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-- Rechtschreibreform und Gruppendynamik (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=446)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.08.2021 um 13.53

Mit der Rechtschreibreform werden wir 90 Prozent unserer Rechtschreibprobleme los.
(Kultusminister Wernstedt ca. 1997)
Jeder kann aber weiter schreiben, wie er will oder es gelernt hat.

Corona-Impfstoff: Spahn macht Druck auf EU | tagesschau.de
Eine Wirksamkeit von 90 Prozent sei sehr hoch. (10.11.2020)
Eine Zwangsimpfung wird es nicht geben (18.11. 2020)
aber: Unionsfraktion hält Nachteile für Ungeimpfte für richtig (rp 5.8.2021)

„Tja, dat sünd de ʒungen Lüüd, de hebt keen Verantwortung“ wandte sich neulich ein alter Herr an seine Umgebung, als er erfuhr, daß ich noch nicht geimpft sei (... nur fünf Jahre älter als ich, aber schon Urgroßvater). Das habe ich inzwischen nachgeholt, wegen des gemeinsamen Altherrenturnens. Dabei dachte ich auch an meinen Ururgroßvater – 1823 von Dr. Roll in Hadersleben geimpft, um konfirmiert werden zu dürfen. Alles natürlich ohne Zwang.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.05.2021 um 16.40

„Ein historisches Experiment seit Entstehung des Homo Sapiens“

Der Virologe der Universität Halle-Wittenberg, Alexander Kekulé, hält es nicht für zwingend notwendig, flächendeckend alle Kinder ab zwölf Jahren gegen Covid-19 zu impfen...

Man solle auch nicht aus den Augen verlieren, daß man es mit einem experimentellen Impfstoff zu tun hätte, der noch nicht einmal eine reguläre Zulassung habe... Man habe noch nie einen neuen Impfstoff, der auf einem neuen Wirkprinzip beruhe, global in allen Altersklassen eingesetzt. „Das ist ein Weltexperiment, ein historisches Experiment seit Entstehung des Homo Sapiens“, warnte er. (hl)

jungefreiheit.de 27.5.2021

Jeder Vergleich hinkt, aber dennoch: Vergleichsweise harmloser Vorläufer war 1996 das historisch einzigartige Menschenexperiment, Schulkinder durch massenhafte ss-Impfung gegen Rechtschreibfehler zu immunisieren (bis 90 Prozent). Erst danach griff man auf die Erwachsenen zu – mit Hilfe der sich selbst gleichschaltenden (vor allem SPD-)Presse. Außer Kosten, Konfusion und Kulturbruch hat es nachweislich nichts gebracht.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 09.04.2015 um 17.08

Auch in diesem Forum wurde der Aufruf der 22 Autorinnen und Autoren von 2006 zitiert:
Die Sprache kennt keine Kompromisse

Georg Hilscher hat, wie er bei Sprachforschung.org mitteilt, nachgeforscht, was daraus geworden ist:


... man kann sich als Freund der alten Rechtschreibung schon langsam einsam fühlen. 22 Autorinnen und Autoren haben 2006 den Aufruf "Die Sprache kennt keine Kompromisse" unterzeichnet, in dem es heißt: "Wir jedenfalls werden unsere Bücher weiter in der Schreibweise drucken lassen, die wir für richtig halten." (Zu finden unter: Stirnemann, dritte Seite.)

Von diesen 22 haben inzwischen 15 auf die neue Rechtschreibung umgestellt (in Klammern habe ich immer das jeweils älteste Werk in neuer Rechtschreibung angegeben, das ich finden konnte):

Lukas Bärfuss (Hundert Tage, 2008), Klaus Böldl (Der nächtliche Lehrer, 2010), Ralf Bönt (Die Entdeckung des Lichts, 2009), Ulrike Draesner (Spiele, 2007), Julia Franck (Die Mittagsfrau, 2007), Ines Geipel (No Limit, 2008), Judith Hermann (Aller Liebe Anfang, 2014), Daniel Kehlmann (F, 2013), Björn Kuhligk (Bodenpersonal, 2010), Norbert Niemann (Die Einzigen, 2014), Thomas Palzer (Nachtwärts, 2014), Antje Rávic Strubel (Sturz der Tage in die Nacht, 2011), Lutz Seiler (Kruso, 2014), Tim Staffel (Jesús und Muhammed, 2008), Feridun Zaimoglu (Ruß, 2011).

Was ist passiert?

Kommentar: Entscheidend für den künstlich aufgebauten Druck auf die deutsche Literatur war die bei vollem Bewußtsein der Tragweite getroffene Fehlentscheidung des Bundesverfassungsgerichts – das ja nun schon mehrfach seine exorbitante Inkompetenz im Bereich der Kultur bewiesen hat:

Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt. Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben. Auch durch die faktische Breitenwirkung, die die Reform voraussichtlich entfaltet, werden sie daran nicht gehindert. (Beschluß v. 14. Juli 1998)



eingetragen von Sigmar Salzburg am 23.03.2014 um 17.01

Eine bissige Polemik von Wolfgang Röhl in der „Achse des Guten“. Ihr letzter Satz lautet:

So sieht’s aus, wenn gewisse Dinge in der Mitte der Gesellschaft ankommen: extrem blöde.

Das wird durch die Verwendung der „Missstandsortografie" unterstrichen, die gleichfalls in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, obwohl sie regelmäßig von der Bevölkerung abgelehnt wurde – ein Erfolg der kultusministeriellen Erpresser und unserer„freien“ Presse. In Röhls Artikel finden sich allerdings als schreibliche „Erleichterungen“ nur ein „dass“ und sechs „ss“, von denen aber zwei von der „SS“ stammen. Zweifellos reicht das nicht aus, um die milliardenteure Reform und den Kulturbruch zu rechtfertigen.

Röhl beschäftigt sich jedoch mit einem anderen Bereich der Scharlatanerien. Zunächst polemisiert er u.a. gegen die Friedrich-Ebert-Stiftung, dem Endlager ausgedienter SPD-Politiker, und stellt fest, was wir schon lange wissen:


Bei jeder ihm passender Gelegenheit lässt das Juste Milieu eine rhetorische Figur Pirouetten drehen. Es handelt sich um die „Mitte der Gesellschaft“. Dort soll längstens „der Rechtsextremismus angekommen“ sein. Das suggerieren Studien, die regelmäßig von Think Tanks wie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung bei einschlägigen Instituten in Auftrag gegeben werden. Die selbstredend von vornherein festgetackerten Ergebnisse werden von vielen Medien nachgeplappert. In Wahrheit ist der Rechtsextremismus, wie Wahlergebnisse aufzeigen, ungefähr so gesellschaftsmittig wie Katzen grillen, mit Eigenurin anstoßen oder sich vor Nacktfotos rumänischer Knaben einen runterholen. Die politische Bedeutung von stramm rechten, rechtsradikalen oder gar neonazistischen Positionen in Deutschland verhält sich umgekehrt proportional zur Sozialdemokratisierung und Muttisierung ehemals konservativer Kreise.

Was tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist: eine anschwellende Neigung zu Hokuspokus und Scharlatanerie; zu Aberglaube, Öko-Voodoo, Handauflegen, schamanischen Ritualen und anderen, schwerstspinnerten Heilungsversuchen. In den aus Steuergeld alimentierten Volkshochschulen tibetert, taichit und quigongt es mächtig...

Im Mittelstandsektor floriert eine Produkte- und Dienstleistungsindustrie unter dem Label „Alternative Medizin“. Gern wird dafür auch das Schmuseadjektiv „sanft“ eingesetzt. Von fernöstlichem good-for-body-and-soul-Geschwurbel à la Ayurveda über die aus England importierten Bach-Blüten-Zaubertropfen bis hin zum endemischem Verdünnungswahn namens Homöopathie hat sich ein irgendwelche Heilungen versprechendes Soziotop breitgemacht, das vor Jahrzehnten nur eine milde bespöttelte Randexistenz fristete ...

Und nun legt Röhl los und endet bei einer vergleichsweise unbekannten „Therapie“:

Was sind Schüßler-Salze? Sie gehen auf den Oldenburger Arzt und Homöopathen Wilhelm Heinrich Schüßler (1821 – 1898) zurück... Nach Schüßlers bündiger Annahme gründen alle Erkrankungen in einem Mangel an 12 von ihm identifizierten Mineralsalzen, den es abzustellen gelte – Heilung garantiert ...

Schüßlers Salze mussten lange auf Anerkennung warten. Selbst die klassische Homöopathensekte, mit der Schüßler irgendwann gebrochen hatte, nahm sie nicht ernst. Erst die Nazis, die von einer „neuen deutschen Heilkunde“ träumten, verhalfen ihnen zu spätem Durchbruch. Die Salzbeibringungen wurden nun staatlich gefördert, Schüßler-Laienbehandler durften sich Heilpraktiker nennen. Braune Eminenzen wie der Reichsführer SS Heinrich Himmler hatten an Grünem, Okkultem und Esoterischem bekanntlich einen Narren gefressen...

Das lief ähnlich wie bei der „neuen deutschen Rechtschreibung“, in die sich der Nazi-Erziehungsminister Rust verbissen hatte. Auch die wurde nach '68 von den später grünlichen Gesellschaftsveränderern bereitwillig aufgegriffen, da auch hier mit hochpotenziertem Blödsinn gearbeitet wurde.

Studien über Schüßler-Salze gibt es bis heute nicht...

Das ist allerdings bei der „Rechtschreibreform“ anders. Ihre Wirkungslosigkeit ist in Studien nachgewiesen.

Gleichwohl gibt es Weißbekittelte, die diesen Quark wärmstens empfehlen („Mit Schüßler-Kuren gesund durch das Jahr!“). In einer Kleinstadt im Norden, sicherlich auch an vielen anderen Plätzen der Republik. So sieht’s aus, wenn gewisse Dinge in der Mitte der Gesellschaft ankommen: extrem blöde.

Achse des Guten 22.3.2014


eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.01.2014 um 10.48

Immer wieder finden sich Leute, die andere auf ihren „Fehler“ aufmerksam machen, nicht „reformiert“ zu schreiben. Oft genügt ein Buchstabe:

Faszination des Grauens:
Mehr als acht Millionen gucken das "Dschungelcamp"


Diskussion:
123tvtyp Von mir aus sollen die das gucken, aber muß in jeder blöden Zeitung darüber berichtet werden, heut las ich die FAZ, und dachte das ist eine Camp freie Zeitung, nein auch da wird über den angeblichen Dschungel berichtet! Schon nervig, wieviel Werbung die für ihre blöde Sendung brauchen!

CormacMcCarthy schrieb am 24.01.2014, 01.13 Uhr: via tvforen.de
Ok. Notiz 1: FAZ=blöde Zeitung. Notiz 2: Rechtschreibreform ist bei dir noch nicht angekommen (aber geschenkt, das kann man ja halten, wie man will). Warum? Wieso "angeblich"? Gibt es gar keinen Dschungel? Ist diese Sendung Fantasie? [...]

wunschliste.de 24.1.14


eingetragen von Sigmar Salzburg am 12.06.2013 um 08.12

Vom Leistungs- zum Gewährleistungsstaat
Axel Burchardt Stabsstelle Kommunikation/Pressestelle
Friedrich-Schiller-Universität Jena

Matthias Knauff ist neuer Jura-Professor der Friedrich-Schiller-Universität Jena

… In seiner 2009 abgeschlossenen Habilitationsschrift „Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebensystem“ untersuchte Matthias Knauff die Bedeutung und Wirksamkeit von „unverbindlichen Regeln, die eine faktische Steuerungsfunktion entfalten“. Als Beispiele nennt der neuberufene Jenaer Professor Mitteilungen der EU-Kommission, die Agenda 21 sowie die Rechtschreibreform, die nicht durch einen Staatsvertrag der Bundesländer zustande gekommen sei...

idw-online.de 11.6.2013

Anscheinend wird hier (unkritisch?) die neue Form der Durchsetzung von Zielen der Regierung am Parlament vorbei untersucht, die auf parlamentarisch oder juristisch aussichtslose Gesetzesvorhaben verzichtet und die die erstrebte Wirkung durch punktuelle Einzelmaßnahmen, etwa Schülergeiselnahme, durch gesellschaftliche Pressure-Groups und den folgenden Unterwerfungseifer führender Meinungsmonopole zu erreichen sucht und die auf den allgemeinen Untertanengeist setzt.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.11.2012 um 12.40

Blinder Gehorsam erklärt nicht alles

Die Elektroschock-Experimente von Stanley Milgram gelten als Beleg dafür, dass normale Bürger zu brutalen Tyrannen werden können. Nun widerspricht ein Forscherduo: Menschen unterwerfen sich nicht einfach blind der Autorität - Gewalt entsteht, wenn Bösartiges als tugendhaft dargestellt wird…

Tyrannei ist nicht die Folge von blindem Gehorsam."Vielmehr entstehen solche Verbrechen, wenn Menschen sich mit Autoritäten identifizieren, die bösartige Handlungen als tugendhaft darstellen", sagt der Psychologe Alexander Haslam von der australischen University of Queensland. Die Täter sind nach ihrer Interpretation aktive statt nur passive Ausführer eines Befehls.

spiegel.de 29.11.2012

Wie in der „Weichwissenschaft“ Psychologie nicht anders zu erwarten, sind Ergebnisse von Experimenten kaum monokausal zu deuten. Deswegen ist die ursprüngliche Interpretation nicht falsch, sondern bedarf der Ergänzung. Dies hatten wir bei der Betrachtung der Rechtschreibreform im Lichte der Milgram-Experimente bereits berücksichtigt. Allerdings unterstellen die Autoren der neuen Studie nun eine bereits vorhandene Übereinstimmung mit den Befehlsgebern. Dies dürfte nicht immer zutreffen. Ein ukrainischer Trawniki identifizierte sich nicht mit den Naziautoritäten und ihren Zielen, sondern wollte nur durch besonders eifrige Mitarbeit sein Überleben sichern.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 07.10.2012 um 12.44

Gast: Tec
03.10.2012 19:03
Also laßt euch über den Tisch ziehen...
Für den Preis den diese "Phones" kosten bekommt man
1. ein gutes Handy …

vain a. D.
03.10.2012 22:32
Re: Also laßt euch über den Tisch ziehen...
Sie scheinen offenbar ein älteres Semester zu sein, da Sie die Rechtschreibreform verschlafen haben. Daher werden Sie hier nicht ernst genommen.

"...laßt..." - falsch
"..lasst..." - richtig

diePresse 3.10.2012


eingetragen von Sigmar Salzburg am 22.02.2012 um 08.33

Der Aufstand der „Narren des Widerstands“ gegen die „Toren der Macht“ hat längst begonnen…
In „Keine Macht den Doofen!“ werden Argumente verschiedener Widerstandsbewegungen gegen den globalen Irrsinn aufgegriffen …

Die große Konfliktlinie unserer Zeit verläuft nicht zwischen Gut und Böse, sondern zwischen klug und blöde

Hier sammeln wir Belege und Beispiele für den globalen Irrsinn – aber auch für den Widerstand dagegen. Zum Mithelfen einfach den Knopf drücken und schon kann es losgehen! Am Ende des Jahres wollen wir aus den Beiträgen heraus die Nominierten für den „Homo demens-Award 2012“ generieren. Wer war der größte Religiot des Jahres, wer der größte Politiot? Wem verdanken wir den verheerendsten ökonomischen oder ökologischen Irrsinn? Wer hat in den Medien oder in der Bildungspolitik am erfolgreichsten zur Verblödung der Massen beigetragen?

dokumentationsstelle

Ein Projekt zum Buch von Michael Schmidt-Salomon – das („natürlich“) in der von Idioten für Idioten reformierten neuen Rechtschreibung verfaßt ist.

Wir sind uns hier einig, daß die Kultusminister seit 16 Jahren am erfolgreichsten und umfassendsten zur Verblödung aller Deutschschreibenden beigetragen haben – gegen den Willen der Mehrheit.

Aber gerade die Freidenker zeigen sich unterwürfig, wenn etwas als „fortschrittlich“ verkauft wird. Bestes Beispiel: Ein Artikel, der in Weimar in traditioneller Rechtschreibung erschien, wurde auf hpd nicht nur um Druckfehler bereinigt, sondern auch mit den neuen „ss“ und der Stotterversion „so genannt“ bereichert – dem Paradebeispiel für Reformidiotie.

Vielleicht sollten die ihre eigenen Einsichten ernster nehmen:


“Wir leben in einem Tollhaus”
Schwarmdummheit: Ameisen sind im Kollektiv intelligent, Menschen nicht…


eingetragen von Sigmar Salzburg am 12.01.2012 um 11.07

Die erstaunliche Wissenschaft einer Star-Murmuration

… Schwärmende Stare gehören zu den außergewöhnlichsten Anblicken, die die Natur zu bieten hat …

Was ermöglicht die verblüffende Koordination dieser Murmurationen, als die Schwärme von Staren (im Englischen) so bekannt sind? Bis vor kurzem war das schwer zu sagen. …
Schwärme von Staren werden, wie sich herausstellt, am besten beschrieben mit Gleichungen der "kritischen Übergänge" - Systeme, die bereit sind zu kippen, um beinah sofort und komplett transformiert zu werden, wie Metalle, die magnetisiert werden oder Flüssigkeit, die sich in Gas verwandelt. Jeder Star in einem Schwarm ist mit jedem anderen verbunden. Wenn ein Schwarm gemeinschaftlich wendet, ist es ein Phasenübergang.

hpd.de 5.1.2012

„Murmuration“ von engl. „murmur“ murmeln (Gerüchte verbreiten?). Im Deutschen spricht man von Verbänden mit Schwarmintelligenz. In manchen Fällen, wie etwa lächerlichen Modeerscheinungen oder erfolgreichen Verschwörungstheorien, müßte man eher von gruppendynamischer Schwarmdummheit sprechen – so auch bei der Rechtschreibreform. Den Phasenübergang bewirkten hier weniger die Kultusminister mit ihrer Schülergeiselnahme, sondern die Pressemaffia, die unter Mißbrauch der Pressefreiheit auch dem Uninteressiertesten das Gefühl aufdrängt, in der falschen Richtung zu schreiben.

NB. Als Zehnjähriger konnte ich jeden Abend einen riesigen, Starenschwarm beobachten, der seinen Schlafplatz auf elf hohen Pappeln ansteuerte. Eine Handbewegung konnte ihn wieder aufscheuchen und kreisen lassen. Irgendwann ließ der Bauer alle Bäume fällen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.08.2011 um 16.24

Die „junge Welt“ bringt heute eine aufschlußreiche Darstellung der Milgram-Experimente (in traditioneller Kulturrechtschreibung):

Mechanismen der Anpassung
Psychologie. Vor 50 Jahren führte Stanley Milgram seine berühmten Experimente zum Autoritätsgehorsam durch

[…]

Er wandte sich ausdrücklich gegen das »typische Feld-Wald-und-Wiesen-Verständnis« in bezug auf seine Untersuchung, wonach darin »die Bestie im Menschen zum Vorschein« komme und sich ein »Ausfluß des finsteren und bösen Teils der Seele« bemerkbar mache. Die häufig gezogene Schlußfolgerung, daß »in (fast) jedem von uns (...) ein Folterknecht« stecke (Spiegel online, 19.12.2008), ist mindestens ungenau, wenn nicht falsch. […]

»Sie haben keine Wahl!«
[…]
Am 18. Juni 1961 erschien in der Lokalzeitung New Haven Register erstmals eine Anzeige, in der 500 Teilnehmer aus verschiedenen Berufsgruppen für ein Experiment über Gedächtnisleistungen gesucht wurden. Wer sich meldete, wurde in ein Laboratorium an der Yale-Universität eingeladen. Dort wurde der Interessent von einem Versuchsleiter im grauen Kittel begrüßt und einem weiteren Mann, dem späteren »Opfer«, vorgestellt. Beiden wurde mitgeteilt, sie nähmen an einem wichtigen Experiment teil, in dem der Einfluß von Strafe auf den Lernerfolg getestet werden solle. Ein fingiertes Losverfahren teilte dem Neuankömmling die Rolle eines »Lehrers« zu. Als solcher hatte er dem »Schüler« Elektroschocks mit steigender Voltzahl zu verabreichen, falls dieser einen Fehler bei der Wiedergabe gelernter Wörter machte.

Der Schüler wurde in einem Nebenraum auf einem Stuhl festgeschnallt und sein Körper mit Elektroden versehen. Der vom Lehrer zu bedienende Schockgenerator war mit einer Reihe von Kippschaltern mit Voltzahlangabe von 15 bis 450 ausgestattet. Die Versuchsperson erhielt vorab selbst einen leichten Probeschock, um sicherzustellen, daß sie an die Echtheit der Apparatur glaubte und sich außerdem darüber im klaren war, wie sich ein elektrischer Schlag anfühlt. Zwar seien die Schocks schmerzhaft, erklärte der Versuchsleiter, aber sie verursachten »keine bleibenden Gewebeschäden«. Der Schüler mußte Wortpaare lernen und daraus einzelne Begriffe in späteren Wortfolgen wiedererkennen. Dabei machte er genügend Fehler, um mit Stromschlägen von maximaler Spannung »bestraft« zu werden. Ab 135 Volt schrie das Opfer vor Schmerzen; bei 150 Volt rief es: »Versuchsleiter, holen Sie mich hier raus! Ich will bei diesem Experiment nicht länger mitmachen!« Mit höherer Voltzahl steigerten sich seine Proteste und seine Schreie, bis nach 330 Volt nichts mehr von ihm zu vernehmen war. Zögerte der Lehrer, drängte ihn der Versuchsleiter mit verschiedenen Sätzen, in seinem Tun fortzufahren: »Bitte machen Sie weiter! Das Experiment erfordert, daß Sie weitermachen! Sie müssen unbedingt weitermachen! Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen!«
[…]
Milgram beschreibt eindrücklich, wie schwer der Weg vom ersten inneren Zweifel über den Dissens bis zur wirklichen Verweigerung ist. Ungehorsam beende den Konflikt der Versuchsperson und trage die »Merkmale eines positiven Akts: gegen den Strom schwimmen«…

Gleichzeitig geht die Bedeutung der Untersuchungen darüber hinaus, insofern Milgram auch die USA in deren Licht betrachtet: »In Demokratien werden Menschen durch öffentliche Wahlen in ihr Amt eingesetzt. Doch sobald sie einmal installiert sind, besitzen sie nicht weniger Autorität als jene, die durch andere Mittel ihre Position erlangt haben…«

Michael Zander ist Psychologe und lebt in Berlin
junge Welt 10.8.2011

Der Autor und wohl auch Milgram haben in ihrer Untersuchung vor allem die Verbrechen der Nazizeit (des „Faschismus“) im Auge. Der Stalinismus bleibt, wie links nicht unüblich, ausgeklammert.

Selbstverständlich ist aber die Ausnutzung von Autorität und Autoritätshörigkeit nicht nur auf die finstersten Seiten des menschlichen Miteinanders beschränkt – im Gegenteil: Gerade wenn es um die Durchsetzung scheinbar völlig harmloser oder gar vorgeblich segensreicher Obsessionen der Herrschenden handelt, ist die Widerstandskraft der folgsamen „Untertanen“ besonders gering.

Milgram wurde hier schon erwähnt.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.12.2010 um 11.30

Esoterische Medizin an deutschen Universitäten

09.12.2010 (GWUP): Stickstoff im Körper als Bindeglied zum Kosmos, ein todsicheres Roulette-System, Feenträume durch homöopathisch potenzierten Marmor: Was aussieht wie die Themenliste eines Esoterik-Workshops, kommt leider aus dem Umfeld einer deutschen Hochschule. Am „Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften“ (IntraG) der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder stehen esoterische Therapien auf dem Lehrplan, Schlüsselpositionen sind besetzt mit hochrangigen Vertretern der Homöopathie- und Anthroposophielobby.

Der Physiker und Homöopathiekritiker Prof. Dr. Martin Lambeck hat den Verbindungen zwischen IntraG und Komplementärmedizin minuziös nachgespürt. Die Ergebnisse seiner Untersuchung sind nun in der Zeitschrift Skeptiker (Heft 4/2010) nachzulesen.

Das IntraG ist nur eines von vielen Beispielen, wie die Alternativmedizin versucht, ihre pseudowissenschaftlichen Ansätze an den Universitäten zu etablieren. Seit einigen Jahren versuchen verschiedene Stiftungen und sogar ausländischen Regierungen mit Erfolg, vor allem im medizinischen Bereich Einrichtungen an Universitäten und wissenschaftlichen Instituten zu etablieren, deren Zielsetzung kaum mehr die wissenschaftliche Forschung ist. Vielmehr sollen bestimmte alternative Verfahren ohne Rücksicht auf ihre tatsächliche Wirksamkeit popularisiert werden… „Immer mehr bestimmt das Interesse von Ideologen und Finanziers nicht nur, was geforscht werden soll, sondern auch, was als Ergebnis möglichst herauskommen soll.“

Die GWUP kritisiert ferner, dass diese Lobbyarbeit auch die Berufsverbände erfasst hat. Professor Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, gehört inzwischen zu den Förderern von pseudowissenschaftlicher Medizin und verlangt einen Zusammenschluss der wissenschaftlichen Medizin mit ihren pseudowissenschaftlichen Randerscheinungen. „Das ist eine Absage an jede wissenschaftliche Redlichkeit“, so Amardeo Sarma….

gwup.org 9.12.2010

Viele der Kennzeichnungen könnten fast wörtlich auch für die mit wissenschaftlichem Anspruch durchgesetzte Rechtschreibreform, für die parallele feministische Sprachrefom und die Gender-„Forschung“ gelten. Den gegenwärtigen Höhepunkt an pseudowissenschaftlicher Vernebelung von Unsinn stellt der 2. Bericht des Rates für Rechtschreibung dar.

Im Jahre 2006, als mit der reformierten Reform die abtrünnigen Großverlage „eingetütet“ wurden, begann man auch Paramedizin für kassenfähig zu erklären:

2006 schrieb der Mediziner Dr. Till Spiro im Ärzteblatt
:
„Irrationales Handeln wird kassenfähig“

Vor drei Wochen erinnerte der „Spiegel“ an 1992:

Rückfall ins Mittelalter
Die Homöopathie breitet sich an deutschen Universitäten aus. Ausgerechnet Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe macht sich jetzt für die skurrile Heilslehre stark...
In seiner Freizeit schreibt Rudolf Happle, 72, gern humorvolle Limericks. Doch 1992 war für den damaligen Chef der Uni-Hautklinik Marburg Schluss mit lustig: Damals sollte das Fach Homöopathie im medizinischen Staatsexamen geprüft werden - neben Chirurgie, Innerer Medizin und Kinderheilkunde.
"Der Fachbereich Humanmedizin der Philipps-Universität Marburg verwirft die Homöopathie als eine Irrlehre!", donnerte Happle damals in der "Marburger Erklärung", die vom Fachbereichsrat ohne Gegenstimmen verabschiedet wurde…

spiegel.de 22.11.2010

Schon über einen Bericht im sonst angesehenen Spektrum v. 1.7.1993 wunderte ich mich. Ein Prof. Heine (Anthroposophen-Uni Witten-Herdecke) behauptete gefunden zu haben, was andere vergeblich suchten:

Anatomische Korrelate der Akupunkturpunkte
Vergeblich hat man an den klassischen Akupunkturpunkten nach dort vermuteten punktförmigen Ansammlungen von Nervenendigungen gesucht. Was aber in der westlichen Kultur als Punkt bezeichnet wird, entspricht im alten Mandarin-Chinesisch einem Loch; unter diesem Aspekt ließ sich das Problem anatomisch aufklären.

