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-- Orthographieforschung à la Googlehupf (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=520)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.05.2016 um 20.51

Zuvor: Unangenehmes Google-Geduze

Am 29.7.15 suchte ich etwas über meine frühere Kunstgeschichtsprofessorin und gab ein:

lieselotte voßnack

... und Google fragte nach:
Meinten Sie: lieselotte voß nackt

Seit einiger Zeit duzt Google.
Auf meine Test-Frage googelte es jetzt zurück:

Meintest du: lieselotte voß nackt

Ich finde das alles und diesen Ikea-Sprech ziemlich distanzlos. Meinen Nachbarn nenne ich seit Pfingsten gerne Willem, aber mit Google verbindet mich nichts außer Suchsucht.

Weswegen ich darauf komme:
Meintest du: herumtappen

... fragte Google, als ich suchte, wer noch das Wort „herumtalpen“ (s. Tolpatsch) benutzt außer Michael Klonovsky in seinen Acta diurna:
„Ob bei der AfD in nennenswerter Zahl noch verkniffenere Spießer als der Herr Maas herumtalpen, würde ich nicht beeiden müssen wollen.“

Ich fand es in einem langen Brief von Johann Peter Hebel an den Lörracher Theologen Friedrich Wilhelm Hitzig von 1802:

Bester Zenoides!
[Anfang September 1802]
Ich verlasse Karlsr, am Sonntag vor Micheli mit Sander, Welper und Fröhlich und gehe nach Hügelheim zu Schmidt an die Stuffen des großen, Niebewegten, Wolkenspendenden. Von dort aus soll es mir gar nicht ab der Hand und außer dem Sinne liegen, wenn der Genius mich anweht ihn gerade zu erklimmen den Großen, Nim-merbewegten, Oechsleinseligen, und wenn ich den Drekchdu und die Steissibruserie begrüßt, und Carolisens verwehte Spuren gesegnet, und vom Rekapitulationsblütschi aus den Großen, Weitgesehenen, Aethervertrauten noch einmal angebetet habe, eines Gangs das Thal hervor zu metzgen und wie Odysseus den besoffenen Polyphem, so ich den Kaps zu prügeln, und dann in Steinen den Dicken zu fragen, ob der Steg über die Wiese stehe. Sollte mir aber der Deus in nobis als einem durch 10iährige Verschwabenhamlung unrein gewordenen das herumtalpen auf heiligem Boden vor der Reinigung im Tempel verbieten, so werde ich auf der Straße der Schwabenhämmel nach Hertingen aber metzgen, bey dem Chatz mich noch einmal ganz erschröcklich verschwabenhammeln, über Candern nach Wisleth gehn und den Kaps doch prügeln, dann die heilige Bahn durchschneiden und in Hausen bey den Flußspatöchslein Quarantäne halten, dann in Schöpfen sie einige Tage fortsetzen, das Haupt in der Wiese waschen und endlich mich dem Priester zeigen...

http://hausen.pcom.de/jphebel/briefe/brief_hitzig_1802_II.htm


eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.07.2015 um 20.48

Ich suchte nach meiner früheren Kunstgeschichtsprofessorin und gab ein:

lieselotte voßnack

... und Google fragte nach:

Meinten Sie: lieselotte voß nackt

... zeigte mir aber doch gnädig an:

Univ.Prof. Dr. Liselotte Voßnack - FamilyLink.com
www.familylink.com › ... › MyHeritage Family Trees


eingetragen von jackmarkn am 31.12.2012 um 04.49

cool... i like





eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.05.2010 um 19.48

Google hat ans Allerheiligste Hand angelegt: Die Suchergebnisse werden nun anders präsentiert. Ihnen wird eine permanente Verfeinerungs-Spalte zur Seite gestellt. Viele schon bislang vorhandene Möglichkeiten werden deutlicher, ein paar neue kommen hinzu...

http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,693238,00.html

Es gibt da eine neue Funktion: Das Wunderrad. Dort wird die seltsame Google-Denke deutlicher.

Von einem zentralen, eingekreisten Begriffspaar beispielsweise gehen Strahlen zu einigen weiteren, nach Google-Meinung zusammengehörigen Begriffspaaren. Wenn man die anklickt, kommt man zu einem ähnlich organisierten Verzweigungspunkt und kann so vom Hundersten ins Tausendste kommen. Beispiel (ich kürze alte und neue Rechtschreibung mit „ars“ und „nrs“ ab, „rsr“ für Rechtschreibreform):

Eingabe: Humbug Rechtschreibreform

Die zentralen Begriffe werden umkreist von:


deutsche rs, nrs, ars, humbug rsr, betrug rsr, leichen rsr, getrennt und zusammenschreibung

Klickt man verwundert „leichen rsr“ an, erscheinen folgende Begriffspaare:

laichen rsr, tote rsr, körperwelten rsr, opfer rsr, südddeutsche zeitung

Der Wandel von den Leichen zum Laichen wird wirklich vollzogen, denn dort geht es tatsächlich um Vermehrung:

vermehrung rsr, laichen duden, werfen rsr, haltung rsr, laichen rsr, zucht rsr

Die nächste Stufe „laichen rsr“ bringt:

laichen wörterbuch, laichen deutsche rs, laichen zu hause, werfen nrs, zucht nrs, vermehrung nrs

Man kann ohne große Umwege zu „tierheime“ und „welpenzucht“ gelangen.

Nimmt man dagegen den anderen Weg mit „ei“ über „körperwelten rsr“, so bekommt man es mit echten Leichen zu tun und ist ganz schnell bei Gunter von Hagens und seiner plastinierten Leichenschau.

Ob das ganze eine Hilfe bei der Suche ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist es für kurze Zeit ein verblüffender Spaß.



– geändert durch Sigmar Salzburg am 08.05.2010, 13.04 –


eingetragen von PL am 09.04.2010 um 23.37

Elf andere Suchmaschinen liefern insgesamt (doppelte Einträge extrahiert) folgende Ergebnisse:

„Brennessel“: 436
„Brennnessel“: 401
„Quentchen“: 396
„Quäntchen“: 429

Gruß von Peter Lüber


eingetragen von Sigmar Salzburg am 09.04.2010 um 16.56

Eine Momentaufnahme:

Ergebnisse … ungefähr 84 für "Brennessel"
Ergebnisse … ungefähr 9 für "Brennnessel"
Ergebnisse … ungefähr 38 für "Quentchen"
Ergebnisse … ungefähr 318 für "Quäntchen"

9.4.2010

Das heißt, daß bei dem Wort „Brennessel“ ungefähr 90 Prozent der in einem Monat erfaßten Medien das alberne dritte „n“ ausfallen lassen.

Bei dem alten Gewichtsmaß „Quentchen“ sieht es umgekehrt aus. Trotz Verweigerung von FAZ und NZZ verwenden 89 Prozent der Medien die bedeutungsmanipulierte Variante „Quäntchen“, zweifellos weil sie von den kulturlosen Kultusministern als alleinrichtig in den Schulen zwangseingeführt ist.

Allerdings ist heutzutage nicht mehr zu erkennen, ob die Entscheidung über die Schreibweise vom Schreiber, vom Korrektor oder von nachgeschalteten Korrekturautomaten stammt.


eingetragen von Wolfgang Wrase am 02.01.2003 um 14.35

Das bedeutet nichts für deutsche Substantive. Substantivkomposita werden grundsätzlich im Deutschen zusammengeschrieben, ggf. der Übersichtlichkeit halber oder bei bestimmten Bedingungen (km-Zahl) mit Bindestrich. Daß die Zusammenschreibung (grundsätzlich gesehen) nur eine Option ist (mail box oder mailbox), ist eine Eigenart des Englischen.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 02.01.2003 um 13.14

Und was bedeutet das alles für deutsche Substantive?


eingetragen von Elke Philburn am 25.12.2002 um 22.43

Dann haben wir uns falsch verstanden, Herr Schubert.

Ich dachte, es ginge Ihnen um linguistische Überlegungen, nicht darum, mir lediglich einen Rechtschreibfehler vorzuhalten.


eingetragen von Peter Schubert am 25.12.2002 um 15.56

Frau Philburn, die Sache mit "tendentiell" möchte ich jetzt abschließen. Ich schlage vor, dass wir uns wie folgt einigen:

1. Ich behaupte nicht und werde auch in Zukunft nicht behaupten, dass Sie einen Rechtschreibefehler gemacht haben.

2. Ich anerkenne und werde auch in Zukunft anerkennen, dass Sie wie immer auch hier das letzte Wort gehabt haben.

3. Die Sache ist damit erledigt.


__________________
Peter Schubert


eingetragen von Reinhard Markner am 25.12.2002 um 15.48

Um noch einmal aufs Englische zurückzukommen -- ich gehe jede Wette ein, daß auch in Amerika die Schreibweise "anti-aircraft" mindestens so verbreitet ist wie "antiaircraft" (Gesamtverhältnis bei Google 3:1). Die untenstehende Liste kann nur eine ganz allgemeine Tendenz angeben.


eingetragen von Elke Philburn am 25.12.2002 um 14.45

Daß es dieses Wort im klassischen Latein nicht gab, ist meiner Ansicht nach für die Schreibung relativ unerheblich. Das Vorkommen dieses Wortes in Zedlers Universallexikon deutet darauf hin, daß es schon im 18. Jh. als lateinisches Wort empfunden wurde.

Daß es aus dem Französischen rückgebildet wurde, bedeutet doch auch nicht, daß es französisch geschrieben oder gar ausgesprochen werden müßte.

Quelle


eingetragen von Peter Schubert am 25.12.2002 um 13.55

Doch, wenn es im Lateinischen nie eine Form mit t wie etwa "tendentia" oder "tendentialis" gab, dann liegt der Fall anders als bei "iustitia" und "justiziell".
__________________
Peter Schubert


eingetragen von Elke Philburn am 25.12.2002 um 12.49

Also eine Rückbildung.

