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-- Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=384)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.08.2016 um 04.16

Deutsche Sprache kann von Einwanderung profitieren
Die deutsche Sprache kann nach Einschätzung des Philologen Roland Kaehlbrandt von der aktuellen Einwanderung profitieren.


... Die Hoffnung sei berechtigt, „das gerade angesichts der neuen Einwanderung die Bedeutung der deutschen Sprache wieder deutlicher erkannt wird – einfach weil die Wirklichkeit dazu zwingt“, schreibt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Polytechnische Gesellschaft und Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Womöglich liege die Zukunft des Deutschen „auch in den Händen derer, die von außen zu uns kommen, um in unserem Land eine neue Heimat zu finden – und die das Deutsche später einmal als Sprache ihrer neugewonnenen Sicherheit und Freiheit zu schätzen wissen“...

Wichtig, um die deutsche Sprache zu bewahren und zu kräftigen, sei unter anderem ein sprachsensibler Unterricht an Schulen. So sollten etwa alle Lehrkräfte in das Fach Deutsch eingeführt werden. Anders könne „eine wirkungsvolle Sprachbildung angesichts der starken Zuwanderung nicht geleistet werden“, betonte Kaehlbrandt. Sinnvoll seien zudem „Übungen in Grammatik, Wortschatz und Rechtschreibung“ bis in die Oberstufe hinein.

swp.de 2.8.2016

Der multibetriebsame Herr Kaehlbrandt wirkte in der kritischen Phase der Durchsetzung der Rechtschreib„reform“ von 1993 bis 1999 im „Geschäftsleitungskreis“ der Bertelsmann-Stiftung. „Die operative Stiftungsarbeit, verbunden mit aktiver Kommunikation, prägte ihn“ (Wiki). Von daher ist sein beredtes Schweigen zu diesem Kulturschurkenstück verständlich. Seine gutmenschliche Einschätzung der Ein- und Unterwanderung liegt auch ganz auf der Linie der Stiftung. Wo das hinführt, kann gebietsweise schon in deutschen Städten beobachtet werden.

Nachtrag: Kaehlbrandts FAZ-Artikel ist hier zu finden.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 22.11.2015 um 15.15

Friedrich Dieckmann
Die Diktatur des Gelbdrucks
Orthographische Praxiserfahrungen


Der Umgang von Verlagen, Lektoraten, Redaktionen mit der deutschen Rechtschreibung hält für den einzelnen Autor Erfahrungen bereit, die der Vorstellung spotten, mit der zweiten Stufe der Rechtschreibreform sei auf dem Feld der umstrittenen Fälle ein Maß an Freiheit gewonnen worden. Die in den Nachschlagwerken (Duden, Wahrig u. a.) seit dem Jahr 2006 verzeichneten Varianten werden von Verlagen und Redaktionen häufig nicht anerkannt; manche von ihnen haben sich eine eigene, hausgemachte Rechtschreibung zurechtgelegt, die sie gegenüber den Autoren autoritativ durchzusetzen versuchen. Andere setzen ohne weiteres auf die vom Dudenverlag durch grellen Rot+Gelbdruck hervorgehobene Primärstufe jener unseligen Reform, die uns um eine einheitliche Rechtschreibung gebracht hat; sie soll durch diesen optischen Terrorismus erzwungen werden.

Ich spreche aus jüngster Erfahrung, die in einem langen Telefonat mit dem Chef eines auf soziologisch-politologische Themen orientierten Verlagshauses kulminierte, dessen Korrektoren und Lektoren mir nicht hatten erlauben wollen, „tiefgreifend“ (in „tiefgreifende Erfahrungen“) und „nichtrussisch“ (in „nichtrussische Gebiete“) zusammenzuschreiben. Aus „seit langem“ war „seit Langem“, aus „ohne weiteres“ war „ohne Weiteres“ und aus „1860er Jahre“ waren „1860er-Jahre“, also ein ganz neues Wort, geworden. Die Berufung darauf, daß meine Schreibweisen von Duden und Wahrig zugelassen seien, ließ man nicht gelten; der Verlagsleiter verfocht seine Entscheidung, in den Büchern des Verlags eine einheitliche Rechtschreibung nach dem Maß der im Duden in aggressivem Gelb+Rot, bei Wahrig in mildem Blau ausgezeichneten ersten Stufe der Rechtschreibreform zu praktizieren.

Diese Hervorhebung von Schreibweisen, denen durch eine (auch und besonders von den Vertretern der Deutschen Akademie) schwer erkämpfte Reform der Reform gleichberechtigte Varianten an die Seite gestellt wurden, konnte für ein unzulässiges Unterlaufen der vollzogenen Variantenöffnung gelten. Vor allem der Duden-Verlag machte sich zum Instrument der Normierungsbedürfnisse einer Lehrerschaft, die die einzige mit der deutschen Sprache befaßte Berufsgruppe gewesen war, die bei der übers Knie gebrochenen Reform der neunziger Jahre beratend hatte mitwirken dürfen; Autoren, Redaktionen und Verlage waren von dieser Mitwirkung bekanntlich ausgeschlossen worden. Die 2006 vollzogene zweite Reformstufe erweckte Hoffnungen darauf, daß mit ihr eine wirkliche Freigabe auf dem Gebiet vollzogener Einseitigkeiten und Fehlnormierungen eintrete; dem steht das Normierungsbedürfnis nicht nur der Pädagogik, sondern auch von Verlagen entgegen, die von der Furcht getrieben werden, daß orthographisch ununterrichtete Leser/Rezensenten das Vorkommen von Varianten innerhalb eines Buches für einen Ausdruck von Nachlässigkeit halten. So jedenfalls argumentierte der betreffende Verlagschef, der sich, was die von mir gewählten Schreibweisen anbetraf, durchaus auf meine Seite stellte. Sein Versuch, sie mir auszureden, argumentierte allein mit der Voraussetzung eines „dummen Lesers“, der von der Varianten-Zulassung nichts weiß und ihre In-Anspruch-Nahme darum für einen Fehler hält.

So dient das Auszeichungsunwesen der Nachschlagwerke, das zweifellos auch in zahlreiche Computer-Rechtschreibprogramme eingegangen ist, vielen Verlagen und Redaktionen dazu, die aus zwingenden Gründen wieder zugelassenen Schreibweisen durch eigenen Machtspruch zu unterdrücken; sie blockieren damit eine freie Entwicklung der deutschen Rechtschreibung. Dummheit siegt, wäre die kürzeste Formel für die von leichtfertig-machtberauschten Linguisten Anfang der neunziger Jahre eingeleitete Fehlentwicklung, die auch der Geltung der deutschen Sprache im Ausland schweren Schaden zugefügt hat. Der einzelne Autor sieht sich, wenn er es mit autoritativ gesteuerten Redakteuren oder Redakteurinnen zu tun hat, vor die Alternative gestellt, in Fehlschreibungen wie „tief greifend“ einzuwilligen oder mit der Zurückziehung des Textes zu drohen. Daß mir dies in dem genannten Fall nach lebhafter Debatte erspart blieb, war erfreulich. Aber welch ein Mißverhältnis zwischen der dazu in mehreren Stufen brieflich wie mündlich aufgewandten Energie und dem Resultat, der Verlagseinwilligung in amtlich genehmigte Schreibweisen! Versteht sich: bei Suhrkamp/Insel oder bei Sinn und Form muß man solche Auseinandersetzungen nicht führen. Bei weniger erprobten Verlagen sollte man sich vertraglich bescheinigen lassen, die zugelassenen Varianten der amtlichen Rechtschreibung auch anwenden zu dürfen.

Friedrich Dieckmann, August 2015

deutscheakademie.de 2015


eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.12.2014 um 07.32

„Eigentlich habe ich mit der Rechtschreibreform abgeschlossen. Ich war nicht dafür. Aber ich war auch nicht so berserkerhaft blind dagegen wie einige, wie zum Beispiel – aber lassen wir das ... “
Deutsche Akademie u. Postscriptum („Gesinnungstäter Augst“)

(Dazu Theodor Icklers Kommentar bei Sprachforschung.org)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 25.07.2014 um 16.28

Bericht zur Lage der deutschen Sprache :
„Der Wortschatz ist umfangreich wie nie“

vom 25. Juli 2014 Aus der Redaktion des Flensburger Tageblatts

Heinrich Detering, Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung, spricht im Interview über den ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache und über unbegründete Ängste vor dem Sprachverfall.

[Bild] Lyriker Heinrich Detering. Foto: sh:z

Über den Zustand der deutschen Sprache wird seit jeher viel diskutiert – und auch gestritten. Grund genug für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache zu veröffentlichen. Der Literaturwissenschaftler und Autor Heinrich Detering spricht als Präsident der renommierten Akademie über die Ergebnisse des Berichts und über unbegründete Ängste vor dem Verfall der deutschen Sprache.

Herr Detering, die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat den ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache herausgegeben – das klingt wie ein medizinisches Dossier. Wie geht es dem Patienten denn?
Dieser Titel soll eher ein kleiner ironischer Verweis auf den Bericht zur Lage der Nation sein und kam in Zeiten zustande, als wegen der Debatte um die Rechtschreibreform eine allgemeine Panik herrschte, dass die deutsche Sprache vom Verfall bedroht ist.

Und, ist sie vom Verfall bedroht?
Nein. Ein Ziel des Berichts war es auch, erst einmal Ruhe und Sachlichkeit in die Debatte zurückzubringen. Und wir haben überraschende Ergebnisse erhalten. Zum Beispiel, dass gar nicht so viele Amerikanismen in die deutsche Sprache eingezogen sind, wie allgemein befürchtet. Das ist alles halb so schlimm. Es gibt also keinen Grund für Alarmismus, sondern Zuversicht in die starke Systemkraft der deutschen Sprache, deren Magen viel mehr verdauen kann, als man ihm zugetraut hat.

Wie war den Ihr subjektiver Eindruck, bevor Sie die Daten kannten?
Da ich in meinen eigenen Spracherfahrungen mitbekommen habe, wie viele Anglizismen, die uns aufgeregt haben, einfach sang- und klanglos wieder verschwunden sind, war ich schon immer skeptisch, ob dieser Pessimismus angebracht ist. Es gibt schließlich viele Beispiele, aus der Barockzeit, aus der Goethe-Zeit, aus dem 19. Jahrhundert, wie sprachliche Moden und sogenannte Überfremdungen kommen und wieder gehen.

Die Anglizismen sind ein sehr emotionales Thema, auch für Leser von Tageszeitungen und Magazinen. Ist der Einzug von ausländischen Begriffen ein natürlicher Prozess, den man zulassen sollte?
Das würde ich mit großer Entschiedenheit bejahen. Ich habe jüngst einen Essay des alten und weisen Siegfried Lenz gelesen, der sich mit der Sprachkritik des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann beschäftigt. Lenz hat ihn immer bewundert, aber Heinemann hat schon 1970 behauptet, dass die deutsche Sprache von Anglizismen überflutet werde und wir einen Wall dagegen aufschütten müssten.

Und Lenz will keinen Wall?
Lenz fragt zurecht: Warum denn? Die deutsche Sprache hat für neue Sachverhalte immer auch neue Ausdrücke übernommen. Selbst der hartnäckigste Verfechter einer Reinheit der deutschen Sprache würde doch auch Fenster sagen und nicht Windauge, obwohl das Wort fenestra eine Übernahme aus dem Lateinischen gewesen ist. Viele deutsche Wörter die wir für urdeutsch halten, sind Fremdwörter, deren Herkunft wir vergessen haben. Window kommt vom alten germanischen Wort, Windauge. Das gilt auch für so viele Ausdrücke aus der Popmusik, aus der Medienwelt, aus der Computersprache.

Gerade die Computersprache klingt mitunter wirklich furchtbar.
Aber auch da sieht man, dass die Sprachgemeinschaft viel klüger ist, als die Sprachkritiker meinen. Eine Zeit lang haben wir uns alle über das Wort downloaden aufgeregt. Was waren das für Debatten, auch in der Akademie. Inzwischen sagt das niemand mehr, man sagt herunterladen. Die deutsche Sprache hat eine Lehnübersetzung angefertigt. Ich sage bewusst die deutsche Sprache, denn es waren keine Akademie oder andere Institution, die das vorgeschrieben haben, es war einfach die Praxis des Sprachgebrauchs.

Wie kommt es zu solchen Veränderungen durch den Sprachgebrauch?
Solche Veränderungen folgen Regeln, die sich immer wieder beobachten lassen. Es ist charakteristisch, dass sich eine Sprachgemeinschaft eine Überflutung durch als fremd empfundene Begriffe gar nicht gefallen lässt.

Wer geht dabei voran? Sind das die Medien, die Schulen oder die Universitäten?
Nein, das ist die Gemeinschaft der Sprechenden. Unsere Wissenschaftler können diese Prozesse nachweisen, auch im täglichen Gebrauch von SMS-Nachrichten oder Emails.

Die SMS ist ein gutes Stichwort, es wird immer wieder beklagt, dass der Trend zur Verkürzung damit sehr gefördert wird. Verkümmert da ein wesentlicher Bereich der Kommunikation?
Ich würde sagen, im Allgemeinen regelt sich so etwas von selbst. In diesen Kurznachrichten zeigt sich viel mehr eine Fähigkeit zur Differenzierung zwischen verschiedenen Kommunikationssituationen. Das geht nicht konfliktfrei ab, ich will da nichts beschönigen. Es häufen sich Rechtschreibfehler und Rechtschreibnachlässigkeiten in anspruchsvollen Texten wie etwa Seminararbeiten an der Universität, denen man ansieht, dass sie aus dem täglichen Schreiben von Kurznachrichten erwachsen sind. Das sind Reibungsverluste, aber alles in allem haben die jungen Leute eine enorme Fähigkeit, zu unterscheiden, mit wem sie in welchem Medium und in welcher Situation kommunizieren. Die SMS-Welt hat ja auch eine große Kreativität freigesetzt.

Die deutsche Sprache wird also immer umfangreicher?
Da haben wir mit dem Sprachbericht zum ersten Mal einen handfesten Beweis: Der deutsche Wortschatz war noch nie so umfangreich wie heute. Das liegt nicht allein an der Zunahme von Fachvokabular, sondern auch an der Internationalisierung der Sprache. Und das sollte uns doch erstmal freuen, bevor wir immer gleich den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören.

Gibt es eigentlich ein Wort, das Sie aus der Sprache tilgen würden, wenn Sie könnten?
Ja, unbedingt. Beinhalten, zum Beispiel, das ist ein entsetzliches Bürokratiewort. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, wie hässlich dieses Wort ist, es wird vollkommen ersetzt durch enthalten oder umfassen. Außerdem lese ich da immer Bein halten.
shz 25.7.2014

Mein letztes häßliches Wort ist derzeit „Alleinstellungsmerkmal“.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.11.2011 um 10.47

In der FAZ v. 1.11.11 hat Jürgen Kaube die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung einer ironischen Kritik unterzogen. Der neue Präsident Heinrich Detering möchte, wie schon sein Vorgänger Klaus Reichert, staatliche Wohlgefälligkeit und Förderung erlangen – nicht zuletzt auch durch Abkehr vom Anti-Reform-Kurs des früheren Präsidenten Christian Meier. Fahrlässigerweise wurde dann Peter Eisenberg in den Rat für Rechtschreibung gelassen, wo er als Regeldichter das undichte Reformwerk notdürftig abdichten durfte. Darüber darf seit dem Kotau der FAZ 2007 jedoch nicht mehr gesprochen werden. Aber es gibt ja auch noch anderes:

Deutsche Akademie
Wir wären wichtig

Die Deutsche Akademie hat soeben eine selbstbeschreibende Denkschrift voller pathetischer Formulierungen an die obersten Verfassungsorgane gerichtet. Warum sagt sie nicht einfach, was sie vorhat?

Von Jürgen Kaube

Vereine motivieren, anders als Firmen oder Verwaltungen, die Organisationsmitglieder durch ihren Zweck. Was ist der Zweck der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung?

… Dass sie „allein schon“ durch die Vergabe von großen Preisen einen „erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Sprache genommen“ habe, könnte die Akademie einmal von unabhängigen Sprachwissenschaftlern prüfen lassen …

Dass sich die besten Autoren, wie hier geschehen, selbst als „die besten Autoren der Sprachgemeinschaft“ bezeichnen, ist ja verständlich. … Doch ihre Formulierung, die Akademie habe den Anspruch, „die deutsche Sprache und die deutsche Literatur insgesamt zu vertreten“, sei den Ohren gerade der besten Autoren zum Nochmalnachhören empfohlen…

Es droht keine Verfassungskrise, nicht einmal eine geistige oder sprachliche, wenn einer Akademie Geld fehlt. Eben das aber ist es: Es fehlt ihr Geld. Man kann alles, worum es ihr geht, darum auch weniger geschwollen formulieren. …
Das Problem der Akademie allerdings scheint zu sein, dass sie zusätzliche Mittel nur zu erwarten scheint, wenn sie nicht nur ein geselliges Beisammensein ist, sondern obige Sprüche klopft. … Solange sie nicht Leistungen vorweist, begleitet das Verlangen nach mehr Förderung der Verdacht, der Zweck des Vereins liege in der Bedeutungspflege und Selbstgeselligkeit seiner Mitglieder…

Besser wäre es, sie wiesen etwas vor, und man verhandelte dann. Die „Verantwortung für die Entwicklung der deutsche Sprache“ jedenfalls, von der die Akademie schreibt, sie dürfe aus ihr nicht mehr entlassen werden - herrlich, wenn Schriftsteller wie die Bundespräsidenten reden, denen sie gern unterstellt sein wollen -, lässt sich überall tragen. Auch in der Provinz …
faz.net 1.11.2011


Der neue Präsident der Akademie, Heinrich Detering, antwortete mit einem längeren Aufsatz in der FAZ v. 3.11.2011:

Die von Jürgen Kaube (F.A.Z. vom 1. November) behauptete Belanglosigkeit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung steht in einem schönen performativen Gegensatz zu der Aufmerksamkeit, die diese Zeitung ihr gewidmet hat. Gleichwohl gibt sie Anlass zu ein paar unvorgreiflichen Klärungen…

Ob sie [die Akademie] im Ernst Sprachpflege durch Preisvergabe betreiben wolle, fragt Kaube, ob sie also Paul Celan oder Peter Sloterdijk als „Vorbilder für den allgemeinen Sprachgebrauch" empfehle? Aber ja! Nur gewiss nicht als Norm - wie könnte eine Akademie überhaupt noch verbindliche Stilnormen aufstellen? - sondern als Beitrag zur sprachlichen Bewusstseinsbildung. Will man die altmodisch so genannte „Sprachpflege" nicht reduzieren auf Rechtschreibregeln (bei deren Klärung sich die Akademie im Übrigen sehr nützlich gemacht hat), dann gehört die begründete Wertung und Kanonisierung dessen, was als vorbildlich und maßgebend gelten soll, dazu…

Das heißt nichts anderes, als daß die reformunwilligen Akademie-Mitglieder jetzt stolz darauf sein sollen, daß Peter Eisenberg für sie die Brechreizwirkung der Kultur-Spalter-Rechtschreibung etwas vermindert hat. Von der Akademie ist also nicht mehr viel für die deutsche Schreibtradition zu erwarten.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.11.2011 um 17.07

Th. Ickler zitiert bei FDS aus der „Denkschrift“ 2011 der Akademie für Sprache und Dichtung:

„… Ein Fehler war zudem, dass den Frauen und Männern, die ihr Leben schreibend verbringen – den Schriftsstellern, Lyrikern, Übersetzern, Philosophen, Juristen und Historikern, den Journalisten und Essayisten – keine Stimme im Rat der Reformer zugestanden wurde. Das führte zu einem Widerstand gegen das Reformvorhaben, der politische Dimensionen annahm. Diesen Kulturbruch konnte die Deutsche Akademie durch ihre Mitwirkung am Rechtschreibkompromiss und ihre Teilnahme am Rat für deutsche Rechtschreibung wieder heilen."

(Der Abschnitt stammt zweifellos von Peter Eisenberg.)


So schnell geht das also, das Heilwerden, das sich Duden-Wermke nach der Reform der Reformen am 2.3.2006 im ZDF mit einem ähnlichen Wilhelm-Busch-Zitat noch wünschte:

Susanne Conrad, ZDF … wie ich das verstanden habe, kann jetzt jeder zum Teil das machen, was er für richtig hält, also eine einheitliche Reform ist das nicht oder eine Vereinheitlichung der deutschen Sprache … oder Rechtschreibung.

Wermke: Da würde ich doch mit Wilhelm Busch sagen „mit der Zeit wird alles heil“. Ich bin ganz fest davon überzeugt, äm daß sich in den nächsten Jahren … Jahrzehnten, ähm, die vielen Schreibvarianten, die uns die neue Rechtschreibung, jetzt die allerneueste Rechtschreibung beschert hat, auch im allgemeinen Schreibgebrauch wieder abgeschliffen werden ...
(ZDF Mittagsmagazin 2.3 2006)

Der „Rechtschreibkompromiss“ entspricht einem Deal mit Bankräubern, bei dem sie nur die Hälfte des geraubten Geldes zurückzugeben brauchen. So ähnlich hat es einmal Friedrich Denk formuliert.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 31.10.2011 um 17.39

Raus aus dem elitären Zirkel
Heinrich Detering über die Zukunft der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

Nach Ansicht ihres neuen Präsidenten Heinrich Detering soll sich die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Zukunft einem breiteren Publikum öffnen. Es sei "sehr schade", dass die Akademie in den vergangenen Jahren vor allem als Mitstreiterin in Fragen der Rechtschreibreform öffentlich wahrgenommen wurde, sagte Detering. "Das kann nicht alles sein."

Die Akademie werde sich zukünftig stärker mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigen. Die nächste Frühjahrstagung habe daher die "bedenklichen, beängstigenden Einschränkungen der Rede- und Meinungsfreiheit" zum Thema, "die in Europa an vielen Orten in jüngster Zeit zu beobachten sind", so Detering. Außerdem sollen nicht nur Dichter, Literaturwissenschaftler und Kritiker, sondern auch andere Fachleute wie Juristen, Naturwissenschaftler, Mediziner und Historiker in die Akademie aufgenommen werden und an der Sprachpflege mitwirken können.

Den Georg-Büchner-Preis, der dieses Wochenende von der Akademie vergeben wird, besitze laut Detering "eine sehr eigene Stellung und eine sehr eigene Würde". Diesen Ruf müsse sich die Akademie jedoch "immer wieder neu erarbeiten": "Ein Preis ist nicht deshalb bedeutend, weil er mal bedeutend war und dann immer wieder dafür gehalten worden ist."

Der 51 Jahre alte Literaturwissenschaftler, Essayist und Lyriker Heinrich Detering wurde am Freitag auf der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zum neuen Präsidenten gewählt. Er löst damit den 73-jährigen Klaus Reichert ab, der sich nach neun Jahren nicht mehr zur Wahl gestellt hat.

Deutschlandradio Kultur 29.10.2011

Detering hat mal gegen die Rechtschreibreform unterschrieben – mehr ist aber auch nicht von ihm zu erwarten.


eingetragen von Manfred Riebe am 26.10.2010 um 20.07

Es handelt sich um Beispiele der sog. Beliebigkeitsschreibung, für die ich im VRS-Forum einen eigenen Strang einrichtete:

* Beliebigkeitsschreibung
http://www.vrs-ev.de/forum/themaschau.php?t=105

Ich habe vor, daraus einen Artikel zu verfassen für mein

* NürnbergWiki
http://www.nuernbergwiki.de
das in Google auf Seite 1, Platz 3, steht und mit 470 Artikeln von der Nürnberger Zeitung bereits als Konkurrenz für das Franken-Wiki betrachtet wird.

Diesen Artikel werde ich, wenn ich etwas Zeit habe, in meiner MediaWiki-Werkstatt http://www.riebe.eu vorbereiten und ihn in das NürnbergWiki übertragen, wenn er präsentabel ist.

Noch ein Blick auf meine aus der Wikipedia in die PlusPedia gerettete und erst kürzlich dort von mir entdeckte Biographie:

* Manfred Riebe - PlusPedia
http://www.pluspedia.de/index.php/Manfred_Riebe
Seitdem muß meine Biographie wie im März 2005 in der Wikipedia vor Wikipedia-Löschvandalismus-Nomaden geschützt werden. Zwei Administratoren schützen in PlusPedia auch meine anderen Artikel.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.10.2010 um 19.20

Anläßlich der Verleihung des Büchner-Preises wurde man auf die Dankesreden der Preiträger aufmerksam. Die Rede Josef Winklers von 2008 ist ein Beispiel dafür, wie fähige Schriftsteller durch die „Reform“ zu Rechtschreibstümpern werden – von fremder oder eigener Hand. Sein Redetext reformiert nur „dass“, „sodaß“ schon nicht mehr, „muss…“, „Misst…“ und „wusst…“, „Flusskrebs“, aber „Flußauen“. Die meisten anderen Wörter erscheinen in klassischer Schreibweise:

… mit dem tief eingepreßten, goldenen Kreuz … den rauhen Kirchturm … mit spitzem Mund auf die Wange geküsst wurde, der von hübschen Weibern, wie es heißt, keine Unterschrift brauche, nur einen Kuß auf die Wange verlange. … In dieser Zeit – und ich komme zum Schluß -, … aber es werden diese guten, alten Zeiten auch nicht wiederkommen können, die mich veranlaßten in mein Tagebuch zu schreiben am Lido in Venedig, dass ich dann und wann richtig traurig bin, weil ich seit einiger Zeit keine Selbstmordgedanken mehr habe.

deutscheakademie.de

Reinhard Jirgls Text von 2010 ist dagegen ganz dem Korrektor ausgeliefert worden und eliminiert auch das „h“ in „rauh“, das in seinem Buch noch vorhanden ist und spaltet unnötig „so genannte“, die im Buch noch als „sogenannte“ heil sind.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.10.2008 um 06.10

Für ein Europa der Literaten
Die Akademie hat sich verändert

KLAUS REICHERT ist Lyriker, Übersetzer und emeritierter Anglistik-Professor. (Archivbild: dpa)

Klaus Reichert (70) ist seit sechs Jahren Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die am Mittwoch (29.) in Darmstadt ihre Herbsttagung eröffnet. Der Anglist, Übersetzer und Lyriker kandidiert bei der Mitgliederversammlung der Akademie für eine weitere dreijährige Amtszeit. […]

ECHO: Als Sie das Amt des Akademiepräsidenten antraten, war der Streit um die Rechtschreibreform in vollem Gange. Ist das heute ein erledigter Fall?

Reichert: In der Öffentlichkeit hat sich das wohl erledigt. Aber die Reform der Reform ist noch nicht vom Tisch. Es gibt verschiedene Dinge, die mit heißer Nadel genäht worden sind, zum Beispiel bei der Groß- und Kleinschreibung und den Trennungen. Wir sind im Rat für Rechtschreibung hinterher, dass diese Fragen geklärt werden. Wir müssen die Reform weiter rückbauen.
[…]

echo-online 29.10.2008
echo-online


eingetragen von Sigmar Salzburg am 09.05.2007 um 08.57

Sprachpfleger im Gartenreich

Klaus Reichert zur Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Wörlitz

Wörlitz/MZ. Unter dem Motto "Aufgeklärte Natur" veranstaltet die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtkunst von Mittwoch an bis Sonnabend ihre Frühjahrstagung in Wörlitz. Der Philologe Klaus Reichert führt als Präsident die Akademie, die die bedeutendsten deutschen Schriftsteller und Geisteswissenschaftler zu vereinen sucht. Mit Reichert sprach unser Redakteur Christian Eger.

Herr Reichert, die Akademie zieht es auf die mitteldeutsche Wiese, mitten hinein ins Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Warum?

Klaus Reichert: Wörlitz ist für uns einer der schönsten Orte Deutschlands überhaupt. Und es ist ein Ort, der im 18. Jahrhundert eine bedeutende, vom Fürsten Franz ausgeführte Alternative aufgezeigt hat zur Machtpolitik Friedrichs des Großen auf der einen und zur Prunkpolitik der sächsischen Könige auf der anderen Seite. Aber wir sind nicht nur antiquarisch interessiert, sondern wir versuchen, von Wörlitz aus auf ökologische Debatten hinzuführen.

Worin bestand die Alternative des franzischen Gartenreiches?

Reichert: Darin, auf herrschaftliche Prunkentfaltung zu verzichten und statt dessen einen "Garten für Menschen" zu schaffen.

Kann vom historischen Wörlitz etwas Vorbildhaftes in unsere Gegenwart hineinwirken?