Mitnichten ist aber das Auffinden von Nervenendigungen ein Beweis für ihren Zusammenhang mit den Meridianen der chinesischen Medizin oder gar für ihre Wirksamkeit.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 15.07.2010 um 12.30

Glauben an Globuli

… Und dabei war es Lauterbach gar nicht vorrangig um Kostendämpfung im Gesundheitswesen gegangen. Sondern darum, Schaden von den Patienten abzuwenden, die glauben, daß das, was die Kassen zahlen, auch nachweislich hilft. …
Inhaltlich hat er völlig recht. Homöopathie stellt eine irrationale Pseudoheilslehre dar. …
Die Herstellung der Homöopathika unterliegt strengsten rituellen Vorschriften. Als Rohmaterialien werden Teile von Tieren, Pflanzen und Mineralien verwendet, aus denen in willkürlicher Konzentration sogenannte Ursubstanzen gewonnen werden. Etwa 1700 verschiedene Rohmaterialien sind heute in Gebrauch – gehäckselte Hoden eines jungen Stieres, Bindehaut des Schweineauges, zerdrückte Honigbienen oder auch Schleim einer mexikanischen Erdkröte. Sie sind verbindlich festgelegt in einer »Arzneimittelliste«. Rohmaterialien wie getrocknete Bettwanzen, faules Rindfleisch oder Tränen einer Jungfrau finden sich nur noch in älteren Ausgaben verzeichnet, inzwischen hat man die wunderlichsten Auswüchse herausediert. Excrementum canium, Hundekot, ist indes nach wie vor gelistet, wirksam angeblich bei »Schokoladensucht«. … [Colin Goldner]

jungewelt.de 15.7.2010

Als die Anthroposophen unsere Tochter heilen wollten, stand auch auf den Ampullen „Apis mellis“ (s. Nr.3).


eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.07.2010 um 17.22

Krankenkassen sollen sich Homöopathie sparen

Deutschlands Krankenkassen wirtschaften am Rande des Bankrotts - kann sich dieses System noch Zuschüsse für homöopathische Behandlungen leisten? …

"Man sollte den Kassen schlicht verbieten, die Homöopathie zu bezahlen", sagte Karl Lauterbach, SPD-Obmann im Gesundheitsausschuss des Bundestags, dem SPIEGEL. Dass mittlerweile mehr als die Hälfte aller gesetzlichen Krankenkassen die Leistungen von Homöopathen erstatten, kritisiert der Experte: "Viele Patienten glauben, die Kassen zahlen nur das, was auch nachweisbar hilft. Deshalb adeln die Krankenkassen mit ihrem Vorgehen die Homöopathie."

Auch der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses aus Ärzten und Krankenkassen, Rainer Hess, hält die jetzige Situation für "extrem unbefriedigend". Es gebe nach Hunderten medizinischen Studien bisher keinen klaren Nutzennachweis für die Homöopathie. Trotzdem müssen die Krankenkassen sie bezahlen. "Es hat schon viele Anläufe gegeben, die Schutzvorschrift für derartige Mittel zu streichen, aber einflussreiche Politiker haben dies immer wieder verhindert", sagt Hess.

Jürgen Windeler, der zum 1. September seinen Job als Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) antritt, nennt die Homöopathie im SPIEGEL ein "spekulatives, widerlegtes Konzept". Bis heute sei nicht erwiesen, dass die Methode einen medizinischen Nutzen habe. "Dazu muss man auch gar nicht mehr weiterforschen, die Sache ist erledigt", sagt der künftige oberste Medizinprüfer im Land. …

Die Homöopathie basiert auf den Vorstellungen des deutschen Arztes Samuel Hahnemann. Ab 1796 argumentierte dieser, Krankheiten sollten[,] dem sogenannten Ähnlichkeitsprinzip folgend[,] am besten durch Medikamente geheilt werden, die bei Gesunden die gleichen Symptome hervorrufen könnten wie die Krankheit. Weil das teils nur mit Giftstoffen zu erreichen war, ersann Hahnemann die Potentierung genannte extreme Verdünnung der Wirkstoffe. …

spiegel.de 10.7.2010

Karl Lauterbach – ein Vernünftiger in der SPD!

Der Glaube an die Wirksamkeit der Homöopathie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Glauben der entscheidenden Politiker an die Wirksamkeit der „Rechtschreibreform“. Und in beiden Fällen konnte bis heute kein realer Nutzennachweis geführt werden. Bei der Rechtschreibreform ist er auch aus ideologischen Gründen bewußt vermieden worden und die Rücknahme von „einflußreichen Politikern“ immer wieder verhindert worden. Nach aller Erfahrung und nach unabhängigen Untersuchungen ist sie ein „spekulatives, widerlegtes Konzept“.

Freunde der „natürlichen“ Rechtschreibung sind mitunter auch Anhänger der vermeintlich natürlichen Homöopathie. Deshalb zögere ich mit Kritik außerhalb des Themas. Ich vermute, daß Hahnemann das Prinzip der immunisierenden Impfungen, das gerade durch Edward Jenner entdeckt worden war, unzulässig auf nichtbakterielle Stoffe übertragen hat. Eigene Erfahrung: Ein anthroposophischer Arzt behauptete, mit homöopathisch verbleiten Kügelchen das Hirnwachstum unserer geistig behinderten Tochter anregen zu können. Ich erregte seinen Zorn, als ich fragte, wieso sein Blei positiv wirken sollte, während gleichzeitig die damals noch verbleiten Autoabgase ein Vielfaches an Blei in den Körper brachten und anerkannt schädlich waren. – Lit.: Irmgard Oepen: Unkonventionelle medizinische Verfahren; Otto Prokop: Mehrere Veröffentlichungen.


Nachtrag:
Aufregung auch in der Pharmaindustrie: Barbara Sickmüller, Vize-Chefin des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, … Die Kassen böten die Wahlleistungen an, "weil Zehntausende mit der Homöopathie gute Erfahrungen gemacht haben - und dafür zahlen", so Sickmüller in der "Frankfurter Rundschau"…. "Herr Lauterbach vertritt damit eine Einzelmeinung", sagte Carola Reimann, SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, der Zeitung.

spiegel.de 13.7.2010

Zehntausende haben sicher auch gute Erfahrungen mit der Astrologie – oder der „Rechtschreibreform“ gemacht.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 09.07.2010 um 07.52

Die neuen Illustrierten - Tattoos bei der WM

Essen. „Der Kopf will vom Herzen und das Herz will vom Kopf nichts wissen.Wenn wir jemals Aussicht auf eine Zukunft schaffen wollen, werden sich die klugen Köpfe und die grossen Herzen besuchen müssen. Noch sind wir einander so fremd, daß wir uns vermissen. . .“. Kopf versus Herz, so steht es geschrieben, nicht in einem Buch, sondern auf den Rippen von Marcell Jansen. Philosophie, lebenslänglich – zwei Rechtschreibfehler inklusive. Das mit „ß“ – geschenkt, nicht jeder hat die Rechtschreibreform verinnerlicht. Das „grosse“ Herz sei Absicht gewesen, soll Janssen gesagt haben. Gut, es hätte schlimmer kommen können – mit einem p in „vermissen“ zum Beispiel.

derwesten.de 7.7.2010

So wird von den Medien Reform-Anpassungshysterie erzeugt: Nach traditioneller Regel ist nur ein Fehler zu verzeichnen, ebenso nach Schweizer Schreibweise, die der Kunde wohl wollte. Da die zwei-Fehler-Denunziation aber nicht zugkräftig genug erschien, sollte das Letzte noch der dümmliche Schlußsatz bringen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.03.2010 um 10.59

[Wikipedia:]

Das Milgram-Experiment ist ein erstmals 1961 in New Haven durchgeführtes psychologisches Experiment, das von dem Psychologen Stanley Milgram entwickelt wurde, um die Bereitschaft durchschnittlicher Personen zu testen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen.
[…]
Der Versuch bestand darin, dass der „Lehrer“ dem „Schüler“ bei Fehlern in der Zusammensetzung von Wortpaaren jeweils einen elektrischen Schlag versetzte. Dabei wurde die Spannung nach jedem Fehler um 15 Volt erhöht. In Wirklichkeit erlebte der Schauspieler keine elektrischen Schläge, sondern reagierte nach einem vorher bestimmten Schema, abhängig von der eingestellten Spannung. Erreichte die Spannung beispielsweise 150 Volt, verlangte der Schauspieler, von seinem Stuhl losgebunden zu werden, da er die Schmerzen nicht mehr aushalte. Dagegen forderte der dabei sitzende Experimentator, dass der Versuch zum Nutzen der Wissenschaft fortgeführt werden müsse. […]
Satz 1: „Bitte, fahren Sie fort!“ Oder: „Bitte machen Sie weiter!“
Satz 2: „Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen!“
Satz 3: „Sie müssen unbedingt weitermachen!“
Satz 4: „Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen!“
Es gab noch weitere Standardsätze in antizipierten Verlaufssituationen: Wenn die Versuchsperson fragte, ob der „Schüler“ einen permanenten physischen Schaden davontragen könne, sagte der Versuchsleiter: „Auch wenn die Schocks schmerzvoll sein mögen, das „Gewebe“ (tissue) wird keinen dauerhaften Schaden davontragen, also machen Sie bitte weiter!“ Auf die Aussage des „Lehrers“, der „Schüler“ wolle nicht weitermachen, wurde standardmäßig geantwortet: „Ob es dem Schüler gefällt oder nicht, Sie müssen weitermachen, bis er alle Wörterpaare korrekt gelernt hat. Also bitte machen Sie weiter!“ Wenn nach der Verantwortung gefragt wurde, sagte der Versuchsleiter, er übernehme die Verantwortung für alles, was passiert. Die Versuchsperson reagierte auf die Stromschläge mit auf Band aufgenommenen Schmerzensäußerungen.

Ähneln die stereotypen Statements des „Versuchsleiters“ nicht ungemein dem, was die Kultusminister und ihre Konferenz, ja die meisten Politiker, in den letzten zwanzig Jahren so von sich gegeben haben? Daß die „Reform“ unumkehrbar sei? Daß man immer weitermachen müsse, bis das Volk die neuen Wörter gelernt habe? Das weder die Demokratie noch die Kultur Schaden nehmen würde? Und ähnelt die dienstbeflissene Mitmacherei nicht dem Verhalten, oft wider besseres Wissen, all der kleinen Bürokraten an den Schalthebeln von Politik und Kulturbetrieb? Und hatten wir nicht die Erfahrung mit ähnlichem weit Schlimmerem?

An dieses Experiment dachte ich, als ich am 19.08.1999 für die Bürgerinitiative an Volker Rühe, den zur Beihilfe bei der Liquidierung des Volksentscheids entschlossenen CDU-Kandidaten, schrieb:


Sehr geehrter Herr Rühe,

vor längerer Zeit wurden von Psychologen Tests durchgeführt zur Erkundung der Widerstandsfähigkeit von Normalbürgern gegen Verführungen, an Mißhandlungen von Menschen teilzunehmen. Die Probanden mußten für „wissenschaftlich notwendige, aber völlig harmlose" Experimente Patienten, die im Nachbarraum angeschnallt waren, per Knopfdruck vermeintlich unter Elektroschocks setzen, wobei deren (simulierte) Schreie nach draußen übertragen wurden. Den meisten Versuchspersonen kamen Bedenken wegen ihrer Tätigkeit erst sehr spät oder überhaupt nicht.

Die „Rechtschreibreform" mit ihren antidemokratischen Begleitumständen ist ein ähnlicher Test für die Widerstandskraft der Politiker und Medienmächtigen gegen die Versuchung, an Mißhandlungen der Demokratie teilzunehmen. Leider ist er mit Kosten bis zu 50 Milliarden DM recht teuer.
Sie, sehr geehrter Herr Rühe, haben soeben diesen Test nicht bestanden!

Eine Antwort habe ich von Herrn Rühe natürlich nie erhalten. In Wahlkampfveranstaltungen beklagte er sich aber über Beschimpfungen, denen er ausgesetzt sei.



eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.10.2009 um 18.37

Oper Leipzig zum Wendejubiläum mit 35 Jahre altem Werk:
Die Revolution frisst ihre Kinder


Selbstständig denken“ würde es nach der heutigen Rechtschreibung heißen müssen an der Fassade des Opernhauses, der Losung in der Handlung und den roten Zetteln im Programmheft, doch in Leipzigs Oper verharrt man beim früheren Duden und spart zwei Buchstaben….
20 Jahre nach 1989, … kommt auch Luigi Nonos „Unter der großen Sonne von Liebe beladen“, uraufgeführt 1975 in der Mailänder Scala auf den Spielplan des Leipziger Opernhauses. …
Leipziger Internet-Zeitung 10.10.09

„Selbständig“ ist auch gemäß der „Reform“ noch richtig, aber ohne Dumm-Duden-Empfehlung.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.07.2008 um 05.40

Martin Walser sagte laut Spiegel vom 14.10.1996, Seite 270:
"Rau" statt "rauh" werde ich nie schreiben. Dem "Hass" tut die Verschärfung gut.

spiegel.de 14.10.1996

In seinem letzten Werk liest man nun:
„Da heute das Wetter rau genug war …“ (S. 131)

Anders als die FAZ hat er also noch nicht einmal solchen bescheidenen Restwiderstand wahrgemacht. Umfaller Walser hat dem Umfallerblatt den Vorabdruck seines Goethe-Romans sehr erleichtert. Ob dort das fehlende „h“ wieder hineinkorrigiert wurde?


eingetragen von Sigmar Salzburg am 22.01.2008 um 17.25

das Lustkomma
Opinio - 17. Jan. 2008
Seit der Rechtschreibreform wissen Viele nicht mehr, wie und wann und warum sie Kommas setzen sollen. Sogar meine Freundin, eine alte Deutschlehrerin, ...


eingetragen von Norbert Lindenthal am 07.07.2006 um 07.39

Das Thema Zensur spielt auch bei uns Reformgegnern hier auf diesen Seiten eine wichtige Rolle, die unrühmlich ist. Neu möchte ich allen Besuchern mitteilen, daß ich seit dem Vergleich im Flensburger Landgericht die Möglichkeit habe, mehr Freiheiten für die Nutzer zu verteidigen.

Darüber hinaus wünschenswerte notwendige technische Verbesserungen sind hier schon überlegt und beschrieben worden.

Wenn ich könnte, würde ich jede Löschung in Hintergrundkopien auffangen und eine redaktionell einstellbare Zeitsperre einrichten, die nur auf das Foyer für unbedarfte Besucher zum Tragen käme.

Wenn also jemand „für uns selbst“ neuen Mut schöpfen sollte …
__________________
Norbert Lindenthal


eingetragen von Calva Dos am 01.05.2005 um 14.44

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Doris Ahnen
Goethe-Institut in Togo in Brand gesteckt
Mehrere Vermummte stürmten in der Nacht zum Freitag das Gebäude, schossen auf Sicherheitskräfte und setzten die Bibliothek in Brand. Verletzt wurde niemand. Das erst vor einem halben Jahr renovierte Goethe-Institut brannte im Untergeschoss völlig aus. Der Schaden wird auf 300 000 Euro geschätzt.


Wenn der Hintergrund dieser Tat die Rechtschreibreform gewesen wäre, so hätten vermutlich eher die Reformbetreiber- und Reformbetreiberinnen die Finger im Spiel. Warum ? Ganz einfach: Der jetzt vernichtete Bücherberg dürfte zu einem großen Teil noch aus alten Werken mit "überholter" Rechtschreibung bestehen, die Neuanschaffungen, die Joschka Fischer und Heidemarie Wiczorek-Zeul demnächst feierlich übergeben werden, dürften sämtlichst in "progressiver" Schreibung sein ..


eingetragen von Doris Ahnen am 01.05.2005 um 12.54

Goethe-Institut in Togo in Brand gesteckt
Mehrere Vermummte stürmten in der Nacht zum Freitag das Gebäude, schossen auf Sicherheitskräfte und setzten die Bibliothek in Brand. Verletzt wurde niemand. Das erst vor einem halben Jahr renovierte Goethe-Institut brannte im Untergeschoss völlig aus. Der Schaden wird auf 300 000 Euro geschätzt.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.04.2005 um 20.49

Stefanie Samland
29.04.2005

Fallorientiertes Lernbuch
Eine Rezension zu:
Hans-Joachim Schütz / Thomas Bruha / Doris König
Casebook Europarecht
1. Auflage

C.H. Beck, München 2004, 1.374 Seiten, 32,80 €
ISBN 3-406-52222-X

http://www.beck.de

Bei dem Titel "Casebook Europarecht" mag mancher vermuten, eine Entscheidungssammlung wie die "Entscheidungen des EuGH" aus dem Verlag UTB vorzufinden. Die Verfasser der Reihe der Casebooks im Beck-Verlag verfolgen jedoch ein anderes Konzept – das vorliegende Werk wird im Vorwort "fallorientiertes Lernbuch" genannt.
[…]
Die lehrbuchartigen Erläuterungen sind durchweg kurz gehalten, auf Fußnoten wurde komplett verzichtet. Einzelne Nachweise auf Literaturfundstellen sind im Text enthalten bzw. den Kapitel vorangestellt worden. Die Namen der Entscheidungen sowie zentrale Aussagen sind im Fettdruck hervorgehoben. Etwas befremdlich liest sich die noch verwendete alte Rechtschreibung.[…]

http://www.jurawelt.com/artikel/10186


eingetragen von Michael Krutzke am 10.03.2004 um 18.42

Gerade wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß meine Lesart des "Idötzchens" auf einer Bildungslücke meinerseits beruhte und nicht auf einem Schreibfehler des Beiträgers. Daß ich dem in einem belehrenden Ton geschriebenen Beitrag mit meiner Deutung dieses mir unbekannten Wortes eine beleidigende Absicht unterstellt habe, tut mir leid.

Idötzchen (oder auch I-Dötzchen) heißt Erstkläßler ... man lernt nie aus.
(Mit Google wär das nicht passiert ...) :-)

__________________
Michael Krutzke


eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.03.2004 um 14.52

Lieber Herr Krutzke,

auch mir war damals dieser Beitrag aufgefallen. Aus zwei Gründen möchte ich unseren Freund Kukulies in Schutz nehmen und mich Ihrer Kritik nicht anschließen:
Zum einen kann ich Herrn Kukulies’ Befinden gut nachfühlen: Von ihm wird in Beruf und Forumtechnik große Genauigkeit erwartet, und da wünscht er sich gleiches von Neuforisten. Das finde ich in Ordnung.
Zum anderen übernimmt Herr Kukulies nur die Rolle, die jeder Lehrer, Lehrherr oder Vater übernehmen muß, will er nicht Gefahr laufen, daß später mit Recht unserer Generation das große Versagen vorgeworfen wird.

In diesem Zusammenhang werde ich nachdenklich:
Wie kommt das eigentlich, daß unsere Schullehrer alles andere als zimperlich sind, unseren Kindern Wissen ebenso wie Unsinn überzustülpen, die Eltern aus der Schule wegzubeißen, Kindern Haschisch mitzubringen, sich gegenseitig zu decken? Und daß sie sich oftmals keinen Deut um Stimmigkeit bemühen (Beispiele: Wörterverbote, Urknall (Kosmologie))?
Will sagen: Von Lehrern nimmt „die Mehrheit“ Umgangsformen und Bevormundung als normal hin, die hier im Forum leicht beanstandet würden. (Vielleicht liegt es an meinem Pädagogenberuf und an meinem Vaterberuf, daß ich mich hier nicht ducke.)

Betr. Wörter und Sprachpflege:
Mit der Sprache ist das so wie beim Bau eines Hauses: So, wie ich beide in 5 oder 15 Jahren haben will, muß ich sie jetzt planen.
Eine Sprachakademie könnte ein Forum für gute Vorschläge sein und könnte Planungen und Unterricht begleiten.

Die TrueType-Technik stammt übrigens aus dem Hause Apple; ich verwende TT-Zeichensätze, seit es sie gibt; sie sind ebensogut wie PostScript-Schriften. Vielleicht macht TT Kummer erst in Verbindung mit M$?

Gruß,
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Michael Krutzke am 09.03.2004 um 11.44

Lieber Herr Lindenthal,

zugegeben - das Wort "Idiötchen" ist meine Auslegung von etwas, das offensichtlich ein Schreibfehler war. Die Quelle finden Sie hier: http://rechtschreibreform.de/php/einzelner_Datensatz.php?BeitragNr=20494. Vielleicht stimmen Sie mir zu, daß man darin einen Willkommensgruß der ganz besonderen - und bestimmt sehr überzeugenden - Art sehen kann. (Ihr eigener Anspruch an die Qualität einer Antwort auf die dem Strang zugrundeliegenden Frage - einen Beitrag vorher - war im übrigen ein deutlich anderer.)

Zum (DV-) Fachwortschatz.
Als jemand, der in der EDV-Branche arbeitet, komme ich täglich mit diesem Wortschatz in Berührung. Bei dem, was ich gelegentlich zu (be)schreiben habe, ist es mir vor allem wichtig, verstanden zu werden. Und wenn sich dafür ein mir nicht genehmes, aber sehr gebräuchliches Wort aus dem Fachwortschatz bestens eignet, benutze ich es. Manchmal liefere ich zunächst eine Erklärung des zugrundeliegenden Sachverhalts und bringe das Fachwort zum Schluß. Nach meiner Erfahrung halten sich viele ganz gern an die gebräuchliche Bezeichnung, selbst wenn ihnen direkte Übersetzung und Aussprache nicht geläufig sind. Was an Benutzung fremder Wörter im Alltagsgebrauch angemessen ist, wird man kaum allgemeingültig festlegen können, jeder mag da seine persönliche Schmerzgrenze haben. Wer nicht mehr in der Lage ist, sich aus einem Fachwortschatz (ebenso Fremd- und Modewortschatz) zu lösen, amüsiert mich in gleicher Weise wie jemand, der meint, alles eindeutschen zu müssen.

Ich weiß sehr wohl, daß Ihre Abneigung gegen Produkte aus dem Hause Microsoft gerade in der Druckbranche (da sind Sie doch tätig?) verbreitet ist - aus gutem Grund. (Ich selbst habe im Moment massiven Ärger mit der Windows-Version eines bekannten Layout-Programms.) Ein Druckereibesitzer, der gerade einen Auftrag von mir bekam, bezeichnete True-Type-Fonts stellvertretend für so manches Microsoft-/Windows-Produkt als "eine Geißel Gottes für die Druckereien". (*) Aber er müsse halt irgendwie damit klarkommen. So ist es. Da reibt man sich zwangsläufig, verlernt auch das Fluchen nicht, und wer kann, sucht sich Alternativen. Aber das führt nun eindeutig vom Thema weg, also schließe ich


mit freundlichen Grüßen an die Küste

Michael Krutzke


(*) Das können wir gern um die "Rechtschreibhilfe" für die Kultursprache erweitern und Gott meinetwegen außen vor lassen.


eingetragen von gestur am 09.03.2004 um 08.31

sind Homophone (gleichklingende Wörter) und daher beim Hören verwechselbar.
cache = unterirdisches Depot, geheimes Lager;
to cache = verbergen;

cash = Bargeld, Kasse;
to cash = einkassieren, einlösen;

"Cache-Speicher" ist folglich eine Doppelbezeichnung: beide Teilwörter bedeuten dasselbe.
(Vorbilder dafür gibt es in west- und mitteleuropäischen geographischen Namen, wo vielfach an den vor-indogermanischen Namen der indogermanische Name angehängt wurde, wobei beide dasselbe bedeuten.)

In der Bedeutung, die "cache" in der Rechnertechnik hat, sieht es nach "falschem Freund" aus.


eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.03.2004 um 06.17

Lieber Herr Krutzke,

von Ihrem hübschen Ausdruck
>>Fernbelehrungsinstitut zum rechtschaffenen Umgang mit dem Gänsefuß<<
und von der
>>Lektion in Sachen Handwerkerehre<<
kann ich durchaus mit gewesenen Erörterungen rückverbinden. Aber worauf mag sich das
>>Idiötchen der Jahrgänge 1996 bis 2003<<
beziehen?

(Übrigens bin ich nach wie vor der Meinung, daß zu einer Kultursprache und zur Allgemeinbildung auch eine gute Zeichensetzung gehört, und deshalb haue ich auf die William-(“Bill”)-Gates-Dummschreibung drauf, wo immer ich sie finde und es mir passend erscheint; hat Gates doch selbst schuld, wenn er Pfusch zur Firmenphilosophie erhebt.)

Zur Wörter-Neubildung:
In unserer schnellebigen, schnellentwickelnden Zeit werden viele neue Inhalte und Begriffe geschaffen, und für diese werden zur Verständigung Wörter gebraucht. Manchmal haben sich dafür Abkürzungen durchgesetzt: TÜV, EDV, LKW, Radar, PISA;
manchmal wird ein Fachwort aus einer anderen Sprache geholt: zum Beispiel cache, font oder mouse.
Das mouse allerdings hat es bei uns nie gegeben, denn es hat sich sofort zur Maus verweiblicht, das font ist nur teilweise gebräuchlich und teilt sich den Sprachraum mit Zeichensatz (welcher insofern eine glückliche Wahl ist, als dies Wort auch einem Anfänger schon mit einmaligem Lesen in etwa verständlich sein kann).
Der Lernaufwand für cache ist viel höher als für ein passendes deutsches Wort. Dafür wäre z.B. Speicher zu allgemein und würde sich mit (bei Rechnerabschaltung flüchtigem) Arbeitsspeicher und (beständigem, langsamerem) Massenspeicher stören, also liegt es auf der Hand, nach einem einschränkenden Wortzusatz zu suchen: Nahholspeicher, Nahspeicher, Vorspeicher; auch Zwischenspeicher war erwogen worden.

Zwischenbetrachtung: Das Ding könnte meinethalben auch Meyer-Speicher heißen (wie bei Dieselmotor oder Geiger-Müller-Zählrohr und Geigerzähler); die Wortteile ...motor, ...zähler oder ... speicher geben dem Neuleser eine ungefähre Einordnung, was diese Begriffe bedeuten können, und erleichtern ihm das Lernen.

Darüber hinaus haben wir für unseren neuen ...speicher alle Freiheit, ein sinnfälliges Vorderteil zu wählen, aber, so meine ich, dieses braucht sich in Sachen Paßgenauigkeit nicht übermäßig zu rechtfertigen; für den Neuleser wird das mit ...speicher gebildete Wort allemal leichter verständlich als cache, denn letzteres Wort müßte a.) erst (vergeblich) im Bedeutungenwörterbuch nachgeschlagen und b.) aussprachemäßig beherrscht werden. (Duden _21 und _22 enthalten es nicht; Ickler verzeichnet es mit der Erläuterung Zwischenspeicher; Aussprache ist nicht angegeben.)
(In meinem Wörterbuch werde ich dafür mal Vorspeicher oder eher wohl Nahspeicher versuchen.)

Und damit auf dem langen Weg durch die Sprachpflege-Instanzen die Verständigung mit den Fachleuten nicht leidet, kann das neue Wort dann so verwendet werden: Nahspeicher (cache).
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Michael Krutzke am 08.03.2004 um 16.58

Als jemand, der hier ziemlich regelmäßig mitliest, werde ich mich natürlich mit Kritik an jenen zurückhalten, die hier die Arbeit machen; der von mir sehr geschätzte Herr Wrase ist einer von ihnen, sein Widerpart Herr Lachenmann ebenfalls. Auch maße ich mir nicht an, der Moderation Ratschläge zu erteilen, wie sie mit "Störern" umgehen sollte.

