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-- Süddeutsche Zeitung (http://Rechtschreibung.com/Forum/showthread.php?threadid=103)


eingetragen von Fritz Koch am 30.09.2004 um 10.29

und ich verrate es nicht, daß sie

am 28.9.04 auf Seite 4 einen Bericht "Hallo, ich bin auch noch da!" über Herrn Wulff

und auf Seite 5 einen Bericht "Unionsregierte Länder gehen auf Distanz zu Wulff"

und am 29.9.04 auf Seite 4 einen Bericht "Die Bildungsfürsten"

und auf Seite 6 einen Bericht "Wulff erhält Unterstützung"

gedruckt hat.


eingetragen von Walter Lachenmann am 05.01.2004 um 17.34

(Leserbrief zu Lothar Müller: Im Krater des Olymp. Zur Neuedition von Thomas Manns »Lotte in Weimar«, SZ vom 3./4.1.2004, und: Das Urteil von Frankfurt, SZ vom 8.10.2003)

»[Der Herausgeber] ... bewahrt zugleich den Reiz der zwittrigen Orthographie Thomas Manns, in der sich nach durchaus laxen Gesetzen die Mimikry mit dem frühen 19. Jahrhundert und die Schreibgewohnheiten des im späten 19. Jahrhundert sozialisierten Autors mischen.«
(SZ 3./4.1.2004)

Bei Thomas Mann entdeckt Lothar Müller den Reiz der authentischen, vom Autor gewollten Orthographie, die hier auch, wie es sich für einen gebildeten Literaten gehört, mit ph geschrieben wird. Wenn in ihrem Aufruf zur Frankfurter Buchmesse Schriftsteller wie Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Reiner Kunze, Siegfried Lenz, Adolf Muschg oder Sten Nadolny darauf bestehen, daß ihre Texte in der von ihnen bewußt gewählten, bewährten Rechtschreibung veröffentlicht werden, hat derselbe Literat dafür allerdings nur süffisanten Spott übrig (SZ vom 8.10.2003). Den Gegenbeweis für die Kritik, »die neuen Regeln seien minderwertig und erschwerten den präzisen sprachlichen Ausdruck«, meinte Lothar Müller mit seinem in der Tat nicht unverständlichen, wenn auch sowohl sprachlich als auch hinsichtlich journalistischer Redlichkeit eher ehrgeizlosen eigenen Text geführt zu haben: »Damit ist diesem Text das Urteil gesprochen«.
Offensichtlich sind es gerade die »laxen Gesetze«, der »Reiz der zwittrigen Orthographie«, die Lothar Müller an der neuen Rechtschreibwirklichkeit so schätzt. Die Quintessenz der Reformproblematik bringt er mit der ganzen Autorität des kompetenten SZ-Feuilletonisten in scharfsichtiger Analyse so auf den Punkt: »Die Rechtschreibreform hat bis auf weiteres die parallele Zirkulation von „daß“ und „dass“, „rau“ und rauh“ etc. eingeführt. Der Pulverdampf des Streites über die Einzelheiten wie das Ganze hatte sich in jüngster Zeit ein wenig verzogen. Schreibweisen und Interpunktionen zirkulierten eher unaufgeregt parallel, in ermattet friedlicher Koexistenz.«
Genau wie bei Thomas Mann also, aber eben: ermattet. Dies kommt vielleicht daher, daß nicht sprachbewußte Autoren, sondern eilfertige Redaktionen bzw. ihre Computer dafür sorgen, daß orthographische Zwitter und Kuriositäten selbst in unseren Intelligenzblättern weniger in friedlicher Koexistenz als in resignierter Wurschthaftigkeit zirkulieren. Ob solche Texte auf spätere Philologen dereinst einen ähnlichen Reiz ausüben werden wie Thomas Manns orthographische Eigenwilligkeiten auf den sprachlich so sensiblen Feuilletonisten Lothar Müller – wer weiß?

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Walter Lachenmann


eingetragen von Walter Lachenmann am 10.12.2002 um 20.28

Es ist ein abgeschickter Leserbrief. Eine Veröffentlichung sollte mich wundern - aber man weiß ja nie.
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Walter Lachenmann


eingetragen von J.-M. Wagner am 10.12.2002 um 20.12

Dieser Leserbrief -- ist er wirklich abgedruckt worden, oder steht er hier nur als Dokumentation dessen, was die SZ "verschweigt" (bzw. unterdrückt -- aber das ist eine polemische Unterstellung)? Ich vermute mal letzteres; aber um Mißverständnisse zu vermeiden, sollte man so etwas besser dazuschreiben...
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Jan-Martin Wagner


eingetragen von Walter Lachenmann am 09.12.2002 um 13.22

Vorbilder des Journalismus

Die Süddeutsche Zeitung hat eine Serie begonnen: »Aufmacher. Vorbilder des Journalismus«. Das macht Hoffnung, daß auch ihre eigenen Verantwortlichen sich in unserer Zeit der medialen Verwilderung und Verblödung in besonderem Maße auf ihre journalistische Vorbildfunktion besinnen wollen. Dabei darf man nicht ungerecht sein: In der Süddeutschen Zeitung schreiben regelmäßig einige der besonnensten, klügsten und unerschrockensten Journalisten der deutschsprachigen Publizistik.

In der Ausgabe vom 9. Dezember 2002 etwa schreibt Herbert Riehl-Heyse über Kurt Tucholsky. Es ist ein liebevoller und etwas trauriger Text über einen Kollegen, den er wohl viel zu sehr verehrt, um sich jemals anzumaßen ihm nachzueifern, und wer Riehl-Heyses Texte über einen längeren Zeitraum gelesen hat, weiß auch, wie unnötig dies gewesen wäre, denn er hat ja eine ganz eigenständige Stimme, die man neben derjenigen Tucholskys gar nicht missen möchte: von ernster Heiterkeit, durch Skepsis gebremsten Humor und andachtsvoller Respektlosigkeit. Sein Beitrag ist wie eine vor der Schwarzen Muttergottes in Altötting angezündete Kerze, eine Rosenkranzperle des frommen Skeptikers; dieses späte Sterbebuidl beglückt und rührt auch den Protestanten.

Und es macht Hoffnung. So zitiert er Tucholsky, den die Frage bedrückt hat, ob er mit seiner Arbeit »auch nur einem einzigen sadistischen Bürokraten« habe das Handwerk legen können.

Tucholsky mag sich das mit Recht gefragt haben, und seine Möglichkeiten waren damals sicherlich dazu gering. Aber die Süddeutsche Zeitung könnte mit einer ziemlich leicht umzusetzenden Entscheidung einer ganzen Riege von weniger sadistischen als verbohrten und dummen Bürokraten das Handwerk legen und damit zugleich nicht nur die Mehrzahl ihrer eigenen Leser sondern der deutschen lesenden und schreibenden Bevölkerung von einer beschämenden und lähmenden Last befreien, wenn sie dem Beispiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie der angesehensten deutschen Schriftsteller folgen und sich wieder der bewährten deutschen Rechtschreibung befleißigen würde.

So wäre die Süddeutsche Zeitung wirklich ein »Vorbild des Journalismus« und könnte mit mehr Selbstbewußtsein als resignierter Trauer über die vorbildlichen Kollegen der Vergangenheit berichten.

Um Riehl-Heyse zu zitieren: Es wäre »ein Wunder - übrigens ein ermutigendes«.

