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eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.11.2022 um 18.21

Ein Alt-Fuzzie der Reform-Durchsetzung:

Reformfreund Peter Schmachthagen rechtfertigt in seiner „Deutschstunde“ im Hamburger Abendblatt wieder einmal die größte Narretei staatlicher Sprach„pflege“ seit der Verschriftung des Deutschen vor 1200 Jahren: Die Rechtschreib„reform“ – wohl zum 26. Jahrestag der Wiener „Absichtserklärung“ zum 1. Juli 1996:

Seit 1996 schreiben wir den „Tollpatsch“ mit Doppel-l
Neben umfassenden Regeln wie die ss/ß-Auslautung oder die klare Bestimmung „Verb und Verb immer getrennt“ änderten die Reformer nicht nur beim Tollpatsch, sondern bei rund 40 Wörtern die Schreibweise ...
Schmachthagen bejubelt weiter die nichtsnutzige Schreibänderung an Wörtern wie „Stengel“ „Gemse“, „Greuel“, „schneuzte“, „überschwenglich“, „verbleuen“ „numerieren“, „plazieren“ „Tip“. „Alptraum“, „belemmert“...
Als wenn es nichts Wichtigeres gegeben hätte, wurde die Änderung von „belemmert“ in „belämmert“ von den Reformgegnern zum orthografischen Weltuntergang hochstilisiert.
Quatsch! Ein Scheitern der „Reform“ wurde von den Betreibern denunziert als Rückfall in die Steinzeit.
Die deutsche Sprache ist jedoch so kompliziert, dass jede Vereinfachung ihre Akzeptanz nur erhöhen kann.

abendblatt.de 28.06.2022
Da bewegt sich Schmachthagen auf dem Niveau des Kieler Bildungsministeriums:
„Wer das Schamgefühl, aber auch die Hilflosigkeit von Analphabetinnen und Analphabeten erlebt hat, wird jede noch so kleine Erleichterung begrüßen.“
Als Fortsetzung dazu wollen uns noch „woke Wichtigtuer“ die gestotterten „Analphabet:innen“ u.ä. als das gerechtere Deutsch aufnötigen.

20 Jahre lang haben alle Umfragen eine überwältigende Ablehnung dieser albernen „Reform“ ergeben.

Sie wurde nur möglich durch die staatliche Demokratieverachtung, die Geiselnahme der Schüler und den Indoktrinationseifer der SPD-nahen Presse.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.12.2018 um 16.52

Eine Sammlung von Brief-Stilblüten zitierte einmal das Schreiben einer japanischen Firma an eine deutsche Kugellagerfabrik: „Wir jetzt Deutsch schreiben, weil wir haben einen Deutschmeister ...“ Der „Deutschmeister“ des Hamburger Abendblattes, Peter Schmachthagen, hat nun seine 500. „Deutschstunde“ als Interview veröffentlicht. Hier nur ein kleiner Auszug:

Wie ist die Resonanz in der Leserschaft?

Schmachthagen: Nach den Eingängen in meinem privaten Postfach zu urteilen ist das Echo überwältigend positiv, sodass ich schon ein wenig beschämt bin. In der letzten Woche schrieb allerdings ein Zeitgenosse an die „sehr geehrten Damen und Herren der Redaktion“, meine Kolumne sei humorlos, unverständlich, werde nur von einer Handvoll Germanisten aufgerufen und bedeute also eine reine Platzverschwendung in der Zeitung.

Haben Sie ihm geantwortet?

Schmachthagen: Ja, das habe ich. Ich habe ihm geschrieben, ein Sprachkolumnist sei kein Comedian, und der Humorfaktor bei der Erklärung der Kasustreue in einer Apposition sei schon vom Thema her recht begrenzt. Andererseits handele es sich um einen häufigen Fehler, wie auch seine Mail wieder zeige, der irgendwie angesprochen werden dürfe. Der Herr hat sich entschuldigt, sich als Ostfriese geoutet mit friesisch herbem Sprachverständnis, versprach aber, nun an jedem Dienstag die „Deutschstunde“ als Erstes zu lesen. [...]

Schmachthagen: .... Die schönsten Fehler habe ich aber früher als Chef vom Dienst erlebt, wenn ich gezwungen war, nachts um drei Uhr die Rotation in Ahrensburg stoppen zu lassen, weil ein Kollege den Auftritt von Roger Whittaker im CCH folgendermaßen bejubelt hatte: „Das Publikum geriet bei seinem Hit ,Abschied ist ein schwarzes Pferd‘ aus dem Häuschen.“ Der Abschied war selbstverständlich ein scharfes Schwert. Auch die Überschrift „Der Tod des M. P. Dokles“ sollte für den Rest der Druckauflage so nicht stehen bleiben. Gemeint war Hölderlins „Der Tod des Empedokles“. [...]

Schmachthagen: Seit gefühlten 500 Folgen scheint es unmöglich zu sein, den Begriff „Zeitläufte“ mit „t“, „andere Saiten aufziehen“ mit „a“ oder „Litfaßsäule“ mit Eszett zu vermitteln. Ich habe einmal derartige Schreibweisen zu einem Diktattext zusammengefasst und die Leser aufgefordert, mir die Zahl der gefundenen Fehler zu mailen. In meinem Postfach ging es zu wie bei einer Ebay-Versteigerung. Eine Leserin meldete 27 angebliche Fehler. Die Auflösung lautete jedoch null Fehler. Diesen Gag mit Aha-Effekt scheinen mir einige Leute bis heute übelzunehmen.

Haben Sie einmal ein Beispiel?

Schmachthagen: Wer dienstags Vormittags die „Deutschstunde“ liest, erfährt Manches über die Sprache. Die Anderen, die auf diese morgentliche Lektüre verzichten, können sich im Alltag wahrscheinlich fehlerfrei auf deutsch verständigen, obwohl Einige gerade Englisch sprechen, denn die vielen Anglizismen sind ein Wermuthstropfen im Antlitz unserer Muttersprache, der die Globalisierung auch im November diesen Jahres wiederspiegelt.

abendblatt.de 27.11.2018
Manches ist oder scheint nach der „Reform“ möglich. Schmachthagen gilt als Fan der rauhbautzigen 1996er-Reform-Orthographie. Aber seine Finger wollten wohl nicht mit der „Hand voll“ in die Tasten. Eben habe ich das Dezember-Heft von SPEKTRUM durchgesehen. Dort gibt es sie noch, die „raue“ „Hand voll Männer“, die aber trotz „viel versprechender“ Prinzipien nichts „zu Stande“ brachte und bald „den Kürzeren“ zog. Er müßte seine helle Freude daran haben.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.08.2018 um 13.46

Manche Leute sterben, andere werden abberufen

Peter Schmachthagen

Die Stilform des Euphemismus sorgt dafür, dass Unangenehmes in angenehme Worte verpackt wird...

[z.B. Rechtschreib„reform“]
Manche Tote sind nicht einfach gestorben, sondern verstorben. Das ist „gehobene“ Sprache. Beim Durchsehen der Todesanzeigen kann man den Eindruck gewinnen, dass je „gehobener“ die soziale Stellung des oder der Toten war, desto gehobener auch die Sprache in der Anzeige ist. Dazu besteht heutzutage aber kein Anlass mehr.
[ ... genau! Wie die höfliche Großschreibung des „Du“.]
Die Stilform, unangenehm wirkende Bezeichnungen zu verhüllen, zu mildern und zu beschönigen, nennt man einen Euphemismus. Der Begriff stammt vom griechischen eúphēmos ... Statt vom Gesäß oder gar vom Hintern wird verhüllend vom Allerwertesten gesprochen.
[... nicht aber im Sport: „French-Open-Ass“!]
Der Nachbar mag kurz vor seinem 100. Geburtstag stehen, wir werden ihn nicht als alten Mann, sondern als älteren Mann darstellen.
[... außer bei politischem Anlaß, z.B. auf einem Transparent gegen Sarrazin: „Alter Mann, halts Maul!“]
Doch Euphemismen können nicht nur verhüllen, sie können auch verdecken, und zwar die weniger angenehme Realität. Wenn Sie etwas von einem Rückbau lesen, dürfen Sie getrost annehmen, dass es sich schlicht um einen Abriss handelt
[... z.B. „Rückbau“ der doppelplussunguten Rechtschreib„reform“ – vollständiger Abriß wäre besser gewesen.]
abendblatt.de 14.8.2018


eingetragen von Sigmar Salzburg am 09.08.2018 um 05.50

... 40 km von Hamburg entfernt, und hatte bis zur Eingemeindung 250 Einwohner. Daneben ist der Name das Pseudonym eines alten Narren, der die „Reform mit Geiselnahme“ immer noch für erwünscht, gelungen und vielleicht sogar für demokratisch hält, obwohl die Bevölkerung zwanzig Jahre lang in Umfragen und Abstimmungen das Gegenteil bekundet hat:

Selbstverständlich hat die Rechtschreibreform entscheidende Vereinfachungen und Systematisierungen gebracht, selbstverständlich war die alte Rechtschreibung, die von 1955 bis 1996 dem sogenannten „Duden-Privileg“ unterlag, in Teilen chaotisch und reformreif.
Betrachten wir zunächst die „Reform“ in Schmachthagens Artikel selbst:
637 Wörter: 6 dass; sonst. Reform-ss: 1 muss, 1 beschloss; reformwidrig-traditionell: 0.
Die neuen „dass“ erleichtern nichts, sind aber psychologisch fehlerträchtiger. Sie machen bis zu 50 Prozent der „Reform“ aus, die nach der Ex-Bildungsministerin Wanka zu 95 Prozent aus der neuen ss-Regel besteht. Beim herkömmlichen ß-Gebrauch wurden kaum Fehler gemacht.
Beim Absuchen der runden Jahrestage waren einige Kollegen auf „20 Jahre Rechtschreibreform“ als Sommer-Thema gestoßen. Auf dieses Jubiläum hätten wir gut verzichten können. Erstens wurde die neue Rechtschreibung in den meisten Ländern am 1. August 1998 nur probeweise eingeführt. Wer in der Schule nach alter Norm schrieb, bekam keinen Fehler, sondern den Hinweis „veraltet“.
Genau das war die psychologische Kriegführung: Wer als begabter Schüler nicht den Reformerunfug „der belämmerte Tollpatsch konnte mir Leid tun“ mitmachte, wurde als Stümper bloßgestellt.
Die Medien folgten erst am 1. August 1999 (fürs nächste Jahr vormer-ken!), aber nicht in Schleswig-Holstein.
Doch! Nur der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag zögerte ein paar Wochen, angeblich „aus Achtung vor dem Volksentscheid“ (den Schmachthagen unterschlägt), in Wirklichkeit aber, um zu abzuwarten, ob die Konkurrenz, die „Kieler Nachrichten“, durch einen etwaigen Boykott in die Knie gezwungen wird. Dafür hetzten dessen Blätter solange gegen die Traditionsschreibung, bis die Parlamentarier in Kiel in einem einstimmigen Schurkenstreich den Volksentscheid annullierten.
Heike Schmoll schreibt in der „Frankfurter Allgemeinen“ unter der Überschrift „20 Jahre Rechtschreibanarchie: Ein Unglück der Sprachgeschichte“: „Von Anfang an war klar, dass der Versuch, die deutsche Rechtschreibung zu vereinfachen, schiefgehen würde. Denn sie ist viel besser als ihr Ruf. […] Von einer Rücknahme der sinnentstellenden Regeln etwa bei der Groß- und Kleinschreibung ist man weit entfernt.“ Leider verwehrt uns Heike Schmoll die Beispiele für ihre Behauptungen, die natürlich völlig danebenliegen...
abendblatt.de 7.8.2018
Nun, da können wir aushelfen, mit unseren Sammlungen GKS, GKS 2, GKS 3, GKS 4 und GZS 1, GZS 2, GZS 3, oder mit geeigneter Auswahl von besonders gelungenen Schmuckstücken der „Reform“, satirisch verdeutlichten Anwendungen oder sogar im Gedicht.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 24.07.2018 um 16.40

Es ist Dienstag – Schmachthagen-Tag. Prof. Ickler findet das Wesentliche, wie immer, natürlich viel schneller und sicherer als ich und kommentiert es auch treffender:

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.07.2018 um 11.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=208#2003

Es gibt eine neue Redewendung, die mir zwar nicht um die Ohren, aber vielfach mit Empörung und Nachdruck ins Postfach fliegt: „In der Schule habe ich früher gelernt, dass …“ Meistens wird die Konjunktion auch noch mit Eszett als „daß“ geschrieben, was gewisse Rückschlüsse auf das Alter und die Aktualität der orthografischen Kenntnisse bei den Einsendern zulässt, aber die heutige Gültigkeit der dargebotenen Regeln und Eselsbrücken nicht erhöht. (Schmachthagen 24.7.18)

Keine Sorge, Herr Schmachthagen, diese Volksschädlinge werden der biologischen Lösung zugeführt, dann können Sie ungestört die Aktualität Ihrer orthographischen Kenntnisse genießen!

(Wenn er die Rechtschreibreform noch hinnähme wie ein vielleicht notwendiges Übel! Aber Schmachthagen hat sich von Anfang an mit der Reform – d. h. mit dem jeweils neuesten Duden – identifiziert, als wäre sie sein eigenes Kind, und aus dieser Position heraus die Reformkritiker mit gehässigen Kommentaren bedacht. Diesen Typus verkörpert er nun mal.)
Schmachthagens Rückschlüsse auf die Rechtschreiber bestätigen wieder einmal:
Rechtschreibfehler sind ganz gefährlich!


eingetragen von Sigmar Salzburg am 23.06.2018 um 09.44

Peter Schmachthagen (ein Pseudonym), von keinen Zweifeln an der „Reform“ von 1996 geplagt und bissiger Gegner der Reformreform von 2006, macht nebenbei auch Werbung für Duden-Erzeugnisse:

Die gesamte Zeichensetzung (Interpunktion) lässt sich auf 110 Zeilen nicht darstellen. Ich empfehle für Wissbegierige das Duden-Taschenbuch „Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen“, in dem Sie für 15 Euro auf 256 Seiten 300 Regeln und Ausnahmen von diesen Regeln dargeboten bekommen.
Theodor Ickler hat sie in seinem Rechtschreibwörterbuch (Leibniz) auf 12 Seiten dargestellt – mit ausführlichen Beispielen! Schmachthagen besteht als fast wichtigstem auf der unsinnigen neuen Kommapedanterie:
Ein nachfolgender Begleitsatz zur wörtlichen Rede wird seit der Rechtschreibreform immer mit einem Komma abgetrennt, auch (und das ist neu) wenn die wörtliche Rede mit einem Frage- oder Ausrufezeichen endet: „Wie geht es dir?“, fragte er. „Das ist zu viel!“ , schimpfte der Vater.
Guter deutscher Sprachstil ist es, bei Aufzählungen „und“ oder „oder“ nur einmal vor dem letzten Glied zu gebrauchen (anders als z.B. im Arabischen, wo man „wa“ (und) jedesmal wiederholen muß). Wenn die (auch hörbare) Zäsur auf andere Weise sichergestellt ist, braucht man selbstverständlich kein Komma: „Was sah er? Ratten! Mäuse! Gewürm!“

Bedeutsamer ist Schmachthagens Unterscheidung von „da“ und „weil“:
„Eingemachte“ kommen wir beim semantischen (wortbedeutenden) Unterschied der beiden Konjunktionen da und weil in vorangestellten Kausalsätzen (Begründungssätzen). Demnach sollten wir „da“ gebrauchen, wenn wir etwas allgemein Bekanntes als Grund nennen: Da heute Sonntag ist, sind die Geschäfte geschlossen. Dass Sonntag ist, dürfte bekannt oder aus dem Kalender zu entnehmen sein.

Also ist es nichts Außergewöhnliches, falls die Geschäfte nicht geöffnet haben. Die Konjunktion „weil“ bietet hingegen etwas Neues, Ausgefallenes: Weil es draußen in Strömen regnet, konnte ich noch nicht mit dem Hund spazieren gehen. Der Regen ist also die Begründung, dass der Hund inzwischen an der Kommode das Bein gehoben hat, nicht meine Unlust zum Spazierengehen.
abendblatt.de 19.6.2018
Als Verb soll dann nach der „erleichternden“ Urreform wieder „spazieren gehen“ geschrieben werden – ob auch nach letztem Duden, weiß ich nicht, interessiert mich auch nicht.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.02.2018 um 07.45

Es ist noch kein Meister aus dem Duden gefallen
Peter Schmachthagen

Der Verfasser ist „Wortschatz“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprachkolumne erscheint dienstags

Neben der alltäglichen Norm der Rechtschreibung gibt es Feinheiten, an denen selbst Experten scheitern.
Um es klar zu sagen: Es dürfte nur wenige Experten unter uns geben, mich eingeschlossen, die ein schwieriges Diktat ganz ohne Fehler zu Papier bringen können...

Doch das Beherrschen eines durchschnittlichen Kanons der Rechtschreibung, und zwar in einer Norm, die von den Kultusministern, in der Schule, im Berufsleben oder vom Empfänger unseres Briefes vorausgesetzt wird, gehört zu den Grundkenntnissen der Allgemeinbildung.
Diese Behauptung erinnert an die Betrugsformulierung der Kieler Regierung zum Volksentscheid 1998. Damals versuchte man, die Wähler durch Imitation des Textes der Bürgerinitiative zu übertölpeln:In den Schulen wird die allgemein übliche Rechtschreibung unterrichtet. Als allgemein üblich gilt die Rechtschreibung, ...Der originale Text der Initiative lautete weiter: ... wie sie in der Bevölkerung seit langem anerkannt ist...Der auf dem Stimmzettel an zweiter Stelle folgende Text der Betrügerregierung begann gleich, setzte aber fort: ... wie sie in den übrigen Bundesländern der Bundesrepublik für die Schulen verbindlich ist.Von „allgemein üblich“ konnte damals nicht im mindesten die Rede sein. – Aber weiter Schmachthagen:
Eine der wichtigsten Regeln der Rechtschreibreform lautet "Verb und Verb immer getrennt" (obwohl uns die überflüssige Reform der Reform im Jahr 2006 einige Ausnahmen ins Nest gelegt hat). Wenn wir das Verb schwimmen und das Verb gehen zu schwimmen gehen zusammenbringen, wissen wir also, dass wir auch tanzen gehen, spazieren gehen, einkaufen gehen, schlafen gehen oder essen gehen getrennt schreiben müssen. Wollten wir jedes Mal [Anm. S.S.: das übliche „jedesmal“ wurde verboten!] neu im Wörterbuch blättern, würde unser Brief nie fertig werden.
...
abendblatt.de 23.1.2018
Hierzu schrieb Th. Ickler bei sprachforschung.org treffend und kurz:
Schmachthagen sieht nicht, daß spazieren gehen aus der Reihe fällt: man geht nicht, um dann zu spazieren.

„Verb und Verb immer getrennt“ - solche Regeln gefallen ihm, weil sie einfach sind. Ob sie der Sprache angemessen sind und dem Leser dienen, interessiert ihn nicht. Bloß keine Fehler machen!
Er bekennt immer wieder, daß er die Rechtschreibreform von 1996 gut und richtig fand.
Was er über gewinnbringend usw. schreibt, ist ziemlich konfus.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 15.09.2017 um 12.48

Deutschstunde extra 13.09.17
Ausgezeichnet: Der Sprach-Ästhet des Abendblattes

Peter Schmachthagen dekliniert in seiner "Deutschstunde" die Tücken der Sprache durch. Das brachte ihm jetzt einen Orden ein.

Wer brauchen ohne zu gebraucht oder wegen mit dem Dativ kombiniert, hat bei ihm ganz schlechte Karten: Peter M. Schmachthagen ist ein Ästhet der Sprache. Grammatik, Interpunktion und eine filigrane Satzbildung sind seine Leidenschaft – und Herzenssache. Die Verleihung des renommierten "Elbschwanenordens" durch den Verein Deutsche Sprache gestern Abend im Gästehaus der Universität Hamburg konnte keinen Würdigeren treffen...

abendblatt.de 13.9.2017


Deutschstunde 12.09.2017
Als Kapuzenpullover klingt er viel zu deutsch
Von Peter Schmachthagen

Der Verfasser ist „Wortschatz“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprachkolumne erscheint dienstags

Aber als Hoodie ist er der großen Renner. Allerdings wird unsere Sprache nicht nur durch Anglizismen gefährdet.

