde von der Bevölkerung keineswegs so angenommen, wie die Initiatoren sich das vorgestellt hatten.

Die Quote der Ablehnung ist hoch wie eh und je; besonders bei den Schriftstellern stößt das Reformwerk auf teils erbitterten Widerstand. Unter den großen Blättern war es die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die nach einem Jahr der Erprobung wieder die herkömmliche Schreibung praktizierte.

Was die Lage vollends fatal machte, war der Eindruck, die Kultusministerkonferenz, Herrin des Verfahrens immerhin, sei nicht gewillt, die meistgerügten Fehlleistungen der Reform zu reparieren beziehungsweise durch die mit der Sache betraute „Zwischenstaatliche Kommission“ reparieren zu lassen.

Kollateralschäden der neuen Rechtschreibung

Man kann ja nicht sagen, dass die Reform in all ihren Elementen auf Widerstand gestoßen wäre. Die am deutlichsten sichtbare Änderung, ss statt ß nach kurzem Vokal (Kuss statt Kuß), fand im schreibenden Volk Anklang und hatte unbeschadet nunmehr neuer Fehler (Buss statt Bus) das Zeug dazu, Allgemeingut zu werden.

Für Irritation sorgte da schon eher die Idee, Wendungen wie im Einzelnen großschreiben zu lassen, statt sie, ihrem adverbialen Charakter entsprechend, einer umfassenden Kleinschreibung zu unterwerfen. In die dichteste Finsternis führten Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung, die Neubildungen wie tief greifend oder die viel beredete (früher: vielberedete) Fügung sitzen bleiben mit sich brachten.

06.08.2004   20:29 Uhr


[Teil 2]
Verlage gegen neue Rechtschreibung

Die Karre aus dem Graben ziehen

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Kommentar
Zurruek ien dat zukunpft
 
Rechtschreibung
Reform auf der Kippe
 
Chronik
Der lange Kampf ums richtige Schreiben
 




Die Kollateralschäden daraus traten bald zutage. Nicht nur, dass Komposita samt ihren doch etwas anderen Betonungen Gefahr liefen, aus dem Schreibgebrauch und damit auch aus den Wörterbüchern zu verschwinden. Es trat auch eine neue Generation von Fehlern auf den Plan, völlig absurde Getrenntschreibungen à la um zu stimmen statt umzustimmen, die sich weder die Befürworter noch die Gegner der Reform hätten träumen lassen.

Ein vernünftiges Ende für eine endlose Geschichte

Selbst wenn es stimmt, dass sie weniger der Reform zur Last zu legen sind als vielmehr einer weit verbreiteten (früher: weitverbreiteten) generellen Rechtschreibschwäche, so war es doch die Reform, auf deren Boden die Verwirrung erst richtig gedeihen konnte.

Wenn nun den an der Umkehr beteiligten Häusern unterstellt wird, sie öffneten einem „orthographischen Chaos“ (so der nordrhein-westfälische Kulturminister Michael Vesper) Tür und Tor, ist dazu zweierlei zu sagen.

Zum einen besteht solch ein Chaos jetzt schon, und zwar nicht zuletzt dank der vielen deutschen Kultusminister, deren Pflicht es gewesen wäre, den sozusagen schlafenden Hund Rechtschreibreform schon viel früher zu wecken.

Pferde gehen durch

Die Zeitungen versuchen das an ihrer Stelle zu tun und hoffen sehr darauf, dass die Kultusministerkonferenz das Verfahren an sich zieht und die endlose Geschichte mit Vernunft zu einem Ende bringt.

Wie dieses Ende aussehen wird, ist heute nicht zu sagen. Eine „Rückkehr“ muss nicht die ausnahmslose Wiederherstellung des Status quo ante meinen. Sowohl der Spiegel als auch das Haus Springer und mehr noch die SZ favorisieren eine Lösung, die das Alte in seine Rechte setzt, ohne das praktikable Neue zu desavouieren.

Es wäre unsinnig, wenn Teile der Reform, die der Transparenz der Schreibung dienen, nun in den Graben fielen, nur weil die Pferde durchgehen.

(SZ vom 7./8.8.2004)


eingetragen von Fritz Koch am 07.08.2004 um 19.20

zwischen Volk und Regierung hinauszulaufen. Es geht nicht mehr um gut oder schlecht, nur noch um schiere Machtdemonstration. In Tyrannos!

Es ist ein Markstein in der Geschichte, daß sich die freie Presse die Hoheit über die Sprache zurückerobert. Am Ende werden wir vor einigen Journalisten den Hut ziehen. Anwärter für den nächsten Sprachpreis können schon aufgestellt werden.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.08.2004 um 18.48

07.08.2004   19:17 Uhr

Debatte über Rechtschreibereform

12 von 16 Bundesländern gegen Rückkehr
zur alten Schreibweise

Die Ankündigung führender Verlage, darunter der SZ, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, findet bislang keine Mehrheit in der Politik. Die Umstellung von neuer zu alter Schreibweise würde bis zu 250 Millionen Euro kosten.