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Walter Lachenmann


eingetragen von Walter Lachenmann am 27.12.2001 um 00.29

Brief an Herrn Hermann Unterstöger, Süddeutsche Zeitung


Betrifft: Würdig war es und recht (SZ-Weihnachtsausgabe)


Sehr geehrter Herr Unterstöger,

auf die Gefahr hin, daß ich bei Ihnen im Hause schon als Dauerbriefschreiber verschrieen bin, was aber vielleicht gar nicht der Fall ist, weil Ihre Poststelle vielleicht schon angewiesen ist, alle von mir kommende Post gleich in den Schredder zu stecken, möchte ich Ihnen zu Ihrem oben genannten Beitrag einige Gedanken mitteilen.
Da nennen Sie die Rechtschreibreform »das andere große Schmerzthema«, und in der Tat ist es dieses. Leider vernachlässigen Sie dann die Sachlichkeit, wo Sie »die Lage« »kurz skizziert« darstellen. Die »Doppelschreibung« hat sich keineswegs aus der Rückkehr der FAZ zur alten Rechtschreibung ergeben, sondern sie besteht völlig unabhängig von diesem Vorgang seit der Einführung der Reform. Zum einen schreiben die meisten Menschen, die nicht beruflich zur neuen Schreibung angehalten sind, weiterhin so wie sie es gelernt haben, und wenn Sie sich anschauen, wie es die Buchverlage handhaben, so werden Sie feststellen, daß so gut wie alle seriöseren Verlage, deren Bücher eine literarische Qualität oder eine längere Wirkungsdauer beanspruchen, bei der alten Rechtschreibung geblieben sind (Suhrkamp, Hanser, Beck, Ammann, Wagenbach, Diogenes, Aufbau usw.), andere wieder publizieren in verschiedenen Orthographien, aber meistens dann in der nicht reformierten, wenn an den Text höhere Ansprüche und eben die Erwartung einer längeren Nutzungs- und Wirkungsdauer gestellt werden. Auffällig ist das beim »Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel«. Alle tagesaktuellen Sachen sind in einer abgemilderten Reformorthographie gehalten, alles was dafür gedacht ist, daß es auch noch von späteren Generationen gelesen wird, also die Beilagen »Buchhandelsgeschichte, Antiquariat, Archiv« usw. sind unreformiert. C.H. Beck bleibt auch deshalb bei der herkömmlichen Orthographie, weil sonst die Eindeutigkeit der Gesetzestexte bzw. der Kommentare gefährdet werden könnte bzw. Widersprüche im Fachvokabular entstehen. So hat sich Beck dieser Tage bei der Redaktion des Bundesgesetzblattes über die Schreibung »aufwändig« beschwert, weil dies nicht plausibel ist im Zusammenhang mit der unter Juristen üblichen Terminologie, wo man nicht von »Aufwand« (was ja schon der abgeleitete Begriff ist, von dem nun wiederum das dußlige »aufwändig« abgeleitet werden soll) spricht, sondern von »Aufwendungen«. Soll das nun auch »Aufwändungen« geschrieben werden? Sie wissen selbst, daß die Reform eine Unzahl solcher unsinniger Dinge zutage gefördert hat, Sie müssen ja nur Tag für Tag Ihre eigene Zeitung lesen.

Als »nationale Spaltung« hat noch kein ernstzunehmender Reformgegner das Problem mit der neuen Rechtschreibung bezeichnet. Wenn Sie Ihre Leser dies glauben machen wollen, mißbrauchen Sie Ihre Autorität des Journalisten, dem man eine besondere Informiertheit unterstellt, stellen die Reformgegner als nationale Spinner hin, und Sie verfälschen das wahre Anliegen, das sehr wohl ein kulturelles ist, aber nicht im unterstellten Sinne ein »nationales«. »Beide Varianten werden zügig weggelesen« - damit sagen Sie in Wirklichkeit überhaupt nichts (wie geht eigentlich »weglesen«?), aber der Eindruck wird erweckt, der heutige Leser lese über alle orthographischen Formen sowieso hinweg, es käme also darauf überhaupt nicht an, oder er akzeptiere alle gleichermaßen. Und dann behaupten Sie noch etwas völlig Falsches, nämlich die Reform habe die »ohnedies verbreitete Rechtschreibunsicherheit offenbar potenziert«. Dabei gab es vor der Reform doch gar keine nennenswerte Rechtschreibunsicherheit, und das wissen Sie genauso gut wie ich! Jede Sekretärin hat so gut wie fehlerfrei geschrieben, auch die meisten Journalisten und Autoren, und die ansonsten in Schriftstücken aller Art vorkommenden Rechtschreibfehler waren minimal, schon gar im Vergleich zu der jetzigen Situation. Ich könnte Ihnen Rechnungen zeigen über Korrekturkosten, die bei Verlagen entstanden sind, nur weil in »neuer« Rechtschreibung gelieferte Manuskripte weder neu noch alt, sondern schlichtweg chaotisch abgefaßt waren. Das gab es vorher nicht. Im Augenblick hatte ich das Vergnügen, einen »reformiert« verfaßten Text wieder in »alt« zurückzukorrigieren, weil es sich um ein Geschichtswerk handelt, das auch für spätere Leser den Anstrich der Zeitlosigkeit haben, also nicht veraltet wirken soll. Und die von Ihnen immerhin eingeräumten Narreteien gab es vor der Reform schon gar nicht.

Wie der Teufel das Weihwasser scheinen Sie und Ihre Kollegen die Idee des angesichts dieser Situation einzig vernünftigen Weges zu scheuen: die Rückkehr zu den bewährten Regeln, zu der Orthographie, in der die gesamte Literatur, das gesamte Wissen der letzten Jahrhunderte überliefert ist. Stattdessen meinen Sie, man solle »aus prima und seconda prat(t)ica etwas gebrauchsfähiges Drittes destillieren.« Als ob es das »Gebrauchsfähige« nicht schon seit über 100 Jahren gäbe!

Es geht mir nicht in den Kopf hinein, warum die SZ-Journalisten, die von mir über Jahrzehnte für ihre Klugheit und ihren pragmatischen Verstand, auch für ihren Mut in heiklen Diskussionen geschätzt worden sind, hier, wo ihre eigene Arbeit in einer ganz substantiellen Dimension betroffen ist, sich so bemühen, dem Affenjäckchen partout einen Sinn und Reiz abzugewinnen. Kein Schreiner würde sich sein Handwerkszeug und seine Materialien so verderben lassen, wie man es den Journalisten mit ihrem ureigensten Medium, der Sprache, zumutet. Die finden sogar noch beschönigende Worte für ihre professionelle Erniedrigung. Ich weiß, daß wie ich viele Ihrer Leser tief hiervon enttäuscht sind. Eine Hoffnung schließe ich diesem Brief nicht an. Die SZ hat die Chance vergeudet, sich hier in ihrer traditionellen Intelligenz und Unabhängigkeit zu qualifizieren, sie wird jetzt nicht mehr zugeben wollen, daß sie einen riesigen Fehler gemacht hat. Ich werde auch auf diesen Brief, wie auf alle anderen, keine Antwort bekommen. Darauf kann man sich seinen Vers ja machen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Walter Lachenmann
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Walter Lachenmann


eingetragen von Jörg Metes am 18.09.2001 um 16.16


Von: Suhrkamp Verlag
An: Jörg Metes

19.9.01 (per Email)

»Sehr geehrter Herr Metes,

wir freuen uns stets, wenn unsere Bücher (in diesem Fall Texte) von aufmerksamen und kritischen Leserinnen und Lesern begleitet werden; vielen Dank für Ihre Mails zum Abdruck von Adornos "Minima Moralia" in der Süddeutschen Zeitung, die mir leider erst heute weitergeleitet wurden.