Wissen Sie, was ein Hoodie ist? Wie bitte, Sie kennen den oder das Hoodie nicht? Immerhin hat es das Wort in den neuen Duden geschafft. Ich muss bekennen, dass auch ich den Begriff zum ersten Mal in der Pressemitteilung zum Erscheinen der 27. Auflage des Rechtschreibdudens las. Man möge mir das nachsehen. Offenbar habe ich mit 76 Jahren ein wenig den Anschluss an die aktuelle Kleiderordnung verloren.

Als ich meine Tochter fragte, wer oder was das sei, schüttelte sie verständnislos mit dem Kopf und holte gleich drei Exemplare davon aus dem Schrank. Offenbar handelt es sich um einen Kapuzenpullover, den deutsch Kapuzenpullover zu nennen den Verkauf ("Sale") und die Verbreitung ("Marketing") bei der Jugend stark beeinträchtigen würde. Anglizismen versprechen eben ein besseres Geschäft, sind "cool", sodass wir die Hoodies massenhaft als Dienstkleidung auf den Schulhöfen, in der Nordkurve des Volksparkstadions und auch als Teilvermummung bei angemeldeten und unangemeldeten Ansammlungen sehen. Der Duden bietet noch "Sweatshirt" (weit geschnittener Pullover) als weitere Erklärung an. Aber es ergibt wohl wenig Sinn, den einen Anglizismus durch einen anderen Anglizismus zu ersetzen.

Jumpsuit (einteiliger Hosenanzug), Undercut (Frisur, bei der der untere Kopfbereich rasiert ist) oder Urban Gardening (Gartenbau innerhalb von Städten) sind weitere Anglizismen, die jetzt Duden-geadelt wurden, die man, wie die Übersetzungen in Klammern zeigen, jedoch auch gut auf Deutsch hätte ausdrücken können. Es gibt Leute, Vereine und Sprachgesellschaften, bei denen schrillen bei jedem weiteren englischen Wort, das in Deutschland landet, die Alarmglocken. Doch das meiste, was den Sprung über den Ärmelkanal geschafft hat, wird ohne große Schwierigkeiten integriert. Ich überlege, wie ich T-Shirt auf Deutsch ausdrücken sollte.

[...] Bei aller Sorge über das Englische oder Denglische im Wortschatz dürfen wir nicht übersehen, dass das Deutsche viel mehr im Inneren durch das Deutsche selbst gefährdet ist, durch Ideologen, Pädagogen, Sprachpolizisten, Feministinnen und Drückerkolonnen der angeblich politisch korrekten Formulierungen, die einen meist kabarettreifen, aber überaus störenden Einfluss ausüben. Zum Beispiel geht es um die sogenannte geschlechtergerechte Sprache, die den Unterschied zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht ignoriert und dabei mit der Zahl der Geschlechter, wie wir sie aus der Arche Noah und Brehms Tierleben kennen, nicht zufrieden ist.

Das generische Maskulinum, das Indefinitpronomen man, der Binnenversal ("Fußgän-gerInnen"), Paarformeln ("Einwohner und Einwohnerinnen"), Sternchen ("Schüler*innen"), x-Geschlecht ("Professor-x") und Partizipialausdrücke ("Geflüchtete, zu Fuß Gehende") werden präsentiert und nicht selten mit Hass verteidigt. Allerdings spricht sich eine Mehrheit der Erwachsenen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov klar gegen eine gendergerechte Sprache aus...

abendblatt.de 12.9.2017


eingetragen von Sigmar Salzburg am 14.06.2017 um 05.38

Fast hätte ich ihn vergessen, den „Reform“-Fan der ersten Stunde. Er meint:

„Nur derjenige, der in seinen Kenntnissen den Duden überholt hat, darf sich abfällig über den Duden und andere Wörterbücher äußern. Wer nach der zehnten Klavierstunde gerade den "Fröhlichen Landmann" klimpern kann, blamiert sich, wenn er nun gleich die Hammerschlag-Sonate verbessern will.“
Im Haus meiner Großtante in Blankenese habe ich 1948 ein Hammerklavier gesehen, auf dem meine Mutter in ihrer Kindheit noch gespielt hatte und das einen recht dünnen Klang gehabt haben soll. Meint er vielleicht so etwas? – Schmachthagen will es nun dem Frankfurter Duden-Spelling-Bee-Fake gleichtun und präsentiert einen Text mit 25 Fehlern, den der Leser verbessern soll.
25 Rechtschreibfehler hätten Sie finden müssen. Berichtigung: … ist gut leben; Moin und Tschüs sagen; die Straßen; Syrien und Libyen; Liechtenstein; die neu erbaute Elbphilharmonie; bis zum Gehtnichtmehr; zum x-ten Mal; der Fluss; schlaksig; sein fahriges Gebaren; Kaffee¬becher; übersät; eine äußerst gänsehauterregende Atmosphäre; piekfein; Beletage(n); rhythmisch; Grieß; Schlämmkreide; Halskatarrh; Hämorrhoiden; die Maghreb -Staaten (Tunesien, Algerien, Marokko).
abendblatt.de 6.6.2017
Der „Fluß“, der 600 Jahre lang so geschrieben wurde und wird, soll „falsch“ sein, nur weil 1996 und 2006 eine Gruppe von 2x32 banausischen, dafür nicht gewählten Arschlöcher*innen dazu die meineidlichen Hände gehoben hat? Das kann nur des Teufels Großmutter behaupten.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.05.2017 um 17.51

Wenn morgens das Geschlecht ausgewürfelt wird
Von Peter Schmachthagen
[...]
abendblatt.de 16.5.2017

Schmachthagen schreibt über das Genus von „Nutella“, und merkt an, daß vom Duden auch „der Nutella“ zugelassen wird. In meinem „Reform“-Duden steht es noch nicht und ich bin auch nicht darauf angewiesen. Die Frage taucht eher beim Modewort „Hype“ auf, das ich nicht in meinen Wortschatz aufnehmen und nur im Spott als „die Hüpe“ gebrauchen werde.

Schmachthagen hätte nun darauf verweisen können, daß die drei indogermanischen Geschlechter ursprünglich gar kein biologisches Geschlecht bedeuteten. Aber er hält sich lieber beim Kinderkleister auf. –

„Schiefgehen“ haben wir abgehakt und schreiben es nach Laune und Anfangsbetonung eher zusammen; wenn wir das Gehen adjektivisch beschreiben, eher auseinander. Die längst wieder eingemottete Trennprobe der „Reform“ brauchen wir nicht. –

Unvermittelt springt Schmachthagen zur reformierten Trennung nach Sprechsilben he-rüber, die eigentlich infantil ist, weil die falsche Trennung auch ein falsches Bild verfestigt, wie in meiner Gegend bei „Der-sau“ im Kreis Plön, oder bei der „Leven-sau“ nahe Kiel.

Letzteres hatte ein Gastwirt wörtlich genommen und verwendete als Wirtshausschild das Bild eines lachenden Schweins, dem die Gabeln schon im Rücken stecken und das sich wahnsinnig freut, daß es demnächst verpeist wird. Ob es dort noch hängt? Ich bin da schon lange nicht mehr vorbeigekommen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.04.2017 um 08.47

Für Alte und Behinderte gibt es „Betreutes Wohnen“, für geistig Behinderte „Leichte Sprache“. Gut. Für schreiblich Behinderte gibt es aber nur die „Zwangsbetreuung für alle“ – die Rechtschreib„reform“. Politisch Unzuverlässige werden durch „betreutes Wählen“ (Wahl-O-Mat, von SPD-Stegner empfohlen!) auf den rechten Weg geführt – und die dummen Schleswig-Holsteiner mit „Leichterem Lesen“ auf den linken:

Der Binde-Strich-Un-Sinn in Schleswig-Holstein

Von Lars Haider

Was, bitte, denkt sich das nördlichste Bundesland mit dieser Wahlbenachrichtigung?

In diesem Leit-Artikel des Hamburger Abend-Blatts geht es um die Land-Tags-Wahl im schönen Schleswig-Holstein und die Frage-Stellung, ob die Landes-Regierung ihre Bürger wirklich für so beschränkt hält, wie es die Wahl-Benachrichtigung suggeriert. So, und jetzt schreibe ich wieder, wie es an sich üblich und richtig ist ...

Die "Wahl-Benachrichtigung" soll, das ist wohl das Ziel, so einfach wie möglich gehalten sein; sie ist aber, mit Verlaub, so dämlich wie möglich geworden. Das beginnt mit den wenig motivierenden ersten Sätzen, die lauten:
"In Schleswig-Holstein wird der Land-Tag gewählt. Sie sind in das Wähler-Verzeichnis eingetragen. Sie können am Wahl-Tag zur Wahl gehen."
Es geht weiter mit der Formulierung
"Hier bekommen Sie Infos über weitere Sprachen",
wobei wir alle hoffen wollen, dass man keine Infos über, sondern in weiteren Sprachen erhält.

Sonst erfährt man vielleicht nie, dass man "mit dem Wahl-Schein am Wahl-Tag auch in jedem anderen Wahl-Raum von Ihrem Wahl-Kreis wählen" kann. Wäre doch irgendwie schade. Das Beste kommt natürlich auch bei der "Wahl-Benachrichtigung"¹ zum Schluss: Die freundlichen Grüße von der, Achtung, "Gemeinde-Wahl-Behörde".

Nun mag ein Land wie Schleswig-Holstein, in dem die zwei Namensteile von einem Bindestrich zusammengehalten werden, ein besonderes, ein inniges Verhältnis zu eben jenem haben. Also zum Binde-Strich. Aber muss man es deswegen gleich derart übertreiben? Und muss man den Wählern wirklich in dieser Art und Weise vorführen, was man Ihnen zutraut?...

Die "Wahl-Benachrichtigung" mag gut gemeint sein. Aber, um es mit FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki zu sagen: "Wollen reicht nicht. Man muss es auch können."

abendblatt.de 4.4.2017

¹) Bindestrich fehlt, Druckfehler?


eingetragen von Sigmar Salzburg am 21.02.2017 um 18.34

Peter Schmachthagens ortograviehischer Fortsetzungsroman spielt diesmal im tiefsten Berlin-Kreuzberg. Aber warum schreibt er Fachbegriffe nebeneinander mal traditionell und mal banausisch? Das tut doch die Mehmets nur verwirren:

Unsere Rechtschreibung ist ein Kompromiss aus historischer (es war schon immer so), etymologischer (bereits im Althochdeutschen schrieb man's so) und phonetischer (so hört es sich nun einmal an) Überlieferung... Nicht geändert haben sich mit der Reform Schriftbilder von gleichlautenden Wörtern, deren Abweichung man nicht hören, sondern nur auf dem Papier oder Display sehen kann (Homofone).
Abendblatt, diesmal zitiert nach morgenpost.de 21.2.2017


eingetragen von Sigmar Salzburg am 24.11.2016 um 08.11

... schreibt in seiner „Deutschstunde“:

Unsere Rechtschreibung ist ein Kompromiss aus historischer (es war schon immer so), etymologischer (bereits im Althochdeutschen schrieb man's so) und phonetischer (so hört es sich nun einmal an) Überlieferung. Jede Schreibweise ist in diesem Rahmen zu erklären, und die Rechtschreibreformer haben sich bemüht, allzu atavistische Schriftbilder der Zeit anzupassen. Sobald wir schnäuzen (früher "schneuzen"), können wir eine zwar grobe, aber logische Analogie zur Schnauze knüpfen. Der Stängel ("Stengel") erinnert an die Stange, überschwänglich ("überschwenglich") an den Überschwang, nummerieren ("numerieren") an die Nummer und Gräuel ("Greuel") an das Grauen. Selbst wenn der Rauhaardackel nun sein zweites h verloren hat – warum sollte rau ("rauh") anders geschrieben werden als grau oder blau?
abendblatt.de 22.11.2016
Schon 1996 stand im Spiegel 42/1996 in einem Leserbrief von Werner Frangen:
Mit der Vereinbarung, „rauh" ohne „h" zu schreiben, haben sich die Reformer als wirklichkeitsfremde Fachidioten und Schreibtischtäter entlarvt, die dem gemeinen Mann mitnichten aufs Maul schauen, wie es ein Luther tat; denn das „h" wird hörbar gesprochen!
Normalgebildete Deutsche sprechen oder denken das „h“ immer mit. Wir haben hier umfangreiche Argumente gegen das Amputationsgebot der Rechtschreib-Taliban zusammengetragen. Ein „amtliches“ h-Verbot ist ein Kulturverbrechen wie die Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan, der Antiken von Ninive oder der Säulen von Palmyra.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 13.10.2016 um 07.23

Peter Schmachthagen schreibt in seiner „Deutschstunde“

Vielleicht hätte Gutenberg es einführen können
Jetzt ist es jedoch zu spät für ein großes Eszett, obwohl es Schwierigkeiten mit Eigennamen in Großbuchstaben gibt ...
Allerdings bestand kaum Bedarf dafür, denn man konnte es immer durch SS oder SZ ersetzen,
Um das Fazit dieser Kolumne vorwegzunehmen, sei klar und deutlich gesagt: Ein großes Eszett ist weder im deutschen Alphabet noch in der deutschen Rechtschreibung vorhanden, und da das Eszett (ß) eine deutsche Errungenschaft ist, werden wir es auch in keinem fremden Alphabet finden.
Grund genug wieder mal für schwache Geister, den deutschen „Sonderweg“ peinlich zu finden.
Alle deutschen Buchstaben bilden jeweils ein Pärchen aus klein und groß, nur das Eszett, das Zeichen für das scharfe S, bleibt immer klein. Man könnte meinen, es sei bescheiden und halte sich lieber im Hintergrund. Doch die Erklärung ist viel pragmatischer: Ein Eszett steht nie am Wortanfang und kann also auch nie großgeschrieben werden.

Eigentlich handelt es sich beim Eszett gar nicht um einen Buchstaben, sondern um zwei, nämlich – wie der Name schon sagt – um ein s und um ein z. Allerdings sahen die Buchstaben früher in der deutschen Druckschrift nicht so aus wie heute, sondern das s war ein Lang-s mit Ober- und Unterlänge und das z ein deutsches z mit Schleife und Unterlänge. Seit dem 14. Jahrhundert wurden die beiden Buchstaben ineinander verschlungen, das heißt, zusammen auf einer Drucktype gegossen.
Genau gesagt, seit der Erfindung der beweglichen Lettern durch Gutenberg um 1450.
Wenn sich zwei Buchstaben auf einer Letter umarmen, spricht man in der Typografie von einer Ligatur. Die deutschen Frakturschriftarten ("gebrochene" Schriften, von lat. fractura "Bruch") kannten noch mehr Ligaturen, etwa tz, ch und st. Da man eine Ligatur am Zeilenende nicht trennen konnte, es sei denn, man sägte die Letter durch, was recht mühsam gewesen wäre, entstand die damalige Regel: "Trenne nie st, denn es tut ihm weh." Das gilt seit der Rechtschreibreform nicht mehr, ...
Man konnte immer st auflösen, hat es auch mitunter gemacht, aber anders als unsere „dümms-ten Reformer“ uns weismachen wollen, bleibt st mei-stens besser zusammen, z.B. auch in Di-stanz (v. „stare“ stehen, nicht Dis-tanz)
... wie auch die Fraktur als Druck- und Schreibschrift am 2. Januar 1941 per Führerbefehl verboten wurde. Bis dahin benutzten übrigens nicht nur Nationalsozialisten die "deutschen" Frakturschriften, sondern alle Parteien, Publikationen und Verlage, auch die linken.
Gut, daß das mal gesagt wird. Egon Bahr, ich finde die Stelle nicht mehr, hatte mal über die angebliche Nazi-Fraktur geklagt.
Falls ein Wort durchgehend in Versalien (nur in Großbuchstaben) geschrieben wird, geraten wir bei einem Binnen-ß in Schwierigkeiten, weil es das Eszett nicht als Großbuchstaben gibt. Das amtliche Regelwerk (§ 25 E3) und der Duden (K 160) sehen für diesen Fall vor, das ß in SS aufzulösen. Die Unterscheidung MASZE (Maße) und MASSE (Masse) gibt es seit der Rechtschreibreform nicht mehr.
Ja, warum eigentlich nicht? „Vereinfachung“? Angleichung an die Schweiz? Mir war das in technischen Zeichnungen geläufig. Der Fluch der bösen Tat war die „Reform“ mit ihrer zwingenden Längendefinition des vorhergehenden Vokals durch das ß. Schmachthagen lenkt aber lieber ab auf die Namensgroßschreibung in amtlichen Dokumenten:
Da bei dieser Konvertierung jedoch die Schreibweise einiger Eigennamen nicht deutlich wird, wenn wir bei ROLF GROSSE also nicht wissen, ob wir es mit Herrn Grosse oder Herrn Große zu tun haben, ist in diesem Fall ein ß zwischen den Versalien erlaubt. Es heißt also HEUSSSTRASSE, aber LITFAßSÄULE. Wenn Sie bei Stefan Kießling von Bayer Leverkusen etwa KIEßLING hinten auf dem Trikot lesen, ist das korrekt und kein Grund für einen Beschwerdebrief.... Ein großes Eszett ist ... weder Mitglied des Alphabets noch Gegenstand der Rechtschreibung. Vielleicht hätte Gutenberg es einführen können. Jetzt ist es zu spät dafür.
11.10.2016
Gutenberg hat in seinen frühen Drucken das ß aus zwei Lettern, aus lang s und schmalem Schluß-z, zusammengesetzt. Für ein großes ß hatte er einfach keinen Bedarf – wie wir auch keinen Bedarf an der Rechtschreib„reform“ hatten.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 17.05.2016 um 14.15

Wie Majestix auf dem Schild in den Kampf zog

Peter Schmachthagen spottet darüber, daß die SPD oder ihre Zeitungen nicht den Unterschied zwischen „dem Schild n.“ und „dem Schild m.“ wüßten. Wäre die Gleichstellung Teil der Rechtschreib„reform“, dann wäre ihm sicher eine rechtschreibfriedenstiftende Erklärung einfallen.
Am Wochenende ging eine Meldung durch das Land, und einige Medien übernahmen sie wortwörtlich: Die SPD wolle ihren Kanzlerkandidaten erst nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2017 "auf das Schild heben"... Wenn die SPD unbedingt irgendwen irgendwo hinaufheben will, dann bitte auf den Schild und nicht auf das Schild! Merke: Das Schild kommt vom Maler, der Schild aber vom Ritter...
Sprachliche Mißverständnisse werden gerne richtiggestellt, sofern sie nicht von der „Reform“ für „richtig“ erklärt wurden:
Wie häufig habe ich früher das von Johannes Brahms vertonte Schlaflied gehört: "Guten Abend, gut' Nacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt, schlupf unter die Deck."... Der Text geht bis ins 15. Jahrhundert zurück und lautete damals: Got geb euch eine gute nacht, von rosen ein dach, von liligen ein pet, von feyal ein deck, von muschschat ein tuer, von negellein ein rigelien dar für (von Rosen ein Dach, von Lilien ein Bett, von Veilchen eine Decke, von Muskat eine Tür, von Nägelein ein Riegel davor).

"Bedacht" bedeutet also nicht "beschenkt", sondern "mit einem Dach", mit einer Art Betthimmel, versehen. Muskat ist ein Gewürz, und Näglein sind keine spitzen Eisenstifte, sondern Gewürznelken. Die Gewürze im Kinderbett sollten Ungeziefer wie Flöhe von dem Säugling fernhalten. Die Gewürznelke, die wir vom Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt her kennen, hat die Form eines Nagels. Eine Verkleinerungsbildung zu Nagel ist der Blumenname Nelke. Insofern dürfen wir aufatmen: Die Kleinen im Kinderbett werden nicht mit Metallstiften gequält.