Das spricht doch aber nicht gegen die Schreibung mit t.


eingetragen von Peter Schubert am 25.12.2002 um 11.54

Laut meinen Wörterbüchern gab es das Wort im klassischen Latein nicht, es wurde erst im 18. Jahrhundert latinisierend aus lat. tendere und frz. tendance gebildet.
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Peter Schubert


eingetragen von Elke Philburn am 25.12.2002 um 11.40

Zitat:
Steht's in Icklers Wörterbuch mit t?

Noch steht’s nicht drin, es wäre aber eine Überlegung wert.


Im Lateinischen wurde es meines Wissens nie mit c geschrieben, siehe auch engl. tendential.


eingetragen von Peter Schubert am 25.12.2002 um 10.19

Wie schön, dass auch der Superlinguistin einmal die Pferde durchgehen. Sie stellt "tendentielle Unterschiede" fest. Mit t findet man das auch in den ältesten Wörterbüchern nicht (s. frz. tendancieux). Steht's in Icklers Wörterbuch mit t?
__________________
Peter Schubert


eingetragen von Elke Philburn am 25.12.2002 um 02.32

Ich stimme Herrn Wrase zu: Eine liberale Handhabung der Zusammen- und Getrenntschreibung wäre eine bessere Lösung als das künstliche Festlegen auf die eine oder andere Schreibung. Im Englischen wird dieser Bereich ziemlich frei gehandhabt, wobei sich allenfalls ein paar tendentielle Unterschiede zwischen dem britischen und amerikanischen Englisch erkennen lassen. Es wäre wohl ziemlich aussichtslos, für die zahllosen betroffenen Wörter Regeln zu erstellen und durchsetzen zu wollen.

This list is no way complete, especially since I've excluded various kinds of words, as mentioned above. American much more rapidly drops hyphens and spaces in compound words (lemongrass), and in such words the variations between American and British are innumerable.

American:

antiaircraft
ashtray
bookkeeper
cooperate
daydream
drypoint
E-mail
flower girl
flower pot
lemongrass
neoclassical
note paper
preignition
pseudointellectual
pseudoscience
ultrahigh
ultramodern

British:

anti-aircraft
ash-tray, ashtray
book-keeper
cooperate, co-operate
day-dream
dry-point
email, e-mail
flower-girl
flower-pot
lemon grass
neo-classical
note-paper
pre-ignition
pseudo-intellectual
pseudo-science
ultra-high
ultra-modern

Quelle


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 24.12.2002 um 16.27

Ich habe das Gefühl, daß Herr Wrase und Herr Lindenthal aneinander vorbeireden. Mit dem wohl etwas ironischen Begriff "Ickler's principle" war doch die Entsprechung "water ski"/"hinaus rennen" gemeint. Es ging doch nicht um deutsche Substantive. Und jetzt sind wir wieder bei dem uralten Streit um die Bögen.


eingetragen von Wolfgang Wrase am 18.12.2002 um 10.49

Lieber Herr Lindenthal,

gleichfalls herzlichen Dank. - Ich bin im Gegensatz zu Ihrer Darstellung der Meinung, daß es genau wie im Englischen auch im Deutschen ziemlich große Bereiche gibt, das heißt sehr viele einzelne Fälle, bei denen man Variantenschreibung anerkennen sollte. Keineswegs immer die Entscheidungsmöglichkeit "besser getrennt" oder "besser zusammen".

Sie sprechen an, was es bedeuten würde, auf eine ökonomische pauschale Angabe "fakultativ" zu verzichten: Man müßte sehr viel differenzieren. Beispiele sind ein guter Vorschlag (sie sind anschaulich), aber es wäre auch nicht schlecht, wenn man verallgemeinernde Hinweise über die Kriterien für Zusammen- bzw. Getrenntschreibung hätte. In jedem Fall wird es sehr schnell um Größenordnungen umfangreicher, unübersichtlicher, schwieriger, als wenn man die Auskunft (womöglich für eine ganze Wörterfamilie) bekommt, man könne sich frei entscheiden.

Ob diese Verkomplizierung wirklich ein Vorteil ist? Was nämlich ausgefeilte Hinweise auf das Für und Wider von getrennt oder zusammen und zahlreiche Beispiele leisten können, vermag das Sprachgefühl eines geübten Schreibers vielleicht ebenso gut zu leisten - und sehr viel schneller! Jedenfalls können Sie auch mit einem solchen Apparat von zusätzlichen differenzierenden Angaben die Varianz nicht abschaffen, nicht einmal bei den professionellen Schreibern. Und die weniger kompetenten Schreiber werden sowieso nicht nachschlagen (weil sie sonst nichts anderes mehr zu tun hätten), erst recht werden sie nicht nachschlagen, wenn das Wörterbuch sehr differenziert und kompliziert gemacht ist.

Und nicht zuletzt: Eine differenzierende Gebrauchsanweisung der GZS bei einzelnen Stichwörtern wäre auch unglaublich unsystematisch - das dürfte Ihnen besonders mißfallen. Es ist nämlich nicht so, daß die Kriterien für oder gegen Zusammenschreibung schön parallel von einem Wort zum nächsten mit jeweils demselben Gewicht auftauchen, sondern das sieht von Fall zu Fall wieder anders aus: je nach Umfang der Bestandteile, Betonungen, Bedeutungen und Assoziationen, Lesbarkeit, Gewohnheitsbildung, Vertrautheit bei der einen oder anderen Gruppe von Sprachteilhabern, je nach Mitschwingen von mehr oder weniger naheliegenden Parallel- und Kontrastfällen ... Je mehr Sie differenzieren, desto unsystematischer werden Sie, sobald es ans Vergleichen geht! Wenn Sie die beiden Listen in meinem Beitrag "Ickler's principle" ansehen, da erkennen Sie sofort, welche Liste systematischer ist, oder? Noch viel unregelmäßiger als die obere Liste aus meinem englischen Lexikon wäre eine Liste, die sich auch noch um Differenzierung bemühen würde.

Ich sage aber nicht, wie schon zuvor bemerkt, daß die Fakultativ-Lösung nur Vorteile hätte. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß sie auch ihren Nachteil hat und daß ich persönlich die Vorteile für größer halte. Das ist eine Sache des Geschmacks, der Ansprüche des jeweiligen Nutzers. Hier muß und kann man sich nicht allgemeingültig einig sein - sondern jeder hat zu entscheiden, welche Vorteile oder Nachteile ihm wichtiger sind.

Deshalb habe ich sogleich die Schlußfolgerung gezogen: Ein professionelles, detailliertes ("spitzfindiges") Wörterbuch hat sicher seine Berechtigung, aber bevor man sich so etwas antut oder der Allgemeinheit zumutet, sollte man die Tatsache großer Varianz erst einmal zur Kenntnis nehmen und eine liberale, vergleichsweise unglaublich einfache und nutzerfreundliche Lösung zu schätzen wissen, die als lernbare, menschenfreundliche Basis dienen sollte.

Herr Lachenmann hat das einmal mit einem sehr treffenden Vergleich illustriert: Ein Spitzenkoch wüßte zu allen möglichen Salaten einen ganz speziellen Essig zu empfehlen und würde sich vielleicht sogar vor Verachtung schütteln, wenn Leute einfach nur "Essig" nehmen, ohne über den jeweils ideal geeigneten Essig nachzudenken. Es ist sicher so, daß der Spitzenkoch die besten Gerichte zaubert. Aber es sollten doch auch Leute kochen dürfen, die da nicht mithalten können. Für sie braucht man Rezepte, bei denen von "Essig" oder allenfalls von "Balsamico-Essig" die Rede ist.

Jedem das Seine! Das bedeutet: Wir müssen uns nicht einig sein. Ich weiß Ihre professionellen Ansprüche und Ihre Sympathie für höchste Qualität nämlich sehr zu schätzen.


eingetragen von Detlef Lindenthal am 18.12.2002 um 09.39

>> „Ich habe gesagt, daß ich eine Fakultativangabe "water_ski" für die beste Lösung halte. Wie würden Sie sich entscheiden?“ <<

Ja, für das Englische könnte ich durchaus Ihrem Vorschlag folgen.
Im Deutschen haben wir dank ausgeschlafener Schriftsetzer diese Schwierigkeit (bisher) fast überhaupt gar nicht. Für die sehr wenigen und sehr lehrreichen Fälle, wo unterschieden werden soll, benötigt der Wörterbuchbenutzer
– Beispiele für Zusammenschreibung, wo nach Meinung der Wörterbuchmacher zusammengeschrieben werden soll, und
– Beispiele für getrennte Schreibung, wo getrennt geschrieben werden soll.

Das hat der Duden _20 vv. bereits erfolgreich vorgemacht. Wofür ich mich entscheiden würde? Viele gute Beispiele aufzunehmen. (Auf Festplatten brauchen wir mit dem Platz nicht zu geizen; zugunsten des Lesers und Lerners können wir ganz auf Verständlichkeit setzen.)

Danke für Ihre Antwort!
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Wolfgang Wrase am 18.12.2002 um 05.34

Lieber Herr Lindenthal,

ich wollte eigentlich meinem Vergleich mit dem Englischen gar nicht mehr viel hinzufügen, aber Sie baten mich inständig um Auskunft. Daher versuche ich spontan zu antworten, was mir zu Ihren Fragen einfällt.

- Ist Unterricht und insbesondere Sprachunterricht totalitär?
Nein. (Das ist mir zu pauschal und zu kraß, und ich wüßte nicht, warum speziell am Sprachunterricht etwas Totalitäres sein soll. Ebenso könnte man fragen: Ist Kommunikation totalitär? Sind Interessen totalitär? Ist die Ehe totalitär? Das bringt nichts. Ich möchte hier jedenfalls nicht an solchen philosophischen Grundsatzdebatten teilnehmen, die mit der Praxis nicht mehr viel zu tun haben.)

– Sind nicht alle Wörterbücher (und nicht nur jedes „Wörterbuch vom Typ des Duden“) „Bürokratie“ und „Murks“?
Das ist mir auch zu pauschal gefragt. Als ich von "Murks" gesprochen habe, war das eine naheliegende Schlußfolgerung aufgrund von drei anschaulichen Beispielen bzw. Beobachtungen. Wörterbücher können, wie andere Produkte auch, sehr verschieden sein, auch was die Qualität betrifft. Nur weil eines in bestimmter Hinsicht Murks ist, müssen nicht alle in jeder Hinsicht Murks sein.