Natürlich haben wir der neuen Rechtschreibung beim Abdruck nicht zugestimmt. Aufgrund von herstellerischen Techiken scheint es aber der Süddeutschen nicht möglich, einen Text, der neu erfaßt werden muß, in alter, das heißt, richtiger Orthographie zu bringen. Unsere Hinweise diesbezüglich konnten, so die Zeitung, nicht umgesetzt werden. Hätten wir darauf bestanden, hätte die Serie eingestellt werden müssen, auch dies wollten wir nicht: nicht zuletzt wegen der Leser. Ein Dilemma, das wir nur in unseren eigenen Bücher lösen können. Sollten wir die Serie als Taschenbuch veröffentlichen, werden wir Adorno selbstverständlich in der Adornoschen Orthographie drucken.

Ich hoffe aber, daß die Kurzweil bei der Lektüre insgesamt den Ärger überstimmt hat.

Mit freundlichem Gruß
Wolfgang Schneider

Wolfgang Schneider
Suhrkamp Verlag
Tel:069-75601-235/Fax:-314«


eingetragen von Jörg Metes am 17.09.2001 um 11.33

Von: Jörg Metes
An: Süddeutsche Zeitung
27.08.01 (per Email)

»Betreff: Neue deutsche Rechtschreibung

Sehr geehrte Damen und Herren,

vor zwei Wochen habe ich per Email schon einmal beanstandet, daß in Ihrer Serie "Minima Moralia" die Texte Theodor W. Adornos nicht so wiedergegeben werden, wie es sich gehört. Sie werden mit Korrekturen wiedergegeben, die der neuen deutschen Rechtschreibung folgen. Ich habe Sie darauf hingewiesen, daß das nun gerade nicht die Art ist, in der Adorno selbst mit fremden Texten umzugehen pflegte. Ich habe Sie außerdem darauf hingewiesen, daß Sie die neue Rechtschreibung nicht einmal korrekt umsetzen, sondern mehrfach auch Schreibweisen unkorrigiert lassen, die den neuen Regeln zufolge falsch sind ("Mißform" statt neu: "Missform", "zuviel" statt neu: "zu viel"; "das Essentielle" statt neu: "das Essenzielle").

Mein Schreiben hat Sie leider nicht von Ihrer Linie abbringen können. Sie haben weiterhin etwa "daß" zu "dass", "selbständig" zu "selbstständig" und "stehenbliebe" zu "stehen bliebe" korrigiert, aber ebenso weiterhin andere Schreibweisen, die gleichfalls den neuen Regeln zufolge falsch sind, stehengelassen: zum Beispiel "sinnverleihende" (richtig wäre jetzt: "Sinn verleihende"), "des Immergleichen" ("des immer Gleichen"), "einem schon Daseienden" ("einem schon da Seienden").

Wenn Sie das eine aber in der herkömmlichen Rechtschreibung stehenlassen - warum dann nicht auch das andere? Nach welchen Überlegungen oder Richtlinien gehen Sie vor? Gibt es überhaupt Überlegungen oder Richtlinien, oder gibt es nur ein mangelhaftes Korrekturprogramm, durch das alle in der SZ erscheinenden Texte gleichwohl hindurchmüssen? Wenn letzteres die Erklärung ist - wie aber kommt es dann, daß andererseits die in der SZ-Serie "Stadtansichten" zitierten Schriftsteller allem Anschein nach nicht in die neue Rechtschreibung übersetzt werden? Wenn Sie Oskar Panizza ein "laßt", ein "bißchen" und ein "ißt" stehenlassen können und Franz Hessel sogar ein "daß" - warum um alles in der Welt dann aber nicht einem Theodor W. Adorno?

Für Aufklärung wäre ich Ihnen wirklich dankbar.

Mit freundlichen Grüßen
Jörg Metes«



Von: Süddeutsche Zeitung
An: Jörg Metes
30.08.01 (per Email)

»Betreff: Adornos Texte

Sehr geehrter Herr Metes,

in der Regel passen wir unsere Texte der neuen Rechtschreibung an, aber wir haben sie nicht ausnahmslos in allen Punkten übernommen.
Die große Gemeinde der Anhänger Adornos und der kritischen Theorie hatten [sic] bisher keine Einwände gegen die Anpassung an die neue Rechtschreibung. Allerdings müssen wir einräumen, dass es bisland [sic] noch nicht einheitlich so gehandhabt wird, wir [sic] man auch an den von ihnen [sic] zitierten Beispielen sieht. Auf Dauern [sic] kann diese Halbherzigkeit natürlich keinen Bestand haben.

Mit freundlichen Grüßen

i.A. Nadja Henle
Sekretariat Dr. Zielcke
Feuilleton«

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(Ich habe nachgehakt, aber noch keine weitere Antwort bekommen, ebensowenig wie auf mittlerweile drei Anfragen beim lizenzgebenden Suhrkamp Verlag. Was die SZ-Serie "Stadtansichten" angeht - eine Serie über die Stadt München in der Literatur -, so gab es in der zwar Folgen, in denen wie oben gesagt korrekt zitiert, aber ebenso auch Folgen wie die über den 1998 gestorbenen Büchner-Preisträger Hermann Lenz, in der ein "daß" wieder als "dass" zitiert wurde. Lenz war auch Mitunterzeichner der "Frankfurter Erklärung".)


eingetragen von Walter Lachenmann am 12.09.2001 um 06.01

Die SZ kündigte diesen Film, der gestern bei ARD gezeigt wurde, falls man das Programm nicht wegen der Ereignisse geändert hat, mit u.a. den folgenden Worten an:

Bulettenverkäufer Engelbrecht hasst Hunde - schlechte Vo-raussetzung für den zweiten Frühling mit der Tier liebenden Dame. Eine pfiffige Groteske.

Nun: Grotesk ja, pfiffig weniger.

Denn wenn ich diesem Schunde huldig',
dann sind doch nicht die Hunde schuldig!
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Walter Lachenmann