Da wir gerade bei Blumennamen sind. Die Tulpe, die bei mir immer Assoziationen an Holland und Holzschuh hervorruft, ist die "Turbanblume" aus dem Vorderen Orient.
abendblatt.de 10.5.2016
In früheren Verlautbarungen fand es unser Deutschmeister dagegen richtig, Falsches für richtig zu erklären, z.B. hier: „Seit 1998 schreiben wir den Tollpatsch mit Doppel-l. Ich will in dieser Kolumne möglichst den Rechtschreibfrieden wahren...“ – obwohl man sich jahrhundertelang bemüht hatte, die Wörter richtig zu verstehen, z.B. in
Eucharius Ferdiand Christian Oertel
Gemeinnuezziges Woerterbuch:
zur Erklärung und Verteutschung ...
Consbach, 1816:


Tolpatschen, grobe Wintersokken, haarige Uiberschuhe, s. oben Talpatsch.

Talpatsch, m. insgemein Tolpatsch, v. ungar. Talp, Fußsohle; 1) eig. Breitfuß, der breite Fußsohlen hat, als Spizname, welchen sonst die ungar. Husaren dem Fußvolke gaben; 2) plumper, tölpischer Mensch!
Gemäß der Augstschen Infantildiktatur soll ja nun „Tollpatsch“ geschrieben werden. Das legt nahe, auch töllpelig, Töllpel zu schreiben. Damit sind wir auch bald bei „Tullpe“:
Tulpe, f. lat. Tulipa: bekanntes Zwiebelgewächs mit schöner großer kelchförmiger Blume, vom türkischen Tulban, wegen ihrer Aehnlichkeit mit einem Turban, also gls. Turbanblume; dah. Tulipomanie, Tulpensucht, ehem. Sucht reicher Holländer, die eine einzige schöne Tulpenzwiebel um mehrere tausend Gulden kauften.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.05.2016 um 14.18

Sie wartete vergeblich an der Litfaßsäule

Von Peter Schmachthagen

Der Verfasser, 74, ist „Wortschatz“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprachkolumne erscheint dienstags ...

Es ist nicht anzunehmen, dass ein Zahnarzt, und sei der Blick auf seine Kontoauszüge auch noch so alarmierend, seine Praxis 24 Stunden am Tag offen halten wird. Deshalb müssen wir dem Tag die Tageszeit hinzufügen. Wenn es nicht so genau auf die Minute ankommt, wird die Helferin am Telefon vielleicht sagen: "Kommen Sie Freitag Morgen." Oder Freitag "morgen"? Nein, seit der Rechtschreibreform werden die früher als Adverbien angesehenen Bezeichnungen für die Tageszeiten in Verbindung mit einem Wochentag jetzt den Substantiven zugeordnet und großgeschrieben: Wir feiern Dienstag Abend. Das Flugzeug landet Mittwoch Mittag.

Das heißt natürlich nicht, dass die Temporaladverbien abgeschafft worden sind. Wenn sie auf keine Tageszeit, sondern auf einen Tag hinweisen, leben sie fort, etwa als gestern, heute, morgen, vorgestern, übermorgen usw. Tritt eine Tageszeit hinzu, ergibt sich eine Klein-Groß-Leiter: heute Mittag, gestern Abend, morgen Nachmittag, vorgestern Nacht. Das sieht für ältere Leser etwas ungewohnt aus, sollte aber als Beweis eines gewissen Rechtschreibniveaus beachtet werden...
abendblatt.de 3.5.2016

Schon der „niveaulose“ Konrad Duden empfahl in seinem Orthographischen Wörterbuch 1880: heute abend, gestern abend, morgen früh, morgen abend, gestern nachmittag, heute nacht. Noch achtzig Jahre nach seinem Tod 1911 galt das in dem nach ihm benannten Nachschlagewerk als allein richtig. Diese Zeitangaben, nach der bewährten Regel „im Zweifel klein“, sind aufzufassen als getrennt geschriebene Zeitadverbien, bei denen die Wortart des zweiten Teils verblaßt ist. Eine naheliegende Zusammenschreibung wäre aus Betonungsgründen irritierend. Der „reformierte“ Eiertanz um „heute Morgen“ – aber „heute früh oder Früh“ beweist, daß die alten Regeln die besseren sind. Der Ruf an ältere Leute, ein „gewisses Rechtschreibniveau“ zu wahren, ist daher reichlich ungehörig.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 30.03.2016 um 05.56

Peter Schmachthagen stellt in seiner „Deutschstunde“ (Abendblatt 29.3.16) fest, daß es für „Fremdwort“ kein Fremdwort und für „Synonym“ kein deutsches Wort gäbe. Nun, wäre das Bedürfnis vorhanden gewesen, dann hätte man „Xenonym“ und „Gleichwort“ erfinden und sich daran gewöhnen können. Manches läßt sich eben nur mit Attributen übersetzen – „Deutschwort“ für „deutsches Wort“ ist ja auch unüblich. Schmachthagen schreibt weiter:

Lange vor der Rechtschreibreform sind die griechischen Wortbestandteile "graph-", "phon-" und "phot-" eingedeutscht worden. Wir buchstabieren nicht mehr "Photograph" oder "Orthographie" (wobei das aus dem Griechischen transkribierte "th" stets Bestandsschutz hat), sondern Fotograf und Orthografie.
Das trifft auf die „Orthographie“ gerade nicht zu. Sie wurde erst durch die „Reform“ in ihre häßliche Zwittergestalt „Orthografie“ gepreßt. Dabei gingen die „Reformer“ wie die Einbrecher vor, um an einer Schwachstelle, die aus Bequemlichkeit mit „Fotograf“ entstanden war, das Brecheisen anzusetzen. „Foton“ wird sich aber international und wissenschaftlich nie durchsetzen. Das Ergebnis ist nur, daß mehr Einbruchspuren in deutschen reformistischen Texten zu finden sind. Am Ende seiner Abhandlung erwähnt Schmachthagen:
Mehrteilige Fügungen werden zwingend durchgekoppelt und vorn großgeschrieben, falls das Bezugswort ein deutsches Wort ist: der A-cappella-Chor, die De-facto-Anerkennung, die Corned-Beef-Büchse.
Dabei unterschlägt er die zwingende Frage, warum Capella klein und Beef großgeschrieben werden sollen. Nach der „Reform“ muß Klein-Kevin jetzt auch Griechisch und Latein beherrschen, um die Groß- oder Kleinschreibung nach Wortart anwenden zu können, während in der bisher bewährten Weise nur das erste Wort großgeschrieben wurde.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 17.09.2015 um 05.43

... hat es sich diesmal einfach gemacht und dem Duden-Kalender „Auf gut Deutsch“ einen Text entnommen:

"Christine ist noch ganz seelig. Sie hat an Ostern [hamb.: zu Ostern] zum ersten Mal die Familie ihres Freundes kennengelernt und war von deren Religiösität sehr beeindruckt. Seperat zum feierlichen Ostermal gab die Tochter des Hauses ein brilliantes Konzert auf der Geige. Etwas skuril fand Christine zwar, dass jedes Familienmitglied ein Stück neuen Rasen aussähen musste, aber auch dazu trug sie bereitwillig ihr Schärflein bei."
abendblatt.de 15.9.2015

Schmachthagen erläutert, warum die (hier nachträglich verfetteten) Wörter falsch geschrieben und auch von der „Reform“ nicht betroffen sind. Nach dem „Tol[l]patsch-Prinzip“ hätten Augst & Co. aber durchaus „selig“ zu „seelig“ machen können oder nach der „Stängel-Etymologie“ zu „sälig“. Auch eine Änderung von „brillant“ und „Scherflein“ hätte man so begründen können. Die Willkür der Auswahl der schließlich „reformierten“ Wörter beweist, daß man nach Hundeart das Revier markieren, aber die Bürger vorerst nicht durch zu viele Änderungen verprellen wollte. Sonst hätten auf jeden Fall auch die „Ältern“ dazugehören müssen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.05.2015 um 15.30

Der Schreibreform-Elogenbruder Peter Schmachthagen ist in seiner Reform-Belaberungsserie „Deutschstunde“ nun bei der Heyse-ss-Regel angelangt, dem „Herzstück der Rechtschreibreform“:

Schreibt man Kartoffelmus mit Schnörkel-s?
Peter Schmachthagen

Der Verfasser, 73, ist „Hamburgisch“-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags

Mit der Rechtschreibreform wurde das Eszett keineswegs abgeschafft, und auch in "Straße" sollte man es tunlichst weiterhin benutzen.

Nachdem wir dem Gruß und den Grüßen durch einen vorsichtigen Hinweis wieder das Eszett verschafft haben, das unter den meisten Mails im deutschsprachigen Raum durch "Gruss" und "Grüsse" abgelöst zu werden drohte, hält sich das Doppel-s dafür hartnäckig im Wort "Strasse". ...

Die Grimms, die keine Großschreibung benutzten*, schrieben "s" und "z" noch als Einzelbuchstaben: "grusz" und "strasze". Doch spätestens 1880, als der Direktor des Königl. Gymnasiums zu Hersfeld, Dr. Konrad Duden, sein "Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache" herausgab, waren "s" und "z" zur Ligatur "ß" (Buchstabenverbindung auf einer Drucktype) verschmolzen...

Leute mit Lücken in Deutsch pflegen gern die Rechtschreibreformer, die Kultusminister oder allgemein "die Politiker" für die eigenen Defizite verantwortlich zu machen – da muss man sich nur das anonyme Gestammel der "Community" unter den Online-Artikeln ansehen –, aber sie irren sich in der Annahme, das Eszett wäre durch die Reform abgeschafft worden. Im Gegenteil, die Reformer haben mit der ss/ß-Regel klar und einfach festgelegt, wann "ss" und wann "ß" geschrieben werden muss. Nach einem kurz gesprochenen Vokal (Selbstlaut) steht "ss": Kuss, Riss, Ass*, musste, bisschen, Schloss, nass. Das ist "gräßlich"? Wohl kaum, und wenn schon, dann bitte grässlich! Die Schreibung von "ss" statt "ß" nach kurz gesprochenen Vokalen ist übrigens die einzige Neuerung der Reform bei den s-Lauten.

Das "u" in Fluss wird eindeutig kurz gesprochen, trotzdem mussten Schüler und Lehrer bis 1998/99 am Wortende ein Eszett setzen und den Fluss somit zum "Fluß" verbiegen [ – und das seit 600 Jahren? Völliges Mißverständnis! ]. Dieser Fluss ("Fluß") floss ("floß") jedoch seinerzeit im Genitiv und im Plural ins Bett des Doppel-s zurück: des Flusses, die Flüsse. Dort fließen sie auch heute noch. Wir halten als neue Regel fest: Einmal "ss" im Wort, immer "ss" im Wort. Wir dürfen allerdings nicht übers Ziel hinausschießen und dauernd die S-Taste tippen, wenn ein Eszett angesagt ist, etwa in Straße oder Grüße.

Das Eszett steht nach lang gesprochenem Vokal, und es stand dort bereits seit ewigen Zeiten: Schoß, Ruß, süß, Grieß, mäßig. Das Eszett steht auch nach Diphthongen (Doppelvokalen). Diphthonge werden immer lang gesprochen....

abendblatt.de 28.4.2015

Die Heyse-ss-Regel ist das „Herzstück der Rechtschreibreform“ (Althistoriker Christian Meier), die Formel, mit der wohl 200 Millionen Deutsche und Deutschlernende unter die Knute der bürokratischen Schreibveränderung genötigt wurden. Der diktatorische Reformbeschluß der 16 deutschen Kulturbanausen nötigte selbst im fernen China die Verlage dazu, ihre Deutschlehrbücher und Lexika auf den Müll zu werfen.

Die Heyse-ss-Regel dringt wie Giftgas sogar in entlegenste wissenschaftliche und auch tägliche Gebrauchstexte und läßt ältere alt aussehen. Sie ist der Geßler-Hut der „Reform“.

Deshalb schrieb der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Ernst Gottfried Mahrenholz:
„In der Neuregelung der Daß-Schreibweise haben die Minister ihre Kompetenz überschritten...“ (Süddeutsche Zeitung 23./24. 08.1997).

Schmachthagen beschreibt die „neuen“ ss- Regeln oberflächlich und unterschlägt die Tücken und Schwachstellen. Nicht umsonst kann heute kaum noch jemand ohne Automatikkorrektur fehlerfrei schreiben. Meine jüngste Tochter war in der Schule ziemlich schnell auf das Problem gestoßen: „Humanissmuss – ja wo kommen denn nun die ss hin?“

Erleichternd soll sein, daß nach langen Vokalen und Diphthongen „ß“ geschrieben werden soll. Ich erinnere mich an den Kellner in einem Hannoverschen Hinterhoflokal der 60er Jahre, der sich mit sechs Tellern auf den Armen seinen Weg durch das Menschengedränge bahnte mit dem Ruf: „Heiß, Fettflecke“. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, „ei“ sei hier ein Diphthong.

Vieles hat dazu geführt, daß die Durchsetzung der „Reform“ gegen den ursprünglichen Willen des Volkes nun fast vollständig gelungen ist. Wäre es nicht inzwischen geradezu ein Tabu, darüber zu sprechen, dann wäre das ein reicher Stoff für Studien, Dissertationen und Masterarbeiten zahlreicher Fakultäten.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.01.2015 um 07.47

Wir gedenken, aber bitte nur im Genitiv

Von Peter Schmachthagen

Sie lesen bereits die 126. Folge meiner "Deutschstunde". Was ursprünglich nur eine einmalige Replik auf einen Gastbeitrag mit dem Titel "Die Rechtschreibreform – ein Riesenfehler" sein sollte, hat sich zur wöchentlichen Sprachkolumne entwickelt.

abendblatt.de 28.1.2015

Auch mit 126 Folgen seiner „Deutschstunde“ hat Peter Schmachthagen nicht die Feststellung Claudia Ludwigs widerlegen können, daß die Rechtschreib„reform“ ein Riesenfehler war: Seit 1996 ist das Schreibvolk gespalten, die schriftliche Vergangenheit nutzlos entfremdet, das Schriftbild häßlicher geworden und das Schreiben doch um nichts erleichtert oder verbessert worden. Man redet nur nicht mehr darüber, am wenigsten die Kultusminister, die diesen sinnlosen Amoklauf gegen die Schreibkultur unter Geiselnahme der Schüler durchgesetzt haben, auch als sie längst wußten, daß „die Rechtschreibreform ein Fehler“ war. Auch die Gegner der „Reform“, die beruflich zum Kotau vor dieser Kulturschande gezwungen sind, werden kaum noch etwas sagen. Es ist ihnen peinlich ...


eingetragen von Sigmar Salzburg am 16.12.2014 um 17.35

Deutschstunde
Das Ganze ist belämmert, aber bitte mit "ä"

Nicht die Rechtschreibreform war fragwürdig, sondern die Reform der Reform. Es kommt immer auf die Systematik der Regeln an

Von Peter Schmachthagen

Vor drei Wochen schrieb ich an dieser Stelle, der "Un"-Rat für deutsche Rechtschreibung habe sich im Jahre 2006 mit Eifer bemüht, größeren "Flurschaden" im Regelwerk der Orthografie anzurichten. [...]

Die ursprünglichen Reformer hatten nach 1996 versucht, die inzwischen arg verwucherte Norm von 1901 in knappe und eindeutige Regeln zu fassen. Das war dringend nötig, nachdem der Duden 1955 von den überforderten Kultusministern die alleinige Regelhoheit (West) bekommen hatte und danach jede Wortspielerei des "Spiegels" und jeder Druckfehler des "Mannheimer Morgens" zu einem neuen Stichwort zu werden drohte. Es gab zwei oder drei Konrektoren in Deutschland, die leuchtende Augen bekamen, wenn sie "in bezug" und mit Bezug auf die Unlogik den Zeigestock auf seinem Platz "plazierten", die Klassenarbeiten mit Nummern "numerierten" und wussten, dass sie den Hintern ihrer Schüler nicht mehr "verbleuen" [schlagen!], den Nagel im Chemieunterricht aber verbläuen [chem. verfärben!] durften. Selbstverständlich gehörte es zur Allgemeinbildung, den "Tolpatsch" mit einem "l" zu schreiben, weil jeder Abc-Schütze wusste, dass dieses Wort eigentlich "ungeschickt gehen wie ein talpas" bedeutete, also durch die Gegend wanken wie ein breitfüßiger ungarischer Fußsoldat. [die Tölpel-Regel reichte!]

Irgendwie war alles ein "bißchen belemmert" (von mittelniederd. belemmen [eben!]– lähmen). Ich hatte im Abendblatt zum Abschied von der alten Rechtschreibung 40 Rechtschreibfragen gestellt und hinter jedem Beispiel zwei Kästchen drucken lassen, in denen man "richtig" oder "falsch" ankreuzen sollte. Andere Möglichkeiten gab es nicht. Wer lange genug gewürfelt hätte, wäre auf wenigstens 20 Richtige gekommen. Die Beste war eine Kollegin alter Schule mit acht Treffern. Übrigens waren alle 40 Beispiele richtig, nur hat's niemand geglaubt. So viel zur angeblich "klassischen" Rechtschreibung.

Eine Leserin schickt mir einen Artikel aus ihrer Firmenzeitschrift, mit dem sie vor 15 Jahren ihren Kolleginnen und Kollegen die neue Rechtschreibung zu erklären versucht hat. Der Inhalt ist so weit richtig, trotzdem wird keiner ihrer Mitarbeiter die Regeln verstanden haben. Sie macht den Kardinalfehler, die Schreibweise einzelner Wörter zu zeigen, etwa Fuß mit "ß" und Fluss mit "ss", aber nicht die Systematik, die dahintersteckt. Niemand möchte Tausende Schreibweisen wie Vokabeln lernen. Mit einer einfachen Erklärung der ss/ß-Regel hätte sie alle s-Laute abräumen können. [z.B. Humanissmuss, Kossmoss]

Und damit sind wir zurück beim "Flurschaden". Die Reformer hatten die klare Regel aufgestellt, dass zwei Verben, die zusammentreffen, getrennt geschrieben werden. Es heißt also baden gehen, lesen lernen und damals auch ausschließlich sitzen bleiben, liegen lassen und kennen lernen. Doch dann führten die Umformer 2006 bei bleiben und lassen wieder die Unterscheidung nach Bedeutung ein und machten kennenlernen gar zu einem Wort. Manche Leute sind nicht glücklich, wenn sie nicht jede Regel mit Ausnahmen und Unterregeln verwässern können. Diese Leute sollte man nicht an die deutsche Sprache lassen, sondern sie nach Brüssel schicken, damit sie die Verordnung über die Watt-Begrenzung bei Staubsaugern noch mit dem Zusatz versehen, dass diese Geräte am Weltfrauentag nicht benutzt werden dürfen.

Das Ganze ist belämmert, ich weiß, allerdings diesmal mit "ä".

abendblatt.de 16.12.2014

Hier zitiert unter Zusammenfassung:
»
SPIEGEL [22.11.2004]: Die Zeitschrift "Praxis Deutsch" veröffentlichte 1985 eine Untersuchung von 2000 Schulaufsätzen. Die 50 häufigsten Fehler waren solche, die von der Reform gar nicht betroffen sind.«


eingetragen von Sigmar Salzburg am 26.11.2014 um 19.19

Ob Sie Ihren Nachbarn kennen lernen oder kennenlernen…
…bleibt Ihnen überlassen. Über den Unsinn, die übertragene Bedeutung in die Rechtschreibung einzuführen

Von Peter Schmachthagen

[sitzen bleiben oder sitzenbleiben]

... Diese unsägliche Regel aus dem Jahre 1901 war ein Hindernis für die Verbreitung der deutschen Sprache.[?] Die wenigen, die diese Regel einwandfrei beherrschten, brauchten kein Deutsch mehr zu lernen. Die konnten es schon.