Löschung von Beiträgen, die dem Zweck des Forums zuwiderlaufen? Warum nicht, denn wenn Störungen eine Art "kritische Masse" (Qualität einzelner und/oder Menge vieler Beiträge) gebildet haben, werden tatsächlich Besucher abgeschreckt - egal ob neue oder alte. Allerdings fragt sich der (wohlwollende) Beobachter immer, ob eine Löschung zweckmäßig ist, ob sie die "Überzeugungskraft" des Forums und seiner Betreiber in der Sache stärkt und ob es auch andere, wirksame Mittel gibt.

Eines zahlt sich immer aus: Gelassenheit. Aber bitte nicht verwechseln mit "Laisser-faire"! Stänkerern geht in aller Regel rasch die Luft aus, wenn sie ins Leere laufen. Beiträger, die ursprünglich gar nicht auf Störungen aus sind, deren Benehmen im Konfliktfall aber zu wünschen übrig läßt, werden sich auch bald zurückziehen. Krawallmacher sollten natürlich - in aller Gelassenheit - vor die Tür gesetzt werden, einmal gab es das hier ja schon.

Auf die Probe gestellt werden (meine) Gelassenheit und Ruhe aber viel eher bei dem, was Herr Lachenmann dankenswerterweise auch angesprochen hat und wogegen er sich (neben anderen) auch immer mal wieder zu Wort gemeldet hat: "Heimseitige" Defizite im Umgang mit Besuchern dieser "Heimseite". Da wähnt man sich schon mal in einem Fernbelehrungsinstitut zum rechtschaffenen Umgang mit dem Gänsefuß, lernt "Idiötchen der Jahrgänge 1996 bis 2003" kennen, denen die bewährte Rechtschreibung vorenthalten wurde, bekommt auch mal eine Lektion in Sachen Handwerkerehre und erfährt schließlich etwas über "Nahholspeicher" ... offenbar geeignet zur Vertreibung der angloamerikanischen Besatzer der DV-Fachsprache. (Aber das ist ein anderes Thema.) "Willkommen auf den Seiten für Rechtschreibung" ... und Rechthabung, ist man dann versucht zu ergänzen.

Herr Lachenmann nannte Beispiele von Handlungsweisen, die nur die Handelnden selbst befriedigen konnten - um es mal so auszudrücken. Die Wirkung auf Außenstehende: mindestens peinlich und in keinem Fall überzeugend! Um den gleichen Negativeindruck zu erzielen, müßten sich "salz", "störer" und wie sie alle heißen mögen noch mächtig ins Zeug legen.

In diesem ganzen Zusammenhang sind auch "margels" Anmerkungen zu "nahezu geschlossenen Benutzerkreisen" in seinem "Marktplatz"-Beitrag bedenkenswert. Seinen Ausführungen kann ich durchaus folgen.

Zum Schluß. Wenn ich mir ansehe, mit welcher Ernsthaftigkeit und welchem Erfolg sich der hier angesprochene Herr Wagner seit Jahren durch einen schwierigen sprachwissenschaftlichen Stoff hindurcharbeitet, von welch hoher Qualität seine Beiträge sind und wie vorbildlich sachlich seine Argumentation, dann sehe ich ihn - lieber Herr Wrase - ganz zuallererst bei "Leuten", deren zähe Überzeugungsarbeit zu der von Herrn Lachenmann zitierten Schlagzeile geführt hat - also zu dem Kreis, in dem auch Sie engagiert mitwirken. "Leute" die den von Ihnen kritisierten Umgang mit Störern pflegen und empfehlen, kann ich hier eigentlich nicht so recht ausmachen - oder habe ich etwas nicht richtig mitbekommen?


Mit freundlichen - und gelassenen - Grüßen aus Bremen
__________________
Michael Krutzke


eingetragen von Wolfgang Wrase am 08.03.2004 um 08.19

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Walter Lachenmann
Zitat:
In der Sache, ob man unliebsame und unqualifizierete Beiträge, insbesondere wenn sie deutlich nur mit der Absicht des Störens verbunden sind, löscht oder duldet, gibt es für beide Positionen einleuchtende Gründe.[1] ... in einem ganz anderen Zusammenhang ... ganz anders zu bewerten ... einen anderen Gesinnungshintergrund ...[2]


[1] Lieber Herr Lachenmann, Zustimmung!
[2] Natürlich gibt es bei Vergleichen Unterschiede. Immer. Aufschlußreich ist es aber nicht, Parallelen pauschal mit dem Hinweis zu entwerten, daß es auch Unterschiede gebe. Gleich und interessant ist: In beiden Fällen gibt es eine mutwillige Störung der Kommunikation zu Lasten der Gemeinschaft. In beiden Fällen gibt es Leute, die sich nicht gegen die Störung wehren wollen, die sogar dazu aufrufen, die Störer sorgsam zu behandeln bzw. sich auf die Störung engagiert einzulassen, und mit vermeintlich gutem Beispiel vorangehen. In beiden Fällen läuft es stets darauf hinaus, daß es Mühe, Ärger, Ineffizienz gibt. Es werden dieselben Argumente gegen jene andere Partei vorgebracht, die Werte wie Effizienz, Leserfreundlichkeit, Qualität und Attraktivität schützen wollen. Und - auch wenn es Herrn Lachenmann nicht gleich einleuchtet: Es steckt meiner Meinung nach dieselbe "korrekte" deutsche Gesinnung dahinter. Nämlich: Man läßt bis zum Überdruß jeden *** mit sich machen, einfach weil man meint, damit auf der korrekten oder korrekteren Seite zu stehen. Man traut sich nicht, sich gegen etwas zu wehren, obwohl man es selbst als Belästigung und Zumutung empfindet. In der Not versucht man dieses unterwürfige Verhalten mit edlen Motiven zu erklären und wehrt sich gegen andere, die die Zumutung abschaffen wollen. - Ist das nicht aufschlußreich? Könnte diese Darstellung nicht eine geistige Herausforderung sein, wie sie angeblich von neuen Besuchern erhofft wird, oft vergebens?

Das falsche Verständnis besteht vor allem darin, lieber Herr Lachenmann, daß Sie meinen, ich wolle mit ideologischen Keulen arbeiten (wie Sie es aus anderen Zusammenhängen kennen), und im besonderen, der Vergleich mit Reformverteidigern sei eine schwere Beleidigung. Beides ist nicht richtig. Die Reformverteidiger sind meines Erachtens ganz normale Mitbürger, an ihnen ist nichts Schlechtes oder ideologisch Verwerfliches. Sie sind wie wir. Zum Beispiel wollen sie sich korrekt verhalten, und sie sind sehr geduldig. Nur sind sie im Bereich Rechtschreibung nicht so sensibel und auch nicht so informiert wie wir. Und daran werden wir wohl wenig ändern können. Ich finde, das sollte man bedenken.


eingetragen von Walter Lachenmann am 07.03.2004 um 15.36

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Jörg Metes
Ich gebe Herrn Wrase Wort für Wort recht. Das ist nicht schwer: Er hat ja recht. Ich sehe aber auch ein, daß zwei so - sagenwirmal: querdenkerisch veranlagte Seelen wie die Herren Lachenmann und Margel sich seiner Argumentation unmöglich beugen können, und zwar gerade deshalb, weil sie so zwingend ist.
Ich gebe aber auch Herrn Lachenmann recht: Lassen Sie uns diese Diskussion beenden. Kommen wir zurück zum Thema. "Im nachhinein" klein, Herr Lachenmann. "Im Nachhinein" ist Neuschrieb.



Sehr geehrter, hochgeschätzter Herr Metes,

wie immer fällt es schwer, den Schlußpunkt zu finden, aber irgendwann haben wir ihn dann schon.

Also: Herr Wrase mag von der formal logischen Analogiefindung her "recht" haben, es ist dennoch albern, eine solche "Analogie" gegen Leute auszuspielen, von denen man weiß, daß der daraus gezogene Vorwurf - nämlich daß ihre Denkweise der der Reformbefürworter gleichzusetzen ist (sie sich also in deren "geistiger Nähe" befinden) - völlig daneben liegt und eigentlich in diesem Kreise hier nur kränken kann. Mir sind derartige Argumentationen aus meiner schlapp-linken Vergangenheit noch so wach im Gedächtnis, wo mir ständig "logisch" nachgewiesen wurde, daß ich ein übler Reaktionär und Faschist war (heute höre ich Gegenteiliges) und völlig anders dachte, als mir selbst schien.

In der Sache, ob man unliebsame und unqualifizierete Beiträge, insbesondere wenn sie deutlich nur mit der Absicht des Störens verbunden sind, löscht oder duldet, gibt es für beide Positionen einleuchtende Gründe. Wer die gegenteilige Meinung bevorzugt, muß nicht auf Parallelen hingewiesen werden, die in einem ganz anderen Zusammenhang stehen und dort nicht nur von der Sache her ganz anders zu bewerten sind, sondern auch ein ganz anderes Gewicht und einen anderen Gesinnungshintergrund haben.

Danke für im nachhinein. Diesen "Fehler" hätte ich auch ohne Reform gemacht. Man lernt.

__________________
Walter Lachenmann


eingetragen von Jörg Metes am 07.03.2004 um 15.15

Ich gebe Herrn Wrase Wort für Wort recht. Das ist nicht schwer: Er hat ja recht. Ich sehe aber auch ein, daß zwei so - sagenwirmal: querdenkerisch veranlagte Seelen wie die Herren Lachenmann und Margel sich seiner Argumentation unmöglich beugen können, und zwar gerade deshalb, weil sie so zwingend ist.
Ich gebe aber auch Herrn Lachenmann recht: Lassen Sie uns diese Diskussion beenden. Kommen wir zurück zum Thema. "Im nachhinein" klein, Herr Lachenmann. "Im Nachhinein" ist Neuschrieb.
__________________
Jörg Metes


eingetragen von Walter Lachenmann am 07.03.2004 um 14.35

Aber lieber Herr Wrase,

ich habe doch nicht Sie als albern bezeichnet, sondern das, was Sie geschrieben haben. Albernes Zeug zu schreiben kann jedem passieren, wer wüßte das besser als wir beide?

Mir ist in dieser Hinsicht auch schon öfters der Kopf gewaschen worden, und im Nachhinein muß ich zugeben, daß das zwar ärgerlich, aber zum Teil völlig berechtigt war. Eigene Albernheiten zu erkennen, fördert den persönlichen Reifeprozeß und das funktioniert das ganze Leben lang.

Sie wissen sehr wohl, daß ich von Ihnen persönlich und fachlich eine sehr hohe Meinung habe.

Im übrigen will ich mich an meine eigene Ermahnung halten, und schließe diese Diskussion insofern ab. Nix für ungut, derweil.

Übrigens waren unter den über 4.000 Antworten auf "uwe“s beklopptem Strang einige durchaus lehrreiche. Trotzdem sollte man derlei Narreteien nicht so ausufern lassen. Herr Wrase, schon sind wir uns wieder einig, ist das nicht phantastisch?
__________________
Walter Lachenmann


eingetragen von Wolfgang Wrase am 07.03.2004 um 14.09

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Walter Lachenmann
Zitat:
N.B. aus aktuellem Anlaß: Jegliche unliebsame Meinung als artverwandt mit der Haltung „der Reformbefürworter“ zu bezeichnen, ist so albern, wie jeden „dass“-Schreiber zum Gesinnungslumpen zu stempeln ...


Ich bin weder "wutschäumend" (Herr Fleischhauer) noch "albern" (Herr Lachenmann). Vielmehr meine ich das, was ich schreibe. Weil ich wußte, daß meine Argumente für die angesprochenen Herren sehr schwer zu akzeptieren sind, weil es tatsächlich genaue Parallelen zur typischen Argumentationsweise der Rechtschreibreformbefürworter oder -verteidiger gibt, habe ich die Argumente Satz für Satz nebeneinandergestellt, um das Verständnis meiner Behauptung zu erleichtern. Sie scheint Herrn Lachenmann dennoch zu überfordern, obwohl es doch ganz einfach nachzuvollziehen ist, wie sich die Argumentationsweisen gleichen, wenn man vorurteilsfrei an die Sache herangeht. Dafür weicht er auf das absolut unredliche Argument aus, ich würde "jegliche unliebsame Meinung" als artverwandt mit der Haltung der Reformbefürworter darstellen, und nennt mich entsprechend "albern".

Bei dieser Gelegenheit weise ich auf die offensichtliche Tatsache hin, daß der Appell, man solle auf Störer einfach nicht eingehen, der regelmäßig als souveräne Lösung angepriesen wird, nicht funktioniert. Dieselben Leute, die das immer empfehlen, lassen sich bzw. uns regelmäßig "salz" in die Wunden streuen, sie empfehlen oder fordern sogar, höflich mit solchen "Teilnehmern" umzugehen, sie lassen sich auf ausführliche Diskussionen mit ihnen ein usw. Nicht einmal in 10 Prozent der Fälle gelang es nach meinem Eindruck, Störversuche konsequent durch Ignorieren ins Leere laufen zu lassen. Haben wir "Uwe" etwa ignoriert? Nein, er konnte mit uns spielen, gerade so, wie es ihm Spaß machte. Wir machten uns nur lächerlich, wenn wir das Ignorieren empfahlen, weil es uns nicht gelang, sondern irgendeiner fiel immer drauf herein. Also, ich darf Herrn Lachenmann schon um etwas mehr Realismus und intellektuelle Fairneß bitten, genauso Margel.

Ich stimme Herrn Lachenmann zu, wenn er sagt, daß das Löschen oder Moderieren bisher sehr inkonsequent gehandhabt wurde. Das ist richtig. (Aber eine bisher schlechte Handhabung ist kein grundsätzliches Argument gegen eine sinnvolle Maßnahme.)


eingetragen von margel am 07.03.2004 um 11.19

Herzlichen Dank, verehrter Herr Lachenmann! Sie haben das Für und Wider glänzend und mit der gewohnten Souveränität auf den Punkt gebracht. Herr Wrase, den ich nach wie vor sehr schätze, hat sich leider mit seiner Parallelenziehung für diesmal ins Abseits begeben. Auch ich denke, sogenannten Störern begegnet man am besten, indem man sie ins Leere laufen läßt. Es geht ja nicht darum, sie hier bloßzustellen, um daran seine eigene Überlegenheit zu beweisen. Aber etwas "Störung" tut dann und wann durchaus gut. Man sieht ja gerade an der laufenden Debatte, wie schnell eine Karussellfahrt in Gang kommt, von der zwar manchem Fahrgast schwindlig wird, die aber ganz bestimmt keinen Außenstehenden anzieht. Jedenfalls dient das nicht der Sache, die uns allem am Herzen liegt.


eingetragen von Walter Lachenmann am 07.03.2004 um 10.59

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner

Zitat:
Es haben sich aus diesem Forum schon einige Beiträger zurückgezogen, die ich sehr gerne gelesen habe.


Das Problem liegt im ungleichmäßigen Umgang seitens der „Technik“ mit den Gästen. Einerseits dürfen sich Trottel wie einst „Uwe“ monatelang hier herumtreiben, bis sie ihren Ehrgeiz (nämlich 4.000 Antworten auf den von ihnen angefangenen Strang zu bekommen) befriedigt haben, worauf sie sich dann höhnisch verabschieden. Andererseits werden Teilnehmer, die unsere Maschinisten rein atmosphärisch nicht mögen, individuell abgestraft, etwa durch zeitweiliges Schließen eines Strangs, oder man spielt ihnen so übel mit wie Frau Dr. Popp, in deren sicherlich provokativen Beiträgen unsere Moderatoren herumkorrigierten und sie als „Mutter Popp“ anpöbelten. Der Beitrag einer neuen Besucherin, die sich als „nordlicht“ anmeldete, wurde einerseits so großartig empfunden, daß er auf die Nachrichtenseite gestellt wurde, gleichzeitig hat man in ihren Anmeldedaten herumgefummelt und sie abgeändert in „Nora Nordlicht“, worüber sie sich völlig zu Recht geärgert und beklagt hat, und vermutlich aus diesem Grunde hier nicht mehr erscheint. Schade.

Sich darüber zu beschweren, führt erfahrungsgemäß zu nichts oder zu weiteren Problemen. Wir müssen nehmen, was wir kriegen, und versuchen, das Beste daraus zu machen. Aufs Ganze gesehen hat diese Seite viel Gutes bewirkt als Forum der qualifizierten Reformkritik, das in der Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen wird, insbesondere auch von denjenigen, denen die Kritik gilt. Ohne diese Rechtschreibseite hätte sich der Personenkreis nicht zusammengefunden, der seit ca. zwei Jahren durch effiziente und kompetente Öffentlichkeitsarbeit soviel Druck auf die Reformkommission und die Kultusminister ausgeübt hat, daß die zweite Schlagzeile auf der Titelseite der FAZ vom 6. März 2004 lautet:

Kultusminister zweifeln an der Rechtschreibreform

Seien wir ehrlich: Wer hätte eine solche Nachricht noch vor einigen Monaten auch nur im Traume für möglich gehalten?

Deshalb empfehle ich, hier internen Meinungsverschiedenheiten nicht allzuviel Platz einzuräumen, damit „die Reformgegner“ nicht – wie es so gerne geschieht – als „zerstrittener Haufen“ hingestellt werden können, und damit die eigentliche Sachdiskussion im Vordergrund bleibt. Ich denke auch, daß sich unqualifizierte Beiträge von alleine erledigen, wenn man einfach nicht drauf eingeht. Penetrante Störer könnte man ohne Kommentar löschen oder aussperren. Aber dafür bedürfte es einer souveränen Moderation.

N.B. aus aktuellem Anlaß: Jegliche unliebsame Meinung als artverwandt mit der Haltung „der Reformbefürworter“ zu bezeichnen, ist so albern, wie jeden „dass“-Schreiber zum Gesinnungslumpen zu stempeln. Man kann doch unterschiedlicher Meinung und dennoch bester Gesinnung sein! Leider tappt unsereins tatsächlich immer wieder am Rand der Lächerlichkeit daher, und wenn wir nicht aufpassen, wird uns das noch zum Verhängnis.
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Walter Lachenmann


eingetragen von meckes am 07.03.2004 um 10.51

Eigentlich wollte ich mich in dieser Angelegenheit nicht äußern, weil ich absichtsvoll intendierten Störungen wie denen von "salz" nicht auf den Leim gehen will. Aber da die Positionen von Herrn Wrase und Herrn Metes für mich absolut nachvollziehbar sind und m. E. Unterstützung verdienen, unterbreche ich mal kurz meine Gewohnheiten.

Ich sehe das mit den Leuten wie "salz" so: Sie wollen kein Salz in der Suppe, sondern nur Salz in Wunden sein und sich an den Folgen ihres Tuns genüßlich weiden. Von daher bin ich bei derart offensichtlichen Provokationen für Löschen ihrer Beiträge. Wer als Salz in der Suppe wirken will, ist gut zu erkennen.

Für mich ist dieses Forum wichtig, um mich über die vernunftgesteuerte Auseinandersetzung über Fragen im Zusammenhang mit der Reform zu informieren und im Rahmen meiner Möglichkeiten zu beteiligen. Ich würde mich hier jedenfalls seltener tummeln, wenn ich davon ausgehen müßte, daß einige nach der Art von "salz" hier eine Spielwiese gefunden hätten.

Abschließend sei angemerkt, daß ich mir vorgenommen habe, zu dieser Angelegenheit nichts mehr zu schreiben, weil eines im Umgang mit solchen Störungen sehr wichtig ist:
Don't feed the trolls!


eingetragen von Wolfgang Wrase am 07.03.2004 um 09.58

Angry

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Jörg Metes
Zitat:
... Schlechte Beiträge verdrängen gute ...

Vielen Dank für die kristallklare Darstellung von Herrn Metes. Es fehlt noch etwas: Schlechte Beiträge verdrängen Leser. Zumindest belästigen sie viele Leser. Und das ist das Wichtigste. Ich selbst bleibe (außer hier) nie an einem Forum hängen, bei dem mir ein, zwei Passagen mit Geplapper oder gegenseitigen Schmähungen begegnen. Ich betrachte das sofort als Zeitverschwendung.

Ich plädiere wie gesagt jetzt nicht mehr für mehr Löschen, nachdem sich immer mehr Teilnehmer gemeldet haben, die es offenbar als Frage der persönlichen Ehre ansehen, niveaulose Beiträge möglichst ausdauernd ertragen zu können, um damit ihre persönliche Überlegenheit zu demonstrieren. Dabei - und bei der ganzen sonstigen Argumentation zugunsten einer höflichen Behandlung von Störenfrieden - wird das Wesentlichste übersehen. Es ist genau wie bei der Rechtschreibreform: Wir schreiben nicht für uns selbst, sondern für die Leser. Deshalb gleichen die Argumente von Herrn Wagner, von Herrn Fleischhauer usw. stets denen der Reformbefürworter.

Argument Herr Wagner: Wer sich nicht provozieren läßt, kommt auch nicht auf den Gedanken, etwas löschen zu wollen, was ihm mißfällt.
Argument der Reformfreunde: Wer sich nicht über die Reform aufregt, kommt auch nicht auf den Gedanken, sich gegen Schreibweisen zu wehren, die ihm anfänglich vielleicht mißfallen.

Argument Herr Wagner: Wer ist denn gezwungen, sich mit allem auseinanderzusetzen, was hier eingetragen wird?
Argument der Reformfreunde: Wer ist denn gezwungen, alles zu befolgen, was die Reformer verordnen?

Argument Herr Wagner: Und hat nicht der gestrige Beitrag von David bereits „zurück zum Thema“ geführt? Wozu noch die Aufregung?
Argument der Reformfreunde: Sollten wir uns nicht lieber um die wichtigen Themen kümmern? Wozu noch die Aufregung?

Argument Herr Wagner: Zur Gruppendynamik kann auch gehören, daß zwar die einen sich von eher sinnfreien Beiträgen abgestoßen fühlen ..., die anderen aber von einem zu schnellen Ruf nach Löschung. Ich plädiere einfach dafür, Maß zu halten: Ich finde es lächerlich, sich über jeden *** aufzuregen.
Argument souveräner Reformverteidiger: Die einen fühlen sich von von eher sinnlosen Schreibweisen abgestoßen, die anderen aber von einem zu schnellen Ruf nach Beseitigung der ganzen Reform. Ich plädiere einfach dafür, Maß zu halten: Ich finde es lächerlich, sich über jeden *** aufzuregen.

Argument Herr Fleischhauer: Die ... wutschäumenden Apelle Herrn Wrases ... könnten unsere Clique in ein schlechtes Licht rücken.
Argument vieler Journalisten: Die wutschäumenden Appelle mancher Schriftsteller gegen die Reform rücken die Schriftsteller in ein schlechtes Licht.

Argument Herr Fleischhauer: So ein bisschen „salz“ in unserer Suppe kann doch nicht schaden.
Argument der Reformfreunde: So ein paar neue Schreibweisen können doch nicht schaden.

Argument David: Außerdem sollten doch alle hier Größe genug haben, auch auf solche anscheinend spottenden Beiträge überlegen reagieren zu können, nicht wahr?
Argument mancher Reformfreunde: Es sollten doch alle die Größe haben, auf anscheinend sinnlose Teile der Reform überlegen reagieren zu können, anstatt sie beseitigen zu wollen, nicht wahr?

Jetzt fehlt nur noch die konsequente Übertragung dieser überlegenen Denkweise bei folgendem Argument von David.

Argument David: Nun ja, ich hätte aber doch ganz gerne, daß der Beitrag von salz bleibt. Und sei es nur aus dem Grunde, daß alle Welt mitbekommt, daß eine vernünftige und sachliche Antwort von ihm ausbleibt.

Empfehlung an Herrn Wagner, David, Herrn Fleischhauer usw.:
Nun ja, ich hätte aber doch ganz gerne, daß die Reform bleibt. Und sei es nur aus dem Grunde, daß alle Welt mitbekommt, daß eine vernünftige und sachliche Begründung von den Reformern ausbleibt.

Ich denke mittlerweile selber so: Wenn sich die Deutschen - zu viele von ihnen - gegen die Störung der Rechtschreibung durch die Reform nicht wehren wollen, dann sollen sie die Reform haben. Ich äußere eine Zeitlang meine Argumente, und wenn sie nicht ankommen, ist das nicht meine Sache, zumal die Rechtschreibung, wenn auch etwas beeinträchtigt, noch funktionsfähig bleibt. Dann gilt eben: Schlechte Schreibweisen verdrängen gute Schreibweisen.

Und wenn hier zu viele dagegen sind, sich gegen Störungen in unserem Forum oder gegen eine Beeinträchtigung seines Niveaus zu wehren, sage ich: Viel Spaß damit, wenn ihr es so wollt. Ich trage meine Argumente ein paarmal vor, und wenn sie nicht geteilt werden, soll es mir egal sein, daß sich dann manche Leser abgestoßen fühlen.


eingetragen von Dominik Schumacher am 07.03.2004 um 09.00

Das neue datenbankgestützte Nachrichtenbrett läuft in zwei Tabellen. Die Nachrichten laufen in einer Tabelle und werden immer als erster Beitrag eines Fadens gezeigt. Die Kommentare laufen in der zweiten Tabelle. »Neueste« Beiträge werden nach Datum und Uhrzeit aufgerufen.

Beim Einzelbeitrag könnte ein Moderator eingreifen und ihn unterdrücken, also fast löschen. Aber ich möchte mal die Aufmerksamkeit auf die Hervorhebung lenken, einen anderen Vorgang der Bewertung.

Was man von einer Datenbank sieht, wird durch die Anfrage an die Datenbank entschieden. Man kann ja auch anfragen: »Gibt es Datensätze, die von Moderatoren ausgesucht wurden für Besucher, die einen geordneten Überblick zum Thema haben möchten?« So kommt man auf die Idee, Datensätze zu kennzeichnen mit »Überblick für Besucher«.


eingetragen von gestur am 07.03.2004 um 08.20

Und ich dachte, hier sei es eines. Es wurde jedenfalls so verwendet. Bei den Bauingenieuren ist es auch keins.


eingetragen von gestur am 07.03.2004 um 08.13

In der Dynamik kenne ich mich ganz gut aus. War Levine ein Physiker?


eingetragen von margel am 07.03.2004 um 08.06

Solche nahezu geschlossenen Kreise wie dieses Forum sind stets von Erstarrung und Sterilität bedroht. Da tauchen ewig dieselben Namen auf, man kennt die Postionen, Argumente, Temperamente... Grundsätzlich ist frischer Wind von außen in Gestalt neuer Besucher wünschenswert. Da stellt sich dann allerdings die Frage, ob über die bloße Durchlüftung hinaus auch substantiell etwas "hinten rauskommt", wie ein füherer Bundeskanzler gelegentlich sagte. Also die Frage nach einem gewissen Niveau, das es im Interesse aller sich ernsthaft bemühenden Alteingesessenen zu erhalten gilt. Wenn nun mal Faxenmacher, Wichtigtuer, Ahnungslose, sogar Rüpel sich hier einfinden, so fände ich es die schlechteste Gegenmaßnahme, diese einfach per Technik abzuwürgen. Das wäre wirklich kein Zeichen von Stärke und davon, daß man an die Überlegenheit der eigenen Argumente glaubt. Wer hier auftritt hat zumindest Anspruch auf höfliche Behandlung. Daß er möglicherweise nicht hierher gehört, kann man ihm auch auf andere Weise vermitteln als durch Abschalten, Löschen oder auch Beschimpfen.


eingetragen von J.-M. Wagner am 07.03.2004 um 00.21

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Jörg Metes
Leute, die mehr Zeit haben und/oder sich weniger Gedanken machen, schreiben mehr als diejenigen, die sich überlegen, was sie schreiben. Und sie vertreiben sie damit. Schlecht moderierte Foren (solche, in denen ein jeder schreiben kann, was immer er will) erkennt man daran, daß das Niveau sinkt, gut moderierte (in denen allzu unbedarften und/oder unerzogenen Teilnehmern auch mal das Wort entzogen wird) daran, daß das Niveau steigt. Wer etwas zu sagen hat, sagt es lieber in einer Umgebung, die das auch zu würdigen weiß.
Diesen Zusammenhang finde ich sehr einsichtig, und ich habe ihn bislang nicht genügend berücksichtigt. In diesem Sinne sollte man, wenn das Niveau der Beiträge eines Nutzers permanent etwas zu wünschen übrig läßt, ihn zunächst abmahnen; wenn das nichts hilft, kann man ihn sperren.

