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eingetragen von Sigmar Salzburg am 31.08.2011 um 06.35

Raumer war für „zivil“ statt „civil“

RUDOLF VON RAUMER wurde am 14. April 1815 in Breslau geboren; er starb am 30. August 1876 in Erlangen
Von Philipp v. Studnitz

Heute vor 135 Jahren starb der Sprachwissenschaftler Rudolf von Raumer. Ohne ihn würden wir in Deutschland heute nicht so schreiben wie wir schreiben. Raumer studierte u. a. bei den Brüdern Grimm an der Universität Göttingen. 1839 wurde er in Erlangen promoviert und später auch zum Professor für deutsche Sprache und Literatur auf einer eigens für ihn eingerichteten Stelle. Wegen seines 1870 verfassten Hauptwerks ("Geschichte der Germanischen Philologie") gilt Raumer als einer der bedeutendsten Forscher der Entwicklung und Geschichte unserer Sprache. 1876 wurde vom preußischen Kultusminister Adalbert Falk in Berlin die "Konferenz zur Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung" einberufen. Damit sollten im 1871 gegründeten Deutschen Reich möglichst viele der regionalen Unterschiede in der Schriftsprache abgeschafft werden. Rudolf von Raumer vertrat auf der Konferenz einen wissenschaftlichen Standpunkt, der sich vor allem auf den Klang und die Aussprache bezog. Die Gegner argumentierten historisch, mit der Entwicklung der Sprache. Für das Deutsche Reich scheiterte die Konferenz. Doch viele von Raumers Vorschlägen wurden damals zumindest in Preußen und Bayern umgesetzt. Heute sind sie allgemeine Rechtschreibung. Zum Beispiel: stolzieren statt stolziren, Glut statt Gluth, zivil statt civil.

bz-berlin.de 30.8.2011


»Kein Dehnungszeichen ist h in Wörtern wie : bähen, blähen, [. . .] rauher [. . .].«

Aus der Vorlage Rudolf von Raumers zur I. Orthographischen Konferenz, 1876 (Kursivierung hinzugefügt), Documenta orthographica B 5, S. 112. [Reinhard Markner]


eingetragen von Reinhard Markner am 29.04.2002 um 13.13

Müllenhoff an Scherer, Berlin, 8. 2. 1864

"Mit der 'Recht- oder Unrechtschreibung' quäle ich mich noch so hin, werde aber in dieser Woche doch mit dem Entwurf fertig. Die Arbeit interessiert mich doch, ärgerlich sind mir nur die Störungen und Unterbrechungen, die mich immer wieder davon abbringen. Es kommt doch einiges dabei heraus und auch andern, als den Schulmeistern wird damit gedient sein. In dem Entwurf der hanöverschen Conferenz, dem von Herrn von Raumer soviel belobten, steht doch unglaubliches Zeug, wenn man aufs einzelne | sieht, und die andern sind noch dummer und unwissender. Soviel glaube ich wird sich wenigstens ergeben wie weit die Verbesserung allmählich gehen kann und wo sie eintreten kann. Im Grunde ist die Sache ja unheilbar. Ich bin entsetzlich conservativ, aber nur aus dem Grunde um desto dreister einige Punkte anzugreifen, wo man ansetzen muß. Übrigens ist in dem Unsinn mehr Consequenz und System, als man denkt."
(S. 17 f.)