Insofern war es eine der wichtigsten Taten der Rechtschreibreformer zu bestimmen, Verb und Verb seien immer getrennt zu schreiben. Immer! 1998 schrieb man in den Schulen demnach schwimmen gehen, sprechen lernen, spazieren fahren, lesen üben und sogar kennen lernen, stehen lassen oder liegen bleiben. Diese Regel war eine enorme Erleichterung der Rechtschreibung. Die Schüler übernahmen sie ohne Schwierigkeiten, und wer dagegen an moserte, versuchte meistens nur zu kaschieren, dass er bereits die alte Schreibweise nicht beherrscht hatte.

Nun gibt es in Deutschland jedoch keine Reform, die Lobbyisten, Schriftsteller, Vorstandsvorsitzende oder Erlanger Professoren nicht noch einmal zu reformieren trachteten. 2004 trat der bunt zusammengewürfelte Rat für deutsche Rechtschreibung auf die Bildfläche, den "Unrat" zu nennen ich mir nicht abgewöhnen kann, und machte das, was klar und einfach war, wieder kompliziert. Bei der Wortgruppe Verb und Verb wurde die übertragene Bedeutung erneut ausgegraben. Das ist widersinnig, denn wenn wir den Kontext eines Satzes benötigen, um die Schreibweise des Verbs festzulegen, brauchen wir keine unterschiedliche Schreibweise, um den Sinn zu ergründen...

Geradezu orthografisch vergewaltigt wurde das Verb kennenlernen, das als Ausnahme von jeder Regel zusammengeschrieben werden sollte, weil es sich um einen einzigen Vorgang handele. Sicherlich wird es jeder englische Deutschschüler sofort einsehen, dass bei schwimmen lernen zwei Tätigkeiten, bei kennen lernen aber nur eine im Spiel ist...

abendblatt.de 25.11.2014

Wo hat Herr Schmachthagen nur das Kennen gelernt?


eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.10.2014 um 05.30

Helmut Kohl: "Die Merkel hat keine Ahnung"
Der Journalist Heribert Schwan, dem Helmut Kohl über 600 Stunden lang Tonbandinterviews für die Verfertigung seiner Kanzler-Biografie gab, hat das Material nun für eine Veröffentlichung auf eigene Rechnung genutzt. ... Nun ... gibt es doch zu lesen, was Kohl wohl wörtlich gesagt hat, aber niemals öffentlich zitiert sehen wollte.

[Uns interessiert nur, was er über die Leute sagte, die hier bei uns des öfteren zitiert werden mußten.]

Da ist vom "Volkshochschulgehirn" Wolfgang Thierse* die Rede, weil dieser die Wende in der DDR nicht dem ökonomischen Zusammenbruch, sondern den Leipzigern Montagsdemonstranten zuschrieb.

Despektierliches erfährt man auch über Kohls Sicht auf die Bundeskanzlerin, die er einst gefördert und als Frauenministerin ins Kabinett geholt hatte. "Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen. Sie lungerte bei den Staatsessen herum, sodass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste", wird Kohl zitiert. Und über die spätere CDU-Vorsitzende und den zeitweiligen Unionsfraktionschef Friedrich Merz spottet Kohl: "Die Merkel hat keine Ahnung*, und der Fraktionsvorsitzende ist ein politisches Kleinkind."
....
Demnach zog Kohl bei den Oggersheimer Kellersitzungen schonungslos gegen seine innerparteilichen Widersacher vom Leder, die im September 1989 beim Bremer CDU-Parteitag seinen Sturz vorbereitet hatten, und jene, die sich nach Bekanntwerden der Spendenaffäre Ende der 1990er-Jahre gegen ihn stellten. Zu Ersteren gehören frühere Parteifreunde wie der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler*, der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth, Ex-Bundessozialminister Norbert Blüm* und der Ex-Finanz- und spätere Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg. Die "Bremer Stadtmusikanten" nennt Kohl sie alle zusammen, Blüm einen "Verräter", Stoltenberg "hinterfotzig, aber nicht mutig", "Späth hat sich der Mischpoke angeschlossen", giftet Kohl...

Über Christian Wulff, der ebenfalls als Verschwörer von Bremen bei Kohl in Ungnade gefallen war, sagte dieser laut Schwan/Jens: "Das ist ein ganz großer Verräter. Gleichzeitig ist er eine Null...“*

Besonders schmerzhaft muss für Kohl die Abkehr von einst Vertrauten im Zuge der Spendenaffäre Ende der 1990er-Jahre sein. Damals war herausgekommen, das Kohl nicht deklarierte Spenden in Millionenhöhe aus bis heute nicht bekannten Quellen erhalten hatte. ...

abendblatt.de 6.2.2014


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.08.2014 um 11.54

Leer, Lehrer, Oberlehrer – ultimativ gesteigert
Peter Schmachthagen

Ich habe noch nie so viele Mails bekommen wie nach meinem Postskriptum unter der Kolumne vor einer Woche, in dem ich darauf hinwies, dass die "Deutschstunde" die 100. Folge erreicht hatte.

... Ich muss allerdings einschränken, dass ich nicht die Absicht habe, die Duden-Redaktion wegen einer Schreibweise vor das Bundesverfassungsgericht zu zerren. Auch ich würde lieber "so dass, mit Hilfe, in Frage" oder "auf Grund" schreiben, auch mir kräuseln sich die Fingernägel beim Tippen der Duden-Empfehlungen sodass, mithilfe, infrage oder aufgrund, aber um eine Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung zu erreichen, sollten wir uns an die Empfehlungen eines Wörterbuchs halten, das überall verfügbar ist.

[… eine Einheitlichkeit, die nicht zuletzt dank Schmachthagens Reformpropaganda und seiner Unterminierung der einstigen (halbherzigen) Bestrebungen des Springer-Chefs Döpfner bei der Rückkehr des Verlages zur klassischen Rechtschreibung verlorengegangen ist.]

Nach der Rechtschreibreform 1998 und der Reform der Reform im Jahre 2006 gibt es viele fakultative Schreibweisen, also Schreibweisen, die so oder so richtig sind. Damit der eine Kollege aber nicht so und die Kollegin in der Spalte daneben anders schreibt, markiert der Duden eine von beiden gelb als seine Empfehlung.

Diese Empfehlung würfelt die Duden-Redaktion in ihrem neuen Berliner Domizil natürlich nicht in einer Cappuccino-Pause aus, sondern sie richtet sich nach dem vorherrschenden Gebrauch in den Medien...

[... die sich am Duden orientieren, der sich wiederum nach den Dummheiten der „Reform“ richtet. ]

... Meine Erklärung am vergangenen Dienstag, dass man absolute Adjektive wie tot, blind oder leer nicht steigern könne, erinnerte unseren Leser Karl-Heinz H. an seine Schulzeit. "Karl-Heinz, steigere leer", verlangte der Deutschlehrer. "Leer kann man nicht steigern, denn von leer spricht man nur, wenn in einem Behälter absolut nichts mehr drin ist!" Der Lehrer wurde rot vor Zorn: "Grammatisch kann man das steigern, und das verlange ich jetzt von dir!" Darauf der Schüler: "Leer, Lehrer, Oberlehrer!" Die Klasse brüllte vor Lachen, der Lehrer brüllte ebenfalls. "Das ist eine Fünf!", schrie er. "Nein, das ist eine Sechs, nein, das reicht noch immer nicht: Das ist eine Sieben!"...
abendblatt.de 5.8.2014

Schmachthagens Behauptung, man könne „leer“ nicht steigern, entspricht nicht dem verbreiteten Gebrauch. Es wird nämlich nicht immer absolute Leere darunter verstanden, sondern auch fast vollständige Leere. „Heutzutage sind in Deutschland die Kirchen sonntags meistens leer, im Osten leerer als im Westen.“ Vor 30 Jahren bürgerte sich zudem im Flippie-Deutsch eine neue Intensivierungsform ein: „Die Kirche ist ja voll leer!“


eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.03.2014 um 12.46

Deutschstunde
Duden 007 – die Lizenz zur Rechtschreibung
... Von der Prophezeiung zur Verzeihung


Von Peter Schmachthagen
...
Der Geheimagent James Bond hat die Personalnummer 007, und die Doppel-Null besagt angeblich, dass er die Lizenz zum Töten besitzt... Es gibt laut Duden-Kalender "Auf gut Deutsch" allerdings auch eine Lizenz zur Rechtschreibung, die man ohne Erlaubnis Ihrer Majestät ganz legal und ohne Prüfung erwerben kann, indem man sich penibel an die Schreibweise hält, wie sie das bekannte Wörterbuch erfasst hat.
Auf einem Kalenderblatt wird die Frage gestellt: "Wie viele Fehler verstecken sich hier?" – und folgender Text vorgegeben...

[... die seit der „Reform“ inflationäre Volksbelästigung; das Versagen ihres Glanzstücks kann aber nicht ganz ausgeklammert werden:]

Es beginnt mit den Diskussionen (nicht: Disskussionen), bei denen wir es mit drei "s" gut sein lassen sollten. Das Wort unterliegt nicht der deutschen ss/ß-Regel, sondern kommt vom lat. discussio (Untersuchung, Erörterung).
abendblatt.de 18.3.2014

Ach, das hatten wir gerade:
Die Staatskanzleichefin Christine Haderthauer sagte der SZ, dass Bayern nur in einem Gesamtpaket zustimme, wenn die bayerischen Belange berücksichtigt würden. Bayern stelle das Modell eines Deckels für die EEG-Umlage dabei zur Disskussion. pv-magazine.de 12.3.2014


eingetragen von Sigmar Salzburg am 10.01.2014 um 07.21

Priorität für die Rechtschreibung
Nötig ist vor allem auch ein Wandel des Bewusstseins
Von Peter Ulrich Meyer

Der Befund ist so eindeutig wie dramatisch: Die Schüler beherrschen die Rechtschreibung bei Weitem nicht mehr so sicher wie in früheren Jahrzehnten. Unternehmen und Betriebe beklagen die zum Teil erheblichen Schwächen von Lehrstellenbewerbern auf diesem Feld. Das ist nicht nur in Hamburg so, aber eben auch hier.
Die Maßnahmen, mit denen Schulsenator Ties Rabe (SPD) das korrekte Schreiben an Schulen nun stärken will, sind richtige Schritte. Ein verbindlicher Kernwortschatz, den Jungen und Mädchen am Ende der vierten Klasse sicher beherrschen sollen, gibt den Schulen eine klare Zielorientierung vor...

Lange galt korrektes Schreiben als eher zweitrangig, Fehler wurden gar als lässliche Defizite angesehen. Mit Folgen: Wer als Vater oder Mutter ein Kind durch die Schuljahre begleitet, ist manchmal erschrocken über die Rechtschreib- und Kommafehler in Texten von Lehrern ...
abendblatt.de 8.1.2014

Peter Ulrich Meyer, der hier völlig unnötig die neue unmäßige Großschreibung vorführt, erwähnt die „Rechtschreibreform“ wohl seit fast zehn Jahren nicht mehr und schreibt dennoch über mögliche Ursachen des Verlustes der Schreibfähigkeiten der Schüler. Ähnliches würde ein Historiker nie wagen: Über den Verlust der deutschen Ostgebiete zu schreiben, ohne jemals Hitlers Angriffskrieg zu erwähnen.

Siehe auch den Eintrag beim SHEV.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 08.01.2014 um 07.45

Peter Schmachthagen betreibt im Abendblatt wieder seinen unnachahmlichen Unterricht in Reformdeutsch und verkündet als Evangelium ohne den Versuch einer Begründung:

Wenn es oder ihm aber heute Morgen graut, ist diese Fügung als Satzteil eine adverbiale Bestimmung der Zeit und heute als Wortart ein Adverb. Die Tageszeiten nach Adverbien werden seit der Rechtschreibreform als Substantive angesehen und großgeschrieben: vorgestern Nacht, gestern Abend, morgen Mittag, heute Nachmittag. Hängt an den Tageszeiten jedoch ein -s, wandelt sich die Wortart zurück zum Adverb – und Adverbien werden kleingeschrieben: nachts, abends, mittags, nachmittags, morgens.

Fatmas Augen wurden größer und größer. Man sah, ihr graute vor der deutschen Grammatik.

abendblatt.de 7.1.2014

Sie hätte sagen müssen, „Peter, mir graut‘s vor dir“, denn dieses Problem war durch Konrad Duden und die zugrundeliegenden preußischen und bayerischen Schulregeln schon vor 134 Jahren sinnvoll gelöst, so daß solche chamäleonhaften¹ Wandlungen überflüssig waren.

¹) Wieder eine verpaßte Gelegenheit für Augstsche Vereinfachungen: „Kameleon“.

Nicht fehlen sollten unter jedem Artikel Schmachthagens die Offenbarungen seiner völligen Selbstüberschätzung:
Wie Peter Meyer (Schmachthagen) vom Hamburger Abendblatt den Axel Springer Verlag auf Reformkurs brachte: Sprachforschung.org


eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.11.2013 um 11.34

Peter Schmachthagen, geschult an den Etymolügen der neuen Rechtschreibung, erkennt, wie sich Sprache eben entwickelt, z.B. aus dem Lateinischen:

Das Urgermanische unterschied sich vor allem durch die erste, die "germanische" Lautverschiebung vom Indogermanischen. So wandelte sich zum Beispiel lat. piscis zu deutsch Fisch, lat. duo zu engl. two.
Abendblatt.de 26.11.13
Mit ähnlicher Genauigkeit führte auch Wikipedia das deutsche „Arschloch“ auf eine englische Wurzel zurück:
Determinativkompositum, zusammengesetzt aus Arsch (aus dem altenglischen ærs, „Hinterteil“) und Loch (althochdeutsch loch, „Öffnung“).


eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.09.2013 um 17.52

Deutschstunde
Wer pleite ist, hat vorher Pleite gemacht

Von Peter Schmachthagen

... Bis 1996 hatten sich Schüler und Erwachsene daran gewöhnt, die Schreibweise jedes Wortes und jeder Verbindung einzeln zu betrachten und nachzuschlagen. Man lernte keine Regeln, sondern Ausnahmen und Ausnahmen von den Ausnahmen.

[Welch ein Unsinn! Bis 1996 habe ich 50 Jahre lang nie einen Duden in die Hand genommen.]

Die Reformer bemühten sich danach, möglichst eine Systematik in den orthografischen Dschungel zu bringen, um das Wörterbuch bei vielen Wortarten überflüssig zu machen. Zwischen 1996 und 2006 hieß es: Verb und Verb (Infinitiv) immer getrennt. Bis dahin galt die unsägliche Betonungsregel des Dudens.

[Diese Regel habe ich nie gelernt, aber nach Gehör und Sprachempfinden mindestens ebenso vernünftig wie der Duden geschrieben.]

Wer jedoch die Schreibweise eines Wortes aus dem Satzzusammenhang entnehmen muss, braucht eigentlich keine unterschiedliche Schreibweise, um den Sinn eines Satzes zu präzisieren. Und das Wesentliche: Nur derjenige, der perfekt Deutsch sprach, konnte diesen Feinheiten folgen, nicht derjenige, der Deutsch erst lernte oder lernen musste.

[Sollen wir nun nachlässiger sprechen und schreiben, nur damit Ausländer und weniger Gebildete nicht auffallen?]

Der Lehrer sagte: "Ihr könnt gern sitzen bleiben, wenn ich in die Klasse komme, aber einige von euch werden am Ende des Schuljahres bestimmt sitzenbleiben." Wie einfach, auch für Ausländer, war und ist doch dagegen die Anweisung: Verb und Verb immer getrennt, egal in welchem Kontext. Bekanntlich haben die Reformer der Reform diese Regel 2006 verwässert, ohne sie abzuschaffen....

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht! So kann man den Duden kennen lernen oder seit 2006 auch kennenlernen. Merke: Eine Regel wird erst schön, wenn wir eine Ausnahme dazu erfinden.

Die Ministerpräsidenten, die 2004 die nach einer Probephase gerade abgesegnete Rechtschreibreform erst einmal einem Rat für deutsche Rechtschreibung überließen, der ähnlich zusammengesetzt war wie eine Krawall-Talkrunde von Frank Plasberg, sorgten sich nicht um die deutsche Sprache, sondern um die Wählerstimmen...

[98 Prozent im Rat waren Reformfreunde!]

Die Rechtschreibreform war keineswegs eine Schlechtschreibreform, nur geben sich einige Leute alle Mühe, sie zu einer solchen zu machen. Die deutsche Sprache ist schwierig genug, als dass wir sie in Parteiprogrammen und Kampagnen verheizen dürften.

abendblatt.de 10.12.2013

Die Wählerstimmen waren kaum entscheidend. Bekanntlich gab es immer „Wichtigeres“ als die Rechtschreibreform. Größer war die Sorge der Politiker, daß die Wähler erkennen könnten, daß sie (nicht nur in dieser Sache) aus Unfähigkeit und Kurzsichtigkeit die Karre in den Dreck gefahren haben. Deswegen wurde die Rechtschreibreform, um nicht ihre völlige Überflüssigkeit zugeben zu müssen, weiter durchgesetzt und nur durch Flickwerk „verschönert“, um die damals abtrünnigen Zeitungsverlage, und nur um die ging es, wieder einfangen zu können.

Der beste Beweis dafür, daß nie Volkswille und Vernunft entscheidend waren, ist (neben den bekannten, verbliebenen Albernheiten) die neue ss-Regelung, die, vorher von niemandem ernsthaft verlangt, wahrheitswidrig für „unstrittig“ erklärt wurde. Sie wirkt flächendeckend sozusagen als Chemiekampfstoff der „Reform“, als Massen-Büchervernichtungsmittel, als Massenverdummungsmittel und als Massen-Kontrollmittel.

Der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Ernst Gottfried Mahrenholz hatte klar erkannt:


„In der Neuregelung der Daß-Schreibweise haben die Minister ihre Kompetenz überschritten... Hier kann ein Eingriff, der die bisherige Funktion eines Buchstabens betrifft, eine Veränderung seines überlieferten „Ortes“, nicht aus der Kompetenz für Schulfragen gerechtfertigt werden...“ (Süddeutsche Zeitung 23./24. 08.1997).

Die entscheidenden Verfassungsrichter unter Jutta Limbach (SPD) und Hans-Jürgen Papier (CSU) fanden dann aber die Ausklammerung der ss-Regel nicht zu beanstanden, die die Veränderungen auf scheinbar harmlose 0,5 Prozent herunterdrückte, wie sie dreist das Böhrksche Bildungsministerium in Kiel schon den Schleswiger Vorinstanzen untergeschoben hatte.

Prof. Peter Eisenberg stellte in der FAZ v. 28.3.03 fest:
„Insgesamt sind damit fast zwanzig Prozent des Wortschatzes betroffen.“

Sachlich, juristisch und demokratisch war die Rechtschreib„reform“ ein Schwindelunternehmen. Kulturfreunde sollten an die Parteien, die daran beteiligt waren, keine Wählerstimme mehr verschwenden.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.09.2013 um 14.46

Wir essen Opa

Wenn ein falsches Komma uns zu Kannibalen macht. Von Hamburger Bildungsreformern und dem anarchischen Schreiben


Richtiges Deutsch ist der Wachtelkönig unter den Sprachen – man hört beide nur noch selten, ihr Zuhause ist die Rote Liste. Zumindest wird man den Eindruck nicht los, wenn Berufsjugendliche, Werber oder Politstrategen drauflosdichten: Ihr Hang zur englischen Sprache oder dem Kauderwelsch namens Denglisch ist so bekannt wie peinlich. Manche gehen mit unserer Sprache um, als sei sie eine in zufällige Ordnung gebrachte Buchstabensuppe.

Vermutlich kann man auch nur so erklären, wie die gefühlt 42. Generation der Hamburger Bildungsreformer auf die weltfremde Idee kommen konnte, Grundschüler lernten die Rechtschreibung am besten, wenn sie ohne Regeln einfach schreiben, was sie hören. Was Rechtschreibreformern nicht [ganz] gelungen ist, führen Bildungsreformer nun durch die Hintertür ein: anarchisches Schreiben. Wohin das führt, beklagen in unschöner Regelmäßigkeit Lehrer und Professoren, Arbeitgeber und Eltern. In der Vergleichsstudie KESS von 2004 landeten die Hamburger Schüler dort, wo sie in Bildungsrankings ihren Stammplatz haben: knapp vor Bremen auf dem vorletzten Platz. Der Grundschulverband gibt auch frank und frei zu, an die Stelle von Rechtschreibung seien "inhaltliche Fragen und der sprachliche Ausdruck getreten". Hübsche Idee. Nur stellt sich die Frage, ob Inhalt und Ausdruck ohne Orthografie denkbar sind.