Zitat:
Es haben sich aus diesem Forum schon einige Beiträger zurückgezogen, die ich sehr gerne gelesen habe.
Lag das immer an einem (temporären, wie ich hoffe) Nachlassen des Niveaus in diesem Forum?

Zitat:
Ihr Einwand, lieber Herr Wagner - »Wer ist denn gezwungen, sich mit allem auseinanderzusetzen, was hier eingetragen wird?« - ist einerseits zwar vernünftig, andererseits aber auch nicht. Die Menschen verhalten sich nicht vernünftig, sondern eben: gruppendynamisch.
Zur Gruppendynamik kann auch gehören, daß zwar die einen sich von eher sinnfreien Beiträgen abgestoßen fühlen (genau so, wie Sie es beschrieben haben [»Wer etwas zu sagen hat, sagt es lieber in einer Umgebung, die das auch zu würdigen weiß.«] geht es mir gelegentlich, wenn ich in andere Foren hineinschaue), die anderen aber von einem zu schnellen Ruf nach Löschung. Ich plädiere einfach dafür, Maß zu halten: Ich finde es lächerlich, sich über jeden *** aufzuregen.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Jörg Metes am 06.03.2004 um 23.24

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner (im Strang: "Komme nicht klar")
Wer sich nicht provozieren läßt, kommt auch nicht auf den Gedanken, etwas löschen zu wollen, was ihm mißfällt. Wer ist denn gezwungen, sich mit allem auseinanderzusetzen, was hier eingetragen wird? Und hat nicht der gestrige Beitrag von David bereits "zurück zum Thema" geführt? Wozu noch die Aufregung?
Es gibt ein paar gruppendynamische Gesetze, nach denen Foren wie dieses nun einmal funktionieren. Eines ist das sogenannte Levinesche Gesetz (Levine's Law): Bad postings drive out good. Schlechte Beiträge verdrängen gute. Leute, die mehr Zeit haben und/oder sich weniger Gedanken machen, schreiben mehr als diejenigen, die sich überlegen, was sie schreiben. Und sie vertreiben sie damit. Schlecht moderierte Foren (solche, in denen ein jeder schreiben kann, was immer er will) erkennt man daran, daß das Niveau sinkt, gut moderierte (in denen allzu unbedarften und/oder unerzogenen Teilnehmern auch mal das Wort entzogen wird) daran, daß das Niveau steigt. Wer etwas zu sagen hat, sagt es lieber in einer Umgebung, die das auch zu würdigen weiß.

Es haben sich aus diesem Forum schon einige Beiträger zurückgezogen, die ich sehr gerne gelesen habe. Ihr Einwand, lieber Herr Wagner - »Wer ist denn gezwungen, sich mit allem auseinanderzusetzen, was hier eingetragen wird?« - ist einerseits zwar vernünftig, andererseits aber auch nicht. Die Menschen verhalten sich nicht vernünftig, sondern eben: gruppendynamisch.
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Jörg Metes


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 27.11.2003 um 15.26

... möglich, daß einzelne der Sommerzeit wegen früher zu Bett gehen; ich tue es nicht und kenne auch niemanden, der es tatsächlich täte. Ich habe in der Oktober-Ausgabe der Heidelberger "Neue(n) Rundschau" beschrieben,

http://www.alter-ego-publishing.de/rundschau_oktober_Seite7.PDF

wie eine wirklich physiologische Anpassung der Schlafzeiten an die wechselnden Tageslängen aussehen könnte. Wahrscheinlich so, wie es längere Zeit über in Japan getan wurde - Tag und Nacht hatten nominell die gleiche Stundenzahl, nur waren im Winter die Tagstunden kürzer und im Sommer länger als die Nachtstunden. Eine faszinierende Idee, wie ich finde; nur ist sie in Zeiten von Telekommunikation und schnellen Verkehrsmitteln nicht mehr praktikabel.

Meine durchschnittlichen Schlafzeiten liegen seit langem bei 4,5 - 5 Stunden, und ich bedauere die Sommerzeit eher, weil ich in lichten frühen Morgenstunden vor 1980 die Welt quasi für mich hatte.

Wenn Sie sicher sind, daß Sie keiner "Rationalisierung" unterliegen, akzeptiere ich natürlich Ihr Argument. (Hundsgemein an der Rationalisierung ist indes, daß ihr Ergebnis einem stets als rational erscheint. Das ist auch so bei den Befürwortern* der Rechtschreibreform; man lernt daraus, wie wenig weit die Ratio des Menschen reicht.)

*Natürlich ist das auch nicht anders bei uns Gegnern der Reform, aber wir sind ja Gott sei Dank im Besitz einer höheren Vernunft.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Theodor Ickler am 27.11.2003 um 15.21

Über die Sommerzeit kann man verschiedener Meinung sein, mit schulpflichtigen Kindern ist es jedesmal eine rechte Plage, bis die Umstellung funktioniert.
Das Schlafbedürfnis scheint mir auch sehr verschieden zu sein. Ich selbst gehe recht früh zu Bett ("mit den Hühnern", aber nicht ins selbe Bett) und schlafe fünf Stunden, sitze daher manchmal SCHON am Bildschirm, wenn Herr Markner NOCH davorsitzt. Meine Familie schläft aber viel länger und braucht es offenbar auch.
Gelobt sei der Schlaf vor Mitternacht!
Und noch etwas: Gut hat es, wer von selbst aufwacht, wenn er ausgeschlafen hat, und nicht durch eines dieser greulichen Folterinstrumente geweckt wird! Um ihnen wenigstens das zu ersparen, wecke ich meine drei Frauen eigenhändig bzw. -mündig.
Tatsache ist leider, daß die meisten Menschen zu spät schlafen gehen und abends oft auch noch Alkohol trinken, dessen Spuren sie am Morgen durch Aufputschmittel beseitigen. Trotzdem sind zum Beispiel die Studenten ziemlich schläfrig, wenn ich sie um 8 Uhr zum Seminar bitte.
An meiner alten Universität fanden die Griechischkurse morgens um 7 Uhr statt, auch im Winter. Welche Wonne für mich (zuerst als Lernenden, später als Lehrenden)!
In Indien habe ich mir das frühestmögliche Aufstehen erst so richtig angewöhnt, denn nichts ist schöner, als lange vor Sonnenaufgang mit einer Tasse Darjeeling auf der Terrasse zu sitzen, den Geräuschen der Nacht (Schakale, Vögel) zu lauschen und dabei über die deutsche Sprache nachzudenken. Dummerweise begann der Seminarbetrieb dort erst um neun, wenn es schon ziemlich warm wurde. Indern macht es nicht viel aus, weil sie in jeder Stellung augenblicklich einschlafen können und im Laufe des Tages einiges nachholen.
Der ungesunde Lebenswandel hierzulande ist vielleicht auch schuld daran, daß so viele Menschen sich nicht rechtzeitig gegen die Rechtschreibreform gewehrt haben; sie haben es einfach verpennt.
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Th. Ickler


eingetragen von Matthias Dräger am 27.11.2003 um 10.42

Lieber Herr Dr. Scheuermann,

die Umstellung auf die Sommerzeit macht tatsächlich Sinn, da der Mensch mit weniger Schlaf auskommt, wenn er früher zu Bett geht. Dieser Schlaf ist auch gesünder. Das haben die, die die Sommerzeit eingeführt haben, wahrscheinlich nicht gewußt, aber es trotzdem richtig gemacht. Es ist auch ein Glück, daß es kaum jemand weiß, sonst würde sicher bald ein Minister daherkommen, und die Sache "reformieren", sprich abschaffen.

Es handelt sich um altes Wissen, das aber verlorenging; geblieben ist die weise Ermahnung der Großmutter an ihre Enkel, nicht zu spät ins Bett zu gehen.

Wer hinter das Geheimnis kommen will, wie man mit viereinhalb Stunden Schlaf auskommt, kann das bei Theodor Stöckmann: Der Naturschlaf (32 Seiten, 3 Euro) in Erfahrung bringen.


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 27.11.2003 um 09.25

Es ist schon phänomenal, wie stark Emotionen sachliche Auseinandersetzungen überlagern können. So finden Studenten über einen an anderer Stelle eingebauten Link des öfteren auf meine "ß-Seite" und bekunden dann entweder (seltener), sie kämen mit der Reform wunderbar zurecht oder (häufiger), die Reform sei zwar Mist, aber die ss/ß-Regel habe jetzt endlich Klarheit geschaffen (und bringen damit indirekt ihren Irrtum zum Ausdruck, an dieser Klarheit habe es vor der Reform gemangelt). Beruhigenderweise noch deutlich größer ist die Zahl der Studenten, die dem Inhalt der Site vorbehaltlos zustimmen. Aber die beiden genannten Gruppen fühlen sich durch meine Kritik an der Heyse-Regel persönlich angegriffen und äußern zum Teil, ich hätte "maßlos polemisiert". Wenn ich dann nachfrage, an welcher Stelle, ist die "Diskussion" regelmäßig sofort beendet ("ich habe leider gerade überhaupt keine Zeit"), aber durch Mimik und Gestik wird deutlich, daß diesen Studenten die für Konvertiten typische Empfindlichkeit eigen ist, wenn es um den Gegenstand der Konversion geht: hieran kann dann Kritik nicht mehr ohne weiteres zugelassen werden.
Ähnlich ist, nebenbei, die Einstellung zur "Sommerzeit". Obwohl es im Wortsinn ein Anachronismus ist, wenn inzwischen große Teile der Menschheit zweimal im Jahr Milliarden von Uhren umstellen (obwohl ein immer kleinerer Teil absolut feststehende Arbeitszeiten hat - und sogar der erhoffte Nutzen der Energieeinsparung ausgeblieben ist), bekunden viele Menschen, sie "liebten" diese Prozedur. Sie haben positive Emotionen an etwas gekoppelt, das ihnen als unabwendbar erschienen ist. So ist das Joch natürlich viel leichter zu tragen. Zu hoffen ist, daß die mißglückte Rechtschreibreform schneller wieder verschwindet als solche Prozesse zu ihrer Entwicklung brauchen.
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Jörg Metes am 15.09.2003 um 20.41

In Korea wird neuerdings die Frage diskutiert, ob der Landesname auf englisch wirklich mit einem ‚K’ zu schreiben sei.

Einem Bericht der heutigen „Los Angeles Times“ zufolge glauben immer mehr Koreaner, daß es auf englisch eigentlich Corea heißen müßte. Belege dafür, daß bis Anfang des 20. Jahrhundert auch die Schreibweise mit ‚C’ üblich war, existieren. Koreanische Verschwörungstheoretiker glauben, daß es die spätere Besatzungsmacht Japan war, die dann die Umstellung der Schreibweise auf Korea betrieben hat, und zwar deshalb, weil 1908 Olympische Spiele in London stattfanden und Japan nicht alphabetisch hinter seine zukünftige Kolonie gereiht werden wollte.

Es gibt nach Darstellung der „Los Angeles Times“ bislang zwar keine Beweise für diese Theorie, doch einer Meldung der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA zufolge haben nord- und südkoreanische Linguisten und Historiker zum Abschluß eines Treffens in Pjöngjang am 21. August feierlich gelobt, die Wahrheit über das von den japanischen Imperialisten begangene „Verbrechen“ (i.e.: die Einführung der Schreibweise Korea) schon noch herauszufinden und ans Licht zu bringen. Auch sprachen die Wissenschaftler die Hoffnung aus, daß Korea sich auf englisch schon bald wieder Corea schreiben werde (und die nordkoreanische Nachrichtenagentur teilt diese Hoffnung ganz offensichtlich, bleibt in ihren englischsprachigen Meldungen jedoch bei Korea mit ‚K’. Aus eigenen Stücken einfach Corea zu schreiben, ist für sie offenbar undenkbar – erst muß die Änderung irgendwie abgesegnet werden. Aber von wem?). Ein südkoreanischer Tagungsteilnehmer hält es im übrigen für möglich, daß Nordkorea, das bislang mit Japan noch keine Abmachungen über Reparationen für die Zeit der japanischen Besatzung getroffen hat, eine zusätzliche Entschädigung auch noch für die „orthographische Manipulation“ der Japaner fordern wird.

- In Südkorea, schreibt die „Los Angeles Times“, sei es vor allem die Jugend, die den Wechsel zu Corea fordere. Bei der Fußball-WM 2002 etwa hätten südkoreanische Fans aus Abneigung gegen die englische Schreibweise lieber Transparente auf französisch („Allez Coree!“) oder italienisch („Forza Corea!“) geschwenkt. Der südkoreanische Tagungsteilnehmer – ein Historiker und Regierungsbeamter – hielte eine Umstellung auf die Schreibweise Corea einerseits zwar ebenfalls für wünschenswert, verweist aber andererseits bedauernd auf eine bereits vorliegende Regierungsstudie, der zufolge diese Umstellung „außerordentlich teuer“ („extremely expensive“) wäre.
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Jörg Metes


eingetragen von Jörg Metes am 03.12.2002 um 19.30

Ein Phänomen dieser Tage ist es, daß Zeitungen wie etwa die 'Süddeutsche' an gewissen Reformfehlern länger festhalten als die Reformer selber. Der 'Duden-Newsletter' und der Bertelsmann-Wahrig 2002 haben klammheimlich und eigenmächtig Schreibweisen wie weitgehend wieder eingeführt - die 'Süddeutsche' aber bleibt weitgehend bei weit gehend.

Das hat natürlich mit dem Selbstbild dieser Zeitung zu tun. Wer sich für eine Speerspitze des kritischen Journalismus hält, kann schlecht eingestehen, wie leichtgläubig er in einer ihn so unmittelbar betreffenden Angelegenheit wie der Rechtschreibreform gewesen ist. Ich halte es durchaus für möglich, daß die 'Süddeutsche' aus purem Stolz den Rückbau der Reform besonders lange ignorieren und sich darüber in eine Art Fehlermuseum verwandeln wird, in dem sich so einiger Unfug länger als anderswo noch besichtigen läßt.

Die 'Süddeutsche' würde dann einem Verhaltensmuster folgen, das ganz besonders schön einmal von Woody Allen beschrieben wurde. Die Beschreibung findet sich in einer kleinen Ankdotensammlung mit dem Titel "So war Nadelmann". Der Titelheld heißt mit vollem Namen Sandor Nadelmann und benimmt sich auch sonst recht bemerkenswert. Doch mir geht es hier nur um sein Verhalten in der Mailänder Oper. Bitte sehr:

»Als Nadelmann mit meiner Tochter und mir einmal in der Mailänder Oper war, beugte er sich aus seiner Loge und fiel in den Orchestergraben. Zu stolz zuzugeben, daß das ein Mißgeschick war, besuchte er die Oper einen Monat lang jeden Abend und wiederholte jedesmal den Sturz. Bald zog er sich eine leichte Gehirnerschütterung zu. Ich machte ihm klar, daß er damit aufhören könne, da er seinen Zweck erreicht habe. Er sagte: ,Nein, noch ein paarmal; es ist wirklich gar nicht übel.‘«

(Woody Allen, Nebenwirkungen, Rowohlt 1983, S. 11 - gut, nicht wahr?)
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Jörg Metes


eingetragen von Jörg Metes am 13.11.2002 um 00.51

Jürgen Kaube geht es in seinem Kommentar in der heutigen FAZ zwar um etwas ganz anderes - um Sozialpolitik -, doch das Phänomen, das er dabei anspricht, kommt einem bekannt vor:

»Nach politökonomischer Lehre ist es am schwierigsten, den Widerstand gegen das zu organisieren, was alle schädigt. Kleine Gruppen bilden ihren Willen leichter, einigen sich auf die notwendigen Beiträge zu seiner Durchsetzung schneller als große. Darum sind die Belange der Konsumenten politisch so schwach vertreten und die der Bauern so gut, haben die Stromhersteller und die Zahnärzte eine so starke Lobby, die Steuerzahler aber eine so ohnmächtige.«

("Am Ende des Wohlfahrtsstaats / Wie die Regierung uns bestiehlt" von Jürgen Kaube, FAZ vom 14.11.2002, Nr. 265 / Seite 39)
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Jörg Metes


eingetragen von J.-M. Wagner am 09.10.2002 um 16.25

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Schäbler
Meine Fragen: Sind wir schon wieder so weit?
Und wenn ja: Woran liegt das?
Ich denke nicht, daß man quasi von den äußeren Umständen her dazu gezwungen ist und daß es nur noch so gehen würde; so etwas hat ja auch niemand behauptet. (Die Frage „Sind wir schon wieder so weit?“ läßt aber m. E. so einen Eindruck aufkommen.)

Ich denke, es geht einfach um ein weitgehend normales zwischenmenschliches Verhältnis, in etwa nach dem Motto: Was ich nicht weiß macht mich nicht heiß. (Es kann natürlich manchmal auch genau das Gegenteil der Fall sein, aber darum geht es hier nicht.)

Woran es liegt? Vermutlich an schlechten Erfahrungen (welcher Art auch immer, nicht nur direkt auf diese Sache bezogen) sowie an hinreichendem Grund zu der Annahme, daß es besser wäre, es anders zu machen. Wer arbeitet schon gern für den Papierkorb?

In diesem Zusammenhang erinnere ich einfach daran, was Herr Ickler einmal bemerkt hat: »... und Ministerialrat Dr. Krimm hat sich ja brieflich schon dazu bekannt, regelmäßig hier nachzuschauen, was wieder mal im Busche ist.« (08.03.2002, 09.41 Uhr, unter "Komisch"/Beispielsammlung über Sinn und Unsinn)
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Norbert Schäbler am 09.10.2002 um 08.18

Ich bin kein Diplomat und auch kein Krieger, der sich im Hohlraum versteckt, kann mich aber sehr wohl in die andere Seite hineinversetzen, zumal die Geschichte unsäglich viele Beispiele liefert, bei denen bald die Diplomatie, bald die Kompromißlosigkeit den „Sieg“ davontrugen.

Insbesondere Grübeleien über den Begriff „Deutscher Widerstand“ sind meinem Einfühlungsvermögen förderlich, und zwar deshalb, weil ich das Zuordnen von Namen und Erfolg nicht für notwendig halte. Sophie und Hans Scholl sowie der Großindustrielle Schindler haben beispielhafte Leistungen erbracht. Deren Namen stehen stellvertretend für eine lautere Auseinandersetzung mit dem Machtmißbrauch.
Im Falle Schindlers möchte man der Lüge sofortige Absolution erteilen.

Häufig ist Diplomatie aber nur eine Fassade. Der „Trojaner“ ist dafür das beste Beispiel. Es ist der Geniestreich eines potentiell Schwachen, der mit einstudiertem Gönnerlächeln seinem übermächtigen Widersacher die Vernichtung schenkt.

Meine Fragen: Sind wir schon wieder so weit?
Und wenn ja: Woran liegt das?

(Der Beitrag ist motiviert durch einen Beitrag von Christian Melsa im Strang "andere Foren", wurde allerdings bewußt in den Strang "Gruppendynamik" eingestellt.)

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nos


eingetragen von Martin Reimers am 10.09.2002 um 10.50

Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, daß gerade im Interesse der Kinder eine ersatzlose Rücknahme der Reform nötig ist. So langsam kommen nämlich diejenigen, die mit dem Neuschrieb anfangen mußten, in ein reiferes Alter. Einige werden dann eben nicht nur (zwangsumgestellte) Kinder- und Jugendbuchautoren und den schulüblichen Klamauk kennen wollen, sondern sicherlich auch einmal den einen oder anderen zeitgenössischen Schriftsteller lesen - oder auch irgendein Buch von Suhrkamp in die Hand nehmen.
Es kann ja wohl nicht sein, daß diejenigen, die sich auf diesem Wege auch mit der modernen Wortbildung vertraut machen, demnächst abgestraft werden, wenn sie ihr Wissen bei einer Klassenarbeit anwenden.
Wir sind also auf dem besten Weg in eine orthographische Zweiklassengesellschaft mit völlig neuen Bildungsbarrieren. Daß das gut gehen wird, müßte doch inzwischen jedem einleuchten.
Ich denke, der Popanz wird schon deshalb das Jahr 2006 nicht mehr erleben.

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Martin Reimers


eingetragen von Claudia Ludwig am 10.09.2002 um 08.56

Der Pinguineffekt gefällt mir. Inzwischen habe ich den Eindruck, es gibt nur Pinguine und überhaupt keine Haifische! Die Erfahrungen, die ich während einer Unterschriftensammlung für unsere "Resolution zur Wiederherstellung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung" gemacht habe, sprechen jedenfalls dafür. Siehe dazu: http://www.lebendigesprache.de und: http://www.deutsche-sprachwelt.de

Die, die nicht unterschrieben haben, stimmten uns persönlich - oder überhaupt - völlig zu, sahen die "Rechtschreibreform" als kompliziert und keinerlei Erleichterung an, gaben sogar herbe Verluste zu und wünschten uns auch noch alles Gute und viel Erfolg bei unserer Aktion, a b e r... Und dann folgten diese merkwürdigen Argumente: das sei doch nun von drei Ländern beschlossen und da könne man nicht heraus, außerdem wolle man sich öffentlich nicht dazu äußern, und schließlich würden die Kinder ja nun die "neuen" Schreibweisen lernen, und da wolle man nicht noch mehr verwirren. Wenn wir aber jemanden nennen könnten von den "Großen", die.., dann könne man ja noch einmal ins Gespräch kommen. Sie sehen: die virtuellen Haie sind überall.

Niemand wagt mehr, der erste zu sein. Es gibt niemanden mehr, der den Mut hat voranzugehen. Niemand möchte sich mehr exponieren. Er bekommt ja auch die Keule der "political correctness" ganz schnell zu spüren und wird öffentlich niedergemacht. Die "Rechtschreibreform" ist zum Unthema geworden. Jeder, der das Wort in den Mund nimmt, wird entnervt und hämisch ausgelacht oder abgekanzelt: "Das Thema ist doch durch, hast Du keine anderen Probleme?"

Die katastrophalen Ergebnisse der Pisa-Studie zum Thema Leseverständnis oder mangelnde Rechtschreibkenntnisse Jugendlicher haben natürlich nichts mit der "Rechtschreibreform" zu tun - womit sonst, ist altbekannt!

Dennoch: es wird im nächsten Jahr knallen! Die Kinder lernen nicht mehr richtig lesen und schreiben - mit dieser "Reform" nun wirklich nicht mehr! Die Katastrophe muß nur groß genug sein - leider! Erst wenn wir nicht mehr lesen und verstehen können, was ein anderer geschrieben hat, werden auch die letzten Pinguine wissen, daß sie eher ins Wasser hätten springen sollen!
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Claudia Ludwig


eingetragen von Jörg Metes am 09.09.2002 um 17.24

Im Wirtschaftsteil der FAZ wurde neulich ein Verhaltensmuster beschrieben, das die Ökonomen den "Pinguin-Effekt" nennen ("Pinguine im Haifischbecken" von Rolf Ackermann, 6.9.02).
Die Anleger, hieß es da (es ging um die Psychologie der Kursentwicklung), warten darauf, daß ein anderer den Anfang macht - wie hungrige Pinguine, die aus Angst vor Haifischen auf ihrer Eisscholle verharren, anstatt ins Wasser zu springen. Die dummen Vögel wissen eben nicht, ob tatsächlich Haifische im Wasser sind.
Es ist ein Bild, das mir gut gefällt. Ich weiß zwar noch nicht recht, wie man es auf die Rechtschreibreform übertragen soll - aber es gefällt mir. Für wen genau stünden in diesem Bild die Pinguine? Für die Politiker? Für die Verlage? Und für wen stünden die Haifische? Für die Reformer? Die aber in Wahrheit gar keine Haifische wären, sondern kleine Speisefische, die sich aus Angst vor dem Gefressenwerden als Haifische lediglich ausgeben? Doch wie dumm müßten dann Pinguine sein, die auf so etwas hereinfallen?
- So ganz haut es noch nicht hin. Und vielleicht ist das Bild von den Pinguinen auf der Scholle und ihrer Angst vor den Haifischen auch überhaupt nicht übertragbar auf die Rechtschreibreform. Aber schön ist es trotzdem, nicht wahr?
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Jörg Metes


eingetragen von Theodor Ickler am 06.07.2002 um 06.57

Auf Professoren sollte man nicht hoffen. Ich kenne diese Spezies verhältnismäßig gut.
Wie kompromißfähig der deutsche Professor ist, kann man zum Beispiel an den Beiträgern zu den HSK-Bänden des Verlags deGruyter sehen. Ein weiteres Beispiel führe ich in einer anderen Rubrik vor: die Stickel-Festschrift.
Also: Laßt alle Hoffnung fahren, was diese Privilegierten betrifft! Sie nennen es "Freiheit von Forschung und Lehre" und gebrauchen es nur, um sich desto freier unterwerfen zu können.
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Th. Ickler


eingetragen von Norbert Schäbler am 05.07.2002 um 20.32

„Leben in Lüge“, jenes Buch von Timur Kuran, das Jörg Metes bei Eröffnung dieses Leitfadens empfahl, möchte ich in Erinnerung rufen.

Auch meine damaligen Appelle, den Diskussionskreis zu erweitern, möchte ich wiederholen.
Uniprofessoren sollten eingebunden werden in die thematische Auseinandersetzung.
Das könnte geschehen mithilfe einer attraktiv aufgemachten e-Mail-Adreß-Datei, die u.a. alle 600 Professoren erfaßt, die seinerzeit die Resolution gegen die RSR unterschrieben haben.

Mir scheint, daß unsere Vorbeter (Augst etc.) mit ihrem Latein so ziemlich am Ende sind. Mir scheint außerdem, daß sich kaum einer der Professorenzunft auf das Glatteis „Rechtschreibreform“ bewegen möchte, denn von allem Anbeginn an war es doch so, daß die „Leithammel“ mit ihrem Slogan „zu spät“ auf das Wesensmerkmal der Präferenzverfälschung gesetzt haben.

Unsereins bleibt vorab nur das „Nachbeten“.
Das werde ich tun.
In den nächsten Tagen werde ich über das Buch „Leben in Lüge“ referieren.

Beim Nachbeten kann ich sogar emotionslos sein. Mag sein, daß das andernorts Emotionen freimacht.

Schönes Wochenende!