eingetragen von Walter Lachenmann am 10.09.2001 um 08.58

Exzesse einer verwilderten Orthographie

Erst mochte ich meinen Augen nicht trauen: In der »SZ am Wochenende« vom 8./9. September 2001, in einem feuilletonistischen Beitrag von Thomas Blubacher mit dem Titel Exzesse eines verwilderten Genies finde ich schon in der vierten Zeile ein Schluß, jawohl - mit dem guten alten »Schluß-Eß«. Was ist los? Hat man sich bei der SZ die Kritik an den von ihr gnadenlos in Reformdeutsch konvertierten Zitaten von Adorno (zu dem Horkheimer gesagt haben soll: »Deutschland braucht dringend einen glänzenden Kopf wie Sie«, aber das gehört nicht hierher), hat sich mein Raufgeselle Podak, dessen stärkste Waffe das Schweigen ist, hat er sich eventuell doch durch den Kopf gehen lassen, daß man Zitate, schon gar von Adorno, dem glänzenden Kopf, nicht nach neuer Staatsschreibung verunstalten darf? Kurz: Steht das schöne »Schluß« etwa innerhalb eines Zitates, und ich habe das bloß nicht gemerkt? Also die Augen wieder vier Zeilen nach oben geschoben: kein Anführungszeichen, was kein Wunder ist, denn der Text beginnt mit einem Initial-A, das über die bereits zurückgelegten vier Zeilen ragt, wo sollte da noch ein Anführungszeichen hinpassen? Gegenprobe nach unten: Tatsächlich, da kommt zwar noch ein schönes »daß«, aber dann steht da ein »Anführungszeichen Ende«. Also ist es doch ein Zitat, und die SZ ist zur Zitierredlichkeit zurückgekehrt, die hier bei uns ja so ein heiliges Gut ist, daß keiner es je wagen würde, es zu unterlassen, dem »Mitstreiter« auf die Finger zu klopfen, wenn nicht alles, alles, alles, was in einem Text, aus dem zitiert wird, vorkommt, wiederholt wird (und selbst dann noch, aber das gehört auch nicht hierher). Kurzum: es handelte sich bei »Schluß« und »daß« um ein Zitat. Naja, immerhin wird jetzt ordentlich zitiert, das wollen wir doch loben. Also lese ich weiter. Aber was kommt da? (Das Zitat ist wohlgemerkt zu Ende.) Es kommt ein »muß«, es kommen »die goldenen Zwanzigerjahre«, »der gutaussehende Sohn«, »hermelinbezogene Sitze«, ein »hochbegabter Cellist«, dann allerdings doch eine Trennung »sto-ckend«, »ernst nahmen«. Nein, nicht daß ab da der Redakteur sich auf seine Treuepflicht besonnen hätte, es geht munter weiter mit »mußte«, »wußte«, doch dann - ach je! - folgen leider leidige »dass«, »musste«, »fliessende Grenzen« - Halt mal! Da stimmt doch was nicht! »Fliessende Grenzen«!? Zurück zum Anfang der Passage. Es handelt sich um - Zitate! Von Emigranten in New York! Die konnten ja gar nicht anders, denn amerikanischen Schreibmaschinen hatten bekanntlich keine Taste mit dem deutschen Dreierles-ß. Bemerkenswerte Zitat-Treue der SZ oder - Zitat-Reue?

Für diejenigen, die noch ein bißchen dableiben wollen, habe ich noch eine Geschichte. In der SZ vom 10. September lesen wir »Koch fordert Respekt vor der deutschen Fahne«. »Schüler sollen das Deutschlandlied können«. Man unterstellt in Kreisen des »Blauen Kreuzes«, das sich dem Kampf gegen den Alkoholismus verschrieben hat, dieses Machtwort aus Hessen käme nicht von ungefähr gerade kurz vor dem Oktoberfest, da der hessische Ministerpräsident u. a. im Aufsichtsrat der DBfG, der aus der einstigen BfG (Bank für Gemeinwirtschaft) hervorgegangenen und umbenannten »Daten-Bank für Gemeinplätze« säße, die die bayerische Brauereiwirtschaft fest in der Hand häbe (»Krake DBfG«). Durch vermehrte Ausgabe deutschen Gerstensaftes solle so dafür gesorgt werden, daß die vielen Schulkinder beim Ausflug aufs Oktoberfest bei jeder Fahne, die ihnen entgegenweht, das Deutschlandlied anstimmen müssen, und somit dieses bald auswendig können.

Eine weitere brisante Meldung kommt aus Kreisen, die sich ihre demokratischen Wertdefinitionen beim »Bundesamt für Vermassungsstuss« abholen. Dort wurde angeblich ein Amtsersuchen an das IDS auf den Weg gebracht, man möge doch das Lemma linksradikal ändern in links radikal und analog verfahren für alle anderen Himmelsrichtungen. Wie den Schulanfängern und Lese-/Schreibschwachen die neuen Schreibungen der Rechtschreibreform, würde diese neue Schreibweise, die somit ja auch in die Amtstexte des BfV Einzug hielte, den Beamten die Überwachungsarbeit erheblich erleichtern, denn man könne dann diejenigen, die mit links radikal geschorenem Schädel herumlaufen eindeutig als links radikal einordnen, und analog könne dies für alle anderen Himmelsrichtungen gelten und im erweiterten Sinne »selbst verständlich« auch für »links extrem«. Leute mit Extremitäten auf der linken Körperseite seien damit deutlich entlarvt und dasselbe gälte analog für alle andern Himmelsrichtungen. Herrn Heller soll bei der Lektüre dieses Gesuchs vor Entsetzen das gesamte Haupthaar erst auf der einen, dann auf der andern Seite ausgefallen sein, so daß er jetzt eine verblüffende Ähnlichkeit mit Adorno aufwiese, wobei Verwechslungen aus vielen Gründen völlig ausgeschlossen seien, nicht zuletzt weil Adorno einen schütteren, kaum wahrnehmbaren Haarkranz doch noch immer gehabt häbe und außerdem nicht mehr läbe.

Den Älteren unter uns ist der unvergessene liberale Demokrat Erich Mende vielleicht noch in Erinnerung. Als er eines Tages den Saal des Bundestags betrat, rief der SPD-Abgeordnete Carlo Schmidt, ein bedeutender Schöngeist, der nicht nur das wohlgeformteste Deutsch sprach sondern dieses ausschließlich in gereimter Form, entsetzt aus:

Wo kommt denn bloß der Mende her?
Der hat ja keine Hände mehr!

P.S.: Wie mir meine Großmutter soeben mitteilen läßt, war dies nicht Carlo Schmid (so schrieb sich der nämlich) sondern der CSU-Abgeordnete Handlos. Wo wir doch so präzise zitieren wollen, mit korrekten Quellenangaben.
– geändert durch Walter Lachenmann am 11.09.2001, 14:26 –
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Walter Lachenmann


eingetragen von Jörg Metes am 31.08.2001 um 13.55


(Ich habe den Leserbrief - erschienen in der SZ vom 30.8.01 - schon bei den Nachrichten/Artikeln eingetragen, stelle ihn hier aber auch noch her : )

"So sehr die Begegnung mit Theodor W. Adornos „Minima Moralia“ nach 50 Jahren erstaunt und erfreut – nicht zuletzt durch die verständigen Kommentare, die alles anschaulich auf die Höhe der Gegenwart heben –, so befremdlich wirkt auf den Leser die Tatsache, dass die SZ sich nicht scheut, diese ja fast schon kanonischen Texte der Moderne ins Korsett des „Regelwerks“ der Rechtschreibreform zu zwingen, mit der sie täglich den treuen Leser schockt.

Die „Gräuel“ der Vergangenheit und der Gegenwart gehören zum Repertoire einer Tageszeitung, und man nimmt sie zähneknirschend hin. Aber nimmermehr hätte Adorno „platzieren“ und „selbstständig“ geschrieben. So viel Entfremdung war nie!

Er kann sich ja nicht dagegen wehren. Möge sein rächender Geist als Gespenst nächtens den Schuldigen im Traum erscheinen!

Der Umgang mit dem Text der „Minima Moralia“ verdient das Prädikat „Summa arrogantia“! Leider!

Ursula Flügler, Offenburg"


eingetragen von Manfred Riebe am 27.08.2001 um 22.42

In einem Kommentar hatte der Mitherausgeber der Süddeutschen Zeitung, Joachim Kaiser, kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen, daß die immer konfuseren Verteidigungsargumente der fortwährend verstohlen nachbessernden Reformer ja längst wie taktische oder fanatische Aktionen von Leuten wirken, die ihre Investitionen retten wollen. Höhepunkt der Reform-Reformiererei sei die Zulassung von mehr Varianten. Die "vermaledeite Rechtschreibreform" sei durch die von ihr angerichtete Verwirrung längst gescheitert, habe sich selbst gekippt (Joachim Kaiser: Schwere deutsche Brache. Unsere Rechtschreibreform: Auch Verwirrung ist ein Scheitern. In: SZ 09.01.98, S. 11).