Spitzen wir es mal zu: Rudimentäre Deutschkenntnisse schaden der Gesundheit und dem Geldbeutel: Ja, ein falsches Komma macht uns schnell zu Kannibalen. Der Ausruf "Wir essen Opa" sollte jeden Großvater schocken, ein kleines Komma macht aus der Lebensgefahr eine Einladung... Längst schreiben auch Muttersprachler so, als hätten sie mit einer koreanischen Gebrauchsanweisung oder dem Microsoft-Übersetzer Deutsch gelernt.
[...]
Matthias Iken ...
abendblatt.de 2.9.2013


eingetragen von Sigmar Salzburg am 23.07.2013 um 05.26

...wieder mit einigen Klopfern. Aus Zeitmangel kann ich nicht darauf eingehen oder kürzen. Nur eins: Eine „Absichtserklärung“ ist kein Vertrag. Aber von Anfang an haben auch die Politiker mit diesem Etikettenschwindel gearbeitet.

23.07.13, 06:27

Deutschstunde
... und noch ein paar Stolpersteine mehr

Der belgische König wird auf Deutsch vereidigt – aber Ausländer und Einheimische schwören nicht auf die deutsche Rechtschreibung

Von Peter Schmachthagen

Wer gehört hat, wie der neue belgische König am Sonntag seinen Amtseid nicht nur auf Französisch und auf Flämisch, sondern auch auf Deutsch abgelegt hat, schöpfte Hoffnung, dass unsere Muttersprache sogar jenseits der Grenzen der Bundesrepublik überleben wird. Die Rechtschreibreform von 1996 war kein Putsch einiger wild gewordener Germanisten, sondern die vertragliche Verpflichtung zwischen den deutschen Bundesländern, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und weiteren Staaten mit deutschsprachigen Bevölkerungsteilen, mit einer Neuregelung der deutschen Rechtschreibung die im Laufe der Zeit etwas aus dem Ruder gelaufenen Regeln des Jahres 1901 zu vereinfachen.

Niemand beherrschte die alte Rechtschreibung ohne Fehler. Der Breslauer Lehrer Oskar Kosog veröffentlichte 1912 ein Diktat mit allen amtlichen Fallen und Gemeinheiten, das bis heute niemand fehlerfrei geschrieben hat.

Damit soll nicht gesagt werden, dass es nach den neuen Regeln keine Schwierigkeiten mehr gibt. Aber die Reformer bemühten sich um mehr Systematik, ohne die zahlreichen Stolpersteine der deutschen Orthografie abgeschafft zu haben. Die in der vorigen Folge erwähnten Stolpersteine haben viele Fragen nach sich gezogen.

Häufig klingen einzelne Wörter gleich (homophon), haben aber eine unterschiedliche Bedeutung und Schreibweise. Mit Fieber bezeichnet man eine zu hohe Körpertemperatur, mit Fiber eine Muskel- oder Pflanzenfaser. Ein Lied kann man singen, während das Lid über dem Auge ohne "e" buchstabiert wird. Ein Stiel ist ein Griff oder Stängel, der Stil jedoch die Einheit der Ausdrucksweise oder einer Kunstrichtung.

Der Leib ist ein Körper, der jedoch beim Brot oder Käse zum Laib wird. Sorgfältig müssen wir die Seite in einem Buch von der Saite auf der Geige unterscheiden. Wir können zwar andere Seiten aufschlagen, aber nur andere Saiten aufziehen. Er zeigte sich von seiner besten Seite, indem er eine ganz andere Saite seines Wesens zum Erklingen brachte.

Zusammensetzungen mit dem Substantiv Tod bekommen ein "d": todblass, todernst, todkrank, todmüde. Es handelt sich dabei meistens um Adjektive. Verben entstehen bei der Zusammensetzung mit dem Eigenschaftswort tot und werden mit "t" geschrieben: totarbeiten, totfahren, totlachen, totschlagen. Auch die Ableitungen von Ende haben ein "d" (endgültig, endlich), während die Vorsilbe ent- ein "t" benötigt: entflammbar, entkommen, Entscheidung.

Mit "t" buchstabiert man "hoffentlich, gelegentlich, ordentlich, wesentlich, wöchentlich", aber nicht morgendlich. Hier liegt eine tageszeitliche Analogie zu abendlich vor, und dem Abend wollen wir sein "d" nicht nehmen. In allen Reportagen über Reisen in die Polargegend laufen Herden von Rentieren über den Bildschirm, die wir nicht mit Doppel-n schreiben dürfen, obwohl sie so rennen. Das Wort Rentier ist eine verdeutlichende Zusammensetzung zum Ren, einer Hirschart in Skandinavien.

Der letzte Tag des Jahres wird korrekt Silvester mit "i" geschrieben, denn der Tagesheilige des 31. Dezember ist Papst Silvester I. (314–335). Vielleicht gibt es in irgendeinem Alpental einen Holzfällerbuben namens Sylvester mit "y", aber der hat nichts im Kalender zu suchen. Achten sollten wir auch darauf, dass bei Libyen das Ypsilon hinten und bei Syrien vorn steht.

Wer in den Geheimdiensten zurzeit Held, Verräter oder Spion ist, ist offenbar selbst für die Kanzlerin schwer zu durchschauen. Klar bleibt nur die Orthografie. Ein Informand ist eine Person, die mit einer Sache vertraut gemacht wird, ein Informant jedoch jemand, der Informationen liefert.

Nicht verwechseln sollte man seit und seid; "seit" ist eine Präposition (seit dem 1. Juli) bzw. Konjunktion (seit er das Haus verlassen hat), "seid" jedoch eine gebeugte Form des Verbs sein: Seid nett zueinander! Heißt es eigentlich ich säe oder ich sähe? Die korrekte Schreibweise hängt von der Bedeutung ab: Das Verb säen im Sinne von "Saatgut ausbringen" hat kein "h". Mit "h" schreibt man hingegen den Konjunktiv des Präteritums von sehen: Ich sähe es lieber, die Rechtschreibung wäre nicht so kompliziert.

abendblatt.de 23.7.2013


eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.07.2013 um 07.44

... schreibt im Abendblatt über „Stolpersteine der Rechtschreibung“

... Lassen wir an dieser Stelle nach Reform und Reform der Reform einmal beiseite, dass es heute häufig zwei amtlich richtige Antworten auf eine solche Frage gibt. Es geht darum, wenigstens eine richtige Form herauszufinden. Dazu kann selbst bei Erwachsenen der Griff zum Wörterbuch nicht immer vermieden werden. Wenn ich jetzt den Duden erwähne, höre ich im Geiste das Naserümpfen einiger Bildungsbürger, die den Duden nicht benutzen, aber genau wissen, was sie von den Leuten zu halten haben, die das tun. Wer eine vermeintlich höhere Marke fahren will, darf auch den Wahrig aufschlagen. Nur: Auch im Wahrig steht's nicht anders.

Nehmen wir die Pleite, den umgangssprachlichen Ausdruck für die Zahlungsunfähigkeit, den Bankrott. Als Substantiv schreibt man das Wort groß, als Adjektiv klein. Also: Er ist pleite (wie?). Zudem führen das Hilfsverb sein und alle seine Formen als Prädikat immer zur Kleinschreibung. Aber: Er macht Pleite (was?).

Ebenso: Er geht "Pleite" – könnte man meinen. Doch jetzt wird es kompliziert: pleitegehen schreibt man zusammen¹, da die Wörterbücher, die schließlich verkauft werden wollen, hier "pleite" als Verbzusatz sehen. Das Erstglied und der verbale zweite Bestandteil bilden auch bei Distanzstellung eine inhaltliche Einheit mit kleinen Buchstaben: eislaufen/ sie läuft eis; feststehen/ fest steht, dass; achtgeben/ gib acht!; wundernehmen/ es nimmt wunder; kopfstehen/ alles stand kopf; leidtun/ es tut mir leid – und eben: Er geht pleite, jedoch: Er macht Pleite.

Der Ausdruck "Pleite" ist Gaunersprache aus jiddisch plejte (Flucht vor den Gläubigern), aber selbst bei deutschen Erb- und Lehnwörtern müssen wir häufig nach der Herkunft forschen, um die korrekte Schreibweise festzustellen – oder eben nachschlagen.

abendblatt.de 19.7.2013

¹) Eigentlich ja nicht, aber anders waren die Kultusminister von ihrer großen Pleite nicht abzubringen.
Schmachthagen als Verfechter der Urreform schiebt nun den Wörterbuchverlagen die Verantwortung zu.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.06.2013 um 17.36

Das unsägliche große Du in Briefen ...
... kann auch kleingeschrieben werden, sorgt jedoch für Verwirrung bei den Anredefürwörtern. Ein Blick auf die Pronomen
Von Peter Schmachthagen
[…]
Nomen schreibt man groß, Pronomen schreibt man klein - im Allgemeinen. Selbst die Pronomen "du" und "ihr" sowie die entsprechenden Possessivpronomen "dein" und "euer" werden kleingeschrieben: Was hast du dir dabei gedacht? Ich habe euch vorhin in der Stadt gesehen. Leider gibt es eine unsägliche Ausnahme, die seit Generationen an dieser Stelle für Verwirrung sorgt: In Briefen kann das vertrauliche Anredepronomen auch großgeschrieben werden: Liebe Oma, wie hat Dir/dir Dein/dein Geschenk gefallen?

Bis 1998 musste das Du in Briefen großgeschrieben werden, bis 2006 musste es auch in Briefen kleingeschrieben werden, nach der Verschlimmbesserung der Rechtschreibreform soll es jetzt (in Briefen) wieder großgeschrieben werden, muss aber nicht. Der Duden, der auf seine 26. Auflage zusteuert, will ja mit jeder Ausgabe etwas Neues oder etwas Altes neu bieten und empfiehlt Großschreibung. Das gilt jedoch nur in Briefen!

Leider wurde und wird diese Ausnahme selbst in professionellen Texten, Medien und Zitaten auch auf die wörtliche Rede übertragen: "Das bleibt Dein Problem", sagte Schweinsteiger zu Lahm. Das ist Unfug, das ist falsch! Eine wörtliche Rede ist kein Brief.

Die Höflichkeitsanrede "Sie" und das Possessiv "Ihr" werden dagegen immer großgeschrieben - immer, im Brief, im Text, in der wörtlichen Rede und auch in dieser Kolumne, wenn ich Sie als Leser anrede. Die Formen entsprechen dabei der 3. Person Plural, egal ob eine Einzelperson oder eine Gruppe gemeint ist: "Kommen Sie doch herein!", sagte Vater zum Nachbarn wie auch: "Treten Sie näher!", bat Mutter die Gäste. Als häufiger Fehler ist zu beobachten, dass zwar das Personalpronomen großgeschrieben wird, aber nicht das zugehörige besitzanzeigende Fürwort: "Grüßen Sie ihre Frau!", sagte er zum Abschied. Nein, natürlich "Ihre" Frau! Wir wollen hier nicht untersuchen, ob man eine Frau besitzen kann, aber großschreiben sollte man sie schon - zumindest orthografisch gesehen.

abendblatt.de 11.6.2013


eingetragen von Sigmar Salzburg am 19.02.2013 um 13.32

Hin und über ist noch lange kein Hin-über

Es gibt Sprechsilben und Sprachsilben, und es bleibt eine Streitfrage der Reform, an welcher Stelle ein Wort getrennt werden soll

Von Peter Schmachthagen
[…]
Wo trennen wir nun? Wenden wir heute die syllabische Worttrennung nach Sprechsilben oder die morphematische Trennung nach Wortbestandteilen an, die vor der Rechtschreibreform obligatorisch war?

Nehmen wir die kurzen deutschen Wörter hin und über, die eigentlich auch ein Schüler ohne Mühe erkennen und also als hin-über trennen könnte - könnte, aber schon zu Großvaters Zeiten selten tat. Es hagelte Fehler im Diktat, sodass die Reformer auch die Trennung nach Sprechsilben erlaubten: hi-nüber, was mir und den meisten Älteren noch immer einen orthografischen Schock versetzt.

Das Gleiche gilt zum Beispiel für wo-rauf/wor-auf, wa-rum/war-um, da-runter/dar-unter, ei-nander/ein-ander oder wo-rum/wor-um . Das betrifft auch die Ilme-nau/Ilmen-au, denn der Name hat schließlich etwas mit der Au, dem Bach, zu tun. Selbst die Teltow-er Rübchen sollten korrekterweise nach dem "w" getrennt werden, denn das "w" ist stimmlos.

Komplizierter war und ist es bei Fremdwörtern, bei denen es sich weit schwieriger gestaltet, die fremdsprachigen Morpheme zu erkennen: Ab-itur, an-onym, äs-thetisch, Atmo-sphäre, aut-ark, Chir-urg, Dia-gnose, Ex-amen, Inter-esse, in-szenieren, Si-gnal, Päd-agogik, par-allel, Hekt-ar, Heliko-pter, Nost-algie, Di-phthong, Vit-amin, Lin-oleum, Log-arithmus, Ma-gnet, Manu-skript, Mon-archie, Phil-ipp, Pull-over, Pseud-onym, Sym-ptom, Chru-schtschow oder Hämor-rhoiden.

Wie soll ein Grundschüler wissen, dass ein Psych-iater den Weg in die Seele findet, während ein Psy-chologe sich in die Psy-che anderer hineindenken kann? Klein Fritzchen müsste also erst im Kindergarten das Latinum und Graecum ablegen, bevor es in die 1. Klasse darf, um Deutsch zu lernen. [:-(]

Heute wird meistens nach Sprechsilben getrennt. Die Textverarbeitungsprogramme trennen so, ebenfalls die Redaktionssysteme, sodass auch das Abendblatt am Zeilenende syllabisch daherkommt. Auch mein MS Word, mit dem ich zu Hause gerade das Manuskript für diese Kolumne schreibe, weigert sich konstant, die alten Beispiele zu akzeptieren. Der Duden ist da vorsichtiger. Er legt sich nicht fest. Er setzt seine Fugenzeichen nach alter sowie neuer Norm, selbst wenn das wenig kon|s|t|ruk|tiv ist. Sie haben die Wahl!
abendblatt.de 19.2.2013

Vernünftiger wäre es gewesen, bei den Korrekturprogrammen nur die sprachrichtige Trennung einzubauen und im freien Gebrauch Milde walten zu lassen. Aber die Trennung nach Sprechsilben war ein altes Reformerdogma, das man nicht aufgeben wollte, um noch genügend Reformbedarf vorweisen zu können – obwohl es wegen der technischen Entwicklung überflüssig war.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 05.02.2013 um 12.20

Ein Komma bringt Opa bannig ins Tüdern

Die Zeichensetzung hat ihre Tücken, doch die Regeln änderten sich kaum mit der Reform. Selbst vor "und" kann ein Komma stehen

Von Peter Schmachthagen

Kommata tauchen so häufig in den gedruckten Texten auf, dass wir den fremden Plural "Kommata" inzwischen durch die deutsche Mehrzahlbildung Kommas ersetzt haben. Diese Vereinfachung eroberte zuerst die Umgangssprache, dann die Fachsprache. Wir schreiben deutsch und nicht altgriechisch, meinte ein Kollege. Der Begriff Kommata, häufig auch noch fälschlicherweise mit einem Schluss-s zu "Kommatas" verballhornt, sei quasi ein Oldtimer in der Sprache wie bei den Kraftfahrzeugen ein VW Käfer mit geteiltem Rückfenster, Seilzugbremsen und Reservehebel.
Gut, ich gebe nach ...

… beginnen wir mit einer guten Nachricht für die Älteren: Trotz der Rechtschreibreform können Sie 99 Prozent der früheren Interpunktionsregeln weiterhin anwenden. Zwingend geändert hat sich nur, dass der Begleitsatz zur wörtlichen Rede jetzt immer mit Komma abgetrennt wird, auch wenn die wörtliche Rede mit Ausrufe- oder Fragezeichen endet. Also: "Wie geht es dir?", fragte er. Früher: "Wie geht es dir?" fragte er. Um die Anwendung vor 1998 ja nicht zu einfach zu machen, gab es eine dieser unzähligen Ausnahmen, die die alte Schreibweise alles andere als klassisch und klar gestalteten. Trat ein "so" hinzu, stand doch ein Komma: "Wie geht es dir?", so fragt er.

Ansonsten können Sie bei der Interpunktion alles beim Alten lassen…

abendblatt.de 5.2.2013

Hat Herr Schmachthagen nicht die Kommakatastrophe durch die „Reform“ mitbekommen? Nicht umsonst hatten die Nachrichtenagenturen die alten Kommaregeln beibehalten.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 22.01.2013 um 15.15

Deutschstunde
Opa wollte nur einmal kurz Hallo sagen

Von Peter Schmachthagen

[Bild: Peter Schmachthagen ist "Hamburgisch"-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts]

Sagen oder besser schreiben wir eigentlich Hallo oder hallo ? Groß oder klein? Beides ist möglich. Hier haben wir es wieder einmal mit einer der unsäglichen fakultativen Schreibweisen zu tun…

Bis zum Juni 2004 konnte man in Schulen und Medien gut damit leben, sodass die Kultusminister nach fünfjähriger Probephase die neue Rechtschreibung für verbindlich erklärten. Die Ministerpräsidenten ließen sich jedoch von einigen lautstarken Stimmen einschüchtern und setzten einen zusammengewürfelten Rat für deutsche Rechtschreibung ein, um die Reform überprüfen zu lassen. Man darf unterstellen, dass das nicht aus Sorge um das Kulturgut der deutschen Sprache geschah, sondern einfach aus Angst um die Wählerstimmen. Wer eine durchaus verständliche Unsicherheit bei der Rechtschreibung spürt, sucht als vermeintliche Ursache gern einen Schuldigen, wofür sich die Rechtschreibreform anbot - obwohl es in diesem Fall egal war, ob man die alte oder die neue Rechtschreibung nicht beherrschte.

Was der (Un-)Rat der Kultusministerkonferenz am Rosenmontag des Jahres 2006 als Ergebnis seiner Arbeit vorlegte, glich den vielen Narrenzügen jenes Tages, doch die Minister wollten den Streit endlich beenden und segneten alles ab. Die Reformschreibweise wurde nicht etwa abgeschafft, sondern blieb bestehen, doch Altes wurde wieder zum Leben erweckt und ganz Neues geschaffen. Die Möglichkeiten haben seitdem Konjunktur und die Wörterbücher sogar Hochkonjunktur…

In Hamburg sagt man Tschüs, und zwar mit großem "T" und kleinem "s", obwohl beim Streit über die richtige Schreibweise schon Freundschaften zerbrochen und Urheberrechtsprozesse angedroht worden sind. Angeblich hat Heidi Kabel "In Hamburg sagt man Tschüss" mit Doppel-s gesungen, wobei ich mich frage, wie man ein Doppel-s singen kann. Als der Duden noch die alleinige Entscheidung über die Schreibweisen hatte, war nur tschüs! möglich. Die Reformer ließen auch Tschüss zu, was nicht nachvollziehbar ist, denn das "ü" wird ja nicht kurz, sondern ganz lang gesprochen.