– Würde man das Wort „Fakultativschreibung“ richtig übersetzen mit „Beliebigkeitsschreibung“? Wenn nein, wie würden Sie beide Begriffe voneinander abgrenzen?
Mit "Fakultativschreibung" verstehen wir hier - so sehe ich es - entsprechende Angaben im Wörterbuch, nach denen in bestimmten Bereichen mehrere Varianten der Schreibung zur Auswahl stehen, einfach weil es sie in einer solchen Anzahl gibt, daß es unrealistisch und Willkür wäre, wenn das Wörterbuch nur jeweils eine Variante verzeichnen bzw. "erlauben" würde. Das ist etwas ganz anderes als die allgemeine Haltung "Wie man schreibt, ist egal" - diese würde ich als "Beliebigkeitsschreibung" bezeichnen.
Wenn Sie unbedingt wollen, können Sie die Fakultativschreibung als "Beliebigkeitsschreibung in bestimmten Bereichen" bezeichnen. Das liegt aber nicht daran, daß der Wörterbuchmacher plötzlich keine Lust mehr gehabt hätte, ordentliche Auskünfte zu geben, sondern (vor allem) daran, daß es tatsächlich in der Rechtschreibung breite Bereiche der Varianz gibt, die ein ordentliches (realistisches, vernünftiges) Wörterbuch anerkennen sollte.

– Warum wollen Sie überhaupt auf-, be- oder gar vorschreiben, wie Wörter heißen und geschrieben werden sollen? Zusatzfrage: Warum will man Kinder bezüglich der Schreibweisen einengen?
Sehr allgemeine Fragen - wieso soll ich hier so viel Grundsätzliches beantworten? Aber zu den Fragen: Es ist nützlich, wenn man darüber informiert werden kann, wie man schreibt. Mit Standards, mit einem sinnvollen, funktionierenden System und dem entsprechenden Unterricht sowie mit entsprechenden Nachschlagewerken geht es nun mal besser, als wenn jeder alles selber erfinden oder sich mühsam zusammensuchen müßte.
Dabei sollen weder Kinder noch Erwachsene eingeengt werden, sondern sie sollen kennenlernen, wie sich die anderen verständigen, damit sie möglichst schnell und problemlos mitmischen können.
Wenn Sie unbedingt möchten, können Sie dabei von "Einengung" reden, aber was ist das für eine komische Perspektive? Wenn ich an etwas teilnehmen will, muß ich mich darauf einlassen und kann nicht zugleich alle möglichen Alternativen verfolgen. Das ist ganz allgemein so, nicht nur beim Erwerb von sprachlichen Kenntnissen. Soll ich mich darüber beklagen, daß wir unsere Kinder "einengen", weil wir ihnen unsere Muttersprache beibringen und nicht zugleich alle möglichen anderen existierenden oder noch zu erfindenen Sprachen? Mir kommt die Frage polemisch vor.

– Ist nicht Sprache im allgemeinen und Sprachunterricht im besonderen Einengung und Bürokratiemurks (denn wenn ich jemanden an- oder volltexte, zwinge ich ihn, das zu denken, was mein Gesagtes ausdrückt und von dem ich will, daß er es denken soll; wenn ich Kinder in einer bestimmten Sprache aus einem soziokulturellen Kontext sozialisiere, dann präge und bestimme ich deren Denkwelt – ist das denn zu rechtfertigen? Wenn Duden Bürokratie ist, steht dann nicht sämtlicher Sprachunterricht im bürokratisch-totalitären Zwielicht? (So gesehen kommt mir noch nachträglich meine ganze Schulzeit hoch!)
Siehe oben. Was soll das? Wenn ich Auto fahren will, muß ich zuerst die Bedienung von Kraftfahrzeugen erlernen und die Straßenverkehrsordnung einigermaßen einhalten. Jedes Lernen ist "Prägen". Damit hat man aber normalerweise keine Probleme, sondern man empfindet es als Fortschritt und Bereicherung, wenn man sich in bestimmte Bereiche einarbeitet. Zum Beispiel, weil man dann Auto fahren kann. Dann hat man ja erst die Freiheit zu entscheiden, wohin man wann (mit dem Auto) fahren will. Es gibt immer Leute, die sich dann darüber aufregen, daß sie nicht überall beliebig schnell fahren können (= eingeengt werden), aber das ist schließlich kein Anlaß zu sagen: "Fahrt wie ihr wollt!"

– Wie können Sie es rechtfertigen, gerade ein bestimmtes Maß an Beliebigkeitsschreibung durchsetzen zu helfen, und nicht deutlich mehr oder deutlich weniger?
Dort, wo viel Varianz existiert, erkenne ich sie an. Dort, wo sich eine Norm herauskristallisiert hat, stelle ich sie fest. Wo genau verlaufen die Grenzen? Sie verlaufen nicht genau, sondern es gibt breite Bereiche des Übergangs, des Zweifels, der Differenzierung. An dieser Stelle muß sich der Wörterbuchmacher entscheiden, sonst wäre das Wörterbuch unerträglich kompliziert und unbenutzbar. Damit ist immer Willkür verbunden. Aber allein deshalb ist das Wörterbuch nicht gleich völlig unbrauchbar, sondern verschiedene Wörterbücher gehen mit diesem Problem verschieden um, und dann kann das Publikum diskutieren, wer es am besten gelöst hat, und der einzelne kann jenes Wörterbuch kaufen, das ihm am besten zusagt. Deswegen ist es auch besser, wenn es kein staatliches Monopol bzw. Privileg gibt.

– Sie erwähnen Aktien Portfolio; ist diese Schreibart denn nun im grünen Bereich? Oder haben Sie es gar nicht erwähnt, um solche angelsächselnde Schreibweise einer Begutachtung zu unterziehen?
Ist nicht im grünen Bereich, weil der Norm zuwider. Es geht hier nicht nur um "Aktien Portfolio", sondern die Norm betrifft ganz allgemein Substantivkomposita. Die Zusammenschreibung (ggf. mit Bindestrich) ist eine der härtesten Normen der deutschen Rechtschreibung mit weit über 99 Prozent Verwirklichung bei ernstzunehmenden Schreibern. Wenn hier mehr Probleme auftauchen als früher, ist damit noch lange nicht die Norm in Frage gestellt.

Ohne Ihre Antworten bin ich in dieser Sache ziemlich ratlos.
Hoffentlich jetzt weniger.

Das mit dem Mittel Gebirge und der WasserKante war von Ihnen doch nur als Scherz gemeint? Aber mir ist in dieser Sache gar nicht so zum Scherzen zumute.
Natürlich ein Scherz.

Ich möchte mit einer Gegenfrage antworten, die auf meinen ursprünglichen Beitrag Bezug nimmt. Laut Google existiert der englische Begriff für "Wasserski" ungefähr gleich häufig zusammengeschrieben und getrennt geschrieben. Von der Sache her ist natürlich auch die Schreibung mit Bindestrich möglich, diese ist allerdings relativ selten. Mein Oxford-Rechtschreibwörterbuch wollte nur eine Schreibweise vorführen und hat sich für die "mittlere Schreibweise" entschieden, für die mit Bindestrich (obwohl sie wie gesagt die seltenste ist). Ich habe gesagt, daß ich eine Fakultativangabe "water_ski" für die beste Lösung halte. Wie würden Sie sich entscheiden?


eingetragen von Detlef Lindenthal am 17.12.2002 um 17.07

Lieber Herr Wrase,

bevor ich an meinem oder an Ihrem Verstand zu zweifeln beginne, versuche ich noch einige Frage:

– Sind nicht alle Wörterbücher (und nicht nur jedes „Wörterbuch vom Typ des Duden“) „Bürokratie“ und „Murks“?

– Würde man das Wort „Fakultativschreibung“ richtig übersetzen mit „Beliebigkeitsschreibung“? Wenn nein, wie würden Sie beide Begriffe voneinander abgrenzen?

– Warum wollen Sie überhaupt auf-, be- oder gar vorschreiben, wie Wörter heißen und geschrieben werden sollen? Zusatzfrage: Warum will man Kinder bezüglich der Schreibweisen einengen?

– Ist nicht Sprache im allgemeinen und Sprachunterricht im besonderen Einengung und Bürokratiemurks (denn wenn ich jemanden an- oder volltexte, zwinge ich ihn, das zu denken, was mein Gesagtes ausdrückt und von dem ich will, daß er es denken soll; wenn ich Kinder in einer bestimmten Sprache aus einem soziokulturellen Kontext sozialisiere, dann präge und bestimme ich deren Denkwelt – ist das denn zu rechtfertigen? Wenn Duden Bürokratie ist, steht dann nicht sämtlicher Sprachunterricht im bürokratisch-totalitären Zwielicht? (So gesehen kommt mir noch nachträglich meine ganze Schulzeit hoch!)

– Wie können Sie es rechtfertigen, gerade ein bestimmtes Maß an Beliebigkeitsschreibung durchsetzen zu helfen, und nicht deutlich mehr oder deutlich weniger?

– Sie erwähnen Aktien Portfolio; ist diese Schreibart denn nun im grünen Bereich? Oder haben Sie es gar nicht erwähnt, um solche angelsächselnde Schreibweise einer Begutachtung zu unterziehen?

Ohne Ihre Antworten bin ich in dieser Sache ziemlich ratlos. Das mit dem Mittel Gebirge und der WasserKante war von Ihnen doch nur als Scherz gemeint? Aber mir ist in dieser Sache gar nicht so zum Scherzen zumute.



eingetragen von Wolfgang Wrase am 17.12.2002 um 11.55

Lieber Herr Lindenthal,

nur kurz: Wie schon in meinem Beitrag "Ickler's principle" ausgesprochen, ist die fakultative Zusammenschreibung von Substantivkomposita eine Spezialität des Englischen. (Wir Deutschen begegnen ihr neuerdings vermehrt, nämlich bei den importierten Substantivkomposita aus dem Englischen, also in unserem Fremdwörterbereich. Von da aus werden unsichere Schreiber verwirrt und schreiben immer öfter "Aktien Portfolio" und dergleichen.) Jedenfalls sieht es bei deutschen Substantiven anders aus.