Reichert: Ja, wenn man begreift, wie der Fürst die Verbindung von Schönem, einer darstellenden Natur sozusagen, mit dem Nützlichen gestaltete. Hier sind auch landwirtschaftliche Projekte verwirklicht worden, nach englischem Muster. Was Franz geschaffen hat, war der größte Garten Mitteleuropas.

Nun kann es ja heute nicht darum gehen, überall große Gärten zu schaffen. Oder etwa doch?

Reichert: Es muss darum gehen, den Landschaftsschutz zu sichern, was mehr wäre als ein Gartenreich. Es geht darum, eine Ehrfurcht vor der Natur zum Ausdruck zu bringen. Etwas, das dieser heillosen Zerstörung der Natur, wie wir sie allenthalben empfinden, entgegen wirken könnte. Dieser Fürst hat genau das geschafft. Er hat sich ausgeklinkt aus der preußischen Politik, was nicht so leicht war.

Der Schriftsteller Andreas Maier veröffentlichte vor zwei Jahren das Naturkundebuch "Bullau". Das Feuilleton erprobt sich immer mehr als kleiner Tierfreund. Erleben wir eine neue Spielart der engagierten Literatur?

Reichert: Ich glaube schon. Die Katastrophen, die auf uns zukommen, beschleunigen sich derart, dass es notwendig ist, umzudenken.

Was können Autoren leisten, das mehr wäre als Appell-Literatur?

Reichert: Wenig. Aber wir setzen darauf, dass auch unsere Stimmen gehört werden. Wir wollen uns nicht in den Elfenbeinturm zurückziehen. Damit stehen wir in einer wichtigen deutschen Tradition, die mit dem Fürsten Franz zu verbinden wäre, aber auch mit Goethe, Jean Paul und den Romantikern.

Wie steht es um den Zustand der deutschen Sprache, nachdem die Rechtschreibreform kein öffentliches politisches Thema mehr ist?

Reichert: Wir sind als Akademie daran interessiert, dass auch die letzten Torheiten der Rechtschreibreform ausgeglichen werden. Daran arbeiten wir hinter den Kulissen. Wir sind aber keine Katastrophengesellschaft, die ruft: Hilfe, die deutsche Sprache geht unter! Durch die Verenglischung oder das Türkdeutsch, das heute hineinkommt. Da sind wir gelassen. Die Sprache ist ein sehr lebendiges und widerstandsfähiges Instrument, das zu unterscheiden ist von dem zum Teil katastrophalen Sprachgebrauch. Die Sprache wird die Dinge, die sie gebrauchen kann, aufnehmen oder sie wird sie wieder abstoßen. Eine Sprache, die sich abschottet, die das Deutsche nur behüten will, wird irgendwann steril und stirbt ab.

Der Autor Bastian Sick füllt mit seinem Programm "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" ganze Sporthallen. Was ist da los?

Reichert: Die Menschen sind aufgewacht oder sensibilisiert für die Probleme der Sprache. Ob das auf diese so holzhammerhafte und sprachwissenschaftlich unzulängliche Weise richtig ist, glaube ich nicht. Wir müssen als Akademie versuchen, differenzierter und in Richtung einer Sprachkritik unseren Beitrag zu leisten.
In Köthen, unweit von Wörlitz, hatte von 1617 an die Fruchtbringende Gesellschaft ihren Sitz. Im Januar dieses Jahres erfolgte deren Neugründung. Ein Konkurrenzunternehmen?

Reichert: Nein. Das sind Leute, die das Deutsche unter eine Glasglocke stellen wollen. Die haben wenig Ahnung von der Lebendigkeit einer Sprache, die für sich selber sorgt. Andererseits muss man sagen, dass es nicht ausreicht, von den Einwanderern zu verlangen, anständiges Deutsch zu lernen. Wir müssen es selber von unseren deutschen Kindern und Schülern verlangen. Das ist eine Aufgabe, die sich an die gesamte Gesellschaft richtet. Ich bin so altmodisch zu sagen: Man muss wieder von den Kindern verlangen, dass sie Gedichte auswendig lernen.

[Bild]
Geboren 1938, studierte Klaus Reichert Philosophie und Philologie. Lektor in den Verlagen Insel und Suhrkamp, von 1975 bis 2003 Professor für Anglistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Seit 2002 Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Reichert lebt in Frankfurt. Die Akademie für Sprache und Dichtkunst wurde 1949 in Darmstadt zur Pflege und Vermittlung der deutschen Sprache und Literatur gegründet. Sie verleiht u. a. den Büchner-Preis, die wichtigste deutsche Literaturauszeichnung. (Foto: Ohlbaum)

(aus Mitteldeutsche Zeitung online 08.05.2007)
(Hervorhebung S.S.)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 28.04.2007 um 13.37

Schon Anfang 1999, als noch die Zeitungen und Buchverlage (außer für Pennäler) traditionell schrieben, hatte Peter Eisenberg die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zum Kompromiß gedrängt, obwohl die übrigen Mitglieder naturgemäß nicht das geringste Interesse an einer Verfremdung ihrer Werke für die nachwachsende Generation haben konnten. Hans Krieger schrieb:
Die Akademie hat sich unnötig ins Bockshorn jagen lassen. Sie ist ihrem Mitglied … Peter Eisenberg auf den Leim gegangen, der seit Jahren das Kunststück fertigbringt, die Rechtschreibreform entschieden abzulehnen und zugleich für absolut unvermeidbar zu erklären. (Straubinger Tagblatt, 12. 3. 1999)

Er saß als Vertreter der DASD im „Rat für deutsche Rechtschreibung“, aber vertrat nicht deren Interessen, sondern vorgeblich diejenigen der „Sprachgemeinschaft“:

Da wird man ja auch stammtischartig immer angegriffen „ja, du machst es ja selbst nicht“ und all dieser Quatsch. Oder Elfriede Jelinek, ja: „Wir machen keine zweitbesten Lösungen. Wir Schriftsteller sind Perfektionisten.“ Aber die Deutsche Akademie arbeitet nicht für die Mitglieder, die Schriftsteller sind, sondern sie arbeitet natürlich für die deutsche Sprachgemeinschaft.

Siehe rechtschreibung.com

Die „deutsche Sprachgemeinschaft“ hatte nun aber die „Reform“ schon 1998 repräsentativ zu 71 Prozent abgelehnt.
Eisenberg selbst hatte noch im Interview Mitte 2004 zur Kenntnis genommen: “Nach der jüngsten Umfrage befürworten nur 13 Prozent der Deutschen die Reform.“ (Tagesspiegel, 4. 6. 04)

Was gibt ihm das Recht, zu dekretieren, daß Umfunktionierung der ß-Schreibung hinnehmbar sei, die er selbst einmal als die schlechste aller denkbaren Lösungen bezeichnet hatte?

Ein Leserbrief an die FAZ v. 14. 4. 03 brachte es auf den Punkt: „Nur weil Eisenberg einiges an der Neuschreibung noch mißlungener erscheint als diese ss-Schreibung, sollen wir diese Warze auf der krummen Nase der „reformierten“ Schreibung schön finden. Diese besonders häufig auftretende Verschandelung von Texten ist konsequent zurückzuweisen.

Jelineks zitierte „zweibeste Lösung“ stammt indirekt von Eisenberg selbst – über den damaligen DASD-Präsidenten Christian Meier, der den Kompromißvorschlag vortrug: „Plädoyer für die zweitbeste Lösung. … Unser Grundsatz war, von der neuen Schreibung nicht nur zu übernehmen, was sinnvoll, sondern auch was ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar ist. Das empfiehlt sich angesichts der Machtverhältnisse.“ (Süddeutsche Zeitung, 22. 4. 03)

Gegenüber dieser Kapitulationsbereitschaft ehrt es den jetzt scheidenden SWF-Intendanten Peter Voß, daß er trotz seiner politisch weitaus abhängigeren Stellung Klartext redete: „Politische Entscheidungen der Länder gelten für Schulen und nachgeordnete Behörden, aber für den unabhängigen Rundfunk ebensowenig wie für die freie Presse und für freie Bürger“ erklärte Voß. … Die sogenannte Rechtschreibreform sei eine kulturpolitische Instinktlosigkeit, gegen die zu Recht alle namhaften Schriftsteller protestiert hätten und die dennoch bürokratisch durchgepaukt worden sei. „In einem Kulturland, das diesen Namen verdient – zum Beispiel in Frankreich – wäre ein so unsensibles Vorgehen unmöglich gewesen“, sagte Voß. (Südwestrundfunk Pressemappe 25.07.2005, zitiert nach FDS)

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Sigmar Salzburg


eingetragen von Sigmar Salzburg am 28.04.2007 um 06.49

Zur Rolle Eisenbergs bei der „Rechtschreibreform“ und mithin auch der DASD bemerkt Theodor Ickler am 28.4.07 auf der Seite der „Forschungsgruppe“:

Die Rechtschreibreform hat er nicht nur kritisiert, sondern auch verteidigt. Er hat niemals eine Resolution zur Rücknahme der Reform unterzeichnet, er hat keine Unterschriften gesammelt, ist nicht vor Gericht gezogen und hat die Kritiker nicht durch Gutachten unterstützt. So wurde er der Wunschpartner der Kultusminister, zum Schluß besonders Zehetmairs. Das ist die historische Wahrheit, auch wenn sie auf absehbare Zeit durch die Propaganda verschleiert werden sollte.

Für mich persönlich hat sich Eisenberg während der Mannheimer Anhörung enthüllt, als er - lange vor dem Inkrafttreten der Reform - erklärte: "Eine Rücknahme der Reform wäre eine kulturpolitische Katastrophe." Das hat er später in dieser Form wohl nie wieder gesagt, es schien aus ihm herauszubrechen und war gerade darum so bezeichnend.


http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=827#8355


eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.04.2007 um 13.13

Pressemitteilung
Bamberger Ehrendoktor für Peter Eisenberg
Dr. Martin Beyer, Referat Kommunikation
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
27.04.2007
Große Verdienste um die deutsche Sprache - Auszeichnung für Peter Eisenberg.
Am 2. Mai 2007 verleiht die Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Bamberger Universität um 17.30 Uhr in Raum U7/105 Peter Eisenberg für sein wissenschaftliches Werk und seine Verdienste um die deutsche Sprache den Doktorgrad ehrenhalber.

Peter Eisenberg ist einer der wirkmächtigsten Germanisten der Gegenwart. Sein "Grundriß der deutschen Grammatik" begleitete Generationen von Deutschlehrern durch ihr Studium. Die Duden-Grammatik und der Duden-Band zu den sprachlichen Zweifelsfällen tragen seine Handschrift, an einer maßgeblichen Fachzeitschrift für den Deutschunterricht arbeitete er viele Jahre lang mit.
Große Verdienste hat sich Eisenberg, der u.a. an der FU Berlin, in Hannover und in Potsdam lehrte, durch seinen Einsatz für eine brauchbare Rechtschreibung erworben. Gegen die unhaltbaren und sprachwidrigen Vorschriften der Reform von 1996 setzte er sich mit allem Nachdruck ein, auch gegen Widerstände aus den Kultusministerien und aus vielen Verbänden. Dass wir nun wieder orthographisch vernünftig schreiben und drucken dürfen, verdanken wir vor allem ihm.

Zur Person:
Abitur in Kassel, Studium der Nachrichtentechnik an der TU und der Musik an der Hochschule für Musik Berlin, Tonmeisterexamen (1968) und Ingenieurdiplom in Nachrichtentechnik und Informatik (1969), danach Studium der Linguistik und Germanistik. 1970/71 "visiting scholar" am Massachusetts Institute of Technology in Boston. 1971 Wissenschaftlicher Assistent der FU Berlin, 1975 Akademischer Rat an der Universität Hannover. 1980 Professor an der FU Berlin, 1991 in Hannover, 1993 in Potsdam. Dort lehrte er bis zu seiner Emeritierung (2005). Gastprofessuren u. a. in Peking (1988/89, 2000), Kairo (1995), Tiflis (1997), Paris (1998), Teheran (2000) und Bangkok (2006).
1990-1992 war Eisenberg Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft. 1996 erhielt er den Deutschen Sprachpreis. 1998 wurde er ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG); 2004 wurde er Sprecher des Fachkollegiums Sprachwissenschaft der DFG. Er war und ist Mitglied vieler Beiräte, Kommissionen und Kuratorien, z. B. beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (Bonn), beim Institut für deutsche Sprache (Mannheim), bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Die "Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Orthographie" verließ er 1998 aus Protest gegen deren verfehlte Politik. Seit 2005 vertritt er die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung im "Rat für deutsche Rechtschreibung".

http://idw-online.de/pages/de/news206544

Dass wir nun wieder orthographisch vernünftig schreiben und drucken dürfen, verdanken wir vor allem ihm.

[Ein rechter Untertan verzichtet freudig auch auf die bescheidenen Rechte, die ihm zugesprochen werden:]

„Soweit dieser Regelung rechtliche Verbindlichkeit zukommt, ist diese auf den Bereich der Schulen beschränkt. Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben.“ (BundesVerfGer 14.7.1998)


eingetragen von Reinhard Markner am 11.08.2004 um 15.30

Gauger ist emeritierter Romanist.


eingetragen von Detlef Lindenthal am 11.08.2004 um 14.37

DLF, Nachrichten um 15:30:
>>Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat vorgeschlagen, die Rechtschreibung in vielen der umstrittenen Fälle freizugeben. Der Vorsitzende der Akademie, Gauger, sagte, in Deutschland sei vielleicht zu lange und zu sehr auf Einheitlichkeit gedrängt worden. Versuche, einheitliche Regelungen für Groß- und Klein- bzw. Auseinander[!]- und Getrennt[!]schreibung zu finden, seien immer problematisch. Daher sei eine Zwangsvereinheitlichung wenig sinnvoll, betonte Gauger. <<

Professor Christian Stetter hingegen weist darauf hin, daß nur eine einheitliche Rechtschreibung leichtlernlich ist.
Lektor Detlef Lindenthal sieht das genauso.

Was mag Herr Gauger von Beruf sein?

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Detlef Lindenthal


eingetragen von Reinhard Markner am 19.07.2004 um 11.12

Stellungnahme

Der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung liegt die Beschlußvorlage zur Neuregelung der Rechtschreibung vor, über die in der Sitzung der Kultusministerkonferenz am 3. und 4. Juni befunden wird und deren Annahme bereits öffentlich angekündigt wurde. Die Kultusministerkonferenz wird demnach dem 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung zustimmen. Die Akademie nimmt dazu wie folgt Stellung:

Die Kultusministerkonferenz verabschiedet mit einem solchen Beschluß eine unzulängliche, fehlerhafte Neuregelung unserer Rechtschreibung. Sie setzt sich damit in Gegensatz zu einem Großteil der Bevölkerung und schlägt die Warnungen so wichtiger Institutionen wie der Goethe-Institute, aller staatlich fundierten Akademien der Wissenschaften und Künste, des PEN Clubs Deutschland, aber auch zahlreicher Verleger, darunter Schulbuchverleger, und Lehrer sowie unserer namhaftesten Schriftsteller und Wissenschaftler in den Wind.

Angesichts der bekannten Schwierigkeit, institutionalisierte und rechtsförmige Entscheidungsprozesse völlig rückgängig zu machen, hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung vor mehr als zwei Jahren das demokratische Verfahren einer Kompromißlösung vorgeschlagen: 1. die vernünftigen Teile des neuen Regelwerks zu übernehmen, 2. unnötige, aber hinnehmbare Neuerungen, bei gleichzeitiger Lockerung der Schreibregeln zu tolerieren, 3. die fehlerhaften, unsere Sprache entstellenden Eingriffe rückgängig zu machen. Ihr Vorschlag firmierte unter der Bezeichnung ‚Rückbau‘. Er war der Kultusministerkonferenz seit langem bekannt. Seit Beginn des Jahres 2003 lag eine ausgearbeitete Version vor, die den Gesamtwortschatz des Deutschen berücksichtigt.

Die Kultusministerkonferenz ist erst im Frühjahr dieses Jahres, unter dem Eindruck der Anfang Juni bevorstehenden Verabschiedung des 4. Berichts der Zwischenstaatlichen Kommission, auf den Vorschlag der Deutschen Akademie eingegangen. In den von der KMK initiierten Sachgesprächen vom 23. April und 17. Mai zeigten die Vertreter der Zwischenstaatlichen Kommission dann aber keinerlei Bereitschaft, sich auf die von der Akademie vorgelegte Neuformulierung des fehlerhaftesten Teils des neuen Regelwerks (§ 34, Getrennt- und Zusammenschreibung) einzulassen. Die Gespräche mußten abgebrochen werden. Zu einer Umarbeitung des von der Deutschen Akademie weitgehend abgelehnten 4. Kommissionsberichts wurde sie nicht hinzugezogen.

Am 26. Mai hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung die in der KMK vertretenen Ministerinnen und Minister noch einmal persönlich gebeten, sich für die Fortführung sachbezogener Gespräche über die Korrektur des neuen Regelwerks einzusetzen und diesen Prozeß nicht durch einen politisch wie sachlich falschen Beschluß in ihrer Sitzung am 3. und 4. Juni zu verhindern. Die Verantwortung für die Verabschiedung einer in den Grundsätzen wie deren Ausführung verunglückten Neuregelung unserer Rechtschreibung liegt bei den Kultusministern der Länder. Ein Rückbau ist nach wie vor dringend erforderlich.

Für das Präsidium
Prof. Dr. Klaus Reichert
Präsident

Darmstadt, den 4. Juni 2004


eingetragen von Rolf Genzmann am 19.04.2004 um 21.07

Fremdwörter sind zu bekämpfen. (Alte Richtlinien, Volksschule NRW)

--- a) „Bei allen Übungen im Rechtschreiben sind die verschiedenen Rechtschreibtypen zu berücksichtigen. Rechtschriftliche Leitbilder werden erworben durch Anschauen, Differenzieren, Analysieren, Kombinieren und Einprägen und allmähliches Einfügen der akusto-motorischen in die führende optische Struktur. (Erläuterungen im LP 1966/Bayern).“--

Der Anschautyp, der Differenziertyp, der Analysiertyp, der Kombiniertyp, der Akusttyp, der Motortyp, der führende Optiker, der akustomotorische Strukturtyp.

„Dieses fachspezifische Kauderwelsch ist nicht etwa die Folge eines übermäßigen Zuwachses an erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen, die sich sprachlich nicht mehr bändigen lassen, sondern es entspringt vorwiegend dem Bedürfnis „progressiver“ pädagogischer Schriftsteller, den Mangel an praktisch brauchbarem Wissen wenigstens durch ein Staunen erregendes Vokabular auszugleichen.“ – Brezinka.

-- b) „Zusammen mit der kontinuierlichen Erweiterung des Wortschatzes werden den Schülern neben der lautgetreuen Schreibweise orthographische Schreibweisen immer geläufiger. Sie verfeinern ihre auditive und visuelle Wahrnehmung und werden zunehmend mit Strategien vertraut, mit deren Hilfe sie auch die Schreibweise unbekannter Wörter erschließen.. Dabei erfassen sie vor allem die Bedeutung des morphematischen Prinzips für das Richtigschreiben. Wörter mit orthographischen Merkstellen sollen die Schüler in ihren Besonderheiten erkennen, sich einprägen und durch häufiges Schreiben in eigenen Sätzen und Texten sichern.“ (Erläuterungen im LP 2003/Bayern). --

Lautgetreu und daneben orthographisch, - toll, man braucht noch nicht einmal die Unterrichtszeit zu verdoppeln, denn man hat ja: auditiv, visuell, Strategien, morphematisch,
- damit ist selbstverständlich alles möglich.

„… der scheinwissenschaftliche Imponierjargon begünstigt die Verbreitung der Lehre unter den wissenschaftsgläubigen Halbgebildeten. Er verschleiert, wie dürftig und verworren diese Lehre ist. Er wirkt einschüchternd und entmutigt kritische Rückfragen nach dem Sinn der Schlagworte und nach der Wahrheit der Glaubenssätze.“ – Brezinka.

„Wer die Menschen belehren und nicht hintergehen will, der muß ihre Sprache reden.“ – Helvetius.

-- Mit Verlaub: Das ist keine Kons-; das ist ein didaktischer Eiertanz.--

Mit weiterem Verlaub:
Von Didaktik kann keine Rede sein, wenn die Lehrplanverfasser solch haarsträubende Schaumschlägerei betreiben.
Das Kauderwelsch dient als Imponiergehabe; den Eltern, Lehrern und Politikern soll es vorgaukeln, hier seien Sachverständige am Werk.

Kurz, wer Fremdwörter benutzt, der betrügt.

Übrigens hatten wir in NRW viel mehr Fremdwörter, abgeschrieben von den hessischen Rahmenplänen. Diese wiederum waren zum großen Teil abgeschrieben von Miss Bildung.
Miss Bildung wiederum hatte es von Väterchen Stalin und vom Pawlowschen Sabberhund.
Dagegen aber und gegen Fremdwörter kämpfen Götter selbst vergebens.

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Rolf Genzmann


eingetragen von Norbert Schäbler am 19.04.2004 um 11.15

(oder: was kümmert mich mein Gewäsch von gestern).

Nicht nur einmal wurden den Reformbetreibern Widersprüchlichkeiten in ihren wissenschaftlichen Publikationen nachgewiesen – man vergleiche hierzu stoffliche Erwägungen von Augst, Gallmann etc. zwischen 1993 und 1998. Offensichtlich war das Projekt „Rechtschreibreform“ einem Gesinnungswandel zuträglich!
Im übrigen hat man auch Peter Eisenberg schon auf verschiedenen Hochzeiten tanzen gesehen.

Meine Frage: Zeichnen sich wenigstens die oberen Bildungshüter durch Konstanz aus?
Ein Vergleich von Lehrplanaussagen soll es an den Tag bringen:

a) „Bei allen Übungen im Rechtschreiben sind die verschiedenen Rechtschreibtypen zu berücksichtigen. Rechtschriftliche Leitbilder werden erworben durch Anschauen, Differenzieren, Analysieren, Kombinieren und Einprägen und allmähliches Einfügen der akusto-motorischen in die führende optische Struktur. (Erläuterungen im LP 1966/Bayern).“

b) „Zusammen mit der kontinuierlichen Erweiterung des Wortschatzes werden den Schülern neben der lautgetreuen Schreibweise orthographische Schreibweisen immer geläufiger. Sie verfeinern ihre auditive und visuelle Wahrnehmung und werden zunehmend mit Strategien vertraut, mit deren Hilfe sie auch die Schreibweise unbekannter Wörter erschließen.. Dabei erfassen sie vor allem die Bedeutung des morphematischen Prinzips für das Richtigschreiben. Wörter mit orthographischen Merkstellen sollen die Schüler in ihren Besonderheiten erkennen, sich einprägen und durch häufiges Schreiben in eigenen Sätzen und Texten sichern.“ (Erläuterungen im LP 2003/Bayern).

Mit Verlaub: Das ist keine Kons-; das ist ein didaktischer Eiertanz.



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nos


eingetragen von gestur am 19.04.2004 um 11.03

laut Duden:
sich unsachgemäß an etwas zu schaffen machen


eingetragen von Matthias Draeger am 19.04.2004 um 10.13

Die Gespraeche erinnern mich in gewisser Weise an die Zeit nach dem gewonnenen Volksentscheid: Damals kamen die Fraktionen des schleswig-holsteinischen Landtages zu einem Gespraech am "Runden Tisch" zusammen, um ueber das weitere Vorgehen zu beraten. Das Problem war nur: der Tisch war so rund gar nicht, denn die Volksinitiative, die 56 % der Stimmen erhielt, hatte man wohlweislich gar nicht erst dazugebeten. Am Tisch saBen also nur Vertreter fuer 29 % der Waehlerstimmen, der Rest durfte zusehen.

Die Bevoelkerung ist mehrheitlich gegen die Rechtschreibreform, das hat sogar Augst eingesehen, indem er mir gegenueber (im Interview des BR zum 1. 9. 2003) eingestand, ein bundesweiter Volksentscheid ueber die Reform waere zum Nachteil der Reform ausgegangen.
Gespraeche mit Vertretern, die sich "angesichts der Machtverhaeltnisse" mit einer vertrottelten Kommission irgendwie mit der deutschen Sprache arrangieren wollen, koennen das Machwerk auch nicht mehr retten.

Immerhin: Der Kreis der Verantwortlichen erweitert sich, es haben sich wieder einige neue Trottel gefunden, die Zumutung zu sanktionieren.
Eine Zurueckweisung des Gespraechsangebotes waere wohl angemessener gewesen.
Eine alte Zimmermannsweisheit sagt: Einen Nagel, der einmal schief eingeschlagen wurde, bekommt man nicht mehr gerade, man mag darauf herumklopfen, soviel man will.
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Matthias Draeger


eingetragen von Matthias Draeger am 19.04.2004 um 10.12

Die Gespraeche erinnern mich in gewisser Weise an die Zeit nach dem gewonnenen Volksentscheid: Damals kamen die Fraktionen des schleswig-holsteinischen Landtages zu einem Gespraech am "Runden Tisch" zusammen, um ueber das weitere Vorgehen zu beraten. Das Problem war nur: der Tisch war so rund gar nicht, denn die Volksinitiative, die 56 % der Stimmen erhielt, hatte man wohlweislich gar nicht erst dazugebeten. Am Tisch saBen also nur Vertreter fuer 29 % der Waehlerstimmen, der Rest durfte zusehen.

Die Bevoelkerung ist mehrheitlich gegen die Rechtschreibreform, das hat sogar Augst eingesehen, indem er mir gegenueber (im Interview des BR zum 1. 9. 2003) eingestand, ein bundesweiter Volksentscheid ueber die Reform waere zum Nachteil der Reform ausgegangen.
Gespraeche mit Vertretern, die sich "angesichts der Machtverhaeltnisse" mit einer vertrottelten Kommission irgendwie mit der deutschen Sprache arrangieren wollen, koennen das Machwerk auch nicht mehr retten.