Dieser norddeutsche Abschiedsgruß ist aus der Form atschüs! gekürzt worden, die durch Erweichung des "j" aus niederdeutsch adjüs (kurz: tjüs ) entstanden ist, logischerweise hinten mit einem einfachen "s". Fremde Seeleute gebrauchten häufig das spanische adiós (lat. ad deum - Gott befohlen, frz. adieu, span. a diós - zu Gott)…
abendblatt.de 22.1.2013

Schmachthagen, Anhänger der Urreform, hat den „Narrenzug“ schon des öfteren hier und da als Bild für die politischen und orthographischen Flickreformer von 2006 empfohlen. Wenn man die ganze Reform als solchen begriffen hat, sitzt er allerdings auch mit obendrauf.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.12.2012 um 19.30

Deutsch oder deutsch, das ist hier die Frage

Was sprechen wir? Wie sprechen wir? Die Groß- und Kleinschreibung bei der Bezeichnung einer Sprache ist ein bisschen verzwickt

Von Peter Schmachthagen

... Angela Merkel spricht Russisch, Wladimir Putin spricht Deutsch, sodass die beiden bei ihrem Treffen im Kreml abwechselnd deutsch und russisch miteinander sprachen. Da Putins Begleiter jedoch kein Wort Deutsch verstanden, unterhielt man sich meistens auf Russisch. Nanu, wo kommt das große "R" her, steckt hier doch ein Wie in der Aussage, ein Hinweis auf die Art und Weise des Sprechens?

Richtig, aber unsere Grammatik und Orthografie (Rechtschreibung) wären nun wirklich zu einfach, wären sie nicht mit vielerlei Ausnahmen gespickt. [... seit Schmachthagens Lieblingsreform:] Nach den Präpositionen auf und in wird Deutsch immer großgeschrieben: Das Buch erscheint auf Deutsch, der Brief wurde in Deutsch verfasst…

Übrigens kann man "Deutsch/deutsch" nicht nur großschreiben, sondern auch groß schreiben. Die Wortgruppen Adjektiv und Verb bzw. Partizip und Verb werden zusammengeschrieben, wenn das Adjektiv in einer Verbindung weder gesteigert noch erweitert werden kann wie bei "großschreiben".

abendblatt.de 11.12.2012

Schmachthagen lebt noch in der Reformsteinzeit von 1996: Die Steigerungsprobe wurde mit der 2. Reparaturreform 2006 wieder abgeschafft. Ansonsten siehe auch hier.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 04.10.2012 um 09.22

[Schmachthagens] DEUTSCHSTUNDE

Als ein Tollpatsch durch die Straßen wankte

Wie die Fußlappen ungarischer Soldaten die deutsche Rechtschreibung bestimmten.
Einige notwendige Angleichungen durch die Reform


Von Peter Schmachthagen

Wissen Sie, was ein Tollpatsch ist? Natürlich, ein ungeschickter Mensch, der schwerfällig durch die Gegend tollt und dabei womöglich noch einfältig um sich patscht. Alles spricht auf den ersten Blick dafür, dass der Tollpatsch zur Wortfamilie des Adjektivs toll gehört, das bereits im Althochdeutschen "dumm und töricht" bedeutete und später mit "getrübt, umnebelt, verwirrt" erklärt wurde.

Das heißt, aus dem Niederländischen wanderte dol auch in der Bedeutung "ausgelassen" nach Deutschland und traf zuerst auf die Rheinländer. Was damit angerichtet worden ist, sehen wir während der drei tollen Tage, die einen kühlen Norddeutschen zu der Überzeugung kommen lassen, dass die Erklärung "umnebelt und verwirrt" doch passender gewesen wäre.

Wir kennen die Tollheit, das Tollhaus und die Tollkirsche. Die Tollwut ist eine Zusammenrückung aus tolle Wut, und tollkühn heißt "auf tolle Weise kühn". Dennoch – unser Tollpatsch hat nichts mit dem Adjektiv toll zu tun. Vielmehr müssen wir den deutschen Sprachraum Richtung Budapest verlassen. Ein Tolpatsch ist ursprünglich ein ungarischer Fußsoldat, ein talpas, ein "Breitfüßiger", von ung. talp (Sohle).

Im 17. Jahrhundert bekamen die ungarischen Infanteristen keine Schuhe, sondern befestigten sich Fußlappen mit Schnüren als Sohlen unter den nackten Füßen. Wenn die besser ausgestatteten Österreicher so einen ungarischen Fußsoldaten, dessen Sprache sie zudem nicht verstanden, unsicher auf den Beinen durch die Straßen wanken sahen, nannten sie ihn einen Tolpatsch – und da es sich um die Eindeutschung des ung. talpas handelte, natürlich analog mit nur einem "l".

Falls vor der Rechtschreibreform ein Schüler "toller Tolpatsch" schreiben sollte, fiel es ihm schwer, zwischen einem und zwei "l" zu unterscheiden. Zur Not half damals auch einmal eine Ohrfeige, bis er es kapiert hatte. Ohrfeigen im Unterricht sind heutzutage glücklicherweise verboten und in diesem Fall auch nicht mehr notwendig. Seit 1998 schreiben wir den Tollpatsch mit Doppel-l.

Ich will in dieser Kolumne möglichst den Rechtschreibfrieden wahren, aber um zu zeigen, was ist, ist es ab und zu angebracht, einen Blick darauf zu werfen, was war. Neben umfassenden Regeln wie die ss/ß-Auslautung oder die klare Bestimmung "Verb und Verb immer getrennt" änderten die Reformer nicht nur beim Tollpatsch, sondern bei rund 40 Wörtern die Schreibweise, indem sie den Stamm oder die Analogie (Vergleichbarkeit) anpassten.

Wir Älteren mussten uns zuerst daran gewöhnen, dass der "Stengel" zum Stängel, die "Gemse" zur Gämse und die "Greuel" zu Gräueln geworden waren. Manch einer schnäuzte ("schneuzte") sich überschwänglich ("überschwenglich") und sah sein Fachwissen bedroht. Die deutsche Sprache ist jedoch so kompliziert, dass jede Vereinfachung ihre Akzeptanz nur erhöhen kann.

Wenn früher Väter oder Lehrer doch einmal zum Rohrstock griffen, um uns den Hintern zu versohlen, war dieser Körperteil hinterher unter Umständen blau. Also heißen die zugehörigen Verben auch verbläuen oder einbläuen? Heute ja, damals nein. Mit den blauen Flecken, zu denen die Schreibweise umgangssprachlich gezogen worden ist, hat diese Tätigkeit primär nichts zu tun; "verbleuen" kommt vom althochdeutschen bliuwan (schlagen) und wurde deshalb bis 1998 mit "e" geschrieben.

Zu Recht angeglichen hat man die nicht angepassten Schreibweisen "mit Nummern numerieren, auf dem Platz plazieren" oder den "Tip auf dem Tippschein". Als Kind dachte ich immer, bei einem Albtraum laste ein ganzes Gebirge auf der Brust. Dabei kommt der Ausdruck von dem Alb, einem Naturgeist, der ein solches Albdrücken hervorruft, und nicht von den Alpen.

Und dann hätten wir da noch das Wort belämmert, das mit der Reform vom "e" zum "ä" wechseln musste und zum Schlagwort in der Rechtschreibdiskussion wurde. Schließlich komme "belämmert" nicht von den Lämmern, die auf der Weide stünden und belämmert nach der Mutter blökten, sondern sei 2. Partizip des niederd. Verbs belemmeren (hindern, lähmen).

Da ein Abc-Schütze diesen sprachhistorischen Hintergrund jedoch nicht beherrscht, blieb es beim "ä". Belämmert, in der Tat!

abendblatt.de 2.10.2012

Immerhin hat dieser Teil der „Reform“ Deutschlands Dichtern und Denkern zu neuen politischen Einsichten verholfen.

Mehr Schmachthagen weiter unten



eingetragen von Sigmar Salzburg am 29.08.2012 um 07.20

Deutschstunde
Die Lehre von der Leere


Peter Schmachthagen

Es gibt Wörter im Deutschen, die klingen gleich, sind es aber nicht. Dabei handelt es sich um die sogenannten Homofone (Schreibweise nach Duden-Empfehlung) oder meinetwegen auch Homophone . Ein Homophon ist ein Wort, das mit einem anderen gleich lautet, aber verschieden geschrieben wird, z. B. Lehre - Leere, Weise – Waise oder sogar dreifach Ferse - Verse - Färse …

[Homophone sind gleichklingende Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen, die aber sehr wohl auch gleich geschrieben werden können.]

Beim Sprechen hören wir keinen Unterschied. Allerdings benötigen wir den Satz, um dem Wort seine Bedeutung zuordnen zu können. Wenn der Chef beispielsweise diktiert: "Die Lehre ...", kann die Sekretärin noch nicht losschreiben; erst wenn er fortfährt: "... aus dieser bedauerlichen Angelegenheit ...", darf sie mit dem Tippen beginnen…

Falls wir aber den Kontext¹ nötig haben, um die Schreibweise festzulegen, brauchten wir eigentlich keine unterschiedliche Schreibweise, um den Text zu verstehen. Doch auch hier haben die Rechtschreibreformer, allen Behauptungen zum Trotz, nichts geändert. Es blieb beim Alten.

[Letzteres ist nicht ganz richtig. Die Phonetiker unter den Reformern hätten wohl gerne diese Unterschiede abgeschafft. Weil man aber erstmal den Fuß in der Tür haben wollte, hat man sich zunächst damit begnügt, „greulich“ mit „gräulich“ zusammenfallen zu lassen.]

[...]

Der Verfasser, 71, ist "Hamburgisch"-Autor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Sprach-Kolumne erscheint dienstags

abendblatt.de 28.8.2012

¹) Siehe auch Doris Ahnen und Peter Schmachthagen.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 11.08.2012 um 17.36

Klaus Scherer - Ich bin dann mal wieder da
Bis vor Kurzem war Scherer in Washington. Jetzt ist er wieder in Hamburg. Ein Gespräch über das Ankommen und den "Wahnsinn Amerika"

Hamburg. Das Gesicht ist einem sofort vertraut. Fünf Jahre war Klaus Scherer als Korrespondent der ARD in Washington, vor wenigen Tagen erst ist er nach Hamburg zurückgekehrt…
[…]
Was fiel Ihnen besonders schwer?
Scherer: Naja, ich war zuvor in Nordkorea, ich war auf den Philippinen, es gab dort Hungertote und Armut - und hier diskutierte man die Rechtschreibreform. Das hab ich nicht hingekriegt. Das konnte ich nicht so ernst nehmen, wie manche es ernst genommen haben. Heute ärgert mich die Rechtschreibreform auch.
[…]
abendblatt.de 11.8.2012


eingetragen von Sigmar Salzburg am 02.08.2012 um 12.07

Der unerschütterliche 96er-Reformgläubige „Peter Schmachthagen“ konnte zu dem auf unerklärliche Weise in „sein“ Abendblatt gerutschten Reformverriß natürlich nicht schweigen. Wegen der Unbedeutendheit bringen wir seine Einlassungen hier nur im Kleindruck, die aber wegen ihrer Dreistigkeit vollständig:

Debatte

Die Rechtschreibreform - ein Fortschritt

02.08.2012, 07:29 Uhr Peter Schmachthagen

98 Prozent der Einträge im Duden änderten sich durch die Umstellung nicht. Aber die Regeln sind seitdem klarer

Es gibt Themen, die hält man für erledigt und tief im Archiv verborgen, aber dann kommt jemand und zerrt sie wieder an die Öffentlichkeit: Barschels Tod in der Badewanne zum Beispiel, die jährlich neue Verschwörungstheorie über die Schüsse auf Kennedy - und nun der angebliche "Riesenfehler" mit der Rechtschreibreform, obwohl die alte, die von Konrad Duden persönlich als Vermächtnis hinterlassene Orthografie aus dem Jahre 1901 doch so klar, verständlich und von jedermann beherrschbar war, "klassisch" eben, was immer das auch bedeuten soll.

Das ist Unfug. Nach 15 Jahren, die ich mich beruflich mit dieser Thematik beschäftigen musste, gestatte man mir ausnahmsweise dieses deutliche Wort, um eventuell aufkeimenden Gerüchten von vornherein entgegenzutreten. Napoleon wird nachträglich die Schlacht von Waterloo nicht mehr gewinnen und Claudia Ludwig nicht die Debatte um die Rechtschreibreform, wenn sie es gestern an dieser Stelle auch versucht hat.

Die Rechtschreibreform war keine Gutschreibreform, das wäre wegen der Komplexität unserer Muttersprache auch nicht möglich gewesen, aber sie war erst recht keine Schlechtschreibreform. Nennen wir sie eine Besserschreibreform. Die Reformer versuchten, in den Wildwuchs des alten Regelwerks mit seinen unübersichtlichen Ausnahmen und auswuchernden Vorschriften etwas Ordnung zu bringen.

98 Prozent der Einträge im Duden änderten sich dabei 1998 übrigens nicht, und rund 90 Prozent der Änderungen bezogen sich auf die ss/ß-Regel, die sogar von den meisten Kritikern der Reform verteidigt wurde: nach kurzem Vokal ss (Fluss), nach langem Vokal (Fuß) oder nach Diphthong (heiß) ß. Es ging nicht darum, eine dritte Möglichkeit im Auslaut zu schaffen, sondern darum, die Rektion zu vereinfachen ¹): Musste Klein Fritzchen früher deklinieren: der Fluß, des Flusses, dem Fluß/Flusse, den Fluß, die Flüsse", so heißt es heute: einmal ss, immer ss. Wer das "bei bestem Willen und größter Anstrengung" nicht kapiert, der braucht in der Tat keine weitere Erleichterung.

Übrigens wurde die Rechtschreibreform nicht 2006, sondern bereits 1998/1999 eingeführt. 2006 wurde sie lediglich verschlimmbessert. Nachdem die Kultusministerkonferenz im Juni 2004 nach fünfjähriger Testphase die neue Rechtschreibung mit einigen leichten Korrekturen ("leidtun") abgesegnet hatte und die Deutsche Presse-Agentur sie so übernehmen wollte, erreichten einige Kritiker an einflussreicher Stelle, dass die Ministerpräsidenten erst einmal den Rat für deutsche Rechtschreibung einsetzten, den "Unrat" zu nennen nach seinen Ergebnissen erlaubt sein muss.

Dieser Rat legte den Kultusministern seine Ergebnisse ausgerechnet am Rosenmontag des Jahres 2006 vor, und der Sprecher eines Lehrerverbandes nannte diese Ergebnisse "den längsten Narrenzug der Republik". Da aber die bisherigen Schreibweisen nicht ersetzt wurden, sondern daneben bestehen blieben, kam es zu den beklagten fakultativen Schreibweisen im Duden. Der Duden unterlegt bei "Gewinn bringend/gewinnbringend" übrigens "gewinnbringend" mit gelber Markierung, sodass wir uns an diese Empfehlung halten und den Lesern ein weitgehend einheitliches Schriftbild bieten können.

Wenn aber beide Möglichkeiten amtlich richtig sind, ist nicht einzusehen, warum Klein Fritzchen Wörterbücher wälzen und schwere Lexika in die Schule schleppen sollte, um im Diktat keinen Punktabzug zu bekommen: Ob er nun so oder so schreibt, es wäre doch so oder so kein Fehler!

Die Reformer versuchten es mit klaren neuen Regeln, die hier heute nicht im Detail vorgestellt werden können. Ich habe früher einmal 40 alte Schreibweisen wie "toller Tolpatsch, numerieren, plazieren, Tip auf dem Tippschein, Stuck des Stukkateurs, einbleuen, in bezug, mit Bezug" herumgereicht, wobei nur "richtig" oder "falsch" angekreuzt werden sollte.

Hätte man gewürfelt, hätte man irgendwann 20 Treffer erreichen müssen. Die Beste war eine pensionierte Kollegin mit acht Richtigen. Wer behauptet, die alte Rechtschreibung habe keiner Reform bedurft, bei dem ist es ohnehin egal, ob er die alte oder die neue Rechtschreibung nicht beherrscht.

abendblatt.de 2.8.2012



¹) Gegen die „neue“ Heyse-ss-Schreibung hier nur Karin Pfeiffer-Stolz und meine eigene Kurzfassung.


eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.08.2012 um 09.24

Die Rechtschreibreform - ein Riesenfehler

Claudia Ludwig

Vor genau sechs Jahren traten die neuen Regeln in Kraft. Seitdem herrscht Verwirrung, beklagt die Autorin und Lehrerin

95 Jahre lang gehörte sie zu unserem Alltag: die "alte", die klassische Rechtschreibung. Wir lasen sie in allen Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Werbeanzeigen, auf Plakatwänden und in Gebrauchsanweisungen. Sie war uns vertraut, und sie war vor allem eins: einheitlich und eindeutig. Wer zweifelte, sah im Duden nach, und dann waren schnell alle Unklarheiten beseitigt, man konnte zum Tagesgeschäft übergehen.

Vier Generationen hatten sie erlernt. Großeltern schrieben, wie ihre Enkel es in der Schule lernten, konnten helfen, waren kompetent. Sekretärinnen, Lektoren, Menschen, zu deren Beruf die Schrift gehört, beherrschten sie, diese "alte" Rechtschreibung. Das war schon etwas wert!

Und dann beschlossen Politiker (wer eigentlich?), zwölf Sprachwissenschaftler zu beauftragen (mit welchem Recht eigentlich?), die Rechtschreibung zu vereinfachen (warum eigentlich?). Es begann ein zähes Ringen, denn jeder dieser Experten hatte Vorlieben, die er unbedingt realisiert haben wollte. Dann kam das Werk an die Öffentlichkeit. Ein Sturm der Entrüstung brach los, Gegner und Befürworter bekämpften einander. Es wurde diskutiert, verändert, mehrmals nachgebessert und schließlich verkündet: Am 1. August 2006 war die endgültige Fassung der "neuen" deutschen Rechtschreibung geboren: "moderner und viel einfacher".

Eines aber blieb in dem Trubel unbeachtet: Diese "neue" Rechtschreibung war und ist nur bindend für Behörden, Schulen, Universitäten, für alle Institutionen, deren oberster Dienstherr der Staat ist. Dieser Tatbestand bot die einzigartige Chance, die "Reform" zu stoppen. Es ist nicht passiert.

Und was haben wir jetzt? Wir haben mehr Vielfalt in den Schreibweisen, was allerdings für den Leser nicht unbedingt erfreulich ist. Wir haben eine Vielzahl an neuen Regeln, die auch bei bestem Willen und größter Anstrengung nicht mehr auswendig zu beherrschen sind. So sind z. B. aus zwei Möglichkeiten, das scharfe "s" am Wortende zu schreiben (alt: "s" oder "ß") drei Möglichkeiten geworden ("s", "ß" oder "ss") - eine Erleichterung?

Und schreibt man in klassischer Rechtschreibung eindeutig: "gewinnbringend, ausschlaggebend, alleinerziehend und herzerquickend", so bietet der neueste Duden folgende Schreibweisen an: "Gewinn bringend/gewinnbringend, ausschlaggebend, allein erziehend/alleinerziehend und herzerquickend". Alles klar?

Sicherheit beim Schreiben wird es so nie mehr geben. Und wozu führt das? Schüler feilschen mit Lehrern um die Schreibweise eines Wortes. Wörterbücher werden gewälzt und zur Schule geschleppt. Es geht ja immerhin um einen, vielleicht gar den ausschlaggebenden Punkt. Da es keine eindeutigen Schreibweisen mehr gibt, führt das zu wachsender Verwirrung bei allen Schreibenden, worauf die einen mit Gleichgültigkeit reagieren (Ich schreibe jetzt, wie ich will!), andere, die professionell mit Schrift umgehen, häufiger im Duden nachschlagen müssen. Und es gibt viele neue Fehler.

Unsere Situation heute ist somit die gleiche, die Konrad Duden vor mehr als hundert Jahren zu seiner Reform motivierte. Duden stellte entsetzt fest, daß in zwei nicht weit voneinander entfernten Schulen völlig unterschiedliche Schreibweisen gelehrt wurden. Flugs machte er sich - ganz Praktiker - ans Werk und erarbeitete eine Rechtschreibung, die vor allem ein Ziel hatte: die Schreibweisen zu vereinheitlichen, um das Schreibenlernen zu erleichtern.

Diese Einheitlichkeit hat die "Rechtschreibreform" nun endgültig zerstört. Dabei würde uns gerade heute - bei unserer vielfältigen Kommunikation - eine eindeutige, verläßliche Rechtschreibung hilfreich sein. Denn erst auf einer einheitlichen Basis kann man mit Sprache spielen, wie es uns die Amerikaner vormachen.