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nos


eingetragen von Christian Melsa am 17.06.2002 um 15.20

Herr Wagner spricht ein wesentliches Problem an. Die meisten Menschen kennen die echte Rechtschreibreform gar nicht, sondern sie haben sich nur aufgrund des Geredes mit Bekannten oder in den Medien ein gewisses, aber recht oberflächliches Bild davon gemacht. Sie diskutieren nicht über die wirkliche Sachlage, sondern über das, wofür sie die Reform halten. Sehr viele lehnen die Reform ab, weil sie den grundlegenden Haken erkennen, daß eine neue Rechtschreibung (gerade wenn sie so "behutsame" Änderungen an subtilen, schwer markant einprägbaren Stellen vornimmt) die Anwender zunächst einmal verwirren muß. Für andere endet der Blick schon an dem Ausdruck "Reform", der geradezu reflexartig ihre Sympathie weckt. Zukunft und Fortschritt, eventuell auch spritziges, lebhaftes Durcheinander, das wird gerade von den glühenden Fürstreitern der "Erleichterungspädagogik" (wie Josef Kraus es nennt) als tolle, spannende Sache betrachtet. Daß Kinder in die Lage versetzt werden, Erwachsene zu korrigieren, ist da allein schon Grund zum Feiern. Und wieder andere meinen, erkannt zu haben, alle möglichen Probleme der Gegenwart bestünden nur wegen eines sozusagen interdisziplinären Reformstaus; wenn man also nur einfach blindwütig "Verkrustungen aufbrechen" würde, dann müßte sich wohl zwangsläufig alles zum Besten fügen: eine erste Übergeneralisierung. Die Erfahrung, daß Rechtschreibung nicht mal so von heute auf morgen zu lernen ist, kennt jeder. In die Beherrschung muß man investieren. Manchem bereitet das mehr, manchem weniger Mühe, aber daß es ein weites Feld ist, das hat jeder festgestellt, der damit in Berührung gekommen ist. Wenn da ein paar Wunderdoktoren aufkreuzen und versprechen, diese Mühsal stark zu verringern, dann ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß ein paar Leute der verlockenden Vorstellung erliegen, das sei wirklich möglich und habe stattgefunden.

Daß all diese positiven Bewertungen der Reform aber durch nichts als Desinformation und Verklärung zustandegekommen sein können, wird offenbar, wenn man sich einmal das nüchterne Ergebnis der Veranstaltung anschaut. Der Normalbürger - eigentlich nicht nur der, sondern jeder - muß in irgendeinem aktuellen Wörterbuch nachschlagen, wenn Schreibungen nicht aus dem Gebrauch bekannt sein können. Die Neuigkeiten im Rechtschreibregelwerk sind in den meisten Fällen nicht eindeutig auslegbar. Hinzu kommen dann noch die Infokästen. Mit Untersuchungen, wie Herr Ickler und ich sie mit den aktuellen Wörterbüchern durchgeführt haben, wird deutlich, daß die Wörterbücher bei den einzelnen Stichworteinträgen aber weder die originale amtliche Neuregelung, noch die alte Regelung, noch die Regeln in den Infokästen durchgängig befolgen. Manchmal läßt sich eine Schreibung nicht mal wenigstens einem einzigen dieser Regelwerke zuordnen. Der Befund ist, daß alle dieser bekannten und verhüllten Regelwerke mal zur Anwendung kommen, man kann nur nicht ahnen, welches wann und wieso. Das heißt, kein Regelwerk ist allgemeingültig, dafür kommt jedes aber mal dran, und um durchzusteigen, muß man alle beherrschen - ohne daß einem das aber viel nützen würde, da ja nicht klar ist, wann welches der konkurrierenden Kriterien jeweils Vorrang haben soll. Systematisch gesehen könnte man statt eines Wörterbuchs auch einen Würfel benutzen.

Die meisten Wörterbuchnutzer werden aber wahrscheinlich gar nicht versuchen, die Rätsel zu ergründen, die sich ihnen darbieten, sondern nach einer Weile einfach achselzuckend die Schreibweise übernehmen, die sie beim entsprechenden Stichworteintrag finden. So konnte man vor der Reform natürlich auch schon verfahren, allerdings war es nicht so oft nötig, bekommt man aus vielen Erfahrungsberichten zu hören.

Wenn man nur jemanden dazu bringen kann, zu versuchen, das angeblich doch so wunderbar vereinfachte Regelwerk wirklich einmal anzuwenden, ohne Unterstützung einer Wörterliste, dann wird er wohl nicht anders können, als nach einer Weile zuzugeben, daß da ein gewaltiger Wurm drin ist. Das Problem ist nur: Die wenigsten Leute gehen den Dingen so genau auf den Grund. Hat man mit hartnäckigen Befürwortern zu tun, könnte es aber hilfreich sein, sie einmal zu einem Selbstversuch zu ermuntern. Sie sollen sich einmal ein aktuelles Wörterbuch schnappen und bei jedem farblich hervorgehobenen Stichwort erklären, warum das jetzt anders geschrieben werden soll als bisher. Natürlich müssen sie auch eine Erklärung liefern können dafür, daß ein ganz ähnliches Stichwort aus der Nachbarschaft offensichtlich nicht die gleiche Behandlung erfährt. Wer diese Übung eine Weile durchgeführt hat, kann die Reform eigentlich nicht mehr ernsthaft hinnehmen wollen.

Bevor jetzt jemand wie Herr Jansen hier mit dem Einwand aufzutrumpfen versucht, dasselbe auf Grundlage der alten Rechtschreibung würde den Probanden mindestens die gleichen Schwierigkeiten bereiten: Hier darf man nicht vergessen, daß die bisherigen Schreibweisen aber allgemein bekannt sind. Jeder ist sie gewohnt, und man kann im Detail auch meist darlegen, warum sie die bessere Alternative sind. Sie sind millionenmal auf konsistente Weise angewandt worden und nachlesbar, was man in dem Maße über den Neuschrieb natürlich nicht sagen kann.


eingetragen von J.-M. Wagner am 17.06.2002 um 13.42

Letztes Wochenende sprach ich am Randes eines Treffens von Mitarbeitern mehrerer Kirchengemeinden, die in ihrem Kindergottesdienst die Rohfassung eines aus dem Amerikanischen übertragenen Themenprogramms ausprobiert hatten, mit der Vertreterin des Verlags, der dieses Arbeitsmaterial herausgeben wird. Sie hatte in der Mitagspause angedeutet, daß die neue Rechtschreibung nach wie vor für Verunsicherung sorgen würde und sie immer wieder nach der richtigen Schreibung gefragt werde. Auf meine spätere Nachfrage sagte sie, daß zwar quasi niemand von der neuen Rechtschreibung begeistert sei (und daß sie in ihren Briefen und E-Mails weiterhin die alte Rechtschreibung verwende), sich der Verlag jedoch dazu entschieden hätte, die neue Rechtschreibung zu verwenden, weil es die Kinder nun einmal so in der Schule lernen würden.

Immer wieder höre ich dies als "Letztes Argument", vgl. die Erfahrungen von Herrn Lachenmann, die Stellungnahme von Klaus Rost (Chefredakteur der Märkischen Allgemeine) oder das, was bei der Begründung für die Agenturschreibung mit anklingt. Wäre es nicht aber ein leichtes, genau gegen dieses Argument vorzugehen? Herr Ickler hat ja bereits vielfach darauf hingewiesen, daß es die Schüler aufgrund der Probleme, die die Lehrer mit der Reformschreibung haben sowie wegen der Fehler in Schul- und in den gängigen Wörterbüchern gar nicht richtig lernen können.
Greifen diese Argumente, werden sie beachtet? Würde es in der breiteren Öffentlichkeit evtl. mehr Beachtung finden, wenn man auf die Probleme mit konkreten, möglichst drastischen Beispielsätzen hinweist? Die meisten Menschen, die nicht unmittelbar von der neuen Rechtschreibung betroffen sind, haben sich doch bisher keine Gedanken dazu gemacht; sie werden einer Argumentation, die auf das "innere Strickmuster" der Reform abzielt oder die das vermehrte Auftreten von "Präzisierungen" (was sollte an denen verkehrt sein?) zu deuten weiß, gar nicht folgen können. Wie kann man effektiv darüber aufklären, was die Kinder wirklich in der Schule lernen -- müssen!! -- und damit dieses "Standardargument" allgemein in Frage stellen?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 17.06.2002 um 12.42

(Ursprünglich eingetragen von Walter Lachenmann im Strang "Von den Reizen der neuen Rechtschreibung")

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Frau Menges meint, Eltern kauften nur Kinderbücher in neuer Rechtschreibung. Haben sie denn eine Wahl? Es gibt keine anderen mehr. Die Umstellung wurde nicht auf Grund von Elternwünschen vorgenommen, ...
Die meisten Eltern fragen gar nicht nach der Rechtschreibung.

Lieber Herr Lachenmann, verlegen Sie auch Kinderbücher bzw. würden Sie dies tun?

Selbst habe ich mit Kinderbüchern beruflich nichts zu tun. Aus Gesprächen mit Kollegen und insbesondere einem sehr beliebten und ausgezeichneten Autor von Kinderbüchern, der sich schrecklich darüber ärgert, daß er von seinem Verlag vor die Alternative gestellt wird, entweder die reformierte Schreibung zuzulassen oder künftig nicht mehr gedruckt zu werden, ist mein Eindruck folgender:

In den Schulen gilt: Alles in neuer Rechtschreibung. Eltern wollen, daß ihre Kinder in der Schule möglichst wenig Schwierigkeiten haben, sie haben auch ohne Rechtschreibung genug andere Probleme. Also verlangen sie in den Buchhandlungen alle Bücher für ihre Kinder in neuer Rechtschreibung.
Das sagen wenigstens die Buchhändler. Und da setzt sich das fort. Kommt ein Verlag mit Kinderbüchern in herkömmlicher Rechtschreibung, sagt der Buchhändler: Das nehmen mir die Eltern nicht ab. Also sagt der Verleger zum Autor: Schreibst Du Deine Kinderbücher weiter in herkömmlicher Rechtschreibung, nehmen mir die Buchhändler diese nicht mehr ab.
Niemand will die neue Rechtschreibung wirklich, aus Überzeugung. Aber so entsteht diese Kette, die den Anschein erweckt, sie hätte sich bei Kinderbüchern durchgesetzt.


eingetragen von J.-M. Wagner am 17.06.2002 um 12.41

In dem "Beschluss zur Umsetzung der Rechtschreibreform" heißt es:

»Die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen haben am 16. Dezember 1998 in Frankfurt einvernehmlich nach intensiver Beratung beschlossen, die Reform der deutschen Rechtschreibung weitestgehend und in einem Schritt umzusetzen. ...
Ausschlaggebend für den Umsetzungsbeschluss war die Überlegung, daß die neuen Schreibweisen in naher Zukunft eine Selbstverständlichkeit sein werden und daß die (Zeitungs-) Leser künftig in allen Bereichen des öffentlichen Lebens mit den neuen Regeln konfrontiert werden. Ein weiterer Punkt war, daß es nicht Aufgabe der Agenturen sein kann, die Reform zu steuern oder zu verhindern.« (Einleitung)
»Die Agenturen haben am dem 1. August eine Beobachtungsphase begonnen, deren Dauer noch nicht festgelegt ist. In dieser Phase soll die Anwendung der neuen Rechtschreibregelungen beobachtet werden, bevor über eine neue Überarbeitung der Wortlisten entschieden wird. Über eine neue Überarbeitung soll ein noch zu bildendes Gremium befinden, dem neben den Agenturen Vertreter der Medien und der Wissenschaft angehören sollen.
Stand 01.10.99« (nachgesetzter Hinweis)

Darüber kann man lange nachdenken, und es wird einem eine ganze Menge daran auf- und dazu einfallen. Mir ist hier lediglich wichtig, daß "die neuen Schreibweisen in naher Zukunft eine Selbstverständlichkeit sein werden" -- wenn das so ist, sollte auch ganz selbstverständlich klar sein, daß dem so ist; warum aber sollte es dann eine Überlegung darstellen? Was wurde an Argumenten erwogen, um zu diesem Schluß zu kommen?

Ohne jedwede Spekulation läßt sich dem Text nur entnehmen, daß für zutreffend gehalten wird, daß man »künftig in allen Bereichen des öffentlichen Lebens mit den neuen Regeln konfrontiert« wird. Ein Teil dieser "öffentlichen Konfrontation" entfällt gewiß auf die Schulen. Insofern kann man m. E. davon ausgehen, daß hinter dieser Formulierung -- ob bewußt oder unbewußt, ist dabei jedoch nicht klar -- die "Begründung" steckt, "weil es die Kinder in der Schule jetzt so lernen".
Das stimmt zwar, aber was für Konsequenzen sollte man daraus eigentlich ziehen?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Jörg Metes am 16.06.2002 um 07.14

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler (im Strang 'Helden der Rechtschreibung', 20.04.2002):
In der Zeitung liegt heute eine Leseprobe der Senioren-Zeitschrift "Lenz". Auf den wenigen Seiten lese ich:
Begrüssungsgeschenk (2x), noch mal, Darübereden, länger Arbeiten, wir Vielen, weiter zu führen, Atem beraubende Schönheit, wo Europa am Schönsten ist (2x), am Idyllischsten, am Besten, bruzzeln, um so, zurück erstatten (2x)
Im übrigen fragt man sich, warum eine Zeitschrift in Neuschrieb erscheint, wenn die Leserschaft noch nicht einmal zu 10 Prozent dafür ist.
- Auch die sogenannte Regenbogenpresse hat ganz überwiegend auf Reformschreibung umgestellt (die einzige mir bekannte Ausnahme ist frau aktuell) - und das, obwohl ihre Leserschaft zu immerhin ca. 50% aus Menschen über 60 besteht. Der Grund, aus dem sie umgestellt hat, dürfte der sein, daß die übrige Presse es ebenfalls getan hat. Eine Zeitung gleicht ihr Erscheinungsbild an dem der anderen ab. Werbekampagnen gleichen ihr Erscheinungsbild an dem der anderen ab. Das bundesweit tätige Bestattungsunternehmen Ahorn-Grieneisen gibt Werbebroschüren, die sich gezielt an alte Menschen richten, in Reformschreibung heraus (aber mit dem Slogan: Bleiben Sie sich treu). Nicht das Kundenprofil ist letztlich Maßstab aller Dinge, sondern das Profil der eigenen Branche. Trendgehorsam ist stärker als selbst die Kräfte des Marktes.
(Ich lasse den Einfluß, den Bertelsmann oder Langenscheidt nehmen, hier außer acht, weil unabhängige Verlage sich nicht anders verhalten.)
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Jörg Metes


eingetragen von Jörg Metes am 15.06.2002 um 23.48

Trendgehorsam scheint mir etwas ganz anderes zu benennen: das Bedürfnis nämlich, mit der Zeit zu gehen. Das Gefühl, mit ihr gehen zu müssen.
Wenn die Leser der 'Märkischen Allgemeinen' - wie der Chefredakteur an Frau Salber-Buchmüller schreibt - tatsächlich so gut wie nicht protestieren gegen die Reformschreibung, dann zeigt das für mich erst einmal nur, daß sie sich scheuen, es zu tun. Davon, daß die Mehrzahl der Leserbriefe an die 'Märkische Allgemeine' weiterhin in herkömmlicher Rechtschreibung verfaßt ist, kann ausgegangen werden (vgl. die Auskunft, die mir z.B. die 'Neue Westfälische' gegeben hat). Würde die 'Märkische Allgemeine' unter ihren Lesern eine offizielle Befragung durchführen, ergäbe sich schätzungsweise also ein anderes Bild als das, das der Chefredakteur zeichnet (doch eine solche Befragung wird nicht durchgeführt. In vielen Tageszeitungen wurde nicht einmal über die Umfrage von Allensbach berichtet).
Die Leser schweigen, weil man ihnen eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung als undenkbar darstellt. Es entsteht das, was Elisabeth Noelle-Neumann eine Schweigespirale genannt hat. Timur Kuran nennt es Präferenzverfälschung. Im Vergleich dazu ist bereits Trendgehorsam ein unsachlicher Begriff; man sollte ihn vielleicht besser nur im Zusammenhang mit der Presse verwenden und nicht im Zusammenhang mit ihren Opfern: den Lesern.
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Jörg Metes


eingetragen von Detlef Lindenthal am 14.06.2002 um 01.56

„... Trendgehorsam ...“

Würde man die gleiche Haltung, entsprechende Zeiten und Abrufzustände vorausgesetzt, auch Kadavergehorsam nennen?
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Jörg Metes am 13.06.2002 um 22.15

Ich habe den Begriff in der FAZ gefunden, in einem Aufsatz, der mit der Rechtschreibreform eigentlich gar nichts zu tun hatte (Erwin Wickert, 'Wir Tugendländler', 27.04.02).
Doch paßt er nicht bestens auch in unser Thema?
Trendgehorsam.
Ich will ihn nur grade mal festgehalten haben.
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Jörg Metes


eingetragen von Jörg Metes am 27.04.2002 um 09.53

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Das sind alte Weisheiten, die man sicher auch in Ratgebern über die Kunst des Gesprächs finden wird.
So sehe ich das auch. Doch halte ich Herrn Lachenmann zuliebe gerne noch einmal fest: Es gilt, bei der Kritik den richtigen Ton zu treffen. Die moralische Integrität des Gegenübers anzuzweifeln, gehört nicht zum richtigen Ton, genausowenig wie alle Arten von Beleidigung, Nötigung oder gar körperlicher Gewalt.
Frau Ludwig und mir zuliebe halte ich aber auch noch einmal fest: Es gibt bei Lehrern, Redakteuren oder Lektoren auch so etwas wie eine Berufsehre, an die man appellieren und bei der man diese Leute vielleicht packen kann.
Der Appell an die Berufsehre ist ein moralischer. Und wenn Herr Lachenmann noch so sehr darauf dringt, die Moral hier überhaupt herauszulassen: Ich beharre darauf, daß sie genau in diesem einen Sinne aber hineingehört.
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Walter Lachenmann
Was sollen sie machen? Ihren Beruf an den Nagel hängen?
Was wir erreichen wollen, ist, daß Lehrer, Redakteure und Lektoren (und Journalisten, Korrektoren, Übersetzer etc.: die sogenannten Mulitiplikatoren eben) sich der neuen Rechtschreibung verweigern - und zwar erfolgreich. Das Unbehagen an der Reform soll sich nicht legen, sondern steigern. Das Unbehagen, das es zu steigern (bzw. sicherlich: bei einigen auch erst zu wecken) gilt, ist eine moralische Empfindung. Es ist die Empfindung, das Falsche zu tun, wenn man 'dass' schreibt. Ist das allgemeine Unbehagen (das allgemeine Unbehagen in speziell dieser Gruppe, nicht: in der Bevölkerung insgesamt) groß genug, kippt auch die Reform.
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
...daher bin ich neugierig zu erfahren, mit welchen Sachargumenten Sie (und auch andere hier im Forum) bisher recht gute Erfahrungen gemacht haben, um auch Leute zu erreichen, die man nicht so gut kennt. Oder denken Sie, daß es in erster Linie auf die Art des Auftretens ankommt und die Sachargumente eher zweitrangig sind?
Sachargumente muß man meiner Erfahrung nach eher parat haben als auf den Tisch legen. Ich suche die Auseinandersetzung mit denen, deren Arbeit ich an und für sich schätze. Ich bringe zum Ausdruck, daß ich sie schätze, und bekenne, daß ich eben deshalb unglücklich über ihre Orthographie bin. In der Regel stellt sich dann ohnehin gleich heraus, daß die Angesprochenen selber nicht glücklich sind. Ich erkundige mich, ob es dann nicht irgendetwas gibt, was sie tun können, und ermuntere sie, es zu tun.

Leute aber, denen die Reform tatsächlich völlig gleichgültig ist, kann ich manchmal (nicht brieflich, sondern im Gespräch) für das Thema interessieren, indem ich sie nicht bei der Berufsehre, sondern bei ihrem Ehrgeiz packe. Ich bringe das Thema auf die Frage der Gruppendynamik. Was, frage ich sie, glaubst du: Warum ist es den Leuten einerseits so wichtig, daß man 'daß' jetzt mit zwei 's' schreibt, und andererseits so egal, daß man 'du' jetzt eigentlich immer klein schreiben müßte? Es ist ein Rätsel, von dem sich auch die Gleichgültigen oft herausgefordert fühlen.
– geändert durch Jörg Metes am 29.04.2002, 08.33 –
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Jörg Metes


eingetragen von Walter Lachenmann am 27.04.2002 um 08.47

Ich mache gerade ein Buch mit einem Korrespondenten der SZ, in dem feuilletonistische Texte von ihm aus 50 Jahren zusammengetragen werden. Zur »Einstimmung«, daß es sich um Zeitungsfeuilletons handelt, wollen wir - blaß gedruckt, nicht zum Lesen bestimmt - eine Zeitungsseite mit einem seiner Artikel als Faksimile auf dem Vorsatzblatt abbilden. Die Seite zeigt ein Foto vom Mississippi mit einer schönen Brücke und die Überschrift: Das Swingen ist ein langer ruhiger Fluss (weil der Artikel nämlich nach der Reform erschienen ist). Nun habe ich diese Titelzeile neu abgesetzt mit »Fluß« und in die Reproanstalt gegeben mit der Bitte, diese über das Original zu kleben, da ich in meinen Büchern keine reformierte Orthographie dulde. Klarer Fall von Urkundenfälschung, aber was soll's! Der Repromensch hat sich darüber gewundert, dann sofort gesagt, er fände diese neuen Schreibungen auch ziemlich blöd, hätte aber nicht gewußt, daß man so gar nicht schreiben müsse. Und wenn das so sei, dann würde er es auch sein lassen.
Ich könnte noch einige Geschichten dieser Art erzählen - es sind die steten Tröpfchen, die den Stein höhlen können. Wäre ich dem Mann mit Sprüchen gekommen, hätte er mich zu Recht blöd gefunden und weiter an die Sinnhaftigkeit der Reform geglaubt.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Martin Reimers am 27.04.2002 um 07.38

Professor Ickler hat etwas für unsere täglichen Auseinandersetzungen sehr Wichtiges gesagt - es kommt natürlich darauf an, im Gespräch Anknüpfungspunkte zu finden, die den Gesprächspartner selbst betreffen. Einen Grübler, den der Zustand unserer gegenwärtigen Kultur umtreibt, können andere Argumente überzeugen, als einen Spaßvogel. Für beide ist schließlich kein Mangel an Argumenten abzusehen, so daß wir nicht wie in den siebziger Jahren die K-Grüppler (oder die Staubsaugervertreter) irgendetwas herunterrasseln müssen

Ich denke, wir können zur Zeit sehr viel frische Argumente aus der Allensbacher Umfrage herauslesen. Frau Ludwig machte mich neulich im Gespräch erst richtig auf den Umstand aufmerksam, daß einem Drittel der Befragten die Rechtschreibung inzwischen egal ist. Das ist genau so beunruhigend wie der hohe Prozentsatz derer, die das Regelwerk anwenden (oder anzuwenden glauben), obwohl sie es nicht gutheißen. Beides muß auch denen zu denken geben, die die RSR immer noch verteidigen wollen (oder müssen).

Ansonsten sollten wir wohl immer wieder darauf verweisen, was die Umstellung für jeden bedeutet, der öfter einmal etwas zu Papier zu bringen hat: Grammatikfehler, grob mißverständliche Formulierungen und eine gnadenlose Einebnung von Bedeutungsnuancen.

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Martin Reimers


eingetragen von Theodor Ickler am 27.04.2002 um 04.45

Kein Mensch läßt sich gern von seiner Meinung abbringen oder auch nur der bisherigen Gleichgültigkeit überführen. Zu Kreuze kriecht man nicht gern. Bekehrungen sind daher äußerst selten. Polemik wird nur von ohnehin Gleichgesinnten genossen und ist auch nur für sie bestimmt. So habe ich es jedenfalls immer verstanden.

Ganz anders sieht es aus, wenn man dem Umworbenen das Gefühl gibt, von sich aus auf die Wahrheit gestoßen zu sein. Das erreicht man auf verschiedenen Wegen. Natürlich muß man ihm den Stoff erst einmal in geeigneter Form zugänglich machen, damit er sich eine Meinung darüber bilden kann. Dann kann man auch mal versuchen, sein Einverständnis sozusagen kontrafaktisch vorauszusetzen. Gemeinsames Lachen wirkt auch verbindend, also etwa über etwas ziemlich Doofes, worüber es bestimmt keine Meinungsverschiedenheit gibt. Unwiderstehlich wirken Lob und Anerkennung, ob ehrlich oder nicht. Irgendeine gute Seite hat ja fast jeder, so daß man da schon einmal anknüpfen kann.

Das sind alte Weisheiten, die man sicher auch in Ratgebern über die Kunst des Gesprächs finden wird.

Nur keine Kraft verschwenden durch Pseudodiskussion mit Funktionären, also den Ministerialräten usw.

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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 26.04.2002 um 21.44

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Walter Lachenmann
Ansonsten grundanständige Leute haben keine Bedenken gegen die Rechtschreibreform und wundern sich über die Aufregung von unsereins. Das muß man zur Kenntnis nehmen.
Das entspricht ganz genau meiner Erfahrung: Unverständnis ob der Bemühungen an sich.
Zitat:
Es ist nicht hilfreich, deren moralische Integrität anzuzweifeln. Hilfreicher ist sachliche und freundliche Überzeugungsarbeit, ohne allzu viel Missionarstum und ohne Moralkeule! (...)
Ich denke, daß das der einzig sinnvolle Weg ist. Niemand läßt sich in persönlichen Dingen - und ich sehe die Wahl der Art zu schreiben als eine persönliche Entscheidung an, ganz egal, welchen Gründen sie entspringt - von anderen bedrängen, und von aufdringlich-missionarisch oder besserwisserisch wirkenden Leuten läßt man sich ja nie gern etwas sagen, ganz egal, ob die nun vielleicht recht haben oder nicht.

Diese Herangehensweise ist aber nicht ganz einfach; sie verlangt Fingerspitzengefühl und etwas Einfühlungsvermögen, am besten eine gewisse Vertrauensbasis. Die hat man aber nicht immer, und daher bin ich neugierig zu erfahren, mit welchen Sachargumenten Sie (und auch andere hier im Forum) bisher recht gute Erfahrungen gemacht haben, um auch Leute zu erreichen, die man nicht so gut kennt. Oder denken Sie, daß es in erster Linie auf die Art des Auftretens ankommt und die Sachargumente eher zweitrangig sind?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Walter Lachenmann am 26.04.2002 um 20.55

Das ist alles unbestritten. Es mag auch gelten für Journalisten, etwa die der SZ, die genau wissen, welch minderwertiges Deutsch unter ihrem Namen neuerdings publiziert wird. Viele dieser Journalisten (mir zum Teil bekannt) liefern ihre Texte aber durchaus in herkömmlicher Orthographie ab - und wir wissen nicht, ob der Zorn in den Redaktionen teilweise nicht doch ganz beträchtlich ist. Was sollen sie machen? Ihren Beruf an den Nagel hängen?

Für andere gilt, daß die Voraussetzung für eine sinnvolle und eventuell sogar fruchtbare moralische Kritik die Fähigkeit zur Einsicht des Kritisierten ist, daß er »unmoralisch« handelt. Und diese Fähigkeit als Voraussetzung fehlt leider auch unter Fachleuten weitgehend. Und es fehlt die Fähigkeit, Qualität von Minderwertigem zu unterscheiden. Das ist in vielen Fällen eher ein Bildungsproblem als sonst eines. Und wenn man das schon bei Sprachwissenschaftlern feststellt, wie sollte dies dann bei Lehrern, Verlagsleuten Autoren usw. nicht erst recht anzutreffen sein!

Es ist einfach so.