Die Situation ist aber ähnlich wie in jenen Bereichen der deutschen Getrennt- und Zusammenschreibung, in denen Ickler Fakultativschreibung verzeichnet. Ich halte die Vorteile dieser von Professor Ickler schon erarbeiteten Lösung für viel größer als den Nachteil, daß man auf den ersten Blick meinen kann, umsonst nachgeschlagen zu haben. Deshalb sehe ich keinen Anlaß für einen neues Wörterbuchkonzept.

Grüße vom Alpen-Vorland über die Mittel Gebirge an die WasserKante!


eingetragen von Detlef Lindenthal am 17.12.2002 um 11.41

Lieber Herr Wrase,

da will ich gar nicht widersprechen: Im Englischen mag das in Ordnung gehen, wobei ich mich aus der englischen Rechtschreibung ebenso heraushalte wie aus der algerischen und armenischen, weil ich von allediesen zu wenig verstehe. – Doch schien mir, daß die Tauglichkeit des englischen Vorbildes für unsere deutsche Rechtschreibung zur Überlegung stand.

Und da habe ich nun eine Verständnisfrage an Sie; soll es im Deutschen nun n.I.M.

water ski, water-ski, waterski,
Water ski, Water-ski, Waterski,
Water Ski, Water-Ski,
wasser ski, wasser-ski, wasserski,
Wasser ski, Wasser-ski, Wasserski,
Wasser Ski, Wasser-Ski,
wasser schi, wasser-schi, wasserschi,
Wasser schi, Wasser-schi, Wasserschi,
Wasser Schi
oder Wasser-Schi

heißen? Welche von diesen Möglichkeiten sollen n.I.M. in einem Wörterbuch verzeichnet sein?

Übrigens wird es in Kürze ein leichtes sein, ein weiteres Wörterbuch im Netz vorzustellen, so daß Sie ohne zu großen Aufwand einen eigenen Entwurf machen können, und dann können wir die verschiedenen Ansätze und Ausführungen vergleichen.

Ich selbst möchte ehrlich sein, daß mich bisher als handwerklich ordentliche Lösung der Buchdruckerduden am meisten überzeugt hat, und ich will ihn auf jeden Fall auch vorstellen.

Kleine Frage oder Anmerkung noch zum Schluß: Ihnen ist klar, daß, auch unabhängig von der Schreibung, schon in der gesprochenen Sprache die Wortbildug im deutschen viel einfacher und deutlicher geregelt ist als z.B. im Englischen? Soll diese Wortbildung (samt ihren dünn besiedelten Grenzbereichen) sich in künftigen Wörterbüchern wiederfinden, oder sollen wir breite-Krawatten-schmale-Krawatten das alles von Zeit zu Zeit ändern?

Waterkant grüßt Alpenrand!
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Wolfgang Wrase am 17.12.2002 um 08.53

Überreglementierung als "deutsche Eigenart" - Norbert Schäbler hat meiner Meinung nach damit den wesentlichen Punkt benannt.

Der deutsche Sonderweg bestand darin, daß von mehreren möglichen, berechtigten Varianten der Duden meist nur eine ausgewählt hat. "Maßgebend in allen Zweifelsfällen" stand auf dem Einband, und genau so wurde der Duden wahrgenommen: Was im Duden stand, war Regel, und Regeln müssen - in Deutschland - befolgt werden.

Die Einwände von Detlef Lindenthal gehen an der Materie vorbei: Ein Flugzeug muß millimetergenau konstruiert werden, damit es nicht vom Himmel fällt. Hingegen ist es im allgemeinen egal, ob wir "waterski" oder "water ski" schreiben, "watersport" oder "water sport" oder die Bindestrich-Lösung. Jedenfalls sind alle Varianten in ansehnlichen Mengen vorhanden und sollten allein schon deshalb alle im Wörterbuch gewürdigt werden.

Was haben wir nun in unserem wunderbar exakten "englischen Duden"?

a) Zunächst einmal eine ungeheure Unregelmäßigkeit, die dem Übergewicht mal der einen, mal der anderen, mal der dritten Form zwar entspricht, die aber andererseits jene im Wörterbuch abgebildete Auswahl vollkommen unlernbar macht, das heißt als ernstzunehmende (= zu befolgende) Norm sowie als Unterrichtsmaterie ad absurdum führen würde. Wie gut, daß die Engländer nicht denken, sie müßten haargenau so schreiben, wie es im Oxford Spelling Dictionary steht. Zumal sich wahrscheinlich herumspricht, was Herr Markner beigesteuert hat: daß es nämlich in den anderen Wörterbüchern schon wieder anders aussieht. Und in den englischsprachigen Staaten gibt es kein "Oxford monopoly" oder ein "Webster privilege" oder einen anderen staatlichen Normierungsversuch, wie es ihn in Deutschland gab und gibt.

b) Beispiel "water-ski": So steht es in meinem "englischen Duden", im Oxford Colour Spelling Dictionary (OCSD). In Wirklichkeit hat "waterski" aktuell 73400 Google und "water ski" 71100 Google (einschließlich der Bindestrich-Fälle, aber das ist nur ein kleiner Prozentsatz). Also gleich viele. Das OCSD will aber, weil das im Sinne von Herrn Lindenthal einem ausgezeichneten, präzisen Wörterbuch entspricht, nur eine Schreibung anbieten, und weil man sich angesichts des Befundes nicht zwischen getrennt und zusammen entscheiden kann, wählt man die Kompromißschreibung mit Bindestrich. Am Ende wird also jene Variante als Normschreibung präsentiert, die mit Abstand die seltenste ist.

c) Beispiel "water sport": So steht es im OCSD. Aktuell 72800 Google. "watersport" hat aber 771000 Google, also mehr als zehnmal so viele. Wieso steht da dann "water sport"? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist die Getrenntschreibung in gehobenen Texten häufiger, die bevorzugt herangezogen worden sind. Vielleicht war Getrenntschreibung früher etwas häufiger. Keine Ahnung.

Aus a), b) und c) ergibt sich: Nicht wie die Engländer Komposita mit "water..." schreiben, ist Murks - sondern das Wörterbuch ist Murks! Man schreibt zwar nicht schlecht, wenn man genau so schreibt, wie es im OCSD steht - aber das macht keiner, weil es viel zu mühsam wäre, jeden Zweifelsfall nachzuschlagen. Und nur weil der elegante Ickler-Eintrag "water_[bed etc.]" bzw. "[noun]_[noun]" auch Schreibweisen wie "watershortage" einschließt, wird praktisch niemand so schreiben. Selbst wenn es mal ganz selten vorkommt - was ist daran so schlimm? Wer "watershortage" schreibt, würde ein Lexikon sowieso nicht benutzen.

Jedenfalls ist das mit dem ausgefransten Zollstock und dem abstürzenden Flugzeug alles Unsinn. Die Getrennt- und Zusammenschreibung ist ein lebendiges, vieldimensionales und flexibles Gebilde. Das kann man nicht mit einem Bauteil vergleichen, das haargenau bemessen sein muß, damit es seinen Zweck erfüllt. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, Herr Lindenthal: Nicht die reale Schreibung ist Murks, sondern ein Wörterbuch vom Typ des Duden! So schön Regeln sind, man kann es auch übertreiben.

Jedenfalls hat der Vergleich mit dem Englischen noch einmal verdeutlicht: Ickler und Duden - das sind zwei verschiedene Welten, so verschieden wie Großzügigkeit und Bürokratie.


eingetragen von Norbert Schäbler am 16.12.2002 um 19.51

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Detlef Lindenthal
>> „Was also spricht gegen ‘Ickler’s principle’? “ <<
I.p. ist ebenso lernunfreundlich wie ein ausgefranster Zollstock.

>> Wir können doch allesamt als Leser entscheiden, ob wir wertvolle oder minderwertige Literatur lesen wollen. <<
Nein; wenn tagesaktuelle wertvolle Literatur nicht angeboten wird, heißt es: Salzwasser saufen!



Zufällig habe ich auch handwerkliche Fähigkeiten, obwohl das einem Lehrer normalerweise nicht zusteht. Manchmal verwende ich einen normalen Zollstock, manchmal zwei Zollstöcke (zum Hin- und Gegenmessen) und manchmal nehme ich ein flexibles Maßband, das ich je nach Bedarf ausziehen kann. Selten messe ich genau das Urmeter ab, das irgendwo in Paris in einem Museum deponiert ist.

Wir können als Leser Macht entwickeln, wenn unsere Sache Hand und Fuß hat und nicht nur in Verschrobenheit und Verrücktheit endet. Wir können eine Zeitung abbestellen, und auch andere überreden, gleiches zu tun.
Allmählich mache ich mich davon frei, Apostel und Missionar zu sein. Was andere tun, ficht mich nicht an. Ich muß nicht mit den Wölfen heulen. Diese Freiheit habe ich, spätestens seit die FAZ rückumgestellt hat.

Unsä Hessebläddje is villeichd ä bißje zu gnabb förr die Fischkebb …
Aber immerhin ist das ja ein Anfang, und die Kieler Nachrichten könnten ja nachziehen, falls …

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nos


eingetragen von Detlef Lindenthal am 16.12.2002 um 19.29

>> „Was also spricht gegen ‘Ickler’s principle’? “ <<
I.p. ist ebenso lernunfreundlich wie ein ausgefranster Zollstock.