Alt oder Neu, Fluß oder Fluss? - Die Debatte darüber ist entbrannt.
Foto: dpa

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) und der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle begrüßten die Rückkehr der Süddeutschen Zeitung, des Spiegels und des Springer Verlages zur alten Rechtschreibung.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) will sich am 14. und 15. Oktober abermals mit der Rechtschreibung befassen, eine Woche zuvor tagen die Ministerpräsidenten.

12 der 16 Landesregierungen sprachen sich für ein grundsätzliches Festhalten der Rechtschreibreform aus. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) sagte der Berliner Zeitung: „Ich bin gegen eine Reform der Reform.“ Nach der Befürchtung seines sächsischen Amtskollegen Georg Milbradt (CDU) brächte eine Rückkehr zu den alten Regeln neue Verwirrung.

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Kinder als Versuchskaninchen

Die SPD-geführten Länder wollen an der Reform festhalten. Der Vorstoß der beiden Verlage hätte „viel mit Kampagne und Public Relations, wenig mit Inhalt zu tun“, kritisierte der rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck. Längere Übergangsfristen und einzelne Korrekturen könnten die Debatte jedoch entschärfen, schlug Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) vor.

Lehrer- und Kulturverbände warnten vor einem Chaos an den Schulen und neuen Millionenkosten, wenn die Reform nun wieder rückgängig gemacht würde. „Es gibt keinerlei uns bekannte nennenswerte Probleme, weder bei Schülern noch bei Lehrkräften, die eine Veranlassung gäbe, von der neuen Rechtschreibung wieder Abstand zu nehmen“, sagte Eva-Maria Stange, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im NDR. „Mit einer Reform der Reform werden Kinder zu Versuchskaninchen für die Anhäufung unterschiedlicher Schreibweisen gemacht“, sagte Karl-Heinz Wurster, Vorsitzender des Philologenverbands Baden-Württemberg.

Kosten von 250 Millionen Euro

Die deutschen Schulbuchverlage hatten im Juli die möglichen Kosten für die Umstellung sämtlicher Bücher bei einer Rücknahme der Reform auf bis zu 250 Millionen Euro geschätzt. Als eine gefährliche „Angelegenheit des Sommerlochs“ kritisierte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) den Schritt der beiden Zeitungsverlage. Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zeigte sich hingegen „froh und sehr zufrieden“.

Der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, Stefan
Aust, verteidigte die Entscheidung seines Hauses und begründete den
Entschluss mit der nach wie vor mangelnden Akzeptanz der neuen Regeln durch die Bevölkerung. Nach einer Forsa-Umfrage unter 506 Befragten sind 75 Prozent der Bundesbürger für die alte Rechtschreibung, bei den 16- bis 29-Jährigen sind es 66 Prozent.

In der Schweiz und Österreich stieß die Debatte in Deutschland bei Medien und Politikern auf Kritik. So erklärte der Präsident der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), Hans Ulrich Stöckling, für die Schweizer Schulen wäre eine Rückkehr zur alten deutschen Rechtschreibung eine fatale Entwicklung. Das EDK entspricht etwa der deutschen Kultusministerkonferenz.


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.08.2004 um 02.38

07.08.2004 04.34

Rechtschreibung

Reform auf der Kippe

SZ, Spiegel- und Springer-Verlag wenden sich von der Rechtschreibreform ab. Andere Medienunternehmen und Nachrichtenagenturen werden aufgerufen, sich diesem Schritt anzuschließen.

Schifffahrt oder Schiffahrt? - Führende deutsche Verlage kehren zur alten Rechtschreibung zurück.
Foto: ddp

Die Rechtschreibreform steht möglicherweise vor dem Aus: Sechs Jahre nach Einführung der neuen Orthographie kündigten am Freitag führende Zeitungen und Verlage an, in Kürze zu den alten Regeln zurückzukehren. Die Süddeutsche Zeitung, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und der Springer-Verlag werden ihre Print- und Online-Titel auf die alte Orthographie umstellen. „Die neue Rechtschreibung hat zu mehr Verwirrung und nicht zu mehr Klarheit geführt“, begründete SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz die Entscheidung. Die Kultusministerkonferenz reagierte mit scharfer Kritik.

„Die Reformkommission hat die ursprüngliche Reform durch eine Vielzahl willkürlicher Ergänzungen und Wahlmöglichkeiten verkompliziert, so dass es auf absehbare Zeit keine Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung geben wird“, argumentierte die SZ-Chefredaktion.

In allen Zeitungen und Zeitschriften gebe es ein Sammelsurium von Schreibungen, die dazu beitrügen, die Leser zu verwirren. Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, und Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust nannten die Reform eine „staatlich verordnete Legasthenie“.

Ebenso wie die SZ-Chefredaktion forderten sie Verlage und Nachrichtenagenturen auf, „aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen“ die alte Schreibung wieder einzuführen. Die Rückkehr werde „schnellstmöglich“ erfolgen.