Immerhin: Der Kreis der Verantwortlichen erweitert sich, es haben sich wieder einige neue Trottel gefunden, die Zumutung zu sanktionieren.
Eine Zurueckweisung des Gespraechsangebotes waere wohl angemessener gewesen.
Eine alte Zimmermansweisheit sagt: Einen Nagel, der einmal schief eingeschlagen wurde, bekommt man nicht mehr gerade, man mag darauf herumklopfen, soviel man will.
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Matthias Draeger


eingetragen von margel am 19.04.2004 um 09.56

Ich sehe das nicht so pessimistisch. Den ersten Sieg hat die DASD schon errungen, indem sie von höchster Stelle überhaupt als Reparaturbetrieb und Bewährungshelfer etabliert wurde. Die Kommission hat dadurch von ihren eigenen Auftraggebern ein Mißtrauensvotum hinnehmen müssen. Vor kurzem noch undenkbar! Es wird unausweichlich zum Machtkampf kommen, wobei die Kommission von vornherein in der Defensive und in der schwächeren Position ist. Jedes Zugeständnis, als "Kompromiß" getarnt, ist ein Schritt auf dem Wege zu ihrer Liquidation. So ist das eben mit Glaubenslehren, die nur ganz oder gar nicht Bestand haben können. Es wird darauf ankommen, wie geschickt die DASD-Vertreter agieren werden. Jedenfalls haben sie wenig zu verlieren und können ihre Auftraggeber stets auf die Halsstarrigkeit und Uneinsichtigkeit der Reformer hinweisen, wenn es nicht vorwärtsgeht.


eingetragen von Theodor Ickler am 19.04.2004 um 03.52


Am 23. April 2004 soll die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung das erste von zwei Gesprächen mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung führen. Letztere wird vertreten durch Peter Eisenberg, Klaus Reichert, Franz Mon, Uwe Pörksen, Hartmut von Hentig. Peter Eisenberg, der einzige Fachmann, wird naturgemäß die Sprecherrolle übernehmen.
Wer mit der Zwischenstaatlichen Kommission spricht, kann nicht mehr über sie sprechen. Damit begibt sich die DASD von vornherein der Möglichkeit, die Auflösung der Kommission zu verlangen, wie es nach den Fehlleistungen der Reformer, aus denen sie sich weiterhin mehrheitlich zusammensetzt, mehr als gerechtfertigt wäre. Adressat dieser Forderung wären die Kultusminister.
So steht zugleich fest, daß die Reform als Grundlage akzeptiert und bestenfalls in einzelnen Punkten „korrigiert“ werden kann. Nach dem bisherigen Vorgehen der Kommission ist zu erwarten, daß grammatisch falsche Schreibweisen (sehr Leid tun, Recht haben, Pleite gehen usw.) nicht zurückgenommen, sondern durch immer mehr „Varianten“ ergänzt werden. Jedenfalls hat die Kommission bisher noch niemals eine der neuen Schreibweisen widerrufen. Daß nichts falsch werde, was laut Neuregelung „richtig“ ist, trifft zwar keineswegs zu, jedoch wird diese Fiktion mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Interessen der Verlage in allen bisherigen „Berichten“ der Kommission aufrechterhalten.
Es ist also nicht mehr möglich, die Reform grundsätzlich in Frage zu stellen. Schon gleich zu Beginn der vorfristigen Durchsetzung wurde ja von interessierter Seite behauptet, eine Rücknahme sei nicht mehr möglich. Die Behauptung, es sei dafür (zwei Jahre vor dem Inkrafttreten!) „zu spät“, trug auch Peter Eisenberg, im übrigen einer der schärfsten Reformkritiker, damals schon vor und wiederholte die These als Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission (Mannheimer Anhörung). Während besonnene Stimmen innerhalb der DASD durchaus fragten, ob und wozu wir überhaupt eine Rechtschreibreform brauchen, kann und will die jetzt tätig werdende Abordnung diese Frage von vornherein nicht stellen. Sie fällt damit übrigens auch jenen Akademie-Mitgliedern in den Rücken, die wie Reiner Kunze die Reform aus guten Gründen ablehnen und auch eine Perspektive zur Rückkehr aufgezeigt haben. Daß ein Abbruch des mißglückten Reformunternehmens (ohne Wiederherstellung des Dudenprivilegs) auch heute noch sehr leicht möglich wäre, ist schon vielfach gezeigt worden. Und es bedarf nur geringer Besinnung, um zu erkennen, daß dies auch die einfachste, schonendste und billigste Lösung wäre, im Gegensatz zu einem „Kompromiß“, der selbst bei geringsfügigsten Änderungen doch nichts anderes wäre als eine weitere Rechtschreibreform.
Was die Kommission und die Akademie einander an Zugeständnissen abringen und am Ende allenfalls erträglich finden werden, braucht die betroffene Öffentlichkeit nicht zu interessieren. Sie ist an den neuen Verhandlungen wiederum nicht beteiligt. Die kleine Gruppe von Akademiemitgliedern, so qualifiziert sie in ihrem Bereich zweifellos sind, kann nicht als Vertretung der Öffentlichkeit angesehen werden. Auch finden die vorgesehenen Gespräche wiederum hinter verschlossenen Türen statt. Dies alles verstößt gegen die zu Beginn der Reform geäußerten Versprechungen von Transparenz und Beteiligung.
Die wichtigste Tatsache, die aus der neuesten Entwicklung zu erwähnen bleibt, ist diese: Die Kultusminister haben im März 2004 erstmals offiziell zugegeben, daß die Rechtschreibreform fehlerhaft ist und geändert werden muß. Diese Tatsache wird ihre Wirkung entfalten.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 05.04.2004 um 10.31

An den Gesprächen der DASD mit der Zwischenstaatlichen Kommission werden folgende Herren teilnehmen:

Peter Eisenberg
Hartmut von Hentig
Franz Mon
Uwe Pörksen
Klaus Reichert

Indem die DASD an solchen Gesprächen teilnimmt, begibt sie sich der Möglichkeit, die Rücknahme der Rechtschreibreform (und die Auflösung der Kommission) zu verlangen. Mit dieser Forderung müßte sie sich ja an die Kultusminister wenden und nicht an die Kommission.

Jetzt kann nur noch irgendeine Mischung neuer Regeln dabei herauskommen, d. h. die nächste Rechtschreibreform. Die Rücknahme wäre die bei weitem sanftere Lösung, aber die DASD hat sich seit der Eisenbergschen Kompromißwende nie wieder ernsthaft mit diesem Gedanken befaßt. Wer ihn vorträgt, gilt dem Präsidenten als "Hardliner" usw. Das ist eine schwere Verkennung der Tatsachen, und die Sprachgemeinschaft muß es ausbaden.

Es bleibt nun also dabei, daß ein Handvoll Herren, die sich selbst dazu berufen haben, über die deutsche Schriftsprache entscheiden. Die Bürger dieses Landes werden in einigen Wochen die fertigen neuen Regeln erfahren und nichts dagegen tun können, wie bisher. Die Akademie fällt natürlich auch ihren Mitgliedern, den Schriftstellern vor allem, in den Rücken. Sie setzt sich über das Votum der internationalen Schriftsteller und der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Künste hinweg. Und alles nur, weil Peter Eisenberg aus welchen Gründen auch immer schon 1996 beschlossen hat, die Reform zwar zu kritisieren, aber für unabwendbar zu halten und ihr Scheitern als "kulturpolitische Katastrophe" an die Wand zu malen.

Noch stehen auf der Internetseite der Akademie die beiden scharf ablehnenden "Erklärungen" zur Rechtschreibreform, ebenso wie auf der Seite der Zwischenstaatlichen Kommission die schroffe Abfuhr für den Kompromißvorschlag. Diese Texte werden aber gewiß bald verschwinden, da sie das Verhandlungklima stören könnten.

Es ist eine Vorstellung, die einen schon wütend machen kann: Diese Leute werden sich am Ende noch heldenhaft vorkommen, weil sie sich nach zähem Widerstand etwas haben abringen lassen, was ihnen einst teuer war. Dabei verhökern sie ein Gut, das ihnen gar nicht gehört.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 29.03.2004 um 17.43

Unter den Dokumenten fehlt noch der Vorschlag vom Dezember 1997 - die letzte Äußerung der DASD vor der Kehrtwende in Eisenbergs Sinn.

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung


Vorschlag zum Verfahren in Sachen Rechtschreibung

zu Händen der Kultusministerkonferenz


Die „Rechtschreibreform“ scheint uns so, wie sie beschlossen worden ist, nicht mehr zu halten zu sein. Aus verschiedenen Gründen, vor allem aber weil deutlich geworden ist, wie sehr sie nicht nur zu einer nicht unerheblichen Einschränkung der Möglichkeiten schriftlichen Ausdrucks führt, sondern zugleich voller Widersprüche, Ungereimtheiten und Absurditäten steckt, weil angesichts nicht nachlassender Widerstände damit zu rechnen ist, daß sie sich in der Allgemeinheit nicht durchsetzt, so daß die Einheit der deutschen Rechtschreibung durch sie bedroht ist, weil sie einen tiefen Eingriff in die Rechtschreibung darstellt, zu dem dem Staat die Legitimation fehlt.
Denn Rechtschreibung ist Sache der Sprachgemeinschaft im ganzen. Die Schrift ist ebenso wenig wie die Sprache selbst „Verfügungsgut des Staates“ (Mahrenholz).
Es muß also darüber nachgedacht werden, wie man weiter verfahren will. Wir finden, daß dies in voller Offenheit zu geschehen hat. Die vorliegende „Reform“ ist der erste tiefe Eingriff, der überhaupt in der deutschen Sprachgeschichte ins Werk gesetzt werden soll. Es gibt keine Erfahrungen mit der Problematik der Einführung einer solchen „Reform“; alle bisherigen Erfahrungen auf diesem Feld sind nur mit Reformplänen gemacht worden. Keiner war folglich hinreichend vorbereitet darauf. So ist es kein Wunder, daß sich die in den neuen Regeln und Schreibungen enthaltenen Ungereimtheiten erst herausstellten, als die neuen Regeln in den Wörterbüchern berücksichtigt, an den Schulen gelehrt und in der Öffentlichkeit studiert wurden. Wohl hatte die intensive Diskussion sehr bald manche Mängel der neuen Vorschriften zum Bewußtsein gebracht, aber erst mit der Zeit ist es ganz deutlich geworden, wie wenig die Schrift sich tieferen Eingriffen erschließt. Denn die vielen Ungereimtheiten und Widersprüche, die jetzt zutage kommen, können doch nicht beabsichtigt gewesen sein. Schließlich war die „Reform“, wie der Kommissionsvorsitzende versichert, „gründlich bis ins letzte Detail vorbereitet“. Erst aufgrund breitgespannter Diskussionen ergab sich auch, daß in vielen Regeln der überkommenen Schreibung mehr Weisheit steckte, als zunächst vermutet worden war. Vor allem aber sind Zweifel an der Zuständigkeit des Staates zu so tiefen Eingriffen, die heute in weitesten Kreisen gehegt und geteilt werden, erst allmählich herangewachsen, um sich dann auf bemerkenswerte Weise zu verbreiten und zu verfestigen.
Wenn man sich aber in derart unbekannten Zusammenhängen bewegt, sollte man sich gegenseitig zugestehen, daß es noch manches dazuzulernen gibt. Es ist keine Schande, zu neuen Einsichten zu gelangen.
Wir meinen, wir alle seien es unserer Sprache schuldig, angesichts dieser Lage ohne gegenseitige Vorwürfe und ohne gleichsam jeden Zentimeter Bodens zu verteidigen, über die Sache zu diskutieren. Absichtserklärungen dürfen nicht bindend sein, wenn sich die Absichten als undurchführbar erweisen. Schließlich kann Politik nicht mehr (sollte aber auch nicht weniger) sein als die „Kunst des Möglichen“.
Drei Möglichkeiten ergeben sich nach unserem Urteil:
a) Man versucht eine Revision der „Reform“.
b) Man kehrt zur alten Rechtschreibung zurück.
c) Man versucht, die Grundabsicht, die die Kultusminister mit dem Auftrag zu einer Reform der Rechtschreibung verbunden haben, durch eine von der alten Rechtschreibung ausgehende, kleinere, dafür in den gebotenen Grenzen sich haltende und im allgemeinen Einverständnis vorzunehmende Korrektur zu verwirklichen, nämlich unnötige Schwierigkeiten, Spitzfindigkeiten und Widersprüche der bisherigen Schreibung auszukämmen.
Ob (a) die Revision der „Reform“ gelingt, erscheint uns als sehr zweifelhaft. Und der von einigen Reformern angedeutete Ausweg, für eine mehr als ein halbes Jahrzehnt andauernde Übergangsphase alte und neue Schreibungen in großem Stil nebeneinander stehen zu lassen, scheint uns schon gar nicht gangbar zu sein. Jedenfalls meinen wir, daß eine Revision der „Reform“, falls sie gewünscht wird, von den Mitgliedern der Kommission ausgehen müßte. Wir sehen keine Möglichkeit, uns daran oder gar an der Herbeiführung eines Chaos zu beteiligen.
Eine umstandslose Rückkehr zur überkommenen Rechtschreibung sowie zu den bislang geltenden Verfahren der allmählichen Angleichung der Schreibnorm an den Wandel der Schreibgewohnheiten (b) scheint uns nach Aufhebung des Dudenprivilegs (und angesichts der Tatsache, daß es wohl kaum wiederhergestellt werden kann) nicht mehr möglich zu sein.
So läuft alles auf die dritte Möglichkeit hinaus (c). Sie hat entscheidende Argumente für sich: Die Tatsache, daß Schrift wie Sprache nicht Verfügungsgut des Staates ist, spricht dafür, von der überkommenen Orthographie auszugehen. Andererseits spricht nichts dagegen, bei dieser Gelegenheit - über die allmähliche Angleichung der Schreibnormen an den Wandel der Schreibgewohnheiten hinaus - störende unnötige Spitzfindigkeiten, Inkonsequenzen und Widersprüche der bisherigen Rechtschreibung in einem Akt auszukämmen und das Regelwerk neu zu formulieren, wobei es sich durchaus empfehlen kann, manches aus dem neuen Regelwerk zu übernehmen. Dafür müßte bei einem offenen, fairen Verfahren allgemeines Einverständnis zu gewinnen sein. Denn es besteht ja kein grundsätzlicher Widerstand gegen jede Umgewöhnung, sondern nur gegen solche, die nicht einleuchten wollen, weil sie etwa zu einer Verarmung der Sprache führen, zu Zumutungen, eventuell auch dazu, evidente Dummheiten mitzumachen, indem man im eigenen Schreiben gesichertem Sprachwissen entgegenzuhandeln gezwungen werden soll.
Eine begrenzte, auf die Abstellung von Störendem gerichtete einmalige Korrektur würde sich im Rahmen des Zulässigen bewegen, sie würde nicht den Neudruck aller Wörterbücher sowie großer Teile der Literatur notwendig machen. Sie würde allen Beteiligten zugute kommen. Und sie hätte eine gewisse Logik für sich, da nach Beseitigung des Dudenprivilegs sowie nach einer Rücknahme der „Rechtschreibreform“ die Bewerkstelligung eines Übergangs ansteht.
Anschließend müßte ein Verfahren gefunden werden, mit dem die Aufgabe der behutsamen und kritischen Angleichung der Schreibnorm an den Wandel der Schreibgewohnheiten in Zukunft erledigt werden kann.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung bietet für eine Korrektur im Sinne der dritten Möglichkeit ihre Dienste an. Sie ist zwar mit ihren Mitteln nicht in der Lage, die nötigen Arbeiten allein zu verrichten, könnte aber die Grundsätze einer solchen Korrektur festlegen; es könnte in ihrem Rahmen eine Kommission arbeiten, die sich auf die - anderswo vorhandenen - dazu notwendigen Corpora zu stützen hätte; die Akademie könnte deren Ergebnisse beraten und in Zweifelsfällen ihr Votum abgeben.
Für die Zeit danach wird die Arbeit der regelmäßigen Beobachtung des Wandels von Sprache und Schreibung sowie der kritischen und behutsamen Angleichung der Schreibnorm an diesen Wandel im wesentlichen in einem mit den entsprechenden Corpora ausgestatteten Institut (oder in mehreren) verrichtet werden müssen. Dieses Verfahren könnte aber von der Deutschen Akademie fördernd und kritisch begleitet werden; die Akademie könnte in allen aufkommenden Zweifelsfällen ihr Votum abgeben und damit für die Sicherung der Einheit sowie einer sinnvollen Fortbildung der deutschen Orthographie einen maßgeblichen Beitrag leisten.
Um eine sinnvolle Lösung zu erleichtern, müßte nach unserm Dafürhalten sogleich ein Moratorium in dem Sinne beschlossen werden, daß keine weiteren Schritte in Richtung auf Durchsetzung der neuen Regeln und Schreibungen erfolgen. Gewiß können Schulbücher, die schon in der neuen Schreibung gedruckt sind, im Unterricht, indem man sie korrigiert, weiterbenutzt werden. Auch im Falle einer Revision der „Reform“ wäre das notwendig. Aber überflüssige Kosten, das heißt Kosten vor allem für die Verlage, die investieren müssen, und für den Steuerzahler, der sich, über die Absetzungen, daran zu beteiligen hat, sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Die weiteren Schritte könnten rasch eingeleitet und erledigt werden.
Die Deutsche Akademie appelliert an die Verantwortung der Kultusminister: Die Einheit der deutschen Rechtschreibung darf nicht verlorengehen.
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 18.12.2003 um 11.52

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Interessant ist an der Pressemitteilung (die man ja auch als Tritt in den Hintern des abtrünnigen P. E. verstehen muß) die demonstrative Unversöhnlichkeit, zu der sich nun auch die Kultusminister irgendwie verhalten müssen. Werden sie ihrer Kommission die Stange halten? Oder werden sie Heller und Konsorten zum Teufel jagen, nachdem sie ihnen schon den ominösen Beirat zwecks Verhütung weiteren Unsinns beigegeben haben? Es ist sicher, daß die Kultusminister nicht viel von der Kommission halten, so daß diese gut beraten wäre, den Bogen nicht zu überspannen. Die Schalmeienklänge vom „Kompromiß“ klingen den unwissenden, aber keineswegs schwerhörigen Politikern bestimmt recht lieblich in den Ohren. Vielleicht sollte man ihnen – etwa im Sinne Meiers und Munskes – die Brauchbarkeit des DASD-Vorschlags plausibel machen ... Fielen Heller und Konsorten in Ungnade, wäre schon einiges gewonnen.
Ist irgend jemandem eigentlich bereits die zweite, überarbeitete Auflage des Eisenbergschen Kompromißvorschlages untergekommen? Dabei soll es sich laut Gallmann um die korrigierte Fassung handeln (was der Verlag angeblich nicht weiß); diese lag der Kommission bereits vor ihrer Veröffentlichung (quasi „heimlich“) vor. Im Januar wird sich die Kommission mit Eisenberg treffen; worum es dabei speziell gehen soll, weiß ich allerdings nicht.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von margel am 24.11.2003 um 19.06

Zu "Kompromiß" gehört untrennbar "faul".


eingetragen von Theodor Ickler am 24.11.2003 um 18.52

Na, weil man sich unter Kompromiß was Nettes vorstellt, aber dann wird man die Schlampigkeit und Inkonsequenz bemerken und daß es damit auch wieder nicht weit her ist. So doof sind ja insbesondere die Ministerialbeamten nicht, daß sie die Fehler nicht bemerken, die sogar die Zwischenstaatliche Kommission gleich gesehen hat.
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 24.11.2003 um 17.00

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Natürlich beschäftigt sich fast niemand so gründlich mit dem Kompromiß wie wir (Herr Dörner z.B.), aber wenn es je dazu kommen sollte, daß sich die Minister für den Kompromiß zu interessieren beginnen, wird es angesichts der Einzelheiten lange Gesichter geben.
Mir ist nicht klar, worauf Sie hier hinauswollen: Bei wem könnte es warum lange Gesichter geben?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von J.-M. Wagner am 24.11.2003 um 16.58

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Reinhard Markner
Ob Groß- oder Kleinschreibung eintritt, soll davon abhängen, ob es eine Wendung mit und ohne Präfix un- gibt. Warum an die Stelle des Kriteriums Idiomatisierungsgrad die Suche nach einer »Basis« treten soll, bleibt Eisenbergs Geheimnis.
Dieses „Konzept“ erinnert mich an das amtliche Regelwerk, Stichwort formales Kriterium; damit will man ja gerade von Semantik und Idiomatisierung wegkommen. Paßt es zu Eisenberg, diese Stoßrichtung als etwas Fortschrittliches anzusehen?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Theodor Ickler am 24.11.2003 um 14.27

Wir haben den Text von Christian Meier, nachdem er in der SZ erschienen war, ja schon hinreichend kritisiert. Ich habe ihn noch einmal hier eingestellt, weil es doch bemerkenswert ist, daß die Akademie ihn auf ihre Internetseite setzt, ohne die krassen Irrtümer zu korrigieren.
Natürlich können einige Teile nur von Peter Eisenberg stammen (wogegen ja nichts zu sagen ist), aber Meier zeichnet namentlich verantwortlich. Kürzlich stieß ich auch noch einmal auf Meiers Worte zur Rückumstellung der FAZ. Erstaunlich, wie man so verschiedene Lagebeurteilungen kurz nacheinander geben kann, obwohl sich objektiv nichts geändert hat. Aus den hier gesammelten Dokumenten über die Akademie wird niemand klug, der einen klaren Kurs erwartet.
Weiß übrigens jemand, was aus der gedruckten Fassung des Kompromißvorschlages geworden ist? Eingestampft und neubearbeitet?
Insgesamt ein trauriges Kapitel, vor allem weil die Zwischenstaatlichen damit so leichtes Spiel haben. Wäre der Streich der Akademie besser gezielt gewesen - er hätte die Reform ernstlich ins Wanken bringen können. Natürlich beschäftigt sich fast niemand so gründlich mit dem Kompromiß wie wir (Herr Dörner z.B.), aber wenn es je dazu kommen sollte, daß sich die Minister für den Kompromiß zu interessieren beginnen, wird es angesichts der Einzelheiten lange Gesichter geben.
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Th. Ickler


eingetragen von margel am 24.11.2003 um 14.02

...ist die Behauptung, man dürfe Äpfel nicht mit Birnen
vergleichen. Also: Ich kann das, z.B. im Hinblick auf Form,Geschmack, Zuckergehalt u.v.a. Bitte um Belehrung und Aufklärung.


eingetragen von Reinhard Markner am 24.11.2003 um 12.55

Herr Jochems erinnert mich daran, daß es sich um die vollständige Fassung des am 22. 4. 2003 von der Süddeutschen gebrachten Artikels handeln muß.


eingetragen von J.-M. Wagner am 24.11.2003 um 11.47

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
(Gefunden im Herbst 2003 auf der Internetseite der Akademie)
Hier das „Original“: http://www.deutscheakademie.de/Rechtschreibung.rtf
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Reinhard Markner am 24.11.2003 um 07.54

Christian Meiers Engagement ist echt, sein Text ist es nicht. Der Abschnitt mit der Kritik an Theodor Ickler wirkt wie ein Fremdkörper, und viel spricht für die Vermutung, daß es sich um einen Textbaustein Peter Eisenbergs handelt.

Daß man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen solle, weiß jedes Kind, und sogar Adelung hat darauf hingewiesen. Schön ! Eisenberg kritisiert Ickler, weil dieser die Ungleichbehandlung von im klaren und im Unklaren im Akademievorschlag aufgespießt hat. Er glaubt, man müsse im Unklaren stattdessen neben im Unsäglichen stellen. Es fragt sich, in welcher Sprache Eisenberg eigentlich lebt ?

Ein paar Googeleien :
im klaren 80500 Treffer
im unklaren 19400 Treffer
im ungewissen 7360 Treffer
In diesen drei Fällen forderte der Duden Kleinschreibung wegen der fortgeschrittenen Idiomatisierung dieser Wendungen.

im unsäglichen 84 Treffer
im unvergeßlichen 75 Treffer
Darunter Zitate wie z. B.:
die Reservierung eines zusätzlichen
Aufenthaltes im unvergesslichen Ceský Krumlov

und schließlich im unvergesslichen Viertelfinal-Match
im unsäglichen Doppelpack mit
Kinder, die halbnackt im unsäglichen Chaos spielen

Offensichlich liegen hier keine Äquivalente zu im klaren sein, im unklaren/ungewissen bleiben vor. Eisenberg stellt den Zusammenhang dadurch her, daß er von einer fehlenden »Basis« spricht. Bei »Ausdrücken wie im Unsäglichen« gebe »es gar keine Basis, die lauten würde im Säglichen. Ähnlich verhält es sich bei im Unvergeßlichen, im Ungewissen etc.« Ob Groß- oder Kleinschreibung eintritt, soll davon abhängen, ob es eine Wendung mit und ohne Präfix un- gibt. Warum an die Stelle des Kriteriums Idiomatisierungsgrad die Suche nach einer »Basis« treten soll, bleibt Eisenbergs Geheimnis. Ganz nebenbei scheint er hier sogar die Existenz von im klaren zu bestreiten (ihm zufolge muß ja im Unklaren wie im Unsäglichen groß geschrieben werden, weil es im Säglichen nicht gibt). Derart konfuse Darlegungen eignen sich schwerlich als Basis für die Regelung der deutschen Rechtschreibung.


eingetragen von Theodor Ickler am 23.11.2003 um 15.32

Prof. Dr. Ch. Meier
J.-M.-Fischer-Str. 14
82069 Hohenschäftlarn

Urheberrechtlicher Hinweis:
Dieser Text darf nur in der vorliegenden Form (bewährte Rechtschreibung) vervielfältigt respektive gedruckt werden.


Die zweitbeste Lösung
Die kleine Schrift der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Zur Reform der deutschen Rechtschreibung hat, wie man sieht, manch einen irritiert. Da kämpft eine Akademie jahrelang, und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gegen eine Reform, und nun veröffentlicht sie einen Kompromißvorschlag, der von der Reform ausgeht, auch wenn er eine ganze Reihe von Korrekturen daran vornehmen will, und das noch dazu in alter Schreibung.
Doch kann man das erklären: Die Akademie hat die Reform aus, wie ich meine, guten Gründen abgelehnt. Was uns da vorgeschrieben werden soll, ist ohne Zweifel in vielem unüberlegt, verletzt grammatische Regeln und enthält eine ganze Reihe von Zumutungen verschiedenster Art für Schreiber und Leser. Man sollte hinzufügen, daß die Reform auch eine Anmaßung darstellt. Wie kommen Minister dazu, einer Sprachgemeinschaft, entgegen langfristigen Tendenzen des Schreibgebrauchs, zu diktieren, wie sie zu schreiben hat? Wie immer das Bundesverfassungsgericht, das übrigens der Exekutive auf den Leim ging, entschieden hat: Gibt es nicht auch prä- und extrakonstitutionelle Rechte, die, obwohl sie in der Verfassung nicht verbrieft sind, ein Verfassungsstaat zu respektieren hat? Etwa das auf die Praktizierung und Fortentwicklung wohlbegründeter Regeln des Schreibens im Schriftgebrauch und in der Kritik daran? Es entspricht einer Tradition deutscher Kultusminister, die vor dem gegenwärtigen Eingriff nur ein einziges Mal, während der Nazizeit, durchbrochen worden ist, zu respektieren, was die Gemeinschaft der Schreiber will.
Allein, für Argumente waren unsere Kultusminister nicht zugänglich. Sie waren ja sogar stolz darauf zu zeigen, daß in Deutschland endlich auch Reformen möglich sind, ohne daß ihnen aufgefallen wäre, daß das Land, wenn die nötigen Reformen von dieser Art sein sollen, ohne Reformen fraglos besser dran ist.
Da dem aber so ist, da die neue Schreibung seit mehr als sechs Jahren an den Schulen gelehrt wird und da man in weiten Teilen der Presse, in den Ämtern, auch in manchen Verlagen versucht, sie zu praktizieren, ist schwer zu sehen, wie man sie noch abschaffen kann. Andererseits ist nicht abzusehen, daß sich die neue Schreibung insgesamt, also etwa auch in der schönen und der wissenschaftlichen Literatur sowie im privaten Gebrauch, in irgend absehbarer Zeit durchsetzt. Und es ist unwahrscheinlich, daß die widersinnigen unter ihren Regeln überhaupt eine Zukunft haben. Insofern ist das Scheitern der Reform vorauszusehen, ohne daß sie deswegen aufgegeben würde. Folglich ist zu erwarten, daß die schon jetzt bestehende Schreibunsicherheit weiter um sich greift. Man schreibt Fuss, aber muß, schreibt getrennt, was überhaupt nur zu trennen ist. Wer will auch schon jedesmal nachschaun? Auch seriöse Zeitungen machen das in vielen Fällen unsinnige hier zu Lande zur Regel, obwohl die Neuregelung das nur als Nebenvariante vorsieht. Auch Potential ist von der Neuregelung nicht ausgeschlossen worden.
Deswegen hat sich die Akademie veranlaßt gesehen, nach einem Weg zu suchen, wie die Reform zu reformieren ist, also auf ihrer Basis eine Schreibung zu erarbeiten, die zur üblichen werden könnte. Wenn der Kompromiß angenommen wird, wäre das sachlich die zweitbeste Lösung, politisch, wie die Dinge nach unserer Einschätzung stehen, die einzig mögliche. Daß wir bis auf weiteres an der bewährten Schreibung festhalten, ist nur logisch.
Ein solcher Vorschlag kann, wie die Dinge stehen, erfolgreich nur sein, wenn sowohl die Exekutive wie weite Teile der Öffentlichkeit ihn sich zu eigen machen. Das ist nicht gerade leicht zu erreichen.
Wenn es aber stimmt, daß die Wiederherstellung einer einheitlichen und einigermaßen vernünftigen Schreibung wichtig ist, so müßte man alles tun, um zu verhindern, daß Vorschläge wie dieser voreilig zerredet und verrissen werden. Ich möchte deswegen sehr dafür plädieren, ihn und seine Hintergründe möglichst unvoreingenommen zunächst einmal zu Kenntnis zu nehmen.
Unser Grundsatz war, von der neuen Schreibung nicht nur zu übernehmen, was sinnvoll, sondern auch was ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar ist. Das empfiehlt sich angesichts der Machtverhältnisse. Andererseits sollten alle gravierenden Mängel dieser Schreibung deutlich bezeichnet und zurückgewiesen werden. So ist ein Vorschlag zustandegekommen, der nach unserm Urteil eine unter den gegebenen Umständen gut vertretbare Schreibung ermöglicht.
Daß über Einzelheiten gestritten werden kann, versteht sich bei einer so komplizierten Materie von selbst. Aber so einfach, wie etwa Theodor Ickler (SZ 28.03.03) es sich macht, um die Sache in Bausch und Bogen abzulehnen, sind die Dinge nicht.
Warum soll man, um ein Beispiel zu nehmen, einerseits im klaren, andererseits im Unklaren schreiben? Die Unterscheidung liegt, wie wir ausdrücklich begründet haben, im Idiomatisierungsgrad der Ausdrücke. Im klaren ist weit idiomatisiert, so daß wir etwa sagen können das bleibt im Unklaren, aber nicht: das bleibt im Klaren. "Eine mechanische Regelung", ich zitiere "die für beide Fälle Kleinschreibung oder für beide Fälle Großschreibung erzwingt, geht am Sprachgefühl des kompetenten Schreibers vorbei. Erwogen werden kann allenfalls, die Varianten im Unklaren/ im unklaren zuzulassen". Ickler setzt für im unklaren die falsche Analogiebasis. Diese liegt weniger bei im klaren als bei Ausdrücken wie im Unsäglichen. Hier gibt es gar keine Basis, die lauten würde im Säglichen. Ähnlich verhält es sich bei im Unvergeßlichen, im Ungewissen etc.
Schon Johann Christoph Adelung (1732-1806), einer der großen deutschen Grammatiker und Orthographietheoretiker, hat sich kritisch zum Wert von Analogien geäußert. Analogieschlüsse seien als Rechtfertigung für Einzelschreibungen zu vermeiden, weil man mit ihnen alles beweisen könne. Ausdrücke einer natürlichen Sprache sind auf vielfältige Weise strukturiert. Jeder Blick aus einer bestimmten Richtung zeigt einige Strukturmerkmale, keiner zeigt alle gleichzeitig. Wir können nur versuchen, die Merkmale herauszufinden, die für einen bestimmten Sprach- oder Schreibgebrauch die ausschlaggebenden sind. Das mechanische Kleben an Analogien hat auch die neue Regelung in große Schwierigkeiten gebracht.
Darüber hinaus hat Ickler kritisiert, daß sich einige Fehler in der Wiedergabe von Schreibungen der Wörterbücher in unsere Wörterliste eingeschlichen haben. Das ist zum Teil richtig, und in der jetzt fälligen Neuauflage wird man, mit Dank an ihn, entsprechende Korrekturen anbringen. Wie leicht solche Irrtümer unterlaufen, ergibt sich andererseits aus der Zahl der Fälle, in denen Ickler in seinem kurzen Artikel sich selber irrt. Er meint etwa, jung und alt sei nicht die einzige im Duden von 1991 vorgesehene Schreibweise. Sie ist war es aber. Die Zusammenschreibung von nochmal ist zwar von der Neuregelung vorgesehen, doch weichen die von uns zitierten Wörterbücher davon teilweise ab. Auch hier irrt sich Ickler. Doch sollte man sich bei diesen Einzelheiten nicht aufhalten.
Die Frage, vor der wir stehen, ist doch, ob man auf ein Wunder warten soll, das etwa darin bestünde, daß die bewährte Schreibung wieder allgemeine Gültigkeit erlangt. Wie soll das gehen? Wer wird zum Rückzug blasen? Hätte auch nur ein größerer Zeitungsverleger die Zivilcourage, einfach umzusteuern?
Gewiß ist es nur allzu verständlich, daß viele mit guten Gründen an der so bewährten alten Schreibung hängen. Mir geht es genauso, und ich weiß mich darin mit mehr oder weniger der ganzen Akademie einig. Wenn es nur um das persönliche, nicht das amtliche Urteil ginge, würden nicht wenige Verfechter der Reform uns nachträglich vermutlich Recht geben.
Aber wie gesagt: Die Einheit der deutschen Schreibung ist auch ein hohes Gut. Man sollte sich daher in aller Ruhe fragen, ob der Vorschlag, den wir vorlegen, nicht doch annehmbar ist. Als zweitbeste, aber realiter einzig mögliche Lösung, wenn man nicht beim gegenwärtigen Durcheinander verharren will. Übrigens sollte man sich rechtzeitig auf das Ende der Übergangsfrist im Jahre 2005 vorbereiten. Vielleicht wäre es auch gut, die Sache in den rechten Relationen zu sehen. Immerhin gibt es auch einiges andere noch zu tun, zum Beispiel für die Zukunft der deutschen Sprache.