Dieses öffentliche Bekenntnis Kaisers erfolgte nach dem Bekenntnis der Reformer, daß Korrekturen unumgänglich notwendig seien. Zu diesem Zweck hatten die Reformer zu einer Anhörung am 23. Januar 1998 in Mannheim eingeladen. "Joachim Kaisers neue Kleider" zeigen, daß ein einmaliges öffentliches Bekenntnis nicht genügt, um einen Kleiderzwang zu verhindern. Ein solcher Artikel eines Mitherausgebers ist eigentlich ein deutliches Signal, auch für Journalisten. Aber gegen den Rechtschreibunsinn muß man ständig protestieren, sonst wird der einmalige Protest vergessen. Joachim Kaiser hätte sich nicht dazu zwingen lassen dürfen, die häßlichen Kleider (die fehlerhafte, lächerliche Beliebigkeitsschreibung) anzuziehen. Ein Joachim Kaiser hätte es auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen lassen können.



eingetragen von Manfred Riebe am 27.08.2001 um 20.41

Da Joachim Kaiser "Professor" ist, habe ich einmal nachgeschaut, was das eigentlich heißt:

"Professor" bedeutet wörtlich "wer sich (berufsmäßig und öffentlich zu einer wissenschaftlichen Tätigkeit) bekennt". Zugrunde liegt das lateinische Verb pro-fiteri "öffentlich bekennen, erklären" (Aus: Der Große Duden, Band 7: Etymologie, Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache).

Es gibt sogar ein Buch über deutsche Professoren mit dem Wort "Bekenner" im Titel:
Hans Peter Bleuel: Deutschlands Bekenner: Professoren zwischen Kaiserreich und Diktatur, Bern, 1968.

Wozu sollten sich Professoren bekennen? Zur wissenschaftlichen Wahrheit natürlich. Im Falle der Rechtschreibreform herrscht aber bei den Sprachprofessoren das große Schweigen im Walde, so als ob es um Kopf und Kragen ginge. Löbliche Ausnahmen bestätigen die Regel.

Über Professoren und ihr öffentliches Bekennen oder Nichtbekennen der wissenschaftlichen Wahrheit gestern, heute und morgen sollte man nachdenken. Bekenner sollten Vorbilder sein.


eingetragen von Manfred Riebe am 27.08.2001 um 09.00

Friedrich Denk initiierte für die Initiative "Wir gegen die Rechtschreibreform" eine ganzseitige Anzeige in der "Süddeutschen Zeitung" und im "Münchner Merkur": "Münchner Erklärung zur Rechtschreibreform". In: Süddeutsche Zeitung 30.11.1996, S. 7

Darin führte er unter der Überschrift "Die nicht beachteten Unterzeichner der Frankfurter Erklärung" diese auf und fragte unter anderem: "Warum wurde der Protest von Alfred Brendel, Dietrich Fischer-Dieskau, Abt Odilo Lechner und Weihbischof Max Zieglbauer, der Juristen Rolf Gröschner, Peter Lerche und Klaus Vogel, von Hildegard Hamm-Brücher, Joachim Kaiser, Siegfried Unseld oder Roger Willemsen überhört?"

Geld regiert die Welt! Die Fäden der Politik werden im Hintergrund von den Herrschern der Medienkonzerne gezogen. An diesen Spendenfäden tanzen machtgierige Politiker in Schlüsselpositionen wie die Marionetten. Man sollte die Kohl-Kanther-Schäuble-Spendenaffäre nicht vergessen, die zeigt, daß keineswegs alle Spenden in den offiziellen Spendenlisten des Deutschen Bundestages aufgeführt sind. Es war interessant zu beobachten, von welchen Medienzaren Helmut Kohl wegen der Schwarzgeld-Affäre hinterher Geld erhielt.


eingetragen von Reinhard Markner am 27.08.2001 um 02.05

Wußte gar nicht, daß die SZ auch Herausgeber hat, ich dachte immer, das Blatt werde von Textgeneratoren selbsttätig erzeugt . . .
Joachim Kaiser hat öffentlich Widerstand geleistet, ganz in dem Sinne, wie deutsche Intellektuelle »Widerstand« zu verstehen pflegen, nämlich durch Ableistung einer Unterschrift. Respekt ! Mehr war nicht ernstlich zu erwarten.
Was die Bindestriche angeht, so stehen wir hier wieder vor dem Phänomen der Abweichungen, die manchmal rätselhaft, aber immer interessant sind. Deshalb hat sich ihnen Professor Ickler auch gewidmet. Gerade die großen Tageszeitungen sind von einem Korrektorat kaum zu beherrschen, so daß sich das Sprachgenie ebenso wie das Unvermögen der Redakteure hier immer wieder Bahn bricht. Im vorliegenden Falle können wir vorläufig einmal annehmen, daß die (weitgehende) Befolgung der Rechtschreibreform nicht nur forcierte Auseinanderschreibungen, die vom amtlichen Regelwerk gar nicht vorgesehen werden, sondern eben auch nie zuvor gesehene Koppelungen ehedem selbstverständlich zusammen geschriebener Wörter zur Folge hat.


eingetragen von Manfred Riebe am 26.08.2001 um 07.59

Professor Dr. Joachim Kaiser ist leitender Redakteur und Mitherausgeber der Süddeutschen Zeitung. Er gehört zu den Erstunterzeichnern der "Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform" vom 04.-09.10.1996. Desto verwunderlicher ist es, daß auch er sich gleichschalten ließ. Wenn er öffentlich Widerstand geleistet hätte, hätte dies eine Signalwirkung für die anderen Herausgeber und Redakteure gehabt. Denn auch in der SZ rumorte es.

Daß Joachim Kaiser die seltsamen Schreibweisen "Schmutz-Wirbel", "Scheidungs-Affären", "Skandal-Blätter" und "Kultur-Industrie" beruflich verwendet, bezweifle auch ich.

Ich nehme vielmehr an, daß Joachim Kaiser und die meisten Journalisten in der herkömmlichen Rechtschreibung schreiben, weil sie genau wissen, daß der Neuschrieb so mangelhaft ist, daß bei jedem Versuch, eine fehlerhafte, lächerliche Beliebigkeitsschreibung entsteht. Folglich könnte die "Süddeutsche Zeitung" aus dem "Profi-Konverter 2.0" des Duden auf der Basis der Empfehlungen der Nachrichtenagenturen eine hauseigene individuelle Orthographie für ihr Konvertierungsprogramm entwickelt haben, das die herkömmliche Duden-Schreibweise nach der 20. Auflage, 1991, in die neue Rechtschreibung des Duden, 22. Auflage, 2000, umwandelt. Demzufolge werden aber auch die meisten Mängel des Neuschriebs erhalten bleiben.

Es könnte durchaus sein, daß die Macher des SZ-Konvertierungsprogramms in einer Art passivem Widerstand neben der häßlichen ss-Schreibung "Kurzschlusssicherung, Messsystem, Schlussstrich" auch so auffällige Schreibweisen wie "Kultur-Industrie" und vielleicht sogar "Einfluss-Sphäre, Kongress-Stadt" als ihre besonders hervorstechende Unterwerfung unter den Neuschrieb und als ihren individuellen stillen Protest kultivieren. Man fühlt sich an das Märchen von Hans-Christian Andersen "Des Kaisers neue Kleider" erinnert, in dem die Hofschranzen die neuen Kleider des nackten Kaisers lauthals bewunderten.