>> Wir können doch allesamt als Leser entscheiden, ob wir wertvolle oder minderwertige Literatur lesen wollen. <<
Nein; wenn tagesaktuelle wertvolle Literatur nicht angeboten wird, heißt es: Salzwasser saufen!
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Norbert Schäbler am 16.12.2002 um 19.15

In Erinnerung an Toni Schmid, den Pressesprecher des Bayerischen Kultusministeriums – seines Zeichens verwandt oder verschwägert mit einem/r hochrangigen Sachbearbeiter/in in Diensten des Hauses Bertelsmann – schreibe ich in eigener und freier Wortwahl, allerdings sinngemäß, folgende Worte aus der Lehrer-Einschüchterungsparole des Jahres 1997 nieder: „Alle Lehrer, die sich erst jetzt zur Rechtschreibreform äußern, und die sich heute im Schutzraum von Vereinen und Verbänden lautstark organisieren, müssen sich fragen lassen, wo sie die letzten Jahre verbracht haben. Ihre Kritik kommt zu spät!“

In Registrierung des gegenwärtigen (neu aufflammenden) Streites über Form und Inhalt des Ickler-Wörterbuches erinnere ich an zurückliegende offene Diskussionen auf diesen Netzseiten, die allerdings niemals zu einer einhelligen Meinung führten.

Seltsam mutet mich an, daß es der Staatsmacht gelingt, selbst den größten Blödsinn gegen eine noch so große Mehrheit durchzusetzen, während es dem Größten aller unabhängigen Sprachsensiblen nicht gelingen will, der hinter ihm stehenden Mehrheit Gerechtigkeit willfahren zu lassen.

Vielleicht liegt der Knackpunkt in der sog. Lemmatisierung. Mit den Fachbegriffen „obligatorisch“ und „fakultativ“ scheint dieses Problem nicht geregelt.
Andererseits könnte es auch an der deutschen Eigenart - der „Überreglementierung“ - liegen.

Vorschlag zur Güte: Wir können doch allesamt als Leser entscheiden, ob wir wertvolle oder minderwertige Literatur lesen wollen; und der Einheit der Schriftsprache tut diese persönliche Entscheidung absolut keinen Abbruch – höchstens dem Maß und der Qualität der Bildung.

Was also spricht gegen Ickler`s principle?

__________________
nos


eingetragen von Detlef Lindenthal am 16.12.2002 um 17.42

>> „Wir Deutschen brauchen also zuerst einmal den Ickler. Erst wenn sich die darin abgebildete, ungeheuer einfache und nutzenbringende liberale Auffassung von Rechtschreibung weitgehend durchgesetzt hat, kann man mit einem spitzfindigen Auskunftswerk wie dem vorreformatorischen Duden oder dem Oxford Colour Spelling Dictionary wirklich etwas anfangen. “ <<

In handwerkliche Maßstäbe übersetzt bedeutet das ungefähr dies:
Wir brauchen erst mal Zollstöcke, die am Ende, sagen wir auf den letzten 3 bis 5 cm, deutlich ausgefranst sind. Erst wenn sich in Tischlerei, Schneiderei, Bauhandwerk, Flugzeugbau usw. endlich eine liberalere Auffassung im Meßwesen weitgegehend durchsetzt hat, kann man mit den Meßverfahren der spitzfindigen vorreformistischen Kleingeister wirklich etwas anfangen. – – Nein, mein lieber Herr Wrase, umgekehrt wird ein Schuh draus:

Ob ich nun einen Standbogen zeichne oder ein Tischler eine Treppe aufmißt: Am Anfang empfiehlt sich höchste Genauigkeit.
Schummeln und liberale Kompromisse kommen später, und „Beeten scheef hett Gott leef“ heißt es erst ganz zum Schluß.

Die Genauigkeitsvorgaben im Flugzeugbau kommen aus der Industrie und aus dem ungroßzügigen Wunsch etlicher Fluggäste, nicht herunterfallen zu wollen. Und es geht dabei nicht nach unlustigen Berufsschullehrern, denen das Meßwesen vielleicht zu mühsam ist.
Warum läßt man bei unseren Deutschlehrern einen Erzpfusch durchgehen, der keiner anderen Berufsgruppe verziehen würde????

Von heruntergefallenen Flugzeugen fühlt sich „die Öffentlichkeit“ genervt. Dagegen werden die Multimilliardenkosten einer zerstörten Rechtschreibung von ebendieser „Öffentlichkeit“ (genauer: von der gleichgeschalteten veröffentlichten Meinung) hingenommen, als Endzeit-Kollateralschaden oder als Sabotage oder schadenfroh oder wie auch immer; einerseits.

Anderseits bleiben flugsichere Flugzeuge und verständigungssichere Sprache zukunftssichere Marktführer. Über “Ickler’s principle” wird es noch spannende Erörterungen geben; der Schaumgummi-Zollstock läßt grüßen.
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Reinhard Markner am 16.12.2002 um 13.43

In der Tat bringt der Vergleich mit anderen englischen (amerikanischen) Wörterbüchern andere Ergebnisse (erstaunlicherweise aber kaum offen eingestandene Varianten) zutage. Die deutschen Reformer müßten also auch hier feststellen, daß die anglophone Welt im Bereich der GZS ständig Fehler macht, ohne es zu merken.


eingetragen von Wolfgang Wrase am 16.12.2002 um 09.41

Ich wollte schon lange einen Beitrag schreiben, der die Frage der Getrennt-/Zusammenschreibung (GZS) im Vergleich mit dem Englischen beleuchtet. Auf diese Weise wird der Unterschied zwischen Liberalität im Wörterbuch (Ickler) und Einzelwortfestlegung (Duden) besonders deutlich.

Das Problem der GZS haben die Englischsprachigen schon bei Substantivkomposita, anders als wir. Wie schreibt man zum Beispiel die englischen Wörter für Wasserbett, Wassermelone, Wasserkraft oder Wasserratte? Wissen Sie es? Also:

water bed? water-bed? waterbed?
water melon? water-melon? watermelon?
water power? water-power? waterpower?
water rat? water-rat? waterrat?

Es dürfte Ihnen genauso gehen wie den Native Speakers: Sie wissen nicht auf Anhieb, welches die beste Lösung ist. Sie entscheiden sich vielleicht nach Ihrem Sprachgefühl hier für getrennt, dort für den Bindestrich, bei einem dritten Kompositum für Zusammenschreibung. Sie müssen dabei einräumen, daß zumindest eine von den anderen Möglichkeiten auch nicht gerade falsch aussieht. Jedenfalls gibt es alle Schreibweisen mit einer bestimmten Häufigkeitsverteilung.

Und was soll nun ins Wörterbuch? Mein Oxford Colour Spelling Dictionary, ein orthographisches Wörterbuch, das schon im Vergleich mit der aktuellen Auflage des Ickler viel radikaler ein "rein orthographisches Wörterbuch" ist, hat mit Hilfe statistischer Auswertungen die jeweils üblichste Schreibung ermittelt und gibt diese an. Zum Beispiel:

water-bag
waterbed
water biscuit
waterbird
water-bloom
water bottle
water-cannon
water-clock
watercolour
water-cooler (vgl. unten!)
watercourse
waterfall
waterfront
water heater (vgl. oben!)
water hen
waterhole
water ice
water level
waterline
water-meadow
watermelon
watermill
water-power
water rat
water-ski
water sport
...

Ob diese Ergebnisse noch aktuell oder repräsentativ sind, sei hier dahingestellt. Vielleicht müßte man manches korrigieren. Nehmen wir an, es handele sich tatsächlich um die jeweils üblichste Variante. Dann haben wir hier den englischen "Duden" (wobei der "deutsche Duden" leider oft genug nach irgendwelchen zufälligen, unvorhersehbaren Prinzipien entschieden hat und nicht nach der Häufigkeit).

Die andere Möglichkeit - Ickler im Englischen:

water_bag
water_bed
water_biscuit
water_bird
water_bloom
water_bottle
water_cannon
water_clock
water_colour
water_cooler
water_course
water_fall
water_front
water_heater
water_hen
water_hole
water_ice
water_level
water_line
water_meadow
water_melon
water_mill
water_power
water_rat
water_ski
water_sport
...

Oder kurz:
water_[bed etc.]

Eigentlich bräuchte man auch diese summarische Angabe gar nicht, denn sie exemplifiziert nur die allgemeine Regel, daß man im Prinzip [noun]_[noun] schreibt, also Substantivkomposita entweder getrennt oder mit Bindestrich oder zusammen: je nach Üblichkeit, Kürze der Bestandteile und ein paar weiteren Kriterien wie der Lesbarkeit (vgl. waterice = schlecht lesbar). Und vor allem auch: je nach Geschmack, je nach Lust und Laune.

Die liberale Lösung ist also viel realistischer und vor allem unermeßlich einfach im Vergleich zu der Einzelwortbestimmung. Der Nachteil ist nur, daß man dann im Wörterbuch nicht erfährt, was denn nun die üblichste Variante ist. Und das möchte ich manchmal schon wissen (andernfalls bräuchte ich überhaupt kein Wörterbuch).

Einzelwortangaben nach dem Muster des Duden müssen also nicht nur realistisch sein, sondern es muß klar sein, daß es sich dabei jeweils nur um Hinweise auf die statistische Verteilung handelt und NICHT um die einzig zulässige Schreibweise.

Dieses Wissen bzw. diese Einstellung ist im englischsprachigen Raum vorhanden und verbreitet. In Deutschland nicht. Dort wird fast alles als Fehler angesehen, was dem Eintrag im Duden oder was den amtlichen Regeln widerspricht.

Also können wir hier leider noch keinen Duden brauchen. Die Deutschen müssen erst lernen, was Rechtschreibung überhaupt ist: nicht ein mehr oder weniger willkürlich erfundenes Vorschriftenpaket über zulässige Schreibweisen, sondern der Konsens der Sprachgemeinschaft über übliche, nützliche und angemessene Schreibweisen - wobei es naturgemäß in vielen Bereichen eine große Bandbreite von Varianten gibt.