(Gefunden im Herbst 2003 auf der Internetseite der Akademie)

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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 15.06.2003 um 07.38

Eisenberg schrieb 1998 in der von ihm mitherausgegebenen Lehrer-Zeitschrift einen Aufsatz mit dem Titel "Mit der Neuregelung leben". Der entscheidende Satz lautet: "Der folgende Beitrag möchte die Umsetzung beschleunigen helfen."
Im gleichen Sinne hatte Eisenberg schon 1996 in der Schroedel-Broschüre bei der Umsetzung helfen wollen. Es ging ihm also darum, die Lehrer und damit natürlich auch die Schüler möglichst schnell auf einen Weg zu bringen, von dem er wußte, daß es ein Irrweg und eine Sackgasse war. Und jedesmal betonte er, "jetzt" gebe es kein Zurück mehr: 1996, 1998, 2003 ...
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 23.05.2003 um 06.25

Interessant ist an der Pressemitteilung (die man ja auch als Tritt in den Hintern des abtrünnigen P. E. verstehen muß) die demonstrative Unversöhnlichkeit, zu der sich nun auch die Kultusminister irgendwie verhalten müssen. Werden sie ihrer Kommission die Stange halten? Oder werden sie Heller und Konsorten zum Teufel jagen, nachdem sie ihnen schon den ominösen Beirat zwecks Verhütung weiteren Unsinns beigegeben haben? Es ist sicher, daß die Kultusminister nicht viel von der Kommission halten, so daß diese gut beraten wäre, den Bogen nicht zu überspannen. Die Schalmeienklänge vom "Kompromiß" klingen den unwissenden, aber keineswegs schwerhörigen Politikern bestimmt recht lieblich in den Ohren. Vielleicht sollte man ihnen - etwa im Sinne Meiers und Munskes - die Brauchbarkeit des DASD-Vorschlags plausibel machen ... Fielen Heller und Konsorten in Ungnade, wäre schon einiges gewonnen.
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 22.05.2003 um 15.47

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Warum soll die Kommission nicht auch einmal etwas Richtiges sagen?
Was wäre eigentlich, wenn man in dem Fazit der Kommission zu dem DASD-Kompromißvorschlag letzteren durch „die jetzige amtliche Rechtschreibung“ ersetzt? Ob das Urteil der Kommission immer noch richtig wäre? Ich denke, mit ein paar Abstrichen paßt es! Also:
(dazuzudenken: Die jetzige amtliche Rechtschreibung ist/hat...)
»... völlig untauglich ... kein erkennbares und nachvollziehbares Konzept ... nichts anderes als eine Addition zahlloser, zum Teil auch widersprüchlicher Einzellösungen ... Die wissenschaftlichen Mängel gehen – wie jeder sehen kann – Hand in Hand mit handwerklichen Unzulänglichkeiten. So lässt sich Rechtschreibung weder lehren noch lernen .... nicht konstruktiv.«
Insbesondere die Bemerkung zu den wissenschaftlichen Mängeln finde ich allerliebst! Wie kommt die Kommission einerseits zu einem derart vernichtenden Urteil bezüglich des DASD-Kompromißvorschlages, kehrt aber andererseits Widersprüche des „eigenen“ Regelwerkes unter den Teppich der Meta-Toleranz? Um es mit den Worten von Herrn Dr. Funk zu sagen: „... setzt allerdings voraus, dass der Maßstab hierfür offen gelegt wird.“ Da frage ich mich doch, wie eigentlich der Maßstab aussehen müßte, an dem gemessen die jetzige amtliche Rechtschreibung keine wissenschaftlichen Mängel und keine handwerklichen Unzulänglichkeiten aufweisen würde!
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Walter Lachenmann am 22.05.2003 um 15.24

Das heißt doch ganz anders. Nämlich:

Ein blinder Mann trinkt auch mal 'n Korn.

Und bei Heller wird's immer dunkler.
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Walter Lachenmann


eingetragen von margel am 22.05.2003 um 15.18

"Auch ein blindes Huhn legt mal ein Ei."

(Ausspruch eines bekannten Reformers)


eingetragen von Theodor Ickler am 22.05.2003 um 13.38

Warum soll die Kommission nicht auch einmal etwas Richtiges sagen?
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Th. Ickler


eingetragen von Christian Stang am 22.05.2003 um 12.04

Pressemitteilung

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt) hat zur Leipziger Buchmesse einen seit Jahren angekündigten "Kompromißvorschlag" zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung vorgestellt. Die Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung hat sich damit auf ihrer letzten Sitzung beschäftigt und dazu folgende Pressemitteilung verabschiedet:

Akademie-Vorschlag voller Widersprüche und ohne Konzept

Nach dem Vorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung müsste man künftig "im Unklaren" schreiben, dürfte sich aber nur über etwas "im klaren" sein. Man würde "den kürzeren ziehen", könnte aber "aus dem Vollen schöpfen". "Der Vorschlag ist als Kompromiss völlig untauglich", sagte Klaus Heller, Geschäftsführer der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung. "Ihm liegt kein erkennbares und nachvollziehbares Konzept zugrunde, denn er ist nichts anderes als eine Addition zahlloser, zum Teil auch widersprüchlicher Einzellösungen und enthält nicht eine einzige ausformulierte Regel. Die wissenschaftlichen Mängel gehen - wie jeder sehen kann - Hand in Hand mit handwerklichen Unzulänglichkeiten. So lässt sich Rechtschreibung weder lehren noch lernen." Auch wird das amtliche Regelwerk entstellt. Zum Beispiel entsprechen die Schreibungen "festhalten", "freisprechen" und "krankschreiben" - anders als behauptet - durchaus den Regeln. Aus den genannten Gründen hält die Rechtschreibkommission den Vorschlag der Akademie für nicht konstruktiv.

22. Mai 2003









eingetragen von Theo Grunden am 13.05.2003 um 12.04

Zitat aus „Zur Reform der deutschen Rechtschreibung“ (Seite 21):

Da die amtliche Regelung selbst nur einen sehr kleinen Wortschatz von etwa 12000 Einträgen enthält, war es notwendig, zur Erstellung der Liste unter den größeren Wörterbüchern auszuwählen. Wir haben uns für den »Bertelsmann« und den »Duden« als Grundlage entschieden. Dafür gibt es Gründe, beispielsweise den, daß diese Wörterbücher nach 1996 die höchsten Auflagen erreicht haben.

Aha. Die Auflagenhöhe ist also relevant. Stimmt es denn nun oder nicht, daß einzig und allein das, was die Rechtschreibkommission festgelegt hat (oder noch festlegt), maßgeblich ist? Sollte nicht die DASD zunächst einmal eine verbindliche Auskunft von der Kommission zu allen Punkten fordern, die in den Wörterbüchern unterschiedlich umgesetzt bzw. ausgelegt werden? Man hätte dann nur drei Spalten einzurichten: eine mit den bisher gültigen Schreibweisen, eine mit den von der Kommission wirklich vorgesehenen, und eine mit den von der DASD vorgeschlagenen. (Eine vierte könnte dann meinetwegen die Rückänderungen enthalten, die die Kommission von sich aus schon durchgeführt hätte, wenn die KMK dies gestattet hätte.)

Jeder Interessierte, der sich mit Fragen zu gültigen Schreibweisen an eine der Sprachberatungsstellen wendet, muß dafür – je nach Umfang und Aufwand – einiges bezahlen. Für das eine oder andere Wörterbuch hat er ja meist auch schon bezahlt. Und sowohl die Eintragungen als auch die Auskünfte können bald darauf schon wieder ungültig sein (wenn sie es nicht sowieso schon waren). Andere, wie z.B. die Erste Hilfe, sind plötzlich wieder möglich (wenn sie es nicht sowieso durchgehend waren). Zur Klärung von noch verbleibenden Zweifels- oder Streitfällen, so heißt es dann, wende man sich bitte an die Zwischenstaatliche Kommission. Ein Berg von unnötigen Kosten und Mühen. Wieso gibt es nicht schon längst eine für alle einsehbare Übersicht, in der alle die (und nur die) Fälle gebündelt klargestellt werden, in welchen die seit 1996 erschienenen Wörterbücher sich entweder einfach geirrt haben oder uneinig sind? Wäre das nicht die verdammte Pflicht einer Kommission, die ja um die unterschiedlichen Auslegungen und die nicht enden wollenden Diskussionen darüber weiß? Oder müßte erst eine angesehene Institution (wie z.B. die DASD) eine solche Liste mit der Bitte um Klartext anfordern? Hätte sie überhaupt einen Anspruch darauf?

Ich meine, jeder einzelne Schüler, von dem man die Neuschreibung verlangt, hätte einen Anspruch darauf. Und jede einzelne Lehrperson, von der man verlangt, die Neuschreibung zu vermitteln und nach ihr zu werten.

Aber es scheint so, als sei es ein wesentlicher Bestandteil der Reformdurchdrückstrategie, den Grad der Diffusion möglichst lange möglichst hoch zu halten.


eingetragen von Christian Dörner am 05.05.2003 um 22.08

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Christian Dörner
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Der Kompromißvorschlag der DASD ist, wie man hört, vergriffen, soll aber nachgedruckt werden.
amazon.de hat noch einige Restexemplare auf Lager.


Jetzt sogar nur noch ein Exemplar.
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Christian Dörner


eingetragen von margel am 02.05.2003 um 20.50

Man darf nie vergessen, daß sich die Akademie zu 90% aus öffentlichen Mitteln finanziert.


eingetragen von Theodor Ickler am 02.05.2003 um 03.42

FR 22.10.1999

Lob der Langsamkeit
50 Jahre Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung

Im folgenden veröffentlichen wir Auszüge aus der Begrüßungsrede, die der Präsident der Akademie, der Münchener Althistoriker Christian Meier, gestern abend in der Frankfurter Paulskirche hielt.
(...)
Gewiß hat die Akademie auch Fehler gemacht und ist manches schuldig geblieben. Allein, um nur die letzten Jahre zu nehmen: Ganz so verschlafen, wie es immer wieder dargestellt wird, war sie gewiß nicht. Ins Rampenlicht dagegen geraten wir, wenn wir gegen die Rechtschreibreform kämpfen.
Nichts gegen diesen Kampf! Wie richtig und notwendig er war und ist, kann man inzwischen täglich erfahren, da sich fast alle Zeitungen in einem vorauseilenden Gehorsam, den sich abzugewöhnen die Deutschen offenbar immer noch nicht gewillt sind, der unausgegorenen Reform unterworfen haben. Und wir hätten dem Finanzminister natürlich auch gern geholfen, einige hundert Millionen Mark an Steuermindereinnahmen zu erübrigen. Es ist schließlich auch nicht so, daß wir undankbar wären für das unverhofft große Ansehen, das uns aus diesem Kampf erwachsen ist. Aber erstens ist es doch interessant, daß zwar unser Kampf gegen die ideologisch oder aus Mangel an Kenntnis bedingten Auswüchse der „Reform“ bemerkt und weithin gelobt worden ist, nicht jedoch unser Reform- (und Kompromiß-)Vorschlag (der, wie mir scheint, gar nicht schlecht ist). Zweitens und vor allem aber sind wir doch eigentlich für einiges mehr da und versuchen wir auch, diesen Aufgaben gerecht zu werden. Will sagen: Ich bin überzeugt, daß diese Akademie durchaus auch heute noch, ja vielleicht mehr als zuvor gebraucht wird.
(...)
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Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 27.04.2003 um 09.27

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Wolfgang Wrase
Und wie viele Exemplare waren das, diese vergriffene Auflage?
Leider gibt es weder in dem Buch selbst noch in dem Eintrag bei der („Der“?) Deutschen Bibliothek eine Angabe dazu. Ob man das direkt von der DASD erfahren kann?

Ob die Auflage inzwischen wirklich vergriffen ist, wage ich zu bezweifeln, denn bei Amazon scheint es weiterhin lieferbar zu sein.
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Walter Lachenmann am 26.04.2003 um 11.43

sollte man vielleicht mit Nachsicht begegnen. Mein Eindruck ist weniger, daß er der Ansicht ist, für das gemeine Volk sei die »zweitbeste« Darmstädter Kompromiß-Orthographie gut genug, sondern dazu beitragen will, die schlimmsten Beschädigungen aus der »amtlichen« Orthographie, die er für nicht mehr im Ganzen rückgängig zu machen einschätzt, wieder zu tilgen.

Sein Fehler ist, daß damit auch von ihm, der dem Staat vehement überhaupt ein Mitspracherecht bei der Regelung der Rechtschreibung abspricht, diese nun doch als ein Gegenstand der politischen Verhandlung anerkannt wird. Wenn man aber jemandem das Recht zur Mitsprache grundsätzlich aberkennt, dann sollte man auch nicht nach verlorener Schlacht mit ihm in Kuhhändel eintreten wollen, sondern die Unrechtmäßigkeit der eingetretenen Umstände mit den dafür geeigneten Mitteln bekämpfen: Sachverständigengutachten, Untersuchungsausschuß, Neuaufrollen der juristischen Prozesse, Gemeinschaftsklage aller Geschädigten usw.

Wer weiß, was da unter den Darmstädter Kollegen gewesen ist - richtig gut kann den Kompromißvorschlag dort doch auch niemand finden. Auch sind bei einigen anderen einst leidenschaftlichen Kämpfern, die trotz enormem Engagement und bester Argumente in den vergangenen Jahren viele Enttäuschungen erleben mußten - eigentlich sogar ein Scheitern je nach mentaler Geneigtheit - Zeichen der Resignation und der Ermüdung festzustellen. Das kann man schon auch verstehen.

Das Gute: Die »zweitbeste« Orthographie verweist auf die »beste«, und daß dies die derzeitig grassierende nicht ist, muß man niemandem erklären.

Schönen Sonntag noch an alle!
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Walter Lachenmann


eingetragen von Theodor Ickler am 26.04.2003 um 06.42

Bisher konnte man Meier dafür bewundern, daß es ihm stets gelang, seine Texte in der besten Rechtschreibung abdrucken zu lassen. Wenn er nun aber weiterhin für sich dieses Vorrecht beansprucht (Kompromißvorschlag, Beitrag in der SZ) und zugleich dem gewöhnlichen Volk die zweitbeste Rechtschreibung als gut genug anempfiehlt, gewinnt seine Haltung etwas Zweideutiges. Sollte dies die Strategie der ganzen Akademie für Sprache und Dichtung sein und bleiben, müßte man es skandalös nennen.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 13.04.2003 um 14.30

Etwas, was mir gleich bei der ersten Lektüre auffiel, will ich hier noch nachtragen. Eisenberg schreibt im Kompromißvorschlag:

Die Änderungen in der Zeichensetzung sind (...) von einer bisweilen niederschmetternden Mechanik, z. B. "Hast du gefragt: 'Sind sie unglücklich?'?"

Hier hat sich aber gar nichts geändert. Ein weiteres Beispiel der bekannten Oberflächlichkeit. So verpufft selbst die eigentlich willkommene Kritik an der Reform, denn die Reformbetreiber haben mit derart schlampigen Einwänden natürlich leichtes Spiel.
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Th. Ickler


eingetragen von Wolfgang Wrase am 10.04.2003 um 13.56

Und wie viele Exemplare waren das, diese vergriffene Auflage?


eingetragen von Christian Dörner am 10.04.2003 um 11.06

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Der Kompromißvorschlag der DASD ist, wie man hört, vergriffen, soll aber nachgedruckt werden.
amazon.de hat noch einige Restexemplare auf Lager.
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Christian Dörner


eingetragen von Theodor Ickler am 10.04.2003 um 08.57

Der Kompromißvorschlag der DASD ist, wie man hört, vergriffen, soll aber nachgedruckt werden. Anscheinend hat die Akademie nicht mit so großer Aufmerksamkeit gerechnet, und eigentlich waren wir Kritiker es ja, die dafür gesorgt haben. Ich hatte mir auch schon überlegt, ob das richtig war, aber ich bin dann zu der Überzeugung gekommen, daß es wichtiger sei, die Diskussion wieder anzukurbeln, als den Unsinn totzuschweigen.
– geändert durch Theodor Ickler am 11.04.2003, 16.20 –
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Th. Ickler


eingetragen von Heinz Erich Stiene am 02.04.2003 um 08.13

Ein neckisches Grübeln über den Kompromißvorschlag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (= Eisenberg) treibt mich um. Angenommen, Bertelsmann (= KMK) gewänne Gefallen an der gerissen inszenierten Fata Morgana: Wer alles dürfte sich dann voraussichtlich Hoffnung auf einen kommod dotierten Beratervertrag machen? War der weite Weg (Graf Isolan) am Ende gar ein klüglich kalkuliertes, unverfror'nes Säumen? Das für die orthographische Praxis in den Schulen bedeutsame Jahr 2005 ist einerseits nahe genug, andererseits weit genug entfernt. Bleiben wir doch gleich bei den Zitaten, bei der Feststellung nämlich, mit der einst Hans Habe seine garstigen Glossen zu beschließen pflegte: "Man wird ja wohl noch fragen dürfen."

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Heinz Erich Stiene


eingetragen von Heinz Erich Stiene am 30.03.2003 um 10.12

Vor wenigen Tagen kritisierte Herr Ickler die "unerhört schwierige Forderung, bei Fremdwörtern die Wortart in der Ausgangssprache zu berücksichtigen." Mit Recht! Ein geradezu groteskes Beispiel aus dem Lateinischen hat er selbst angeführt: Facultas Docendi. Gewiß, docendi ist ein Genitiv. Aber es ist der Genitiv des Gerundiums, und dieses behält, obwohl es dekliniert wird, syntaktisch seinen Verbalcharakter. Das zeigt sich daran, daß qualifizierende Zusätze mit einem Adverb gebildet werden (und nicht etwa durch ein mitdekliniertes Adjektivattribut), z.B. facultas optime docendi. Der Inhalt des Lehrens tritt wie ein ganz gewöhnliches Objekt in den Akkusativ, etwa: facultas linguam Graecam optime docendi. Die Wortart in der Ausgangssprache?

Angefügt sei noch ein weiteres abundantes Beispiel für die hirnverwirrende Plausibilität der ss-Regelung. Im Kölner Raum wirbt ein aktuelles Plakat mit diesem Text:
Anläßlich der "2. Kölner Markttage Zeitarbeit" vom 11. bis 12. April 2003 auf dem Kölner Neumarkt schliessen sich 40 Zeitarbeitsfirmen zusammen, um mit ihren Gästen einen unvergeßlichen Abend im Ambiente von Las Vegas der 50er und 60er Jahre zu verbringen.

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Heinz Erich Stiene


eingetragen von Theodor Ickler am 30.03.2003 um 07.17

Eine vollständige Fehlerliste, wie sie Herr Dörner dankenswerterweise anlegt, sollte nicht nur dem Präsidenten, sondern allen Mitgliedern der Rechtschreibkommission der Akademie zugleitet werden; andernfalls erfahren sie gar nichts davon - das ist jedenfalls mein Eindruck nach Gesprächen mit einigen von ihnen, die sich mir gegenüber von Eisenbergs Vorlage distanzieren und überhaupt das Gefühl haben, hereingelegt worden zu sein.
Übrigens: Hat jemand Eisenbergs Artikel aus der FAZ vom 1.7.2000 (Rubrik "Fremde Federn") elektronisch gespeichert? Ich kann nur meinen Kommentar dazu finden.
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Th. Ickler


eingetragen von Elke Philburn am 28.03.2003 um 19.57

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Walter Wittkopp
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn
Aber ist es nicht komisch, wie man auch im Fall des Betriebssystems üblicherweise um Windows gar nicht herumkommt?
Nein, liebe Frau Philburn, das ist weder komisch noch zutreffend.
Rechtschreib„reform“ und “Windows” sind genauso überflüssig wie ein Kropf.


Das glaube ich Ihnen gern, lieber Herr Wittkopp. Gleichwohl kann ich Ihnen versichern, daß ich in all den Jahren, seitdem ich einen PC benutze, nie die Wahl zwischen Linux und Windows hatte - weder privat noch am Arbeitsplatz. Dem arglosen Benutzer kann man diesbezüglich keine Vorwürfe machen.

Wenn sich hier das Schlechtere gegenüber dem Besseren durchsetzte, weil ein größerer Machtapparat dahintersteht, wäre das tatsächlich eine Parallele zur Rechtschreibung.


eingetragen von Manuel am 28.03.2003 um 19.31

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Henning Upmeyer
Lieber Manuel,
je größer das Rechtschreibchaos wird und je mehr Leute das einsehen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß die Reformschreibung als nicht funktionierend und auch nicht reparierbar angesehen und verschrottet wird, weil es ja ein bestens und fehlerfrei funktionierendes System in Bereitschaft gibt, auf das man nur umzuschalten braucht.


Lieber Herr Upmeyer,
ist es im Falle der Rechtschreibreform nicht so, daß nicht die Masse unserer Bevölkerung die Nachteile besagter Reform erkennen muß, sondern die Herren Kultusminister und Politiker? Da diese Personen die neue Orthographie sozusagen aus der Taufe gehoben haben, werden sie allerdings kaum zu überzeugen sein. Niemand will gerne sein eigenes Werk verteufeln, und für die Unmöglichkeit, die Reform noch zurückzunehmen, haben die Politiker eher wirtschaftliche als sprachliche Gründe parat.


eingetragen von Walter Wittkopp am 28.03.2003 um 16.36

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Elke Philburn
Aber ist es nicht komisch, wie man auch im Fall des Betriebssystems üblicherweise um Windows gar nicht herumkommt?
Nein, liebe Frau Philburn, das ist weder komisch noch zutreffend.
Rechtschreib„reform“ und “Windows” sind genauso überflüssig wie ein Kropf.
Übrigens (1.): Seit 1997 werden diese Rechtschreibseiten ausschließlich auf Apfel- und Linux-Rechnern gefertigt.
Übrigens (2.): Wenn vermeinte Zwänge „üblicherweise“ hingenommen werden, dynamisieren sich Gruppen in übler Weise.

__________________
Walter Wittkopp


eingetragen von margel am 28.03.2003 um 14.57

Frau Philburn, Sie tönen das an, was auch mir am Herzen liegt
und möglicherweise vielversprechend weiterzuentwickeln wäre. Stichwort:"Ökosystem". Ich habe ja neulich schon mal gefragt, ob nicht eine Argumentationslinie"Orthographie als evolutionärer Prozeß/Sprachgefühl als Wegweiser usw" aufgebaut werden könnte. Natürlich ist es schwer, im Zeitalter des Machbarkeitswahns für das Gewachsene einzutreten und gute Gründe zu finden. S. Diskussion um die Gentechnik.


eingetragen von Elke Philburn am 28.03.2003 um 14.26

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Henning Upmeyer
Man kann es mit den Betriebssystemen Windows und Linux vergleichen: Windows ist ein in Geheimhaltung entstandenes "geschlossenes" Chaossystem, das erst durch die Fehlersuche der Kunden reifen soll; Linux ist ein durch demokratische Mitsprachemöglichkeiten von allen erfahrenen Fachleuten gewachsenes und lebendes "offenes" und daher fehlerfreieres System, auf das immer mehr Anwender umsteigen.

Aber ist es nicht komisch, wie man auch im Fall des Betriebssystems üblicherweise um Windows gar nicht herumkommt?


eingetragen von Henning Upmeyer am 28.03.2003 um 14.16

Lieber Manuel,
je größer das Rechtschreibchaos wird und je mehr Leute das einsehen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß die Reformschreibung als nicht funktionierend und auch nicht reparierbar angesehen und verschrottet wird, weil es ja ein bestens und fehlerfrei funktionierendes System in Bereitschaft gibt, auf das man nur umzuschalten braucht.
Der Fehler ist ein Konstruktionsfehler: Man kann es mit den Betriebssystemen Windows und Linux vergleichen: Windows ist ein in Geheimhaltung entstandenes "geschlossenes" Chaossystem, das erst durch die Fehlersuche der Kunden reifen soll; Linux ist ein durch demokratische Mitsprachemöglichkeiten von allen erfahrenen Fachleuten gewachsenes und lebendes "offenes" und daher fehlerfreieres System, auf das immer mehr Anwender umsteigen.
Auch für die Rechtschreibung hätte 1996 gelten müssen: Never change a running system.


eingetragen von Henning Upmeyer am 28.03.2003 um 13.50

wie: deutsch sprechen; er spricht deutsch; Erweiterungsprobe: er spricht gut deutsch. "gut deutsch" ist Modal-Adverb zu "sprechen".
was: ?eutsch sprechen; er spricht ?eutsch; Erweiterungsprobe: er spricht gutes Deutsch. "gutes" ist Adjektiv-Attribut zum Substantiv-Objekt "Deutsch".
Ganz einfach ist es nicht. Schuld ist die Formgleichheit und deswegen Verwechselbarkeit von Adjektiv und Adverb im Deutschen. Deswegen haben viele Deutsche Probleme, wenn sie das in Fremdsprachen genau unterscheiden müssen.


eingetragen von Christian Dörner am 28.03.2003 um 12.32

Der Kompromißvorschlag der DASD ist schon allein aus folgenden Gründen völlig ungeeignet:

1. Er basiert auf der fehlerhaften Neuregelung, lehnt aber zugleich so viel von dieser ab, daß weder Kritiker noch Anhänger der Reformorthographie damit einverstanden sein können.