Müllenhoff an Scherer, Berlin, 23. 12. 1875

"Ihre Ankündigung traf gerade in eine Zeit, wo ich mich, sehr wider Willen, zufolge einer Aufforderung des | Ministers [Adalbert von Falk] gleichfalls mit der 'orthographischen Frage' zu beschäftigen hatte. Die Sache hat mir Plage gemacht und Zeit gekostet. Nach langer Überlegung hab ich ihnen endlich geschrieben, daß 'eine zweckmäßige Einigung' allerdings erwartet werden könne, wenn die 'Conferenz' richtig zusammengesetzt würde, so daß die 'Praktiker' darin nicht mehr als ein Viertel oder höchstens ein Drittel der Stimmen erhielten, und daß dann die Auswahl der 'Theoretiker' oder sogenannten Fachleute mit aller Unparteilichkeit und völliger Sach- und Personalkenntnis geschähe. Zu einer 'zweckmäßigen Einigung' sei dem in seinen Consequenzen leicht gefährlichen 'phonetischen Prinzip' gegenüber eine schärfere Betonung sowohl des historischen Prinzips als auch des gegenwärtigen Usus durchaus nötig. Jeder vernünftige müsse es als seine Gewissenspflicht erkennen, den Zusammenhang, der in unsrer Schreibweise noch mit der ältesten Vergangenheit und dem ursprünglichen Wesen der Sprache bestehe, der Nation rein und unverkümmert zu erhalten, als ein Mittel der Selbsterkenntnis und damit der Selbsterhaltung. Die Pflicht der Treue gegen uns selbst und die ganze Vergangenheit der Nation verlange jeder Neuerung zu widerstehen, die jenen Zusammenhang irgendwie bedrohe, wie z. B. selbst die Raumerschen Vorschläge (in den auch Ihnen ohne Zweifel vorliegenden Schriften 'zur Begründung' S. 15 f.) zur Einschränkung des dehnenden h in einzelnen Punkten. Dieselbe Pflicht gebiete auch für die Anerkennung und Aufrechterhaltung des historischen Zusammenhangs zu sorgen, wo die schwankende Schreibung und Aussprache es noch erlaube, und nur wer seine Pflicht nicht kenne, könne wie die Berliner Lehrer 1871 sich für die Beibehaltung und Fortpflanzung leicht beseitigter Irrthümer entscheiden. Von historischer Siete sei dem phonetischen Prinzip gegenüber auf die Anerkennung folgender Sätze zu bestehen :

1) Jede historisch, d. h. in der Herkunft und Geschichte des Wortes wohl begründete Schreibung ist unantastbar, auch wo sie für unsere Aussprache keinen Wert mehr hat.
2) Wo die Schreibung schwankt und die Aussprache die eine wie die andre Schreibweise gestattet, da ist die historisch begründete die allein richtige und giltige. (Also z. B. läugnen, herschen, Herschaft usw., Berliner, Frankfurter usw.) Und
3) wo Schreibung und Aussprache in verschiedenen Landschaften schwanken, da ist dieselbe Entscheidung zu treffen. |

(Namentlich Nr. 2 ist mir prinzipiell von der größten Wichtigkeit.)

Der Usus dagegen, der bestehende, herkömmliche Gebrauch sei unbedingt, gegen das historische als das phonetische Prinzip, überall aufrecht zu halten, wo Neuerungen und Verbesserungsversuche sich als unpractisch erweisen und nur zu neuen Ungleichheiten, Unbequemlichkeiten, nutzlosen Unterscheidungen und dergleichen führten. Von der Art seien die Raumerschen Vorschläge zur Einschränkung des Dehnungs-h (-- praktisch ist nur die Einschränkung des th, namentlich die Beseitigung überall im Auslaut --) und die (zur Begründung S. 18 f.) verlangte Unterscheidung des ß und ss [1. s lang] im Auslaut, ohne die wir in deutscher Schrift bisher ausgekommen seien und auch ferner auskommen könnten.

Bei einer richtigen Zusammensetzung der Conferenz sei eine Anerkennung dieser Sätze und damit eine 'zweckmäßige Einigung' zu hoffen.

Ich schreibe Ihnen dies, damit Sie es einmal überlegen und für die mündliche Discussion vorbereitet sind."
(S. 576--78)

Briefwechsel zwischen Karl Müllenhoff und Wilhelm Scherer, hrsg. v. Albert Leitzmann, Berlin u. Leipzig 1937 [1a: Yc 7673/3-5]


eingetragen von Reinhard Markner am 25.04.2002 um 10.46

»Kein Dehnungszeichen ist h in Wörtern wie : bähen, blähen, [. . .] rauher [. . .].«

Aus der Vorlage Rudolf von Raumers zur I. Orthographischen Konferenz, 1876 (Kursivierung hinzugefügt), Documenta orthographica B 5, S. 112.


eingetragen von Theodor Ickler am 12.01.2002 um 16.38

"Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler ermittelte im Jahr 1899, daß über fünf Sechstel der in diesem Jahr gedruckten Bücher und fast drei Fünftel der Zeitschriften die Schreibung der Schulorthographie befolgten. Damit war Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts eine weitgehende Übereinstimmung in der deutschen Orthographie erreicht, noch bevor eine offizielle reichseinheitliche Rechtschreibung existierte."