Die Zeiten haben sich aber geändert; denn heute geniert man sich nicht, die neuen häßlichen Kleider eines Joachim Kaiser zu kritisieren, die er sich hat aufzwingen lassen und die ihn genauso lächerlich machen wie früher die Herausgeber der FAZ.
– geändert durch Manfred Riebe am 27.08.2001, 23:33 –


eingetragen von Jörg Metes am 26.08.2001 um 06.28

Aber welche Erklärung gibt es sonst?
Warum sonst spickt die SZ plötzlich alles mit Bindestrichen?
Wo die Reform es in der Tat nicht einmal vorschreibt? Vor der Reform gab es das bei der SZ jedenfalls nicht.
Die andere Erklärung wäre: Verwirrung, Hilflosigkeit, Konfusion. Eventuell sogar geistige Umnachtung.
Man steht vor der Wahl, entweder auf außergewöhnliche Raffinesse oder auf außergewöhnliche Einfalt zu schließen. Ersteres wäre tröstlicher, zweiteres - ich gebe es ja zu - wahrscheinlicher.


eingetragen von Reinhard Markner am 25.08.2001 um 22.21

Insofern die Reform Bindestriche nur dort zu setzen nahelegt, wo undurchsichtige Wortbilder entstehen (»Nuss-Schokolade« usw.), kann ich nicht erkennen, weshalb die Schreibung »Kultur-Industrie« reformfeindliche Renitenz des SZ-Korrektorats signalisieren sollte. Da gäbe es andere Möglichkeiten.


eingetragen von Jörg Metes am 25.08.2001 um 14.18

Weder die SZ noch der Suhrkamp Verlag haben auf meine Beschwerdebriefe bislang geantwortet. Die "Minima Moralia"-Serie im SZ-Feuilleton läuft weiter, und weiter wird Adorno "daß" zu "dass", "selbständig" zu "selbstständig" und "stehenbliebe" zu "stehen bliebe" korrigiert. Andere im Sinne der Reform falsche Schreibweisen bleiben freilich auch weiterhin unangetastet. Oder täusche ich mich, wenn ich denke, daß man Adorno konsequenterweise auch "sinnverleihende", "des Immergleichen" und "einem schon Daseienden" hätte anstreichen müssen bzw. verbessern zu "Sinn verleihende", "des immer Gleichen" und "einem schon da Seienden"? (In der Internetausgabe des Bertelsmann-Wörterbuchs bei Lycos findet sich "immergleich" überhaupt nicht, auch nicht in Getrenntschreibung, wohl aber: "immer während")

Die Auszüge aus den "Minima Moralia" werden in der SZ-Serie jeweils kommentiert. Am 18. August schrieb den Kommentar Joachim Kaiser. Auch er muß natürlich "dass", "muss" und "bewusst" schreiben. Es finden sich in seinem Text außerdem eine ganze Reihe von mit Bindestrich versetzen Substantiven - "Schmutz-Wirbel", "Scheidungs-Affären", "Skandal-Blätter" und sogar "Kultur-Industrie" - sowie ein "wolllüstig" mit wahrhaftig drei ‚l', die hier aber nicht einmal von der Reformschreibung verlangt werden (jedenfalls nicht laut Bertelsmann-Wörterbuch). Insbesondere "Kultur-Industrie" kann Kaiser nicht selbst geschrieben haben. Das muß das Lektorat gewesen sein.

Eine langjährige SZ-Leserin in meiner Bekanntschaft hat mittlerweile die Theorie, daß es sich bei der Bindestrichflut in der SZ um den Versuch handelt, Sand ins Getriebe zu streuen. Um einen Versuch des Lektorats, die Reform durch Überaffirmation zu sabotieren. Ich selber habe zumindest keine bessere Erklärung.


eingetragen von Jörg Metes am 09.08.2001 um 21.37

Die "Süddeutsche Zeitung" ehrt Theodor W. Adorno. Sie ehrt ihn mit einer Serie von Auszügen aus den "Minima Moralia", von der im SZ-Feuilleton mittlerweile drei Folgen erschienen sind.

Wenn Adorno zitiert hat, dann immer buchstabengetreu. In seinem Aufsatz "George und Hofmannsthal" etwa hat er Hofmannsthals Orthographie ("unlitterarische", "Publicität" usw.) ebenso unkorrigiert übernommen wie die Georges ("dass", "lezte", "misverstehn" usf.). Ganz offensichtlich war Adorno die orthographische Authentizität wichtig.

Die SZ ehrt Adorno, aber in diesem Punkt pfeift sie dann doch auf ihn. Sie zitiert, wo Adorno "daß" geschrieben hat, ihn mit "dass", sie korrigiert ihm "plaziert" zu "platziert", "selbständig" zu "selbstständig" und "Mikrophon" zu "Mikrofon". "Mikrophon" wäre auch in der Reformschreibung korrekt gewesen, während andere Schreibweisen wie "das Essentielle" oder "zuviel" konsequenterweise ebenfalls hätten korrigiert werden müssen, aber nicht wurden.
Briefe sowohl an die "Süddeutsche Zeitung" als auch an den Suhrkamp Verlag als Lizenzgeber sind unterwegs. Normalerweise amüsiere ich mich über die Rechtschreibreform lieber, als daß ich mich über sie ärgere. Aber in diesem Fall bin ich doch ziemlich außer mir vor Zorn.


– geändert durch Jörg Metes am 11.08.2001, 09:39 –


eingetragen von Theodor Ickler am 02.08.2001 um 10.40

wäre die Entsprechung von "zu guter Letzt" (alt und neu). Hier haben die Reformer was versäumt.
Gestern stand in der FAZ einiges mit Doppel-s, auch "in Sonderheit". Es ist eben nicht leicht, der allgemeinen Verwirrung zu widerstehen.
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Th. Ickler


eingetragen von Walter Lachenmann am 02.08.2001 um 09.23

mag ja formal in Ordnung sein (das gilt auch für Rad-Weg oder Rad-Wanderung), aber es ist ein entsetzliches Wortungetüm. Inkrafttreten ist auch nicht ästhetisch, das mag auch seiner Bedeutung liegen, aber es ist nicht so pompös. Diese Koppel-Ungetüme dominieren das ganze Satzbild, ziehen den Blick auf sich, bevor man eigentlich mit dem Lesen an der Stelle wäre, und geben dem gesamten Lesetext eine holprige Schwerfälligkeit.
Früher war es auch sinnvoll, Wörter zu koppeln, wenn sie anders schwer lesbar wären, aber das konnte man auf wenige beschränken, auch auf selten auftretende.

Das mit der Abo-Ab-Bestellung muß ich mir wirklich noch über legen.

Schreibformen wie BahnCard oder Deutscher Bücher Preis beschränken sich nach meiner Beobachtung auf Begriffe, die besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollen, das sind Werbegags, keine sprachlichen Sonderformen, denke ich, so wenig wie KunstausstellunG, solche Gags erfinden die Werbeleute immer wieder.