Ansonsten grundanständige Leute haben keine Bedenken gegen die Rechtschreibreform und wundern sich über die Aufregung von unsereins. Das muß man zur Kenntnis nehmen. Es ist nicht hilfreich, deren moralische Integrität anzuzweifeln. Hilfreicher ist sachliche und freundliche Überzeugungsarbeit, ohne allzu viel Missionarstum und ohne Moralkeule! Ich habe damit jedenfalls ganz gute Erfahrungen gemacht, und meine Bekehrungsquote kann sich sehen lassen. Ob Keulenprediger mit ihren nervtötenden Gebetsmühlensprüchen da mithalten können, wage ich zu bezweifeln. Irgendwann ist es mit diesen Methoden vielleicht dann doch einmal »zu spät ...«

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Walter Lachenmann


eingetragen von Jörg Metes am 26.04.2002 um 17.17

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Walter Lachenmann
Ich stelle auch unter meinen Kollegen aus dem Verlagswesen, ohne es wirklich nachvollziehen zu können, nach wie vor eine wohlwollende oder allenfalls abwiegelnde Einstellung zur Reformschreibung fest. Das ist nicht Feigheit oder mangelnde Zivilcourage, eher ein Unvermögen, die Tragweite einzuschätzen, ein Mangel an Sensibilität für das Kulturgut Sprache. Das ist auch schlimm, aber die Kritik muß da anders lauten als Untertanengeist, Geldgier usw(...) Jegliche Moralkritik geht hier daneben. Die Kritik an mangelndem Kulturbewußtsein träfe eher, aber so wird ja nur im Nebenbereich argumentiert.
Man sollte nicht über die Motive urteilen, wohl aber über die Tat. Die neue Rechtschreibung ist eine schlechte Rechtschreibung, und wer sie als Fachmann anwendet oder verordnet oder unterrichtet, ist dafür zu kritisieren. Zu den Pflichten, die er als Fachmann hat, gehört eben auch die, sich kundig zu machen. Ein Fachmann hat seine Arbeit so gut wie möglich zu machen. Ein Fachmann, der seine Arbeit schlechter macht, als er sie machen könnte, muß sich das vorwerfen lassen. Ein Redakteur, Lektor oder Lehrer, der von einem Nichtfachmann in der Verlags- oder Behördenleitung angewiesen wird, die neue Rechtschreibung anzuwenden (und also: schlechter zu arbeiten), muß es sich vorwerfen lassen, wenn er dagegen nicht Einspruch erhebt. Die Gründe dafür, daß er keinen erhebt, diskutiert man besser soziologisch als moralisch, der Vorwurf aber, den man ihm trotzdem machen muß, ist eben doch ein moralischer. Es ist nicht der Vorwurf, aus Geldgier oder aus Feigheit, sondern einfach nur an sich und ganz egal aus welchen Gründen: schlecht zu arbeiten.
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Jörg Metes


eingetragen von Michael Krutzke am 25.04.2002 um 13.31

Gut, daß Herr Lachenmann die Sache in Verbindung mit der Wirtschaft, also mit der materiellen Grundlage unserer Existenz, bringt. Vom Abstand, der mit dem "Kompetenz"-Begriff ausgedrückt oder hergestellt wird, lebt das "Consulting"-Unwesen.

Schon vor Jahren wurde kritisiert, daß die Einschaltung von Beratern nicht immer dem Hinzuziehen von externem Sachverstand dient (was ja sinnvoll sein kann), sondern oft schlichte "Auslagerung" - "outsourcing" - (oder besser das Abschieben) von Verantwortung ist, nämlich von der Unternehmensleitung an den Berater. Dessen Verantwortung endet aber mit der Abgabe seines Konzepts, Umsetzbarkeit nachzuweisen, ist nicht seine Pflicht. Was daraus folgt, ist bekannt - verantwortlich ist letztlich niemand (kassiert haben aber alle Beteiligten).

Entscheidend: Hier handeln meist nicht "die Unternehmer" (wie es in gewerkschaftlichem Platt-Deutsch so massenwirksam heißt), sondern es sind angestellte Mitarbeiter. Zwar leitend tätig, mit einer Menge Macht versehen, aber sie sind keine Unternehmer. Maximal sind sie Anteilseigner - shareholder eben. Denen wiederum gehört zwar das Unternehmen, aber sie sind Investoren, nicht Unternehmer. Ich betone das so, weil Unternehmer eben nicht den Abstand zu ihrem Unternehmen haben wie angestellte Manager und Anteilseigner. Nicht selten riskieren die ihr Privatvermögen, um eine Krise zu überwinden.

Seit Anfang der 80er Jahre (nach meiner Wahrnehmung) dienen die in der beschriebenen Weise Handelnden ja massiv als Vorbilder für junge Leute. Erfolgs- und Karriereorientierung nach diesem Muster hat auch die Übernahme von Verhaltens- und Ausdrucksweisen der neuen Leitbilder zur Folge. Dazu gehört auch und vor allem die Sprache. Sprachlich "kompetent" kann man schell wirken, auch wenn man noch gar nichts geleistet hat. Sehr viele Worte für sehr wenig Substanz, dieses Muster zieht sich durch viele Veröffentlichungen hindurch (leider auch von Leuten, die bereits etwas geleistet haben). Aber es soll ja nicht nur "kompetent" klingen, sondern auch verschleiern. Auslegungsspielraum schmälert die eigene Verantwortlichkeit. "Reden wie die erfolgreichen Leitbilder" - was da genau gesagt wird, interessiert nicht so sehr. Sich einer Sache angemessen, klar, einfach und verständlich auszudrücken, wurde im Laufe der Entwicklung eher zur Untugend. Wie viele Verantwortungsträger nicken wissend, wenn ihnen ein Unternehmensberater vorträgt, sie müßten "proaktiv und rasch agieren durch eine flexible Strategie, effiziente Organisation und leistungsfähige IT-Ressourcen"? Es werden nicht wenige sein.

Da hat sich offensichtlich etwas verselbständigt, wurden Worte von Inhalten getrennt und bilden eine Art Kunstsprache, die von Gurus und Gläubigen am Leben erhalten wird. Welche Rolle kann da eine Orthographie spielen? Das Weglassen von Bindestrichen kann sinnverändernd sein? Egal, man weiß doch was gemeint ist. Wahrscheinlich wird das mit den ökonomischen Heilslehren mitgeliefert, die über den Atlantik kommen. Und wer die völlig unkritisch übernimmt, der macht sich doch keine Gedanken um "Tipp", "Maßnahme orientiert" oder "hier zu Lande". Da wird halt etwas anders kodiert, na und? Es scheint eine stille Übereinkunft der "Insider" zu geben, Unscharfes oder Sinnloses nicht zu "hinterfragen". Der Bewußtseinsabstand (K. Decker) ist notwendig, um den ganzen inhaltlichen und sprachlichen Unsinn mitzumachen, die Verhaltens- und Ausdruckweisen zu übernehmen. Als Teil des beruflichen Selbstverständnisses und der Karriere - und insofern identitätsstiftend. Das ist das Schlimme daran.


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Michael Krutzke


eingetragen von J.-M. Wagner am 25.04.2002 um 13.15

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn
Die Art und Weise, wie z. B. in Großbritannien die Rechtschreibreform eingeführt wurde, war recht überzeugend: Heller tourte durch die Goethe-Institute und hielt Vorträge vor Lehrern und Dozenten mit anschließender Diskussion.

Der Eindruck war ganz klar, daß die neue Rechtschreibung kommt und daß Schüler und Studenten davon profitieren würden. Daß das Goethe-Institut eine Vorreiterrolle einnahm und zum frühestmöglichen Termin umstellte, erschien nur sinnvoll, denn man hätte ja mit der 'alten' Schreibung den Kursteilnehmern etwas beigebracht, das sie sich nach einigen Jahren doch wieder hätten abgewöhnen müssen.
Das ist die eine Seite der Medaille, und zwar jene, die ich recht gut nachvollziehen kann: Wenn man davon ausgeht, daß in Zukunft die neue Rechtschreibung die allgemein übliche sein wird - und diese Annahme mag man 1996 in gewisser Weise zu recht getroffen haben, denn es galt ja noch das Prinzip, daß das gilt, was im Duden steht -, ist es natürlich sehr sinnvoll, sich so bald als möglich nach der neuen Schreibung zu richten.

Ich kann nur spekulieren, aus welchem Grund man diese Annahme für berechtigt gehalten haben mag; ich persönlich war davon ausgegangen, daß die Reform "harmlos" sei und das hält, was von ihr versprochen wurde. Ich kam gar nicht auf den Gedanken, die Neuregelung zu hinterfragen; ich habe mich auch nicht weiter inhaltlich damit beschäftigt.

Zitat:
Klar, daß der Eindruck entstand, man müsse das schon irgendwie 'mitmachen', und sei es nur, um auf dem vermeintlich neuesten Stand zu sein.
Mir scheint, daß dieser Eindruck nicht nur einfach so entstand, sondern speziell gefördert wurde - und das ist die andere Seite der Medaille. Aber hier muß man sehr vorsichtig sein, denn einerseits sind die Grenzen zwischen Information und Suggestion fließend, und andererseits muß vieles Spekulation bleiben, weil es im Rückblick betrachtet wird und man in die Leute nicht hineinschauen kann.

Nehmen zir zum Beispiel folgenden Text von Herrn Heller, der im November 1996 im Uni-Report (Mannheim) erschienen ist:

Zitat:
Rechtschreibreform
Die Konsequenzen für die Universitäten
von Dr. Klaus Heller (Institut für deutsche Sprache, Mannheim)

- dieser Text folgt den neuen Regeln -
Seit die politischen Vertreter der deutschsprachigen Staaten und weiterer interessierter Länder am 1. Juli 1996 in Wien ihre Unterschrift unter eine Gemeinsame Erklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung gesetzt haben, steht es allen frei nach den neuen Regeln zu schreiben. Schon gehen manche Zeitungen daran sich auf die neue Orthografie umzustellen und in den Schulen vieler deutscher Bundesländer werden die Erstklässler sinnvollerweise bereits mit der neuen Schreibung vertraut gemacht (was so am Anfang freilich nur wenige Wörter betrifft).

Wenngleich sich die "Spielregeln", nach denen die Umstellung auf die neue Rechtschreibung geschehen soll, in den verschiedenen Lebensbereichen und von Land zu Land recht unterschiedlich darstellen, so sind doch einige Eckpunkte gesetzt, die allgemeine Gültigkeit besitzen. So gilt für alle deutschen Schulen, dass ab dem ersten Schultag des Jahres 1998 nur noch die neue Rechtschreibung gelehrt werden darf (auch wenn die alte noch weiter toleriert, d. h. zwar als überholt gekennzeichnet, aber nicht als falsch bewertet wird). Und es gilt allgemein, dass diese Zeit des Tolerierens der überholten Schreibung am 31. Juli des Jahres 2005 endet.

Für die Behörden gibt es unseres Wissens bisher keine Vorgriffsregelung, und so ist wohl davon auszugehen, dass der Stichtag für die Umstellung hier der 1. August 1998 bleiben wird. Was aber ist mit den Universitäten? Anders als die Schulen, die sich auf entsprechende Erlasse ihrer Ministerien berufen können und für die eine gewisse Einheitlichkeit des Vorgehens der Lehre wegen unerlässlich ist, sind noch keine Anweisungen bekannt, die die Hochschulen generell auf einen Umstellungstermin festlegen oder einen solchen Termin für die eine oder andere Alma Mater ins Auge fassen würden.

Eben, weil es hier nicht darum geht, Rechtschreibunterricht umzustellen, sondern die neuen Regeln - wie in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auch - praktisch anzuwenden, und weil hier schließlich erwachsene Menschen miteinander verantwortlich umgehen, sind außerhalb der gegebenen Rahmenrichtlinien wohl keine weiteren Regelungen nötig. Jedenfalls nicht, soweit sie die Studenten betreffen, denen es während der gesamten Übergangszeit freistehen sollte noch die alte oder aber bereits die neue Orthografie zu verwenden. Das auch mit Rücksicht darauf, dass es sich bei den kommenden Examensjahrgängen um junge Menschen handelt, die durch ihre lange Schulzeit eine recht qualifizierte Ausbildung in der alten Schreibung erhalten haben. Sie benötigen nun etwas Zeit für die Umstellung, die ihnen im Hinblick auf ihr späteres Berufsleben nicht erspart bleiben kann. Wiederholt bin ich sorgenvoll gefragt worden, ob man denn jetzt seinem Examensvater noch mit der alten Orthografie kommen könne oder ob man sich nicht vielmehr gerade mit der neuen Schreibung unbeliebt mache.

Nun ist persönliche Sympathie oder Antipathie gegenüber der neuen Schreibung insgesamt oder aber gegenüber der einen oder andern Änderung nicht auszuschließen, doch muss wohl davon ausgegangen werden, dass derartige Einstellungen bei der Leistungsbewertung keine Rolle spielen dürfen und Hochschullehrer genügend Toleranz zeigen müssen, wenn es um korrekte Schreibungen geht, die sich als ?noch alt? oder ?schon neu? erkennen lassen. Im Bereich der Universitätsverwaltung allerdings wird wohl anders zu verfahren sein. Hier wird es - wie in jeder anderen Institution und in jedem anderen Unternehmen auch - eine Entscheidung geben müssen, ob und ab wann dienstliche Schreiben (einheitlich) in der neuen Orthografie abzufassen sind oder ob man es sich leisten kann damit bis 1998 zu warten.

Literaturauswahl zum Thema:

(...)
Was davon ist Information, was Suggestion? Darüber kann man mehr oder weniger schlaue Vermutungen anstellen - es bleiben Vermutungen, weil m. E. zu einer Suggestion immer eine Absicht gehört. Aber woher will man wissen, woran Herr Heller beim Verfassen dieses Textes gedacht hat? Deshalb: Vorsicht.

Leichter ist dagegen zu klären, was Herr Heller in diesem Textes nicht berücksichtigt - genauer: was nicht vorkommt -, und das ist der dritte Aspekt: Die entscheidende Frage zum dem gewählten Thema wird ja gar nicht gestellt: Ist eine solche "Anweisung", von der im dritten Absatz die Rede ist, überhaupt möglich? Nirgends wird klar gesagt, ob der Staat überhaupt die Möglichkeit hat, den Universitäten bzgl. der Rechtschreibung etwas vorzuschreiben! Deshalb Vorsicht auch mit diesem Hellerschen Text! Wer sich mit den Kompetenzen auskennt, wird an dieser Stelle hellhörig. Aber wer kennt sich da schon so gut aus? Auch heute noch herrscht Unsicherheit bzw. Unklarheit darüber, inwieweit die Unis dem Bereich "Verwaltung" zuzuordnen sind.

Außerdem: Was soll das "können sich berufen auf ..." bedeuten? Das klingt für mich so, als ob die Schulen die Entscheidung, die neue Rechtschreibung zu unterrichten, in eigener Regie treffen würden und sich dafür gegenüber der Allgemeinheit rechtfertigen müßten, so daß ihnen der Erlaß als Begründung dienen könnte. Aber ist so ein Erlaß nicht schlichtweg bindend, so daß die Schulen verpflichtet sind, die neue Rechtschreibung zu unterrichten? - Wenn ich mich hier geirrt haben sollte, würde ich mich über eine entsprechende Anmerkung freuen.

Zu dem genanten dritten Aspekt gehört noch, daß man schaut, was stattdessen in einem Text vorkommt, wenn der eigentlich entscheidende Punkt fehlt, jedoch etwas zum eigentlichen Thema gesagt weren muß. Hier verleitet einen m. E. diese Passage (der dritte Absatz) zu der Annahme, auch die Hochschulen könnten sich auf diesen Erlaß berufen. Das halte ich aber für unzutreffend. Schließlich heißt es ja im letzten Absatz:
»Im Bereich der Universitätsverwaltung allerdings wird wohl anders zu verfahren sein. Hier wird es - wie in jeder anderen Institution und in jedem anderen Unternehmen auch - eine Entscheidung geben müssen, ob und ab wann dienstliche Schreiben (einheitlich) in der neuen Orthografie abzufassen sind (...)«.

Mehr noch: Man könnte beim Lesen des Textes sogar annehmen, daß mit einer solchen Anweisung evtl. noch zu rechnen sei - denn es ist »noch keine (...) bekannt«. Dadurch entfaltet der Text folgende Suggestivkraft: Er führt m. E. zu der Überlegung, daß man dann ja gleich von selbst mit der Einführung der neuen Rechtschreibung beginnen könnte (oder vielleicht sogar sollte??), wenn die sowieso demnächst "kommt" (bzw. "eingeführt wird"). So etwas meine ich mit dem fließenden Übergang zwischen Information und Suggestion.

Man kann sich m. E. gar nicht darauf berufen, daß die neue Rechtschreibung wie selbstverständlich "kommen wird" - sie kommt nicht von allein, sondern sie wird freiwillig "gemacht". Das funktioniert, wie man es von der Werbung her kennt: "Das Produkt XY ist innovativ, sehr nützlich, und alle wollen es haben. Wer es hat, ist toll. Wollen Sie warten, bis Ihr Nachbar es vor Ihnen hat?!?" (Janina Bauer) Dieser Eindruck bleibt - aber ob beabsichtigt oder nicht, ist eine andere Frage. Deshalb: Vorsicht.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Claudia Ludwig am 25.04.2002 um 10.05

Danke, Herr Metes für Ihre Differenzierung - Sie haben recht. Ich habe bei meinem Brief eher an die Entscheidungsträger gedacht, die die "Reform" in ihren Verlagen, Firmen, Unternehmen usw. eingeführt haben. Sie sind es doch, die Entscheidungs- und "Befehlsgewalt" haben. Nicht einer von ihnen hatte die Chuzpe oder den Willen zu sagen "Nein, das mache ich mit meinem Unternehmen nicht mit." Warum nicht? Aber dazu hat Herr Lachenmann ja schon eine Erklärung abgegeben.

Zu allem Richtigen, das hier zu lesen ist, kommt für mich noch eines hinzu - und damit unterstütze ich, was Herr Lachenmann geschrieben hat: Das gewachsene, sensible Ganze der Schriftsprache, das größtmögliche Einheitlichkeit erreicht hatte, ist durch die "Rechtschreibreform" einem Zerstörungsprozeß ausgesetzt worden, dessen Ausmaß dramatisch ist. Das aber erschließt sich nur dem, der sich genauer mit diesem Thema beschäftigt - und das tut eben keiner.

Meine Prognose: Kinder werden nicht mehr richtig schreiben lernen, höchstens auf Sonderschul-Niveau, da die Verunsicherung durch die Alternativschreibungen verhindert, daß sich Kinder Schreibweisen einprägen können und richtig wiedergeben. Auch ein Sprachgefühl kann sich nicht mehr entwickeln, da Kinder gezwungen werden, gegen ihres anzuschreiben.

Ich wiederhole mich: die Rechtschreibreform muß gestoppt werden - und ich als begeisterte Verfechterin der klassischen deutschen Rechtschreibung setze mich vehement dafür ein.




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Claudia Ludwig


eingetragen von Walter Lachenmann am 25.04.2002 um 09.27

Über diesen Beitrag von Herrn Reimers bin ich sehr froh, denn er geht in die Denkrichtung, die meines Erachtens eine gewiß nicht geringere Bedeutung für das Phänomen »Rechtschreibreform« hat als alle die staatsbürgerlich-moralischen Mängel, die man ja auch zu Recht beklagt. Wäre unsere Kultur nicht in einem so desolaten Zustand, hätte sie nicht weitgehend die dem Kultur-Begriff wie selbstverständlich innewohnenden Wurzeln zur Natur weitgehend verloren, hätte die Reform überhaupt keine Chance gehabt, sich überhaupt auch nur als Entwurf ernsthaft Gehör zu verschaffen.

Daß es anders gekommen ist, paßt u.a. zu dem Komplex, den Herr Reimers mit dem neumodischen »Kompetenz«-Begriff aufgegriffen hat. Alle möglichen Erscheinungen, die es schon immer gegeben hat und mit denen man zu allen Zeiten irgendwie und keineswegs immer erfolglos umgegangen ist, wie etwa Lernschwäche, Erziehungsprobleme, Beziehungsprobleme, werden zu neu erkannten Kompetenzfeldern erklärt, auf die man auch schon die wissenschaftlich erarbeiteten Lösungskonzepte vorlegt.

Die »sexuelle Kompetenz« ist ein schönes Beispiel dafür. Auch hier wird, wie Kerstin Decker treffend in anderem Zusammenhang sagt, ein Abstand gelegt, ein Bewußtseinsabstand. Es geht aber auch hier um etwas, »was wir nicht selbst gemacht haben« und eben auch nicht selbst machen können, mit derlei wissenschaftlichen Konzepten jedenfalls nicht, allenfalls mit einer »Erziehung des Herzens«, aber das ist nichts für die Wissenschaft.

Man könnte in diesem Zusammenhang auch hinweisen auf die vielen Glanzleistungen unserer Wirtschafts- und Betriebswissenschaftler, die in immer kürzeren Abständen immer neue Konzepte zur Optimierung des Betriebs- oder Volkswirtschafts-Ergebnisses nicht nur produzieren, sondern diese auch für riesige Summen an gläubig zu ihnen hinaufblickende Konzernmanager verkaufen. Die durchgängige Wirkungslosigkeit solcher Konzepte - die Weltwirtschaft steckt trotz jahrzehntelanger Bemühungen dieser Intelligentsia angeblich in einer tiefen Rezession, die Weltfirmen von vor zehn oder zwanzig Jahren sind weitgehend pleite oder von Konkurrenten aufgefressen - hat den »Consultern« nichts von ihrem Charisma nehmen können, auch offenkundigster von ihnen verbratener Unsinn nicht, wie etwa die gruppendynamischen Psychotrainings, das Arbeits-Du oder der »Humor-Berater«, den sich Daimler-Chrysler neuerdings leistet, weil die Firmenleitung sich davon überzeugen ließ, daß die Humorkompetenz wichtig ist für das Wohlbefinden des Arbeitnehmers in seinem Team, und er unter gutgelaunten Kollegen und Vorgesetzten weniger oft krank oder depressiv wird, ergo mehr »Proffit« (so spricht ein Insider das aus) bringt, als wenn der pure Terror am Arbeitsplatz herrscht. Ich habe ein Foto von einem solchen Humortrainig gesehen. Da steht der Humortrainee, von andächtigen SeminaristInnen umgeben, vor einem Flipboard, auf dem nebeneinander zwei Grinsemännchen gemalt sind, einer mit Mundwinkeln nach oben, der andere hat sie nach unten. Und der Humortrainee zeigt mit dem Zeigestab auf - richtig! - den mit den Mundwinkeln nach oben. So lernen die SeminaristInnen, was Humor ist, wie man das macht und was bei Humor passiert: die Mundwinkel biegen sich nach oben.

Daimler-Chrysler gibt Riesensummen aus für eine Binsenweisheit, die eigentlich jeder kennt - ohne wissenschaftlichen Hintergrund - etwa vom Kindergarten. Zur vergnügten Schwester gingen die Kinder lieber, waren auch umgänglicher und spielten phantasievoller als bei der strengen.

Schade, daß Voltaire nicht mehr am Leben ist. Er hätte diese als wissenschaftliche Erkenntnis aufgemotzte Dummheit unserer »Informationsgesellschaft«, die hauptsächlich Nichtigkeiten als News und Infos herumreicht, herrlich aufs Korn nehmen und darstellen können.

Aber auch unsere Philosophen und Humoristen sind zu Schachfiguren des Marktes degeneriert, schade.


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Walter Lachenmann


eingetragen von Martin Reimers am 24.04.2002 um 23.15

Natürlich ist die Sensibilität gegenüber der Sprache, von der Herr Lachenmann schreibt, ein zentraler Punkt in der ganzen Auseinandersetzung um die RSR. Es sagt einiges über unsere Sprachkultur aus, wenn die in der ZK versammelten Ideologen, Stümper und Anästhesisten des Sprachgefühls so lange Zeit freie Hand haben.

Es geht hier um weit mehr als um die Bereiche, die der stark verengende und inflationär gebrauchte Begriff der Sprachkompetenz abdeckt. Kompetenz hat etwas distanziert-leidenschaftsloses. (Weshalb sonst hat sich kürzlich das Magazin FOCUS so lächerlich gemacht mit seinem Gerede über die „sexuelle Kompetenz“?) Der Schaden, den die Reform angerichtet hat, ist in meinen Augen am größten in den Sphären der Sprache, die nicht in jeder rationalen Auseinandersetzung zu vermitteln sind (für diese bleiben uns immer noch genug sprachpraktische Argumente).

Eigentlich ist es schwer denkbar, daß ein Experiment, das sozusagen das grammatische Knochengerüst der Sprache erschüttert, nicht in viel höherem Maße das zarte Fleisch der Semantik und des Sprachstils in Mitleidenschaft ziehen muß. Hierzu paßt vielleicht ein Artikel von Kerstin Decker aus der taz vom 28. 3.2001, der (in Auszügen) auch im Zeitungsarchiv steht. Was diese wunderbare Frau schreibt, gehört mit zu dem Besten, was ich jemals über die Rechtschreibreform gelesen habe. Ich zitiere ihn deshalb hier noch einmal:


"Es geht um das an unserer Identität, was wir nicht selber gemacht haben und was uns doch ausmacht. Nehmen wir nur das Denken.
Ohne ein Moment des Irrationalen, des nicht vollends Rationalisierbaren, mit dem es umgeht, wird es nicht zum Denken. Was für ein hoch konservatives Thema! Aber politisch ist es nicht. Jedenfalls erst viel, viel später. Oder die Sprache. Die Sprache ist ja nun das Stockkonservativste überhaupt. Wir benutzen tatsächlich noch immer dieselbe wie die Nationalsozialisten und größten Unrechtsstaatler aller deutschen Zeiten? Haben wir uns das eigentlich gut überlegt, so was tagtäglich in den Mund zu nehmen? Und angefüllt ist sie mit irrationalen Beständen.

Sprache ist überhaupt bald das Einzige, was wir noch nicht selbst gemacht haben. Nein, stimmt nicht ganz. Schließlich gab es die Rechtschreibreform. Ich habe lange nach einer Erklärung für diesen Akt der Barbarei gesucht, aber jetzt ist alles klar. Ihre Schöpfer wollten einen Abstand zwischen uns und die Sprache legen. Sozusagen einen Bewusstseinsabstand.

Betrachten wir nur die Wortgruppe „hier zu Lande“. „Hierzulande“ dagegen - spüren wir da nicht gleich so einen unguten Unterton von Selbstverständlichkeit, von Fraglosigkeit, ja gar von Blut-und-Boden? Etwas ganz anderes ist dagegen „hier zu Lande“. Es wirkt bewusstseinserweiternd. Du denkst: zu Lande also. Demnach nicht zu Wasser. Und schon gar nicht in der Luft. Das Land ist zurückgeführt auf seine ursprüngliche weltanschauungsneutrale terrestrisch-physikalische Faktizität. Kein revanchistischer Unterton. Das ist ein Beispiel erfolgreicher Bewältigung unserer sprachlichen Vergangenheit.

Sie hat nur einen Nachteil. Jedes Mal, wenn ich „hier zu Lande“ lese, ist der übrige Teil des Satzes weg. Die wortgruppeninterne Vergangenheitsbewältigung dauert einfach zu lange. Darum lese ich eigentlich nur noch Zeitungen, die nicht „hier zu Lande“ schreiben. Die Zeit zum Beispiel. Oder lieber doch nicht. Jedenfalls nicht diese Woche."


Das sind freilich schon sehr poetische Betrachtungen. Wer davon nichts hören will, mit dem kann man nicht darüber streiten.