(aus einer gerade fertiggestellten Erlanger Dissertation, auf die später zurückkommen werde)
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Th. Ickler


eingetragen von Jörg Metes am 09.01.2002 um 21.47

Ein Artikel über Gottfried Keller und sein Verhältnis zur Rechtschreibung (insbesondere zur Reform von 1880) findet sich in der aktuellen ZEIT:
http://www.zeit.de/2002/03/Kultur/200203_l-keller.html
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Jörg Metes


eingetragen von Mädchenfüralles am 23.05.2001 um 08.10

Dieser Artikel wurde aus dem Nachrichtenarchiv hierhin verschoben. (Anregung durch Reinhard Markner)


Presse und neue Rechtschreibung im Jahre 1895

Noch fünfzehn Jahre nach der Reform erschienen Zeitungen in alter Rechtschreibung


Überhaupt läßt sich bemerken, daß in Thüringen die meisten der kleinen Lokalblätter die neue Orthographie befolgen, und dies gilt auch von einem großen Teil der in Franken und der Rheinpfalz erscheinenden Tagesblätter, unter denen besonders zu nennen sind die Fränkische Zeitung (Ansbach), der Generalanzeiger für Nürnberg-Fürth, die Pfälzische Presse (Kaiserslautern). Ganz besonders hat sich die Schulorthographie in der württembergischen Presse eingebürgert; hervorzuheben ist der in Oberndorf in 25000 Exemplaren erscheinende Schwarzwälder Bote, der den Schwaben in alle Weltgegenden begleitet und das Band mit der Heimat bildet, der Rottweiler Bote, die Neckarzeitung, das Stuttgarter Neue Tagesblatt. Das Weltblatt, die Kölnische Zeitung, hat im allgemeinen die Schulorthographieangenommen, bevorzugt aber im besonderen das c gegenüber dem k in einem solchen Umfange, daß sogar die Wortformen America und Punct erscheinen.
Gegenüber diesem gerade nicht sehr erfreulichen Bilde, das die politische Presse gewährt, bietet d ie   U n t e r h a l t u n g s l i t t e r a t u r   [sic!] einen ganz andern Anblick. Wir wenden uns zunächst den so zahlreichen in Wochen- und Monatsausgaben erscheinenden Unterhaltungsblättern zu, die für das geistige Leben unseres Volkes von ganz besonderer Bedeutung sind, da sie nicht bloß unterhalten, sondern auch belehren wollen. In der neuen Orthographie, d. i. in der Schulorthographie, sind, um nur die gelesensten zu nennen, gedruckt: das Daheim, die Gartenlaube, die Grenzboten, die deutsche Romanzeitung, die Romanbibliothek, Ober Land und Meer, Vom Fels zum Meer, Westermanns Monatshefte, Deutsche Revue, Romanwelt, Echo, Velhagen und Klasings Monatshefte, Meggendorfers Humoristische Blätter, sowie die in Berlin und der Mark Brandenburg sehr verbreitete Zeitschrift: der Bär. In der althergebrachten Orthographie hingegen sind gedruckt: die Fliegenden Blätter, der Kladderadatsch, Nord und Süd, Gegenwart, Zur guten Stunde, Preußische Jahrbücher, Deutsche Rundschau. Die Leipziger Illustrirte Zeitung weist zwar Schreibweisen auf wie zutheil (in einem Worte), Conferenz, Decoration, todt, sowie die Endsilbe -niß, daneben aber nach der Schulorthographie: Witwe, praktisch, Freischar.

Schulorthographie vom Jahre 1880 und die deutsche Presse in der Gegenwart, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1895, S. 8-9.
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Dominik Schumacher


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