Wir Deutschen brauchen also zuerst einmal den Ickler. Erst wenn sich die darin abgebildete, ungeheuer einfache und nutzenbringende liberale Auffassung von Rechtschreibung weitgehend durchgesetzt hat, kann man mit einem spitzfindigen Auskunftswerk wie dem vorreformatorischen Duden oder dem Oxford Colour Spelling Dictionary wirklich etwas anfangen.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 07.10.2002 um 10.18

Was ist, wenn das a in a-Moll nicht vogeführt wird, sondern genannt? Auch die Kleinschreibung des Substantivs (Eigenname?) a ist irregulär.


eingetragen von Theodor Ickler am 06.10.2002 um 08.52

Bei meinen Schallplatten geht es sehr durcheinander. Sinnvoll finde ich die schlichte Unterscheidung A vs. a, da braucht man das Dur und Moll gar nicht mehr zu erwähnen. Andererseits sind Moll und Dur Substantive, was für Großschreibung spricht. Nicht sinnvoll finde ich es, alle möglichen und auch tatsächlich belegten Schreibweisen aufzunehmen. Erstaunlich ist wieder mal, wie wenig der Duden mit seiner klaren Festlegung sich durchsetzen konnte.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 06.10.2002 um 08.05

Lieber Herr Grunden,

daß die Schreibweise C-Dur/a-moll überwiegend vorkommt, nehme ich zurück. Auch das Beispiel mit den Akkordangaben war schlecht gewählt - eben wegen der viel gebräuchlicheren Abkürzungen. Zu den Lehrwerken: Es finden sich viele Abweichungen - Herr Metes hatte schon Adorno genannt. Guido Adler schreibt in seinem "Handbuch der Musikwissenschaft" (1961) durchgängig C-Dur/A-Moll - das müßte Ihnen eigentlich gefallen, denn wozu soll die Differenzierung C-Dur/a-Moll gut sein? Noch einmal zu Noten und Plattentexten: Man findet dort in überwältigender Fülle die Schreibung C-dur/a-moll. (Nicht als Akkordangabe, sondern Werktitel) Es mag sein, daß diese Schreibweise wegen der grammatisch irregulären Kleinschreibung besser geeignet ist für reine Titelangaben als für laufende Texte, aber man kann ihr die Fachlichkeit nicht einfach absprechen.
Damit komme ich zurück zu meiner Frage: Seit wann gibt es hier eine Normierung?


eingetragen von Theo Grunden am 04.10.2002 um 10.32

Ein doppelter sogar, Herr Fleischhauer!

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Stephan Fleischhauer
Bei Noten, die Akkordangaben verwenden, wird überwiegend "a-moll" geschrieben, damit man Dur und Moll beim flüchtigen Überblicken sofort unterscheiden kann. Ich halte deshalb auch "a-moll" für das zukunftsträchtigere.
Erstens:

Ich bezweifle sehr, daß es zur Unterscheidungsmöglichkeit der ausgeschriebenen(!) Wörter Dur und Moll noch wesentlich mehr beiträgt, „moll“ statt „Moll“ zu schreiben (und daß das folglich ein Grund für die Kleinschreibung sein könnte). Sicherlich könnte man besonders sehschwachen Lesern auch noch weiter entgegenkommen, indem man den beiden Wörtern zusätzlich unterschiedliche Druckfarben zuordnete. Aber in englischen Texten hat man sogar major und minor zu unterscheiden, und das kriegt der Leser doch auch ohne weitere „Hilfsmittel“ und Sonderregelungen hin, selbst wenn Englisch seine Zweit- oder Drittsprache wäre. Am Ende kommt noch jemand auf die Idee, bei Gehörbildungsübungen den vorgespielten Mollakkorden jeweils ein akustisches Erkennungsmerkmal (Piepser) beizumischen. Dann könnte man diese besser von den (piepserfreien) Durakkorden unterscheiden. Aber mal zurück zur Orthographie: Ich denke gerade an das musikexterne Beispiel der Stalagmiten und Stalaktiten, ja da wäre eventuell noch ein Handlungbedarf!

Zweitens:

Bei Noten(editionen), die Akkordangaben verwenden, wird in diesen in der Regel weder das Wort Dur noch das Wort Moll (weder groß noch klein geschrieben) verwendet, sondern nur das Akkordsymbol selbst. Das ist in allen gebräuchlichen Abkürzungssystemen im Falle Dur einheitlich immer der Großbuchstabe allein. Im englischen/internationalen Sprachgebrauch schreibt man ausschließlich Großbuchstaben für die Bezeichnung des Grundtones, das Geschlecht bzw. der Akkordtyp ergibt sich aus dem Kurzanhängsel. Im Falle Moll gibt es z.B. die Bezeichnungen A–, Amin und Am. Besonders die letztgenannte Akkordsymbolform hat sich – u.a. im Zuge der „Pädagogisierung“ und „Verwissenschaftlichung“ von Pop-/Rock-/Jazzmusik, aber auch durch deren Praxis – deutlich in den Vordergrund gedrängt. Das „m“ ist hier natürlich die Abkürzung von minor, aber viele halten es wohl auch für die Abkürzung von „moll“. Dieser Umstand könnte auch eine Teil“schuld“ an der „Moll-Kleinschreibung“ haben.

Habe gestern mal 10 unterschiedliche (gängige) Lehrwerke für das Fach Musik an allgemeinbildenden Schulen auf unsere Fragestellung hin durchgesehen. Man kann sagen (und ich tue das hiermit, in Erwartung von Gegenbeispielen): Die Schreibweise „a-moll“ kommt in Schullehrwerken nicht vor, alle schreiben die Substantive in solchen Verbindungen ausschließlich groß.

Außerhalb von Schule und Fach(wörter)büchern hat allerdings das Wort Moll in Verbindungen wie „a-moll“ nach wie vor offensichtlich ein ähnliches Schicksal wie das Wort willkommen in der Verbindung „Herzlich Willkommen“ (nur andersherum). Bin mal gespannt, welche dieser Schreibeigentümlichkeiten „zukunftsträchtiger“ ist.


eingetragen von Stephan Fleischhauer am 03.10.2002 um 17.13

Ich studiere selbst Musikwissenschaft und meine, daß es mit der - angeblich genormten - Schreibweise der Tonarten nicht so genau genommen wird. Ich wüßte auch gern, wer hier wann etwas genormt hat. Man findet in der wissenschaftlichen Literatur am Anfang dieses Jahrhunderts auch die Schreibweise "A-moll" - damit sind nun alle Möglichkeiten durchgespielt. Übrigens gibt es ja nicht nur eine "musikwissenschaftliche" Norm (die ich wie gesagt anzweifele), sondern auch eine "editionstechnische": Bei Noten, die Akkordangaben verwenden, wird überwiegend "a-moll" geschrieben, damit man Dur und Moll beim flüchtigen Überblicken sofort unterscheiden kann. Ich halte deshalb auch "a-moll" für das zukunftsträchtigere.


eingetragen von Theodor Ickler am 03.10.2002 um 06.14

Vielen Dank für die hilfreichen Erörterungen! Es bleibt das Problem, daß Fehler, die sehr häufig gemacht werden, keine mehr sind, und natürlich die alte Frage nach dem Verhältnis zwischen Fach- und Allgemeinsprache. Ich neige jetzt noch mehr als vorher zur Anerkennung der terminologischen Festlegung als einzig "richtiger" Schreibweise. Denn wie gesagt: der Benutzer will ja gerade dies wissen und nicht, was sonst noch alles vorkommt (obwohl auch dies interessant sein mag - theoretisch, wie hier, nicht praktisch).
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Th. Ickler


eingetragen von Reinhard Markner am 02.10.2002 um 21.28

Zitat:
Es handelt sich [. . .] um einen „gedanklichen Übertragungsfehler“, der so entstanden sein könnte: Kleines Symbol bedeutet Moll, also klein = Moll, also Moll immer klein, also „Moll“ schreibt man klein.
Danke für die Aufklärung. So wird's sein.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß der Begriff »Konvention« in unserem Zusammenhang häufig mißverständlich ist, weil nicht klar ist, ob von einer ausdrücklich geschlossenen oder aber von einer stillschweigenden Übereinkunft die Rede ist.


eingetragen von Theo Grunden am 02.10.2002 um 11.54

Die Tatsache, ob ein im Deutschen gebräuchlicher Tonname groß oder klein geschrieben im Text steht (A oder a, Fis oder fis, ...), kann nach musikwissenschaftlicher Konvention zweierlei ausdrücken.

Erstens die Unterscheidung einer Oktavlage. „A“ bezeichnet hierbei den konkreten Ton, der (in der Regel ca.) 110 Hertz hat, „a“ hingegen den, der 220 Hertz hat. (Das nur der Vollstänigkeit halber; und um einen Vorschlag einzubringen: die „große Oktave“ in „Große Oktave“ und die „kleine Oktave“ in „Kleine Oktave“ umzubenennen)

Zweitens die Unterscheidung des Tongeschlechts eines Akkordes bzw. einer Tonalität. „A“ bedeutet hierbei nicht mehr und nicht weniger als „Der Grundton (des Akkordes bzw. der einem Stück zugrundeliegenden Tonart) ist a, das Tongeschlecht ist Dur“, und „a“ bedeutet entsprechend „Der Grundton ... ist a, das Tongeschlecht ist Moll“.

In beiden Fällen benötigt der jeweilige Tonname keinen Zusatz, wenn aus dem Zusammenhang ersichtlich ist, welcher der beiden Fälle gemeint ist (das ist auch eigentlich immer klar). Die Bedeutung ergibt sich dann gemäß der betreffenden Konvention.

Die zweitgenannte Abkürzungskonvention ist (zumindest in den Zusammenhängen, in denen sie benutzt wird, also dort, wo das musikalische Denken und Schaffen vorwiegend auf den Dur-Moll-Bereich beschränkt ist) durchaus sinnvoll und praktisch. Vollkommen unsinnig und überflüssig hingegen ist es, die Kleinschreibung des Symbols im Falle Moll (die ja dort eine wichtige Information liefert) auf das ausgeschriebene Substantiv Moll in der Erweiterung „a-Moll“ zu übertragen („a-moll“). Wenn man als Gegenwert für dieses Abweichen von der allgemeinen Schreibkonvention (nach der Substantive eben groß zu schreiben sind), wenigstens eine fachliche Zusatzinformation oder irgendeinen Vorteil erhielte, könnte man noch darüber „verhandeln“; aber das ist ja nicht der Fall.