Aber vielleicht kommt sie ja wieder, die klassische Rechtschreibung - eines Tages, irgendwann? Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich immer zuletzt oder: Träumen darf man ja noch.

Die Autorin hat diesen Text in der bis 2006 gültigen Rechtschreibung geschrieben. ²)

Abendblatt.de 1.8.2012

¹) 1.8.1998 offiz. Einführung, 1.8.2005 „unstrittige“ Teile verbindlich gültig, 1.8.2006 reformierte Reform gültig, 1.8.2007 reformierte Reform verbindlich gültig, 1.8.2008 in Österreich, 1.8.2009 in der Schweiz.

²) Die traditionelle Rechtschreibung ist immer noch gültig. Nur für Behörden und Schulen konnte sie 1999 und 2005 vom Staat verboten werden. Oder meinen die Abendblättler „im Springer-Konzern gültig“?

Siehe auch hier
.




eingetragen von Sigmar Salzburg am 02.08.2011 um 12.04

Der ehem. Abendblatt-Chef und Reform-Fundamentalist „Schmachthagen“ alias Peter Meyer schlägt wieder zu:

Leider geriet die Reform 2004 in "einen geistigen Bürgerkrieg, politischen Separatismus und (eine) orthografische Guerillabewegung" (Eckhard Fuhr in der "Welt"), sodass der flugs eingesetzte (Un-)Rat für Rechtschreibung den Kultusministern überflüssige Korrekturen unterschob, aber das Bisherige stehen ließ…

Abendblatt.de 2.8.2011 ... zum Hintergrund: FDS Schmachthagen


eingetragen von Sigmar Salzburg am 27.04.2011 um 16.11

Fallada exklusiv: Die Verkäuferin auf der Kippe

Teil II der exklusiven Reihe: Über 80 Jahre schlummerten Falladas "Hamburger Miniaturen" unentdeckt in den Archiven der Staatsbibliothek.

... Nee, Hans ist schlapp. Der heult höchstens. Natürlich tut er mir leid, aber was soll ich dabei machen? Wenn er zu Vater läuft, der ist imstande und verhaut mich. Vater hat keine Ahnung von uns Mädels heute, daß muß doch alles so sein wie auf seiner Landstelle in Mecklenburg. Hätt er doch besser aufgepaßt in der Inflation, dann müßte ich heut nicht für 90 Mark ...
Also schön, Fräulein, wir machen jetzt Schluß. Und sieh dir das Crêpesatinkleid an. Goldig, sage ich dir. Diese Woche kriege ich's noch, wetten? Trudel! Trudel!! Schon weg. Na, denn nicht. Verkaufen wir also wieder Trikotagen.

Mit freundlicher Genehmigung des Aufbau Verlags

abendblatt.de 21.4.2011

Unreformierte Veröffentlichung, allerdings nicht ohne Fehl (Falladas?).


eingetragen von Sigmar Salzburg am 06.08.2010 um 06.22

Sofakunst
Matthias Politycki: Fremdschämen für die Kunst

Von Matthias Politycki 5. August 2010, 06:54 Uhr

Der Schriftsteller Matthias Politycki ließ sich einen Tag lang zum Teil eines Kunst-Projekts machen - mit einem Selbsterfahrungstrip auf einem Sofa.

[Foto]
Auch am Elbstrand stellte Künstler Josef Trattner sein Sofa für Autor Matthias Politycki auf.
Foto: Josef Trattner/Foto:Fritz Jaenecke

… Was Sofakunst im öffentlichen Raum für mich an potentiellen Verlegenheiten in petto führt, habe ich mir als geübter Fremdschämer weidlich ausgemalt. Dabei ist der Künstler, der sich mir vor Wochen augenzwinkernd als Michelangelo Trattner vorstellte und im Verlauf eines fidelen Abends in seinem Atelier zunehmend als Schaumstoff-Josef entpuppte, dabei ist der Künstler ein durch und durch sympathischer, freundlicher, obendrein witziger Mensch, der jeden Zwischenfall gewiß ganz ohne rote Ohren meistern wird; eigentlich könnte ich ganz entspannt sein.

[Fotostrecke]
Politycki auf Sofatour durch Hamburg

Denn er hat sie ja bereits gemeistert: All das, was bei Sofa-Installationen in österreichischer Berg- und europäischer Stadtlandschaft überhaupt an Reaktionen erfolgen kann, es ist bereits erfolgt, wie Trattner bereitwillig erzählt: von wütenden Protesten bis zur mutwilligen Zerstörung, vom sukzessiven Zerrupfen durch Tiere bis zum schlagartigen Platzverweis durch die Obrigkeit, von hartnäckiger Inbesitznahme durch Penner bis zum Versuch einiger Punks, das Sofa abzufackeln. Als Künstler, der im öffentlichen Raum agiert, muß man wohl starke Nerven haben, stärkere als ein Schriftsteller, der dort allenfalls inkognito Notizen macht und sich ansonsten möglichst unauffällig in Beobachtung übt. […]

Der Schriftsteller Matthias Politycki , Jahrgang 1955, lebt in Hamburg und München. Nach seinem viel beachteten "Weiberroman" (1997) schrieb er unter anderem den großen Kuba-Roman "Herr der Hörner", das Kreuzfahrt-Logbuch "In 180 Tagen um die Welt" sowie zuletzt die "Jenseitsnovelle". Voraussichtlich im Frühjahr erscheint bei Hoffmann und Campe "London für Helden", derzeit arbeitet Politycki an seinem nächsten Roman: "Samarkand Samarkand".
Politycki schreibt in alter Rechtschreibung.

abendblatt.de 5.8.2010


eingetragen von Sigmar Salzburg am 03.06.2009 um 08.08

Der bekannte Journalist Hermann Schreiber schreibt im reformistischen Hamburger Abendblatt am 30.5.09:

Unser Wortschatz soll in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 8000 Wörter zugenommen haben. Dass die alle "richtig" sind, wage ich zu bezweifeln.
Aber das ist kein Grund zur Resignation oder zu bösen Bemerkungen über den Niedergang der Sprache. Es sollte uns lieber daran erinnern, dass Sprache auch etwas Spielerisches hat, dass man mit Worten sogar lustvoll umgehen kann. Wie Colette zum Beispiel, die berühmte französische Schriftstellerin - "Gigi" zum Beispiel stammt von ihr. "Gewisse Wörter", schreibt ihr Biograf, "liebte sie um ihrer selbst willen, ganz unabhängig von ihrem Sinn. Sie liebte sie ihres Klangs wegen, aber auch wegen ihrer grafischen Form." Als Colette einmal gefragt wurde, ob sie für eine Rechtschreibreform sei, verneinte sie: "Ich möchte mir meine Wörter nicht zerstören lassen." Dem will ich mich gern anschließen.
(„Zungen wie von Feuer“)

Abendblatt.de 30.5.09

Mein erster Eindruck von den Wörtern der ss-Reform war: Die sehen ja aus wie Pfauen, denen man die Schwanzfedern ausgerupft hat!


eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.08.2008 um 04.37

Zehn Jahre danach: Lasst es endlich gut sein!

Mer Feler wegen Rechtschreibrevorm?

Von Peter Schmachthagen

Auf den Tag genau vor zehn Jahren wurde die Rechtschreibreform an den deutschen Schulen eingeführt, und Millionen von Schülern haben sie überlebt. Genau genommen handelte es sich nur um ein "Reförmchen", denn 98 Prozent der Schreibweisen aus der 20. Auflage des Dudens (alte Norm) wurden auch in die 21. Auflage (neue Norm) übernommen. Trotzdem erleichterten die neuen Regeln gerade Kindern und Ausländern das Lernen.

Wer behauptet, die früheren, im Laufe der Jahre seit 1901 metastasenartig ausgewucherten Regeln wären "klarer" gewesen und hätten sich "bewährt", der sagt entweder die Unwahrheit, oder bei ihm ist es eh egal, ob er die alte oder dieneue Rechtschreibung nicht beherrscht.

Es gibt Leute, die werfen noch heute mit orthografischen Nebelkerzen. Jeder Germanist hat sicherlich andere Vorstellungen, wie eine "Gutschreibreform" aussehen sollte, aber die Änderungen von 1996/98 können zumindest als "Besserschreibreform" bezeichnet werden.

Und dann gibt es Leute, die berufen sich auf fragwürdige Untersuchungen, nach denen die Rechtschreibfehler in Abituraufsätzen um 120 Prozent zugenommen haben. Das mag ja sein, die Frage bleibt nur, ob die Rechtschreibreform daran schuld ist und wie die Aufsätze nach alter Norm ausgesehen hätten. Um hier einen Vergleich ziehen zu können, hätten wir eine Kontrollgruppe zehn Jahre lang nach alter Rechtschreibung unterrichten und von der Reform abschirmen, sie andererseits aber der stetig zunehmenden Lese- und Schreibfeindlichkeit, dem Internet, dem Fernsehen, den PC-Spielen, der Handy-Sprache und den leistungsfremden Lehrplänen aussetzen müssen.

Genauso gut könnte ich eine Studie veröffentlichen, der Birnbaum im Garten meiner Urgroßmutter habe 1901 mehr Früchte getragen als der Apfelbaum heute vor meinem Haus.
Und schließlich gibt es noch den Rat für deutsche Rechtschreibung, dessen Vorsitzender Hans Zehetmair (CSU) die deutsche Sprache weiterentwickeln will: aus "Spaghetti" möchte er "Spagetti" machen. Guten Appetit, der Duden erlaubt beide Formen.

Nach zehn Jahren - lasst es endlich gut sein! Selbst Totalverweigerer der Reform haben inzwischen ihre letzte Festung verloren: die "Frankfurter Allgemeine" (FAZ) benutzt nun auch die neue Rechtschreibung.

Hamburger Abendblatt 1. August 2008
http://www.abendblatt.de/daten/2008/08/01/914990.html


Dazu Hintergrundmaterial: Wie Peter Meyer (Schmachthagen) vom Hamburger Abendblatt den Axel Springer Verlag auf Reformkurs brachte:

http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=712


eingetragen von Norbert Lindenthal am 14.06.2008 um 04.22



Hamburger Abendblatt 14.6.2008


Die Rechtschreibreform ist weiter ungeliebt: Nur neun Prozent haben sich laut Umfrage mit ihr angefreundet. Die Mehrheit ist (55 Prozent) dagegen.


eingetragen von Karl-Heinz Isleif am 21.08.2007 um 01.10

Nach der Lektüre dieses Artikels habe ich mich eines etwas älteren Ergusses erinnert, ihn wieder ausgegraben und leicht für die Gelegenheit hier aufpoliert. (Die Gedichtform ist zufällig. Sie bedeutet nicht, daß ich in irgendeiner Form zu Hans Flachs in Konkurrenz zu treten beabsichtige.)


Das Stammprinzip

Es grasten einmal Reh und Kuh
am selben Platz.
Da kam ein Spatz:
Wie konntet ihr ein 'h' am End plazieren?
und ohne 't' darin hier rumspazieren?
Ein Buchstab' nämlich, der nicht paßt,
an Stamm oder Ende,
ist so wie bei Hand und behende,
bei Reformern verhaßt.
Denkt an Delphin und Känguruh!


Ist Tieren ihr Buchstab' auch noch so lieb,
Tierquäler handeln selektiv.
Kein Argument zu primitiv.
(Denn wie der Gemse ihr fehlendes 'e'
tut jede Verstümm'lung natürlich weh.)
Das harmlose 'rauh', es sei uns Mahnung,
da weder Schuh noch froh noch roh
geopfert wurden. Es ist einfach so:
Wem's sprachlich gebricht an jeglicher Ahnung,
der kann sich berufen auf's Stammprinzip.

KHI


eingetragen von Sigmar Salzburg am 17.08.2007 um 17.45

Deutsch Test

Das Quiz zu Regeln und Fußangeln (13)

Von Peter Schmachthagen
Hamburg -

35. Die Älteren unter uns könnten denken, hier sei doch alles richtig . . .

[…]

Wie ist es richtig?
Deutsch-Test (13): Die Antwort
35.
Wer als letztes Bollwerk der alten Norm diese überholten Schreibweisen gebraucht, sollte sie zumindest seinen Kindern und Enkeln nicht zeigen. Seit dem 1. August gibt es dafür im Schuldiktat ohne Nachsicht dicke Fehler. Die Rechtschreibreform hat rund 40 Einzelschreibweisen dem Stammprinzip (Bändel wie Band, schnäuzen wie Schnauze) oder vergleichender Schreibweise angeglichen (Känguru wie Gnu oder Kakadu). Dazu gehören auch behände (wie Hand), belämmert (statt "belemmert"), Gämse (wie Gams), gräulich(wie Grauen), nummerieren (wie Nummer), Plattitüde (statt "Platitüde"), Stängel (wie Stange), Tipp (statt "Tip" wie tippen oder Tippschein) sowie überschwänglich (wie Überschwang). Alle Beispiele in der Frage 35 sind nach jetzt gültiger Schulschreibweise also falsch:
a) rau statt "rauh" wie schlau, grau, flau, lau, blau usw. Zur Zeit der Urgroßväter sollen die Lehrer das h in "rauh" ihren Zöglingen häufig mit dem Rohrstock eingebläut(damals: "eingebleut") haben. Selbst im germanistischen Oberseminar habe ich keine plausible Erklärung für die alte Schreibweise gehört, jedenfalls keine, die ein Grundschüler oder Ausländer nachvollziehen konnte. Deshalb jetzt: rau, Raureif, Raufasertapete.
b) platzieren statt "plazieren". Es war bis 1998 die reine Freude, immer und immer wieder das damals falsche t aus den Manuskripten zu streichen. Beim Eindeutschen des aus dem Französischen stammenden "placieren" hätte man besser gleich ein tz benutzen sollen - wie jetzt: Platz, platzieren, Platzierung.
c) Besonders toll war seinerzeit das tapfere Festhalten der Duden-Redaktion am "Tolpatsch" mit nur einem l. Man musste wissen, wusste es im Allgemeinen aber nicht, dass die Schreibweise auf das ungarische talpas, talp für "Sohle, Fußlappen, Fußsoldat" zurückging. Wenn die ungarischen Infanteristen oder Militärmusiker mit Fußlappen statt Schuhen an den Füßen durch Wien watschelten, so machten sie wahrscheinlich einen etwas breitbeinigen oder "tolpatschigen" Eindruck. Dieses Bild wird sicherlich nicht getrübt, wenn wir jetzt zwei l benutzen: der Tollpatsch, tollpatschig.

erschienen am 17. August 2007

http://www.abendblatt.de/daten/2007/08/17/783218.html

[Fast zwei Jahre lang mußten die germanistischen Tollpatschanhänger beim Abendblatt zähneknirschend die Absetzbewegung ihres obersten Chefs Matthias Döpfner von der „Rechtschreibreform“ mitmachen und konnten dies nur im Untergrund unterminieren. Jetzt sind sie wieder obenauf und spielen sich als Blockwarte der Nation auf. Unverkennbar ist die Genugtuung, daß nach 1000 Jahren endlich „behende“ an den Schulen als Fehler angekreidet werden darf – auf daß die Generation Golf den Schwachsinn „behänder“ Sportwagen bald nicht mehr erkennen kann.]




eingetragen von Sigmar Salzburg am 01.08.2007 um 10.10

RECHTSCHREIBUNG EIN STREIT, DER DEUTSCHSPRACHIGE SCHREIBER UND LESER FAST GESPALTET HAT, IST VON MITTWOCH AN ENDGÜLTIG BEIGELEGT

Nach zwanzig Jahren Diskussion: Die Reform der Reform ist unwiderruflich

Von Peter Schmachthagen
Hamburg -

Heute endet die allerletzte Übergangsfrist: Am Mittwoch, dem 1. August 2007, werden die Regelungen der Rechtschreibreform, wie sie die Kultusminister vor einem Jahr in Kraft gesetzt haben, bundesweit verbindlich sein.
Die deutsche Rechtschreibung, die 1901/02 vom Kaiser und Bundesrat genauso amtlich und "undemokratisch" verfügt worden war wie später die Rechtschreibreform angeblich von den Kultusministern, Ministerpräsidenten und Landesparlamenten, hatte nach Auffassung von Konrad Duden vom ersten Tag an Reform- und Ergänzungsbedarf.

Es dauerte jedoch bis zum 1. August 1998, bis eine Reform, die diesen Namen verdiente, an den Schulen und in den Behörden eingeführt werden konnte. Die Medien folgten größtenteils am 1. August 1999.

Die Probezeit sollte dann am 1. August 2005 enden. Anfang Juni 2004 bestätigten die Kultusminister diesen Termin und beschlossen nach Vorschlag der Zwischenstaatlichen Kommission die endgültige Reform-Fassung. Dem stimmten die Ministerpräsidenten am 29. Juli 2004 zu.

Dabei blieb es jedoch nicht. Eine Woche später kippte die Front. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" war bereits im Jahr 2000 zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt, nun traten andere Medienhäuser wie Axel Springer im letzten Augenblick gegen die Reform an. Der "Spiegel" und die "Süddeutsche" kündigten einen solchen Schritt an, vollzogen ihn aber nicht. Von Enzensberger bis Loriot meldeten sich Bedenkenträger, und selbst Ministerpräsidenten der Union wie Wulff, Stoiber oder Peter Müller bekamen kalte Füße. Jürgen Rüttgers versah seinen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen mit einer Attacke auf die Rechtschreibreform.

Als der orthografische Gegenwind und der Graben zwischen Alt-Schreibern und Reformunterstützern zum politischen Risiko zu werden drohte, konstituierte sich am 17. Dezember 2004 der Rat für deutsche Rechtschreibung, der die strittigen Punkte der Reform noch einmal erörtern sollte. Den Vorsitz übernahm der CSU-Politiker im Ruhestand Hans Zehetmair, dem wir als früherem bayerischen Kultusminister 1996 die Reform, wie sie war, wesentlich zu verdanken hatten.

Im Rat scheint es recht kontrovers zugegangen zu sein. Besonders der Erlanger Germanist Theodor Ickler, als Professor für Deutsch als Fremdsprache eigentlich auf ein schlankes Regelwerk verpflichtet, zeigte sich nach Meinung anderer Ratsmitglieder kompromissunfähig und trat aus dem Gremium aus.

Die Vorschläge des Rats, die sich auf Groß- und Kleinschreibung sowie auf Getrennt- und Zusammenschreibung beschränkten, fanden nicht nur Zustimmung. Von "Verschlimmbessern" war die Rede. Der Philologenverband protestierte, und als der Rat ausgerechnet am Rosenmontag 2006 der Öffentlichkeit die Rückänderungen präsentierte, sprach eine GEW-Funktionärin vom "längsten Narrenzug der Republik". Des jahrzehntelangen Rechtschreibstreits müde, stimmten die Kultusminister sowie die Ministerpräsidenten der Reform der Reform trotzdem zu und setzten sie zum 1. August 2006 mit einer Übergangsfrist von einem Jahr in Kraft. Auch Axel Springer kehrte zur Reformschreibweise zurück.

Der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair zog gestern Bilanz: "Es war nicht immer leicht", sagte er. "Ich habe versucht, der Sprache, die ich so sehr liebe, zu dienen. Unter den waltenden Umständen war es richtig und hat auch Sinn gemacht, obwohl es nicht vergnügungssteuerpflichtig war für mich."

Die wichtigsten neuen Regeln und Änderungen finden Sie morgen in Ihrem Abendbatt.

erschienen am 31. Juli 2007

http://www.abendblatt.de/daten/2007/07/31/777052.html

Dazu enthüllende Dokumente im FDS-Archiv:

Wie Peter Meyer (Schmachthagen) vom Hamburger Abendblatt den Axel Springer Verlag auf Reformkurs brachte


http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=712

(Nebenbei: Der Kaiser hat sich lt. Prof. Nerius bis 1911 geweigert, die Rechtschreibung von 1901 in seiner Reichskanzlei zuzulassen.)


eingetragen von Sigmar Salzburg am 20.01.2007 um 15.32

Was die Bezirksverwaltungsreform bringt
Mehr Effizienz und mehr Bürgernähe war das erklärte Ziel der Reformer in den vergangenen Jahren. Ob das klappt, wird die Zukunft zeigen.