Signalwirkung auf die Branche

Der Hamburger Bauer-Verlag begrüßte die Rückkehr. Man wolle aber nicht sofort mitziehen, sagte ein Sprecher. Voraussetzung sei, „dass möglichst viele Verlage diesem Beispiel folgen“.

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Aus Sicht der Zeitungsverleger könnte die Abkehr von den neuen Regeln in SZ, Spiegel und den Springer-Titeln, darunter die Bild-Zeitung, „Signalwirkung“ für andere Medien haben. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger erklärte, man werde „die Entwicklung beobachten und zeitnah beraten“.

Auch die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen kündigten an, abzuwarten und dann gemeinsam zu entscheiden. „Solange nicht eine große Mehrheit unserer Kunden eine Änderung verlangt, sehe ich keine Notwendigkeit zum Handeln“, sagte AP-Chefredakteur Peter Gehrig.

Beim Hamburger Verlag Gruner + Jahr soll die Entscheidung den Chefredakteuren überlassen werden. Mehrheitlich sprachen sich diese gegen die Wiedereinführung der alten Schreibung aus.

So will der Stern an den neuen Regeln festhalten. Auch die Frankfurter Rundschau, die taz und der Focus lehnten eine Rückkehr ab. Bei den großen österreichischen und Schweizer Tageszeitungen ist ein Stopp der Reform nach Angaben von Chefredakteuren „kein Thema“.

Die angestrebte Rückkehr zu den alten Regeln stieß auf Kritik bei der Kultusministerkonferenz. Präsidentin Doris Ahnen (SPD) sagte, die Entscheidung der Verlage führe „in hohem Maße zu Verunsicherung, gerade bei Kindern und Jugendlichen“.

Die Lehrerverbände waren geteilter Meinung. Der Deutsche Lehrerverband forderte, die Ministerpräsidenten müssten die Reform jetzt zur „Chefsache“ machen. Es werde ihnen vermutlich kaum etwas anderes übrig bleiben, als die herkömmliche Schreibung wieder für verbindlich zu erklären, betonte Verbandspräsident Josef Kraus.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft befürchtete „Chaos“ kurz vor dem neuen Schuljahr. Auch der Philologenverband warnte davor, den Konflikt auf dem Rücken der Schüler auszutragen. Es gebe Teile der Reform, die unumstritten seien – wie etwa die ss/ß-Regelung.

Der Grundsatz einer einheitlichen Rechtschreibung dürfe nicht aufgegeben werden. Nach Angaben des Verbandes Bildung und Erziehung böten die Erfahrungen an Schulen keine Beispiele für ein Scheitern der Reform.

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sagte hingegen, die Rückkehr zur alten Schreibung werde „eine Erlösung sein für Lehrer und Schüler“.

Der Leiter der Duden-Redaktion, Matthias Wermke, stellte die Frage, was überhaupt unter alter Schreibung zu verstehen sei – „der Duden von 1991?“

Die im August 1998 in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeführte Reform war stets umstritten. Namhafte Schriftsteller weigerten sich, in der neuen Rechtschreibung zu veröffentlichen, die Frankfurter Allgemeine Zeitung kehrte kurz nach dem Start der Reform zu den alten Regeln zurück.

Zuletzt hatten mehrere CDU-Ministerpräsidenten gefordert, die Reform zurückzunehmen. Die Erprobungszeit des Regelwerks soll am 1. August 2005 enden.

(SZ vom 7.8.2004)


eingetragen von Norbert Lindenthal am 06.08.2004 um 10.38

06.08.2004  11:17 Uhr

Rückkehr zur alten Form

Die Mundgerechtschreibung

Spiegel- und Springer-Verlag kehren zur alten Rechtschreibung zurück. "Die Situation verschlimmert sich, die Konfusion wird größer", lautet die Begründung bei "Spiegel-Online".
bgr

Die Axel Springer AG und der SPIEGEL-Verlag kehren in ihren Print- und Online-Publikationen zur klassischen deutschen Rechtschreibung zurück.

Gleichzeitig richten die Verlage einen Appell an andere Medienunternehmen sowie an die Nachrichtenagenturen, sich diesem Schritt anzuschließen.

Die zu beiden Verlagen gehörenden Titel werden ihre Schreibweise schnellstmöglich umstellen. Sie folgen mit der Umstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die bislang als einzige die Rechtschreib-Reform für sich rückgängig gemacht hatte.

Ziel der Maßnahme sei "die Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung."

Denn - so heißt es in der Begründung weiter: "Nach fünf Jahren praktischer Erprobung in den Druckmedien und sechs Jahren in den Schulen hat die Reform weder für professionell Schreibende noch für Schüler Erleichterung oder Vereinfachung gebracht. Im Gegenteil: Die Verunsicherung wächst, Vermischungen von alter und neuer Rechtschreibung sind an der Tagesordnung. Wer vor der Reform sicher schreiben konnte, macht heute Fehler. Eltern benutzen eine andere Orthographie als Kinder. Lehrer sind zutiefst verunsichert."


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