Im Gegensatz zu einer immer wieder anzutreffenden Meinung gibt es die Konvention, daß man das Wort „Moll“ in Verbindungen wie „a-Moll“ klein zu schreiben habe, eben nicht. Es handelt sich m.E. eher um eine dumme Angewohnheit bzw. einen „gedanklichen Übertragungsfehler“, der so entstanden sein könnte: Kleines Symbol bedeutet Moll, also klein=Moll, also Moll immer klein, also „Moll“ schreibt man klein.

Musikwörterbücher und musikwissenschaftliche Publikationen benutzen – bis auf ganz wenige Ausnahmen – die Bezeichnungen „A-Dur“ und „a-Moll“, pflegen also konsequente Großschreibung der Substantive. Die Falschschreibung „a-moll“ ist hingegen relativ oft anzutreffen in Ankündigungen von Konzerten und den dazu erscheinenden Programmheften, ferner auf Begleittexten zu Tonträgern.

Zu den o.g. Ausnahmen bei Fachpublikationen gehört z.B. „Metzler Musik Chronik“ (1993). Hier schreibt man alles klein: „A-dur“ und „a-moll“. Der von Herrn Metes schon angeführte "dtv-Atlas zur Musik" (dtv und Bärenreiter-Verlag, 1977) verfuhr auch noch so, hat aber in seiner Neuauflage (2001) auf konsequente Großschreibung umgestellt.

Wenn man also „a-moll“ wirklich zuließe, warum dann nicht auch „A-dur“? Und am besten gleich auch die Schreibweise „Akkustik“, die immer und immer wieder so in Konzertkritiken oder Beschreibungen von Instrumenten anzutreffen ist – ergooglen Sie’s mal!

Halbernster Nachtrag:
Übertragen wir doch mal spaßeshalber das „Problem“ der schriftlichen Bezeichnung von musikalischen Geschlechtern auf das der von biologischen. Wäre es nicht seltsam, wenn geschriebene Redetexte begännen mit „Meine sehr geehrten damen und Herren“? Die Damen wären zu Recht verwundert, denn sie unterscheiden sich doch ohnehin schon „wesentlich“ von den Herren (wie der Mollklang vom Durklang), zweitens auch noch durch das sie bezeichnende Wort „Damen“ von „Herren“ (wie „Moll“ von „Dur“). Warum sollte man da zur weiteren Unterscheidung die Damen auch noch klein schreiben? Etwa um symbolisch zu demonstrieren, daß es sich eben nur um das „zweitwichtigste“ Geschlecht handelt? Wie bei „moll“ gegenüber „Dur“? Leider kann sich das Wörtchen „Moll“ in den Fällen seiner Klein(er)schreibung nicht so wehren, wie es wohl im obigen Fall die Damen tun würden. Und deshalb wollte ich ihm hier ein wenig helfen.


eingetragen von Jörg Metes am 30.09.2002 um 15.54

Die Schreibweise 'a-moll'/'A-Dur' ist in meiner Platten- und CD-Sammlung die ganz überwiegende, quer durch alle Firmen (Amadeo, CBS, Decca, Deutsche Grammophon, EMI, Harmonia Mundi, RCA, Sony, Telefunken u.a. mehr). Daneben kommt noch die Schreibweise 'a-moll'/'A-dur' vor; die Großschreibung 'a-Moll' entdecke ich erst einmal nirgends.

In zwei Büchern allerdings finde ich sie: in Glenn Gould, Von Bach bis Boulez (1986) und in Henscheid/Poth, ...über Oper (1979).

Wiederum 'a-moll'/'A-Dur' finde ich bei Adorno und in der musiktheoretischen Reihe 'Musik-Konzepte' aus dem Verlag edition text + kritik in München (zumindest in dem mir vorliegenden Band Nr. 70 aus dem Jahr 1990), 'a-moll'/'A-dur' im "dtv-Atlas zur Musik" (dtv und Bärenreiter-Verlag, 1977).
– geändert durch Jörg Metes am 01.10.2002, 21.40 –
__________________
Jörg Metes


eingetragen von Reinhard Markner am 30.09.2002 um 13.22

Wenn eine Schreibkonvention »in den Bereich der fachlichen Normierung« fällt, heißt das doch nicht, daß sie im Wörterbuch nichts verloren hat, oder ? Ich würde es so handhaben wie im Falle von »-oxid/-oxyd«, denn der fachsprachliche Gebrauch bleibt ja nicht selbstverständlich auf fachsprachliche Kontexte beschränkt. So schreibt beispielsweise Die Welt ganz überwiegend (aber nicht immer) »-oxid«, hingegen je ungefähr in der Hälfte der Fälle »a-moll« und »a-Moll«.


eingetragen von Martin Reimers am 30.09.2002 um 12.52

Es ist sicherlich sinnvoll, nur die Schreibung "a-Moll" zu akzeptieren. Durch die Kleinschreibung des Substantivs "Moll" will wohl manch einer die nicht sehr elegante graphische Asymmetrie ausgleichen. Die musikwissenschaftliche Konvention erfordert aber nun einmal die Kleinschreibung von Moll- und die Großschreibung von Durtonalitäten. Manchmal muß eben auch das sprachästhetische Kriterium zurückstecken, selbst wenn es um Musik geht.

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Martin Reimers


eingetragen von Theodor Ickler am 30.09.2002 um 08.07

Ein Mitstreiter macht mich darauf aufmerksam, daß ich ziemlich rigide nur a-Moll usw. gelten lasse, nicht a-moll. Meiner Meinung nach gehört so etwas in den Bereich der fachlichen Normierung, aber ich würde es gern einmal zur Diskussion stellen. Natürlich weiß ich, daß die "falsche" Schreibweise ungemein häufig vorkommt. Aber das will der Benutzer in diesem Fall wohl nicht wissen. Der deskriptive Vorsatz sollte hier wohl hinter der praktischen Notwendigkeit zurückstehen.

Ein verwandtes Problem stellte sich bei Oxid, Oxyd. Hier habe ich die erst neuerdings genormte Schreibweise mit "(chem.)" gekennzeichnet. Die FAZ zum Beispiel schreibt bekanntlich weiterhin Oxyd. Bei Äther, Ether wiederum habe ich einfach beide Schreibweisen nebeneinandergestellt, auch im Hinblick auf die Aussprache. Also ich hatte mir schon etwas dabei gedacht, bin aber nicht sicher, ob es das Richtige war.

Übrigens sind die Lücken in der Reihe der Tonarten in der Neubearbeitung geschlossen.


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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 24.09.2002 um 15.57

Im Strang "ss vs. ß" hatte ich unter der Überschrift "Re: Vorschlag: Beispiele mit Methode" schon einmal etwas zu den Aspekten einer genaueren Betrachtung von Suchmaschinen-Ergebnissen geschrieben; ich stelle den Text (nur unwesentlich verändert) wegen des direkten Bezuges noch einmal hier ein.

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Wolfgang Wrase
Mir schwebt vor, daß wir einen eigenen prominenten Strang mit diesen Google-Links einrichten, denn auf diese Weise können wir demonstrieren, wie die Reform nun tatsächlich umgesetzt wird bzw. nicht umgesetzt wird. Darauf ließe sich auch gut als Quelle verweisen.
Ich möchte drei Dinge zu bedenken geben, die die Frage bezüglich der Aussagekraft einer solchen Sammlung von Befunden betreffen. Das eine Probem ist, daß man bei der Suche auf den WWW-Seiten nicht weiß, wann diese geschrieben wurden und ob man also ein mehr vor- oder nachreformatorisch geprägtes Bild der Lage erhält. Das weiß man erst, wenn man sich schlau macht und in Erfahrung bringt, wie lange die Seiten im Durchschnitt unverändert bleiben, und damit also, wie hoch der Anteil "alter" Seiten (im Sinne der Rechtschreibung) aus statistischen Gründen sein sollte. Es könnte aber auch sein, daß der Effekt der Zunahme der Seitenanzahl größer ist als der ihrer Bearbeitung, in dem Sinne, daß neu geschaffene Seiten (Altersgrenze z. B. ein Jahr) bereits mehr als (z. B.) die Hälfte aller Seiten ausmachen, die insgesamt in Deutschland existieren. Wie es sich damit verhält, weiß ich nicht.

Eine Abschätzung des Alters eines Befundes (auf statistischer Basis) ist außerdem nur möglich, wenn die Stichprobe groß genug ist, die man bei der Suche nach bestimmten Schreibungen erhalten hat (so daß man erwarten kann, daß auch innerhalb der Stichprobe die Altersstruktur vorherrscht, welche die Gesamtheit der abgesuchten Seiten aufweist). Beispielsweise kann man vermutlich bei einer Anzahl von ca. 200 Fundstellen für eine "eigenartige" Schreibweise, die auch schon vor der Reform (als Fehler) vorkam und für die es etwa hundertmal mehr "normale" Fundstellen gibt, nicht sagen, daß ihr Auftreten ein vermehrtes sei und daß dies an der Reform liege -- es sei denn, daß sich die "Lebensdauer" von Texten im Netz als außerordentlich kurz erweist. Doch selbst dann benötigt man noch einen vorreformatorischen Vergleichswert, um den Einfluß der Reform erkennen zu können (das ist das zweite Problem).

Drittens spielt der Zeitpunkt der Suche sowie die Suchmaschine eine erhebliche Rolle. Zum Vergleich: "muss" wird von Google ca. 2.760.000mal gefunden, von alltheweb sogar 8.305.422mal (und "musss" dagegen 3.619mal); das macht einen Anteil von 1:2150 bei Google und 1:2300 bei alltheweb. Der Anteil von Geheimniss/Geheimnis [Verhältniss/Verhältnis] (Zeugniss/Zeugnis) liegt nach alltheweb bei 7.581/645.677=1:85 [11.422/1.803.260=1:158] (2.807/533.344=1:190), nach Google bei 4.940/242.000=1:49 [5.970/223.000=1:37] (1.610/121.000=1:75).
Das Problem dabei ist, daß Google in der Standardsuche auch "-niß" findet, alltheweb dagegen nicht. In der erweiterten Google-Suche kann man dies abschalten (bzw. in der normalen Suche das auszuschließende Stichwort mit einem vorangestellten Minuszeichen mit angeben). Die derart korrigierten Google-Resultate sind: 3.480/242.000=1:70 [4.320/223.000=1:52] (1.590/121.000=1:76), werden also den alltheweb-Ergebnissen nur teilweise ähnlicher.