2. Er stützt sich auf Einzelwortfestlegungen, nicht auf Regeln, so daß die Festlegungen der Akademie noch schwieriger zu erlernen sind als die alten Haarspaltereien bzw. die neuen Festlegungen durch das Reformregelwerk. Dies gilt sowohl für die GZS als auch (und das vor allem) für die GKS, die im Vorschlag der Akademie nun völlig verworren ist. Es folgen zwei Beispiele (es würde sich eine endlose Liste anführen lassen):

a) Substantivierte Ordinalzahlwörter, wenn sie zum Abzählen gebraucht werden. Nach alter Regelung klein, nach neuer groß. Akademievorschlag: der Erste, der erstere, fürs erste, jeder Zweite, zum ersten/zweiten, sie hat wie keine Zweite gearbeitet (alles obligatorisch). Hier ist man als Reformkritiker in einem Wechselbad der Gefühle: Soll man sich freuen, daß in manchen Fällen wieder Kleinschreibung gelten soll, oder soll man sich darüber ärgern, daß es noch komplizierter als die alten oder neuen Festlegungen ist?

b) Prädikativ gebrauchte, substantivierte Adjektive, die als Ersatz für ein normales Adjektiv stehen. Nach alter Regelung klein, nach neuer groß. Nach dem Willen der Akademie soll man schreiben: es ist das Allerbeste und es wäre das Richtigste (nur so), aber es ist das klügste/Klügste und es wäre mir das liebste/Liebste (beides möglich) usw.

3. Der Vorschlag geht in etlichen Punkten noch über die Reform hinaus, will beispielsweise nur noch das Allermindeste oder Deutsch sprechen zulassen. Das fordert nicht einmal die Neuregelung.

4. Die Darstellung im Wörterverzeichnis ist vielleicht noch fehlerhafter als das erste Bertelsmannwörterbuch von 1996. Über 100 Fehler habe ich bereits entdeckt (Hand-out, bis ins Einzelne, er als Einziger waren nicht die alten Festlegungen; der alte Duden ließ durchaus Existenzialismus zu, und das sogar ausdrücklich; an Hand war nicht 1996 vorübergehend zulässig, sondern ist eine abgeschaffte alte Alternativschreibung; aufgrund, jetzt häufig auf Grund ist auch falsch, da es gerade andersherum war; Busineß class ist nicht die alte Schreibung, mitunterzeichnen auch nicht; unzählige stand überhaupt nicht im Duden; bereit halten schrieb man keinesfalls immer getrennt; dreiviertel acht ist nicht die alte Schreibung, Irish Stew auch nicht, Swimming-Pool schon gar nicht; zuviel ist keinesfalls die einzige vom Duden erlaubte Schreibung; falsch ist auch, daß man bisher, wie unter Seite zu finden, zu Seiten schrieb; in sonderheit, wenn ist ebenfalls unrichtig usw.).

5. Die Akademie stellt keine Regeln auf, aus denen man Schreibungen von Wörtern ableiten könnte, die nicht im Verzeichnis stehen. Zu vielen Dingen (z. B. Kommasetzung bei mit und oder oder verbundenen Hauptsätzen, ob die Getrenntschreibung bei so viel fakultativ auch für die Konjunktion gelten soll usw.) äußert sich die Akademie gar nicht. Bei der Silbentrennung von Fremdwörtern ist die Akademie anscheinend unentschlossen, was zugelassen werden soll und was nicht.

Aber machen wir uns keine Sorgen: Der Vorschlag wird (wie auch 1999) keine Beachtung finden, und jegliche Aufregung darüber wäre umsonst.

Nachtrag: Ich bin gerade dabei, eine komplette Fehlerliste (mit Angabe der Seitenzahl und danach geordnet) zu erstellen. Diese könnte man dann der Akademie zukommen lassen, damit ihr vor Augen geführt wird, was sie da abgeliefert hat. Ich bin der letzte, der jemandem einen Irrtum oder Tippfehler vorwirft, aber was da für über 30 DM angeboten wird und dazu noch verbindlich gemacht werden soll, ist jenseits von Gut und Böse.
– geändert durch Christian Dörner am 31.03.2003, 22.41 –
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Christian Dörner


eingetragen von Elke Philburn am 28.03.2003 um 10.17

Das Unsinnige an dem Vorschlag der Akademie ist doch, daß ein Regelwerk, das von kaum jemandem richtig umgesetzt wird, durch ein anderes ersetzt werden soll, das ebenso niemand richtig umsetzen kann.

Als größten Vorteil der herkömmlichen Rechtschreibung sehe ich die Tatsache, daß sie weitaus sicherer beherrscht wurde (und wird) als die 'neue', daß sie bis 1996 quasi überall präsent war und sich dementsprechend gut einprägte. Diese stabile Rechtschreibung ist aber nicht von heute auf morgen entstanden, und einmal zerstört, wird sie sich auch nicht im Handumdrehen wieder aufbauen.

Das ist wie mit einem gut funktionierenden Ökosystem, das sich, wenn man es nicht aus dem Gleichgewicht bringt, ständig reproduziert und am Leben erhält. Pfuschen Sie an irgendeiner Stelle dazwischen, stören Sie den gewohnten Kreislauf, so treten unvorhersehbare Kettenreaktionen ein, das System bricht zusammen und braucht dann lange Zeit, um sich auf ein neues Gleichgewicht unter veränderten Bedingungen einzupendeln.

Es ist im Grunde nie zu spät, zum Bewährten zurückzukehren. Nur ist der Schaden natürlich umso größer, je länger die Reformschreibung, oder was man jeweils darunter verstehen mag, der Sprachgemeinschaft aufgezwungen wird.


eingetragen von Manuel am 27.03.2003 um 21.58

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
In Wirklichkeit ist es auch heute noch nicht zu spät.

Gibt es denn wirklich noch berechtigte Hoffnungen auf eine Rückkehr zur bewährten Orthographie? Die neue Rechtschreibung hat unzweifelhaft ein Chaos in der deutschen Sprache verursacht, aber solange dieses Chaos den Schülern gelehrt, den Beamten und vielen Zeitungslesern aufgezwungen wird, kann ich mir nicht vorstellen, daß es noch zu einer Wende kommen könnte.


eingetragen von J.-M. Wagner am 27.03.2003 um 18.48

Was schlägt Eisenbergs Kommission bezüglich der Silbentrennung vor? In seinem in der FAZ erschienenen Artikel teilt ihr Chef ja den Befund mit, daß »etwa sechzehn Prozent [des Wortschatzes] durch Neuerungen bei der Silbentrennung [betroffen sind].« Gibt es speziell einen Kommentar zur (Nicht-)Trennung von "ck"?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Wolfgang Wrase am 27.03.2003 um 15.13

Natürlich, ein staatenbildendes Ameisenvolk! Komischerweise dachte ich überhaupt nicht an Insekten, lieber Professor Ickler, obwohl das "staatenbildend" ja genau zu ihnen gehört. Man sieht und liest so viel vom Irak-Krieg, von der UNO und allen möglichen Staaten in diesen Zeiten - da habe ich glatt die Insekten vergessen, um die es geht.


eingetragen von Theodor Ickler am 27.03.2003 um 15.05

Nein, lieber Herr Wrase, ein Ameisenvolk bildet einen Staat; das macht die Ameisen zu staatenbildenden Insekten. Sollte jeder Pilz nur eine Spore bilden, wären die Pilze gleichwohl sporenbildende Lebewesen. Botanisch undenkbar, aber hier geht es ja auch nicht um Botanik. Es ist eigentlich wie mit dem Hühnerei, diesem seltsamen Gemeinschaftswerk.
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Th. Ickler


eingetragen von Wolfgang Wrase am 27.03.2003 um 13.28

Zitat aus dem Kommentar: "funkensprühend, staatenbildend, sporenbildend stehen als Varianten neben Funken sprühend, Staaten bildend und Sporen bildend; sie sind aber keineswegs gleichbedeutend, denn man darf nicht, wie die Reformer, Pluralzeichen und Fugenelement verwechseln."

Ich finde, die Beispiele sind im Rahmen der Argumentation nicht überzeugend, denn es kommt nicht vor, daß nur eine einzige Spore gebildet wird; es mag vorkommen, daß nur ein einziger Funken erzeugt wird, aber dann würde man das nicht als "funkensprühend" bezeichnen; bei der "Staatenbildung" ist die Rede von mehreren Staaten, andernfalls würde man wohl "staatsbildend" sagen.

Die Aussagen sind richtig, aber die Beispiele illustrieren sie nicht, denn in den genannten drei Fällen stimmt die Fugenbildung zufällig mit dem Pluralcharakter überein (was meinstens der Fall ist, nur nicht immer).

Der Fehler bei Eisenberg besteht zunächst darin, die Zerlegung GRUNDSÄTZLICH als gleichbedeutend zu verkaufen (wenn ich es richtig verstanden habe). Zweitens ist das deswegen falsch, weil bei der Getrenntschreibung nicht nur eindeutige Plurale erzeugt werden, sondern auch Bedeutungsnuancen eliminiert werden, die die Zusammenschreibung vermittelt: klassifierende Eigenschaft im Gegensatz zur Beschreibung eines Vorgangs und ähnliches. Dafür würden zumindest die beiden Beispiele "sporenbildend" und "staatenbildend" stehen.


eingetragen von Henning Upmeyer am 27.03.2003 um 09.09

Ein inkorporiertes Objekt muß immer dann wieder getrennt geschrieben werden, wenn es erweitert wird. Das gilt ganz allgemein für Univerbierungen. Bloße Erweiterbarkeit als Kriterium ist natürlich unsinnig.


eingetragen von Theodor Ickler am 27.03.2003 um 03.47

Nachdem die "Süddeutsche Zeitung" die Kurzfassung meines Kommentars veröffentlicht hat (s. Nachrichtenseite), kann ich hier endlich auch die ausführliche Version vorstellen:

Schlecht eingeschänkt

Zum „Kompromißvorschlag“ der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung



Für die Rechtschreibreform hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, seit sie sich - spät genug - zu Wort meldete, immer nur schärfste Verurteilung übrig gehabt: „gravierende Mängel, evidente Dummheiten, in sich vielfach widersprüchlich, wenig sinnvoll, willkürliche Eingriffe; schwer erträgliche Unsinnigkeit, von Anfang an eine Mißgeburt; gehört auf den Schrotthaufen der Geschichte, steht mit der Grammatik auf Kriegsfuß“ usw. - das sind nur einige ihrer Urteile aus den letzten sechs Jahren. (Wenn Christian Meier im Vorwort die „gelegentlich arg übertriebene Polemik“ kritisiert, zu der die Reformdiskussion geführt habe, vergißt er wohl, daß die stärksten Äußerungen von ihm selbst stammen; unbegründet waren sie nicht.) Die Akademie wußte auch, was man zur Lösung der mutwillig heraufbeschworenen Rechtschreibkrise tun sollte: die bisherige Rechtschreibung beibehalten und lediglich einige Haarspaltereien des Duden „auskämmen“. So ihr Beschluß im Frühjahr 1997. Um so überraschter war die Fachwelt, als die Akademie im Jahre 1999, offenbar unter dem Einfluß ihres „frisch gebackenen“ Mitglieds Peter Eisenberg, mit einem Kompromißvorschlag hervortrat, der die verachtete Neuregelung als Grundlage einer Reform der Reform akzeptierte. „Angesichts der Machtverhältnisse“, wie es hieß, wollte man sogar die ss-Regelung, das rote Tuch der Reformkritiker, hinnehmen, obwohl man ihre Minderwertigkeit und Fehlerträchtigkeit durchaus eingestand. „Wer sie akzeptiert, gibt zu erkennen, daß er die Neuregelung nicht grundsätzlich bekämpft.“ Nur wenige nahmen damals den erstaunlichen Kniefall vor dem so klar erkannten Geßlerhut zur Kenntnis, denn der an sich belanglose Kompromißvorschlag fand, wie Akademie-Präsident Meier später beklagte, so gut wie keine Beachtung in der Öffentlichkeit.
Damals fehlte auch noch ein Wörterverzeichnis; es sollte „demnächst“ erscheinen. Daraus wurden vier Jahre. Nun legt die Akademie fast denselben Vorschlag mit einem 110 Seiten langen Wörterverzeichnis aufs neue vor. Es zeigt in vier Spalten die alte Dudennorm, die Reformschreibung, die Schreibweise des teilweise rückgebauten Duden von 2000 und den Akademievorschlag. Ein Regelwerk fehlt nach wie vor, so daß viele Schreibweisen willkürlich und unlernbar wirken. Man soll schreiben im klaren sein, aber im Unklaren sein; auf Deutsch, aber auf gut deutsch; im guten wie im bösen, aber Gleich und Gleich gesellt sich gern. Bei kennenlernen und spazierengehen soll nur die Zusammenschreibung erlaubt sein, bei sitzenbleiben, laufenlassen auch die Getrenntschreibung; schätzen lernen und lieben lernen wiederum sollen nur getrennt geschrieben werden. Bei im Trüben fischen wird Großschreibung verordnet, bei den kürzeren ziehen, auf dem laufenden sein, ins reine kommen Kleinschreibung. Wer würde darauf kommen, daß jetzt Herz Ass geschrieben werden soll, gleich weit entfernt von alter wie neuer Rechtschreibung? Der Vorschlag kennt nichtssagend und nichts sagend, aber nur vielsagend. Solche Inkonsequenzen finden sich in großer Zahl. funkensprühend, staatenbildend, sporenbildend stehen als Varianten neben Funken sprühend, Staaten bildend und Sporen bildend; sie sind aber keineswegs gleichbedeutend, denn man darf nicht, wie die Reformer, Pluralzeichen und Fugenelement verwechseln. Das gilt für zahllose weitere Fälle.
Die synoptischen Listen könnten nützlich sein, wenn sie nicht so erstaunlich fehlerhaft wären. Dem alten Duden werden zum Beispiel folgende Schreibweisen unterstellt: leidtun; aus schwarz Weiß machen; das nächstbeste, was sich ihm bietet; am ersten des Monats; Chop-Suey; Boat-People; Halt rufen; ein völlig neubearbeitetes Werk; sich taubstellen. All dies ist falsch. Cevapcici stand so nicht im Duden, ist aber auch nach der Neuregelung nicht die einzige Schreibweise, und die von der Akademie angebotene mit ihren drei Hatscheks ist erst recht abwegig. jung und alt war gerade nicht die einzige vom Duden vorgesehene Schreibweise. Der angebliche Dudeneintrag ein großer mitleiderregender Fall ist frei erfunden und außerdem sinnwidrig; offenbar sollte er eigentlich zeigen, daß unter gewissen Umständen Getrenntschreibung eintreten muß: ein großes Mitleid erregender Fall. Stop war keineswegs die einzige Schreibweise des Duden, und die Akademie fällt noch dahinter zurück, indem sie die Schreibung Stopp völlig beseitigt. Ähnliche Unsauberkeiten finden sich fast auf jeder Seite.
Auch die Neuregelung wird nicht korrekt dargestellt. Sie schreibt ausdrücklich nochmal vor (§ 55), nicht noch mal, wie Eisenberg annimmt. Die Neuregelung kennt nicht nur Tausende von Menschen, sondern trotz des offensichtlich substantivischen Charakters auch die Kleinschreibung (ähnlich problematisch verhalten sich hunderte und dutzende). Es trifft einfach nicht zu, daß die Neuregelung bei zufriedenstellend noch die herkömmliche Zusammenschreibung zuließe. zeitsparend steht zwar nicht im amtlichen Wörterverzeichnis, ist aber nach den amtlichen Regeln ausgeschlossen, so daß dieser Eintrag ebenfalls irrig ist. alles in Allem ist in der amtlichen Neuregelung nicht vorgesehen, einschänken erst recht nicht. Man fragt sich, wie es zu derart krassen Irrtümern kommen konnte. Aus den Vorbemerkungen zur Liste könnte man schließen, daß gar nicht die amtliche Neuregelung, sondern deren Auslegung durch den Duden 1996 als „Neuregelung“ ausgegeben wird, was zwar beim Duden-Autor Eisenberg verständlich, aber doch grob irreführend wäre. Bezeichnenderweise wird auch die Unterscheidung von Haupt- und Nebenvarianten, auf die die amtliche Regelung so großen Wert legt, vollkommen ignoriert.
Der Akademie-Vorschlag selbst wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Noch 1999 lehnte die Akademie die Großschreibung in heute Abend usw. strikt ab; jetzt soll sie als einzige zugelassen werden, obwohl sie in den Augen der Akademie weiterhin die schlechtere ist. Es trifft auch nicht zu, daß die Kleinschreibung auf der möglicherweise irrigen Ansicht der Dudenredaktion beruht, es handele sich um ein Adverb; sie hat sich unabhängig vom Duden so entwickelt. 1999 hatte Eisenberg noch ganz richtig gesagt, wenn der substantivische Charakter nicht feststehe, müsse klein geschrieben werden. Geradezu schockierend wirkt der Vorschlag, die Anredewörter Du, Dein, Ihr usw. nicht nur in Briefen, sondern immer groß zu schreiben - wie es manche Zeitungen aufgrund einer fehlerhaften dpa-Liste schon jetzt tun. Nur in mit du anreden, auf du und du soll klein geschrieben werden; hier endet also die geplante Gleichbehandlung von Du und Sie. In der Einleitung erklärt Eisenberg die neuen Großschreibungen im Allgemeinen, im Folgenden und im Wesentlichen für „nicht akzeptabel“, aber im Wörterverzeichnis werden alle drei ausdrücklich angeboten, und Eisenberg selbst schreibt das Folgende ebenfalls groß (S. 23). In der Einleitung wird der Eintrag 8fach/8-fach besprochen; im Wörterverzeichnis existiert er aber gar nicht, und die amtliche Regelung sieht hier auch keinen Bindestrich vor, im Gegensatz zum Entwurf von 1994, an den Eisenberg sich hier vielleicht erinnert.
Die neue Kleinschreibung der goetheschen Gedichte hält Eisenberg für begründet, weil es sich um ein „echtes Adjektiv“ handele, aber das Schwarze Brett und die Erste Hilfe will er wie bisher groß schreiben, obwohl ebenfalls echte Adjektive vorliegen; in beiden Fällen gibt es sehr gute, wenn auch verschiedene Gründe, bei der Großschreibung zu bleiben. Am Schluß spricht sich aber auch Eisenberg für die Beibehaltung der bisherigen Unterscheidung aus: goethesches Gedicht (nach Art Goethes) vs. Goethesches Gedicht (von Goethe). Den neuen Apostroph lehnt er mit Recht ab.
Ganz inkonsequent verfährt Eisenberg bei Wörtern wie diensthabend. Wenn man Dienst habend vorsieht, muß man auch die reguläre Substantivierung Dienst Habende zulassen; das geschieht aber nicht, während Rat Suchende usw. sehr wohl verzeichnet sind. Zu Dutzenden werden Alternativschreibungen wie notleidend und Not leidend, hilfesuchend und Hilfe suchend angeführt, als seien sie ohne weiteres austauschbar. Da es kein Regelwerk gibt, vermißt man einen Hinweis auf den zumindest stilistischen Unterschied. Die Segen bringende Weihnachtszeit wirkt klumpig, weil das erweiterte Partizip im Deutschen stilistisch markiert ist. Leider fehlen die vielzitierten Leid Tragenden, so daß man nicht weiß, wie weit die Akademie auch diesen Unfug mitmachen will. Eisenberg äußert sich auch nicht zu der sehr problematischen Reformschreibung Gefahr drohend.
Es ist nicht einzusehen, warum für alle Verben mit -einander- (sogar zueinanderpassen) die Zusammenschreibung nur fakultativ gelten soll, für ineinandergreifen aber obligatorisch. Die Schreibung von Verben mit dem Zusatz wieder ist so undurchsichtig wie in der amtlichen Neuregelung. Wir finden Einträge wie wiederaufnehmen/wieder aufnehmen, aber nur wieder einsetzen. Da nur wenige Beispiele angeführt werden, bleibt unklar, wie mit wiederherstellen usw. zu verfahren ist, die in den neuen Wörterbüchern sehr unterschiedlich behandelt werden.
Das Bekenntnis zum „Usus“ bleibt folgenlos. Die Akademie hat es nicht für nötig gehalten, den tatsächlichen, gewachsenen Schreibbrauch zu untersuchen. Auch ist es nicht möglich, durch Korrekturen an der Neuregelung zu einer besseren Darstellung der bisherigen Regeln zu gelangen, denn die Neuregelung stellt in zentralen Bereichen das bisher Geltende geradezu auf den Kopf. Es macht dennoch der Akademie nichts aus, das übliche insonderheit zu verbannen und nur dem archaischen in Sonderheit Bleiberecht zu gewähren; allerdings ist das Wörterverzeichnis hier widersprüchlich, denn unter insonderheit läßt es die bisherige Schreibweise doch wieder zu.
Sehr bedauerlich ist, daß die Akademie die äußerst nützliche Unterscheidung zwischen der zweite (beim Abzählen) und der Zweite (auf dem Siegertreppchen) zugunsten einheitlicher Großschreibung abschaffen will. Sie weist zwar grammatisch falsches Pleite gehen und Diät leben zurück, behält aber aus unerfindlichen Gründen das ebenso unsinnige Vabanque spielen bei, als handele es sich um ein Spiel wie Roulette. Überraschenderweise soll die Kleinschreibung nicht nur für pleite gehen gelten, wie es notwendig ist, sondern auch für pleite machen. Mit grammatisch fehlerhaften Neuschreibungen wie Leid tun, Recht haben und Not tun räumt Eisenberg auf, aber es ist nicht nachvollziehbar, daß er nur leidtun und nottun (aber recht haben) zulassen will, entgegen der bisherigen Norm. Wenn irgendwo, wären hier Varianten zuzulassen.
Das unschuldige h in rauh muß dran glauben (Raureif usw.), und zwar weil blau oder genau auch nicht mit h geschrieben werden. Allerdings ist das h in rauh etymologisch berechtigt und stellt den Zusammenhang mit Rauchwaren (Pelz) her. Eine wirkliche Sprachakademie würde mit solchen Dingen sensibler umgehen. - Im übrigen werden die „Etymogeleien“ der amtlichen Neuregelung erfreulicherweise abgelehnt; einbläuen, Gämse, Tollpatsch, Stängel, schnäuzen und Zierrat bleiben uns also erspart, aber die Schneewächte wird zur Wechte, weil die reformwilligen Oberlehrer herausgefunden haben, daß sie nicht von wachen abgeleitet ist.
Die unerhört schwierige Forderung, bei Fremdwörtern die Wortart in der Ausgangssprache zu berücksichtigen, wird seltsamerweise übernommen: Casus Belli, Facultas Docendi, Dernier Cri, Dolce Vita, Agent Provocateur. Warum werden dann aber die Adjektive hier nicht klein geschrieben? Die Neuregelung führt dazu, daß die vielen Entlehnungen mit einer ins Närrische vermehrten Großschreibung einhergehen. „Auch diese Regelung ist problematisch. Möglicherweise führt sie aber zu größerer Einheitlichkeit bei der Fremdwortschreibung und sollte trotz Bedenken akzeptiert werden.“ 1999 wurde sie noch strikt abgelehnt, und neue Argumente sind nicht aufgetaucht. Wie schwer die Neuregelung durchzuführen ist, zeigt sich nicht nur an Sprachen, die kaum (noch) gelernt werden: Herpes Zoster (nicht angeführt), Nasi-goreng (das der Regel entspricht), Chop-suey („falsch“, denn suey ist Substantiv) usw., sondern schon an Beispielen wie Pre-shave, After-shave (wo Eisenberg Kleinschreibung vorsieht, obwohl man shave mit Fug für eine Substantivierung halten kann) und Agent Provocateur (wo französische Grammatiken gern ein Adjektiv ansetzen). Während beim lateinischen Pars pro Toto und Primus inter Pares die Substantivierung peinlich genau beachtet wird, soll dasselbe für im guten wie im bösen, das ist mir ein leichtes nicht gelten; hier ist nur Kleinschreibung vorgesehen. (Dagegen wiederum im Dunkeln tappen, mein Ein und Alles usw.) Und wie ist die Kleinschreibung in High-tech begründet? Bei der Fremdwortschreibung fragt man sich, warum die volkstümliche Vereinfachung Hämorriden ihr zweites r behalten soll. Tunfisch wird anerkannt, obwohl es keineswegs dem von Eisenberg beschworenen „Usus“ entspricht oder auch nur angebahnt wäre. Tollpatsch dagegen wird nicht zugelassen, obwohl es schon vor der Reform häufig anzutreffen war. Die Angaben unter phon/fon sind widersprüchlich. Nur noch Zellophan gelten zu lassen ist widersinnig, da es sich bei Cellophan um ein Warenzeichen handelt. (Mit dem Fön verhält es sich ähnlich, aber der wird gar nicht erwähnt.) Eisenberg lehnt „frei erfundene“ Zusammenschreibungen wie Highsociety entschieden ab (S. 18), aber im Wörterverzeichnis stehen zahlreiche Gebilde wie Hotjazz.
Der Vorschlag ist auch didaktisch eine Zumutung. Ganz im Stil der amtlichen Neuregelung dekretiert die Akademie zum Beispiel: Die bisherige Schreibweise No-name-Produkt wird verboten, statt dessen darf man zwischen drei (!) neuen Schreibweisen wählen: Nonameprodukt, No-Name-Produkt, Noname-Produkt. Nichts gegen liberale Öffnung, aber es ist nun ungemein schwierig, im Wust des Zulässigen das Unzulässige herauszufinden.
Der Kompromißvorschlag deckt wesentliche Fehler der amtlichen Neuregelung schonungslos auf; das ist verdienstvoll, wenn es auch ein bißchen spät kommt. Inhaltlich kann er jedoch nicht überzeugen, und als Strategie ist das Herumdoktern an einem von „Deppen“ (so Präsident Meier) hervorgebrachten Pfusch von Grund auf verfehlt. Warum sollten wir uns, im Besitz einer vorzüglichen Einheitsorthographie, auf einmal mit etwas „abfinden“, was „ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar“ (S. 9) ist. Im gleichen Ton der Verzagtheit gesteht die Akademie sogar ausdrücklich: „In einigen Fällen übernehmen wir Neuschreibungen nur deshalb, weil sie unserer Auffassung nach keinen allzu großen Schaden anrichten“! Vor vier Jahren wollte man „angesichts der Machtverhältnisse“ nachgeben, jetzt heißt es an der gleichen Stelle „angesichts der Lage“. Damit ist gar nichts gesagt, nur der Wille zur halben Unterwerfung wird protokolliert. Die „Lage“ sieht in Wirklichkeit so aus: Die Kultusminister haben signalisiert, sie wären die unselige Reform nur zu gern los, aber der entscheidende Stoß müsse von unten kommen.
Der Vorschlag läuft auf Tausende von Änderungen hinaus. Selbst wenn es nicht so viele wären, müßten sämtliche Rechtschreibbücher, Schulbücher usw. neu gedruckt werden. Die Erwartung, der Vorschlag werde wegen seiner Behutsamkeit keine neue „Kostenlawine“ hervorrufen, ist illusorisch. Die Kultusminister wußten schon, warum sie 1998, nach der „Mannheimer Anhörung“, unter dem Druck der Verlage alle Korrekturen ablehnten, sogar die von den Reformern selbst für „unumgänglich notwendig“ erklärten. „Kompromiß“ klingt angenehm versöhnlich, aber man braucht nur kurz nachzudenken, um einzusehen, daß die scheinbar radikalere Lösung in diesem Fall die sanfteste und nicht zuletzt unvergleichlich billigere ist. Übrigens: Was hat es zu bedeuten, daß das vorliegende Werk in herkömmlicher Orthographie gedruckt ist (wenn auch fehlerhaft)? Traut die Akademie ihrem eigenen Vorschlag nicht und möchte dem Leser den Anblick der Folgen ersparen?
Eisenberg behauptet, es sei jetzt zu spät für einen Abbruch der Reform. Aber dasselbe hat er schon Anfang 1996 behauptet, als die Neuregelung noch nicht einmal beschlossen war, und dann immer wieder. Die Akademie hat diese Redeweise übernommen. In Wirklichkeit ist es auch heute noch nicht zu spät. An den Schulen kann die Verwirrung nicht mehr größer werden; die Umkehr wäre eine Erlösung. Seriöse Verlage drucken weiterhin in der bewährten, von der Mehrheit gewünschten, leserfreundlichen, grammatisch korrekten, allgemein bekannten und gut dokumentierten Orthographie, auf der auch alle bedeutenden Schriftsteller bestehen. Sie hat sich inzwischen als Rechtschreibung erster Klasse etabliert, während die meisten Zeitungen und die minderwertige Literatur in der zweitklassigen Neuschreibung erscheinen. Was eine Akademie für Sprache und Dichtung angesichts dieser Lage zu tun hat, sollte keines langen Nachdenkens bedürfen.