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Martin Reimers


eingetragen von Walter Lachenmann am 24.04.2002 um 19.13

Wie Elke Philburn dargestellt hat, waren von Anfang an auch Leute mit einer eher engen Beziehung zur Sprache bereit, die Reform als eine begrüßenswerte Neuerung zu betrachten. In dem von ihr beschriebenen Fall waren es Lehrer.
Ich stelle auch unter meinen Kollegen aus dem Verlagswesen, ohne es wirklich nachvollziehen zu können, nach wie vor eine wohlwollende oder allenfalls abwiegelnde Einstellung zur Reformschreibung fest. Das ist nicht Feigheit oder mangelnde Zivilcourage, eher ein Unvermögen, die Tragweite einzuschätzen, ein Mangel an Sensibilität für das Kulturgut Sprache. Das ist auch schlimm, aber die Kritik muß da anders lauten als Untertanengeist, Geldgier usw..
Am meisten verblüffen mich solche beschwichtigenden Töne bei Kollegen, die in ihrer Praxis bei den alten Regeln geblieben sind. Da steckt zum Teil gar keine Überzeugung im Zusammenhang mit der Sprache dahinter, eher eine pragmatische Spekulation über das vermutliche Verfallsdatum der ungefestigten Regeln. Besonders typisch hierfür ist der Börsenverein für den Deutschen Buchhandel. Alles Archiv-Relevante ist in der herkömmlichen Orthographie, alle tagesaktuellen Sachen in einer Orthographie, die die typischen Kennzeichen der Reform aufweist aber die absurdesten Dinge vermeidet.
Dies ist für einen breiten Bereich unserer schreibenden und lesenden Mitmenschen einfach kein Feld, das einer streitbaren Diskussion wert erscheint. Jegliche Moralkritik geht hier daneben. Die Kritik an mangelndem Kulturbewußtsein träfe eher, aber so wird ja nur im Nebenbereich argumentiert.

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Walter Lachenmann


eingetragen von Jörg Metes am 24.04.2002 um 15.54

Man muß zwei Gruppendynamiken unterscheiden. Es gibt die Gruppe derjenigen, die von der Reform als Handelnde betroffen sind (Leute, die schreiben, Schreiben unterrichten, Geschriebenes verlegen, verkaufen, verbreiten usw.), und es gibt die Sprachgemeinschaft insgesamt. Dem Zeitungsjournalisten, der die Reform widerstandslos umsetzt (oder es zuläßt, daß sie bei seinen Texten umgesetzt wird), kann man einen Vorwurf machen. Dem Zeitungsleser, der sich über die Reformschreibung ärgert, sie aber ohne weiteren Protest hinnimmt, kann man es nicht.

Es ist der Unterschied zwischen denen, die wider besseres Wissen handeln, und denen, die ihnen vertrauen. Frau Ludwig scheint mir mehr von der ersten Gruppe zu reden, Herr Lachenmann mehr von der zweiten. Ich würde über die eine wie über die andere gerne mitreden, bin aber derzeit woanders sehr gefordert und bitte um Nachsicht.
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Jörg Metes


eingetragen von Elke Philburn am 24.04.2002 um 15.05

Die Art und Weise, wie z. B. in Großbritannien die Rechtschreibreform eingeführt wurde, war recht überzeugend: Heller tourte durch die Goethe-Institute und hielt Vorträge vor Lehrern und Dozenten mit anschließender Diskussion.

Der Eindruck war ganz klar, daß die neue Rechtschreibung kommt und daß Schüler und Studenten davon profitieren würden. Daß das Goethe-Institut eine Vorreiterrolle einnahm und zum frühestmöglichen Termin umstellte, erschien nur sinnvoll, denn man hätte ja mit der 'alten' Schreibung den Kursteilnehmern etwas beigebracht, das sie sich nach einigen Jahren doch wieder hätten abgewöhnen müssen. Davon abgesehen gab die Unterstützung durch das Goethe-Institut der Reform Glaubwürdigkeit.

Das Vertrauen in die leichte Erlernbarkeit der Reformschreibung, (wir bekamen diverse ansprechend gestaltete Materialien ausgehändigt), war so groß, daß man darüber diskutierte, ob die Schüler/Studenten die 'zwei Systeme' miteinander vermischen dürften oder nicht. Als ginge es um nicht mehr als die s-Schreibung und eine Handvoll neuer Wörter.

Klar, daß der Eindruck entstand, man müsse das schon irgendwie 'mitmachen', und sei es nur, um auf dem vermeintlich neuesten Stand zu sein. Seinen Irrtum einzusehen ist dagegen gar nicht schwer, wenn man sich mit den Fakten auseinandersetzt. Vorwürfe bringen hier eher wenig.


eingetragen von Walter Lachenmann am 24.04.2002 um 13.49

Ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus. Den meisten Menschen ist doch gar nicht bewußt, daß es sich hier um einen Fall handelt, bei dem es um Zivilcourage ginge, um einen ziemlich geringen Grad von Zivilcourage zumal, denn das Risiko, das man dabei eingeht, pendelt sich bei Null ein.
Deswegen verstören mich manche Töne der Reformkritiker einigermaßen, sofern sie sich nicht direkt an die Verantwortlichen der Reform wenden - die verdienen jede, auch lautstarke Kritik.
Aber mit dem Vorwurf der mangelnden Zivilcourage, der »political correctness« (das hat sich als Kritikpunkt ja auch völlig vernutzt und wird von Hinz und Kunz in absoluter Beliebigkeitsschreibung bzw. -verwendung hin und her gereicht) und dergleichen trifft man das Problem der bereitwilligen Hinnahme der Reform in der Öffentlichkeit höchst unzureichend, tut vielen Leuten Unrecht und verprellt sie, anstatt sie auf die Fragwürdigkeit hinzuweisen und auf sie einzuwirken, damit sie sensibel werden für das Thema und in ihrem unmittelbaren Bereich bei der traditionellen Orthographie bleiben.
Ich persönlich habe damit keine schlechten Erfahrungen gemacht, und zum Beispiel für zwei Bücher, die ich im Auftrag von Kunden zu produzieren hatte, die neue Rechtscheibung verhindert. Das eine ist ein auf den Tourismus zugeschnittener Bildband über den Tegernsee, initiiert von den Bürgermeistern der Gemeinden des Tegernseer Tales, die von Amts wegen die reformierte Orthographie gewählt hätten. Ich habe es dem Autor ausgeredet. Dasselbe ist mir bei einem Buch gelungen, das die Tegernseebahn zum 100. Jubiläum des Bahnhofes Tegernsee bei mir in Auftrag gegeben hat. Es war überhaupt kein Problem, auch hier die herkömmliche Orthographie durchzusetzen, obgleich der Konzern, zu dem diese Bahn gehört, ansonsten alles in reformierter Orthographie hält (Korrespondenz, Geschäftsberichte, Werbung usw.). »Ach so, wenn man das darf, sehr gerne!«, war die Reaktion.
Es braucht also oft nur eine gar nicht allzu intensive Ermunterung an die Leute, von ihrem gesunden Menschenverstand Gebrauch zu machen. Die Töne der Empörung und Appelle an Moral und Zivilcourage, Bezüge zu übergeordneten ideologischen Kontexten usw. werden eher nicht verstanden und als überkandidelt empfunden, womit die Reformkritiker in den Geruch der Spinner zu geraten drohen (öfter als berechtigt, sollte man vielleicht sagen) und die substantielle Kritik, die die meisten Leute so genau ja gar nicht interessiert und die sie auch nur bedingt nachvollziehen können, droht durch Bekundungen von übersteigertem Kämpfertum, für den viele den Anlaß für zu unbedeutend erachten, völlig zu verpuffen.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Claudia Ludwig am 24.04.2002 um 11.49

Sehr geehrter Herr Lachenmann,

Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: die fehlende Zivilcourage von Menschen in Entscheidungspositionen und die heute völlig fehlende Bereitschaft, sich für andere Dinge einzusetzen als für Macht und Geld.

Das eben ist es, was mich so maßlos enttäuscht. Niemand mußte die "Reform" umsetzen - außer Schulen und Behörden natürlich - aber alle haben es getan.

Hätten sich die Verlage, die Unternehmen, die Agenturen u.a. nicht umgestellt, wäre die "Reform" von heute auf morgen vom Tisch gewesen. Aber sie alle witterten Geld: Schulbücher müssen neu gedruckt werden, Eltern kaufen neue Kinderbücher - ihre "alten" können sie ja nicht mehr vererben - Wörterbücher braucht man ohne Ende, neue Computerprogramme und und und. Da winken Dollars über Dollars.

Daß dabei die Kinder völlig vergessen werden, und daß es völlig egal ist, wieviel Aufwand und Streß die Reform anderen bringt, liegt ja auf der Hand.

Wenn aber schon bei einer so "unwichtigen" Sache der Widerstand praktisch nicht vorhanden ist, wo soll er dann bei einer großen, lebenswichtigen Sache so plötzlich herkommen?

Für mich ist die hier zu beobachtende "Political Correctness" erschreckend und läßt mich Schlimmeres ahnen. Oder haben Sie schon erlebt, daß Menschen, die sich immer anpassen und immer mitmachen, um nicht aufzufallen oder angefeindet zu werden, plötzlich, wenn es um Einsatz und Mut geht, in der ersten Reihe stehen?

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Claudia Ludwig


eingetragen von Walter Lachenmann am 24.04.2002 um 08.19

Zum Orthographiethema gehört das nicht, aber zum Thema Gruppendynamik und Schweigespirale. Hierzu bin ich auf folgenden Text gestoßen:

Bei der von der Hitler-Regierung auf den 12. November 1933 festgesetzten Neuwahl des Reichstags demonstrierte die Kirchenleitung gleichfalls begeisterte nationale Solidarität. Am 9. November 1933 teilte der Oberkirchenrat dem Württembergischen Staatsministerium in einem Schreiben mit:
Am 12. November dieses Jahres ist das ganze deutsche Volk aufgerufen, sich mit seiner Regierung zu einer Politik des Friedens, der Ehre und der Verständigung zu bekennen. Um diesem Bekenntnis seitens der evangelischen Kirche besonderen Ausdruck zu geben, haben wir angeordnet, daß am Vorabend des 12. November, also am Samstag, 11. November, von 6.50 Uhr bis 7 Uhr abends in den evangelischen Kirchen mit allen Glocken geläutet wird. (Hauptstaatsarchiv Stuttgart: E130b Bü 145)
Monatelang schwieg die Landeskirche zu Unrecht und Gewalt. Die Verfolgung politischer und ideologischer Gegner des Regimes blieb niemand verborgen, doch die führenden kirchlichen Repräsentanten nahmen sie wie selbstverständlich hin. Selbst die Evangelischen Arbeitervereine, die der Leiter der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront Dr. Robert Ley im April 1933 als Reichsfeind Nr. 1 bezeichnet hatte, blieben auf sich allein gestellt, bis sie gewaltsam gleichgeschaltet wurden.
Aus: Gerhard Schäfer, Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus - Eine Dokumentation zum Kirchenkampf. Bd. 1. Um das politische Engagement der Kirche 1932 - 1933. Calwer Verlag, Stuttgart 1971.

Dies soll nur als Beispiel dienen, für Situationen, wo Gruppendynamik und Schweigespirale eine so viel dramatischere Dimension haben, als bei unserem Thema. Die im Vergleich hierzu geringe Dimension könnte zwar bedeuten, daß der Widerstand gegen eine eindeutig als falsch oder schlecht erkannte staatliche Maßnahme leichter fällt, andererseits aber auch nicht der Mühe wert erscheint, da es ja um nichts Großartiges geht. So oder so, der Weg des geringsten Widerstandes ist naturgemäß der am meisten beschrittene, wen wundert's? Immerhin haben uns die Kirchen bei der Einführung der Rechtschreibreform das Glockenläuten erspart.

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Walter Lachenmann


eingetragen von Walter Lachenmann am 23.04.2002 um 16.08

Einerseits gibt es die Wahrheit, andererseits gibt es den Konsens darüber, daß man so tut, als gebe es sie nicht. Dem einzelnen verursacht das ein gewisses Unbehagen, aber noch unbehaglicher wird ihm bei der Vorstellung, er müßte den Gruppenkonsens öffentlich aufkündigen.

Bei unserem Thema kommt erschwerend hinzu, daß die meisten Leute es für ziemlich unbedeutend halten, sie sich auch nicht für kompetent erachten, darüber wirklich zu urteilen. Die Ablehnung ist weitgehend eine gefühlsmäßige, das geht aus vielen Meinungsäußerungen hervor: Für mich ist das nichts, aber die Kinder werden damit schon leben.

Ich kenne mehrere Firmen und kulturelle Institutionen, mit deren Leitern man in völliger Übereinstimmung über den Unfug der Reform lästern kann - deren Schriftstücke aber nichtsdestoweniger in reformierter Orthographie erscheinen. Das ist, soweit ich sehe, keine Feigheit oder übertriebener Untertanengeist, sondern die reine Bequemlichkeit. Diese Leute müßten aktiv werden, eine anderweitig getroffene Entscheidung, an der sie selbst vielleicht gar nicht beteiligt waren und die ihnen von minderer Wichtigkeit erscheint, aktiv rückgängig machen und dies begründen. Dazu sehen sich viele einerseits nicht in der Lage, denn es reicht ja nicht, die Reformorthographie nicht zu mögen, sondern für eine Rücknahme solcher Grundsatzentscheidungen in größeren Organisationen muß ein Entscheidungsprozeß neu angeleiert und die Absicht substantiell begründet werden. Wer ist aber in diesem Gebiet schon so sattelfest, daß er die interne Rücknahme wirklich überzeugend begründen könnte? So scheint vielen, die die Reformorthographie gefühlsmäßig ablehnen, der Diskussionsaufwand für eine Rückgängigmachung einer solchen Anweisung nicht gerechtfertigt, und man läßt die Sache laufen.
Das Problem ist eben, daß es in den Augen vieler Leute kein »wichtiges« Problem ist. Da ist es denn auch problematisch, von Herdenmentalität, Duckmäusertum usw. zu reden. Mir ist es zum Beispiel völlig egal, ob man zum Salat diesen oder jenen Essig nimmt, obwohl für Experten dies einen riesigen Unterschied machen mag. Den einen mag ich zwar lieber, aber wenn man den andern nimmt, kann ich den Salat auch essen. Für den besseren Essig würde ich keinen bekennerischen Aufwand treiben wollen. So erleben viele Leute das Problem mit der Rechtschreibung.


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Walter Lachenmann


eingetragen von Theodor Ickler am 18.04.2002 um 13.01

Aus der E-Mail eines sehr namhaften Schriftstellers und Journalisten:

"... schönsten Dank dafür, daß Sie bei der Aussendung Ihres Kommentars zum dritten Bericht der Rechtschreibkommission an mich gedacht haben. Ich kenne bereits alle Ihre in der jüngeren Vergangenheit in der FAZ gedruckten Beiträge zum Thema, denen ich in allen Punkten enthusiastisch zustimme.
Leider gibt es immer noch Idioten genug, die uns daran hindern möchten, einen klaren Blick auf unsere Schreibung, und erst recht auf unsere schöne Sprache selbst zu richten.
Ich wäre dankbar, wenn Sie mich auch bei künftigen Gelegenheiten berücksichtigen würden.
Mit den besten Grüßen
..."

(18.4.2002)
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Th. Ickler


eingetragen von Elke Philburn am 17.04.2002 um 19.04

Zitat:
Genauer als Frau Ludwig kann man es nicht formulieren.

*mich anschließ*


eingetragen von Theodor Ickler am 17.04.2002 um 13.43

Genauer als Frau Ludwig kann man es nicht formulieren. Mit dieser Erfahrung leben wir nun schon seit Jahren. Wenn ich mit Lehrern zusammen Staatsexamen abnehme, sprechen sie mich unweigerlich an und verdammen die RSR; und zwar ausnahmslos. Trotzdem können die Mannheimer unwidersprochen behaupten, an den Schulen laufe alles problemlos usw. Mit der "Schweigespirale", soweit ich mich an das Buch erinnere, ist wohl einiges zu erklären.
Mit der wohlgeplanten Überrumpelungstaktik ist etwas in die Welt gesetzt, was sich - wenigstens in Deutschland - kaum noch stoppen läßt. Und wenn erst einmal sehr viele sich durch Mitmachen oder Dulden kompromittiert haben, wäre ein offenes Eingeständnis des Irrtums wohl noch peinlicher als das gegenwärtige "Augen zu und durch!".
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Th. Ickler


eingetragen von Claudia Ludwig am 17.04.2002 um 12.47

Sehr geehrter Herr Metes,

zu Ihrem Thema gibt es noch ein anderes interessantes Buch, das ich zur Zeit für mich entdecke:
Elisabeth Noelle-Neumann: "Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung - unsere soziale Haut", Langen Müller Verlag (übrigens auch in neuester Auflage in klassischer Rechtschreibung!)

Meine Erfahrungen zum Thema "Rechtschreibreform" sind unglaublich: hinter vorgehaltener Hand geben mir alle recht, vom CDU-Mitglied, über den Unternehmensvorsitzenden, die Sekretärin, den Bankangestellten, das FDP-Mitglied bis hin zum SPD-Bürgerschaftsabgeordneten. Niemand aber ist bereit, seine Meinung öffentlich und laut zu verkünden. Was um Himmels willen ist hier los?
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Claudia Ludwig


eingetragen von Norbert Schäbler am 15.04.2002 um 20.08

Ihr Einspruch, lieber Herr Lindenthal, ist rechtens.
Meiner auch.

Ich lege Wert darauf, daß im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform eine Überparteilichkeit gesichert ist. Die war schon einmal: Lüft (PDS), Hafner (Grüne), Bastian (CDU), Geis (CSU), Westerwelle (FDP) – wenn ich jemanden vergessen haben sollte, bitte ich um Entschuldigung.

Gegen verdeckte Schleichwerbung – auch ich habe sie oben praktiziert – trete ich an. Es darf keine Meinungsführerschaft geben auf diesem sachlichen Gebiet - ebensowenig darf es zu Nachlässigkeiten kommen - und deswegen nenne ich im nachhinein auch die Republikaner des Landtages in Baden-Württemberg; die SPD lasse ich weg. Die haben Sie über Gebühr in anderem Zusammenhang hervorgehoben.

Es geht bei der Rechtschreibreform um ein Sachthema, und ich bitte darum, dieses Thema von sämtlicher Ideologie freizuhalten.
Liebe zur Sprache ist keine Ideologie!

Wenden wir uns doch lieber den wertfreien Äußerungen von Herrn Metes zu!
Ich denke, die Buchempfehlung hat was.


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nos


eingetragen von Detlef Lindenthal am 13.04.2002 um 15.49

Lieber Herr Schäbler,

dagegen, daß Sie Vorwärts, Stürmer und Prawda in einem Atemzug nennen, lege ich Einspruch ein; denn immerhin hat die SPD, soviel ich weiß, keine Sammel- oder Vernichtungslager angelegt und hat deutlich weniger Zeitungen verbieten lassen.

>>Mir scheint es fast so ... als wollten Sie auf etwas Größeres hinaus – eine Bewegung!<<

Eine Bewegung, eine Volksinitiative, die hatten wir mal: vom 15.12.1996 bis zum 27.9.1998. Ansonsten ging es mir nicht darum, auszudrücken, auf was ich hinauswill, sondern ich wollte für Gruppendynamik geeignete Mittel vorschlagen. Doch, ich will auf etwas hinaus: auf Pressefreiheit ... cetero censeo ...
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Jörg Metes am 13.04.2002 um 15.26

Das Phänomen, um das es mir ging, war dieses:

Jürgen Schrempp schreibt einen Text für den eigenen Gebrauch. Er schreibt ihn in herkömmlicher Rechtschreibung. Texte in herkömmlicher Rechtschreibung lesen sich für ihn besser.

Jürgen Schrempp schreibt einen Text für andere. Jürgen Schrempp weiß (oder könnte es sich nach kurzer Überlegung bewußt machen): Auch für die anderen lesen sich Texte in herkömmlicher Rechtschreibung besser. Aber diesen Text für die anderen: Den schreibt er in Reformschreibung.

Und die anderen machen es genauso.

Das ist - um es noch einmal zu sagen - das, was die Soziologen Präferenzverfälschung nennen. Einerseits gibt es die Wahrheit, andererseits gibt es den Konsens darüber, daß man so tut, als gebe es sie nicht. Dem einzelnen verursacht das ein gewisses Unbehagen, aber noch unbehaglicher wird ihm bei der Vorstellung, er müßte den Gruppenkonsens öffentlich aufkündigen.

Bei Timur Kuran (in dem genannten Buch: "Private Truths, Public Lies" / "Leben in Lüge") geht es darum, wie es zu Präferenzverfälschungen kommt, wie sie sich entwickeln, welche Folgen sie haben.

Präferenzverfälschungen sind Zugeständnisse, die die Mehrheit einer Minderheit macht, damit die Minderheit endlich Ruhe gibt. Die Minderheit hat eine fixe Idee, die Mehrheit gibt irgendwann nach. Hat sie schließlich nachgegeben, kann die Mehrheit die gemachten Zugeständnisse im Lauf der Zeit verinnerlichen und irgendwann als natürlich empfinden, oder sie kann sie, weil sie sich nicht an sie gewöhnen kann, am Ende wieder zurücknehmen. Es gibt Muster, nach denen solche Prozesse verlaufen, und wer sich (wie ich) in die Betrachtung solcher Muster gerne versenkt, der findet sie in Kurans Buch gut dargestellt.

- Direkte Handlungsanleitungen, lieber Herr Schäbler, finden sich keine. Aber es wird immerhin klar, daß man auch als einzelner durchaus etwas ausrichten kann. Man kann es, indem man Leute, denen man ihr Unbehagen anmerkt, in diesem Unbehagen bestärkt. Worauf es ankommt, ist, ob dieses Unbehagen in der Gesellschaft insgesamt zunimmt, oder ob es sich legt. Worauf es ankommt, ist das Stirnrunzeln, mit dem die Leute im Reformduden blättern. Worauf es weniger ankommt, ist die persönliche Glaubwürdigkeit der Reformer. Der Duden selbst ist es, der unglaubwürdig werden muß. Das Stirnrunzeln der Leute muß zunehmen. Es muß so lange zunehmen, bis sie schließlich den Duden zuklappen und weglegen und einander kopfschüttelnd ansehen und fragen: "Wieso sollen wir daß eigentlich mit ss schreiben?"
– geändert durch Jörg Metes am 14.04.2002, 21.08 –
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Jörg Metes


eingetragen von Norbert Schäbler am 12.04.2002 um 11.34

Ich will jetzt den Faden nicht mit Pseudopsychologien und Wortspielen bereichern, zumal Bereitschaften und Erkenntnisse auch von anderen gezeigt und beigetragen werden müssen. Ich hielt lediglich die Einengung auf den Gedanken der Presse für verfrüht.

Einige meiner vorherigen Spitzen sind ja auch angekommen, z.B. die mit der „Prawda“.
Ich hätte ja auch „Vorwärts“ schreiben können – oder „der Stürmer“.

Das mit dem „schwarzen Schaf“ ist noch nicht so ganz durchgesackt. Das merke ich an der Rückmeldung.
Dazu die Entgegnung: „Schwarze Schafe halten sich niemals in der Mitte auf, zumindest dann nicht, wenn sie im Umfeld eine erschreckende Minderheit darstellen. Wie sollte denn ein solch ärmliches Tierchen aus dem Kessel entfliehen können?
Sie wissen doch: Schwarze Schafe sind meist klüger als ihre weißen Artgenossen. Sie haben lediglich eine andere Farbe, und/aber gerade aufgrund von Gruppenmechanismen wittern sie Gefahren viel leichter und positionieren sich von Haus aus schon dort, wo sie einen großen Überblick haben."

Auch das mit der Definition und dem „Sammelbecken“ kam nicht so rüber.
Sag ich halt - die Rückmeldung überspitzend - „Apartheididee“ dazu, personifiziere mein Bild mit Martin Luther King und formuliere überschwenglich („überschwänglich“): „I had a tream!“

Mir scheint es fast so, Herr Lindenthal, als würden Sie den Begriff der Gruppe als zu eng gefaßt deuten, als wollten Sie auf etwas Größeres hinaus - eine Bewegung! …

Mir selbst reicht zunächst der Begriff Gruppe. In der Soziologie spricht man von „Gruppe“ erst dann, wenn Sie klare Erkennungs- und Abgrenzungsmerkmale hat. Ansonsten könnte man sie ja gar nicht vom übrigen „Nichts“ unterscheiden …

Wenn ich den Faden „Gruppendynamik und Rechtschreibreform“ richtig verstehe, dann ist dieses Thema doch offensichtlich eine Chance, präzise Untersuchungen anzustellen z.B. darüber, was das Profil der Reformbefürworter und andererseits der Reformkritiker ausmacht.

Dazu meine Beobachtungen: Mir drängt sich der Verdacht auf, daß den Reformkritikern der Einsatz für gelebte, streitbare Demokratie in größerem Maße anhaftet als der Gegengruppe, und das hinwiederum macht die Sache äußerst brisant. Da steckt nämlich tatsächlich ein „bewegender“ Gedanke drin.

Diesmal allerdings sollte man vorher wissen, wohin der Zug fährt, wenn er sich in "Bewegung" setzt; schließlich war da doch schon mal was in der deutschen Geschichte – Volkssturm, Volksbewegung und so. Das war damals ein Zug voller weißer Schafe, die nichts wußten, aber alles taten zur Reinerhaltung ihrer Rasse.

Und deshalb plädiere ich für Aufklärung, plädiere dafür, daß Professoren an der Meinungsbildung teilnehmen.
Man muß wissen, was man tut! Erst das Wissen bringt die Verantwortung ins Spiel.

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nos


eingetragen von Detlef Lindenthal am 12.04.2002 um 08.46

„Sammelbecken“? Igittigitt!
„Pferch“? Welch garstig Wort!
„Sich als Gruppe abgrenzen?“ Das würde die Erkenntnis behindern.

„ ... doch scheint es mir zu früh, jetzt schon die Trommel zu rühren, Marschrichtungen vorzugeben und in einer Art »Prawda« Parolen auszuarbeiten.“

Hm. Ich meine, daß auch später es unter freien Menschen nicht richtig ist, Marschrichtungen vorzugeben. Das Fremdwort Prawda verkörpert idealistische Wahrheit in Reinkultur: „»Wahr« ist, was meiner Sache nützt.“. Statt „Prawda“ wünsche ich mir aufgeklärte und aufklärende Wahrheit, und die ist ein wissenschaftlicher Vorgang.

Jedes Schäflein, ob schwarz oder weiß, hat seinen bevorzugtes Zockeltempo. Doch meine ich, daß auch schwarze Schäflein nicht nur aus der Herdenmitte heraus blöken, sondern sich ruhig weiter nach außen drängeln sollten, wo der Wind schärfer weht, wo die Luft frisch ist und wo man leichter mal gebissen wird. Andererseits hat man dort einen deutlich besseren Überblick als in der Herdenmitte, wo zwar der Mief stimmt, aber man vorwiegend das schmutzverkrustete Hinterteil das Vordermannes sieht.
– Gegenüber unseren Professoren sollte die Berechtigung eines Vertrauensvorschusses von Fall zu Fall geprüft werden; mindestens in Sachen Rechtschreibung fällt die Statistik deutlich zu ungunsten unserer Professorenschaft aus; und sehen die anderen Gesellschaftsbereiche um so vieles besser aus?

Eine Zeitung ist kein Schafspferch. Sie können fast zum Preise null mit etwas Arbeit eine eigene Netzzeitung aufmachen, und dann bestimmen Sie selbst, wiewenig Pferch es gibt. Und dort können Sie dann wunderbar um die Professorenschaft werben.
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Norbert Schäbler am 12.04.2002 um 07.26

Sicherlich ist es richtig und wichtig über ein Sammelbecken nachzudenken, sich als Gruppe abzugrenzen – d.h. die eigenen Gemeinsamkeiten und auch die Unterschiede gegenüber anderen Vereinigungen zu definieren – doch scheint es mir zu früh, jetzt schon die Trommel zu rühren, Marschrichtungen vorzugeben und in einer Art „Prawda“ Parolen auszuarbeiten. Die Rollendefinition einer Gruppe ist vorrangig.