Von Andreas Göhring

Wenn es irgendwo im Staate hakt, beobachten die Politiker dies eine Weile (gelegentlich auch Jahre oder gar Jahrzehnte) und kündigen dann eine Reform an. Wenig später gibt es dann Ärger - entweder weil die heilige Kuh "Besitzstandwahrung" zur Schlachtbank geführt wird, oder weil das, was letztlich im Reformeifer beschlossen wird, nicht mehr zu erklären ist (siehe: Gesundheitsreform). Oder weil das Gegenteil von dem erreicht wird, was erreicht werden sollte (siehe: Rechtschreibreform).

Gelegentlich kräht nach einer Reform aber auch kein Hahn - vermutlich weil die Ergebnisse niemanden interessieren. Wie zum Beispiel bei jener Reform, deren Name so lang ist wie der Zeitraum, in dem über sie diskutiert wurde. Gemeint ist die Bezirksverwaltungsreform.
[…]

erschienen am 10. Januar 2007


http://www.abendblatt.de/daten/2007/01/10/666521.html


eingetragen von Detlef Lindenthal am 09.08.2006 um 20.31

http://www.abendblatt.de/daten/2006/08/09/596052.html

>>Wichtige Hirnteile seien zerstört worden, dass Kind liege im Koma.<<

______

Ärztin und Zeitungsschreiber überfordert.
„... daß Kind liege im Koma“ wäre, so vermute ich, dem Verfasser aufgefallen. Nach der Umstellung bei Axel Springers Zeitungenverlag klappt es wohl nicht so recht mit der 50%igen Fehlereinsparung.
__________________
Detlef Lindenthal


eingetragen von Norbert Lindenthal am 08.10.2004 um 07.00



Freitag, 8. Oktober 2004

Politik

60 Prozent gegen neue Schreibweise

Allensbach/Berlin
- Die wieder aufgeflammte Diskussion über die Rechtschreibreform hat nach einer Allensbach-Umfrage dem Lager der Gegner Zulauf beschert. Gegen die neuen Schreibweisen haben sich im September 60 Prozent ausgesprochen. Im April waren es 49 Prozent. Nur noch 26 Prozent möchten die neue Rechtschreibung beibehalten.

Dessen ungeachtet schließen die Ministerpräsidenten eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung aus. Dies zeichnete sich gestern zum Auftakt von zweitägigen Beratungen der Länderchefs in Berlin ab. Auch für die Forderung von Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff (CDU) nach Aufschub des offiziellen Einführungstermins an den Schulen zum 1. August 2005 gab es keine Mehrheit. HA

erschienen am 8. Oktober 2004 in Politik


eingetragen von Dominik Schumacher am 05.10.2004 um 07.53

Dienstag, 5. Oktober 2004

Norddeutschland

Wulffs Solo um die Macht
Kündigung: Niedersachsen verläßt heute die Kultusministerkonferenz. Ein Mann sucht Profil - als Kompromißkandidat fürs Kanzleramt

Von Ludger Fertmann

Hannover
- Als Kultusminister von Niedersachsen hat Bernd Busemann (CDU) binnen anderthalb Jahren die radikalste Schulreform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland durchgepaukt. Er wird es verkraften, wenn er heute auf einer Pressekonferenz nur die zweite Geige spielt. Ministerpräsident Christian Wulff persönlich möchte berichten, daß Niedersachsen rechtlich verbindlich die Mitarbeit in der Kultusministerkonferenz aufkündigt. Mit seinen Vorstößen, erst gegen die Rechtschreibreform und dann gegen die Kultusministerkonferenz, hat Wulff Freund und Feind gleichermaßen überrascht. Was treibt ihn?

Wie der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder versuche auch Wulff, sich durch freche Alleingänge auf Kosten der eigenen Partei für höhere Aufgaben zu profilieren, mutmaßt eine Zeitung. Und ein Mitarbeiter der SPD-Fraktion frohlockt, Wulff mache die gleichen Fehler wie sein sozialdemokratischer Vorgänger Sigmar Gabriel, indem er sich ohne viel Nachdenken auf jedes vermeintlich populäre Thema stürze.

Tatsächlich reibt Wulff sich zielgerichtet an bildungspolitischen Themen, weil dieses Feld bundespolitisch quasi brachliegt. Der CDU-Vize kann so bundesweit seine Bekanntheit und Beliebtheit steigern, ohne sich gegen die Vorsitzende Angela Merkel zu positionieren.

Es gibt eine Parallele in Niedersachsen. Ende der 70er Jahre schaffte der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht beinahe den Sprung zur Kanzlerkandidatur, weil Helmut Kohl mit der Nominierung von Albrecht als Kompromißkandidat die Kandidatur von CSU-Chef Franz Josef Strauß verhindern wollte. Falls es so auch zwischen Angela Merkel und Edmund Stoiber kommt, ist Wulff der geborene Kompromißkandidat.

Und sonst gilt: Der Mann hat warten gelernt. Erst im dritten Anlauf, als es für Wulff mit nur 43 Jahren bereits um alles oder nichts ging, schaffte er Anfang 2003 den Sprung auf den Sessel des Regierungschefs. Mit jetzt 45 Jahren hat er also Zeit - und alle Optionen im Blick: auch ein Scheitern von Angela Merkel als Kanzlerkandidatin 2006.

Auf Nachfrage bestreitet Wulff zwar Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur selbst in den fernen Jahren 2010 und 2014. Aber das ist eine gefahrlose Festlegung. Die offene Feldschlacht gegen Konkurrenten ist ohnehin seine Sache nicht. Er kann nur nach Berlin gehen, wenn er gerufen wird. Solch ein Ruf würde ihn aller früheren Versprechen entledigen. Eben weil Wulff sich inzwischen für alle Eventualitäten positioniert, hat in Hannover auch schon ein leises Vordenken über die möglichen Wulff-Nachfolger begonnen. Vier Finger heben die Gesprächspartner gern hoch, wenn man nachfragt.

. David McAllister, 33jähriger Fraktionschef und Liebling der Partei, dürfte auf eine späte Entscheidung hoffen. Das Image eines trinkfesten und wortgewaltigen Angreifers allein reicht nicht, und der notwendige Rollenwechsel ins seriöse Fach wird Zeit kosten. Eingeleitet hat ihn McAllister vor wenigen Wochen auf einem Landesparteitag, als er sich selbst ungefragt als Fleißarbeiter pries, der nachts nach 23 Uhr noch am Schreibtisch sitzt und arbeitet: "Da ist dann im Landtag außer mir nur noch der Pförtner."

. Sozialministerin Ursula von der Leyen jongliert gekonnt mit der Doppelrolle als Tochter des früheren Ministerpräsidenten Ernst Albrecht und Mutter von sieben Kindern. Die 45 Jahre alte Ärztin dürfte aber noch eine weitere Karrieremöglichkeit im Auge haben: Gewinnt Angela Merkel 2006, hat von der Leyen gute Chancen auf einen Platz an ihrem Kabinettstisch in Berlin.

. Innenminister Uwe Schünemann dürfte wie McAllister hoffen, daß Wulff erst spät geht. Der 40jährige braucht nach kleineren Pannen bei der geplanten Verwaltungsreform erst echte Erfolge, um sich in Szene zu setzen.

. Kultusminister Bernd Busemann dagegen steht mit 52 Jahren glänzend da. Der Emsländer repräsentiert die CDU-Hochburg Weser-Ems und kann für sich reklamieren, daß er in Oppositionszeiten als einziger gewagt hat, sogar Wulff Paroli zu bieten.

erschienen am 5. Oktober 2004 in Norddeutschland


eingetragen von Norbert Lindenthal am 27.09.2004 um 09.07

Montag, 27. September 2004

Politik

Wulff schockt die Kultusminister
Kündigung: Die Kultusministerkonferenz sei ineffizient und zu teuer. Deshalb will Niedersachsen jetzt aussteigen


[Bild Wulff]
Will eine Reform der Kultusministerkonferenz erzwingen: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) Foto: dpa

Hamburg/Hannover - Die Bildungspolitik in Deutschland hat einen neuen Zankapfel. Das Land Niedersachsen will notfalls im Alleingang eine grundlegende Reform der Kultusministerkonferenz (KMK) erzwingen. Die überraschende Ankündigung von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), sein Land werde deshalb in dieser Woche den KMK-Vertrag kündigen, stößt aber wie sein vor wenigen Wochen gescheiterter Vorstoß für eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung auf weit mehr Kritik als Zustimmung - sogar in den eigenen Reihen.

Wirksam würde eine Kündigung mit dem Ende des Jahres 2005. In Frage gestellt wäre ohne Anschlusslösung die gegenseitige Anerkennung von Schulabschlüssen, für die die 16 Bundesländer wegen der Kulturhoheit allein zuständig sind.

So steht auch der Hamburger CDU-Senat der Kündigung kritisch gegenüber. "Es gibt sicher Anlass, Effizienz und Arbeitsgeschwindigkeit der KMK kritisch zu beleuchten. Beides ist optimierbar", sagte Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig dem Abendblatt: "Ob der Weg einer Staatsvertragskündigung das richtige Mittel ist, halte ich für fragwürdig."

"Abwegig" ist Wulffs Vorgehen für die schleswig-holsteinische Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD). Die neuen von der KMK entwickelten Bildungsstandards seien eine Beweis für die Handlungsfähigkeit der Behörde. Für Erdsiek-Rave ist Wulffs Vorgehen eine "absurde Reaktion" auf sein Scheitern bei der Revision der Rechtschreibreform. Kritik kam auch von der hessischen Kultusministerin Karin Wolff (CDU): "Im Zeitpunkt und in der Sache höchst schädlich."

Wulff verteidigte die Vertragskündigung. Er wolle die KMK nicht abschaffen, sondern reformieren. Dabei hat er erklärtermaßen gleich zwei Stoßrichtungen. Zum einen soll die Behörde schlanker werden. Sie sei derzeit "eine Bürokratie von 250 Leuten, die zum Teil nichts anders tun, als vom grünen Tisch aus Konzepte theoretisch zu entwerfen und dann gegen gewichtige Einwände zu verteidigen". Bis zu 35 Ausschüsse und andere Gremien hat etwa Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann (CDU) gezählt. Mindestens einen Teil von 2,5 Millionen Euro, die Niedersachsen derzeit zahlt, will Wulff stattdessen für zusätzliche Lehrer einsetzen.

Zum Zweiten will Wulff die KMK schlagkräftiger machen für rasche Reaktionen bildungspolitischer Herausforderungen durch Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips. Es müsse reichen, wenn 12 oder 13 Länder für einen Beschluss seien: "Sonst bestimmen dort die Verlierer-Länder der Pisa-Studie das Tempo."

Die KMK-Präsidentin und rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) warnte, mit seiner Kündigung gefährde Wulff "die Vergleichbarkeit und gegenseitige Anerkennung von Zeugnissen". Dies befürchtet auch der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Wenn die notwendige Einstimmigkeit für das Zustandekommen eines neuen Vertrages ausbleibe, gefährde dies nicht nur die Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen und Lehrerexamina: "Dann ist der gesamte Bildungsreformprozess gefährdet."

Schützenhilfe für Wulff kam vom Kulturrat, dem Spitzenverband der Bundeskulturverbände. Geschäftsführer Olaf Zimmermann verteidigt die Forderung nach Einführung des Mehrheitsprinzips an Stelle der einstimmigen Beschlüsse: "Nur so kann erreicht werden, dass nicht der Langsamste das Tempo bestimmt." Unterstützung kommt auch aus dem Saarland. "Wenn sich die Auflösung der KMK als der bessere Weg zur Selbstreform erweist, dann sollten wir diese auch durchführen", sagte Saarlands Kultusminister Jürgen Schreier (CDU). Die bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) sagte, notwendig sei nun eine sachliche Diskussion über die Neuordnung der KMK: "Wir wollen keinen zentralistischen Einheitsbrei in der Bildungspolitik. Wir brauchen Abstimmung zwischen den Ländern - sie muss aber effizient und unbürokratisch sein." fert/ubi/jmw

erschienen am 27. September 2004 in Politik

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Aufgaben vom 27. September 2004 (Deutschland)

Eine Schwatzbude, die niemand braucht vom 27. September 2004 (Deutschland)


eingetragen von Norbert Lindenthal am 25.09.2004 um 08.23

24. September 2004

Kultur / Medien

Kanzler versteht Reformgegner

Berlin - Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Verständnis für die Gegner der Rechtschreibreform gezeigt. Die Entscheidung über Änderungen sei jedoch Sache der Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder, sagte Schröder der "FAZ". Er sehe nur die Möglichkeit, dass der von den Kultusministern eingesetzte neue Rat für die deutsche Rechtschreibung bei der weiteren Umsetzung der Reform das eine oder andere Detail korrigiert. Es wird erwartet, dass die Kultusminister bei ihrem Treffen am 14./15 Oktober im Saarland den neuen Rat für die deutsche Rechtschreibung einsetzen. Bei dem Rat sollen auch Kritiker der Reform mitarbeiten. dpa

erschienen am 24. September 2004 in Kultur / Medien
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Norbert Lindenthal


eingetragen von Norbert Lindenthal am 12.08.2004 um 15.23



Donnerstag, 12. August 2004

Kultur / Medien

Zurück zu einem Neuanfang
Rechtschreibung: Die Geschichte der Reform und was von ihr am Ende übrig geblieben ist

Von Fee Isabelle Lingnau

Hamburg - Geradezu babylonisch ist das Stimmengewirr um die Rechtschreibreform, seit der Verlag Axel Springer der Spiegel-Verlag und der Süddeutsche Verlag am vergangenen Freitag beschlossen haben - wie die FAZ - zur Rechtschreibung vor 1998 zurückzukehren. Die einen wollen die "alte" Rechtschreibung, die anderen die "neue", und wieder andere wollen ganz anders schreiben. Die Rechtschreibreform erhitzt die Gemüter. Was will sie? Wie ist sie zu Stande gekommen?

Die Geschichte der Rechtschreibung und ihrer Reform beginnt um 1870. In den einzelnen deutschen Ländern gibt es keine festen Schreibregeln, was spätestens seit der Reichsgründung 1871 als störend empfunden wird. Der Wunsch nach einer einheitlichen Schreibung entsteht. Die erste Regelung versucht 1880 das "Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache" von Konrad Duden, der so genannte "Urduden". Dieser bildet auch die Grundlage der ersten Rechtschreibreform von 1901. Der Duden wird zum Regelwerk der deutschen Schriftsprache.

Seitdem verändern sich die Regeln mit dem Usus im Volk. Der Duden ist also eine beschreibende, nicht aber vorschreibende Instanz. Gesetzlich wird die Rechtschreibung nie geregelt - bis heute kann theoretisch jeder schreiben, wie er will. Nur rechtliche Organe und Schulen sind verpflichtet, den Rechtschreibregeln zu folgen.

Im Laufe der 70er-Jahre entsteht unter Germanisten, Lehrern und Politikern die Meinung, dass sich die Schreibregelung zu einem komplizierten Gewucher verwachsen hat, das dringend gelichtet werden müsste. Außerdem gibt es keine gesamtdeutschsprachige Schreibregelung: In Deutschland schreibt man anders als in der Schweiz oder in Österreich. Die Idee einer (zweiten) Rechtschreibreform kommt auf.

Die "Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung", die eine für den deutschsprachigen Raum einheitliche Rechtschreibung entwickeln soll, wird 1987 im Auftrag der Kultusministerkonferenz (KMK) gegründet. Zwölf Germanisten aus der Schweiz, der DDR, der BRD und Österreich sollen eine Orthografie erarbeiten, die für den gesamten deutschsprachigen Raum gültig ist. Die Schreibung soll zukünftig ausschließlich nach grammatischen Gesichtspunkten entschieden werden, die Getrenntschreibung soll klarer geregelt werden - last but not least soll die Rechtschreibung aus dem Machtbereich des Duden in öffentliche Hände übergehen.

Als die "Zwischenstaatliche Kommission" ihre ersten Entwürfe vorlegt, beginnt die Verwirrung. Zwar wird die Anzahl der Schreibregeln halbiert. Doch ist es fraglich, ob beispielsweise grammatische Regeln allein maßgeblich für die Schreibweise sein sollten oder ob dadurch die Semantik (die Bedeutung) von Wörtern oder Wortgruppen belastet wird.

An den Diskussionen möchte sich nun jeder beteiligen, auch wenn er oft nur glaubt, etwas davon zu verstehen. Politiker, Schriftsteller, Lehrer, Lektoren, Eltern und Journalisten echauffieren sich. Die Folge: Die Reform verwässert und wird inkonsequent. Die ständigen Nachbesserungen tragen bei den Bürgern nicht gerade zum Vertrauen in die Rechtschreibreform bei - geschweige denn zum Glauben an ihre Notwendigkeit. Zu viele Stifte haben diese Reform verkrakelt.

Unterdessen plädiert die Akademie für Sprache und Dichtung für einen Kompromiss. Die Institution schlug gestern einen Rückbau umstrittener Regelungen vor unter Beibehaltung einzelner Verbesserungen; den Schreibenden sollten außerdem Freiheiten gelassen werden.

erschienen am 12. August 2004 in Kultur / Medien


eingetragen von Norbert Lindenthal am 10.08.2004 um 21.27



Dienstag, 10. August 2004

Politik

Volksabstimmung über die Rechtschreibung?
Forderung von 70 Rechtsprofessoren


Berlin/Hamburg - In der Debatte um die künftige Rechtschreibung hat sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gegen eine Rücknahme der Reform gewandt. "Es gibt seitens der Bundesregierung keine Überlegungen, die Rechtschreibreform rückgängig zu machen", sagte Vize-Regierungssprecher Hans-Hermann Langguth gestern.

Die Axel Springer AG bleibt bei ihrer Entscheidung zur Rückkehr zur klassischen Rechtschreibung. "In etwa vier Wochen" werde auf die alten Regeln umgestellt, sagte Unternehmenssprecherin Edda Fels. Bei der "Süddeutschen Zeitung" werde "intern diskutiert, ob und welche Regelungen der neuen Rechtschreibung bei der Rückkehr zur alten beibehalten werden", sagte Sebastian Lehmann, Sprecher des Süddeutschen Verlags. Auch der Spiegel-Verlag will künftig auf Basis der alten Regeln schreiben. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) rief die Medien zu einer einheitlichen Linie bei der künftigen Rechtschreibung auf.

Der deutsche Schriftstellerverband PEN verlangte erneut eine möglichst schnelle Rücknahme der neuen Orthografie. Der Deutsche Lehrerverband und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels forderten lediglich eine schnelle Einigung.

Rund 70 Rechtsprofessoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz forderten eine Volksabstimmung. Der Sprecher der Initiative, der Münchner Rechtsanwalt Johannes Wasmuth, sagte, die Entscheidung über die Reform müsse den Kultusministern genommen werden. Das Grundgesetz sieht solche bundesweiten Volksentscheide aber nicht vor.

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Doris Ahnen (SPD), wandte sich gegen eine Volksabstimmung. Sie verwies erneut auf den "einstimmigen Beschluss" in der KMK, die Rechtschreibreform nach mehrjähriger Übergangszeit zum 1. August 2005 verbindlich zu machen.

Die Kultusministerkonferenz wird sich am 14. und 15. Oktober abermals mit der Rechtschreibung befassen, eine Woche zuvor tagen die Ministerpräsidenten. Die Schweiz drängt Deutschland, an der Reform festzuhalten. "Mehrere gleichzeitig gültige Rechtschreibungen wären fatal", erklärte die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Die österreichische Regierung betonte, die neue Rechtschreibung sei gut angenommen worden. Zum weiteren Vorgehen wolle man ein Treffen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz Ende August abwarten. (HA)

erschienen am 10. August 2004 in Politik

weitere Artikel zum Thema:
Rechtschreibreform vom 10. August 2004 (Deutschland)


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