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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 22.03.2003 um 15.15

Für einen aussichtslosen Vorschlag wohl, aber nicht für den tiefen Einblick, den man hier in die DASD im allgemeinen und Peter Eisenbergs Taktik im besonderen gewinnt. Es ist sozusagen ein Lehrstück über skandalöse Fahrlässigkeit und Schlimmeres, mit dem Geßlerhut in der Mitte. Ich habe die Ausgabe nicht bereut, obwohl mich die RSR auch sonst schon allerhand gekostet hat.
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Th. Ickler


eingetragen von Christian Dörner am 22.03.2003 um 14.19

Daß es als normales Buch vertrieben wird, wußte ich nicht. Damit ist die Sachlage natürlich eindeutig. Gut 30 DM sind allerdings für einen Vorschlag, der nicht die geringste Chance auf Realisierung hat, ziemlich viel Geld.
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Christian Dörner


eingetragen von Theodor Ickler am 22.03.2003 um 13.51

Das wäre bestimmt nicht zulässig, zumal das Buch gerade erst ausgeliefert worden ist. Ich erwarte zwar, daß der sinnlose Vorschlag der DASD kaum beachtet wird und bald in der Vergessenheit verschwindet, aber wer sich wirklich interessiert, wird die Ausgabe von 16 Euro nicht bereuen.
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Th. Ickler


eingetragen von Christian Dörner am 22.03.2003 um 13.44

Wäre es möglich, die Broschüre der DASD einzuscannen und hier als JPG- oder GIF-Bilder bereitzustellen, oder würde das rechtliche Probleme verursachen?
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Christian Dörner


eingetragen von Theodor Ickler am 22.03.2003 um 12.14

Wie inkonsequent der neue Vorschlag ist, sieht man zum Beispiel an Eisenbergs Festlegung, bei im guten wie im bösen sei nur Kleinschreibung zulässig, bei Pars pro Toto nur Großschreibung, obwohl es sich um dieselbe Substantivierung handelt.
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Th. Ickler


eingetragen von Henning Upmeyer am 18.03.2003 um 22.43

Zitat: "Dabei gibt die Akademie durchaus zu, daß die bisherige Rechtschreibung besser war, aber um des 'Rechtschreibfriedens' willen fordert sie dazu auf, auch schlechtere Schreibweisen hinzunehmen, wenn sie nicht allzuviel Schaden anrichten."
Dazu in Abwandlung des angeblichen uralten Geräte-Verkäufer-Spruches "Soll es etwas Gutes sein, oder darf es auch von ... sein?" der zu empfehlende neue Buch-Verkäufer-Spruch: "Soll es etwas Gutes sein, oder darf es auch in neuer Rechtschreibung sein?"


eingetragen von Theodor Ickler am 18.03.2003 um 17.14

Das ist, wie fast die ganze Einleitung, ziemlich wörtlich aus der Vorlage von 1999 übernommen. Wie ich recht bald zeigen werde, ist der gesamte Kompromißvorschlag ein arges Flickwerk, inkonsequent und erstaunlich nachlässig gearbeitet. Dabei gibt die Akademie durchaus zu, daß die bisherige Rechtschreibung besser war, aber um des "Rechtschreibfriedens" willen fordert sie dazu auf, auch schlechtere Schreibweisen hinzunehmen, wenn sie nicht allzu viel Schaden anrichten. Trotzdem ergeben sich mehrere tausend Abweichungen von der amtlichen Regelung, so daß die Erwartung, eine neue "Kostenlawine" könne vermieden werden, vollkommen illusorisch ist. Eisenberg hebt mehrmals hervor, daß seine Korrekturvorschläge ganz auf der Linie der drei Kommissionsberichte liegen; man hat den Eindruck, daß er am liebsten wieder in der Kommission säße, wenn bloß der Augst mit seinen Volksetymologien nicht wäre ...

Kostprobe: Während Eisenberg 1999 die Großschreibung in heute Abend noch ablehnte, will er sie jetzt hinnehmen, obwohl er sie nicht richtig findet. "Wegen der begrenzten Reichweite kann sie dennoch akzeptiert werden." Hat man je so etwas Klägliches gehört?
Eisenberg will dem Usus folgen, beobachtet ihn aber weder, noch findet er etwas dabei, insonderheit durch das archaische in Sonderheit zu ersetzen, und zwar obligatorisch. Demnächst mehr davon, ich muß mich erst einmal von 140 Seiten Unsinn erholen.
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Th. Ickler


eingetragen von Christian Stang am 17.03.2003 um 19.42

Einleitung (Auszug)

[...]
Angesichts einiger Widersprüche und Spitzfindigkeiten, die sich im Laufe der Zeit in den Duden eingeschlichen haben, kann es geboten sein, einmal etwas mehr zu tun, nämlich in einem (Hervorhebung in kursiv; C.S.) Akt diese Widersprüche und Spitzfindigkeiten auszukämmen und auch die Regeln neu zu formulieren. In diesem Sinn enthält die Neuregelung nach unserm Urteil einige durchaus brauchbare Ansätze. Es wäre falsch, diese nicht zu übernehmen.
Doch halten wir es für unangebracht, der Neuregelung auch dort zu folgen, wo sie gravierende Mängel aufweist, nicht zuletzt deswegen, weil das wenig Aussicht hätte, angenommen zu werden. Wohlvertraute Wörter (wie Handvoll) können nicht abgeschafft und aus den Lexika, schon gar nicht aus den zweisprachigen, eliminiert werden.
[...]
Der Vorschlag, der sich auf diese Weise ergibt, übertrifft zwar das Ausmaß der Veränderungen, die von einer Auflage des Duden zur andern vorgenommen worden sind. Doch halten sie sich im Rahmen vorsichtiger Korrekturen und stehen nicht im Widerspruch zu langfristigen Tendenzen des Schreibgebrauchs.
[...]


eingetragen von Theodor Ickler am 09.03.2003 um 07.31

Der Vollständigkeit halber setze ich auch noch die Texte hierher, die den Beginn der Akademie-Aktivitäten dokumentieren. Der Hergang war im einzelnen so: Die DASD hatte die Rechtschreibreform zunächst einfach verschlafen, fühlte sich offenbar auch durch die aufsehenerregende Frankfurter Erklärung nicht angespornt, selbst aktiv zu werden. Da ich mit der Akademie aufgrund lange zurückliegender Geschichten etwas näher bekannt war, kam mir in der Silvesternacht 1996 ein Gedanke, den ich sofort zu Papier brachte und dem Generalsekretär der DASD, Herrn Dette, schickte. Dieser kuriose Text sei hier zitiert:

"Vorschlag eines Akademie-Projekts (Skizze)
von Theodor Ickler

1. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung schreibt eine Preisaufgabe aus: "Deutsche Einheitsschreibung: Vorlage zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung".
2. Einzureichen sind Arbeiten, die ein vollständiges Regelwerk und exemplarische Einträge zu einem orthographischen Wörterbuch enthalten.
3. An die Neuregelung werden folgende Anforderungen gestellt:
- Das gewohnte Bild schriftlicher Texte sollte nicht zu stark verändert werden.
- Die Neuregelung sollte möglichst eindeutig und widerspruchsfrei sein.
- Einfachheit ist wünschenswert, sie darf aber nicht auf Kosten differenzierter Ausdrucksmöglichkeiten gehen.
- Die Regelung sollte gut lehr- und lernbar sein und auch die Bedürfnisse von Ausländern berücksichtigen, die die deutsche Sprache zu erlernen wünschen.
4. Die Beiträge sind bis zum *** unter einem Kennwort einzureichen.
5. Eine Jury wählt sechs preiswürdige Beiträge aus und veröffentlicht sie - immer noch unter dem Kennwort - in preisgünstigem Konzeptdruck und über Internet als Grundlage einer öffentlichen Diskussion. Sie sammelt Stellungnahmen und wertet sie aus.
6. Anläßlich einer Akademietagung, die insgesamt Fragen der Orthographie gewidmet ist, wird ein öffentliches Symposium veranstaltet, bei dem die vorliegenden Entwürfe diskutiert werden.
7. Am Jahresende 199* gibt die Akademie die Reihenfolge der preisgekrönten Arbeiten bekannt und beginnt mit redaktionellen Arbeiten zu einem orthographischen Wörterbuch auf der Grundlage des erstplazierten Entwurfs.
8. Die Preisträger erhalten einen 1. Preis von 15.000 DM, zwei 2. Preise von je 10.000 DM und drei 3. Preise von je 5.000 DM. Damit geht auch das Urheberrecht an die Akademie über.
9. Die Akademie veröffentlicht das Werk "Deutsche Einheitsrechtschreibung". (Der Titel wird urheberrechtlich geschützt.) Es enthält außer dem Regelwerk ein umfassendes reines Rechtschreibwörterbuch (ohne grammatische, semantische und sonstige Angaben). Auf dem Titelblatt der ersten und aller folgenden Auflagen steht: "Herausgegeben von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf der Grundlage eines Entwurfs von (Name des Preisträgers)".
10. Das Werk kann von jedermann kostenlos nachgedruckt, didaktisch aufbereitet oder anderweitig ausgewertet werden. Die Berufung auf die "Deutsche Einheitsrechtschreibung" bedarf jedoch einer schriftlichen Genehmigung durch die Akademie, der die betreffenden Manuskripte vor der Veröffentlichung vorgelegt werden müssen.
11. Alle Auflagen des Werkes behalten nebeneinander ihre "Gültigkeit", abgesehen von Korrekturen, die späteren Auflagen als Errata-Liste beigeheftet werden."

(Bei diesem Vorschlag spielte eine Rolle, daß ich selbst sowohl Akadamie-Preise gewonnen als auch bei ähnlichen Vorgängen mitgewirkt hatte.) Ich kam jedoch bald von dieser Idee wieder ab, wurde aber vom Präsidenten Christian Meier zur Passauer Frühjahrstagung eingeladen, wo ich ungefähr 45 Minuten Zeit bekam, um dem Präsidium den unten wiedergegebenen Lösungsvorschlag zu unterbreiten.

Die Akademie identifizierte sich, wie man sieht, zunächst weitgehend mit meinem Vorschlag, der ja wohl auch ganz vernünftig aussah. Später fand offenbar ein vollständiger Kurswechsel statt, hin zu Eisenbergs Kompromißstrategie. Ich kann nicht verhehlen, daß ich leicht enttäuscht war, weil ich von dieser Wendung, d. h. der Abwendung von meinem doch immerhin recht engagiert ausgearbeiteten Plan, mit keinem Wort informiert wurde. Ursprünglich hatte ich nicht unbedingt vor, den Plan selbst zu verwirklichen, sondern war nur bereit, daran mitzuwirken, aber nach dieser unerfreulichen Entwicklung ging ich daran, das Rechtschreibwörterbuch im Alleingang anzufertigen.
__________________
Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 09.03.2003 um 07.07

Wege aus der Rechtschreibkrise

(Vorlage von Th. Ickler zur Sitzung des Präsidiums der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Passau am 1.5.1997, dem Inhalt nach in freier Rede vorgetragen )

1. Vorstellung, Arbeiten, Wirkung
2. Ein Blick auf das Reformwerk (Übersichtsblatt)
3. Lehren daraus und aus der Durchsetzung:
- Entstaatlichung
- Entkommerzialisierung
4. Lösungswege
- Kleine Lösung: am Duden etc. entlangarbeitende Bereinigung, Interpretation der bestehenden Regeln
- Größere Lösung: Eigene Forschungen an Korpora (CD-ROM)
- Regelwerk neu fassen?


1. Ich habe mich seit der 3. Orthographischen Konferenz vom November 1994 eingehender mit der geplanten Neuregelung befaßt und bin bald zu der Einsicht gekommen, daß sie die Erwartungen bei weitem nicht erfüllt. Aus den bruchstückhaften Informationen war damals noch nicht das ganze Ausmaß des Debakels erkennbar. Erst im Juli 1995 erschien das Regelwerk nebst Wörterverzeichnis, beides recht fehlerhaft. Seit jener Zeit bin ich auch mit kritischen Zusendungen beim IDS und beim bayerischen Kultusministerium, später auch bei der KMK vorstellig geworden. Die Vorlage von 1995 wurde bekanntlich noch einmal zurückgezogen. Im Juli 1996 erschien die Überarbeitung, gleichzeitig mit der Absichtserklärung der deutschsprachigen Staaten und mit dem Bertelsmannwörterbuch. Auch kündigten die Kultusminister einiger Länder an, sofort, d.h. mit Beginn des neuen Schuljahres, die Neuregelung in die Schulen einzuführen, obwohl der Stichtag des Inkrafttretens der 1.8.1998 ist. Viele Schüler schreiben also seither für zwei Jahre in einer amtlich nicht gültigen, fast nirgendwo sonst zu lesenden, von keiner Zeitung (mit unbedeutenden Ausnahmen) eingeführten Rechtschreibung. Einige Wochen später erschien auch der neue Duden. Zwischen den beiden Wörterbüchern gibt es nach einer öffiziösen Schätzung rund 1000 (Nachtrag Juni 1997: nach Mitteilung von Kommissionsmitgliedern 8000!) Abweichungen, was nur zum Teil auf Fehlern der Redaktionen beruht, zum Teil liegt es an der Unzulänglichkeit des Regelwerks, wie ich in meinen Schriften ausführlich nachgewiesen habe. Seither sind weitere Wörterbücher hinzugekommen, damit hat sich auch die Zahl der Abweichungen erhöht. Dieses Durcheinander hat bereits nachweisbar zu einer großen orthographischen Verwirrung geführt, sogar bei Lehrern.
Mit erheblicher Verspätung ist beim IDS eine Zwischenstaatliche Kommission eingerichtet worden, die eigentlich die Aufgabe haben sollte, die deutsche Rechtschreibung zu beobachten und fortzuentwickeln, nun aber daran arbeitet, die Abweichungen und Unklarheiten zu beseitigen, damit zum neuen Schuljahr einheitliche Wörterbücher vorliegen. Wie man hört, soll zu diesem Zweck eine Wortliste erarbeitet werden. Es gibt begründete Zweifel auch im Kreise der alten und neuen Kommissionsmitglieder, ob das gelingen kann. Das Regelwerk soll oder darf nicht geändert werden, wie der KMK-Vorsitzende gesagt hat. Auch ist schwer vorstellbar, wie die bisher rund 6 Millionen Wörterbuchkäufer zufriedengestellt werden können, von anderen Folgen der vorzeitigen Einführung ganz zu schweigen.

2. Ich möchte nun, um das Ausmaß der Katastrophe recht deutlich zu machen, die Neuregelung kurz vorstellen. Das geschieht am besten durch einen Blick auf ein Beispielblatt, das die gültige und die geplante Regelung einander gegenüberstellt.

(Tischvorlage: "Die gültige und die geplante Rechtschreibung")

Man sieht, daß das Werk irreparabel mißlungen ist. (Vgl. auch meine Schriften "Die Rechtschreibreform auf dem Prüfstand", "Woran scheitert die Rechtschreibreform?", "Getrennt- und Zusammenschreibung", "Die verborgenen Regeln", "Die sogenannte Rechtschreibreform - ein Schildbürgerstreich" (Buch) sowie Rezensionen und zahlreiche Beiträge in Zeitungen.)

Ich möchte neben den einzelnen Verstößen gegen die Grammatik, der Beseitigung von Unterscheidungsmöglichkeiten und der Vernichtung ganzer Wortreihen noch auf den reaktionären Charakter der Reform hinweisen. Wie auch Horst H. Munske hervorgehoben hat, wirft die Reform uns bei der vermehrten Getrenntschreibung ins 17. Jahrhundert zurück, bei der vermehrten Großschreibung immerhin ins 19. Jahrhundert. Die ursprünglich geplante, von der Mehrzahl der Reformer immer noch favorisierte Kleinschreibung der Substantive war mittelalterlich und wurde ja gerade deshalb von Jacob Grimm so geschätzt.

Zuletzt haben die Kultusbehörden zwar nicht mehr mit der Qualität der Neuregelung geworben, wohl aber mit dem Argument, die Reform bringe wenigsten den Schülern Erleichterung, sie vermindere nämlich ihre Fehlerquoten. Dabei ist viel mit einem Probediktat geworben worden, das unter den Reformern als "Schaeder-Diktat" bezeichnet wurde und eine phantastische Fehlerverminderung beweisen sollte, im Wortlaut aber weithin unbekannt war. Ich habe dieses Diktat vor einigen Wochen in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht, woraufhin es sogleich als Mogeldiktat durchschaut und mitsamt dem Argument der Fehlerverminderung aus der Debatte gezogen wurde. Seither stehen die Reformer völlig nackt da.


3. Folgerungen

- Die einheitliche Rechtschreibung des Deutschen ist zerstört.
- Das Dudenprivileg ist aufgehoben, seine Wiederherstellung undenkbar.
- Eine staatlich verordnete und von staatlich beauftragten Kommissionen erarbeitete Neuregelung scheint nicht möglich zu sein. Sie ist auch nicht nötig. In anderen Ländern wird die Einheit der Rechtschreibung durch angesehene Wörterbücher oder durch ebenso angesehene Akademien gewährleistet. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung könnte eine solche Autorität sein.
- Unter den gegebenen Umständen sollte eine "kleine Lösung" der Rechtschreibkrise gesucht werden. Eine wirklich umfassende Neuregelung ist heute nicht durchsetzbar, weil sie nicht gewünscht wird und weil auch gar nicht abzusehen ist, daß irgendeine grundstürzende Reformidee konsensfähig wäre. Es gibt auch keinen dringenden Handlungsbedarf.
- Unter einer "kleinen Lösung" verstehe ich eine konservative, d. h. eine verbesserte Darstellung der geltenden Dudenregeln mit Beseitigung einiger Haarspaltereien und überflüssiger Einzelbestimmungen. Dafür werde ich gleich noch ein paar Beispiele geben.
- Eine "kleine Lösung" besteht in einer Wortliste und einem Regelwerk. Das Regelwerk enthält Verallgemeinerungen aus den Schreibungen der Wortliste. Es kann in beschränktem Maße wiederum die Schreibung einzelner Wörter (Varianten) beeinflussen und sie zu größerer Regelmäßigkeit bringen.
Das Regelwerk braucht aber zum Beispiel kein Kapitel über die "Laut-Buchstaben-Zuordnung" zu enthalten. Das entsprechende Kapitel in der Reformregelung ist aus systematischen Gründen fehl am Platz. Außerdem sollte das Akademiewörterbuch sich auf orthographische Angaben beschränken, also keine Hinweise auf die Aussprache, die Bedeutung und die Grammatik enthalten. Man vergleiche das Duden-Aussprache-Wörterbuch. Ferner enthält die Wortliste nur einfache Wörter und darüber hinaus solche Ableitungen und Zusammensetzungen, die orthographisch relevant sind. Es kann beliebig mit Fremdwörtern und Fachwörtern angereichert werden.
- "Klein" ist die Lösung auch im Hinblick auf die beschränkten Möglichkeiten der Akademie. Die Arbeiten könnten in etwa 1 Jahr abgeschlossen sein.

Was spricht für eine konservative Lösung?

1. Die Vorarbeiten zur Reform haben gezeigt, daß es außerordentlich schwer ist, die gewachsene, keineswegs von einigen Bürokraten zu Beginn des Jahrhunderts ersonnene geltende Orthographie grundlegend zu verbessern. Dies hat besonders Horst H. Munske eindrucksvoll dargestellt. Damit sind selbstverständlich Verbesserungen in der Darbietung des geltenden Regelwerks nicht ausgeschlossen, ebensowenig gewisse Bereinigungen.
2. Die geltende Rechtschreibung liegt Millionen von Texten zugrunde. Sie hat sich also bewährt, und eine Neuregelung wäre notwendigerweise mit einer Abwertung des schon Gedruckten verbunden, das danach mit einer Patina des Veralteten überzogen wäre.
3. Die geltende Rechtschreibung wird weithin akzeptiert. Die üblichen Klagen über die Kompliziertheit der Rechtschreibung sind kein Gegenbeweis. Im Kernbereich ist die geltende Rechtschreibung nicht schwer zu beherrschen, in Randbereichen wird man immer nachschlagen müssen. Das gilt zugestandenermaßen auch für die Neuregelung.
4. Wenn man, aus welchen Gründen auch immer, keine überzeugende Neuregelung vorlegen kann, muß man bei der alten bleiben. Das ist ehrlicher und entspricht auch dem Wesen der Rechtschreibung, die auf Kontinuität angelegt ist.
5. Eine konservative Lösung macht keinen Neudruck der Rechtschreibliteratur und keine Entsorgung vorhandener Software usw. erforderlich. Die Kosten sind hier wirklich gleich Null, wie bei der bisherigen Praxis der Dudenrevisionen: Man warf den alten Duden weg, wenn er aus dem Leim ging, und kaufte sich ein stabiles neues Exemplar. Nicht aber war es notwendig, jeweils die neueste Auflage zu erwerben. So sollte es auch in Zukunft sein. Die Kosten, die jetzt entstehen - ob die Reform nun abgeblasen wird oder nicht - haben allein die Reformer und ihre politischen Helfershelfer zu verantworten, vor allem durch das trickreiche Vorwegnehmen des Stichdatums in den Schulen.
6. Durch die Minimierung des Aufwandes bei einer konservativen Lösung wird auch der Weg zu einer künftigen Reform, die den Namen verdient, nicht verbaut.
7. Den Schulbehörden kann geraten werden, alle bisher üblichen, in der 20. Auflage des Dudens kodifizierten Schreibweisen weiterhin als gültig anzuerkennen und die geringfügigen Neuregelungen des Akademiewörterbuchs als zusätzliche Optionen hinzuzunehmen.

Die KMK sollte vom Vorhaben der Akademie in Kenntnis gesetzt, aber nicht in die Vorarbeiten einbezogen werden. Erstens lassen die bisherigen Aktivitäten der KMK keinerlei Bereitschaft erkennen, von ihrer Position abzugehen und das vorliegende Reform-Regelwerk zur Disposition zu stellen. Sie dürfte vielmehr darauf aus sein, alternative Pläne nach Kräften zu hintertreiben. Die Dresdner Erklärung der KMK ist ausgesprochen aggressiv formuliert; sie trägt die Handschrift des IDS. Überdies arbeitet sie auch mit falschen Behauptungen. Kritiker sind nicht gehört worden, man überstellt sie vielmehr an die Mannheimer Kommission.

4. Was tun?

Ich habe zunächst vorgeschlagen, für die Neufassung der Regeln die geballte Intelligenz der Deutschen heranzuziehen, und zwar durch eine Preisaufgabe. Es wäre aber auch ein ganz anderer Weg denkbar. Ich selbst z.B. habe große Teile des Regelwerks bereits versuchsweise rekonstruiert, und ein solcher Entwurf könnte auf einer kleinen Konferenz von Fachleuten verschiedener Herkunft diskutiert werden. Ebenso könnte man mit Proben aus dem Wörterbuch verfahren. Man könnte aber auch einen Entwurf dieser Art herumschicken und schriftliche Stellungnahmen einholen, zum Beispiel aus dem Kreis der Akademie-Mitglieder, die sich dafür interessieren.
Ich befürworte in jedem Fall, daß eine einzelne Person das Gesamtwerk ausarbeitet. Nur so kommt man aus den Zwängen der Kompromisse heraus, unter denen der Internationale Arbeitskreis in sich selbst und im Zusammenspiel mit den Kultusbehörden eingestandenermaßen gelitten hat. Friedrich Roemheld rief schon 1969 aus: "Wann hätte je eine amtliche, halb- oder dreiviertelamtliche orthographische Konferenz etwas Vernünftiges zuwege gebracht!" (Roemheld, Friedrich: "Die Schrift ist nicht zum Schreiben da." 1969, S. 23) Das schließt natürlich Beratung und Hilfe nicht aus. Aber es muß wie seinerzeit bei Raumer, Wilmanns oder Duden ein verantwortlicher Kopf hinter der Sache erkennbar sein. Sonst verlieren sich die Verantwortlichkeiten, und die Sache selbst kommt verschwommen und verworren daher, wie es heute zu beobachten ist.

Die Schreibung der Wörter sollte an aktuellen Korpora überprüft werden, was mit Hilfe von CD-ROM ohne Mühe möglich ist. Es gibt nämlich einen Schreibgebrauch neben der Duden-Norm, und der Duden selbst ist auch immer wieder an diesen Gebrauch angepaßt worden.

Wenn das Wörterbuch vorliegt, sollte es als Angebot zur Verfügung gestellt werden. Die Kultusminister können es als Maßstab der Schulorthographie zugrundelegen. Die Verlage werden dann die eigentlichen Rechtschreibwörterbücher herausbringen. Sie können von der Akademie eine Art Prüfsiegel bekommen, wenn sie sich an das Akademiewörterbuch halten.

5. Aus der Werkstatt

Ich möchte nun skizzieren, wie die Arbeit aussehen könnte. Man hat dem Duden vorgeworfen, daß er sich im Laufe der Zeit immer mehr Einzelfallregeln ausgedacht und die Rechtschreibung durch Haarspaltereien unüberschaubar gemacht habe. Dieser Vorwurf ist teilweise berechtigt.

Beispiel 1: radfahren/Auto fahren

Nehmen wir zuerst die Getrennt- und Zusammenschreibung, die stellenweise mit Problemen der Groß- und Kleinschreibung einhergeht.
Ein Standardbeispiel ist die auch von Minister Zehetmair gern herangezogene unterschiedliche Behandlung von radfahren und Auto fahren. Wenn es eine Begründung dafür geben sollte, ist sie so fein gesponnen, daß sie niemanden überzeugt. Ich würde folgende Lösung vorschlagen:
1. Grundsatz: Die Zusammenschreibung von Substantiv + Verb ist zurückhaltend zu gebrauchen.
Die Verbindung Rad fahren ist ebenso wie ähnliche Verbindungen nach den Regeln der deutschen Grammatik jederzeit frei konstruierbar. Daher bedeutet die Zulassung von radfahren kein Verbot von Rad fahren. Eine solche Einschränkung des freien Ausdrucks ist gar nicht zulässig.

Beispiel 2: Der Bindestrich

In dem ominösen "Schaeder-Diktat" wird die Schreibweise Joghurt-Becher als falsch gewertet. Das ist nicht gerechtfertigt, da es im Ermessen des Schreibenden liegt, wo er einen Bindestrich setzen will. R 33 setzt fest: "Zusammengesetzte Wörter werden gewöhnlich ohne Bindestrich geschrieben." Die genauere Analyse zeigt, daß der Bindestrich in größtem Umfang gesetzt wird, um Zusammensetzungen und Ableitungen aus semiotisch heterogenen Bestandteilen zu ermöglichen. Im vorliegenden Fall liegt eine leichte Heterogenität vor, weil Joghurt ein graphematisch deutlich markiertes Fremdwort ist.
Auch Mentrup (1968) ist unnötig streng. Man sollte den Bindestrich freigeben bei Seeelefant, seeerfahren usw.

Beispiel 3: so viel/soviel usw., stattdessen (§ 39 der Neuregelung)

Die Getrennt- und Zusammenschreibung von Konjunktionen, Adverbien und Korrelativa war bisher sehr verwirrend geregelt. Hier könnte man der Neuregelung folgen, die zwar mangels expliziter Beschreibung auch nicht klar ist, der Tendenz nach aber nur die Konjunktionen mit so und wie zur Zusammenschreibung zuläßt.
Stattdessen sollte zur Zusammenschreibung zugelassen werden, wie infolgedessen. Damit würde man einer natürlichen Neigung der Schreibenden folgen. (Das ist im Wörterverzeichnis geschehen, allerdings mit unklarer Abgrenzung.)