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Walter Lachenmann


eingetragen von Reinhard Markner am 01.08.2001 um 23.26

In-Kraft-Tret(e)n ist in Ordnung, aber Latein-Amerika, das gibt zu denken. Ich möchte aber Jörg Metes zurufen, daß mindestens so sehr wie der Bindestrich der Verzicht auf denselben in Mode ist, entweder in Form von Binnenversalien (BahnCard etc.) oder in anglomanischer Manier (Deutscher Bücher Preis etc.).
Meine Meinung zur SZ läßt sich in einem Wort zusammenfassen, das ich gerne »wieder hole« : Abbestellen !


eingetragen von Walter Lachenmann am 01.08.2001 um 21.03

Orthographiereformen, das wissen wir hier zu Lande, brauchen eine starke Hand. Denn die Sprache ist Identität, auch die geschriebene, und jede Änderung schneidet ins kulturelle Selbstverständnis.
Doch, ganz im Ernst, das steht so da. Ein Stoßseufzer? Leider keine weiteren Gedanken, warum so etwas sein muß. Über die Probleme, die eine solche Reform in Aserbeidschan mit sich bringt (man kehrt zur lateinischen Schrift zurück), darf der Redakteur zri schreiben, immerhin, vielleicht fällt einem SZ-Redakteur auch einmal etwas dazu ein, welche Probleme es hier zu Lande damit gibt.

Dann:
Einfluss-Sphäre
usw.

Wie recht sie doch alle haben...

Zuallererst steht im neuen Duden tatsächlich noch so drin, ich hätte auf »zu Aller Erst« geschworen, seltsam.

das Recht, ein wenig weiter leben zu dürfen...

... einem überirdischen Schönspielen

Erregungspotential

Im München-Teil noch die schönen Bindestrichwörter:

Ring-Routen, Lieblings-Beispiel, Velo-Aktivist, Mini-Distanz, Geister-Trip, Radler-Umwege, Velo-Nutzer...

Schwulen-Ehe
In-Kraft-Treten (gleich zweimal)

wahrhaben (immerhin)
der Angeklagte, der derzeit noch deutsch für das Lehramt studiert...

Es reicht mal wieder.

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Walter Lachenmann


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 31.07.2001 um 05.56

idyllisch, an diese alten Vorstellungen noch einmal erinnert zu werden! Das gab es ja wirklich mal, daß die Medizin sich um Patienten drehte! Die moderne Medizin ist sich selbst genug, und Patienten sind da eher störend, man nimmt sie halt noch so hin.
Mein Hinweis auf Heike Schmoll war angesichts ihrer Omnipräsenz stümperhaft - das räume ich ein. Viel eher droht ihr die Seligsprechung der katholischen Kirche, da es ihr wahrscheinlich demnächst passieren wird, an zwei Orten zur gleichen Zeit zu sein (die sog. Bilokation).
Mal sehn, wie heiß es heute wird!
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Walter Lachenmann am 30.07.2001 um 21.37

Lieber Herr Scheuermann,
heiß ist es auch im Alpenvorland, aber Herrn Riebe und mich kann man nicht hinters Licht führen:
Ihre Ermittlungsmethoden sind stümperhaft. Wenn Sie Ihre Patienten auch so behandeln, dann muß man sich Sorgen machen um Deutschland als das Neuschwanstein der Medizin.
Hier die Aktenlage:
Heike Schmoll (oll.)
geboren am 10. Fe...
der Artikel endet mit »Schulpolitik«.
Wir wissen alles R und ich.
Wir haben auch ein Foto der Dame, sieht nett aus, randlose Brille, kann man nicht meckern.
Übrigens weiß ich jetzt, woran mich das erinnert, wenn mein Freund von mir spricht, ja geradezu apostrophiert als »Verleger Walter Lachenmann«.
Das ist so ähnlich wie früher in der Schule, wenn ich da was ausgefressen hatte, dann hat der Herr Lehrer auch immer gesagt: Ausgerechnet der Lachenmann, der Sohn vom Dekan... usw. Einmal ist mir das sogar bei der Polizei passiert.
Wir waren zu fünft, mich haben sie natürlich erwischt aber auch noch zwei andere, die haben sie aber gleich wieder laufen lassen, nur mich haben sie viel länger behalten, weil ich der Sohn vom Dekan war - das war das Vergehen.
Was kann ich denn dafür, daß ich Verleger bin?
Das sind doch ganz üble Löwenmäulchenmethoden - oder was sagen Sie als Botaniker?



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Walter Lachenmann


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 30.07.2001 um 18.09

Lieber Herr Lachenmann,
es ist hier in Heidelberg heute ein wirklich unerträgliches Klima; da komme ich auf lauter dumme Gedanken. Aber den Leitartikel von Heike Schmoll heute in der BK-FAZ - den müssen Sie gelesen haben! Also flugs Herrn Markner gefolgt und BK-FAZ abonniert! (Oder werfen Sie einen Blick auf die Nachrichtenseiten allhier!)
Heike --> Ike --> Icke ... merken Sie's?
Und Schmoll --> Theoll usw.?
(Riebe wußte es übrigens längst!)

Aber nicht weitersagen!

Ihr

Wolfgang Scheuermann
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Walter Lachenmann am 30.07.2001 um 17.17

Der B-Kurier war schon immer grauslich schwarz, und das jetzt noch mit der FAZ?
Ich will da lieber wieder zu meiner Mama!
Sie soll aber wieder ordentlich sprechen.
Was hat denn die FAZ heut für einen reformkritischen Leitartikel gebracht? Mir wurde da was zugeraunt. Warum sagt einem keiner was?
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Walter Lachenmann


eingetragen von Wolfgang Scheuermann am 30.07.2001 um 16.43

Die FAZ hat den B-Kurier gekauft? Wann denn? (Und wieso beschäftige ich eine Handvoll Lakaien, die für mich das Parkett in Frankfurt polieren sollen - und keiner von denen sagt mir was!)
Der B-Kurier ohne süßen Senf! Scharf!
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Dr. Wolfgang Scheuermann


eingetragen von Reinhard Markner am 30.07.2001 um 15.50

Eher bekommt die F.A.Z. ihren Bayern-Teil. Den B-Kurier haben sie ja schon gekauft.


eingetragen von Walter Lachenmann am 30.07.2001 um 15.17

Sie haben leicht daherreden, Saupreiss!
Man verläßt doch auch nicht seine Mama, wenn sie eine Sprachstörung bekommt...
Vielleicht kommt sie ja doch wieder auf die Beine.
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Walter Lachenmann


eingetragen von Reinhard Markner am 30.07.2001 um 12.39

Das Probeabo einer auch inhaltlich besseren Zeitung gibt es unter http://www.faz.de.


eingetragen von Walter Lachenmann am 30.07.2001 um 11.10

SZ Reiseteil vom 31. Juli 2001, Seite V2/6

Mit hartem Besen gegen weiche Kaugummis

... Was hierzulande als Banalität erscheint...

Um sicher zu gehen...

Dass Verkehrssünder... billig davon kommen...

Etwas auf die Straße zu werfen kostet zurzeit 500 Mark.

Selbst Kaugummikauen...

weil Gäste einer großen Konferenz nicht Teil nehmen konnten.

Für Ball spielen am Strand musste ...

Fazit: Die neuen Regeln sind problemlos eingeführt, werden von den Journalisten beherrscht und von den Lesern akzeptiert (letzteres leider zum Teil ja, zumindest hingenommen. Die Redaktionen müßten täglich tausende Leserbriefe bekommen, vielleicht würde dann dieser Doofheitsterror ein Ende nehmen).