Gedanken über den Aufbau einer Zeitung sollten ggf. in einen eigenen Strang hinüberwechseln, der recht prall werden könnte, weil ja nicht nur der Inhalt jenes zu schaffenden Blattes festzulegen wäre, sondern auch Finanzen und Vertrieb bedacht werden müßten.

Im übrigen geht bei mir immer die rote Lampe an, wenn jemand anderes für mich einen Schafspferch aufmachen will, denn ich bin ein schwarzes Schaf. In jedem Pferch habe ich so meine Schwierigkeiten, weil die Umzäunung meine Chance zur Flucht versperrt. Schwarze Schafe müssen nämlich viel häufiger fliehen als die weißen.

Mir geht das alles zu schnell. Leute kennenlernen, Systeme studieren, Dimensionen ausmachen, Fehlfunktionen analysieren, Lehren ziehen, handeln. Das scheint mir der richtige Weg.
Gespannt warte ich deshalb auf weitere Erkenntnisse, die uns Herr Metes offerieren wird (auf der Grundlage seiner Buchempfehlung).
Und ich erinnere nochmals daran: Es wäre wunderbar, wenn Professoren der Geisteswissenschaften zu unserem Diskussionskreis hinzukämen.

Könnte man da nicht ein bißchen werben?
Könnte man nicht einige Professoren über eine Internetadreßliste zum Mitmachen animieren?

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nos


eingetragen von Detlef Lindenthal am 11.04.2002 um 19.08

Unhappy

... da habe ich mal wieder mißverständlich geschrieben und bin mißverstanden worden.

Mit der Voraussetzung, daß man ein bestimmtes Weltbild hat (z.B. „Dem Wahren, Schönen, Guten“, wie es auf der großen, verschüchtert zwischen die zehmal höheren Banken-Türme eingeklemmten Frankfurter Neuen Oper steht; oder „Für den Tierschutz“ oder „Für Ruhm und Ehre von { ... }“ oder ...), ist es günstig, wenn man Medien hat, die einen dieses Weltbild mit anderen teilen lassen.

Die Wertekategorie(n) einer Gesellschaft ist/sind ein wichtiger Fragenkreis. (Wenn wir einfach voraussetzen, daß nicht gelogen werden dürfe, erleiden wir leicht Schiffbruch.)

Weil Journalisten, wie Sie schreiben, keine Pippifaxstories wollen und recht eigensinnig und unbelehrbar sind und möglicherweise ja auch Vorschriften haben, was denn Pippifax sei, deshalb meine ich, daß es günstig ist, wenn man (selbst!) Medien hat.

Mit der Idee: „Wenden Sie sich vertrauensvoll an die Presse!“ liegen wir richtig, wenn es die eigene Presse ist. Meine Jungs haben mit ihren Medien (Schule-im-Netz.de, Netzzeitung.de) werktäglich rund zehntausend Leser, also bitte, es geht doch. Sobald die Rechtschreibseiten (oder eine andere Zeitung, z.B. Freie-Nachrichten.de) besser geworden sind, können wir sie auf „Netzzeitung.de“ vorstellen; Voraussetzung: 3 lesbare Schlagzeilen täglich.
Und so war es von mir gemeint:
Eigene Medien sind ein wirksames Mittel für Gruppendynamik.


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Detlef Lindenthal


eingetragen von Norbert Schäbler am 11.04.2002 um 17.48

Lieber Herr Lindenthal!

Ich stelle Ihre handwerklichen Fähigkeiten nicht in Frage.
Was ich infragestelle, ist die Wertekategorie der Gesellschaft!
Es ist heute nichts Sensationelles mehr, wenn man jemanden, selbst einen ganz Großen, beim Lügen ertappt. Keinen Menschen der Presse hetzen Sie mehr auf die Fährte eines großen Lügners, wenn sie nur den Tatbestand einer einfachen Lüge vorweisen können. Da müssen Sie schon ein gesamtes Lügensystem, z.B. eine Parteispendenaffäre, voreruiert haben, möglichst die Kontoauszüge bereithalten, mit denen Sie den Betrug dokumentieren und vielleicht noch ein paar Fotos vom Inhalt Schwarzer Koffer beifügen.
Sie werden keinen Journalisten finden, der Ihnen eine Pippifaxstory abnimmt, zumal nicht auszuschließen ist, daß der Journalist selbst von der Lüge infiziert ist.

Ich will ja auch gar nicht den Saubermann spielen. Darum geht es nicht.
Ich möchte eine Handlungsdevise – eine Möglichkeit dafür, daß ich das innerliche Stillhalteabkommen einhalten kann – so etwas wie die Devise „passiver Widerstand“, irgendsoeinen Hoffnungsfunken, der meinen Glauben bestärkt, oder einen Knaller der meiner Widerspenstigkeit einen endgültigen Dämpfer versetzt.
Mit der Idee: „Wenden Sie sich vertrauensvoll an die Presse!“ können Sie mir vom Leib bleiben. Das ist Schnee von gestern.

– geändert durch Norbert Schäbler am 12.04.2002, 23.22 –
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nos


eingetragen von Detlef Lindenthal am 11.04.2002 um 16.38

Norbert Schäbler schrieb:
angenommen:
Der Lügner hätte mir
Seine Verdrehung der Wahrheit
Im stillen Kämmerlein
Eingestanden
Betriebe sie aber weiterhin
In der Öffentlichkeit!
                Was in aller Welt macht man dann?
... Gibt es dafür ... eine Handlungsanleitung? ...
... Gandhi ... Gruppendynamik


Da ich Handwerker bin, erlauben Sie mir bitte ein praxisnahe Antwort:
Medien sind ein wirksames Mittel für Gruppendynamik.
Als Nachrichtenmittel und gemeinsames Nervensystem sowie für Lock-, Warn- und Drohlaute und Herdenruf.
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Detlef Lindenthal


eingetragen von Norbert Schäbler am 11.04.2002 um 15.44

(Traumatisches)

Angenommen, ich ertappte den Lügner, jenen
warum auch immer
und wie auch immer
die Wahrheit falsch darstellenden
schuldfähigen
aber wegen mildernder Umstände
nicht schuldhaften Menschen
bei der Wahrheitsverdrehung … - ?

Nur angenommen,
ich hätte die Gelegenheit,
(was selten ist
und was man zu verhindern suchen wird)
der Wahrheit zu dienen.
Und die Machtverhältnisse
würden es ermöglichen,
nach meinem Einspruch
die Positionen zu verdrehen,
in mir den Sündenbock zu finden
und letztlich mich selbst abzustempeln
als Lügner?

Oder angenommen:
Der Lügner hätte mir
Seine Verdrehung der Wahrheit
Im stillen Kämmerlein
Eingestanden
Betriebe sie aber weiterhin
In der Öffentlichkeit!

Was in aller Welt macht man dann?

Lieber Herr Metes!
Gibt es dafür in Ihrem Buch eine Handlungsanleitung?
Oder müssen wir sie suchen beim großen indischen Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi?
Beispielhaft war dessen Gruppendynamik ja in jedem Fall!

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nos


eingetragen von Detlef Lindenthal am 10.04.2002 um 22.14

„Der Irrsinn ist bei einzelnen etwas Seltenes - aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.“
Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, § 156

„Der Parlamentarismus, das heißt die öffentliche Erlaubnis, zwischen fünf politischen Grundmeinungen wählen zu dürfen, schmeichelt sich bei jenen vielen ein, welche gerne selbständig und individuell scheinen und für ihre Meinungen kämpfen möchten. Zuletzt aber ist es gleichgültig, ob der Herde eine Meinung befohlen oder fünf Meinungen gestattet sind. – Wer von den fünf öffentlichen Meinungen abweicht und beiseite tritt, hat immer die ganze Herde gegen sich.“
Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, § 174

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Detlef Lindenthal


eingetragen von Michael Krutzke am 10.04.2002 um 16.44

Sie haben recht, Gruppendynamik spielt eine große Rolle. Anders läßt sich die Verbreitung des "Tipps", auf dessen reformierte Schreibweise von selbst kein Mensch gekommen wäre, gar nicht erklären.

Bei der Anwendung der Reformschreibung durch Unternehmen ist das ein wichtiger Faktor. "Weltanschauliche" Fragen (und als solche wird das Thema nicht selten gesehen) rührt man prinzipiell nicht an, die haben im geschäftlichen Bereich nichts zu suchen. Geht man "mit der Zeit", kann man nichts falsch machen; was falsch ist, bestimmt der (mögliche) Kunde. Die Handelskammern die ihren Zwangsmitgliedern ein entsprechendes Vorbild gaben und die Werbeagenturen haben einen großen Einfluß gehabt. Auch die Fachpresse – wie etwa die VDI-Nachrichten. (Zwar haben die später als andere umgestellt, aber sie taten es.)

Vor einiger Zeit habe ich mal ca. 50 Homepages von EDV-/IT-Systemhäusern auf ihre Orthographie hin angeschaut - vielleicht zwei schrieben herkömmlich, bei einigen anderen waren ältere Teile der Homepage herkömmlich, neuere hingegen "reformiert" - nach welchen Regeln auch immer. Auch da ist Gruppendynamik zu vermuten - man sieht sehr schnell, was Wettbewerber, Kunden, Lieferanten usw. machen.

Wie groß tatsächlich der Anteil derer ist, die privat die herkömmliche Schreibung bevorzugen bzw. praktizieren, vermag ich nicht einzuschätzen. Mein Eindruck ist, daß jetzt viele ob der überall zu beobachtenden Beliebigkeitsschreibung erleichtert sind. Was sie an der neuen Schreibung "komisch" finden, wiegt nicht so schwer im Vergleich zu den "Erleichterungen". Internet-Foren zeigen da so einiges (ich meine nicht den Internet-Jargon).

Eine spezielle Gruppe sind die Eltern schulpflichtiger Kinder, die sich schulterzuckend und vielleicht auch ein wenig widerstrebend umstellen, um den Sprößlingen helfen zu können und um ständige Diskussionen ("Papa, das heißt belämmert ...") zu vermeiden. Und die nicht in der Lage sind, beide Schreibungen parallel zu beherrschen. (Viele der eigentümergeführten KMUs - Kleine und Mittlere Unternehmen - gehören im übrigen "schulpflichtigen" Eltern, da ergeben sich ebenfalls Rückkopplungen aus dem Privaten ins Geschäftliche.)

Ob die Reformer so ausgekocht waren, all diese Verbreitungsmechanismen für die Durchsetzung ihres Werkes mit ins Kalkül zu ziehen, weiß ich nicht. Die zerstörerische Wirkung (Beliebigkeitsschreibung) aber funktioniert gerade durch die gruppen-/eigendynamischen Prozesse hervorragend.

Im übrigen finde ich die Sache mit den kleinen Lügen in diesem Zusammenhang interessant. Aus diesem Blickwinkel habe ich das Thema noch nicht betrachtet. Schreiben Sie doch mal mehr dazu.

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Michael Krutzke


eingetragen von Jörg Metes am 10.04.2002 um 14.08

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Michael Krutzke
Was Herrn Schrempp interessiert, sind Zahlen zu Absatz, Gewinn, Börsenwert usw.
Eben das wurde allerdings auf der Hauptversammlung - von durchaus zurechnungsfähigen Antragstellern, die es natürlich auch gab - angesichts des von Schrempp vorgelegten Jahresabschlusses ganz entschieden bezweifelt.

- Aber es stimmt schon: In Fragen der Rechtschreibung gibt es in Konzernen genau wie in staatlichen Verwaltungsapparaten Leute, an die man die Regelungsgewalt delegiert hat (mit den uns bekannten Folgen). Gleichwohl dürften in der DaimlerChrysler-Belegschaft unter denen, die zur Rechtschreibung überhaupt ein Verhältnis und eine Meinung haben, nicht anders als in der Bevölkerung insgesamt immer noch diejenigen überwiegen, denen privat nach wie vor die herkömmlichen Rechtschreibung lieber ist. Doch gleichzeitig sind sie der Meinung, daß diese ihre private Haltung sich als öffentliche Haltung nicht gehört oder eignet. Sie sind dieser Meinung bis hinauf zum Vorstandsvorsitzenden Schrempp. Sie empfinden irgendwo ein leichtes oder auch schwereres Unbehagen, doch dieses Unbehagen ist bei den meisten nicht groß genug. Sie scheuen die Auseinandersetzung und schreiben 'dass' statt 'daß'.

Sie scheuen die Auseinandersetzung, weil sie soziale Wesen und auf Konsens angewiesen sind. Niemand von uns sagt nach jeder Mahlzeit, wie sie ihm wirklich geschmeckt hat. Niemand wünscht jedem, dem er einen guten Tag wünscht, wirklich einen guten Tag. Man kann nicht immer und überall wahrhaftig sein. Man kann es eigentlich nur in Ausnahmefällen.

Es sind hauptsächlich diese kleinen Lügen, die im englischen wie im deutschen Buchtitel gemeint sind. Und um es noch einmal zu sagen: Es geht nicht darum, den Menschen aus solchen Lügen einen Vorwurf zu machen. Es geht vielmehr u.a. darum, wie sich das Unbehagen im Inneren des (hier also: wertfrei gemeinten) Lügners entwickelt. Wenn es sich allmählich abbaut und verflüchtigt, wird aus der Lüge (wiederum wertfrei:) Wahrheit. Wenn es sich aufbaut und anstaut, und nicht nur bei einem einzelnen, sondern bei mehr und mehr Menschen, dann kann irgendwann die öffentliche Meinung ganz plötzlich kippen. Dann kommt irgendwann ein Punkt, an dem sie kippen kann, wenn nur ein kleines Kind den Finger ausstreckt und auf den Kaiser in seinen schönen neuen Kleidern zeigt und sagt: "Aber der Vorstandsvorsitzende ist ja nackt!"

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Jörg Metes


eingetragen von Michael Krutzke am 10.04.2002 um 11.21

Was Herrn Schrempp interessiert, sind Zahlen zu Absatz, Gewinn, Börsenwert usw. Die im Konzern verwendete Orthographie ist Teil der "Corporate Identity" mit sehr detaillierten Festlegungen, für die es entsprechende Verantwortlichkeiten gibt. "CI"-Verantwortliche arbeiten mit ihrer Kommunikations- bzw. Werbeagentur zusammen und folgen deren Ratschlägen. Und gerade die Agenturen haben sehr schnell auf Neuschrieb umgestellt - in Zusammenarbeit mit ihren Kunden. Wie es dabei mit dem "Ei-/Henne-Problem" aussieht, wer also verlangt oder empfohlen hat und wer dann wem gefolgt ist, dürfte kaum zu klären sein. Wenn Werber Neuschrieb verwenden oder empfehlen und ihrer damit verbundenen Botschaft einen Anstrich von modern und zeitgemäß geben, werden ihnen viele folgen (Gruppendynamik).

Und was Konzernlenker betrifft: Wenn wir ihnen beweisen können, daß ihr Unternehmenserfolg durch Verwendung der bewährten Rechtschreibung höher ist, wird etwas auszurichten sein - sonst leider nicht. Selbst wenn Herr Schrempp ein überzeugter Gegner der RSR wäre - Überzeugungen gehören nur insofern zu seinem Job, als sie nachweislich positive Auswirkungen für den Konzern haben. Ansonsten sind sie seine Privatsache, und entsprechende Gegensätze hat er auszuhalten gelernt - sonst wäre er nicht in dieser Position. (Das berührt dann auch die Frage der Moral und inwieweit Positionen und eigene Überzeugungen im Widerspruch stehen.)

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Michael Krutzke


eingetragen von Norbert Schäbler am 10.04.2002 um 10.58

Jörg Metes hat bei der Eröffnung seines Leitfadens auf das Buch des amerikanischen Ökonomen Timur Kuran (deutscher Titel: „Leben in Lüge“) verwiesen.

Nach meinem Empfinden reißen die Titelworte des Buches sehr wohl eine moralische Komponente an, doch glaube ich nicht, daß uns Jörg Metes mit seiner angekündigten Buchvorstellung darauf einschwören wird, die Verwerflichkeit der bösen Gesellschaft öffentlich zu geißeln und zu verhöhnen. Das geht aus seinem Folgebeitrag „Nein, nein“ hervor.

Auch ich möchte an dieser Stelle ein Buch empfehlen: Eugen Drewermann, Psychoanalyse und Moraltheologie, Bd. 1, „Angst und Schuld“.
Drewermann versucht, die sich im Menschen widerstreitenden Teilmächte - Gefühle, Gedanken, Verankerungen, Anlagen … - zu analysieren, um hiermit dem Individuum den Weg in die Autonomie bzw. Mündigkeit zu eröffnen. Drewermanns verständnisvolle und sanfte Töne klagen nicht an - zumindest keine Einzelfiguren - sondern die Instanzen, u.a. die christliche Apologetik.

Ein kurzer Auszug aus oben empfohlenem Band. Entnommen ist er dem ersten Kapitel dieses Buches, das den Untertitel „Das Tragische und das Christliche“ trägt.
Auf Seite 22 schreibt Drewermann: „Der Fall des Tragischen hingegen beruht nicht auf einem Konflikt zwischen dem Individuellen und dem Allgemeinen an sich,
sondern er basiert auf einer Spaltung des Allgemeinen im Individuum.
Tragisch ist nicht, daß das Individuum etwas anderes will oder seiner selbst wegen wollen muß als das Allgemeine,
tragisch ist, daß das Individuum den Forderungen des Allgemeinen entsprechen will, aber nicht kann, weil diese Forderungen selbst im Individuellen widersprüchlich werden.“
...
Herr Metes hat hier einen Strang aufgetan, der mich persönlich außerordentlich stark interessiert. Beitragen hierzu kann ich allerdings nur mit mehr oder weniger an den Haaren herbeigezogenen Fremdzitaten.
Es wäre enorm wichtig, Professoren (z.B. Harald Marx) für die Diskussion innerhalb dieses Forums zu gewinnen. Das würde die hiesigen Netzseiten und auch die Erkenntnisse enorm aufwerten.
Anfragen sollte man bei den Soziologen und Psychologen auf jeden Fall!


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nos


eingetragen von Jörg Metes am 10.04.2002 um 08.54

Ich will hier überhaupt nicht auf eine moralische Bewertung (Duckmäusertum etc.) hinaus. Und ich denke nicht, daß meine Beobachtung sich durch die Voreinstellung der DaimlerChrysler-Textverarbeitung erklären läßt. Die Beobachtung ist doch gerade: Der Vorstandsvorsitzende überläßt die Frage, welche Orthographie gewählt werden soll, eben nicht dem Textverarbeitungsprogramm. Die Texte für seinen persönlichen Gebrauch läßt sich der Vorstandsvorsitzende bewußt in herkömmlicher Rechtschreibung erfassen und ausdrucken, die Texte, die er anderen vorlegt (Geschäftsbericht), gibt er - wohl eher unbewußt - in Reformschreibung heraus. Das, was er für sich privat bevorzugt und für richtig hält, hält er im Umgang mit anderen für nicht statthaft. Die Soziologie nennt so etwas Präferenzverfälschung und bemüht sich, ohne irgendjemandem einen Vorwurf zu machen, einfach nur, sie als Phänomen zu beschreiben und zu verstehen.
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Jörg Metes


eingetragen von Theodor Ickler am 10.04.2002 um 08.51

Ich habe oft genug erlebt, wie die Gruppendynamik wirkt. In akademischen Gremien fügt man sich durchweg der politischen Korrrektheit, wenn es um Zugeständnisse an die feministische Sprachveränderung geht. Keiner der Anwesenden, nicht einmal die Frauenbeauftragte, findet das richtig, aber man macht trotzdem mit.
Gruppen wirken selten geistig anregend, meist verdummend (und moralisch depravierend, aber da ist ja bekannt):
"Jeder, sieht man ihn einzeln, ist leidlich klug und verständig;
sind sie in corpore, gleich wird euch ein Dummkopf daraus."

Ähnlich dürfte es bei der Anpassung der Rechtschreibung zugehen, ohne daß der einzelne immer gleich ein fieser Mensch sein müßte.
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Th. Ickler


eingetragen von Walter Lachenmann am 10.04.2002 um 08.20

Doch er denkt es sich nicht. Oder, noch schlimmer: Er denkt es sich zwar, aber er scheut sich, daraus die Konsequenz zu ziehen. Es ist, als wäre die herkömmliche Rechtschreibung irgendwie etwas Obszönes: Jeder will sie, jeder weiß vom anderen, daß der sie will, aber jeder hält es auch irgendwie für unschicklich, das zuzugeben.
[Jörg Metes]

Ich glaube, die erste Vermutung ist wirklichkeitsnäher: Er denkt es sich nicht. Die zweite Vermutung geht schon wieder in die Richtung: Am »dass« erkennt man jetzt den Schuft (oder Duckmäuser oder was auch immer). Es sind einfach entsetzlich viele Menschen völlig unsensibel im Hinblick auf die Orthographie, und das muß man nicht einmal zum Vorwurf machen. Es gibt reizende, sensible Menschen, die absolut unmusikalisch sind oder mit Kunst nichts anfangen können oder sich unmöglich anziehen usw.

»So ist das nun einmal«, hat irgendwo ein bedeutender Mann gesagt.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Karl Eichholz am 10.04.2002 um 07.42

Die Antwort lautet meiner Erkenntnis nach viel einfacher: die flächendeckende Versorgung mit den neuesten Errungenschaften aus dem Hause Microsoft führt schlicht dazu, daß die Voreinstellung „neue Rechtschreibung“ im Korrekturprogramm ebensowenig angetastet wird wie die vielen „annehmlichen Erleichterungen“ im eMail- und Brauserbereich, die dann zum Sicherheitsrisiko werden.

Microsoft müßte verpflichtet werden, den Nutzer den Schritt zur neuen Schreibe selber tun zu lassen oder aber mindestens bei erstmaligem Aufrufen vor die konkrete Entscheidung zu stellen: bewährte oder Reformschreibe?

Selbst bei meinen Kollegen, die von sich aus kaum auf Neuschrieb umstellen würden, darf das Heiligtum (Häkchen) „Neuschrieb“ nicht angetastet werden, denn Billi „hat sich ja was dabei gedacht“

Nur nicht aus der Reihe tanzen!

Diese durchgängig flächendeckende Versorgung mit einer Entscheidung, die keiner wirklich wünscht, führt dann natürlich in Konsequenz dazu, daß selbst Daimler-Chrysler, die sich ja an erwachsene Leute wenden, die schon schreiben können, sie mit Neuschrieb vergrault.

Wenn mir jemand etwas sehr nahe bringen möchte, tut er es am besten, indem er mit mir spricht wie meine Mutter.
Jeder Werbefachmann weiß das.

Diesem Phänomen der Zwiespältigkeit stehe ich mit großem Stirnrunzeln gegenüber.
Kann man die Auswirkung von Buchstaben auf dem Plakat etwa nicht mehr in Maß und Zahl erfassen? Oder wird selbst bei Daimler-Chrysler mittlerweile das „Abgedrehteste“ bevorzugt?


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mit herzlichen Grüßen
Karl Eichholz


eingetragen von Jörg Metes am 09.04.2002 um 22.17

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler (am 20.12.01, im Strang "Der Fetisch 'Norm'"):
Wie entstehen Bräuche?
Das ist das ganze Problem, d. h. es ist eigentlich gar keins. Der Rest interessiert die Soziologen.

Ich muß weit ausholen. Sehr weit.

Ich war heute (am 10.4.) auf der Hauptversammlung der DaimlerChrysler AG in der Messe Berlin. Ich war neun Stunden lang dort. Eine gute Stunde redete der Vorstandvorsitzende Jürgen Schrempp, alles in allem ca. 6 Stunden lang antworteten ihm gut 30 Aktionäre, und alles in allem ca 2 Stunden lang antworteten den Aktionären wiederum Schrempp und der Finanzvorstand Manfred Gentz. Die Moderation hatte der Aufsichtsratsvorsitzende Hilmar Kopper (Deutsche Bank).

10- bis 12 000 Aktionäre waren gekommen und hörten zu. Ich hätte die Gelegenheit nutzen und an den Vorstandsvorsitzenden auch meinerseits noch eine Anfrage richten können. Ich hätte ihn fragen können, warum das an die Aktionäre verteilte Informationsmaterial durchweg in Reformschreibung gehalten war, das Manuskript dagegen, von dem Schrempp selber seine Rede abgelesen hatte (es lagen später Kopien aus), in herkömmlicher. Einerseits wäre ich damit nicht einmal sonderlich aufgefallen. Von den gut 30 Aktionären redete bestimmt die Hälfte zu Themen, die mit dem Geschäftsbericht 2001 der DaimlerChrysler AG nichts zu tun hatten; das Spektrum der Aktionäre, die ans Mikrophon traten, reichte vom heiligen Narren, der für den Weltfrieden betete, bis hin zum Neonazi, der offenbar eine Abrechnung mit dem "jüdischen Doppelagenten Gysi" vorbereitet hatte (die vorzutragen ihm Hilmar Kopper dann allerdings verbat). Andererseits hätte ich unserer Sache damit wohl nichts Gutes getan. Die Mienen, mit denen Jürgen Schrempp und seine Vorstandskollegen sich schon all diese anderen Anfragen anhörten, waren säuerlich genug. Ich denke, es ist besser, ich schreibe ihm.

- Aber (und hiermit bin ich am Ende meiner Ausholung) ist es nicht ein Phänomen? Für sich persönlich bevorzugt Jürgen Schrempp die herkömmliche Rechtschreibung. Es wäre für ihn ein Leichtes, von sich auf andere zu schließen. Er könnte sich mit Leichtigkeit denken: So, wie ich meine Redemanuskripte lieber in herkömmlicher Rechtschreibung habe, so hätten natürlich auch meine Aktionäre die Geschäftsberichte lieber in herkömmlicher. Doch er denkt es sich nicht. Oder, noch schlimmer: Er denkt es sich zwar, aber er scheut sich, daraus die Konsequenz zu ziehen. Es ist, als wäre die herkömmliche Rechtschreibung irgendwie etwas Obszönes: Jeder will sie, jeder weiß vom anderen, daß der sie will, aber jeder hält es auch irgendwie für unschicklich, das zuzugeben.

Daß Schrempps Redemanuskript in der herkömmlichen Orthographie vervielfältigt und verbreitet wurde, geschah vermutlich nur aus Unachtsamkeit. Hätte man Schrempp vorher ausdrücklich darauf angesprochen, hätte er gewiß angeordnet, auch dieses Manuskript noch in die Reformschreibung zu transponieren. Aber warum?

Wir kommen nicht umhin, zur Erklärung dieses Phänomens auch die Psychologie und die Soziologie zu bemühen.

Ich selber suche die Antwort auf diese Frage gerade in dem Buch "Private Truths, Public Lies" des amerikanischen Ökonomen Timur Kuran. Auf deutsch ist es erschienen unter dem Titel "Leben in Lüge. Präferenzverfälschungen und ihre gesellschaftlichen Folgen" (Mohr Verlag; herkömmliche Rechtschreibung). Es ist ein nicht ganz dünnes Buch, und ich glaube kaum, daß ich es schaffen werde, den Inhalt in einem Forumsbeitrag zusammenzufassen. Denjenigen, die sich speziell für diesen Aspekt der Rechtschreibreform interessieren, sei es hiermit aber sehr empfohlen.
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Jörg Metes


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