Bemerkenswerterweise lagen Anfang März dieses Jahres die unkorrigierten Google-Werte für "Geheimnis/s" und "Verhältnis/s" zudem noch bei etwa 1:40 bzw. 1:25, wobei es damals ungefähr genausoviele "-iss/ß"-Fundstellen gab wie heute [d. h. am 12.06.2002; J.-M. W.].
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Theodor Ickler am 24.09.2002 um 14.26

Ich möchte auf Google nicht mehr verzichten und habe damit keine Probleme, auch und gerade nicht im Hinblick auf meinen deskriptiven Ansatz, der ja niemals auf stures Auszählen beliebiger Textkorpora abzielte. Für viele sprachwissenschaftliche Fragen liefert Google unvergleichlich reiches Material, das man natürlich genauer betrachten muß, bevor man daraus Schlußfolgerungen zieht.

Zum Beispiel habe ich mich gerade eben darüber gewundert, daß das neue dtv-Wörterbuch als Plural von Lager nur Lager angibt. Wie wir alle wissen, gebrauchen vor allem die Kaufleute usw. gern auch Läger. Google hat eine Fülle von Belegen, die zum größten Teil gut verwendbar sind.

Das Gute daran ist, daß man nicht mehr ausschließlich auf andere Wörterbücher und auf die eigene, doch immer sehr beschränkte Sprachkenntnis angewiesen ist, sondern hinaus ins Offene tritt, die weite Welt des Sprachgebrauchs. Wer täglich damit arbeitet, kann wohl kaum nachvollziehen, was daran so problematisch sein soll.

Nachtrag: Zum Stichwort "Orthographieforschung" (Lachenmann). Im Vorwort meines Rechtschreibwörterbuchs sage ich: "Ein orthographisches Wörterbuch ist keine wissenschaftliche Dokumentation, sondern ein Vorschlag zum sprachgerechten und leserfreundlichen Schreiben." In diesem Sinne ist Google eine Orientierungshilfe, aber keine Forschungsgrundlage. Als Korpus läßt es sich nicht einmal definieren, außer eben nach der Fundstelle, dem äußerlichsten Kriterium überhaupt.
– geändert durch Theodor Ickler am 01.10.2002, 10.12 –
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Th. Ickler


eingetragen von Walter Lachenmann am 24.09.2002 um 09.11

zweitens, als man denkt.

Der noch vor kurzem hier von - ansonsten mit wissenschaftlichem Ernst argumentierenden - Experten mit dem Epitheton »der scheidende« apostrophierte Finanzminister bleibt uns nun doch erhalten. Daß wir nach der Wahl einen anderen bekommen würden, sei wahrscheinlicher, so war die Rede, als daß eine hier im Forum kritisierte Schreibweise eines SZ-Journalisten durch die Reform bedingt sei. In dem einen Fall wissen wir jetzt Bescheid, im anderen müssen wir uns nach wie vor mit unserer Intuition begnügen.

Wer sich nicht allein auf »objektive Daten« stützt in seiner Beurteilung der Verhältnisse, sei es im Bereich der Politik oder in dem der Sprache, sondern zuallererst auf Erfahrung, vorsichtige Nachdenklichkeit und eben doch Intuition, hat gar nicht so selten am Ende recht.

Merke: Statistiken sind trügerisch, man kennt die Fakten selten wirklich, schon gar nicht im vorhinein. Drum wird ein kluger Sprachmensch statistische Aussagen über mehrheitlichen Schreibusus, schon gar von einer sprachlichen Müllkippe wie dem Internet bzw. Google, wo sich nichts anderes widerspiegelt als die immer größer werdende Uneinheitlichkeit und Verwahrlosung der Orthographie, vielleicht zwar mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis nehmen, sich aber davor hüten, diese als die normstiftende Ursuppe deutscher Sprachpraxis oder gar Sprachkultur zu betrachten. Sonst ginge es nämlich mit der Abwärtsorientierung, die wir im Werteverständnis in vielen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen derzeit erleben und die auch unsere Bildungspolitik kennzeichnet, ungebremst weiter.

Auch kann man, wenn man bei Google dieselben Begriffe in Zeitabständen wiederholt eingibt, feststellen, daß die Treffer bei reformbedingten Schreibweisen stärker ansteigen als bei den herkömmlichen, die vielfach sogar sinken. Das ist ja auch bei dem Textmaterial, das sich dort ansammelt, gar nicht anders zu erwarten.

Damit wird der deskriptive Ansatz nicht kritisiert, sondern befragt. Die Frage ist zum einen, ob Google dabei tatsächlich so eine primäre Rolle spielen sollte, und zum andern, wie man sich angesichts der sich dort, aber auch in Büchern und Zeitungen breitmachenden Orthographieverschlechterung verhält. Registriert man diese getreulich, in der Hoffnung, daß sich schließlich alles wieder zu einem stimmigen Gesamtgebilde hin entwickelt? Was sucht ein Wort wie Tip noch in einem deskriptiven Wörterbuch, wo bei Google das Verhältnis zu Tipp 164.000 : 713.000 steht? (Das Internet wimmelt eben von »Tipps«.)

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Walter Lachenmann


eingetragen von Wolfgang Wrase am 21.08.2002 um 17.45

Mit Google kann man nicht alles prüfen, aber vieles. Oft sind die Ergebnisse trotz der schlechten Qualität vieler Texte und trotz mancher systematischer Probleme sehr aussagekräftig. Ein gewisses Vorwissen gehört dazu, daß man mit Google vernünftig umgeht. Die Abfragen von Herrn Lachenmann zeigen zum Beispiel sehr gut, daß die Rechtschreibreform bei der Drei-Konsonanten-Regel dazu geführt hat, daß die Schreibgemeinschaft, gemessen an den im Internet zirkulierenden Texten, in diesem Feld gegenwärtig ziemlich genau halbe-halbe zwischen alt und neu aufgeteilt ist. Das ist interessant, und diese Erkenntnis kann man mit Texten aus dem 19. Jahrhundert nicht gewinnen.

Die einen richten sich heute nach der alten Schreibweise, die anderen nach der neuen Schreibweise. Was von der neuen Rechtschreibung bei denjenigen, die sie anwenden wollen, verstanden wurde und angewendet wird, ist je nach Regelbereich völlig unterschiedlich. Daher sind solche Abfragen zu reformrelevanten Fällen interessant für die Frage, wie weit sich die Rechtschreibreform in welchen Regelungsbereichen tatsächlich durchsetzt. Für den Bereich (alt) energiesparend -> (neu) Energie sparend erhält man zum Beispiel völlig andere Ergebnisse, die es erlauben, ein Scheitern der betreffenden neuen Regel vorherzusagen.

Man muß zunächst einmal verstanden haben, daß sich alte und neue Rechtschreibung gegenüberstehen und jede für sich Gültigkeit beanspruchen. Dann wird man nicht solche Schlußfolgerungen ziehen, wie sie Herr Lachenmann hier präsentiert. Der Beitrag ist offensichtlich nicht ernst gemeint. Die Arbeit mit Google soll mutwillig ins Lächerliche gezogen werden, damit eine andere Methode vorteilhaft erscheint. Herr Lachenmann sollte sich fragen, ob er auf solche Beiträge künftig verzichten kann. Das würde den Aufwand der Richtigstellung ersparen.

PS: Vor einiger Zeit wurde ich gefragt, ob ich eine kurze, charakterisierende Zeile zu meinem Namen dazuschreiben will, der im Impressum einer Zeitschrift ("Schlussredaktion") stehen sollte. Gedacht war an eine Adresse und Telefonnummer, damit ich mehr Kunden bzw. Interessenten für meine Arbeit gewinnen würde. Ich sagte spontan zu und gab folgendes an: "Wolfgang Wrase - empfiehlt Google." Übrigens war es Professor Ickler, der mir seinerseits Google empfahl, als ich es noch nicht kannte. Seither nutze ich diese Suchmaschine täglich und bin äußerst dankbar für die Erkenntnisse, die ich ihr verdanke. Deshalb habe ich Professor Ickler nach einiger Erfahrung damit herzlich gedankt.
– geändert durch Wolfgang Wrase am 23.08.2002, 20.56 –


eingetragen von Walter Lachenmann am 21.08.2002 um 16.15

Deutsche Rechtschreibung - keine Kunst. Einfach bei Google nachgucken:

Programmusik = 1.040 Googles
Programmmusik = 709 Googles
Richtig (bis auf weiteres): Programmusik

Kontrolleuchte = 3.080 Googles
Kontrollleuchte = 2.450 Googles
Richtig (bis auf weiteres): Kontrolleuchte

Stallaterne = 265 Googles
Stalllaterne = 129 Googles
Richtig (bis auf weiteres): Stallaterne

Schiffahrt = 48.500 Googles
Schifffahrt = 56.700 Googles
Richtig: Schifffahrt

Schlammassen = 248 Googles
Schlammmassen = 357 Googles
Richtig: Schlammmassen

Klemmappe = 263 Googles
Klemmmappe = 474 Googles
Richtig: Klemmmappe

Stoffetzen = 921 Googles
Stofffetzen = 1.190 Googles
Richtig: Stofffetzen

Kreppapier = 586 Googles
Krepppapier = 950 Googles
Richtig: Krepppapier

Nullösung = 330 Googles
Nulllösung = 349 Googles
Richtig: Nulllösung

Noch ein Fund aus dem - auch wenn es jedem einigermaßen in der deutschen Sprache heimischen Menschen gelegentlich den Magen umdreht - gnadenlos immer die wissenschaftlich richtigen Antworten bereithaltenden Wunderhorn des deutschen Sprachschatzes:

Bitte Schön! Mach besten Korrektur nun! Wir warten auf deinem Antwort
http://www.yezidi.org/messageboard/messages/3083.html

Meine Pippifaxquellen von anno dunnemals können da allerdings nicht mithalten, klar, die geben ja ordentliches Deutsch wieder - wie unwissenschaftlich!


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Walter Lachenmann


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