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Walter Lachenmann


eingetragen von Theodor Ickler am 04.05.2001 um 18.14

Diesen schon etwas zurückliegenden, im Nachrichtenarchiv zur Zeit nicht mehr greifbaren Artikel noch einmal in Erinnerung zu rufen scheint mir in der gegenwärtigen Lage recht sinnvoll. Das Jahr 2000 liegt hinter uns und hat mit der heimlich vorgenommenen Revision der Reform das Häufchen Ruß zu einem ansehnlichen Hügel anwachsen lassen. Die Süddeutsche Zeitung hütet sich, das peinliche Thema noch einmal aufzugreifen. Von innen heraus sind diese Medien anscheinend nicht fähig, sich der evident besseren Einsicht zu öffnen. Für einen Anstoß von außen wären sie aber bestimmt empfänglich; in den Redaktionen wenigstens gibt es fast nur die einhellige Meinung, daß die Neuschreibung ein Fehler und eine Schande ist.
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Th. Ickler


eingetragen von Theodor Ickler am 04.05.2001 um 18.05

04.01.00

Reform der Schreibreform nötig?

VON HERMANN UNTERSTÖGER

„Die Wahrheit muß unter allen Umständen heraus, und sie kommt ja auch heraus, wie man sieht, indirekt in den Zeitungen mit ihren unsäglich blöden Neuschreibungen, und direkt demnächst (Reform der Reform).“ Dies ist ein Statement Theodor Icklers, des Erlanger Germanisten; da Ickler als einer der nicht nur schärfsten, sondern auch theoretisch fundiertesten Widersacher der Rechtschreibreform hervorgetreten ist, verbietet es sich von selbst, ihm sein „muß“ in das seit nunmehr fünf Monaten zeitungsübliche „muss“ umzuwandeln.

In der Tat bieten die Blätter seit dem 1. August 1999 manche Neuschreibungen, die von den einen mit Besorgnis registriert werden, von den anderen mit Belustigung, die aber jedenfalls Staunen erregen. Hier eine kleine, ohne Systematik oder gar wissenschaftlichen Eifer zusammengetragene Auswahl: „Hoffentlich Allianz versichert“, „Die Angst vorm Hose runterlassen“, „Blei erschwert Lesen lernen“, „nichts der Gleichen“, „Bayer ertrank beim Kajak fahren“, „Agnes Baltsa hielt hof“/ „wenn Agnes Baltsa . . . hofhält“ (Rubrik bzw. Text), „Güterzüge zusammen gestoßen“, „absurder Weise“, „Schwierigkeiten gehabt, sich . . . an zu passen“, „eine riesen Gaudi“, „die Bremse los gelassen“.

Wie ist derlei einzuschätzen? Handelt es sich bei so einer Blütenlese um Blüten, über die man mit einem Achselzucken hinweggeht, oder aber um eine Art Blumen des Bösen, die von Sprach- und damit Kulturverfall künden? Lässt man obige paar Beispiele nicht als Ausrutscher durchgehen, sondern als repräsentativ und symptomatisch gelten, so kann man aus ihnen die Diagnose ziehen, dass die Zeitungsleute bei weitem nicht die Virtuosen des Wortes sind, als die sie sich gerne sehen und darstellen. Allenfalls Handwerker wären sie dann, und schlechte dazu. Immerhin kündet die kleine Sammlung von einer großen Unsicherheit, was die in unserer Sprache gebräuchlichen Wortarten angeht, nicht zu reden von einer ähnlich großen Unlust, im Zweifel das Wörterbuch zu Rate zu ziehen. So gesehen käme der Rechtschreibreform das Verdienst zu, wenigstens diese traurige Wahrheit ans Licht gebracht zu haben.

Gleichzeitig könnte man aus den Fehlleistungen den Schluss ziehen, dass gescheitert ist, was die Reform unter anderem anstrebte: den Schreibenden zusätzliche Freiräume für eigene Entscheidungen einzuräumen. Indem man das anmerkt, muss man von dem seltsamen Phänomen reden, dass die Nation, auf Freiräume jeder Art sonst durchaus bedacht, dieses Emanzipationsangebot nur widerwillig zur Kenntnis nahm. Die neue Orthographie bietet ziemlich viele Varianten à la „Bouclé / Buklee“ oder „zuschanden / zu Schanden“, doch hat es den Anschein, als ob der Sprachgemeinschaft in dem Punkt mehr an der Sicherheit gelegen wäre als an der Lizenz, so oder so schreiben zu dürfen. Bei der Wertschätzung, die
rechtes Schreiben hier zu Lande genießt, sind die meisten wahrscheinlich schon zufrieden, wenn sie die eine Variante korrekt zu Papier bringen.

Nie sah man so viele Leute, die Berufes halber mit dem Wort umgehen, so häufig zum Wörterbuch greifen wie jetzt. Skeptiker werten das als Beleg dafür, dass die Rechtschreibreform gescheitert sei: Hätte sie Klarheit gebracht, müsste man nun doch nicht ewig nachschlagen! Das hört sich gut an, und umso besser, als es ein halb belächeltes, halb gehasstes Projekt trifft. Dennoch muss man einschränken. Wer heute aus dem Wörterbuch kaum mehr herausfindet, gehört einer Generation an, die durch die Reform zum Umlernen genötigt wird. Je älter er ist, desto gewisser wird er sein Schreibleben in mehr oder minder unsicherer Zweigleisigkeit fortführen, wohl auch so beenden. Er wäre – dies sei bei allem Respekt für den Gegenstand dieser Unsicherheit ebenfalls gesagt – freilich ein rechter Narr, wenn er sich deshalb übermäßig grämte: Noch gibt es Wichtigeres auf der Welt.

Aus den Schulen hört man seltsam Gedämpftes: Die Reform habe weder gravierende Erschwernisse gezeitigt noch großartige Erleichterungen. Das ist wenig, zu wenig jedenfalls ngesichts dessen, was man sich von der Reform versprochen hatte – und das war ja beinahe eine Erlösung von allen Rechtschreibleiden gewesen. Umgekehrt wäre ein Schuh daraus geworden (kein pompöser, aber immerhin), nämlich wenn man die Reform als ein Haupt- und Staatsunternehmen beizeiten eingestellt und das Brauchbare davon ohne lange Faxen in den
alltäglichen Gebrauch übernommen hätte.

Der Durchschnittsverbraucher steht vor dem Problem, dass ihm bei einem neuen Regelwerk, das dem alten an Kompliziertheit nicht nachsteht, die Sinnhaftigkeit des gesamten Unternehmens verborgen bleibt. So kommt es dann, dass ihm nur ein paar Grundregeln durch den Kopf gehen, und die nicht richtig. Also schreibt er vorsichtshalber lieber „wider gespiegelt“, statt seinem Instinkt zu vertrauen und „widergespiegelt“ zu schreiben. Ein anderes Überschießen referiert Theodor Ickler in einer vorläufigen Bilanz: In den Schulen führe die Neuregelung von ß/ss nun gehäuft zu Bildungen wie „heiss“ oder „ausserdem“ (die man, was bei der Simplizität der Sache erstaunt, übrigens auch bei vielen Erwachsenen antrifft).

Ob die Rechtschreibreform ein Schuss in den Ofen war, ist noch umstritten. Bei der allenthalben herrschenden Unsicherheit sollten die Gremien das Jahr 2000 nutzen, um den Ruß wegzukehren.
__________________
Th. Ickler


Alle angegebenen Zeiten sind MEZ   

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