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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 09.03.2003 um 07.06

Presseerklärung
(Entwurf von Th. Ickler)


Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat beschlossen, unverzüglich mit der Erarbeitung eines orthographischen Wörterbuchs zu beginnen.
Es hat sich gezeigt, daß der umstrittene Entwurf einer Rechtschreibreform wegen offenkundiger Mängel von der Mehrheit der Bevölkerung nicht angenommen wird. Die Widersprüche zwischen den neuen Wörterbüchern und der bekannte Streit auf verschiedenen Ebenen (Volksbegehren, Gerichtsverfahren, Bundestagsinitiative) erzeugen eine ständig wachsende Unsicherheit, die dem Schulunterricht, dem Buch- und Verlagswesen und der auswärtigen Sprach- und Kulturarbeit Schaden zufügt.
Um nach der Aufhebung des Dudenprivilegs die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung wiederherzustellen und zu bewahren, wird die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ein reines Rechtschreibwörterbuch (ohne Angaben zur Aussprache, Grammatik und Bedeutung) herausgeben, das den Verlagen, den Schulbehörden und allen anderen Betroffenen als Grundlage für die praktische Lexikographie, für den Schulunterricht, für das Buch- und Verlagswesen angeboten und empfohlen wird. Das Wörterbuch soll auf der bisher vom Duden (zuletzt in der 20. Auflage von 1991) festgehaltenen und in Millionen von Texten erfolgreich angewandten Schreibweise aufbauen und sich darauf beschränken, gewisse Ungereimtheiten, Haarspaltereien und schwer beherrschbare Einzelfestlegungen zu beseitigen, ohne die Unterscheidungsmöglichkeiten, auf die eine weit entwickelte Kultursprache Anspruch hat, zu beeinträchtigen. Die bis zum Sommer 1996 anerkannten Rechtschreibwörterbücher und sonstigen Materialien werden dadurch ergänzt, bleiben aber weiterhin gültig, so daß keine Neuanschaffungen und kein Umlernen erforderlich sein werden.
Diese Zielvorgabe gewährleistet nach Ansicht der Akademie, daß das geplante Wörterbuch auf großes Entgegenkommen bei den Betroffenen stößt und zugleich einer künftigen wirklichen Rechtschreibreform nicht im Wege steht.
Das Wörterbuch soll im Sommer 1998 vorliegen.

(Dieser Text wurde dem Inhalt nach angenommen vom Präsidium und der Mitgliederversammlung der Akademie auf der Passauer Frühjahrstagung am 1. bzw. 3. Mai 1997

__________________
Th. Ickler


eingetragen von J.-M. Wagner am 08.03.2003 um 22.47

Die „Zwei Erklärungen der DASD“ stammen offenbar von hier; gibt es für die „Erste Erklärung der DASD zur RSR“ eine ähnliche Quelle?
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Martin Reimers am 08.03.2003 um 21.35

Keine Bange, Herr Schubert. Sollte die DASD in ihrem Kompromißvorschlag außer der S-Schreibung noch weitere Reformschreibungen als erhaltenswert erachten, so sind wir hier gut gerüstet.
Ich persönlich kann mir nur schwer eine Situation vorstellen, in der von der Reform als einziges die S-Schreibung sich dauerhaft halten wird. Die offizielle Rücknahme aller anderen Änderungen wäre eine Blamage, die die ZK kaum überleben würde. Und mehrheitsfähig wäre eine solche Reform der Reform der Reform (...) auch kaum, schon wegen der von Ihnen auch nicht gerade geschätzten "Nachlassache", die den Rattenschwanz von Konsonanten sozusagen durch die Hintertür wieder hereinholte.
Was haben Sie eigentlich dagegen, wenn jemand schon deshalb die reformierte S-schreibung ablehnt, weil er dadurch seinen Lesern das lange Rätselraten darüber ersparen möchte, wie etwa die Schreibweisen "wohl bekannt", "ebenso wenig", "immer gleich" etc. zu verstehen sind?
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Martin Reimers


eingetragen von Theodor Ickler am 08.03.2003 um 17.45

Mit der zuletzt eingerückten Erklärung von 1997 dürften nun alle Texte vorliegen, die man braucht, um sich von den Vorgängen bei der Deutschen Akademie ein Bild zu machen. Die Erklärung von 1997 geht auf meine Anregung zurück. Über die Kommission war schon bald zu hören, daß sie nicht recht arbeitsfähig sei, weil einzelne Mitglieder bremsten; sie fühlten sich gewissen Kultusministern verpflichtet und wollten ihnen nicht in den Rücken fallen. Diese Hintergründe müssen später aufgeklärt werden, bloße Gerüchte will ich nicht verbreiten, insbesondere keine Namen nennen, die mir damals zugetragen wurden.

Wenn man die verschiedenen Erklärungen vergleicht, sieht man, daß noch im Jahre 2000 der Meiersche Zorn über die "Deppen" sich Bahn bricht, während schon 1999 Eisenbergs kompromißfreundlicher Standpunkt sich durchgesetzt hatte.

Zu den Einwürfen von schubert.hermsdorf möchte ich nur anmerken, daß noch niemanden von uns jemals die Besorgnis getrieben hat, wir könnten mit der Befürwortung des Richtigen in die Isolation geraten. Es kann sein, daß die Heysesche s-Schreibung, die vor 100 Jahren schon einmal durchgefallen war, nun zur fehlerträchtigen Norm wird; aber es wird uns immer ehren, dagegen die Vorzüge der besseren und leichteren Schreibweise hervorgehoben zu haben.
Was die Nichttrennbarkeit von ck betrifft, so wiederhole ich, daß deren Urheber sich inzwischen selbst davon distanziert hat. Und für das ck in Eigennamen galt seit je eine besondere Dudenempfehlung, die schubert.hermsdorf nicht zu kennen scheint.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 08.03.2003 um 17.31

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
Präsident: Christian Meier


Erklärung


Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat beschlossen, unverzüglich mit der Erarbeitung eines orthographischen Wörterbuchs zu beginnen.

Es hat sich gezeigt, daß der umstrittene Entwurf einer Rechtschreibreform wegen offenkundiger Mängel von der Mehrheit der Bevölkerung nicht angenommen wird. Die Widersprüche zwischen den neuen Wörterbüchern und der bekannte Streit auf verschiedenen Ebenen (Volksbegehren, Gerichtsverfahren, Bundestagsinitiative) erzeugen eine ständig wachsende Unsicherheit, die dem Schulunterricht, dem Buch- und Verlagswesen und der auswärtigen Sprach- und Kulturarbeit Schaden zufügt.

Um nach der Aufhebung des Dudenprivilegs die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung wiederherzustellen und zu bewahren, wird die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ein reines Rechtschreibwörterbuch (ohne Angaben zur Aussprache, Grammatik und Bedeutung) herausgeben, das den Verlagen, den Schulbehörden und allen anderen Betroffenen als Grundlage für die praktische Lexikographie, für den Schulunterricht, für das Buch- und Verlagswesen angeboten und empfohlen wird. Das Wörterbuch soll auf der bisher vom Duden (zuletzt in der 20. Auflage von 1991) festgehaltenen und in Millionen von Texten erfolgreich angewandten Schreibweise aufbauen und sich darauf beschränken, gewisse Ungereimtheiten, Haarspaltereien und schwer beherrschbare Einzelfestlegungen zu beseitigen, ohne die Unterscheidungsmöglichkeiten, auf die eine weit entwickelte Kultursprache Anspruch hat, zu beeinträchtigen. Die bis zum Sommer 1996 anerkannten Rechtschreibwörterbücher und sonstigen Materialien werden dadurch ergänzt, bleiben aber weiterhin gültig, so daß keine Neuanschaffungen und kein Umlernen erforderlich sein werden.

Diese Zielvorgabe gewährleistet nach Ansicht der Akademie, daß das geplante Wörterbuch auf hohe Akzeptanz bei den Betroffenen stößt und zugleich einer künftigen wirklichen Rechtschreibreform nicht im Wege steht. Das Wörterbuch
soll im Sommer 1998 vorliegen.

Die Akademie traut es der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission beim Institut für deutsche Sprache in Mannheim nicht zu, die eingetretene Unsicherheit zu beseitigen. Sie hat daher eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge erarbeiten soll, wie eine einheitliche deutsche Rechtschreibung sowie deren sinnvolle Fortbildung künftig zu gewährleisten sind. Dieser Kommission gehören als Mitglieder an:

Eustaquio Barjau (Universität Madrid)
Günther Dosdrowski (Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion, Mannheim und Leipzig)
Hans-Martin Gauger (Universität Freiburg)
Hartmut von Hentig (Universität Bielefeld)
Friedhelm Kemp (Freier Schriftsteller und Übersetzer, München)
Uwe Pörksen (Universität Freiburg)
Harald Weinrich (Collège de France, Paris)
Quelle: DASD und FAZ v. 7.6.1997

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Th. Ickler


eingetragen von Peter Schubert am 08.03.2003 um 16.35

Wenn die Reformgegner dem Rat von Herrn Reimers folgen und sich jetzt auf die reformierte S-Schreibung konzentrieren, ist ihr Weg ins Sektierertum nicht mehr aufzuhalten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die reformierte S-Schreibung gerade das, was bleibt. Dann bleibt zwangsläufig auch die Drei-Konsonanten-Regel beim s - niemand wird ja wohl "Nachlassache" schreiben wollen. Logischerweise bleibt dann auch die Drei-Konsonanten-Regel bei anderen Konsonanten ("Geschirrrückgabe"). Es bleibt dann wohl auch die Trennbarkeit von st, die ja von niemand außer von überzeugten Frakturschreibern kritisiert wird. Schließlich dürfte auch die Untrennbarkeit von ck bleiben; die Umwandlung eines c in ein k bei der Trennung ist gerade bei Personennamen problematisch. Bei der Schreibung von Fremdwörtern, bei Großschreibung und Getrenntschreibung sind Kompromisse oder Reform-Rücknahmen denkbar.


eingetragen von Theodor Ickler am 08.03.2003 um 16.16

Erklärungen der Deutschen Akademie zur Rechtschreibreform




Erklärung (1)

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung würde es begrüßen, wenn Zwischenstaatliche Kommission und Duden bereit wären, mit dem Rückbau der Rechtschreib-reform zu beginnen. Es ist höchste Zeit!
Die in zahlreichen Publikationen zum Ausdruck kommende Unsinnigkeit, Widersprüchlichkeit und Unverständlichkeit vieler der neuen Regeln ist für den sensiblen Leser schwer erträglich. Hausorthographien verringern zwar manchen Schaden, tragen aber in ihrer Vielfalt zur Verwirrung bei.
Wir halten es für ungut, daß immer mehr Verlage die neue Schreibung mit immer neuen Varianten übernehmen. Wir vermögen nicht einzusehen, warum den zuständigen Ministern so viel daran liegt, sich weiterhin dem Gespött der Sprachgemeinschaft auszusetzen.
Wir empfehlen dringend, die nach Meinung der Kommission „unumgänglich notwendige“ Reform schleunigst in Angriff zu nehmen. Da dies jedoch aus politischen Gründen nur insgeheim, und indem man sich von Kompromiß zu Kompromiß forthangelt, möglich wäre, scheint der bessere Weg der der Selbsthilfe, anders gesagt, der Zivilcourage der Zivilgesellschaft angesichts staatlicher Hilflosigkeit zu sein. Warum kehrt nicht mindestens eine große Tageszeitung zur alten, rechten Schreibung zurück? Das wäre ein Signal. Damit wäre ein neuer Ausgangspunkt gegeben.
Sich in neuer Schreibung über die neue Schreibung aufzuregen, gerät leicht ins Ridiküle.

Wir bitten herzlich, diesen Text, gegebenenfalls, nur in der Schreibung, in der er abgefaßt ist, abzudrucken.

Darmstadt, den 26. Juli 2000



Erklärung (2)

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung appelliert an alle Zeitungen, Verlage, Betriebe und staatliche Stellen, der Rechtschreibreform endlich, und ohne lange zu fackeln, das wohlverdiente Ende zu bereiten.
Diese Reform war von Anfang an eine Mißgeburt. Man braucht das nicht eigens zu begründen. Das einhellige Votum der führenden Fachleute, wonach sie auf den Schrotthaufen gehöre, genügt. Doch kann man auch die von den Ministern eingesetzte Kommission zitieren, für die wesentliche Änderungen der Reform „unumgänglich notwendig“ sind.
Die einzige veröffentlichte Untersuchung über die Auswirkungen auf die Schule kommt zu einem negativen Ergebnis. Nach all den Manipulationen, die man im Laufe der Zeit erlebt hat, kann man gegenüber anderslautenden Bekundungen aus den Ministerien nur mißtrauisch sein: zumindest haben sie der Öffentlichkeit die Belege dafür vorenthalten. Und jedenfalls können die Erleichterungen beim Erlernen der Schrift bestenfalls minimal sein.
Ob der Staat wirklich – im Gegensatz zur gesamten deutschen Tradition mit Ausnahme des NS-Ministers Rust – die Kompetenz beanspruchen darf, tiefer in die Rechtschreibung einzugreifen, mag zu fragen sein. Aber daß es ein Unding war, gegen den in vielen Umfragen eindeutig zum Ausdruck kommenden Willen der weit überwiegenden Mehrheit der Sprachteilnehmer eine Änderung der Schrift per Octroi durchzusetzen, ist nicht zu bezweifeln.
Angesichts der schlechten Qualität des neuen Regelwerks war eine Vielfalt verschiedener Hausorthographien abzusehen, ein langfristiges Nebeneinander unterschiedlicher Schreibungen, also eine Menge Verwirrung, gerade auch für die Schüler. Denn Schreiben lernt man ja weitgehend in der Praxis des Lesens.
Wenn jetzt von seiten der Ministerien behauptet wird, bei Rücknahme der Reform entstünde Verwirrung an den Schulen, so kann es sich nur um ein kurzfristiges Durcheinander handeln. Das aber ist allemal einem langfristigen vorzuziehen.
Wenn bei Rücknahme der Reform Schüler ihre eigenen Schulbücher zunächst korrigieren müssen, so ist erstens Freude damit verbunden, zweitens lernen sie dabei das Schreiben besser, drittens aber fördert es die demokratische Kompetenz, wenn ihnen früh die Erkenntnis beigebracht wird, daß der Staat, wo er seine Kompetenz überschreitet (indem er meint, dem Volk diktieren zu können, daß es etwa hunderte von Wörtern nicht gibt oder das Schneuzen von Schnauze kommt), scheitern muß. Man kann auch nicht zu früh darauf gebracht werden, daß nicht Reformen als solche gut sind, sehr wohl aber solche, die Verbesserungen bringen – und sei es dadurch, daß ein vernünftiger Zustand wiederhergestellt wird.
Wenn schließlich Minister veranlassen, daß Kindern eine Schreibweise beigebracht wird, von der abzusehen ist, daß sie spätestens 2005 stark verändert wird, so ist das, gelinde gesagt, auffällig.
Da sich die Minister aber einmal verrannt haben, muß ihnen die – von Bundeskanzler Schröder so gern beschworene – Zivilgesellschaft zu Hilfe kommen. Indem die, die schon umgestellt haben, die alte, bewährte Schreibung wieder einführen, hätten die Minister, wenn sie klug sind (womit man doch rechnen sollte) die Chance, unter dem Motto „Der Klügere gibt nach“ die Reform aufzugeben. Damit wäre deren Agonie abgekürzt.
Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Debatte um die Reform, daß man weithin gar nicht für möglich gehalten hat, was man auch nicht für möglich halten sollte, daß nämlich Kultusminister derart auf Abwege geraten können. Doch war und ist es der Fall. Solch ein Mißstand gehört aufgehoben; so rasch wie möglich. Daher unser dringender Aufruf, die Einheit der deutschen Schreibung zu retten.

Darmstadt, 3. August 2000



Stand: 17. Dezember 2002
Fragen oder Stellungnahmen zur Arbeit der Deutschen Akademie richten Sie bitte an das Sekretariat. Adresse unter Organisatorisches, e-mail:
sekretariat@deutscheakademie.de - zum Aufbau der Homepage bitte an Michael Assmann, email: webmaster@deutscheakademie.de

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Th. Ickler


eingetragen von Martin Reimers am 08.03.2003 um 11.31

Nun, dann können wir in der Hoffnung auf eine größere öffentliche Auseinandersetzung schon einmal die Federn spitzen. Das ist in jedem Fall ein Lichtblick.

Die Hauptargumente zu dem "Kompromist" (R. Markner) hat Theodor Ickler schon benannt - eine abermalige Kostenlawine und die vorauszusehende geringe Akzeptanz. Die Umfragen zeigen ja, daß eine (offizielle) Reform der Reform am allerwenigsten gewünscht wird. Die Vorstellung, daß auf diesem Wege eine einheitliche und allgemein akzeptierte Rechtschreibung zustande kommt, ist vollkommen abwegig.

Wie Herr Markner ja schon vor längerer Zeit anregte, sollten wir uns jetzt vor allem auf die Nachteile der reformierten S-Schreibung konzentrieren, die voraussichtlich im Zentrum der neuerlichen Revision steht - bzw. auf ihren einzigen unstrittigen Vorteil: sie ist und bleibt das für jedermann erkennbare Kennzeichen schlecht redigierter und mißverständlicher Texte und sollte das bis zur endgültigen Rücknahme des Experiments auch bleiben.

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Martin Reimers


eingetragen von Theodor Ickler am 07.03.2003 um 18.58

Ob dies nun die große Stunde Peter Eisenbergs wird, steht dahin. Aufs neue wird klar, daß die DASD ihr ursprüngliches Konzept verlassen hat und nicht mehr den Duden "auskämmen" will (wie Meier einst so schön gesagt hat), sondern die Neuregelung als Ausgangspunkt akzeptiert. Das geht auf Eisenberg zurück, der als frischgebackenes Akademiemitglied offenbar den damaligen Präsidenten Meier von seiner Position überzeugen konnte.
Ich will diesen sonderbaren Punkt etwas herausarbeiten: Im Einladungsschreiben heißt es, "inzwischen" sei eine Rückkehr nicht mehr möglich. Im ersten Kompromißvorschlag 1999 hatte es aber schon fast genauso geheißen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.1998 verkündete Eisenberg in der Lehrerzeitschrift "Praxis Deutsch" (153, 1998), "jetzt" komme es darauf an, mit der Neuregelung zu leben - die er im gleichen Aufsatz in Grund und Boden kritisierte. Und bei der Mannheimer Anhörung im Januar 1998 behauptete Eisenberg, eine Rückkehr sei nicht möglich, weil sie eine "kulturpolitische Katastrophe" (!) bedeuten würde. Ja, sogar schon Anfang 1996, zweieinhalb Jahre vor dem Inkrafttreten, schärfte Eisenberg den deutschen Lehrern in einer Cornelsen-Broschüre ein, die Reform sei nicht mehr abzuwenden und "jetzt" komme es nur noch darauf an, sie möglichst glimpflich umzusetzen - wozu er denn auch gleich einen tüchtigen Beitrag leistete.

Wenn unter "Status quo ante" auch das Duden-Privileg und die ganze Duden-Haarspalterei zu verstehen ist, dann will niemand die Rückkehr. Aber die DASD hat auf der Frühjahrstagung 1997 in Passau auf Anregung ihres Präsidenten einmütig beschlossen, sich für die Beibehaltung der bisherigen Rechtschreibung - jedoch ohne Duden-Privileg und nach besagter Auskämmung - einzusetzen. Bezeichnenderweise wird diese Möglichkeit seit dem Hinzukommen Peter Eisenbergs überhaupt nicht mehr erwähnt.

Wie hier nicht weiter ausgeführt zu werden braucht, läuft jeder "Kompromiß" auf eine weitere Reform hinaus und ist daher die kostspieligste Lösung, dabei durchaus ohne Gewähr allgemeiner Akzeptanz. Warum die bewährte Rechtschreibung, wie sie von seriösen Verlagen (z. B. Wallstein!) noch weithin benutzt wird, auf einmal nicht mehr taugen und eine "Rückkehr" nicht möglich sein sollte, wird mit keinem Wort begründet.
– geändert durch Theodor Ickler am 10.03.2003, 15.04 –
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 07.03.2003 um 18.42

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung

Einladung zur Buchvorstellung

"Zur Reform der deutschen Rechtschreibung. Ein Kompromißvorschlag"
Hrsg. v. d. Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Wallstein Verlag, Göttingen

Sehr geehrter Herr ...

sechs Jahre, nachdem die neue Rechtschreibung im Schulunterricht eingeführt, dreieinhalb Jahre, nachdem sie in den meisten Tages- und Wochenzeitungen übernommen worden ist, wird man eines feststellen können: Es sieht nicht danach aus, daß sie in irgend absehbarer Zeit das Feld behaupten wird.
Vielmehr scheint, wenn man den Dingen ihren Lauf läßt, das Nebeneinander von herkömmlicher Schreibung, neuer Schreibung und verschiedenen Hausorthographien sich zu verstetigen - um von den verschiedenen Mischungen abzusehen, die sich ziemlich oft dort finden, wo nicht Rechtschreibprogramme für Konsequenz sorgen.
Die Deutsche Akademie hält dies für ungut. Sie meint, daß man versuchen sollte, wieder zu einer einheitlichen Schreibung zu gelangen. Dazu bedarf es, ihrem Urteil zufolge, eines Kompromisses.
Da es uns inzwischen unmöglich zu sein scheint, einfach zum Status quo ante zurückzukehren, müßte er zum einen darin bestehen, alles, was an der neuen Schreibung sinnvoll oder ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar ist, zu übernehmen. Zum andern müßte er überall dort, wo die neuen Regeln gravierende Mängel aufweisen - etwa sinnvolle Differenzierungsmöglichkeiten, Freiheiten der Schreibung und Wortbildungsmuster beseitigen wollen oder mit der Grammatik auf Kriegsfuß stehen -, einen Rückbau respektive neue, bessere Lösungen vorsehen.
Einen Vorschlag dazu (samt Wörterliste) hat die Akademie erarbeitet. Er wird vorgestellt auf der

Leipziger Buchmesse
am 21. März, 12.00 Uhr
Messegelände
"Pressekonferenzraum im Verwaltungsgebäude"

Wir möchten Sie herzlich dazu einladen. Da die Fronten zwischen Verfechtern und Gegnern der Reform (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen) sehr verhärtet sind, wird viel darauf ankommen, wie der Vorschlag in der Öffentlichkeit aufgenommen wird.

Mit besten Grüßen

gez.

Prof. Dr. Klaus Reichert
(Präsident)
Prof. Dr. Christian Meier
Prof. Dr. Peter Eisenberg

März 2003

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Th. Ickler


eingetragen von Reinhard Markner am 11.04.2002 um 11.23

Die Zwischenstaatliche Kommission, vertreten durch ihren Vorsitzenden, hat nun die inkriminierte Behauptung »mit Bedauern« zurückgezogen und die Empfänger ihres Berichts davon in Kenntnis gesetzt. Damit ist die Angelegenheit für uns erledigt.


eingetragen von Manfred Riebe am 26.03.2002 um 23.13

"bei der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 12. Mai 1988"???
Richtig: am 12. Mai 1998.


eingetragen von Reinhard Markner am 26.03.2002 um 22.48

Herrn Prof. Dr. Gerhard Augst, dem Vorsitzenden der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, ist heute folgender Text zugegangen, verbunden mit der Aufforderung, die durch diese Erklärung als falsch erwiesene Behauptung im 3. Bericht der Kommission zu widerrufen :

***

DEUTSCHE AKADEMIE FÜR SPRACHE UND DICHTUNG
DER PRÄSIDENT

Erklärung

Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner haben weder die Forschungen, deren Ergebnisse sie in ihrem Buch »Rechtschreibreform und Nationalsozialismus« vortragen, im Auftrag der Akademie unternommen, noch haben sie ihr Buch im Auftrag der Akademie geschrieben.

Ich habe vielmehr von ihren Untersuchungen und ihrem Buch (und ihrer Existenz) erst erfahren, als das Buch im wesentlichen fertig war. Da haben sie es mir zur Kenntnis gegeben, wobei sie die Frage anschlossen, ob ich ihnen bei der Suche nach einem Verlag behilflich sein könnte. Ihr Schreiben datiert vom 15. April 2000, meine Antwort vom 19. April 2000. Ich fand die Ergebnisse ihrer Untersuchungen hochinteressant, weit über die Rechtschreibreform hinaus, und habe der Publikationskommission am 23. Juni 2000 vorgeschlagen, das Buch unter die Veröffentlichungen der Akademie aufzunehmen. Ich habe den Autoren kritische Bemerkungen und redaktionelle Hinweise geschickt, sie haben auch selbst nachträgliche Funde in das Manuskript eingearbeitet. Es ist im einzelnen also noch verbessert worden. Aber auch dabei hat es keinerlei Auftrag der Akademie, geschweige denn einen Vertrag oder eine Honorierung der Autoren gegeben (was bei Aufträgen doch eigentlich üblich ist). Dies alles ist aktenkundig und leicht nachzuweisen. Ich wäre aber auch bereit, es zu beeiden.

Anfügen möchte ich, daß ich es sehr interessant finde, daß mir von verschiedenen Seiten aus dem Umkreis der »Reformer« ein »Rehabilitationsbedürfnis«, ein Wunsch nach »Wiederherstellung meiner Ehre« oder gar nach »Rache« unterstellt wird, etwa in einer Presseerklärung des Herrn Zabel oder einer Rezension des Herrn Knobloch. Offenbar meint man, daß ich bei der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 12. Mai 1998 in meiner Ehre verletzt worden sei. Es ging mir in meiner Stellungnahme dort darum, daß (von einem vorübergehenden Einzelfall [Hannover] abgesehen) in Deutschland staatlicherseits nie tiefere Eingriffe in die Rechtschreibung unternommen worden sind – außer 1944 und 1996. Diese Aussage war damals so richtig wie heute, nur daß man dank Birken-Bertsch und Markner inzwischen manches etwas genauer weiß. Daß sie der Vorsitzenden der KMK unbequem war, ist verständlich. Aber es ist mir völlig unbegreiflich, daß man – außer als braver Untertan, als der ich mich aber nie gefühlt habe – sich zu rehabilitieren bemüßigt sehen könnte, wenn man den Unwillen einer Kultusministerin erweckt hat. Und ehrenrührig sollte es schon gar nicht sein, etwas zwar Unbequemes, aber Richtiges vor einem deutschen Gericht gesagt zu haben. Für mich jedenfalls war dieser Gedanke, als ich von ihm erfuhr, überraschend. Um es zu wiederholen: Ich finde es sehr interessant, daß mir dergleichen von diesen Herren unterstellt wird!

gez. Prof. Dr. Christian Meier, 28. Februar 2002
– geändert durch Reinhard Markner am 28.03.2002, 10.56 –


eingetragen von Theodor Ickler am 30.12.2001 um 02.36

Mir ist keine Reaktion bekannt. (Meine eigene steht jetzt in "Regelungsgewalt".)
Inzwischen hat die Akademie ja für den Herbst 2001 einen neuen Kompromißvorschlag angekündigt, der wohl auf der Linie des alten liegen sollte, aber der Herbst ist verstrichen und keine Vorlage erschienen.
Die seinerzeit gegründete eigene Rechtschreibkommission der Akademie hat sich alsbald selbst demontiert und besteht wohl gar nicht mehr.
Die Akademie hatte sich im Frühjahr 1998 zunächst meinen (auf der Frühjahrstagung in Passau vorgetragenen) Vorschlag zu eigen gemacht, ein Akademie-Wörterbuch der deutschen Rechtschreibung herauszubringen; daraufhin wurde auch jene Kommission gegründet. Einige Zeit danach entschied sie sich jedoch, die Sache dem neugewählten Mitglied Peter Eisenberg zu übertragen. Dessen Handschrift ist im Kompromißvorschlag ja auch deutlich zu erkennen.
Warum so wenig daraus geworden ist? Teils liegt es am Zauber des Wortes "Kompromiß" - man verstand nicht, daß die vollständige Wiederherstellung der bisherigen Rechtschreibung die sanftere Lösung wäre. Teils auch an den gespaltenen Loyalitäten einzelner Personen, um es einmal vorsichtig auszudrücken.
Die Akademie wird ihrem Namen nicht gerecht. Sie ist und bleibt ein träger Haufen meist älterer Herrschaften, der außer zu den rountinierten Preisverleihungen kaum in Erscheinung tritt. Die Veranstaltungen sind spärlich besucht, irgendwelche größeren Projekte werden nicht betrieben. Der tatkräftige Präsident steht ziemlich allein.

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Th. Ickler


eingetragen von Jörg Metes am 29.12.2001 um 23.21

Von seiten der Reformer? Oder der Kultusminister? Hat irgendwer damals Stellung genommen? Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ist ja keine x-beliebige Institution.
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Jörg Metes


eingetragen von Theodor Ickler am 28.12.2001 um 14.25

Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
Darmstadt, im Februar 1999

Vorschlag zur Neuregelung der Orthographie

Angesichts des nach wie vor lebhaften Streits um die künftige deutsche Rechtschreibung sowie der weiterhin bestehenden großen Unsicherheit legt die Deutsche Akademie hier einen Vorschlag vor, der zum Ziel hat, die Einheit der deutschen Rechtschreibung wiederherzustellen.

Wir teilen viele der Einwände gegen die "Reform". Wir finden, daß dem Staat die Legitimation zu tieferen Eingriffen in die Rechtschreibung, wie sie in der Neuregelung zum Teil versucht werden, fehlt. Wir meinen, daß die seit Jahren unvermindert dokumentierte Ablehnung der Reform durch mehr als zwei Drittel der Wählerschaft, wie sie auch im Volksentscheid in Schleswig-Holstein zum Ausdruck kam, hätte respektiert werden müssen. Und wir haben Verständnis dafür, daß man sich als Bürger durch diesen Oktroi, dessen Nutzen überdies zumindest zweifelhaft ist, verletzt fühlt.

Doch finden wir auch, daß die Einheit der deutschen Rechtschreibung hoch zu schätzen ist, eine Einheit, die nie vollständig gegeben sein kann, bisher aber sehr weitgehend verwirklicht war. Und wir meinen, daß das Problem der Rechtschreibung nicht weiterhin so viel Aufmerksamkeit und Kraft absorbieren sollte wie in den letzten Jahren; sei es im Streit, sei es in der Ratlosigkeit vieler Schreibender, nicht zuletzt von Lehrern und Schülern, angesichts zahlreicher Widersprüche und Mängel der neuen Regeln. Es ist Zeit für einen Versuch, dem Konflikt ein Ende zu setzen.

Unser Vorschlag geht angesichts der Machtverhältnisse von der Neuregelung aus und übernimmt von ihr nicht nur, was sinnvoll, sondern auch, was ohne nennenswerten Schaden hinnehmbar ist. Andererseits bezeichnet er aber das, was nicht akzeptiert werden kann, was also zurückgebaut werden muß.

Die deutsche Rechtschreibung ist sich auch in unserm Jahrhundert nie ganz gleichgeblieben. Stets war es notwendig, die Schreibnorm bei einzelnen Wörtern an Veränderungen des Schreibgebrauchs anzupassen. Freilich waren diese Veränderungen von einer Auflage des Dudens zur andern sehr gering; sie richteten sich im allgemeinen nach weitverbreiteten beobachtbaren Tendenzen in der Schreibgemeinschaft, die, im Zweifel eher zögernd, von Fall zu Fall bestätigt wurden.

Angesichts einiger Widersprüchlichkeiten und Spitzfindigkeiten, die sich im Laufe der Zeit in den Duden eingeschlichen haben, kann es geboten sein, einmal etwas mehr zu tun, nämlich in einem Akt diese Widersprüche und Spitzfindigkeiten auszukämmen und auch die Regeln neu zu formulieren. In diesem Sinn enthält die "Reform" nach unserm Urteil durchaus brauchbare Ansätze. Es wäre falsch, sie nicht zu übernehmen.

Doch halten wir es für unangebracht, der "Reform" auch dort zu folgen, wo sie gravierende Mängel aufweist, nicht zuletzt deswegen, weil das wenig Aussicht hätte, angenommen zu werden. Wohlvertraute Wörter (wie Handvoll) können nicht abgeschafft (und aus den Lexika, schon gar nicht aus denen für Fremdsprachige eliminiert) werden. Sinnvolle Ausdrucksmöglichkeiten, ja Wortbildungsmuster dürfen nicht aufgegeben werden. Unnötige Widersprüchlichkeiten, die die Reform ihrerseits hervorbringt, sollten beseitigt, bisherige Freiheiten der Schreibung dort aufrechterhalten werden, wo neue Festlegungen unsinnig wären. Auch evidente Dummheiten muß sich eine Sprachgemeinschaft vom Staat nicht auferlegen lassen. Schließlich sollte die Schrift nicht unnötig die Gebote der Ästhetik und Leserfreundlichkeit verletzen.

Der Vorschlag, der sich auf diese Weise ergibt, übertrifft zwar das Ausmaß der Veränderungen, die gewöhnlich von einer Auflage des Dudens zur andern vorgenommen worden sind. Doch halten sie sich im Rahmen vorsichtiger Korrekturen und stehen nicht im Widerspruch zu langfristigen Tendenzen des Schreibgebrauchs. Insbesondere sind sie nicht so groß, daß man sich daraufhin veranlaßt sehen könnte, vorliegende Texte (Schöne Literatur, wissenschaftliche Abhandlungen, Gesetzestexte und Kommentare etc.) bei Neuauflagen zu verändern.

Die größte Zahl von Veränderungen gemäß der "Reform" bringt der Wechsel von ß zu ss nach kurzem Vokal mit sich. Das wäre hinnehmbar. Übernimmt man diese Regelung, so würde sich in neu gesetzten Schulbüchern eine große Zahl von Korrekturen erübrigen, andererseits wäre es nicht nötig, die nach der herkömmlichen Schreibung gesetzten Bücher bei Neuauflagen zu verändern. Denn das Nebeneinander der deutschen ß- und der - noch weitergehenden - schweizerischen ss-Schreibung hat ja auch bisher keine größeren Schwierigkeiten bereitet. Hier müßte sich also zwar der Schreibgebrauch in eher kurzer Frist ändern, alles übrige aber könnte man der Zeit überlassen.

Im übrigen aber sind die vorgeschlagenen Neuerungen so geringfügig, daß sie, was das alltägliche Schreiben angeht, kaum über die ohnehin stets gegebene Variationsbreite hinausgehen. Zudem betreffen sie weithin Fälle, über die schon bisher keine völlige Klarheit bestand.

Daher hoffen wir, daß unser Vorschlag von den verschiedensten Seiten übernommen werden kann. Diese von der Sache her verantwortbare Lösung sollte sowohl dem Grundanliegen einer Reform wie den Interessen der Leser und Schreiber, aber auch denen der Verlage und nicht zuletzt der Steuerzahler gerecht werden.

Wir empfehlen, die neue amtliche Schreibung, so weit sie schon eingeführt ist, in kurzer Frist im Sinne dieses Vorschlags zu revidieren. Damit würden vielerlei ganz unnütze Irritationen erspart, weitere Auseinandersetzungen - und Volksbegehren - erübrigt und das Erlernen der komplizierten Teile der Rechtschreibung, das erfahrungsgemäß vor allem anhand von Lektüre erfolgt, erleichtert. Und es würde eine empfindliche Störung der Einheit der deutschen Rechtschreibung beseitigt.

Der Text richtet sich aber vor allem an die Öffentlichkeit, Zeitungen, Verlage, nicht zuletzt die Beamten und Angestellten von Behörden, die vor der Frage stehen, wie weit sie die hoheitlich angeordnete, in sich vielfach widersprüchliche, wenig sinnvolle, also nicht leicht anzueignende neue Schreibung übernehmen sollen.

Insgesamt ist zu berücksichtigen, daß die neuen amtlichen Regelungen nur begrenzte Bereiche der Rechtschreibung betreffen, dort freilich zum Teil einschneidend sind. Der Text nimmt auf fast alle Fragen Bezug, die umstritten sind. Er folgt im Aufbau dem neuen Regelwerk. Gegebenenfalls korrigiert er dessen Anordnungen respektive schlägt er andere Lösungen vor.

So wie der Vorschlag jetzt vorgelegt wird, enthält er das Konzept. Es soll demnächst durch eine Wörterliste ergänzt werden, aus der hervorgeht, welche der vorgesehenen Neuschreibungen zu übernehmen sind und welche nicht. Wir halten es aber für richtig, dieses Konzept schon jetzt zu veröffentlichen, um eine Fortsetzung des Streits, eine Verlängerung der Ratlosigkeit und vorschnelle Umstellungen auf eine Schreibung, die kaum einem einleuchtet, vermeidbar zu machen.




1. Buchstabenschreibung

1.1 Einzelfälle

Wenn die Neuregelung die Schreibung einzelner Wörter ändert, wird das zumeist mit dem Hinweis auf die "Stärkung der Grundregeln" gerechtfertigt. Man nimmt in Anspruch, auf diese Weise Ausnahmen zu beseitigen. Es geht um drei Gruppen von Änderungen.

1. Analogie zu andern Wörtern. Hierher gehören Fälle wie Känguru statt Känguruh analog zu Marabu, Kakadu oder rau statt rauh analog zu blau, genau. Diese Fälle sind selten. Man hat sogar Mühe, weitere wirklich häufig verwendete Wörter zu finden, deren Schreibung geändert werden soll (außer rauh gibt es im Kernwortschatz keine Wörter, die auf auh enden; ein Unterschied in der Aussprache zwischen rauhes und blaues ist nicht nachweisbar). Es wird vorgeschlagen, die neuen Schreibungen zuzulassen.

2. Sichtbarmachung von Wortverwandtschaften. Diese Gruppe umfaßt weniger als ein Dutzend Änderungen. Typische Fälle sind Ass statt As wegen Asse; behände statt behende, Bändel, Gämse, Stängel, überschwänglich. Hier sind Unterschiede zu machen. Während gegen Ass und überschwänglich nichts einzuwenden ist, bleibt eine Wiederbelebung etymologischer Bezüge wie bei behände oder Stängel problematisch. Für die meisten "naiven" Schreiber besteht der Zusammenhang nicht mehr. Folglich sollte man Ass und überschwänglich übernehmen, die anderen Änderungen könnten allenfalls als Nebenvarianten zur Wahl gestellt werden. Für die Einzelfälle ist auf die Wörterliste zu verweisen.

3. Herstellung von Wortverwandtschaften. Etwas zahlreicher sind die Fälle, in denen Bezüge zwischen Wörtern durch Neuschreibungen erst hergestellt werden. Die aufeinander bezogenen Wörter haben etymologisch entweder nichts miteinander zu tun (die berüchtigten volksetymologischen Schreibungen vom Schlage Tollpatsch, Quäntchen, belämmert, schnäuzen) oder sie sind nur weitläufig verwandt wie insbesondere Fremdwortstämme, die zu unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedlichen Wegen ins Deutsche gelangt und unterschiedlich weit integriert worden sind. Beispiele solcher Neuschreibungen sind platzieren, nummerieren, Stuckatur. Einige weitere wie Packet wurden im letzten Moment verhindert.

Die meisten dieser Änderungen, insbesondere die "Volksetymologien", sind abzulehnen. Bei vielen von ihnen wird der normale Schreiber überhaupt keine Beziehung sehen (etwa zwischen Tolpatsch und toll), andere sind evident falsch (wer schneuzt sich schon durch die "Schnauze", die Menschen ja eigentlich auch gar nicht haben?). In Einzelfällen, etwa platzieren, nummerieren, könnte man die neuen Schreibungen neben den alten als Nebenvarianten zur Wahl stellen und abwarten, welche sich im allgemeinen Gebrauch durchsetzen. Mit anderen Worten: Eine Änderung wäre nur dann zulässig, wenn sie dem Usus folgte. Die Beweislast läge dann bei denen, die verändern wollen. Es geht aber nicht an, künftigem Usus Vorgaben zu machen. Zu Einzelfällen (etwa Quentchen, Mesner) ist auf die Wörterliste zu verweisen.

4. Neuschreibungen wie Mopp, Tipp und Karamell anstelle von Mop, Tip und Karamel sind abzulehnen. Sie verstoßen gegen die im Deutschen gängige Regel, daß Doppelkonsonantbuchstaben ihre Quelle in der Abfolge von betonter und unbetonter Silbe haben. Die Schreibung Boss mit ss ist korrekt, weil die Pluralform zwei Silben hat (Bosse). Bei Mop und Tip ist das nicht der Fall. Es heißt die Tips, nicht die Tippe.





1.2 Wortstämme

1. ß. Die Ersetzung des ß nach Kurzvokalbuchstaben durch ss ist weder systematisch geboten noch ist sie unproblematisch, was das Schreibenlernen betrifft. Sie führt nachweislich dazu, daß die Schüler dazu neigen, nur noch ss zu schreiben. Es finden sich vermehrt Schreibungen vom Typ Landstrasse, Blumenstrauss, d.h. hier tritt ein neuer Rechtschreibfehler auf. Andererseits ist die Ersetzung des ß durch ss gewissermaßen das Herzstück der Reform, sie ist ihr sichtbarster Bestandteil und im großen und ganzen systematisch. Wer sie akzeptiert, gibt zu erkennen, daß er die Neuregelung nicht grundsätzlich bekämpft. Das Umgekehrte gilt ebenfalls. Im Interesse einer Beilegung des Streites, zugunsten einer Wiederherstellung des "Rechtschreibfriedens" wird vorgeschlagen, die Änderung zu übernehmen. Es sollte nur eine Ausnahme gemacht werden: in Fällen, wo auf eine mit ss auslaufende Silbe eine solche folgt, die mit s beginnt, wird ß geschrieben (z.B. Mißstand statt Missstand, Streßsituation statt Stresssituation). (vgl. 2)

2. Betttuch. Die Verdreifachung von Konsonantbuchstaben anstelle der bisherigen Beschränkung auf zwei Buchstaben ist nicht nur überflüssig, sondern sie führt auch zu teilweise grotesken Wortbildern (Schlammmasse, Schwimmmeister). Da die Fälle häufiger vorkommen und zum großen Teil das Auge verletzen, sollte diese Regel nicht übernommen werden. (vgl. 4)

3. Rohheit. Die Beibehaltung des h am Ende eines Stammes vor -heit (Jähheit, Rohheit) betrifft weniger als ein halbes Dutzend Wörter. Sie kann ohne größeren Schaden hingenommen werden.

4. geschrien. Noch seltener sind Änderungen, die das Weglassen eines e nach ie oder ee fordern, also jetzt geschrien statt geschrieen. Die Neuschreibung ist analog zu die Knie, die Seen. Sie ist durchaus sinnvoll (genau wie die Ablehnung unnützer Verdreifachungen von Konsonanten nach 2.)

5. potenziell/potentiell. Vor Fremdwortendungen wie iell, ial, iös darf künftig mit z und mit t geschrieben werden, wenn eine entsprechende morphologische Basis vorhanden ist. Wegen Potenz und potent also sowohl potenziell als auch potentiell. Gegen diese Regelung ist nichts einzuwenden.


1.3 Bemerkung zur Fremdwortschreibung

Die Neuerungen in der Fremdwortschreibung sind insgesamt weniger dramatisch als häufig angenommen wird. Nicht selten werden der Neuregelung Formen zugeschrieben, die es schon lange gibt (Majonäse, Frisör) oder die sie nicht vorsieht (Filosofie, Fysik oder gar Fysick). Die Polemik hat vieles übertrieben.

Fast durchweg werden Neuschreibungen bei den Fremdwörtern neben den bisher erlaubten eingeführt, d.h. es wird keine der bisher möglichen Schreibungen verboten. Die Änderungen selbst sind überwiegend unproblematisch (Typ Kreme, Panter), wenn auch teilweise willkürlich.

Problematisch bezüglich der Leseaussprache sind teilintegrierte Schreibungen wie Bravur, Ketschup statt der bisher allein möglichen Bravour, Ketchup. Solche Neuerungen können ungewollte Folgen für die Aussprache haben.

Ein Problem von anderer Art stellen die schon erwähnten "Eindeutschungen" wie Tipp, Mopp, Krepp (für Crêpe) dar. Warum die Reform überhaupt zum Anlaß genommen wird, über die in den Rechtschreibwörterbüchern stets präsente Integrationsbewegung hinaus Schreibungen neu zu regeln, ist nicht bekannt. Manches ist im Zeitalter zunehmender internationaler Begegnungen geradezu kontraproduktiv und sollte sich durch den Respekt gegenüber den anderen Sprachen verbieten (Krepp, Spagetti).

Wir empfehlen, neue Schreibungen nur zu übernehmen, wenn sie nachweislich durch
den Schreibgebrauch gerechtfertigt sind. Zur Klärung der Einzelfälle wird auf das Wörterverzeichnis verwiesen.

Ein strukturelles Problem für die Neuregelung der Fremdwortschreibung besteht in der Verallgemeinerung der wenigen im amtlichen Wörterverzeichnis enthaltenen Beispielschreibungen (insgesamt 12.000 Einträge) auf den Gesamtwortschatz eines Rechtschreibwörterbuches (insgesamt 120.000 Einträge). Die Neuregelung gibt keinerlei Auskunft darüber, welche von den Zehntausenden von Fremdwörtern für den Beispielwortschatz herausgegriffen wurden.

Trotz alledem: Das Hauptproblem für eine konsequente "Durchregelung" der Fremdwortschreibung - die um jeden Preis vermieden werden muß - liegt weniger bei den Buchstaben als bei der Wortgliederung (Getrennt- und Zusammenschreibung, s. 2.2).


2. Wortgliederung

2.1 Silbentrennung

Die wichtigsten Änderungen sind die Trennbarkeit des st (Küs-te) und die Nichttrennbarkeit des ck (Ba-cke). Außerdem hat man erlaubt, daß bei Fremdwörtern Verbindungen von Konsonantbuchstaben mit l, n oder r getrennt werden. Daraus ergeben sich vielzitierte unsinnige Trennungen wie ext-ra, Kast-rat, Lust-ration, Hyd-rant).

Die Trennbarkeit des s-t und die Nichttrennbarkeit von c-k sind ohne weiteres akzeptabel. Dagegen ist die alte Regel zur Trennung der Fremdwörter wieder herzustellen.

Regelungen zur Silbentrennung sind von einiger Bedeutung für die Wörterbuchmacher. Unter ihnen wird vor allem lebhaft darüber diskutiert, ob sämtliche Trennmöglichkeiten anzugeben seien. Die orthographische Norm sollte indes eher weniger Festlegungen zur Silbentrennung enthalten. Je mehr man regelt, desto mehr Problemfälle treten in Erscheinung, die für die Schreib-, teilweise auch für die Lesepraxis so gut wie bedeutungslos sind.


2.2 Getrennt- und Zusammenschreibung

Nur was zusammengeschrieben wird, ist im allgemeinen ein Wort. Was getrennt geschrieben wird, kann eine Wortgruppe sein. Beispielsweise handelt es sich bei der Schreibweise mit Hilfe um eine Wortgruppe aus Präposition und Substantiv, bei der Schreibweise mithilfe um ein Wort. Man muß sich lediglich diesen trivialen Tatbestand vor Augen führen, um zu verstehen, warum es bei der Neuregelung der Getrennt- und Zusammenschreibung besonders viele Probleme gibt.

Die Neuregelung sieht wesentlich mehr Getrenntschreibungen vor, als wir sie bisher hatten, d.h. sie macht in zahlreichen Fällen aus einem Wort zwei Wörter. Ein Wort wie auseinandersetzen verschwindet, wenn nur noch auseinander setzen geschrieben werden darf. Daß man sich nicht unbedingt auseinander setzt, wenn man sich auseinandersetzt, geht dabei verloren. Dieser bedeutsamen Tatsache ist von der Neuregelung nicht genügend Rechnung getragen worden. Noch heute meinen einige ihrer Verfechter, es sei doch zweitrangig, ob man "ein Wort getrennt oder zusammen schreibt". So ist es dazu gekommen, daß dem Deutschen in der Schrift, damit aber auch im Bewußtsein der Sprechenden mehrere hundert Wörter verloren gehen sollen.

Hinzu kommt, daß manchmal schwer oder gar nicht zu entscheiden ist, ob etwas nur ein Wort oder nur eine Wortgruppe oder beides sein kann. Deshalb hat es in der bisherigen Rechtschreibung gerade hier viele Freiheiten gegeben, d.h. Unentschiedenheiten, scheinbare Inkonsequenzen und darüber hinaus große Bereiche ohne Regelung.

Die Neuregelung möchte diese Bereiche eingrenzen, um "Schreibunsicherheiten" zu beseitigen. Den "Reformern" ist nicht oder zu spät klar geworden, daß es sich nicht um unklare Regeln respektive Schreibunsicherheiten, sondern um sprachliche Varianten oder aber um die Möglichkeit eines differenzierten Wortgebrauchs handelt.

Das Nebeneinander von einem Wort (Zusammenschreibung) und zwei Wörtern (Getrenntschreibung) kann unterschiedliche Ursachen haben. So kommt es vor, daß Wörter, die im laufenden Text häufig gemeinsam und in derselben Abfolge auftreten, zu einem Wort zusammenwachsen. Man spricht dann von 'Univerbierung'. In der Phase des Zusammenwachsens sollten beide Schreibweisen zugelassen werden. Bekannte Beispiele sind Fügungen wie infrage/in Frage, zutage/zu Tage und komplexe Präpositionen wie anstatt/an Statt, aufgrund/auf Grund. Die Neuregelung bezieht hier einige Einheiten mehr ein, u.a. auch die Konjunktion sodass neben so dass. Das ist akzeptabel.

Anders zu bewerten sind Fälle, in denen die Neuregelung versucht, im Gang befindliche Prozesse der Univerbierung aufzuhalten oder zurückzudrehen wie bei so genannt (künftig nicht mehr sogenannt) oder bei Bildungen mit anheim wie anheim fallen, anheim stellen usw. Diese sind aber analog zu fehlgehen, feilbieten respektive bereithalten, festsetzen zu behandeln. Auch wenn der Bestandteil anheim, wie es das neue Regelwerk ausdrückt, selbst "zusammengesetzt ist", muß die Zusammenschreibung von anheimfallen erlaubt sein.

Einen in manchem ähnlichen Fall, den die Neuregelung gerade umgekehrt löst, stellen Formen mit irgend dar. Sie werden alle zu einer Form erklärt (irgendwer, irgendwie genauso wie irgendwelche und irgendjemand). Diese Lösung ist radikal, aber übersichtlich. Man sollte sie akzeptieren.

Von anderer Art als Univerbierung sind Wortbildungsprozesse. Zusammensetzungen wie Fensterrahmen oder dunkelrot kommen nicht dadurch zustande, daß ihre Bestandteile allmählich zusammenwachsen, sondern aus den Bestandteilen werden nach festen Regeln neue Wörter geformt.

Die Neuregelung möchte nun durch einen Zwang zur Getrenntschreibung Hunderte von Wörtern ausschließen, die nach solchen Wortbildungsregeln gebildet sind oder gebildet werden können. Ausgeschlossen werden also nicht nur vorhandene, sondern auch mögliche Wörter. Die kritischen Fälle betreffen vor allem Zusammensetzungen, deren zweiter Bestandteil ein Verbstamm ist. Paradebeispiele sind die folgenden Typen:
a) Verb+Verb spazierengehen, kennenlernen, stehenbleiben, sitzenlassen
b) Adj+Verb schwerfallen, festhalten, freisprechen, blankputzen
c) Subst+Part ratsuchend, fleischfressend, eisenverarbeitend, notleidend
d) Subst+Verb eislaufen, kopfstehen, maßhalten, nottun

Die in a)-d) angeführten und vergleichbare Wörter soll es in Zukunft, wenn es nach den "Reformern" geht, nicht mehr geben. Das kann auf keinen Fall hingenommen werden. Wir schlagen vor, eindeutig lexikalisierte Wörter (wie die oben zu a)-d) aufgeführten, aber auch etwa leidtun u.v.a.) ins Wörterverzeichnis aufzunehmen und über alle anderen nichts auszusagen. Der Schreiber muß in Zweifelsfällen selbst wissen, was er meint und wie er das am besten schreibt.


3. Groß- und Kleinschreibung
Bei der Groß- und Kleinschreibung liegen die Dinge in mancher Hinsicht ähnlich wie bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, sie hängen ja teilweise auch unmittelbar mit diesen zusammen.
Abzulehnen ist die Verfügung, wonach zwar das Anredepronomen Sie samt dem Possessivum Ihr groß geschrieben werden soll, dagegen Du, Ihr (2.Ps Pl), Dein, Euer klein. Diese Änderung stellt einen so unnötigen und willkürlichen Eingriff in die im Deutschen gültige Sprach- und Höflichkeitspraxis dar, daß sie schon aus diesem Grund verworfen werden sollte.

Die weitaus meisten Änderungen betreffen die Großschreibung der Substantive. Nachdem die sogenannte gemäßigte Kleinschreibung nicht durchsetzbar war, hat man versucht, mit teilweise mechanischen Regelungen zu einfachen Lösungen zu kommen.

1. Zeitangaben. Begrenzt im Umfang ist die Großschreibung des zweiten Bestandteils von Zeitangaben wie heute Morgen, gestern Nachmittag. Der alten Regelung lag die Fehlanalyse zugrunde, es handle sich bei diesem Bestandteil um ein Adverb. Zwingend ist die Neuregelung nicht, weil Großschreibung der besondere, Kleinschreibung der allgemeine Fall ist. Wenn man nicht genau weiß, ob es sich um ein Substantiv handelt, ist klein zu schreiben. Also sollte man es auch in diesen Fällen tun.

2. Zusammengesetzte Fremdwörter. In Formen wie Corned Beef, Ultima Ratio soll der zweite Bestandteil künftig groß geschrieben werden, wenn er - und sei es nur in der Herkunftssprache - ein Substantiv ist. Es gibt überhaupt keinen Anlaß für die Abschaffung von Schreibungen wie Corned beef, Ultima ratio. Auf völlig ungeklärte Weise ist außerdem eine Reihe von Wörtern durch Zusammenschreibung von Adjektiv+Substantiv frei erfunden worden, z.B. Bigbusiness, Blackpower, Freejazz. Solche Schreibungen sind abzulehnen.

3. Substantivierte Adjektive. Nicht akzeptabel ist die vorgesehene Großschreibung von Ausdrücken wie im allgemeinen, im wesentlichen, im folgenden, des weiteren. Zumindest zweifelhaft ist der Zwang zur Großschreibung bei Indefinita wie Verschiedenes, Einzelnes, wenn gleichzeitig die Kleinschreibung in das wenige, der eine vorgeschrieben wird. Wir sollen also schreiben die eine und Einzige sowie weniges, aber Verschiedenes. Hier müssen Freiheiten für Analogieschreibungen wie die Eine und Einzige oder weniges, aber verschiedenes erlaubt sein. Da die Abgrenzung von Pronomina und Adjektiven dieser Art schwierig ist, sollten generell mehr Freiheiten eingeräumt werden.

4. goethesches Gedicht. Früher wurde Goethesches Gedicht oder Goethisches Gedicht geschrieben. Jetzt soll es heißen goethesches/goethisches Gedicht. Großschreibung ist nur mit Apostroph erlaubt, also Goethe'sches Gedicht. Die von der Neuregelung vorgesehene Kleinschreibung kann akzeptiert werden, denn in der Tat handelt es sich bei goethesch wie bei goethisch um echte Adjektive. Völlig unverständlich ist Goethe'sch. Die Verwendung des Apostroph an dieser Stelle widerspricht den Regeln, denn hier wird nichts "ausgelassen". Man braucht sich nicht zu wundern, wenn man auf diese Weise Schreibungen wie frischer Lach's aus Helga's Stehimbis's den Weg bereitet.





4. Zeichensetzung
Die Änderungen in der Zeichensetzung sind mit Ausnahme des Kommas bei Infinitiv- und Partizipialgruppen nicht von großem Interesse, wenngleich von einer bisweilen niederschmetternden Mechanik, z.B. "Hast du gefragt: "Sind sie unglücklich?"?".

Das Komma bei Infinitivgruppen (und entsprechend Partizipialgruppen) ist freigestellt.Es darf immer gesetzt werden, z.B. auch in Das Wetter droht, schlecht zu werden. Die Neuregelung führt nach Auskunft vieler Lehrer absehbar auch zum Zusammenbruch des Kommas bei Nebensätzen. Vorzuziehen wäre eine einfache Regelung, die die Kommata bei Infinitivgruppen so verteilt:

a) Das Wetter droht schlecht zu werden kein Komma
b) Franz glaubt zu träumen kein Komma
c) Immer zu verlieren (,) mißfällt ihr Komma fakultativ
d) Helga behauptet, alles getan zu haben Komma empfohlen
e) Paula lebt, ohne/um/anstatt zu arbeiten Komma obligatorisch

Die Fälle d) und e) sind die häufigsten. Die Hauptregel würde ungefähr lauten:

"Adverbiale Infinitivgruppen werden durch Komma abgetrennt, sonst ist das Komma in der Regel frei." Mit zwei weiteren Sätzen könnte man das Komma in a und b ausschließen.

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Th. Ickler


Alle angegebenen Zeiten sind MEZ   

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